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Diese Seite enthält 70 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)
Was meine Gedichte sagen oder sind I (509)1/Sonett
Vergleiche (30/1809), (34/2045), (38/2260) und (52/2647)
Ich mach mir nicht geringste Illusionen:
Es ist vorbei mit Geist- und Wert-Ordnungen,
mit Idealen, welcher Art auch immer.
Der Mensch verlor die Sehnsucht nach Kultur.
Er kann nicht mehr in Seelenweiten wohnen;
er ist sich selbst als Körperding gedungen,
das hastet durch die eignen Daseins-Trümmer:
Wahrscheinlich längst auf einer Abschieds-Tour.
Dass Wohlstand destruktiv ist, das ist wahr:
Er lässt die Menschen innerlich verrotten.
Sie fangen an, sich selber zu vergotten,
sie werden jeder Scham und Selbstmacht bar,
beginnen, alles Ernste zu verspotten,
um dann zu frönen aller Lüste Schar.
Die subjektive Lage in späten
Konsumdiktaturen/Sonett (510)2
Berechnung, Seelenkälte und Begehren:
Orientierungslosigkeit verfallen,
sprachlicher Armut, Kicks und Zeitgeistkrallen,
zu wirken Trance und Stumpfsinn innrer Leeren
und geistig-intellektuelle Schweren.
Wie in Narzissmus sie und Sucht sich lallen,
Realitätsverweigerung verhallen …
Prekäre Lasten, die das Ich aufzehren.
Entzauberungsverhärmung, Götzentoben
Gewissensabbau und Entschämungsschmieren
entgottet ausgesetzt, sich hoch zu loben.
Um so sich selbst verheiligt zu verlieren:
In sich als würdeloses Ding verwoben …
Gar nicht mehr fähig, selbst sich noch zu führen.
Freiheits-, Wahl- und Selbstbestimmungs-Mären/Für Archilochos von Paros, (680 – 640(?) v. Chr.)/Für Verehrte (511)3
„Πάντα Τύχη καὶ Μοῖρα, Περίκλεες, ἀνδρὶ δίδωσιν …“
Ü: „Alles, Perikles, geben (schaffen/bereiten/zwingen auf) dem Menschen Zufall und Schicksal.“
Was ich denke, was ich fühle,
was ich hoffe und ersehne,
was ich glaube, sein zu sollen,
greift als Ineinanderlaufen
genverfügter Lotterie,
Prägung durch die Herkunftsklasse,
Früherfahrung, Zufall, Lagen,
Bildungsgrad und Körper-Ich,
Staatsverfassung, Recht und Werte,
die gesellschaftlich mich prägen.
Nicht zuletzt auch die Epoche,
der ich angehören muss.
Tief geprägt von ihren Keimen:
religiösen und profanen,
kratisch-ökonomischen.
All dem muss ich ab mich raufen,
sprachlich konstruieren mich.
Treiben mich durch all die trägen,
unbekannt komplexen Joche.
Mich zu träumen, mich zu reimen,
mich vermittelt an zu ahnen
als verstofflichte Magie.
Bleibt am Ende nur die Form
- Würfelselbst der Gene -
als die subjektive Norm,
der verpflichtet ich verträne
mich als Rätsel bis zum Schluss.
Unvergessliche Stunden (512)4
Unvergessliche Stunden:
Ziellos durchs Dorf wandern.
Unter einem Platzregen.
In sengender Sonne.
Auf spurendurchfurchter Schneedecke.
Ich lief meine Einsamkeit zuschanden,
schlug sie den Steinen zu,
grub sie in Stillen ein,
sang sie zu Tode.
Unvergessliche Stunden!
Wahrheitsgemäß sei’s wiederholt.
Prosafetzen (202) (513)5
Geistesheimat?
Das ist Selbstbetrug!
Nichts doch,
worauf aufzuruhen
uns noch faktisch
möglich wäre …
Jedenfalls wenn man
präzise denkt,
sich nichts vorgaukelt
und sich nicht selbst
- tugendaggressiv, wortarm
und einsichtslos -
überhebt.
Verfallen dieser
intellektimperialistischen
Banalitäten-Orgie.
Sonett für Niccolò Machiavelli (514)6/Für Verehrte
Was ich so denke, darf ich leis nur sagen;
weil’s könnte bringen mich in Schwierigkeiten.
Bin ich der Meinung doch, man sollte meiden
sei’s Tugendträume, sei es Weltanklagen.
Zumal es nutzlos ist, sich abzuplagen
mit unsren selbstzerstörerischen Seiten.
Wir werden immer wieder uns entgleiten,
wenn’s fordern Macht und Not und Zwang der Lagen.
Wir sind das nicht: moralische Personen.
Nein, wir sind Tiere, die sich selbst bedrücken,
die doch nur das tun, was sie kann belohnen
mit gängig zwangserstrebten Selbstsucht-Glücken …
Sich selbst als höchstes Gut dann zu betonen.
Es mögen andre auch daran ersticken.
Weltgrunderfassen (515)7
Es gibt Stunden,
da ist man so einsam
und so gleichgültig,
dass man sich nicht einmal
wehren würde,
griffe einen jemand
selbst gewalttätig an.
So indolent
und fatalistisch
ist man,
wenn man,
sich selber entglitten,
die unheimliche Fremdheit
der Welt
als wesenhafte
erfasst.
Gegen naive Zeitgeistgläubigkeit/Sonett (516)8
Ich strebe, wenn ich die Sonette schreibe,
nach was ich nennen will Bedeutungsdichte.
Ich will Komplexes wissen wie das Schlichte,
will, dass der Gang der Welt sich an mir reibe,
mich ahnen lasse, was der Kortex treibe,
wenn er uns vormacht, dass er alles lichte.
Sich selbst und auch noch seine Vorgeschichte.
Sogar die Qualen seiner Geistesbleibe.
Zumal ich außerstande bin, zu glauben
an tragende - intakte - Wertgefüge
in diesem Kosmos planer Ichsuchtlauben,
der Selbstvermarktung und der Pyrrhussiege,
der Gossen-, Mammon- und der Tugend-Trauben,
die wild befeuern unsre Kunden-Kriege.
Ein Körper/Dank an ... (517)9
Mir fällt, na ja, du weißt schon was,
mir fällt, kurzum, dein Körper ein.
Der gab mir Trost, gab Mohn und Spaß.
Er schuf mir Gier und Gegen-Nein,
ließ mich Büro vergessen
und mein Mittelmaß.
Trug physisch einfach für mich Sorge,
mit Zittern, Seufzen und mit Schweiß,
dass sich mir eine Lücke borge
auf diesem toten Gleis:
Dass ich die Tage überstehe,
trotz Ekel, Aggression
und Zeitunruhe,
mich Normen, Alltag
und Geschwätz eindrehe -
sich mir aus denen dann
ein kleiner Halt auftue.
Lob der inneren Abwendung I/Sonett (518)10
Zufriedenheit kann mir nur dies gewähren:
Allein, für mich zu sein, weit weg von denen,
die mich zum Zielpunkt ihrer Ichsucht machen.
Mich beugen wollen ihren Eitelkeiten,
mit Besserwisserei mich zu bekehren,
doch auch zu summen ihre Kantilenen*
von Tugendweisen (also: Sollens-Lachen).
Hingegen ich will diese Welt nur meiden.
Ich bleibe möglichst ihrem Sog verborgen.
Um mich vor Du und Wir und Staat zu schützen.
Allein schon das vermindert meine Sorgen.
Zumal ich mich auf Geist und Kunst darf stützen.
Und das lässt immer hoffen auf ein Morgen,
Vollendungstraum in Versen anzuritzen.
*Kantilene ital.: gesangsartige, getragene Melodie
Dorfschatten/Früh Vertraute, nie Vergessene (519)11
D. P.:
Er brachte eine Taxifahrerin um,
indem er siebzehnmal auf sie einstach.
D. B:
Heimgesucht von einem schizophrenen Zug,
setze er seinem Leben ein Ende.
K. H.:
Er erschoss sich am gleichen Tag, an dem die von ihm über alles geliebte Frau einen anderen heiratete.
E. B.:
An einem jener wunderbaren Herbsttage trank sie, völlig unerwartet, einen mit E 605 angefüllten Becher aus und ging an dem Gift elend zugrunde.
A. A.:
Er erhängte sich am tragenden Balken seiner Hofscheune.
Herr S.:
Er ruinierte sein Leben, indem er mit seiner Tochter schlief. Er bekam dafür eine Zuchthausstrafe. Viele Jahre lang.
Schatten aus der frühen Kindheit,
diese Menschen,
deren Bilder manchmal herüberragen
in meine späten Jahre.
Warum,
weiß ich auch nicht so genau;
wahrscheinlich,
weil ich sie alle sehr gut kannte,
sie mir vertraut waren,
ich oft, auf der Straße,
mit ihnen Umgang hatte.
Weiß nicht,
ob sich noch jemand
an sie erinnert.
Eher nicht.
Indes ich sie, wie angedeutet,
manchmal vor mir sehe …
In befremdlicher Klarheit.
Realitätsüberschreitung/Sonett (520)12
Als eitel, primitiv und daueröde
empfand ich immer diese Spaßzwang-Wogen,
Reklamesog und Tugenddemagogen,
die Tyrannei der Einheitsgottheit Kröte.
Auf dass erregt man und begriffsfaul schnöde
den Lüsten lebe, nur auf sich bezogen.
Wiewohl grad das ist objektiv verlogen:
Folgt man doch hochsubtiler Zeitgeist-Lethe.
Ganz anders will mir selber Welt aufscheinen,
wenn ich Sonette mache, frei von Zwängen,
mich aufzureiben Ich und Wir und Scheinen.
Dann bin entronnen ich sozialen Engen:
Narzissmus, Schäbigkeit, absurdem Meinen.
Darf geistig mich aus Faktenquanten sprengen.
Fiktionen-Schöpfer (521)13
Es ist Magie,
von der wir zehren,
Magie in Form
von Illusionen.
Magie
durch Kunst,
Gewaltsucht
und Begehren -
Ad hoc-Entwürfen
steuernder
Neuronen.
Zwecke/Sonett (522)14
Ich werde von Reklame angegangen,
die mich umgarnen will mit tausend Zungen.
Von ihrer Propaganda längst gezwungen,
sie gleichzusetzen mit Sakralbelangen.
Der Zeitgeist überhaupt sagt unbefangen,
wie man, zum Marktkern erst mal vorgedrungen,
ihn meistere: Als Kunde sich gelungen
in der Magie verzerrter Traumweltzangen.
Von all dem will ich freilich gar nichts hören.
Sonette will ich schreiben in den Stillen,
die keine Messen von Verbrauchern stören.
Ich will mich Einsamkeit und Selbst einhüllen,
will auf die Einsichtsmacht des Geistes schwören;
nicht auf genetisch kommandierte Füllen.
Teilhabe/Prosafetzen (191) (523)15
Seelisch hässlich,
gleich wie dieses
Artefakten-Chaos
real es ist,
sind die es evolutionslastig
produzierenden
Neuronen-Monaden -
Wohl ahnend nunmehr
ihre tragische Ausweglosigkeit
gelänge es ihnen auch,
es technisch zu beherrschen.
Von sich berauschte Selbstzerstörer/Sonett (524)16
Wie oft schon saß ich hier vor diesen Blättern,
auf Worte sinnend, um mich abzuscheiden
von dieser Welt der Lust und goldnen Zeiten,
dem Ort, an dem selbst Übel sanft zerfleddern.
An dem die Börsenkurse ständig klettern.
Wo man betrauern kann noch fernstes Leiden.
Um endlich, intellektuell bescheiden,
in Meinungssudelei sich zu verheddern.
Indes die Worte lassen auf sich warten.
Ist’s doch nicht einfach, diese Welt zu greifen.
Von uns zertrampelter, komplexer Garten
von gleichungstechnisch uns geschaffnen Schiefen:
Ein Trümmerfeld, stets wachsend auf den Karten,
von Wüsten, Öden und erschöpften Tiefen.
Bilanzgedicht (11) (525)17
Selbstverständlich lüge,
fiktionalisiere und
schauspielere ich
chronisch.
Wie anders
sollte ich denn
mich selbst und die anderen
ohne Ängste, Feindseligkeiten
und selbstzerstörerische
Melancholie,
auch nur
für einige Minuten,
illusionslos hellsichtig
uns durchschauend,
ertragen?
Verwehen (526)18
Die Worte Gottes
schlagen sich
zu mir durch.
Nachtwandlerisch luzide,
schicke ich ihnen
meine geübtesten
Stillen entgegen,
sie umzuleiten
in der großen Mutter,
der Materie,
unüberbietbares Schweigen.
Sieg um Sieg so erlangend,
werde ich mich nun
durchschweigen bis ans Ende,
aller Gewissheiten bar,
an jenen,
den teilchenumsäumten,
vorbei
ins mir schon immer
vertraute Verwehen.
Kindstraum (527)19
Längst nach Mitternacht
träume ich, Blonde,
von Drogen übertölpelt,
von dir, davon,
mit allen Sinnen
und Geistesgaben
in dich ein
und durch dich hindurch
zu dringen.
Bis in die menschlichen
Edelkerne,
angesichts derer
unsere billige Selbstliebe
vor unserer Zärtlichkeit,
Anmut, Sehnsuchtsschwere
und fern aufglänzenden
Zusammengehörigkeitsvision
scheinbar
schamrot und weise
kapitulierte.
Vom Schicksal kommandiert/Sonett (528)20
Dem Zeitgeist kann ich gar nichts abgewinnen.
Rekordsucht nichts, nichts Urlaub, nichts Gerede.
Schon gar nicht dieser effizienten Öde,
aus der so kalte Innenwelten rinnen.
Die sich aus konsumtivem Glück gewinnen.
Und dies, obwohl identisch ist doch jede
Vollzugseinheit erlebnishafter Stete:
Man lutscht sie. Ohne sich auch zu besinnen.
Nicht ansatzweise kann indes ich klären,
warum ich anders bin: Gedichte schreibe,
mir Inhalt, Geist und Stille zu gewähren.
Warum nichts bietet mir, was man so treibe.
Das muss wohl Gnade sein, mir zu verwehren,
dass ich mich Welt und meinem Ich aufreibe.
Prosafetzen (305) (529)21
Was für ein Aufwand
für so wenig Ertrag:
Warenästhetisch gewirkte
Innenweltöden
mit gesteigertem Konsum
potenzieren.
Wish you were here/Für homo sapiens bambergensis (530)22
Wish you were here.
Du weißt, was ich meine:
Zartheit und Gier
schüfen uns Seine,
schenkten uns Inhalt,
Sinn gar vielleicht.
Die Welt wär allein kalt,
barbarisch und seicht.
Wir träumten Vollendung,
von Stunden gereicht,
die körperrein schier
uns tauchten in Weine,
vergäben die Ichsucht,
die Trance und dass stier
wir kindlich verfehlten
belastbares Wir.
Vertrauter - näher (531)23
Gewalt, Versagen und Verrat,
naive Selbstsucht
und im Stich gelassen werden,
sind allemal vertrauter mir,
erscheinen näher mir der Wirklichkeit,
wie ich von früh an sie erfuhr.
Auch ehrlicher
als all die Schwüre
von ethischer Ergriffenheit,
begrifflich-intellektueller Härme
mit ihren bodenlosen Illusionen,
Polit- und Tugendidealen,
die konzessionslos ich verwerfe,
weil sie doch einen korrumpieren,
gedanklich schwächen
und verführen,
Realitäten wertscheel
zu verweigern.
Körper und Geist/Sonett (532)24
Substanzgarant - so muss man es doch sagen -
ist dieser Körper, dem wir alle frönen.
Und bis zum Ende ihn uns sorgsam schönen.
Wir müssen. Doch allein von ihm getragen.
An Haben, Lust und Geltung muss er nagen.
Die sind’s, als Lohn, die ihn mit sich versöhnen.
So wird der Körper immer Last argwöhnen,
wenn ihn das Selbst will geistig überragen.
Ob’s überhaupt zusammengehen könne:
Die Sinne, die sich körperlich nur erden,
und Geist, dann wenn ihn Eros sinnlich spönne?
Vielleicht wenn Macht sie in Gedichten werden:
Wenn Drang zu Geist und Geist zu Drang gerönne.
Um dann als Logos-Hyle* sich zu werten.
*Logos-Hyle griech.: in der stoischen Philosophie zentraler Gedanke: Das Weltall ist Materie und Geist, die untrennbar miteinander verbunden sind. Wörtlich: Geist-Materie; s. Fremdwörterverzeichnis
Geistige Scham (533)25
Die Kraft,
sich selber ungeschminkt zu sehen
und standhaft realistisch
zu betrachten;
dabei auch wahrzunehmen
jene Frachten,
vor denen Selbsterhöhung muss vergehen;
die drastisch ahnen lassen,
ja: verstehen,
dass man bedingt nur
kann sich selber achten,
zumal sich unfrei schlägt
in jenen Schlachten,
die sich um Selbstwert
und um Gelten drehen.
Sind die doch
Ichsuchtmacht verwoben;
sind so verfallen tiefen Zwängen,
vor denen man,
bestimmt geschoben,
sich sagen muss,
dass sie bedrängen
als jenes undeutbare dumpfe Toben
aus dunklen Organismusfängen.
Fehlschluss/Sonett (534)26
Dass man den Menschen tief bewundern müsse,
auf keinen Fall er dürfe untergehen,
er immer müsse an der Spitze stehen …
Das ist so einer dieser eitlen Schlüsse,
die jeder glaubt, weil er doch, meint er, wisse,
dass er das Höchste sei im Weltgeschehen.
Zumal zu Göttern müsse nicht mehr flehen,
da, selber gottgleich, er sie nicht mehr misse.
Glaubt er tatsächlich doch, sich selbst zu halten.
Belämmernd sich mit triebfundierten Schüben,
die ihn entreißen sollen Daseinshalden,
die er sich baut aus rationalen Trüben,
um sich in diesen haltlos zu entfalten,
dem Zeitgeist hörig einsam aufgerieben.
So ist es (535)27
Große Sache,
dieses Leben.
Halte ich
für ausgemacht.
Wenn auch
ohne ein Vergeben,
tobend
auch vor Niedertracht.
Wenn auch
sinnlos
leeres Streben,
in Versagenszwang
verbracht.
Zeitgeist-Verwahrlosungen/Sonett (536)28
In dieser Zeit der deutelnden Exzesse,
der Diffamierungs- und Empörungs-Lüste,
erstellen immer mehr sich eine Liste,
wer Engel sei, wer Teufel … Wessen Fresse
gemein bedrohe mit des Bösen Blässe.
Sofort daher zertrümmert werden müsste.
Damit dies Böse sich nicht eitel brüste
und schaffe weitere Gewalt-Anlässe.
Indes was Wunder? Sind doch längst verschwunden
Erfahrung, Sprachmacht, Klarblick, Dinggefüge:
Es bluten stummer Seelen Geisteswunden,
nicht fähig zu erkennen Fakt und Lüge,
noch weniger die Täuschungssucht von Kunden …
Was die betröge, narrte, reizte, schlüge.
Geistesschwund und Seelenenge (537)29/Sonett
Wenn es nur darum ginge, zu ertragen,
dass Macht sich taktisch maßlos will empören,
nur darum, sich mit Lügen abzuplagen,
den Alltagsschund erfolgreich abzuwehren ...
Sich also gegen das, was ist, zu wagen
und nicht Erlebnisramsch sich aufzuzehren,
gelänge es mir noch, nicht gänzlich zu verzagen.
Es würden mich nicht allzu sehr beschweren
die Kernauswüchse dieser Wohlstandsblüte:
Orgiastische Verkümmerungen und
spaß-nihilistische Verzwergungs-Zwänge …
Ich hielte aus all das, macht es auch müde;
doch nicht konsumforcierten Geistes-Schwund
als Orgie Kitsch verfügter Seelenenge.
Der Preis geistiger Existenz/Sonett (538)30
Wenn Kaufen, Leisten und sich spaßreich fassen
die höchsten Güter sind in diesem Leben,
dann kann man nur noch resigniert vergeben,
weil sich die Menschen schuldlos so verprassen.
Sie sich verachten, manchmal sich auch hassen.
Ganz leere Seelen, die sich Trance erstreben.
Zu schwach, sich über sich hinaus zu heben,
konform sich müssen inszeniert verpassen.
Indes verdanke ich mich andern Schienen.
Sodass ich anders wollen muss und werten:
Darf Kunst, Verfeinerung und Einsicht dienen.
Was mir erlaubt, mich lügenfrei zu erden
in unsrem Daseinsfluch subtilster Minen,
die ich gewahre noch auf kleinsten Fährten.
Freispruch I (539)31
Vergleiche dazu Gedicht (37/2191)
Niemand kann was für sich.
Niemand ist Souverän seiner Existenz.
Niemand besteht sich selbst.
Niemand vermag sich zu übernehmen.
Niemand für sich einzustehen.
Niemand.
Und niemand
ertrüge diese Welt,
verfügte er
über die Einsichtsfähigkeit
und die seelische Kraft,
sie illusionslos, kalt
und faktengerecht
zu betrachten.
Versänke er doch
in absolute
Verzweiflung.
Naive Intellektuelle/Sonett (540)32
Wir alle brauchen letztlich Lebenslügen.
Das gilt auch für die Intellektuellen.
Die gern mit Utopien sich betrügen,
und so denn schwimmen auch auf Ethik-Wellen:
Gerechtigkeit und Gleichheit zu verfügen,
um so zu glätten alle Daseinsdellen.
Besonders die als Resultat von Kriegen
und sonstigen uns gut bekannten Höllen.
Das ist auch ehrenwert. Indes naiv.
Ein Sehnsuchtsziel von Tugendvisionären.
Die, idealgetrieben, ignorieren Fakten.
Und überhaupt des Daseins kalte Schweren.
Verkennen wertsiech inbrunstintensiv:
Der Mensch ist Bestie, muss Gewalt sich takten.
Musik (541)33
Das begrifflose Murmeln Gottes
im sich selbst organisierenden
und denkenden Stoff:
Musik.
Mathematisierter Pleonexie
gewaltigste Seelennarkose.
Entlastungsorgiastischer Güte
zarteste Mystik.
Feingeistig, gefühlsdumpf,
effektbarbarisch, todessüchtig.
Erlösungsekstatisch.
Der fremde Intellektuelle (I) (542)34
Als Grübler, wortreich und mit Idealen
und einem starken Glauben an das Gute,
entlarvt er Wirtschafts- und Tyrannen-Knute,
preist die Vernunft und alle rationalen
Entwürfe, die uns eine Zukunft malen,
da niemand mehr in einer Bretterbude
erleide Ungerechtigkeit und krude
Gewalt von Herrschern oder Asozialen.
Dass ich ihn nie begriff, will ich gestehen.
Zumal ich es für illusorisch halte,
dass viele Menschen selber sich so sehen.
Sich vielmehr zeigen dürften als recht kalte
Subjekte, die auf ihren Vorteil spähen.
Nicht selten ohne Ziel und ohne Halte.
Einfache Gegebenheiten (543)35
Die Leute wollen sich ein schönes Leben machen.
Ein schönes Leben, so wie sie es sehen.
Gebaut auf Sicherheit, Prestige, Gesundheit, Lachen;
vor allem eines ohne Daseins-Wehen.
Ich kann es ihnen freilich nicht verdenken.
Und sehe ihnen ihr Verhalten nach.
Man sollte wirklich keinen Augenblick verschenken
und nichts, was Lust macht, lassen liegen brach.
Man kann’s auch nicht, muss sich vollenden,
was Ich-Erhöhung angeht, Schicksal, Haben.
Und tut es noch durch Helfen und mit Spenden.
Muss man sich selbst doch auch aus andern schaben.
Wozu dann Geist noch? Wozu opponieren?
Wozu verschließen sich dem Allgemeinen?
Wozu zumal an Einsicht sich verlieren?
Wozu noch zerren an den Daseins-Leinen?
Ich sagte doch: Man kann sich nicht,
obwohl’s die meisten glauben, wählen.
Mich schlug der Zufall Geist zu, Einsicht und Gedicht …
Aus ihnen mir Gehalt und Traum zu schälen.
Geschichtspessimismus (I)/Sonett (544)36
Dass einen Endzweck habe die Geschichte,
wie manche Intellektuelle meinen,
einst ganz humane sei, erlöst von Weinen,
von Armut, Barbarei und Elendsdichte …
sich drehe hin dann einem neuen Lichte,
nicht metaphysischem und geistesreinen …
nein: intellektuellem im Vereinen
der einen Menschheit in der Würde Richte …
Das leugne ich. Ich halte es mit Hobbes
und mit Mandeville, zutiefst bezweifelnd, ob’s
denn möglich sei, dass Würde uns gerate.
Zeigt die Erfahrung doch nur Kreatur,
den amour-propre* und die Zwangstortur
der Selbstverfehlung einer Wahn-Monade.
*amour-propre franz.: Selbstsucht
Selbstgewinn/Für … (545)37
Dich habe ich zum Glück gefunden.
Und rücksichtslos mir gierstarr aufgesogen.
Zu einem Gott dein Leibding mir gebunden
von hautverzückten Traumweltwogen.
Mir auszufüllen diese Leeren,
die so bedrückend starr mein Sein ausmachen.
Mich radikal erotisch abzukehren
von biederem Büro-Verflachen.
Um abends mich an dich dann zu verlieren.
An Ich-Gewinn im Rausch.
Mir Inhalte zu delirieren:
Magie und Sinn als Körpertausch.
Die Klugheit der Massen/Sonett (546)38
Viel klüger als die jungen Utopisten
waren die Massen, Wirklichkeit verwoben.
Sie wussten ganz genau, dass Ideale loben
nicht reicht, um zu entgehen oftmals tristen
Gewaltumständen für Behelfsstatisten.
Die sie gewesen waren, kalt verschoben;
von der Partei etwa. Kurz: Denen oben.
Nun wollten konsumtiv sie auf sich rüsten.
Zumal doch Wohlstand ist das uns Gemäße.
Und nicht das geistig hehre Seelengroße.
Nicht die Idee. Und auch nicht diese These:
Dass wir Erwählte seien, Gottes-Lose.
Wir sind des dumpfen Stoffes Zufalls-Lese.
So Opfer analytischer Narkose.
Dreigetüm (547)39
Das Dreigetüm von Technik,
Wissenschaft und Kapital
schafft sich dich selbst
als eignes Arsenal,
formt dich aufs feinste
und subtilste sich,
auf dass du folgest,
unterwerfest dich.
Dem, was es dir
als höchstes Gut vorgaukelt:
Dein Selbst, das es dann
schundgerecht verschaukelt.
Diffuse Gedanken und Gefühle später Jugendjahre/Sonett (548)40
Für diese ideell ergriffenen Begriffsjongleure
war’s Proletariat doch nur historische Gestalt.
Die man benutzte, um als Revoluzzer sich zu fühlen.
Was einen doch erhöht, hebt über sich ganz weit hinaus.
So fühlt man nicht bedrückt die individuelle Schwere,
die man wie jeder ist, sich menschlich wissend als Gewalt,
Versagenspotential, auch weil es sind dieselben Mühlen,
die alle exponieren einem Dasein ohne Haus.
Ich habe sie ganz gern gehabt, die bürgerlichen Spinner.
Die Che Guevara als ihr übergroßes Vorbild ehrten.
In Ho Chi Minh erblickten dann den Großen Hauptgewinner.
Naive eben, die sich tugendmanisch selbst versehrten.
Absurd war dieser Sozialismus: Wirklichkeitsverdünner
für Idealbenommne, die sich nie um Fakten scherten.
Substanzloses Dasein I (549)41
Viel habe ich ja
nicht begriffen.
Dafür das Wichtigste
fast ganz:
Gerede,
Spaß,
Bedarf
verschliffen,
fehlt diesem Dasein
die Substanz,
fehlt Sinn
und Schicksalshaftigkeit.
Eudämonie und
Augenblick verschliffen,
ist’s Leerlauf
ohne Heiterkeit;
Vollzugskommando
zweiter Hand.
Neuronenschub,
medial gebannt.
Wohlstandstotalitarismus I/Sonett (550)42
Totalitär sei dieses Reich der Waren,
auf high tech und auf Formeln angewiesen,
und Mammonströme, die die Welt umfließen?
Auf Metropolen, wo Monadenscharen
sich ihren Kultverspaßungstraum bewahren
in digitalisierten Paradiesen?
Obwohl die Brüche sich erkennen ließen:
Personen deklassierende Gefahren.
Ich sage ja - man mag’s auch anders deuten -:
Da wächst der Hang von lustbezognen Kunden,
sich hinzugeben nur noch solchen Freuden,
die mit beitragen auch zu Psychen-Wunden:
Sich zeitgeisttypisch trudelnd zu vergeuden,
Enthemmungssäuseln zynisch eingebunden.
Für Mokr... (551)43
Was du, das willst du wissen,
mir bedeutest?
Ist dir das denn nicht
längst schon klar?
Kaum dass du doch
am Eingang läutest,
preist sich schon Gier
als einzig wahr,
drängt mich die Lust,
dich zu genießen,
selbstblind wie selig
mich dir auszugießen.
Wohlstandstotalitarismus II/Sonett (552)44
Nur Lust. Nicht Glück. Schon gar nicht irgend Freude
will diese Wohlstandstyrannei gewähren:
Kicks dauerfoppender Systemschimären,
auf dass Personen würden ihre Beute.
Sie runter ziehend in ein Hier und Heute,
das sie entlasten soll von Einsichtsschweren.
Ja überhaupt von sich. Verbracht Begehren.
Damit an jene man sich ganz vergeude.
Die Leute sollen sich begriffsentwöhnt,
orientierungslos beraunt ergehen.
Mit sich und allem, was sie lenkt, versöhnt.
Erleben als das höchste Gut ansehen,
das Tag für Tag die Große Fadheit schönt
als bergendes Erlösungs-Grundgeschehen.
Sinngemeinschaften (553)45
Ob Wert, Partei,
ob Glaube, Orden.
Das läuft
auf Barbarei hinaus:
Sich in Phantastik
zu verhorden.
Nur dafür freilich
gibt’s Applaus.
Wohlstandstotalitarismus III/Sonett (554)46
Nicht dass ich ethisieren wollte. Nein.
Belehren wollte. Wen denn über was?
Ich lobe vielmehr diesen Dauerspaß,
weil er zusammenhält dies öde Sein.
In dem sich jeder, obwohl ganz allein,
verschreiben darf, was immer: Kultlachgas,
Behelfs-Ekstatik, überhaupt Unmaß,
Pornographie, Empörung, Ethik-Schein.
Und doch sind viele derart unzufrieden,
dass sogar Stumpfsinn sie sich smart ergeben.
In ihm von Einsicht und sich selbst geschieden,
ein regelloses Dasein auszuleben.
Blasiert sich dann zu ziehen jene Nieten,
die sie in Indolenz und Ichsucht heben.
Entschuldigt (555)47
Wer keine Kraft hat,
sich zu tragen,
der sei mir dennoch
nicht gescholten.
Wer hielte aus denn
diese Zeitgeistlagen,
die Gaunerei, Geschwätz
und Show vergolden?
Die zumal Traumwelthörigkeit
besolden:
Realitätsverlust und Tugendhalden?
Wohlstandstotalitarismus IV/Sonett (556)48
Gelohnt hat sich mein Dasein eher selten.
Nur weltfern war’s mir leidlich zu ertragen.
Doch sollten mir zum Glück auch kaum was gelten
die Träume von Prestige und Überragen.
Nie hat mich Marktwelt substantiell getragen:
Sie bot nichts Geistiges, mich zu bezelten.
Auch wollte ich mich deshalb ihr versagen,
tief fühlend die ihr immanenten Kälten.
Doch andrerseits hab ich genau verstanden,
dass sie für andre Menschen alles biete.
Dass die, durch sie geprägt, sich selbst erst fanden
in einem Reich materieller Güte.
Das Selbstzweck ist für seine Ich-Trabanten.
Für mich indes totalitäre Niete.
Nichtigkeit (557)49
Wenn die Illusionen fallen
und der bloße Kern sich zeigt:
Nu-Phantasmen, die sich lallen
Seelenöden (marktverzweigt);
wenn man merkt, man ist Monade,
Kunde auf Erlebnistour,
und dann Bitterkeit (ganz fade)
sich verdrillt zu Schwermutsschnur,
man von Ekel wird zerfressen,
hellsichtarm als Lusteinheit,
mag man hilflos sie ermessen,
diese fade Nichtigkeit.
Wohlstandstotalitarismus V/Sonett (558)50
Was faktisch abläuft, habe ich verstanden:
Man soll sich einem Selbstkonsum verschreiben,
um teilzuhaben so an den konstanten
Verspaßungswellen als Erlösungstreiben.
Auf diese Weise kommen sich abhanden,
erpicht, sich dionysisch aufzureiben
lethargisierenden Erlebnis-Quanten,
verprechend Daseins-Sinn und Seelen-Bleiben.
Und wer verstünde besser das als ich?
Der ich doch selbst auch nach Entlastung jage:
Bedarf man doch des Abstandes von sich,
damit der einen durch ein Leben trage,
nichts weiter mehr als nur ein Traumwelt-Strich
in einer allprekären Spätzeit-Lage.
Zu spät (559)51
Es ist zu spät.
Grau längst die Psychen,
illusionslos zynisch;
von Widersinn gedrückt,
so müde hoffnungslos.
Krank auch die Körper,
diese Stoffgebilde,
auf Endlichkeit und Tod
doch ausgerichtet.
Verfall, der zwingt
in Trauertage.
Von ferne grinst uns
Agonie schon an …
Es ist zu spät,
so trostlos spät.
Wohlstandstotalitarismus VI/Sonett (560)52
Ich soll mich warenselig mir entfremden,
konsumnotorisch mich mir selbst verprassen;
bedenkenlos mich aufs System einlassen,
zu dienen pathologisch sich Enthemmten.
Soll folgen der narzisstisch aufgeschwemmten
Moral von geistig impotenten Klassen;
sei’s der, die sich erjagen volle Kassen,
sei’s der der linkisch korrumpiert Verklemmten.
Doch ich muss mich Entmündigung verweigern:
dem Zwang zur Selbstverwertung mich entziehen;
wie auch dem Druck, mich phrasenfromm zu steigern:
Schmu, Selbstverrat und Zeitgeistdruck gediehen;
ja, schlimmer noch: Moralgesänge-Geigern …
ich muss vor allem diese Ramschwelt fliehen.
Dein Körper/Für Chrisbe… (561)53
Zu vergleichen mit den Gedichten (55/2849) und (61/3187)/Geringfügige Variante (61/3162)
Ich habe nie zu dir gefunden.
Du selber bist mir fremd geblieben.
Gestehe aber unumwunden:
Dein Körper hat mich umgetrieben.
Dein Körper hat mich eingeschworen
auf Augenblicke, abgespalten
dem Alltag, den Vernunftdruck-Foren
und pseudorationalen Halten.
Mich seinen kreatürlichen Befehlen
entlastungslüstern zu verschreiben.
Mir so auch dies noch zu verhehlen:
Dass, Zeitabklatsch, wir durch Alleinsein treiben.
Untergang/Sonett (562)54
Wir schlittern längst in ausweglose Zwänge.
Und das ist faktisch nicht mehr aufzuhalten.
Zumal Verdrängen uns und Ängste spalten:
Das Selbst wird nach und nach zur Daten-Menge.
Auf Überragen ausgelegt und Ränge,
auf Kreatürlichkeit und Selbstwertfalten,
umschleichen wir ein Nest von leeren Halten
als lügenhaftes Idealgepränge.
Indes ich sollte, ratlos, wirklich schweigen,
mich nicht empören, gar mit Forderungen
mich an wen immer wenden, um zu zeigen,
dass Macht, Gewalt und Barbarei gedungen,
wir ganz natürlich zu Zerstörung neigen:
Kalkülberauschte Stoffverästelungen.
Gott IV (563)55/Vergleiche (21/1287)/Anmerkung
Auch wenn er gar nicht existierte
- wissen kann man das ja nicht -,
ich hielte dennoch ihm die Treue,
bewunderte ihn weiterhin,
sähe in ihm
den indirekten Sinngaranten.
Jenen Gott meine ich,
den ich aus Stillen und Tiefblau,
Winden und Schneegeriesel,
Katzenaugen und jenem
delirierten nunc stans*
prädestruktiver Frühen
unverlierbar in mich sog.
Seiner gewahr noch
in stofflicher Hinfälligkeit.
*nunc stans lat.: „stehendes Jetzt“ (soll heißen: Ewigkeit)
Die Gnade rechtzeitigen Sterbens/Sonett (564)56
Ich kann mich freilich nicht dagegen wehren,
dass mich, dies Ich aus Zeit und Angst und Gieren,
die Brüche später Auflösung berühren.
Zuweilen psychophysisch auch verheeren.
Und so mich über das, was kommt, belehren.
Nun ja ich weiß: Zu sein, heißt sich verlieren
und Endlichkeit in Nichts zu überführen.
Hieß immer: Kommandiert sich aufzuzehren.
Doch das ist Chance auch, werde ich doch meiden:
Die Formel-Anomie von Riesenstädten.
Die Kämpfe um Ressourcen: Wasser, Weiden …
Die Flüchtlingsströme weltweit, sich zu retten
ins nächste, dann ins übernächste Leiden.
Um sich dann doch in Staub und Blut zu betten.
Das Romantische (565)57
Ich weiß, ich bin so
trostlos zynisch.
Lass dem Romantischen
so keinen Raum.
Jedoch grad dies
ist längst schon klinisch
perfekt codierter
Umsatzschaum:
Ist längst schon
kalkulierter Traum.
Die Magdeburgisierung* der Innenwelten/Sonett (566)58 (Variante zu „Technologische Zielgerade“)
Nie war ich so verbittert und zerrissen,
dass ich nicht hätte können scharf sie sehen,
die Wirren, die sich in die Psychen mähen,
auf dass sich diese dann beglückt vermissen.
Ich glaube schon, dass ich berühre Wissen,
wenn ich sie sehe hilflos einsam stehen
vor dem Versagen dieser Gleichungswehen,
die einem toten Weltgeist sind beflissen.
In meiner Klause muss ich Dinge ahnen,
die ich aus dem Bewusstsein muss verdrängen:
Ich sehe Elends- und Vernichtungsbahnen
zu roh entfesselten Verzückungsfängen.
Und Wohlstandsfratzen, die sich eng verzahnen
vernichtungsreligiösen Abgesängen.
*Magdeburgisierung s. Fremdwörterverzeichnis
Parkplatz Nr. 2/Für homo sapiens bambergensis (567) 59
Zum alten Parkplatz hat’s mich hingetrieben.
Ich lief da grad vorbei.
Lang bin ich stehn geblieben.
Vorm Parkplatz Nr. 2.
Und hab dabei an dich gedacht.
An Rausch und Zärtlichkeiten.
An jener Nachmittage Bann und Macht:
Glücksstummes Ineinandergleiten.
Am Ende riss die Sehnsucht fort,
dir trauernd nachzuweinen.
Um an geträumtem Ort
uns Schemen noch mal zu vereinen.
Demokratie im späten Anthropozän/Sonett (568)60
Wie könnte sie denn Zukunft noch gestalten,
in Anbetracht all dieser Turbulenzen
durch Klimawandel und Ressourcengrenzen?
Und 9 Milliarden Menschen, tief gespalten
vor dann global zerbrechenden Gehalten?
Wohl überhaupt nicht. Eher werden glänzen
Verzweiflungsbarbareien aus den Tänzen
des Inbrunstirrsinns magischer Gewalten.
Raunt da ein nihilistischer Prophet
apokalyptische Verworrenheiten?
Verächter dessen, was für Recht und Würde steht?
Den’s freute, würden wir Vernunft entgleiten?
So redet der, der dies Diktat versteht:
Dass Barbarei uns wird, wie immer, leiten.
Dem Wind geflüstert (569)61
Wind, du Urfreund,
tränke
meiner Einsamkeiten Trost.
Ihren Daseinsekel lenke
dorthin,
wo man lost
andere als Gleichungs-Nieten,
andere Adiaphora!
Zauberkrank
Gewalt beschieden.
Großen Leeren nah.
Miese Gesellschaft?/Sonett (570)62
Zu beachten ist der thematische Zusammenhang der Gedichte (570), (571), (572), (573) und (574)
Verwahrlosungsfrenetisch sich zerstören,
das scheinen immer mehr sich anzumaßen
in diesem Spaßrund von Medial-Ekstasen,
das smart diktiert, sich nur an sich zu kehren.
Bedeuten soll das auch, sich nicht zu scheren
um Recht und Staat und kulturelle Basen;
gestützt auf Ichsucht und Empörungsphrasen.
Man will sich, scheint’s, verzückungskrass verheeren.
Doch das ist nur die halbe Analyse:
Bedrängt und hilflos treiben die Subjekte
durch eine wachsende Gesellschaftskrise.
Den meisten gar nicht greifbar, weil verdeckte,
verstörend unterschwellig unpräzise
Zerschlagung dessen, was auf Sinn abzweckte.
Traum und Rausch/Sonett/Für Friedrich Nietzsche/
Für Verehrte (571)63
Dass Traum und Rausch es sei, wie Nietzsche meinte,
das gilt nicht mehr; ist es doch inszeniert,
vor allem tugendschleimerisch blasiert,
dies Dasein heute … dieses hin geweinte
schroff faktenresistenter Kultgemeinde,
die Wirklichkeitsverluste sich seziert:
Ideologenschar, die sich geriert,
als sei sie von der Vorsehung vereinte.
Auch das ein Grund, warum ich Abstand halte.
Denn unterschwellig brodeln Aggressionen:
Gesinnungsarrogante, wesenskalte
in längst gewissenlosen Seelenzonen:
Wo mehr und mehr sich türmt die Zeitgeisthalde:
Vom Weltgeist auserwählt, sich zu betonen.
Erlebnis-Religion und Staatsversagens-Arroganz (572)64
Kann letztlich immer nur dasselbe sagen:
Dies, dass in seelenlos-abstrakter Welt,
bedeuten müssen grad die Freizeit-Lagen,
dass man dem Zeitgeist-Wahn von Glück verfällt.
Der freilich eins nur bieten kann: das konsumtive.
Das intendierte Glück von ein paar Tagen.
Das freilich eher ist Initiative,
aus Alltagsstress sich raus zu tragen.
Um zu vergessen Hektik, Zwang und Obsessionen,
dies, dass man kaum noch zu sich selber finden kann.
Auch weil belogen wird und ausgesogen
durch einen klerikalen Würde-Bann.
Kurzum: Man braucht Erlebnis-Tingeltangel,
gar Stumpfsinn, letztlich dieses zu vergessen:
Dass man ein Land bewohnt, längst an der Angel
von Staatsversagen und Moral-Exzessen.
Hilflos zerfallendes Geltungsreich (573)65/Sonett/
Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten
Primär will ich begreifen, nicht erleben.
Weil sich erleben untertänig macht
dem technisch-wissenschaftlich allfundierten
kapitalistisch surrealen Reich.
Ein Quantenkosmos, immer schon ergeben
Verkommen, Künstlichkeit, Banal-Andacht,
die nun zur Einheit des Bewusstseins führten:
fataler Flachheit - kalt, narzisstisch, weich.
Und doch ist keine Klasse anzuklagen,
die wissentlich heraufbeschworen hätte
dies schöpferisch entgleisende Versagen:
Nichts war geplant, schon gar nicht diese Kette
von unbeherrschbar aussichtslosen Lagen,
beschwörend alptraumhafte Schädelstätte.
Unvereinbar mit mancher Gehabe (574)66
Wenn du nicht witzig bist und Nettigkeiten streust
vor diese hochsensiblen Egoisten,
nicht mimst als Gleicher dich doch unter Gleichen,
du ihre Mittelmäßigkeit und Hybris scheust,
weil du durchschaust das Inszenierte,
dass sie sich selbst, weil seelisch tot, ausweichen,
erfasst das Aufgesetzte und Verlogene,
das Kalkulierte und Verzogene ...
du ihre Tugendphrasen auch nicht wiederkäust,
gar ihnen sagst, sie seien Marktstatisten,
dann offen zeigst, dass du sie tief verachtest,
weil fad sie seien und gewissenlos blasiert,
noch arroganter als du eh schon dachtest,
dann wirst du aggressiv gemieden,
störst du doch Stumpfsinn und Narzissten-Schwall,
entblößt die Fakten-Flüchtigkeit von Nieten.
Entgrenzungsgier und Innenweltzerfall.
Schöner Selbstbetrug/Für homo sapiens bambergensis (575)67
Mein Gott ist dieser Selbstbetrug so schön
an diesem warmen Sommerfreitagnachmittag.
Ich lasse alles liegen, lasse alles stehen.
Auch wenn es sich als unaufschiebbar zeigen mag …
Ich lauf zu dir, zu küssen deine Häute.
Mich treiben Lüste an subtilster Art und Weise:
Erotisch-mystische, existenziell-soziale,
auch metaphysisch indirekte …
Die Sehnsucht etwa nach Entrinnen
aus diesem längst als seicht durchschauten Heute;
die Ahnung dann auch, was es faktisch heiße
in einer Welt zu leben ohne Sinngeleise,
in einer Welt, die zwingt,
dass man als Knecht sich deute …
Mich so in dir zurück mir zu gewinnen:
In Körpersäften, Trance und Schalen
von Schweiß, Geruch, Orgasmus, Tier.
Für ein paar Stunden jene Seichtheit mir zu übermalen
und vorzugaukeln, ich sei frei von ihr.
Zurückweisung (576) (ZINSJ 77)68
Ich bin nicht interessiert an Ihnen.
Zumal mir selber doch genug.
Ich will nicht Ihren Ich-Beständen dienen.
Zu misstrauisch. Zu kühl. Und auch zu klug.
Was könnten Sie mir geben denn an Glücken?
Die ließen mich gewiss doch ziemlich kalt.
Ich will mich nicht mit Du bedrücken.
Weil’s nicht mehr taugt als Halt.
Die Liebe? Nur ein Korb von Illusionen.
Event, Romantik. Selbstreklamedreist.
Sentimental mag man ihr fronen,
damit da keine Einsicht reißt:
Die in die Tiefe dieser Existenz.
Denn die ist ohne Wert und Sinn,
ist Phrasen-, Lust-, Konsum-Potenz.
Entlastung ohne Selbst-Gewinn.
Ontologischer Rechenschaftsbericht (577)69
Ich glaube nicht an eine Vorsehung,
an das, was Schicksal und Verhängnis heißt.
Nicht an Vorherbestimmung wodurch immer.
Den freien Willen nicht und Geltungswahn -
als seien Werte objektiv.
Ich glaube auch nicht an Bedeutungsnetze,
nicht dass Warum, Woher, Wohin, Wofür
hinaus gelängen über Empirie.
Person und Selbst, das sind Bedarfsfiktionen,
um sich ein Individuum zu sein,
Vollzugseinheit in diesem Spätzeitchaos.
Es zu gestalten zu Zusammenhängen,
die, rein fiktiv, entlasten können.
Ich, das meint Stoff, der sich verstolpert hat,
Komplexität, die sich aus Zufall schob,
ein Körperding, das fühlt, ergreift und denkt.
Verschnitt aus Herkunft, Zeitgeist und Genom,
gefiltert von Erfahrung und Kultur
zu kommandiertem Selbstentlastungsfronen,
um jeden Preis sich zu erhalten,
sich durchzuschlagen und sich zu errauben,
was dienlich sein mag, sich voranzutreiben …
Geformt von chronisch phantasiertem Wir,
sich selber nie gegeben, indes ausgesetzt.
So glaube ich denn nicht an Sinn und Zweck,
bin nur Monade unter anderen,
Gehirnknecht, Triebkomplott, Sozialhelot*,
der sich behaupten muss und das auch täglich macht.
Es so zu sehen: Menschtum ohne Größe,
sogar zurückzuführen es
auf seelenlos determinierten Stoff,
das schmeichelt niemand, das kann nicht gefallen,
da alles es zerlöst zu Illusionen.
So Ängste weckt und Hass und Aggressionen.
Kann niemand doch ein Dasein tragen,
das metaphysisch-ethisch-ideell
ganz ohne Klammern, Halt und Trostmacht ist …
Gesellschaftlicher Zwang nur, Drang, Verfall.
Adiaphora und Indolenz anheimgegeben.
Indes grandios doch auch und ehrfurchtträchtig,
ein Geisteswunder, nur in uns vollendet,
soweit wir’s wissen, wissen können.
Vergottungssehnsucht schafft es allemal:
Gebundner Logos, dessen Stille schuf
im Wort sich einen Pfad zu sich,
in Hominidenhirnen selbst sich zu begreifen,
sei’s auch für einen Zeitspalt nur,
als absoluten Grund, der auch sich setzt
in einer Schönheit, lechzend tief nach Immersein.
Auf dass sie alterslos und unzerstörbar scheine.
*Helot: Spartanischer Staatssklave
Psychoethischer* Zerfall (578)70
Orientierungslosigkeit und Leere
als grenzenlos gefühlte Freiheitsweiten,
besetzen Psychen, die sich selbst entgleiten,
da ihnen Halt fehlt, Mitte … jene Schwere,
die greifen ließe diese Spaß-Galeere*
der propagierten Unverbindlichkeiten,
depersonalisierend Kunden-Heiden*,
auf dass sie ihr geliehnes Selbst aufzehre.
Der Einzelne ist nicht mehr in der Lage,
zu unterscheiden zwischen Traum und Wirklichkeit*;
sich selbst nur hingegeben ohne Frage
als ein systemgemachter Ohnmachtsscheit,
den, Selbstsucht-Trance, nur noch dies Chaos trage
durch diese inhuman-perfide* Zeit.
*psychoethisch: seelisch-moralisch
*Spaß-Galeere: In der Tat: Die Leute suchen, haben und gouttieren noch "fun", sind aber zu Lebensfreude unfähig geworden; man beobachte Menschen an belebten Plätzen der Innenstädte: viele verhalten sich latent aggressiv, sind unzufrieden, reizbedürftig, oft stumpfsinnig oder gar verlassenheitsgezeichnet in sich selbst versunken
*Der sich als Körper inszenierende und zum Leibding machende Zeitgenosse ist keine Person mehr im Sinne Kants: Kein Zweck-an-sich, kein Nicht-Ding, sondern auch metaphysisch leerer Kunden-Heide = hier: sich selbst konsumierende (für profane Zwecke: Lust, Geld, Macht, Prestige) ausbeutende Sache, soll auch heißen: geistig ungeborgen = sinnfremd
*Das System von Kapitalismus, Naturwissenschaften und Technik reduziert die Menschen zu "Wohlstandsgläubigen", die den Sinn ihres Lebens im Erwerb und in der Steigerung von Wohlstand sehen, die sich zumal "Erlösung" versprechen durch am besten ununterbrochene Erlebnis-Zufuhr in der Freizeit (immer häufiger intensiviert durch Drogenkonsum); soll heißen: das System verführt die Menschen dazu, so etwas wie Erfüllung dort zu suchen, wo sie bestenfalls als Abfolge von Räuschen (Ekstasen) zu finden ist: Im Verbrauch ihrer selbst
*inhuman-perfide: Die zumal einer Kindheit beraubten, immer weniger gebildeten, digital ausgebeuteten und psychoethsich verarmten, also: gelernten Selbstsucht-Virtuosen, die eigentlich immer öfter nichts weiter sind als "Systemabklatsch-Monaden" m ü s s e n unmenschlicher und eben auch perfider = ichsüchtiger/treuloser/tückischer/unzuverlässiger werden: Ihr "Sozialorgan" musste unter den angedeuteten Voraussetzungen notwendig krüppelhaft bleiben
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