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Diese Seite enthält 62 Gedichte (36 Prosa-, Reim-Gedichte und 26 Sonette)
Ausweglosigkeit (157)1
Was kam mir hier nicht alles schon zu Ohren!
In diesem Hirnreich gaunerhafter Tricksereien,
das, hilflos Dekadenz vergoren,
schafft Hochkorrupte und Lakaien.
Man unterliegt hier einem objektiven Zwang,
sich seiner zu entfremden;
sich anzudienen permissiv Enthemmten:
Gewinnern ohne Selbstbelang.
Gesteuert von subtilen Despotien
verzückungspraller Daseinsdrogen.
Zu höchsten Gütern protzend hingebogen,
dass noch die rohsten Seelen glühen.
Während der Wartezeit in einer Hausarztpraxis (1)
(158)2
Es fällt mir manchmal schwer zu atmen;
es quälen Juckreiz mich und Rheumaschmerzen,
die mich dann hemmen auch beim Laufen.
Und auch das Herz macht Schwierigkeiten.
Freilich kann ich kaum was machen;
ständig heimgesucht, geschwächt,
physisch drastisch so herabgemindert.
Nun: Ich bin Verfall verfügt;
freilich schon das ganze Leben,
nur jetzt spürbar Tag für Tag.
Auch weil sich das Ende naht.
Also alles auf mich nehmen,
Antriebslosigkeit bekämpfen,
jeden Daseinsekel meiden.
So seh ich die ganze Sache -
kann man völlig anders sehen.
Jedenfalls: Ich lenk mich ab,
denk vor allem drüber nach,
wo ich wie denn nunmehr lebe:
In mir ziemlich fremder Welt,
die ich zu begreifen suche,
in Gedichten mich ihr nähernd.
Viel ist dazu nicht zu sagen,
außer vielleicht Folgendes:
Mir erscheint sie ziemlich fad:
Trimmt die Menschen auf Konsum,
bietet nur noch dessen Glück:
Immergleich sich zu erleben,
abzulenken von sich selbst.
Muss das freilich, geht nicht anders,
weil der Wohlstand drauf beruht:
Der kann nur erhalten werden,
wenn sich Menschen selbst aufgeben,
dienen Markt und nicht sich selbst.
Während der Wartezeit in einer Hausarztpraxis/
Beobachtungen von Straßengetümmel von einem Balkon herab (2)/Sonett (159)3
In sich versunkne, allgestresste Leute,
fast hektisch aggressiv und alltagsfad;
halt eben indirekte Wohlstandsbeute
nach allgemein verdrillter Psychen-Naht:
Man giert nach Spaß, kennt aber keine Freude;
ist lustlos passiv ohne Kraft zur Tat:
Der Anstrengung, dass man sich selber deute
als wirtschaftlich erwünschtes Resultat.
Indes ist’s schwer, sich subjektiv zu greifen:
Als radikal verdinglichte Monade,
gezwungen, hilflos durch sich selbst zu schweifen.
Orientierungslos in einem Grade,
in dem sich Waren, Trieb und Selbst verschleifen,
sich zu vereinen nach des Marktes Gnade.
Fundamentale Täuschung (160)4
Monologe. Nichts als Monologe.
Ein ganzes Leben lang nur Wort-Gefangenschaft.
In Deutungs-, Stimmungs-, Wir-Gewoge.
In die man sich als Leibgefüge rafft.
Tatsächlich spricht man nie mit sich.
Berührt sich allenfalls im Bann der Einsamkeit.
Man kämpft sich durch als fremd gesetztes Ich:
Gesellschaftlicher Scheit.
Und trifft man dann sich doch einmal,
erkennt man all die tiefen Widersprüche,
die man, sich festgelegte Qual,
erkennen muss als Wesensbrüche.
Realitätskonformer Gedanke (161)5
Ach diese gähnend-dumpfe Langeweile.
Ich habe wirklich nichts zu tun.
Vielleicht ja könnte eine Zeile
mir jene nehmen … Nun
ich will es gerne mal probieren.
Es mag ja sein, mir fällt was ein.
Es muss ja nicht gleich faszinieren,
schon gar nicht eine Weisheit sein.
Nur ein Gedanke eben, der korrekt
die Lagen wiedergibt,
sie also nicht versteckt,
der also nicht an Lügen nippt.
So etwa der, der dies besagt:
Längst wehrst du dieser Zeitgeisttyrannei,
die an der Psychen Grundgefügen nagt …
Emotional geschöpftes Traumwelteinerlei,
das ehrgeizstur Gedankenarme plagt,
von sich ergriffen, da von Einsicht frei.
Man*-Magie/Sonett (162)6
(Das Man: s. M. Heidegger, Sein und Zeit 1927, §§27, 38)
Stets ist man in sich selbst zurückgebogen,
erfasst so kaum noch das, was objektiv
sich abspielt als verschlungenes Geschehen.
So dass man immer nur vermuten kann:
Was ist da Einsicht, was Entlastungsdrogen,
die man sich aussog aus dem Kollektiv
der Mutmaßungen und der Wertewehen,
aus deren Deutung doch nie Inhalt rann.
Indes mit einer Klarheit ohnegleichen
begreife ich die Lage immer dann,
wenn ich mir deute meine eignen Zeichen:
Pleonexie verfügt zu sein im Bann
von Kerndiktaten, die mich selbst durchstreichen.
Mich meiner selbst entfremden: Wahn des Man.
Man* (das): Das unpersönliche gesellschaftliche Kollektiv-Subjekt der durchschnittlichen Meinungen, Haltungen, Präferenzen, Wertungen, Stellungnahmen, Reaktionen usw. usw.
Unvereinbare Perspektiven/Sonett (163)7
Geht’s Ihnen auch so, dass Sie manchmal glauben,
das Beste wär’s gewesen, nicht geboren,
nicht hier zu sein, wo man sich selbst ausrauben,
verraten muss, an andere verloren?
Wo man aus Deutungswirren Wert muss klauben,
auf Sieg und Trieb und Status eingeschworen,
der Bürde Mitmensch hilflos muss erlauben,
zu unterstützen machtverzückte Toren?
Nicht Ihnen! Von solch Anwandlungen frei.
Auf Geld und Anerkennung doch fixiert,
erblicken ständig Sie Ihr Konterfei,
das, austauschbar, aus allen andern stiert.
Sie ahnen gar nichts von der Plackerei,
an die man, geistgetrieben, sich verliert.
Produkt-Underdog (164)8
Reklame-Kommando:
Taste the bang of happiness!
Und Erregungszufuhr
wird dich erlösen.
Produktontologisch.
Für immer.
Fundamentaler Perspektivenwechsel:
Vom Geistträger zum austauschbaren
Erlebnissammler (165)9
Diese geifernd-hechelnde Überempfindlichkeit
gegenüber Worten, Begriffen, Namen,
Wendungen, ethischen Universalformeln
(wie etwa Würde),
historischen Bezügen, Assoziationen usw.,
bedeutet letztlich nichts anderes,
als dass eine kollektiv akzeptierte,
als selbstverständlich angesehene
und nicht als diskussionsbedürftig
empfundene Wirklichkeit
überhaupt nicht mehr gegeben ist.
Indes war eine solche Wirklichkeit
noch nie gegeben.
Nur die Werte, Geltungen und Perspektiven,
die sie in den Köpfen der Menschen
als Halt- und Sinn-Gefüge,
als nicht weiter hinterfragbare
unreflektiert auswies.
Der entscheidende Unterschied zu heute
ist freilich der,
dass die systembedingte
Absolutsetzung der Diesseitigkeit
alle indirekten, traditionell: metaphysischen
Innenwelt-Stabilisatoren
- ökonomisch,
naturwissenschaftlich-technisch
pseudoaufgeklärt,
um selbstbestimmungsbelämmerte Körper
im Namen des Fortschritts
und der Wohlstandssteigerung
zu sich selbst kalkulierenden
Artefakten zu verdinglichen -
definitiv weggeschlagen hat,
sodass Personen zu Subjekten
und diese sich selbst zu Mitteln wurden.
Eine Existenz zu bewältigen,
die sie weder durchschauen
noch selbst in der Hand haben:
Gottes Ebenbild, der Geistträger,
der über Platons Höhle hinaussehnende,
der an der Vernunft teilhabende,
seiner selbst mächtige,
mit einem freien Willen begabte,
sich selbst erkennen sollende,
tragisch vor sich selbst
hingestellte Mensch ist fort.
Und wird nie wieder kommen.
Sind wir doch völlig außerstande,
uns selbst Halt und Sinn zu sein.
Unmittelbar uns selbst
- neuronalem Determinismus,
Selbstverheiligungs-
und Selbstvergottungs-Wahn,
Molochisierungs-Hilflosigkeit,
versehentlicher Substanz-Zerstörung,
kurzum: der rücksichtslosen Drangsal
evolutionär verfügter Auto-Objektivierung
- brachprall hingesudelt, brechen wir alle
inneren Wege über uns selbst hinaus ab,
schütten sie zu, trampeln sie,
hybrisverkrebste Zielverwaiste, tot.
Notwendigerweise.
Allein wir konnten es nicht sehen;
vermochten’s wirklich nicht:
Dass wir als rein diesseitsergriffene
Erlebnissammler und Gramlustoptimierer
radikal mittellos würden:
Heteronome Nihilismus-Produzenten.
Verluderungs-Anome, irgendwann erpicht,
sich selbst zum Trost ihr Grab zu schaufeln.
Einsamkeit und Nichts/Sonett (166)10
Da Daseinsgier von schuldlos Infantilen
nur mit Gewalt man könnte niederhalten
(dient sie doch auch, den Fakt zu überspielen,
dass völlig sinnlos ist dies Weltgestalten:
Dem Dasein bietet nur Erlebnismühlen,
die immer nur das Gleiche doch entfalten
und es als Neues in die Seelen spülen),
muss man sich dieses Kundenrauschs enthalten
und jener Emotionsgefolge meiden,
das doch die Kraft nicht hat, sich abzusetzen,
um sich in Einsichtseinsamkeit zu weiten,
die es in Angst und Depressionen hetzen
und oft in Selbstmordphantasien leiten …
es psychisch würde abgrundtief verletzen.
Erlebnishedonistische Pan-Tyrannei (167)11
An was denn könnte man naiv noch glauben;
sich auch vor diesem Gleichungs-Nihilismus zu bewahren,
der einen seines Selbstwerts muss zuletzt berauben,
verortend einen doch im Atomaren?
An Gott, Vernunft, das Gute, Ideale?
Doch hieße das nicht, selbst sich zu betrügen?
Diktiert doch allen längst das analytisch Schale
als Stumpfsinnfuchtel auf Erlösungszügen.
Man ist nun mal ein Spielball rationaler Pleiten,
die einen traumsanft von sich selbst abtrennen,
blasiert in Zeitgeistmythen leiten,
sich als Person zu überrennen.
Konsequent redlich (168)12
Ich bleib mir niemals treu,
wenn mich die Einsicht zwingt,
von irgendeiner Illusion zu lassen.
Zumal ich bin Materie-Spreu,
die sich als solches nie gelingt,
weil nicht mal selber sich kann fassen,
und so notwendig Leeren-Zwang versinkt .
Es sei denn, fähig ist,
sich jenem absoluten Geist,
sich jenem Gegen-Sein
vollendet zu verprassen,
in seine Trance-Gefilde
gehend ein …
sich selbst dann los
und diesen Phrasen-Hain.
Seelisch tot (169)13
Steriles Dasein. Stumpfsinnprall geflutet.
Ein Schwall von Oberflächlichkeiten.
Medial gefiltert zugemutet
gelenkten Spaßeinheiten.
Die, menschlich arm, sich treiben lassen
durch einen Strom berückender Fragmente
von Reiz- und Waren-Klassen
in präpariertem Traumgelände.
Zu längst globalen Öden
im Kern der Massenparadiese.
Beschallt von Wohlstands- und Erlösungs-Flöten,
mir tönend rauschpräzise:
Hier wirst du nie mehr machen auch nur einen Stich.
Zumal doch unfrei hin und her geschoben.
Ein in sich selbst gesperrtes Ich,
sich seelisch tot enthoben.
Immerhin (170)14
Ein wenig tristesse*,
ein wenig regret*,
Sentimentalität
und folgenlose
Melancholie …
Aber der Abend
ist still und einsam,
bar vor allem
jener morosen* Phantasielosigkeit
verbrauchertypischer Seelenschwere;
bar auch
jenes artifiziellen*
Lachgas-Optimismus,
den ein untergehender
Konsumkapitalismus
medial und kommunikationstechnologisch
frenetisierten* Monadenheeren
als phänomenalen Betrug
in die Brachherzen schminkt.
*tristesse franz.: Traurigkeit
*regret franz.: Bedauern
*morose franz.: mürrisch
*artifiziell/artificiel franz.: künstlich
*frenetisieren franz. (la frénésie = die Raserei): rasend, tobend machen
Wer weiß, wer kann’s ergründen? (171)15
Es ist Bedürfnis und Vollzug.
Mehr ist es nicht.
Und tröstlicher Betrug:
Magie, Geschwätz, Gericht.
Sich Zwangsabläufen zu verdingen
verhirnter Abstraktionen.
Entseelung und Verschlingen.
Kalkül zu fronen.
Soziale Einheit aller morgen
durch algorithmische Prägnanz?
Moral gefangen sich zu borgen
ein Selbst parteigenehmen Banns?
Die Art kann untergehen.
Weil sie muss? -
Doch Kerngeschehen
Stoffausfluss.
Existentielle Rechnungslegung (172)16
Ich habe all den Dreck begriffen,
in dem, entlastungsscharf, wir suhlen.
Wertlosen Selbstwert kiffen.
Um Surrogate buhlen.
Der Illusion ist: Zeitgeist-Groomen
sich Nepp verfügter Artgenossen,
die sich Person-Sein zoomen
in Exo-Selbst-Karossen.
An mir bleibt’s wieder einmal hängen,
die Fakten aufzulisten.
Hier sind sie: Leere Mengen,
narzisstisch-ichschwach sich als As zu brüsten.
Gedicht über die Daseinsfakten (173)17
Völlig unbehaust bin ich geblieben.
Metaphysisch wie weltanschaulich.
Nie habe ich an irgendein Ideal geglaubt.
Sei es ein ethisches, sei es ein politisches
oder kulturelles.
Denn selbst meine Verehrung des Geistigen
sehe ich als privatistische Schimäre,
folgenlos, zeitfremd, bedenklich gar
angesichts der vollendeten Diktatur
von Kapitalismus, Technik
und Naturwissenschaften.
Für mich ist der Mensch radikal unfrei,
selbstsüchtig und lustgetrieben.
Er kann freilich nicht anders,
unfähig, über sich selbst zu verfügen.
Angewiesen so auf Verdrängungskraft,
Leerformeln und Entlastungsbelämmerungen.
Die entscheidende Gabe (174)18
Indes muss immer deutlich bleiben:
Dass letztlich nichts mich beugte.
Sich mir nicht eine Selbstverkennung zeugte,
mich Überschätzung aufzureiben.
Und das schuf eine Selbstwertmacht,
die alle Illusionen widerlegte.
Von Augenmaß gelenkt und faktensacht
mir jede Hybris aus der Seele fegte.
Standardisierte Gegenwarts-Individualität (175)19
Phlegmatisch, cool, orientierungslos:
Ein Sekundärsubjekt lancierter Psychen-Schwunde.
Begleiterscheinung eines Niedergangs,
absolutistisch lachgaskulturell.
Es inszeniert sich wertentbunden als grandios,
vollzugsprekäre asoziale Lunte
und dritter Ich-Aufguss medialen Zwangs.
Der Wohlstandsbarbarei verlässlich Hechel-Quell.
Basal ein Opfer, aller Mittel bloß,
sich zu bewahren auch nur eine Stunde
vor den Verlockungsfesseln dieses Dauerdrangs
zu allpräsentem Innenweltbordell.
Verbindlich wabert Einsamkeitsberücken,
bewusstseinsschläferndes; nur Triebdruck immanent.
Frenetisch ortend alle Lücken,
in denen sich der Kunde dann verkennt.
Erlösungsläufig gramquereklatant,
erreicht er noch der Spätzeit herrischen Akut:
Sinn-Perfidien ohne Band,
ergeben impotenter Wut.
*
Gepresst in diese Gaukelwirre,
hat mich ja selber dieses Los getroffen:
Dass ich durch Surreales irre,
versuche mich an Geist und Stoffen.
Um toter Seelen Ramsch zu stufen:
Ihn in Gedichte mir zu kleiden:
So Ordnungsmaß hervorzurufen:
Mir Selbststurz zu vermeiden.
Ohnmacht (Sonett) (176)20
Der Dinge Kerne wesenhaft zu fühlen:
Als dauerschwankend und uns streng entzogen,
macht, dass wir, auf uns selbst zurückgebogen,
notwendig müssen auf das Unsre zielen …
Und so das Ganze, was uns schützt, verspielen.
Und es erklärt, warum wir, Trance gewogen,
uns, gramschier, trösten mit Bedeutungsdrogen,
uns also Traum, Idee und Wert einwühlen.
Doch kann uns derlei Ungreifbares tragen?
Wohl kaum. Doch das, das gilt es zu verschweigen.
Schon um nicht überhaupt doch zu verzagen.
Was nämlich hieße, sich Verzweiflung neigen.
Wir müssen also schönen unsre Lagen:
Bis ihre Ausweglosigkeit sie zeigen.
Einsamkeit (3/177)
Mein ganzes Leben lang war täglich sie präsent.
Und das von Kindesbeinen an, von vornherein.
Sie hat mich tief geprägt, so mit zu dem gemacht,
was ich als dieser Sonderling geworden bin:
Ein in sich selbst Verschlossener, der gut sich kennt,
der kaum sich lassen kann auf andre Menschen ein,
für den die Welt von heute kommt nicht in Betracht,
weil er durchschaute sie als Destruktions-Gewinn.
Nicht, dass ich nicht verstünde, dass sie so sein muss.
Im Gegenteil, ich kann das sehr gut nachvollziehen.
Ergab im Abseits sich doch grad schon früh der Schluss,
dass wir uns sollten um sozialen Trug bemühen,
zu meiden Fakten, Einsicht … jede Art Verdruss,
weil so dann dem, was ist, fraglos naiv gediehen.
Genau so ist es (178)22
Eins steht fest,
ist unumstößlich:
Dass die Freiheit
als totale,
ist subtile Sklaverei:
Die in Selbstverluste presst,
hilflos macht
zum Knecht an sich:
Opfer leerer Ideale.
Kulturelle Niedergänge: Ohne Halte, Maß und Mitte/Sonett (179)23
Nicht dass mit Absicht ich mich gern verlöre
in Kernbesinnung, um herauszufinden,
was dieses Dasein heutzutage sei.
Nein umgekehrt. Da treiben Zweifel mich.
Längst nämlich höre ich zu viele Chöre,
die ihre Sicht begriffsdiffus begründen
als faktenfremdes Traumwelteinerlei.
Ich selber spüre den Zerfall des Ich.
Das gar nicht mehr in festen Werten ruht,
genau besehn, auf Reize reagiert,
Effekte, Sensationen, Stimmungswogen.
Das geistig tot ist. Nur Empörungsglut.
Und gar nicht merkt, dass es sich selbst negiert.
Entmündigungsservil Affekt verbogen.
Zweck-Pfad I/Sonett/Für Friedrich Nietzsche (180)24
Wenn ich es kühl und objektiv abwäge,
in Rechnung stelle auch die Niederlagen,
mitnichten schöne Scheitern und Versagen,
mein Sein mir also ohne Trug zerlege,
darf ich erkennen: Alle meine Wege,
die ich einst einschlug ohne Hinterfragen
- sie einfach ging, um mich auch selbst zu wagen -
warn richtig. Trotz so mancher Nackenschläge.
Ich habe meine Herkunft überwunden.
Und alle ideellen Illusionen.
Begriffen, dass an Lotterie gebunden,
Pleonexie wir sind - um der zu fronen,
dass Traum und Rausch* entlasten uns als Kunden.
Mit Nihilismus uns dann zu belohnen.
*Es war Friedrich Nietzsche (deutscher Philosoph, 1844 - 1900) der meinte, dass das menschliche Dasein Traum und Rausch sei
Zweck-Pfad II/Sonett (181)25
Was drängte da, mich selbst zu überrennen,
mich diesem Traum von Geist zu überlassen?
Obwohl ich stamme aus dem Bauch der Massen,
die, resigniert, oft nicht mal darauf brennen,
von Blaumann und Fabrik-Los sich zu trennen.
Sich eher auf Entlastungstrug einlassen,
verdammt, sich als soziale Scham zu fassen -
ein Los, das man nicht zu genau will kennen.
Ich weiß es nicht, nur dass es eine Gnade,
ein Schicksalswink war anonymer Mächte:
Dass ich mich rollen durfte von dem Rade
der Niedrigkeiten und der Truggeflechte …
Was mich in Hellsicht riss von solchem Grade,
dass leicht sie trägt noch leere Selbst-Gefechte.
Die Sakralisierung ichsüchtigen Mittelmaßes/Sonett (182)26
Mich nur nach Marktverführung auszuleben,
das wäre doch ein Selbstverlust der Weise,
dass mich bestimmten Urlaub, Spaß und Preise.
Dann würden die mir ihren Takt vorgeben.
Wie schon Reklame und mediale Gräben.
Kurzum: Die Ichsucht spurte mir die Gleise,
diktierte mir, was gutes Leben heiße:
Den Sog der Gängigkeiten anzustreben.
Ich brauche geistige Verfeinerungen,
brauch Einsicht, Selbstdistanz und radikale
Bestandsaufnahmen dieser Niederungen,
die ich entlarvte längst als panbanale
Verheiligungsphantasmen, ausgewrungen
den Tugendfloskeln leerer Würdeschale.
Konsumkapitalistische Dialektik (183)27
Jeder darf,
was er will,
damit er tut,
was er soll.
Verwahrlosungszwänge/Sonett (184)28
Ich vegetiere in sterilen Zeiten
dahin durch Alltagstrivialitäten
nach Leerverkäufen grauer Seelengräten
gewollter wie bedurfter Ramscheinheiten.
Nicht mal mehr fähig, selber mich zu meiden,
bin ich Objekt für sie in einem steten
Prozess der Psychen- und Gewissens-Schäden,
immunisierend gegen Geistesweiten.
Dergleichen m u s s ich in mir selbst vorfinden.
Ist sicher doch, dass ich mich nicht mehr habe.
Vielmehr ergehe in recht seichten Finten,
die ich aus meiner kleinen Seele schabe,
auf dass sie deutungsmagisch Selbstwert künden
und so vertuschen kann ihr Seichtgehabe.
Sich wohlstandsbrünstig treiben lassen -
Zeitgeistdiktat als Erlösungs-Sause und Selbstzerstörungs-Orgie/Sonett (185)29
Es gibt ihn nicht, den rationalen Willen.
Nur subjektiv fundierte Emotionen:
Bedürfniszwänge und Sozialschablonen,
entlastungsdirigiert sich zu erfüllen:
Sich Wohlstandsduseleien einzuhüllen,
die dann mit Faktenausblendung belohnen:
Sich konsumistisch-hedonistisch drillen …
Effekte haschend, Spaß und Sinnfiktionen.
Das muss so sein. Ich will es anerkennen.
Nur so lässt das System sich aufrecht halten:
Wenn wir erlebnisdionysisch brennen,
uns Augenblicksekstasen zu entfalten.
Obwohl so nicht die Leere überrennen,
die zum Fiasko es muss uns gestalten.
Das Leben I (186)30
Ob es gut sei
oder schlecht,
ob sich’s
lohnen mag,
ob nicht …
Keine Ahnung,
schwer
zu sagen …
Ist uns
immerhin
so recht,
dass wir uns
an Schläuchen
plagen,
enddevot
nach Jenseits
fragen,
sehnen,
es sei
Geistgeflecht,
ungreifbar
dem Tod.
Universeller Sinn-Trug (187)31
Auch wenn ich nur
ein kleiner Kunde bin,
so träum ich doch
mich manchmal über mich hinaus.
Von was auch immer
dazu angeregt.
Wahrscheinlich suche ich dann
allgemeinen Sinn
im Numinosen dieses Weltenbaus.
Ist solche Sehnsucht doch auch
in uns angelegt.
So wie dies Gier-Kommando
unsrer Selbstwertschlacht:
Im Überragen anderer,
als Wichte uns so zu vergessen.
Uns groß zu fühlen,
siegreich, zweckgeborgen.
Indes auch das ist nichts
als leere Ich-Andacht,
uns Selbstgewicht,
Bedeutung abzupressen
im Sinn-Trug von Neuronen-Spielen …
Uns auch als Spielball dann,
als Zeit- und Trancegespinst
beruhigt zu versorgen.
Entfremdung (188)32
Zeit wird's, dass ich untergehe.
Ist meine Weltsicht längst doch überholt,
den meisten fad und ungreifbar geworden.
Die sind mir undeutbare fremde Wesen,
orientierungslos, beglückt entspurungslüstern.
Sie brauchen keine Werte mehr: Sie laufen ab,
sind selbstbestandsarm faktenflüchtig,
zerfallen psychisch, geistig und sozial.
Verzweiflungsradikale Selbstentpflichtung,
was sich da, alldiktiert, vollzieht …
Zu Ich-Entfesselung und zu Gewalt,
zu einem Einerlei blasierter Mammon-Tücke.
Untergänge (189)33 erl.
Gott fort, Seele, Eros, Geist …
Alles, was verfeinerte.
Schönheit auch und Anmutsgesten.
Stumpfsinn blieb und Aggressionen,
Rohheit, Hybris, Perfidie.
Technik, Kapital und Formelmacht.
Weißt du, Freude, was das heißt?
Alle diese ichverwesten
Träger öder Illusionen
werden sein die triste Fracht
feinster Datendespotie.
Tiere* (190)34
Wie oft habt ihr genommen mir
sei's Trauer, Wut,
sei's gar Verzweiflungsdichte
durch eure sprachlos festgelegte,
so wirklichkeitskonforme schlichte,
spezialisierte Überlebensglut.
Euch halte ich so für ein Meisterwerk -
der Mensch kann das unmöglich sein -,
ist der doch hinterhältig, Selbstsuchtzwerg,
sich selber Feind, gar oftmals Niedertracht und Pein.
Dagegen ihr, ihr täuscht nicht, lügt nicht,
tut zumal ausnahmslos das, was ihr müsst.
Nie seid verlogen ihr wie dieser Homo-Wicht ...
wart deshalb Trost mir, ja gar Daseins-Hut.
*Tiere: Katzen, Hunde, Vögel, Pferde, Nager, Hasen, Insekten usw., hochkomplexe, wunderschöne und vertrauensfähige biologische Wesen.
Unumstößliche Tatsachen (191)35
Wie könnten wir uns geistig* noch gelingen,
sind marktgesteuert doch die Innenwelten,
sind unterworfen wirtschaftlichem Gelten:
Pleonexie sich nur noch zu verdingen?
Wir können nicht mehr meiden deren Zwingen,
weil sie* allein nur noch kann uns bezelten*
- trotz Zwangs-Verdinglichung und Psychen-Kälten -.
So müssen alle ihre Weisen singen.
Indes ist dies auch offen einzuräumen,
dass wir doch eine Existenz begehren,
die sich genießen soll, soll nichts versäumen,
soll sich als leibverzückter Rausch verzehren
und seelisch allentpflichtet sich verträumen …
Des Lebens Gram sich magisch zu entschweren.
*geistig hier: selbst-, wir- und welt-abständig: Als Personen fähig, das, was unsere Existenz trägt, bestimmt, prägt und zu dieser macht, zu erkennen, zu verarbeiten, zu bewerten und also auch (vielleicht) zu distanzieren.
*sie: diese Pleonexie
*bezelten: „behüten“, „bewahren“. So, dass wir unsere psychophysische Existenz zu meistern in die Lage versetzt würden.
Nicht zu meistern (192)36
Ich bin ja durchaus schon bereit, es zuzugeben:
Man kann sein Leben gar nicht selber führen.
Na ja, man ist ja dafür auch nicht grad gemacht:
Sich selber Last in einem hochprekären Streben.
Substanzgier doch, gezwungen, sich zu küren
zum Herrscher über seine kleine Daseinsschlacht.
Da braucht’s Verständnis, Nachsicht und viel Güte,
kurzum die Fähigkeit, auch zu verzeihen.
Denn wo denn wären Halte und wo glühte
zumal ein Sinnstrahl, deutend an nur e i n Gedeihen?
In diesem Wettlauf, zweckfrei angestoßen
von einem Teilchenspiel mit bloßen Zufallslosen.
Ambivalente Weltbezogenheit/Sonett (193)37
Materie? - Nur sie ist uns zu fassen.
Determinismus? - Ja. Auch der soll gelten.
Und Nihilismus? Grundton aller Welten.
So will’s als wahr für mich ich stehen lassen.
So gibt’s die nicht: Gesellschaft ohne Klassen,
Versagen, Niedertracht und Psychen-Kälten.
Schon gar nicht Würde. Fehlt doch Stoff Gefällten
die Kraft, sich nicht an Zwänge zu verprassen.
Und doch will mich ein Selbstzweckrausch betören,
all diese Fakten dann zu ignorieren,
wenn Sehnsuchtswelten mir den Sinn verkehren:
Ich solle mich, in Geist gebannt, verführen,
mich aufzulehnen gegen Gier und Leeren,
mich nicht an Gram und Trauer zu verlieren.
Die anonyme Misere (194)38/Zu vergleichen (73/3879)/Variante
Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und Scheitern.
Die machen unser Dasein aus im Ganzen.
Sind gleichsam homotypische Instanzen,
die in den Tiefen unsrer Psychen eitern.
Entlasten mag, zu klettern auf den Leitern
sozialen Aufstiegs zu Erfolgsbilanzen.
Dann darf als Sieger man sich selbst umtanzen.
Doch es ist sinnlos, so sich zu erweitern.
Zumal man träumen muss, man sei gerettet
vor diesem Dauerzugriff des Absurden.
Indem man sich in Illusionen bettet,
um zu entgehen dann in ihren Gurten,
dem, was an Ich-Gefangenschaft uns kettet:
Dass wir Verstand: Zu Kunstweltschöpfern wurden.
Unverrückbares Menschenbild/Sonett (195)39
Da zwingen ideelle Emotionen
von großer Hoffnung auf ein Weltgestalten
mit letztlich metaphysischen Gehalten.
Es geht um tugendernste Heilsmissionen.
Man will mir, fast schon aggressiv, betonen,
dass könnten Freiheit, Glück und Friede walten …
Gerechtigkeit gar, wenn zusammenhielten
die Menschen - welches Land sie auch bewohnen.
Ein Anspruch doch von sittlich Aufgewühlten,
den ich muss, faktentreu, als Traum erkennen.
Und blicke ich in unsre Psychen-Räume,
dann sehe ich doch nur Gelüste brennen
subtil barbarischer Entfaltungsschäume:
Auf Macht aus, Lustgewinn und Überrennen.
Zu uns selbst schuldlos verdammt (196)40
Daten-, Börsen-, Umsatz-Zahlen.
Und Verflachungshedonismus.
Die immer deutlicher
sich offenbarenden Entmündigungsdiktaturen
- kulturdestruktiv und wirklichkeitsverlustig -
inszenieren nunmehr ihren letzten Akt:
Die Schaffung des Untertieres …
Schlägt doch ihre totalitäre Glückseligkeit
(die nämlich propagieren sie unermüdlich
- eine heiterkeitslos-aggressive)
nunmehr in vorparadiesischen
Verelendungsstumpfsinn:
atheistisch geistbrachiale Ratio-Entfesselung um.
Nach und nach wird die Art an sich selbst zerbrechen.
Sich dann nur noch selbst ausgeliefert,
ist die metaphysische Haltlosigkeit
nicht mehr zu verhindern.
Verirrtes Ich,
von Scheininhalten formelhaft gesteuert:
Ein Markt-Ansich,
das sich als autonom beteuert.
Politisch, wirtschaftlich,
sozial doch schon verloren.
Indes das war nicht aufzuhalten.
Als unsrer selbst nicht mächtig,
werden wir geboren.
Uns - selbst uns schädigend -
dann maßlos zu entfalten.
Andeutungen über diese Welt (197)41
Narzisstisch, allprofan, verluderungsfanatisch.
Ein ratiohypertrophes Kunst-Gebilde:
Verfahren, Formeln, Daten - Abstraktionen.
Auf Abruf. Das, wie’s scheint, für immer.
Indes muss da Bedenken sich entfalten
ob dieses neuronalen Kartenhauses
und seiner substantiellen Machtsucht-Hybris:
Wir treiben's immer weiter; immer schlimmer.
Wahrscheinlich wesensmäßig dazu angehalten,
zumal totalitär politemphatisch ...
als könnten wir uns mit uns selbst verschonen.
Schiere Haltlosigkeit (198)42
Die Große Gleichgültigkeit,
die ich so deutlich spüre,
zerwuchert meine
Wir abfühlende Restseele.
Längst gurgle ich
die ersatzpolemischen Engperlen
gleichungsfundiert entwerteter Wirklichkeit.
Ein paar Ich-Pleiten mehr,
und ich stoße auch
ihre stumpfsten Begriffsmesser,
asozial vor Daseinsekel,
in die Broca- und Wernicke-Areale
dieser ins Absurde
radebrechenden Spätzeithirne.
Der körperlich-seelische Niedergang/Sonett (3/199)43
Muss nur mal eine Ladung Müll wegfahren,
um fast erschöpft zu sein; zumindest müde.
Doch bringt es nichts, wenn ich darüber brüte.
Ist’s doch, wie’s ist. Man kann sich nicht bewahren
die Leib- und Seelen-Kräfte … mit den Jahren
verliert man immer mehr an Daseinsgüte.
Wird schwach und schwächer. Nun ich sag’s mal rüde:
Das Fleisch plagt Heimweh nach dem Atomaren.
Doch kann die Augen ich davor verschließen?
Nein kann ich nicht. Wär’s doch auch kindisch feige.
Es gibt nun einmal nichts mehr zu genießen.
Mir gingen alle Glücke doch zur Neige.
Und das heißt letztlich, dass mir sind gewiesen
die Wege hin vor eines Grabes Zweige.
Gott I (200)44/Vergleiche (21/1287)/Anmerkung
Wann und wo immer du dich
mir auch kundtun magst,
allgegenwärtig Unfassbarer …
In mir aufscheinende Schimäre,
Entlastungsillusion,
mich früh bergende Neuronen-Ausgeburt
meiner trostlosen
Kindheits- und Jugendjahre …
Das kann mich nicht kümmern.
Zerbricht doch vor dir bis heute
meine geistige Brücke
in rauschleere Vollendungswirren,
zerfällt diese barbarisch-unschuldige Welt
in jene Bedeutungslosigkeit,
die ihr Wesen ist:
Flüchtiger Gemeinheit
surreale Selbstverheiligung
im Stoffbann
kommandierender Vergänglichkeit …
Indes ich dir zuliebe,
trotz Einsichtsschwere,
diesem Nihilismus zu trotzen versuche.
Trunken vor Nichts die Augenblicke zähle,
die gramgedehnt an mir vorüberrauschen.
Zuweilen mir auch zuwinken,
resigniert verzweifelt,
ob all der von mir verworfenen Glücke,
die sie doch mit sich führten.
Gerade für mich, wie sie,
wohl wahnlüstern,
es mir zuweilen vorlallen.
Kleine Blume (201)45
Unscheinbare kleine Blume,
Zartheitswunder da am Rand
dicht befahrenen Asphalts.
Lichte dich nicht gierig ab,
Bilder dann zu übertragen,
die dich rücksichtslos entblößten
Begaffern deiner Seltenheit.
Lass dich von mir unberührt.
Auf dem Weg gedenkend deiner
Ausgesetztheit uns Barbaren.
Infantile Reizverwerter,
Rücksichtslose ohne Scham,
geistesarme Daseinszeugen,
toten Stillen leichte Beute.
Selbst-Zufall (202)46
Ich war’s, der Gram.
Zog winkend vorbei
an allem, was kam:
Lotterie-Einerlei.
Verfall stellend fest
und Abwehrgebärden
Was nie mehr verlässt,
mich Einsichtsgenährten.
Mich Unzweck, mich Zufall
der Kern-Diktaturen:
Geplänkel um Sinn-Drall
nie deutbarer Spuren.
Zukunft des Homo sapiens (203)47
Dass ich noch Hoffnung in mir trüge,
das zu behaupten wäre dreist.
Zumal die Tugend selbst ist Lüge
in einer Welt, die ausweglos
nur um sich selber - muss das - kreist.
Der homo sapiens müsse überleben.
Das sagt man einfach so dahin.
Er muss es nicht, zumal sein Streben
war objektiv schon immer ohne Sinn.
Ihn treiben ewig Macht-, Genuss-
und Hirn-Ekstasen.
Ihn willen-, hilf- und würdelos zu treiben
durch einbeildete Entlastungs-Blasen,
Realitätsverlust und Schoß.
Nicht gottgeplant, Evolutionszweck nicht,
sind wir nur eine Teilchenwunde.
Und zwar die gramverfügte,
die am tiefsten sticht.
Doch weiter giert nach jeder Stunde.
Bemerkungen zur Würde (204)48
An Würde mögen andre glauben.
Ich tu das nicht, zumal ich weiß:
Kaum jemand kann sie selbst sich schenken,
zu schwach, zu seinem Nachteil sich
zu übermächtigen für einen absoluten Wert.
Und dass sie ausnahmslos gar allen käme zu,
weil frei, vernünftig, gleich und mündig jeder sei,
ist eine Rechtsfiktion, die rabulistisch überhöht
die Niedertracht, die wir zu oft doch sind.
Elitärer Wunsch/Sonett (205)49
Da ist doch nichts mehr, was mich noch verbände
mit dieser Spaß- und Star- und Phrasen-Horde
effektbeflissner Ramschweltkonsumenten,
die sich verwerten, von sich selbst verlassen …
Als ob man ichbetont Erlösung fände
in diesem Lustgefängnis ohne Worte,
sich könne wertleer von sich selbst abwenden,
um sich narzisstisch selbstsmartcool zu hassen …
Mir fehlt der Sinn für Trivialitäten,
für Tugend- und Sozialschauspielereien.
Auch will ich nicht mich unfrei selbst anbeten,
um dieser Marktknechtschaft mich einzureihen …
Was ich will, ist begreifen diese späten
Gelüste nach Verwahrlosungsgedeihen.
(V) Annäherungen/13 Sonette: Die Sonette von „Getrieben“ bis „Das Geschenk des Realitätssinns“) sind gut geeignet, sich mit den existenziellen, gesellschaftlichen, kulturellen, politischen, zeitgeistverdeckten (bzw.: -verdrängten), weltanschaulichen usw. Grundlagen meiner Gedichte vertraut zu machen.
Es sind dies die Sonette:
Getrieben (206)
Tabu (207)
Durchschnittliche Wohlstandsjünger (208)
Selbsttäuschungen (209)
Sich selbst ausgeliefert (210)
Fundamentale Wahrheit (211)
Vollendungsformen (212)
Unaufrichtig (213)
Definitives Alleinsein (214)
Verwertet, getrieben, entmächtigt (215)
Das infame Kartell (216)
In die Zukunft verlängerter Grundtrend (217)
Das Geschenk des Realitätssinnes (218)
Getrieben/Sonett (206)50
Wer kann denn sagen, ihm sei es gelungen,
sein Dasein ohne Bruch und Angst zu führen?
Wer wäre nicht verfallen manchmal schieren
Verkommenheiten platter Anfechtungen?
Wer wäre so weit in sich vorgedrungen,
dass er erfasste all die kleinen Schmieren,
die ganz subtil ihn heimlich korrumpieren,
charakterlich und auch sozial erzwungen?
Wohl niemand kann das. Schon weil schwer zu fassen
persönliche Motive sind, die treiben.
Sei es in Hybris, sei’s in rohes Prassen.
Wohin auch immer. Stets doch wird man bleiben
Getriebener, sich selber überlassen:
Verfügt, Vergeblichkeit sich aufzureiben.
Tabu/Sonett (207)51
Wenn ich das Ganze unverstellt bedenke,
dann muss ich es für durchweg sinnlos halten.
Da uns Gewalt und Illusionen spalten,
Pleonexie und Macht uns schmieden Ränke.
Auch ist es falsch, dass die Vernunft uns lenke:
Sind wir verwiesen doch auf Umgestalten
von Welt durch technisches Verstandeswalten.
Uns schwinden so die geistigen Gelenke.
Und dennoch könnte ich’s zuletzt erdulden,
wenn nur nicht diese reißerisch diktierte
Schaumschlägerei der Zeitgeisthybris wäre.
Mit ihren hedonistisch faden Kulten
als trivialnarzisstisch dumpf blasierte
Enthemmungsmystik trancenpraller Leere.
Durchschnittliche Wohlstandsjünger/Sonett (208)52
Pleonexie? Nun ja, sie ist das Wesen
des Durchschnitts, der in Luxus leben will.
Erleben (protzen, schlemmen, was bedeuten),
verdrängen Zufall, Frevelmut und Tod.
Er gibt sich dem hin, was ihn hält mit Späßen,
mit Hully Gully, Star-System und thrill.
Kurzum: Der Augenblicke seichten Freuden.
So hält das Ganze er indes im Lot.
Und ich erkenne an, ihn treibt Ananke.
Er hat die Kraft nicht, ins Gesicht zu sehen
Alleinsein, Scheitern, Brüchen, Selbstbetrug.
Verdrängt das Seelenelend und das Kranke,
die sich als Alptraum durch dies Dasein blähen,
das unsres ist: Ein Danaidenkrug*.
*Danaiden s. Fremdwörterverzeichnis
Selbsttäuschungen/Sonett (209)53
Wir sind drauf angelegt, uns zu zerstören.
Und als Globalkraft werden wir das schaffen.
Wir, die sich permanent nur selbst begaffen
und auf sich selbst als Daseinskrone schwören.
Wir wissen freilich nichts mehr von Verehren.
Sind nur noch anspruchsvolle Überaffen,
verdammt, aus Lebenslügen Halt zu raffen.
So unsre Welt als Trugmohn zu verzehren.
Warum auch nicht? Denn dass an uns was läge,
ist ein Begriffsspiel von Entlastungssüchten:
Dass Geist, Vernunft uns, Wert und Güte präge.
Denn Selbstsucht müssen wir uns stets gewichten,
zumal doch hilflos, ohne Halt und Hege.
Und das heißt: Knechte toter Seelenschichten.
Selbst sich ausgeliefert (210)54/Sonett
Ob seiner selbst sei keiner mir gescholten.
Verfügt doch keiner über sich, ertrüge
auch nur im Ansatz ohne Lebenslüge
sein Daseinsjoch mit all dem Ungewollten:
Sei’s Niederlage, sei’s prekär gesollten
Versuch, sich Geltung im Sozialgefüge
markant zu sichern … Geht es doch um Siege,
die’s Selbst erheben und zum Gral vergolden.
Wer solches läse, würde vielleicht schreien:
„Man ist doch frei. Und das in höchsten Graden.
Wär sonst doch Schuld nicht möglich noch Verzeihen!“
Wir sind mitnichten Schöpfer unsrer Taten:
Nicht einer unsrer Akte zählt zu freien.
Wir können, Stoffhirn, Zwängen nur geraten.
Fundamentale Wahrheit/Sonett (211)55
Ich kann mich nicht begeistern für die Massen.
Schon deshalb nicht, weil ich sie so gut kenne.
Sie wollen auch, wie ihre Herren, prassen,
weshalb ich beide erst mal gar nicht trenne.
Ob man Milieus betrachtet, Schichten, Klassen …
Man will dasselbe, was ich so benenne:
Will Geltung, Lust, Bedeutung, volle Kassen
und dass die Lebenskerze lange brenne.
Für mich ist Masse, was sich tummelt oben,
und die, die jene oben imitieren:
Die Machtversessnen und die Wohlstandsgroben.
Die beide geistlos sind und delirieren,
sich Gier, Narzissmus und Klamauk austoben,
ihr leeres Selbst bombastisch inszenieren.
Vollendungsformen/Sonett (212)56
Vollendungsformen gibt’s für mich nur vier:
Gott, Einsichtsgnade, Eros und Gedicht.
Der Rest ist Triebzwang, Konzession ans Tier.
Indes von absolutem Seins-Gewicht.
Ist’s doch der Stoffdurst, der uns ausmacht: Gier,
zusammen mit der Perspektiven Sicht,
sich einzufügen hochprekärem Wir.
So zu beschützen. Auch durch Scheinverzicht.
Wer sich in Gott versenkt, ist allgetragen,
kann Einsicht sich in das, was ist, dann leisten.
Wen Eros treibt, darf sich in Du-Rausch wagen.
Und Kunst mag trösten die sich selbst Verwaisten.
Erlaubt, sich jenes Stoffdursts zu entschlagen,
sich, Geist geborgen, Selbstsein zu erdreisten.
Unaufrichtig/Sonett (213)57
Wenn man von unten kommt, sieht man die Dinge
doch ziemlich anders als die Werteträger
der Intellektuellen und Parteien.
Die in den Medien sich als Virtuosen
der Weltausdeutung - wie es uns gelinge
als Tugendhüter und Problemankläger
zu festigen der Guten hehre Reihen,
damit sich Böses beuge unsern Posen -
so gern gerieren. Nun: Ich möchte sagen:
Es sind Gewaltverhältnisse, die lenken
Gesellschaft, Wirtschaft, Staat. Und selbst die Psychen.
Sie sind es, die uns unabwendbar plagen,
uns vor uns selber ruchlos zu verrenken:
Vor Ethikdrogen täuschungsflach zu kriechen.
Definitives Alleinsein/Sonett (214)58
Man ist allein in jedem Augenblick.
Und bleibt das auch bis hin zum Lebensende.
Man fällt unweigerlich auf sich zurück,
selbst wenn man streift ganz zarte Hände.
Die manchmal trösten und vergessen lassen,
dass man doch spielt in einem miesen Stück,
in dem man niemals einen Halt nur fände,
begriffe man, es handelt nie von Glück …
Das sowieso bereits im Werden schwände.
Indes wer will schon diese Wahrheit fassen?
Zu unerträglich. Auch nicht aufzuheben.
Bringt sie doch auf den Punkt, was, ungelogen,
wir sind, sein müssen, um nicht aufzugeben:
Phantasten, lügend uns durch Wohlstandsdrogen.
Verwertet, getrieben, entmächtigt/Sonett (215)59
Was soll ich dir von mir denn groß erzählen?
Von einem Selbst, dem, wertbasal vermittelt,
durch Rechtserlass, der’s als Person betitelt,
bestätigt wird, es könne frei sich wählen.
Indes kann ich mir selber nicht verhehlen,
dass objektiv ein Gier-Prozess mich schüttelt
und ohne Rücksicht kommandierend drittelt
in Kunde, Normen-X und Sinn-Verfehlen.
Als Marktteilnehmer muss ich mich verraten,
geistig verneinen, um als Exponent
des faden Allgemeinen mich sei’s Daten,
sei es Prozenten oder Zeitgeist-Trend
verfügt, dann hinzugeben und zu waten
durch diesen Humbug, der Substanz nicht kennt.
Das infame Kartell/Sonett (216)60
Ich sehe Leute um sich selber kreisen
und höre oft ihr aufgesetztes Lachen.
Auch spür ich deutlich die verzweiflungsleisen
Verstellungsattitüden vor den Sachen.
Da nagen Spaßklamauk, den Märkte preisen,
die Ich-Bezüge, die zu Kindern machen,
des Nichtungsstumpfsinns simple Fadheitsweisen,
Entwirklichungsgelüste zu entfachen.
Auch ich muss mimen meine Anteilnahme.
Schon der Berufsalltag stößt mich doch drauf.
Doch geistig steh ich gegen dies infame
Kartell von Cleverness und Selbstverkauf.
Das zwänge, dass ich nach Ersatz-Glück krame,
nähme ich teil an seinem Hohn-Leerlauf.
In die Zukunft verlängerter Grundtrend/Sonett (217)61
Es ist Zerstörungswüten ohnegleichen,
was wir begehen, um uns zu gelingen.
Uns, neuronal getrieben, aufzuschwingen
in Einheitszwang von hochabstrakten Reichen.
Uns drastischem Geschehen einzubleichen,
das gipfeln könnte in finalem Ringen
um Restbestände von geschundnen Dingen.
Nicht fähig doch, uns selber auszuweichen.
Ich wüsste nicht, was es zu trauern gäbe,
wenn wir tatsächlich uns zum Opfer fielen
und dann verschwänden aus dem Stoffgewebe.
Denn darauf muss das Menschenwesen zielen:
Deterministisch-nihilistisch Schwebe
als Ich zu sein im Bann von Molekülen.
Das Geschenk des Realitätssinnes/Sonett (218)62
Was mir am meisten zählt, sei nicht verschwiegen:
Dass es mir letztlich immer war gegeben,
den Fakten, niemals Tagtraumwelt zu leben:
Nicht meinen Selbst-Konstrukten zu erliegen,
um mir die Welt und Selbst nach Wunsch zu biegen.
Denn nichts kann dies prekäre Dasein heben,
nach dem umsonst wir als geglücktem streben.
Schon weil wir Zeit und Scheitern unterliegen.
Das Ganze überhaupt ist Zufallswalten.
Und Gaukelspiel, von dem ich immer wusste.
Man mag sich träumerisch das ausgestalten …
Es bleibt auch dann nur ausweglos gemusste
Verflüchtigung in Trance von Scheingehalten:
Schimären ohne Kern und ohne Kruste.
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