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Diese Seite enthält 66 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)
Existenzieller Totalitarismus (443)1
Dass ich es objektiv
weiß zu erfassen:
Sei es an sich:
als Angst, Verfall,
Bedürfnisdiktatur;
sei’s zeitpräzise
als Verknechtungsprassen,
sich Büttel nihilistischer Tortur …
An Intellekt, Verfahren,
Gleichung rückgebunden
und datenabstraktiv verlassen,
kann doch nur heißen,
dass man sich verfließt
als Hyle-Zufall (Spielball der Natur)
in einem Traumlauf
undeutbarer Daseinsrunden
in leere, gottverlassne
Ich-Verliese.
Gott II/Für Anselm von Canterbury/
Dieses Sonett zu schreiben, war ich IHM schuldig (444)2/Vergleiche (21/1287)/Anmerkung
Ihn zu erkennen, ist mir nicht gegeben.
Ich kann ihn in Begriffen gar nicht fassen.
Sei’s als unendlich absolutes Sein,
sei's als Idee des Guten, sei’s als Größe,
wie kein Begriff sie könne größer weben …
Vernunftkonstrukte, die alleine lassen.
Substanz? Gedankending? - Die schaffen kein
Gefühl, dass doch nur Er vom Ich erlöse.
Ich weiß ihn so: Als ein Vollendungsbrausen
und als Verströmungsrausch in blauen Winden.
Den Daimon, mit der Macht zu überschreiten
den Daseinszwang, in dem wir glücklos hausen.
Vermag er doch vom Stoff uns abzubinden,
hinein zu retten so in seine Weiten.
Schlichte Weisheit/Sonett (445)3
Für Pindar von Theben (518-446 v. Chr.)/Für Verehrte
Der Mensch sei weiter nichts als eines Schattens Traum.
Pindar von Theben schrieb’s. Vor langer, langer Zeit.
Er dachte wohl primär an die Vergeblichkeit,
die Ungeborgenheit … auch im Bewusstseinsschaum,
die ohne Illusionen wir ertrügen kaum,
Getriebene von Gram, Versagen und von Leid,
Verblendungssucht, von Hybris und Verlassenheit.
Die lebenslang besetzen diesen Elendsraum.
Indes wir heute müssen uns konstant bemühen,
uns optimistisch, fit und kompetent zu zeigen.
Sind wir doch einer Warendiktatur gediehen
und unsrer Selbstsuchtzwänge Lustgebaren-Reigen:
Effektmonaden, die sich spaßbetört verglühen,
verdrängend jene Weisheit vor des Stoffes Schweigen.
Glücke III (446)4
Für mich geschehen sie als Selbstvergessenheit.
Sei’s dass zu Gott ich trancetreu heimgefunden habe,
sei’s dass im Du-Rausch ich Erotik mich verlor,
sei’s dass ich Inhalt denke anstatt nur Konturen,
sei’s dass ich weltfern mir gelinge in Gedichten …
Dann bin ich selbst mich los, bin nicht Sozialeinheit.
Dann lenken mich der Daimon, Geist und jener Knabe
vor einen ort- und zeitlos sehnsuchtszarten Chor,
zersingend all die Drangsal- und Gewalt-Strukturen,
die mir die Existenz als völlig sinnlos lichten.
Dann fühle ich, und sei’s auch nur für Augenblicke,
das diesem Dasein innere Vollendungsstreben:
Substanzentfesselungen sonst versteckter Glücke,
die’s fraglos lohnend machen, dies prekäre Leben.
Leere Träume (447)5
Wehe, Wind, mich fort von hier!
Hin in jene Sehnsuchtsräume,
wo des Absoluten Spuren
meinem Geist die Wege zeigen,
die zu Halt und Sinn:
Um zu fliehen mich als Tier,
mich, den Knecht
als Stoff vor Uhren.
Einzugehen Seinen Reigen,
die ich schon als Kind erahnte …
wusste gar als mir gebahnte,
bannende Erlösungs-Träume.
10.1.23/Meinem Vater (448)6
Seit 49 Jahren
bist du nunmehr tot.
Ein Leben lang gehetzt,
geduckt und ausgebeutet …
Ein Daseinsopfer,
Gram und Krieg vergeudet.
Ich sende dir, wie immer,
ein paar liebe Grüße
in dieses Nichts,
wo du nicht leiden musst.
Weil doch längst ledig
deiner Ich-Verliese
von kommandiertem
Selbstverlust.
Genau so (449)7
Was will ich mehr?
Ich hab’s perfekt getroffen,
zu widerstehen
diesem Drangsal-Heer
von Rätseln, Gram
und Traumweltstoffen,
von Niedertracht
und Tugendkrähen,
von sinnlos-leerem,
toten Hoffen.
Doch. In der Tat.
Mir ist es gut gegangen.
Ich hab zu Dankbarkeit
nicht wenig Grund.
Da waren Jahre
ohne Bangen;
und auch noch solche,
da nicht alles Schund,
noch Anlass warn
zu feiner Heiterkeit.
Das ist vorbei.
Und ich bedaure das.
Bedaure auch
die blinden Seelen,
die ohne Wie und ohne Was
betoben dieses
Phraseneinerlei.
Sich glück- und haltlos:
einsam
durch sich selbst zu quälen.
Abseits-Monade/Sonett (450)8
Was soll’s mit mir denn irgend auf sich haben?
Weiß ich doch nichts von mir herauszustellen,
ich zeitgeistferner Mensch, der schöpft aus Quellen,
die nichts mehr gelten, schaffen keine Waben
für Menschen heute, die sich psychisch laben
an hektisch intensiven Phrasen-Wellen,
zu überschreiten möglichst alle Schwellen,
Simplifizierungschance sich ein zu schaben.
Ich will das nicht, will nicht dazugehören,
mich vor Entmündigung auch zu bewahren.
Wie überhaupt vor Selbstverlust-Miseren.
Um das, was ist, im Kern dann zu erfahren:
Verwahrlosungserpicht sich zu betören
als Knecht an Halt-, Traum-, Lust- und Trug-Kandaren.
Seelenrinnsale/Sonett (451)9
Wie oft doch rede ich mit meinen Tieren,
Jahrzehnte tot schon, aber unvergessen.
Den Katzen, Schweinen, Pferden und den Hunden.
Selbst Müllers Ochsen, meisterlich im Traben.
Wer’s wüsste, dächte wohl, dass dies Bekunden
bewiese, dass man den Verstand verlieren
ganz leicht doch könne. Um sich dann zu haben
als Schote*, kindlich und skurril vermessen.
Indes auch deshalb kann ich uns erfassen
als hochkomplexen Abstraktionsbezügen
bis ins Intimste unterworfne Massen.
Verdammt, uns um uns selbst herum zu lügen,
dass wir als Psychen-Krüppel uns verprassen
doch einer schieren Farce von Ungenügen.
*Schote: jiddisch für Narr, Einfaltspinsel
SMS* (16) (452)10
Die vielstimmigen
Zeitgeist-Sirenen
(etwa via social media-
Vereinnahmungen)
besetzen auch noch
die Rest-Psychen.
Empörungsokkult
sudeln sie dahin.
Verführungserregt,
engselbstlüstern
und sterilbrach.
*SMS = Stadtmauersteine. Gemeint sind sprachliche Bizarrerien, plötzliche Einfälle, kindliche Spielereien mit Worten, Verdrehungen von Wortbedeutungen, Paradoxa,
bedeutungslose Wort- oder Satz-Fügungen, Provokationen, aber auch Alltagsweisheiten usw. usw.
Das Suchen nach SMS geht tatsächlich bis in die Kindheit zurück; damals noch im pfälzischen Dialekt.
Prosafetzen (181): Unabänderlich (453)11
Die dumpf
vergötzende
Inbrunst
auswegloser
Ergriffenheit
im Husch
des Verlangens
nach ichstierem
Selbstverlust,
lallend
vor Stumpfsinn
zum Ausdruck
gebracht,
malt die
knechtende
Sucht nach Idolen
in Millionen
ausdruckslos
gleich leere
Standard-Gesichter.
Stille/Quasi-Sonett (454)12
Ganz still da draußen liegt die warme Nacht.
Ich höre weder Schritte noch Motoren.
Die Menschen sind sich gängig wohl verloren,
in ihren Zimmern dienend Medienmacht.
Die Stille liebe ich. Ihr dargebracht,
entwinde ich mich Artefakten-Sporen.
Manchmal dem Reiz von Leib-Pandoren.
Zuweilen auch nur lauter Ichandacht.
Dann bin ich geistig ganz mir selbst vergoren.
Und das bedeutet, dass um mich nichts wacht,
was mich verfügte dieser Kundenschlacht,
in der ich wäre dann Klamauk verschworen.
Dann ist’s, als wäre ich dem neu geboren,
was still mich hält und traumlang Halt entfacht.
Scharfblick (455)13
Das Ende läuft mir
längst entgegen.
Wenn auch noch winkend
und bedeckt verhalten.
Entschlossen freilich,
mich hinwegzufegen
aus diesem Wimmeln von Gestalten,
die phantasierend sich
sozial verhorden
sich psychophysisch auch verhuren
und, Heimatlose allerorten,
Alleinsein kratzen aus den Uhren.
Die sei es hemmungslos,
sei’s dumpf vertieren
in Glaube, Wahn und Sinngebäuden,
die nichts als kahles Jetzt diktieren
und jede Stunde
als Verlust einläuten.
Sich zuziehende Schlinge (456)14
Destruktion der Selbstbestände.
Marktgewirkt die Direktiven.
Digitale Seelenbrände.
Unbemerkte Daseinsschiefen.
Das ist unabänderlich:
Angelegter Hirnausfluss:
Wahn und Arroganz des Ich -
Evolutionäres Muss.
Weiße Wolke/Sonett (457)15
Ich könnte stundenlang auf diese Wolke starren.
Sie ist ganz weiß und steht so magisch still da oben.
In einem See von Tiefblau steht sie. Abgehoben.
Als ob ihr Gott befohlen hätte, zu verharren
und sich in ihre weiße Stille einzuscharren.
Sein Schöpfungswerk auf diese Weise auch zu loben.
Dass, wer sie sehe, dann vergesse dieses Toben.
Das unten hier, wo Alltagslast und Willkür narren.
Wo ich für Grau in Grau und Hektik muss bezahlen
und grade Pseudoglücke haben hohe Preise:
Erregungskämpfe sind um Anerkennungsschalen,
um Surrogate für gemimte Psychen-Gleise.
Um zu bestehen all die garstig kleinen Qualen
banaler Leere auf je angesagte Weise.
SMS (17) (458)16
Vom Kant-Selbst entlastet,
grölen die Nu-Iche
verwahrlosungsentzückt
ihre Gräber ans Licht.
Leuchtend in Malles
Abendsonne,
verweigern diese,
belegt zu werden.
Lebensweg (459)17
Intuition verfügt,
hab ich mich treiben lassen.
Mich je
nach Zufallswinken ausgelebt.
Zumal ich wusste
um die engen Gassen,
auf denen aller
Ichsucht strebt.
Was diese eng macht,
schmutzig und sehr laut.
Ich habe die
des Geistes eingeschlagen,
die breit sind,
Weiten hingebaut.
Bilanzgedicht (7) (460)18
Nichts war’s
als ein Stochern
im Ungefähren,
nichts als Gespinst
und Trieb, Neuronen-Zwang …
Belämmern, Traum
und Selbstbetrug.
Materie-Trance
in ein Individuum
verdichtet.
Stummes Stoßgebet
ins unabsehbar
wirre Geflecht so
einer Stoffsynthese von
Bewusstseins-Heimsuchungen,
ekstatischer Hybris
und majestätischer
Sinnlosigkeit.
Redliche Auskunft (461)19
Ich kann dir auch nichts andres sagen.
Es ist so wie es ist.
Man muss alleine meistern alle Lagen,
damit man andrer Dreck nicht frisst.
Und das, das gilt dann generell.
Man ist gesellschaftlich gefangen,
muss so begreifen auch sehr schnell,
dass man ist Griffziel unbekannter Zangen.
Müht sich so ab für fremde Mächte
- obwohl man schwört: allein für sich -
bestreitend zeitgeisttypische Gefechte,
in die man werfen muss sein kleines Ich.
Auch um zu meistern seine Unbekannten:
die doch in seinen Tiefen lauern.
Dort einem niemals ganz zuhanden.
Gesäumt von unsichtbaren Mauern.
Prosafetzen (7) (462)20
Meine Indolenz
verlängert nur
die Gedanken Gottes
in alle
- a priori schon -
wund gegrübelten …
enthemmungssüchtigen
Daseinsleeren.
Unlösbarer Widerspruch (463)21
Obwohl drastisch vereinsamt,
bin ich doch
völlig außerstande,
sei’s wen auch immer
länger als zwei, drei Stunden
zu ertragen -
und das auch nur,
wenn es eine Frau ist,
die es mir erlaubt,
ihre menschliche Nähe
erotisch zu übertäuben.
Geist (464)/Sonett 22
Geist soll hier heißen, Welt-Sucht überschreiten,
um Selbst zu werden im sich Distanzieren
von Welt und Gelten, Sinnsucht, Du-Berühren …
Revolte der Person, die sich muss weiten
und retten vor all jenem sich Erleiden
in triebsozial vermitteltem Vexieren.
Ist’s auch unmöglich, nie sich zu verlieren.
Es sei. Stets wird mich dennoch Geist nur leiten.
Mich jedenfalls hat er allein gehalten.
Trotz seiner Folgenlosigkeit erhoben.
Indem er zeigte mir all die Gestalten
des Nihilismus, den als Wohlstand loben,
als Fortschritt, gar Erlösung, die Gewalten,
die rational uns in Vernichtung toben.
Schöne Nachmittagsstunden/Sonett/Für … (465)23
Ich blättere in dieser Kladde hin und her.
Ganz leicht nervös: Ich will Sonettezeilen finden.
Nicht, um in diesen dann was Großes zu verkünden.
Denn dafür bin ich viel zu nüchtern - und zu leer.
Zumal: Was wäre heute noch bedeutungsschwer
in einer Welt, die technisch sich: abstrakt muss gründen;
so dass der Sinn für Wirklichkeit wird weiter schwinden,
verfallen Surrealem dies Verbraucherheer?
Nun ja, ich habe längst mich damit abgefunden.
Will daher lieber denken an die vielen Freuden,
die mir dein Staubgral feuchtete für Stunden.
Geeignete, sie fraglos so mir auszudeuten:
Als zugehörige zu jenen ohne Wunden.
In denen Glück wir daher dürfen uns vergeuden.
Entlastungsmonoman (466)24
Niemand mehr,
der sich nicht -
vor solch
ökonomischer
Eindeutigkeit
analytisch
mittellos -
entwurzelt
und datengierig
in andern
ichstrack
anheimfiele.
Auferstehung
lallend
und Beglückungsfron
in bergender
Bewusstseinstrübe.
Und schamsiech
Du identisch:
austauschbar.
Fort (467)25
Fort sind
die Anmut,
die Scham
und
die Treue;
wie fort sind
die Freiheit,
die Ehrfurcht,
das Selbst.
Fort
ist der Eros
und
fort auch
das Glück …
Fort ist
der Vollmensch.
Kommt
nie mehr
zurück.
Macht der Einsicht/Sonett (468)26
Dass ich nicht viel gewöhnlich von uns halte,
das ist kein Zufall, liegt auch nicht an mir:
Ich bin ja selber nur so ein Geschwür,
das fort sich wuchert durch der Zeiten Spalte
von Traum zu Illusion, von Kult zu Gier.
Auf Du gerichtet, Wertfiktion und Wir …
als ob da nicht Betrug und Irrtum walte.
Und doch: Wenn ich mich aus dem Griff befreie
- dem eigenen und dem der Artgenossen -,
mag’s durchaus sein, dass mich nur Einsicht lenke.
So dass ich übersteige unsre Sprossen
nicht mehr nur Knecht dann bin in letzter Reihe,
mich selbst auch nicht mehr ichschwach machtlos kränke.
Aus Dankbarkeit (496)27/Für homo sapiens bambergensis…
Ich wünsche dir,
Blonde,
all das Glück,
das du erhoffst,
all die Liebe,
die dich tragen soll,
alles Gelingen …
Ob das deiner selbst,
ob das deiner Ehe,
ob das deiner Kinder …
Und all die Kraft
der Wirklichkeitsverdrängung,
derer wir doch
alle bedürfen,
um auch nur eine Stunde
unserer nichtigen Existenz
psychisch unbeschadet
überstehen zu können …
Unendlich dankbar
für jene alltagsferne,
asozial verantwortungslos
unbekümmert hocherotisch
flüchtige Sinnlichkeit,
die dein Leib mir gewährte,
mir Daseinsgipfel verströmend,
die ich niemals vergessen werde.
Talkshow (470)28
Ein Trommelfeuer
der Zeitgeisttugenden.
Anmaßend und
unberührt von jedwedem
Anflug von Zweifel
zugleich.
Fast ersticke ich
an der Naivität
und Selbstgefälligkeit
der lückenlos
sich wirbelnden
Geistlosigkeit
eines prekär desorientierten,
faktenentfremdeten
Macht-Siechtums.
Verblendungsprozess (471)29
Ein Heer von Augen
erspäht sich selbst,
tränt sich zu,
blinzelt blind sich
den Bildmärchen ein.
Gekonnt.
Abgerichtet.
Fraglos.
Am Ende
jedes für sich
sich brechend,
heimweinend
in verordnete
Blicklosigkeit.
Substanzreales Glück (472)30
Das Blattwerk sirrt so leise,
der Wind umweht ein Götterblau.
Die Nacht gibt’s preis auf ihre Weise:
Du liegst bei jener Knabenfrau.
Das Fleisch so weiß, so warm, so zart.
Wie frei von Stofflichkeit.
Materie, die sich bewahrt
in Geistverlangen,
das nach Körper schreit.
Widerrede. Ungeschminkte (473)31
Was redest du
von Glück und Sinn?
Verzeih,
du delirierst
profan.
Bedeutungslos
geht alles hin,
steril und
gossenmonoman.
Bemerkung einer objektiv bedeutungslosen Sozialmonade (474)32
Mir ist’s egal,
ob etwas von mir bleibe.
Sei’s ein Gedicht,
sei’s ein Gedanke.
Zumal ich
meine Zeit begriff:
Vergötternd Räusche,
Ramsch und Zahl.
So, dass man selbst
sich hintertreibe
bis in die
tiefste Schicht:
An Selbstverlust
und Leere kranke.
Nichts weiter als
des Marktes Schliff …
sich seiner als
ein Ding bewusst.
Aufforderung (475)33
Lichte die Traumanker,
Erdichtete.
Nur du vermagst das.
Wieder einmal
wollen wir ablegen
in jene schon so oft
herbeigesehnte Verwahrlosung,
bild- und leerformel-umnachtet.
Zeitgeistselig so
uns selbst entrinnend
in amideutsch coole
Selbstverramschungs-Dionysien.
Nach Geneses 8,21* (476)34
Man wird es sich im Alltag klug verhehlen,
dass weder gut wir sind noch planvoll böse,
im Durchschnitt Triebdruck- und Sozial-Synthese …
Wir meistens uns nur für uns selbst abquälen
und uns belügen, wenn wir uns verfehlen.
Indes ist Ichsucht eine Daseinsgröße,
uns wesenseigen wie der Drang der Schöße.
Man kann sie nicht verwerfen oder wählen.
Wir glauben nur, wir seien rational**.
Sind deshalb angewiesen auf Fiktionen,
auf Wertgefüge und auf Lebenslügen.
Zumal auch Opfer mancher Seelenqual:
Ergebnis Lüste klügelnder Neuronen.
Wodurch wir, schuldlos, selber uns erliegen.
*Genesis 8,21: … „denn das Trachten des Menschenherzens ist böse von seiner Jugend an …“
** rational im Sinne von „vernünftig“ im umgangssprachlichen Sinn
Essenzwissen (477)35
Auf sie allein habe ich
all mein Augenmerk gerichtet:
Die gesellschaftliche Wirklichkeit,
in der ich mein Dasein
zu bewältigen habe.
Auf ihre gängigen Illusionen,
Lebenslügen, Verdrängungen
und massiven Funktionselite-Versagen.
Ihren spezifischen Zeitgeist,
ihre tugendarrogante Mittelmäßigkeit
bis in die Kerne zu erfassen.
Und mehr wollte
und vermochte ich auch nicht;
zumal doch durch und durch
ihr psychoethisch- existenzieller
Abklatsch: Ihr Objekt, ihr Knecht,
vollständig von ihr vereinnahmt ...
Von ihr, dieser Diktatur
der angenehm entlastenden
Daseinsvollzüge:
Der der hedonistischen
Entmächtigungen des Individuums
und der Reduktion dieses Individuums
zum Erlebnisvirtuosen
und zur abstrakten Umsatzgröße.
Und das vermag niemand hinzunehmen,
hat er es erst einmal als subtile
Selbstentfremdung und systemspezifische
All-Abrichtung begriffen.
Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten (NEXBISO)/Zufälliger Selbstgewinn (1)/Gott I (478)36
Geläute-Trance aus frühen Kindertagen.
Und immer noch darf ich drin untergehen.
Auf dass sie nehme mir die Seelenplagen
und Widersprüche unsrer Daseinswehen.
Der stille Daimon wird in ihr mich tragen,
wird mir erlauben, mich ihm einzudrehen.
um, frei vom Gaukelspiel konkreter Lagen,
in ihm geborgen sie zu überstehen.
Prädestiniert im Sog von Zufallswürfen
zu einem Dasein ohne Anspruchs-Routen,
war’s mir gegeben, aus mir selbst zu schlürfen
das Grundgefühl, dass diese Ich-Last-Fluten
mich würden trugsubtil mir selbst ausschürfen
und mich dann opfern gramsterilen Knuten.
Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten (NEXBISO)/Des Absoluten Redlichkeit (2)/Gott II (479)37
Es dunkelt fort in meiner müden Seele.
Die wie mein Körper atmet in Atomen:
Ein Schrei von Nichtigkeit, wie all die Gnomen
in dieser trauerübersäten Höhle.
In der ich permanent mir selber fehle.
Da machtlos ich doch trudle durch anomen
Effekt-Hochmut im Glanz von City-Domen,
der mir sein Ramschglück hetzt bis an die Kehle.
Dies Dunkel packt mich stets an solchen Tagen,
da ich mich kindlich wieder Gott verliere:
Dass er erneut mir deute unsre Lagen:
Dass ewig man nur nach sich selber giere,
sich selbst verstrickt indes nicht könne tragen.
Ein Ding sei kommandierter Marktwertschwüre.
Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten (NEXBISO) (3)/
Noch einmal Gott III (480)38
Ich frage gar nicht, ob er existiere.
Er wirkt aus transzendenten Seins-Bereichen.
Der Niedrigkeit des Menschlichen enthoben,
verbleibt er, mystisch nur berührbar, Leere.
Der reinen Güte Träger ist er schiere
Verneinung aller triebgebundnen Zeichen.
Die in den Leibern als primäre toben.
Als Stoffgefängnis und Bedürfniskehre.
Geniales Nichts, ist er mir Kindheitsschemen:
Ein Trost aus Ähren, Winden, Tieren, Sanden:
Durchgottungsstrom und Nu-Husch ohne Hämen.
Ein Sehnsuchts-X aus solchen Unbekannten,
die wir nicht fassen könnten, wenn sie kämen
und in Vollendungsahnen ein uns bannten.
Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten (NEXBISO)/
vin rouge et le sage d’enfance* (4)/Gott IV (481)39
Heut werd ich eine Flasche Roten trinken.
Aus meiner Heimat oder Frankreich einen.
An diesem Abend mir die Welt verneinen,
in Rausch und Sorgenfreiheit zu versinken.
Heut will ich freundlich meinem Los zuwinken.
Will seine Ramschverwicklung nicht beweinen.
Ergehen mich in geistfiktiven Hainen.
Entsprechend werd ich meine Seele zinken.
Zumal ich weiß, ich kann mir das erlauben.
Wacht schattenlos doch über mich der Weise:
Der Gott der Kindheit, der mir reichte Trauben,
erregte Windgeflüster, hob auf Gleise.
Nichts könnte je mich seiner Obhut rauben,
in Frühen träumend seiner Seins-Geheiße.
*Ü: Rotwein und der Weise aus der Kindheit
Gott III/Vollendung (482)/Für Sigmund Freud 40/
Vergleiche (21/1287)/Anmerkung
Wer einen Lebenszweck,
wer Halt, gar Sinn erstrebt,
der ist auf Gott verwiesen,
diese Geistfiktion:
Denn der allein
kann jene schenken;
er ganz allein kann
uns Vollkommenheit
ausgießen,
kann retten
dieses ganz Sein
aus Nichtigkeit,
Gewalt und Fron.
Intellektuelle Skiamachie* (483)41
Möchte wissen,
worüber ich
noch schreiben
könnte.
Alles fort.
Natur.
Gott.
Geist.
Ideen.
Selbst.
Person.
Liebe.
Und mit ihnen
jedwede Wirklichkeit.
Eingelassen
in ein bloßes Pseudo-Ich,
vergeude ich so stündlich
den Rest
meiner intellektuellen Kräfte,
befangen
in einem aussichtslosen Kampf
gegen eine allmächtige
Verwahrlosungs-Beliebigkeit.
*Skiamachie griech.: „Schattenkampf“
Doppelwesen homo sapiens/Sonett (484)42
Wozu, das frag ich mich, noch weitermachen
in dieser Welt der dauerdestruktiven
Enthemmungsgleisnerei nach Höchsttarifen,
im Bann von Daten und von Psychen-Lachen?
Von Halt- und Sinn-Verlusten und von flachen
Entwirklichungsgelüsten der lasziven
Verbraucher, ausgesetzt der ichpassiven
Entwürdigungsmagie, sie gleichend Sachen.
Weil es mich fasziniert, still zuzusehen,
wie diese Art ist in sich selbst verloren.
An ihrer Hirnmacht muss zugrunde gehen,
weil die ist Kreatürlichkeit verschworen,
um, dieser dienend, sie zu überhöhen:
Ein Zwangsprozess, durch Zufall auserkoren.
Ausgeliefert I (485)43
Einzelne Wörter
monoman auf ein Blatt kritzelnd,
zerre ich mich fort.
Ekelgetrieben resigniert,
ja: aggressiv verzweifelt.
Und völlig hoffnungslos,
aus diesem sprachlosen
Beliebigkeitsverhängnis
dauerdiktierender Reizhinterhalte,
Polit-Machenschaften
und zyklischer Barbarei
je auch nur traumstichig
Wirklichkeit delirierend,
herausfinden zu können.
Prosafetzen (204) (486)44
Hat man erst einmal die durch technische Gerätschaften,
Zeitgeistdionysien und Tugendrabulistik
nahezu beliebig steuerbaren Standardsubjekte
und ihre wortarm fabulierenden Leerformelexponenten
lange genug beobachtet und endlichbegriffen
- beide sind essenzirrationale, hochkulturell unbehauste,
geistig verwaiste Alltags-Gaukler -
dann tut man gut daran
- im wohlverstandenen Selbstinteresse -,
für ihre Demokratie,
mit welch rabulistisch-haarspalterischen Argumenten auch immer, einzutreten,
mimend dabei ihren pathetischen Ernst
sich selbst glorifizierender Entwürdigungsvirtuosen.
Wären die doch schlechterdings unfähig,
brächen Wohlstand und ihre politmessianischen Kartenhäuser
erst einmal zusammen,
auch nur ansatzweise ihrer Werttrunkenheit
gerecht zu werden.
Indes auch ihrer Dekadenz so zu steuern,
dass sie der dann ausbrechenden Barbarei,
Realitätssinn verschworen,
sich zu erwehren in der Lage wären.
So sehe ich es, so werde ich es also halten.
Bis zu meinem Ende.
Danach gelte, was dann definitiv wird gelten müssen:
Entweder erbarmt sich unserer irgendein Gott
- indes warum und welcher? -
oder wir werden uns,
uns selbst völlig hilflos ausgeliefert,
offen fasziniert von unserer Bestialität,
das antun,
was nur Menschen sich antun können ….
Prosafetzen (33) (487)45
Sollte irgendeine Zuweisung von Schuld,
egal ob
ontologischer,
existenzieller
oder gar metaphysischer Art,
auch nur ahnungsweise
aus sich heraus gerechtfertigt sein,
dann nur,
wenn’s gelänge zu zeigen,
dass wir Schuld zu tragen
fähig wären,
evolutionär privilegiert,
das, was sie auslöst,
zu vermeiden.
Das aber
sind wir
nicht.
Keiner kann sich übernehmen.
Keiner ist Herr seiner selbst.
Keinem kam
Freiheit des Willens
je zu.
Atomgefüge-Spielball (488)46
Verflochten einem Dauerfluss
von Propaganda und von Emotionen,
von Reizen und von Zumutungen,
treibt man,
Verlockungszwängen ausgesetzt,
durch hochabstrakte Sphären doch
von einen lenkenden Besagungswogen.
Sich seiner selbst benommen,
hilflos auch verfügt
der Dauergängelei der Daseinsmühlen,
gefangen in medialem Ungefähr
von sybillinischer Entmündigung
und drastisch dumpfen Selbstverlusten.
Atomgefüge-Spielball einer Ratio-Orgie.
Prosafetzen (394)/Für … (489)47
Allein deinetwegen,
erlösender Körper,
hat sich
das Alles
gelohnt;
so will es
gedeutet wissen
meine verdrehungsvirtuose
Phantasie.
Ausgepicht genug,
ihren Illusionen
die Herrschaft
über Realität
und Wirklichkeit
fraglos
einzuräumen.
Entkommen (490)48
Ich habe nicht mehr viele Jahre.
Indes sein Gutes hat das freilich auch:
Geht’s doch zu Ende mit dem Reich der Ware.
Wie überhaupt mit diesem Schall und Rauch
kapitalistischer Magie.
Verbraucherparadiesen, Mengen, Sausen
zu zähmen Standard-Lüste, die
sich Psychen als Verfall ein hausen.
Und komme ich - wahrscheinlich - noch davon,
bleibt mir die Barbarei erspart,
die sofort losbricht, wenn der Wohlstandsmohn
Verlierer nicht mehr vor sich selbst bewahrt.
Über das Machen von Sonetten:
Gegenweltschöpfung in Sonetten/Sonett (491)49
Als ob da etwas zöge! Mehr noch: Zwänge!
Das Hirn ist auf Sonette eingestellt.
Schon längst bevor die Hand das Schreibzeug hält,
formieren sich die Zeilen im Gedränge
der neuronal diffusen Ausdrucksmenge
in Rhythmus, Emotion, Bedeutungsfeld.
Oft ist es schon die erste, die enthält
die substantiellen Sinn- und Geist-Anklänge.
Da gräbt sich was in kulturelle Leeren:
Die Diktatur von Gier verfügten Massen ...
Gesollte Lust als nachgeahmtes Zehren,
um nur noch Mittel dann als Zweck zu fassen
im agonalen Lauf um Glücksschimären.
D a s will aus mir sich ins Sonett entlassen.
Ein Tag wie jeder andere (492)50
Geschwätz.
Verbindlichkeitstheater.
Personalmanipulation.
Zahlen.
Langeweile.
Alltagskampf
gegen chronisch
mich angehende
Werttrunkene.
Entlastungsversuche.
Verdrängungsroutine.
Unterdrückung von Wut,
Ärger und Behelfsgeilheit.
Ein Tag
wie jeder
andere.
Diese Welt (493)51
Zu vergleichen die Gedichte (18/1066) und (33/1987)
Weder die beste, noch nur schlechte.
Die Welt wie wir sie machten eben:
Viel Gesindel und kaum Gerechte.
Und jeder trägt sein eignes Bündel,
will feiern sich auf jedem Feste
als bespielhaft für alles Streben.
Verführt dazu von Ichsucht doch,
von Geld, von Lüsten, Geltungswahn,
bedrückt von Korruption und Schwindel.
Sich mogelnd durch dies fade Joch.
Eingeständnis I (494)52
Dass ich’s zu streng,
ja: viel zu hart,
tatsächlich
unnachgiebig sehe;
kurzum: zu eng,
fast mitleidlos …
das will ich
gerne eingestehen.
Indes nur so
kann’s funktionieren:
Wenn man sich selbst
an die Kandare nimmt.
Auf dass das Ganze
mag florieren,
weil jeder auch
für es noch glimmt.
Und nicht für sich nur.
Das geht schief;
wird irgendwann
zur Diktatur.
Bis endlich alles
aus dem Ruder lief,
wird allen zur Tortur,
am Ende gar zum Pöbel-Bann.
Lücken-Poesie (495)53
Was mach ich nur
mit dieser Lücke hier?
Am besten ist,
ich fülle sie.
Ich kann sie
nicht verkleinern bloß,
weil ich sie brauche
lückenlos.
Es gilt mithin,
sie auszufüllen.
Nur das macht
lückenlogisch Sinn.
So mach ich es:
Ich schließe sie
- ihr seinsgemäß -
mit Glattstrich-Poesie.
Diese Sonette (496)/Sonett 54
Sie gönnen keine Form von Emotionszufuhren,
sind vielmehr illusionslos redliche Sonette,
die zeigen sollen die gesellschaftliche Kette
um meine subjektiven Existenzkonturen.
Ich denke etwa an die ideellen Suren
der guten Seelen jener mahnenden Stafette,
die gern für sich entschiede ihre deutsche Wette,
dass man sich habe tugendrein geprägt zu spuren.
Mir geht’s indes primär um Spätzeitillusionen,
um Lebenslügen, Phrasen von Politstrategen,
die machtschier kapern wollen meine Psychen-Zonen,
um dann mit Wohlstand mich und Freiheit zu belohnen,
kurzum: mit Gütern, hehrer als ein Geistes-Segen,
an dem allein mir freilich ist zuletzt gelegen.
Gedichte machen I (497)55
Ich hab sie alle
nur für mich gemacht.
Ganz auf mich selbst doch
stets verwiesen.
In dieser Lärm-Welt
kommandierter Ich-Andacht.
Um ihrem Terror
mich nicht auszugießen …
Nicht völlig haltlos
zu zerfließen:
Mich auch zu stellen
Einsichtsmacht.
Unsre Orgie/Sonett (498)56
Ich fasse unsre Orgie in Sonetten.
Zum Beispiel Gaunerei und Niedertracht.
Dann cool-narzisstisch überhöhte Pracht
und Freiheitstrug … je enger sind die Ketten.
Auch müssen wir uns in Fiktionen betten,
in auswegloses Weltgeschehn verbracht:
In diese massenelitäre Schlacht,
in der Verlierer auf Phantasmen wetten.
Doch muss ich, uns verteidigend, betonen
den absoluten Wert für uns des Ich.
Das müssen wir als Körperding belohnen.
Meint es doch Zwang und Schmerz und Gier und Stich.
Weit mehr als nur Abstraktum von Neuronen:
Ein Truggebilde, das der Stoff ausblich.
Nutzlose Geistgefüge/Sonett (499)57
Ein Fünftel etwa konnte ich bewahren
von allen meinen düsteren Sonetten.
Die’s mir zum Glück erlaubten, mich zu betten
in Geistgefügen statt in Schund von Waren.
Die andere indes als Gut erfahren,
als ob erlösende Gewalt sie hätten,
die Menschen sehnsuchtsmatt an sich zu ketten …
Uns alle letztlich als Verbraucherscharen.
Wer also sollte denn Sonette brauchen?
Um welchen Vorteil sich durch sie zu schaffen?
Gebilde, die von Widersprüchen hauchen,
und völlig nutzlos sind, wenn’s geht ums Raffen.
Uns hinderten gar, vor uns abzutauchen,
sodass wir müssten uns direkt angaffen.
Alltag und Sonette-Produktion/Sonett (500)58
Was sollen die Sonette denn besagen?
Nun ja. Das Ziel ist, überhaupt zu schreiben.
Um so verschont von mir und Welt zu bleiben.
Zumal auch meinen routiniert stupiden Tagen
von Schreibtisch-, Telefon- und Tugend-Plagen.
Muss ich mich diesen doch für Geld aufreiben.
Und so mich manchmal selber hintertreiben.
Indes das muss ich nicht empört beklagen.
Zumal doch keiner derer, die nur siegen.
Nur Angestellter. Doch gibt’s nichts zu jammern.
Denn: Schon nach Feierabend darf ich fügen
Sonette, die mein Schicksal dann umklammern,
es in Begriff und Einsichtshelle biegen.
Sogar die Schatten in den Wesenskammern.
Psyche und Markt/Sonett (501)59
Was mache ich denn hier so deprimiert?
Nun Dinge, die berauschten, doch wohl kaum.
Nur ein Sonett. Entlockt sozialem Schaum.
Es geht mir darum, dass es Markt seziert.
Was er aus Psyche macht, die sich verliert,
wenn er ihr überwirft Verblendungszaum
und sie dann lockt in schieren Spaßschundtraum.
Gelingt ihm das, ist sie ihm präpariert:
Sie wird gezogen in Verwahrlosungen,
verführt zu Syntaxkrüppeln, die verflachen;
gefangen in medialen Emotionen.
Und ist erst vollends sie ihm dann gedungen,
verwandelt er System sie an und Sachen:
Macht sie zum Kind von Star- und Reiz-Ikonen.
Keine Absicht zu verbessern … sei’s wen, sei’s was (502)60
So viele Sauereien,
wie sie die biosoziale Ananke*
uns aufdrängt,
könnten Gedichte
gar nicht wettmachen.
Doch das
sollen sie auch nicht.
Ich jedenfalls
schreibe meine nicht,
um die Welt
oder gar mich selbst,
moralisch oder sonstwie
zu bessern.
Das wäre naiv,
anmaßend.
Und zuletzt gar wohl
typisch deutsch-tugendnaiv:
subtil verantwortungslos.
*Ananke griech.: Göttin der Notwendigkeit:
Zwang, Schicksal, Verhängnis
Aussichtslos I/Sonett (503)61
Mir ist’s egal zuletzt, ob jemand läse,
was mich da umtrieb am sozialen Rande.
Was ich in schwierige Sonette bannte.
Auch dass es psychisch mich nicht ganz auffräße.
Ich hülle ein mich in das mir gemäße
Gespür, das Fakten aufdeckt als brisante
Verkümmerungen dieser Wohlstandsschande:
Verwahrlosung verwobner roher Späße.
Alternativen freilich gibt es keine
zu dieser Farce, die uns ganz streng verpuppte
in ihrem Leerlauf flacher Stümpereien.
Man stolpert (a) durch diesen ganz alleine,
weiß (b) um die im Kern doch hochkorrupte
Pleonexie (c) ohne Geistesweihen.
Selbstzweck (504)62
Wenn Gedichte machen
irgend wozu Mittel wäre,
ich ließe sofort davon ab.
Denn Selbstzweck gibt es nur
außerhalb der Sphäre
utilitaristisch-kreatürlicher
Bedürfniskreisläufe.
Also außerhalb von
Kapitalismus, Technik
und Naturwissenschaften,
Machtniedertracht
und dem immer
heteronomen Horden-Trab.
Orientierungs-, Einführungs-Sonett:
Radikale Sichtung (505)63
Es ist nicht leicht, so ein Sonett zu schreiben.
Muss es Affekt doch an Begriffe binden.
Die bloße Form soll in Verstand sich gründen,
indes das Wort in Sinnmagie sich treiben.
Und doch muss es als Ganzes Einheit bleiben.
Vielleicht auch deshalb ist es am Verschwinden.
Wer will mit Gegensätzen sich noch schinden?
Es lohnt nicht mehr, sich geistig aufzureiben.
Für mich ja schon. Denn ein Sonett zu machen,
in dem sich dann die Widersprüche spiegeln
der subjektiven Flausen und der Sachen,
die sich mit Hybris, Wahn und Trug versiegeln,
sich zu enthemmen dann als Psychen-Lachen,
heißt auch, sich selber unverstellt entriegeln.
Redlichkeit V (506)64/Vergleiche: (6/375), (6/376), (6/377), (6/378) und (37/2200)
Auf was denn, bitte,
soll ich insistieren?
Auf welche Freiheit?
Welche Würde?
Auf welch
vernünftige Person?
Das wär so lächerlich
wie einsichtslos.
Und aller
Redlichkeit zuwider.
Bin ich doch
Standardsubjekt,
ausgeworfen
von dieser
gleichungstoten
Krüppelwelt.
Totalitär und roh
und kalt und flach
und kultbombastisch
destruktiv.
Der unaufhaltsame Niedergang hochkulturell begründeter Selbstverfügung/2 Sonette (507/507a)65
Warum nur schreibe ich denn noch Sonette?
Um geistig fasziniert herauszufinden,
was überhaupt noch könnte einen binden
an Wertverpflichtung statt Erlebniskette?
Sich zu entziehen dieser Lustzwang-Stätte,
die, Kollektivbelämmerung zu gründen,
gediegnes Glück abschaffte, um zu münden
in Spaß-Fixierung ohne Selbst-Facette?
Was kann sie denn noch bieten außer schiere
Bezogenheit auf Stoffe und Neuronen?
Auf dass man wohlstandsstier sich delektiere
an Körpermystik ohne Geisteszonen.
Am Ende sich in Schundmagie verliere,
erregungsstrack anschmachtend Ramsch-Ikonen.
*
Sonette schreibe ich, mich zu bewahren
- für ein paar Stunden wenigstens zuweilen -
vor diesen technomorphen Psychen-Feilen:
Propagandistischen Politfanfaren,
Narzissten-Stumpfsinn, Unterleibskandaren,
Verbrauchermythen, seelisch mich zu stylen
in kollektiv vollzognen Standard-Heilen,
um so mich mir auch selber zu ersparen.
Bewahren mich in schwachen Gliederungen
vertrauter Hochkultur, die sich wird lösen.
Das Selbst geht unter: Es sind ausgesungen
die metaphysisch-ideellen Größen.
Nicht fassbar mehr produktverwirrten Zungen,
begriffsarm lallend nach Effekt-Getösen.
Neinsager (508)66
Das genüge, anzudeuten,
worum’s mir am Ende geht:
Mich nicht einer Welt zu häuten,
die mich permanent erhöht,
um subtil mich auszubeuten:
mich entmündigt, ganz konkret.
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