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Diese Seite enthält 60 Gedichte, 33 Prosa-, Reim-Gedichte und 27 Sonette
Zu meinen Gedichten/Trias A 90 (71/3751)1
Manches mag sich finden,
das was taugt.
Vielleicht auch schön ist;
jedenfalls was sagt,
indem es ausnahmslos
aus Wirklichkeit sich saugt,
zugleich
den Produzenten überragt:
Sein Selbst,
das objektiv vermittelt ist,
sein Sein,
belang- und ganz bedeutungslos.
Und seine Kälte,
die auf alles pisst,
was als human gilt,
als gerecht und groß:
muss es auf Lebenslügen
letztlich sich doch gründen.
Und wär's nur eines,
das dies Ganze fasste,
ich wär zufrieden
mit dem einen.
Genug wär's mir,
wenn einmal nur verblasste
dies schale Daseinsspiel:
Doch Dauerplage
uns modernen Danaiden.
Selbstverzauberung (3752)2
Entgrenzte Stunden.
Spätabends im Büro.
Mein Alltags-Ich zerfließt.
Ich bin nur noch
mir selbst verbunden.
Nicht mehr Herr Sowieso.
Verzaubre selber mich
mit ein paar Zeilen,
verweigernd mich so
meinem Alltags-Ich.
Beschließ den Tag
und seine Langeweilen.
Den Verhältnissen abgelesen (3753)3
Wenn man sich selbst die Treue halten muss,
dann wird man heutzutage nicht weit kommen,
wird in der Regel eher sein beklommen,
weil man wird landen letztlich bei dem Schluss:
Es lohnt sich nicht, noch irgend treu zu sein,
sei’s sich, sei’s Du, sei’s irgend einem Wert.
Hier geht’s um Flexibilität, um Schein.
Verlierer ist, wer diesen nicht verehrt.
Hier gilt nur das, was einem Vorteil bringt.
Und alles andre ist hier sekundär.
Was zählt ist, dass man jenen leicht erringt,
der Rest Moral, naive Kinder-Mär.
Für Friedrich Hölderlin (71/3754)4
Als hochwirr gilt ihnen jeder,
Feind und unverfügbar
ihrem herrischen Stumpfsinn,
der,
bitter und richtungslos,
sich mit den Leeren
paart -
zeugt
zwischen Ich-Trance und Stoff-Gier
ein schwankendes Nein
zu biederem Umtrieb.
Indes ist es Ohnmacht,
die uns Verwerfliches schreibt
in Wollen und Handeln,
ist’s schiere Vergeblichkeit auch,
die zu geplantem Versagen
uns drängt,
ichbefangenem Entlastungs-Geraune.
Nebenbei bemerkt V/(3755)5
Gott ist tot. So schon Nietzsche.
Die Natur liegt im Sterben.
Das Geistige ist
gesellschaftlich irrelevant,
den allermeisten
längst unzugänglich,
ist nicht mehr erstrebenswert.
Der Mensch
entwickelte sich zurück
auf die Stufe
eines austauschbaren Spaßjägers,
eines narzisstischen Beliebigkeits-Infantilen
und eines seiner selbst
entfremdeten Pleonexie-Büttels …
Wie soll ich da noch
allgemein verständliche,
zumal substanzzgründige
Gedichte schreiben,
ist doch die kollektive Innerlichkeit
längst eine sekundär marktinszenierte …
Wie - und warum - Gedichte überhaupt noch
in Anbetracht der inneren Leere,
Verwahrlosung, Oberflächlichkeit,
Austauschbarkeit, Kälte und
emotionalen Erbärmlichkeit
einer systemkranken Neurotiker-Seele,
die sich entweder nur noch
im Konsum- und Leib-Rausch
verinnerlichter POP-Motorik
oder nach zeitgeistpervertierter
Entfesselungsaggressivität
regen und entfalten kann?
Treffen vor der Haustür (3756)6
Komm Kätzchen, komm doch endlich rein!
Ich klingle auch für dich.
Es wird schon jemand zuhause sein,
erleichtert zu empfangen dich.
Falls nicht, kannst du bei mir auch bleiben.
Fünf Treppen hoch, Etage vier.
Ich werde dir gern die Zeit vertreiben
mit was dir macht Plaisir:
Ein Napf vom Feinsten, weiche Kissen
und zartes Streicheln wie du’s willst.
Ganz deinem Eigensinn beflissen,
auf dass du meine Sehnsucht stillst.
Die Sehnsucht, die auf dich sich richtet,
macht mich zu deinem Knecht.
Mein Dasein nämlich ist gelichtet,
wenn ich dir alles mache recht.
In allen meinen Zeilen (3757)7
Was immer ich
da deuten mag …
Ich weiß es nicht,
ich ahn es nur:
Wohl Ohnmacht,
Existenzbetrug,
Entlastungssucht
und Dasein-Leere.
Als toter Hyle
Zwangsdressur.
Vielleicht beendend
nunmehr die Misere,
die uns wohl
musste Schicksal sein:
Als technisch-intellektuelle
Ratio-Wucht.
Daseinsgefangenschaft II (3758)8
Es ist Magie,
von der wir zehren.
Und Illusionen sind es,
die uns halten.
Wir ruhn in Unbegriffnem,
das nicht schmerzt.
Ob wir die Kunst,
ob einen Gott verehren,
den Eros
oder Zweckgestalten …
Es ist Materie,
die mit uns scherzt,
die macht, dass wir
uns selbst begehren …
wir noch im
Sterben spüren
blanke Gier-Gewalten.
Momente des Selbstseins (3759)9/
Gedichte machen.
Ganz nebenbei.
Nur kleine Sachen ...
Mal eins, mal zwei.
Das rettet mir den Tag,
vertreibt mir
alle Psychen-Lachen,
Verbrauch vergessend
und Betrag.
Selbst der Büroarbeit
diffuses Vielerlei.
(II) Sonette aus dem Zyklus „Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten“ (NEXBISO) und andere, zumeist kleinere Gedichte
Selbstbetrugsweisen (3760)10
Eingepfercht dem Schwund der Jahre,
Ichsucht und Bedürfniszwängen,
ausgesetzt doch bis zur Bahre
eignen wie sozialen Engen,
lebt man wohlstandshörig scheinbar gut,
glaubt sich frei und selbstwertmächtig …
trotz der Widersprüche Glut,
Selbstwert leugnend … faktenträchtig.
Ich hab Ideellem nie vertraut:
Hort doch aller Selbsttäuschungen,
Not-Konstrukte, dranggebaut,
dass man werde nicht verschlungen
von der Leeren Eitelkeiten,
Mären und Entlastungsdrogen,
Nihilismus zu entgleiten,
lebenslang doch von ihm aufgesogen.
Überaffe (3761)11/Sonett
Dass infantil sind meine Invektiven
gegen der Warenparadiese Macht
und, Einsicht treu, auch gar nicht angebracht.
Das weiß ich selbst: In unsern Wesenstiefen
sind doch gegeben jener Direktiven:
Pleonexie, Gewalt und Lustandacht.
Und auch der Angstgram vor der letzten Schlacht:
Aus der dann Leere wird allein uns hieven.
Und dennoch raunen manchmal so Gefühle,
man könne jene auch ironisch lenken:
Nicht so verbissen, dass man ständig wühle
in allen Winkeln nach Erhöhungstränken:
Sex, Mammon, Geltung … jedem Glanz der Hyle.
Um eine Stunde sich sich selbst zu schenken.
Augenblicksaufnahme (3762)12
Mein Profanierungstrieb ist kaum zu zähmen,
anarchisch meine Lust,
die Welt als ganze anzuhämen
als plutokratisches Sing-Sing:
Als Phrasenkosmos, als Entrückungs-Maß,
das allen in die Seelchen singt,
sich vollzusaugen mit Medial-Lachgas,
um, angenehmer Despotie verdingt,
zu weiten noch sich diese Sphären
von Hully Gully, Unfreiheit und Sex,
in diesen magisch dann sich zu verzehren
gemäß der Hyle probra lex*
*der Hyle probra lex: Der Materie entehrendes, schändliches Gesetz
Faktisch (3763)13
Ich ahne, mehr noch: Weiß nur allzu gut:
Er wär umsonst mein geistiger Protest.
Wogegen? Dass man als Person
sich selbst verrät, im Stich sich lässt:
Als ob’s gehöre schon zum guten Ton,
dass schweigen sollten Scham
und Einsichts-Glut.
Beim Durchschnitt oben,
Durchschnitt unten,
genauso dem in Kern und Mitte.
Längst wird der anonym
doch eingewoben,
wird, kaum noch merklich,
streng gebunden,
zu ignorieren jede feine Sitte,
um marktkonform sich auszutoben.
Wissend geworden (3764)14
Hab immer wissen wollen,
worum's geht.
Jetzt weiß ich es:
Es geht um nichts.
Uns ist kein Sinn
in unser Sein gesät:
Es ist nicht Schöpfung
eines Geistes-Lichts.
Tatsächlich ist es all-konkret:
Bedürfnis-, Trieb-,
Vollzugs-Trug-Schmiere:
Gewaltakt eines Trance-Gewichts.
Monoman (3765)15
Ich weiß es wohl: Ich bin geradezu besessen
von dieser Welt der Auflösungen,
der Wirren, Lebenslügen, anonymen Brüche,
des Nihilismus und der Niedergänge.
Von dieser Welt, sich suhlend in Exzessen,
sich, schieres Kunstgebilde, selbst gedungen,
ein Ratio-Reich abstrakter Machtsucht-Schliche
und nicht mehr meisterbarer Zwänge.
Und diese Welt hält mich gefangen
bis in die tiefsten Wesens-Kerne.
Ich greife sie nur noch durch Geistes-Zangen:
In Einsamkeit und stiller Daseins-Ferne.
Neurotisch, krank, zutiefst zerrissen.
Tatsächlich monoman von ihr verworren …
Und fasziniert davon, sie als Verfall zu wissen:
Determiniertes sich Verdorren.
Abend-Hilflosigkeiten (3766)16
Ich spitze Bleistifte.
Aus Langeweile auch.
Abends, gegen 19.30 Uhr
an meinem Schreibtisch.
An dies und das denke ich
wie man’s so tut,
wenn einen Müdigkeit
und Leere packten.
In Wahrheit fühle ich
nicht einmal Langeweile;
auch Leere eigentlich nicht.
Die Müdigkeit schon eher.
Ich erfahre nur drastisch
ein paar Augenblicke
strikter Vergeblichkeit
und stechenden Alleinseins,
deren Bedeutungen,
aus mir heraus tretend,
verzerrungs- und
verdrängungs-resistent
sich meiner Hilflosigkeit
kommandierend bemächtigen.
Gesellschaftsgefährdende Wirklichkeitsverluste und
Anomisierungsprozesse (3767)17
Die Verwendung von Entrüstungs-, Empörungs- und Betroffenheitsadjektiven hat sprunghaft zugenommen.
Das Phänomen ist Teil einer Gesinnungs-,
Emotionalisierungs- und Selbstreklame-Strategie geworden; nicht nur im politischen Diskurs. Die betroffenheitshysterisierten Leerformelvirtuosen sind allgegenwärtig: in Parteien, in Universitäten, in Talkshows, in Nachrichtensendungen, in Teilen der Presse, in der Öffentlichkeit ... mit ihren Tugendmahnungen, Irritationen, Betroffenheitsbedrückungen abhebend auf moralische Selbstwerterhöhung und machtstrategisch nützliche Selbstbweihräucherungen. Andrerseits nahmen sittliche Verwahrlosung, geistige Verkommmenheit, Betrügereien, Tricksertum und Vergaunerung in ebenfalls signifikanter Weise zu ... sind im gesellschaftlichen Alltag gleichsam zur Normalität geworden. Wobei Gewissenlosigkeit und die einheitsmotorisch-hedonistisch entfesselte Ablenkung von narzisstischer Erbärmlichkeit sehr treffend den biederen
Verfallszustand einer Gesellschaft widerspiegeln, die verlogen, haltlos, intellektuell verkümmert, ohne Einheit, inhuman, oberflächlich, seelenkalt, schundlüstern und neurotisch ist: ihrer selbst nicht mehr mächtig, darauf angewiesen, sich ihre Niederträchtigkeit als Systemfarce gegenseitig reflexionsarm, verdächtigungserpicht und wortempfindlich-werthörig zu verbergen.
*
Die Innenwelten müssen doch zerfallen:
Ihr Selbst verlieren sich in Traumweltwogen.
Muss es doch Markt und Zeitgeist zu Gefallen
sich Kern sein: unterdrückt verbogen.
Es fehlen deshalb auch die Geistesmittel,
sich selbstabständig zu begreifen
als umsatzfördernder Erlebnisbüttel,
den Spaß und Zeitgeistmacht zurecht sich schleifen.
Ihn machen ängstlich und verworren:
Orientierungslos in einer Welt,
die ihn lässt als Person verdorren:
sich ihn als Leibknecht hält.
Wir müssen wohl uns Schöpfer sein (3768)18/Sonett
Die meisten würden ziemlich scharf mir widersprechen,
wenn sie von meinen Zweifeln und Bedenken wüssten:
Was unsre Spezies angeht, ihr Art und Weise,
ihr Lebensziel allein in Wohlstand zu erblicken.
Na ja, ich fürchte, dass wir könnten uns verzechen,
wir immer mehr dann immer öfter fragen müssten,
wohin denn letztlich gehen solle unsre Reise:
In eine Welt, die könnte uns einst nicht mehr glücken?
Derlei Bedenken geben indes nicht viel her.
Darf mir’s egal doch sein, was wir an Zukunft haben:
Dies wägend, mach ich mir nur selbst das Leben schwer.
Zumal’s so scheint, als müssten wir uns untergraben,
grad weil wir uns doch übertreffen mehr und mehr:
Determiniert durch unsre rationalen Gaben.
Der alte Mann II (71/3769)19
Zu vergleichen (74/4005)
Der alte Mann ist nicht mehr da.
Ich meine jenen von der Haltestelle.
Er hat wohl hinter sich die kleine Menschen-Hölle
von hektischem Verwahrlosungs-Blabla.
Er wird mir fehlen, denn ich mochte ihn.
Er war so was wie eine Seins-Konstante
wie’s mir im Lauf der Zeiten schien,
die winkend mir nur Lächeln kannte.
Und sicher wird kein andrer kommen,
mir jenen langsam zu ersetzen.
Und das, das macht mich traurig und beklommen.
Jetzt wird auch hier nur vorbei noch hetzen.
Konsumtives Glück/Sonett (71/3770)20
Hab’s immer sehen müssen, wie es ist:
Dies Wirklichkeitsverlust verfallne Leben;
ein marktgelenktes, das sich selbst auffrisst;
und das, um in gekauftem Glück zu beben:
In konsumtivem von nur kurzer Frist.
Im Grunde doch ein ziemlich leeres Streben,
da doch entfaltet rationaler List:
In ihm nur stets sich selbst sich hinzugeben.
Und das, das soll man doch, um sich zu schützen,
indem man, Lust verschrieben, Wohlstand schafft,
der allen soll als Daseinsbasis nützen.
Sich zu ergattern auch Erlösungskraft:
Erlebnisstränge, die als Sinn aufblitzen
in schierer Einsamkeit als Ichsucht-Haft.
Sich zweck-, halt- und sinnlos überantwortet (3771)21
Ich werde mal gewesen sein
als völlig unbedeutendes Bewusstseins-Körper-Ding,
im Kern für mich ein Leben lang allein:
ein X, das an Phantasmen hing:
An Existenzvollzügen, selbst mich zu bestehen
je nach den objektiven Lagen,
die man in Trance als Farcen muss begehen,
um nicht luzide zu versagen.
Es wäre schlimm, wenn es kein Ende gäbe:
Denn das allein ist schon ein Trost,
dass man nicht ewig als sein eigner Sklave lebe,
sich doch als solcher hingelost.
Die nicht mehr meisterbare Lage (3772)22/Sonett
Aus allen Halten schroff herausgerissen:
Aus Traditionen, Selbstverständlichkeiten,
dem Glauben auch an eines Gottes Walten,
zurückgeworfen so auf Stoff-Bestände*,
ist es kein Wunder, dass wir uns vermissen,
an Einsamkeit und Selbstverlusten leiden,
zumal verkümmern angesichts der kalten
entfesselungsbanalen Diesseits-Brände.
Das Glück ist fort, der Eros, Heiterkeit.
Im Grunde alles, uns noch zu bewahren
vor psychoethischer Verworrenheit,
Verwahrlosung und Dekadenz-Gebaren ...
Uns Ichsucht-Mob, der, ohne Sinn-Geleit,
sich mit verdrängten Leeren kann nur paaren.
*Stoffbestände: Körper, Waren, Geld, Dinge überhaupt ...
6 Sonette
(1) Formal-Persönlichkeit (3773)23
Die Psyche als Funktion der Geldwirtschaft
bedarf der Chance, sich mystisch zu verklären
durch Kultprodukte, die den Selbstwert mehren
Was Überlegenheit nach unten schafft.
Vereinzelte durch jener Prägekraft,
gezwungen, den Systemzwang zu begehren,
versäumen wir uns selbst im Ungefähren
von Freiheitsdelirieren: Markt vergafft.
Und niemand kann sich dem Prozess entziehen.
Er wird als Selbstverständlichkeit erfahren.
Man merkt gar nicht, dass man sich ist geliehen.
Formalpersönlichkeit in Traumgebaren.
Nur so noch mag den Schmerz der Einsicht fliehen:
Dass man sich unverfügt nur kann bewahren.
(2) Systemgewalten (3774)24
Mir geht es nicht um sachlich obsolete
Subjektphantasmen, die zu Hybris führen.
Dass wir für Freiheit würden alle frieren.
Als ob uns die, was wir begehren, böte:
Gepackt von Spannung, Spaß und Stargerede,
uns Marktkommandos willig zu verlieren.
und dabei permanent auch zu zensieren:
In Glück uns umzuträumen das Konkrete.
Was flüstern denn die kollektiven Takte,
Systemgewalten, die uns aus sich richten;
wie Gleichung, Technikfortschritt und das nackte,
entgleiste ökonomische Gewichten
im Zwangsrausch rationaler Großhirnakte?
Dass wir uns werden - schuldlos - wohl vernichten.
(3) Scheinverfügungskompetenz (3775)25
Wir können uns doch gar nicht übernehmen.
Da chronisch ausgeliefert Perspektiven.
Und das bedeutet: Viel zu primitiven
Bedarfsfiktionen, es uns zu verbrämen,
dass wir, entlastungssüchtig, selbst uns lähmen,
ja müssen. Um komplexe Umstandsschiefen
(die stets uns doch aus Halt und Ruder liefen)
durch Scheinverfügungskompetenz zu zähmen.
Kann dann wer schuld sein? Hätte können tragen
Vernunft, die doch des Menschen Wesen bilde?
Es ist begreiflich, so naiv zu fragen.
Was gäbe sonst es denn, was uns verhüllte
Determinismus, Hirnsucht und Verzagen? –
Entborgen Gaias letheträger Milde.
(4) Behelfseindrücke (3776)26
So sei es angedeutet, unser Wesen:
Vor dem wir alle uns doch beugen müssen:
Da ist der Zwang, sein eignes Ich zu hissen.
Und trotzdem sich in andern stets zu lesen.
In deren Tun ein Selbstbild sich zu fräsen,
Betrug und Überhöhungssucht beflissen.
Zumal wir uns als Konkurrenten wissen,
Gewohnheitstäuscher und Sozialsynthesen.
Wir spüren, dass wir dieses Selbst nicht fassen.
Das unsre nicht. Nicht das der Artgenossen.
Verwiesen darauf, uns aus ahnungsblassen
Behelfseindrücken, von uns mitgegossen,
ein fremdes Ich uns wertend anzupassen,
uns immer fremd entzweit und stumm verschlossen.
(5) Anonyme Gewaltspirale (3777)27
Warum denn immer mehr dasselbe denken,
das Gleiche wollen und identisch fühlen?
Das ist Ergebnis rationaler Kühlen,
die, Gleichungsmacht entströmt, die Psychen lenken.
Sie kommandierend an den Hauptgelenken:
Durch Dauerangebot von Spaß und Spielen,
Effektmagien und Routinemühlen
und dadurch, sie Erleben einzusenken.
Indes die Wirtschaft muss Verstand ausbeuten.
Muss sichern Urlaub, Wohlstand und Randale.
Denn wenn die Menschen diesen sich vergeuden,
zerschlagen sie auch nicht die dünne Schale
der Wertgefüge, die als Glück ausdeuten,
was substantiell doch ist Gewaltspirale.
(6) Routine-Emotionen (3778)28
Warum denn immer mehr dasselbe denken,
das Gleiche wollen und identisch fühlen?
Das ist Ergebnis rationaler Kühlen,
die konsumtiv geprägte Psychen lenken
nach dem Gebot, sich selber zu beschenken.
Man nutzt das Angebot an Spaß und Spielen,
Effektmagien und Berauschungszielen …
Routine-Emotion sich einzusenken.
Nun: Wohlstandssicherung ist drauf verwiesen,
das Kindliche der Menschen auszubeuten.
Sie dazu anzuhalten, zu zerfließen
in solchen Glücken und in solchen Freuden,
die sie als Daseinszwecke dann begrüßen
und sich als Gral der Höchsten Güter deuten.
Der Markt als Kirche (3779)29
Was du bist, bleibt dir verborgen.
Was du willst, begreifst du nicht.
Auch der Urquell deiner Sorgen
ist entzogen deiner Sicht.
Er, so eng mit dir verbunden,
dass er Abstand dir verweigert.
Ablenkt dich von Psychen-Schrunden.
Grade so sie steigert.
Markt er, neue Kirche dir,
die dich frei macht von Geboten.
Dass dir Irrealität sei Zier.
Dir, dem Bit-Heloten*.
Prägt dir psychische Konturen,
die du als Thorá* erflehst.
Numinose Hirndressuren,
denen du vergehst.
Marktgeschehen als sakrales:
Gottesdienst und Seelenpflege.
Trance-Erleben eines Mahles
und Erlösungs-Hege.
*Helot = Spartanischer Staatssklave
*Thora = die 5 Bücher Mose/"Lehre"
Unschuldige (3780)30
Und sollten wir tatsächlich uns vernichten,
dann wär’s nicht Geistes-Sehnsucht, die uns zöge.
Uns müssen wir doch so gewichten:
Als Hyle-Brüche ohne Gottes-Hege.
Und lernen: Jeder ist auf sich allein bezogen;
hat Angst um sich; die lässt ihn innehalten.
Orientierungslosigkeit dann heute eingebogen:
Systemgefangener auf Großhirn-Halden.
Und so denn muss sich jeder profanieren;
schon weil er Ziel-Ich ist von Dauerreizen.
Sich Trost-Schund klaubend aus Enthemmungsschwüren
und Kult-Ekstasen aus den Wohlstands-Beizen.
Wären ihm also ernstlich zuzumuten
Autonomie, Verantwortung, Vernunftgebaren?
Die strichen eher ihn als strenge Ruten …
Wie soll er da sich als Person bewahren?
Wir werden wenn, dann ungeplant zugrunde gehen:
Begriff- und schuldlos, ohne Wissen,
dass wir vor einem Abgrund stehen,
verwirrt und ahnungslos vor diesen hingerissen.
Tatsächlich ziehen wir notwendig eine Bahn,
die uns in ein Fiasko durch uns selbst wird leiten:
Wir laufen nämlich ab in einem Wesens-Wahn
von Rationalität, die, selbst Magie, lässt jedes Ich sich selbst entgleiten.
Niedergang (3781)31
Es kommt, wie’s scheint,
die 4. BRD*:
die wohlstandsarme,
ökonomisch abgehängte.
Nun ja: die dritte
war sich selber Feind,
gesinnungsdrastisches
Human-Gebarme,
von Tugend-Mimen*innen
an die Wand gelenkte,
megärendummfrech
Arroganz vereint.
Sehr allgemein gesprochen:
*Die 1. BRD: Nachkriegszeit/frühe 50er Jahre: Die BRD der substantiell dörflich-proletarisch geprägten Kindheit
*Die 2. BRD: Die wohlstandsreiche, doch ideologisch von Intellektuellen (sog. 68er) bekämpfte (1960er, 1970er Jahre)
*Die 3. BRD: Ab 1989: Wiedervereinigung/offenkundiger Beginn sich massierender Hybris und Arroganz der politischen Funktionselite (auch ablesbar an dem instinktlosen Verhalten gegenüber der Bevölkerung der ehemaligen DDR, die auch Opfer westlicher Hybris und Verblendung wurde): Die Anliegen der Bevölkerung sind ihr zunehmend gleichgültig/Im Westen schleichend komplexer Mentalitätswandel (z. B: vom Primat der Leistung zum Primat des Freizeit-Funs, einhergehend mit der realitätsverlustigen Gesinnungsflutung des Politischen, was z. B. 2015 zu einem massiven Staatsversagen führte: Der moralischen Gängelung geltenden Rechts, was einherging mit einem massiven Staatsversagen (August 2015), der Priorisierung des Sozialen gegenüber dem Wirtschaftlichen, der zunehmenden Wirklichkeitsverluste im Politischen bis hin zur Etablierung einer aristophanesk-ideologischen Polit-Tugend-Bewegung usw. usw.
*Die 4. BRD: Massives Versagen der wirtschlichen Funktionselite: Die Zusammenarbeit mit einer totalitären Staatspartei einhergehend mit dem Verzicht auf die eigene Autarkie/Unabhängigkeit … Eine Sottise ohnegleichen) begann schon recht früh: ca. 1980er Jahre?
*Die 5. BRD: Dominanz des Rechtsradikalismus? - Tatsache ist, dass die demokratischen Parteien - ideologisch verblendet, plump, arrogant, tugendstolz, narzisstisch, geistlos, halbbegabt-wirklichkeitsverlustig, selbstbeweihräucherungsneurotisch, kurzum: beschämend mittelmäßig, jenen förmlich mit „großgezogen“ haben … Ein massives politisches, ja: historisches Versagen!
Macht des Gedichts (3782)32
Womöglich taugt es gar nicht viel,
behandelnd nichs als wirren Kram
wie etwa subjektiv bizarre Züge.
Und dennoch trägt es,
übertreffend weit,
was sonst so all die Stunden füllt.
Auch das, was vielen gilt
als höchstes Gut.
Setzt es die Kraft doch frei
des Überschreitens seiner,
ich meine seiner
als Bedürftigkeitsmonade,
um einen, geistgeführt
in Diesseits-Überschreiten,
all-einsichtig
zu sich selbst zu führen.
Die Form der Sauerei (3783)33
Am besten scheint,
man lässt sich
einfach treiben.
Besäuft sich,
vögelt, protzt
und frisst.
Dann nimmt man zwar
die Welt nur passiv hin;
und fragt auch nicht:
Was ist denn wahr?
Na ja, das macht auch
keinen Sinn.
So wie es steht,
ist alles einerlei:
Gewissen, Ehrfurcht, Scham
sind obsolet.
Was indes wechselt noch,
ist nur die Form
der Sauerei.
Trennung und Abschied (3784)34
Wir wollen nun die Gläser heben.
Es ist, du willst es so, das letzte Mal.
Du träumst von einem selbstbestimmten Leben.
So lautet deine Wahl:
Du willst dich autonom entfalten,
dich leiten, formen, übernehmen …
Betört von dir und Suggestiv-Gewalten,
willst du Erfolg und Anerkennung
dir erstreben.
Viel Glück! Du magst erfolgreich weben,
das, was dir gilt als Daseins-Gral;
magst niemals müssen dir verbrämen,
dass Freiheit es nicht geben kann:
Autonomie ist Kapitalwelt-Märe,
ist marktdiktierter Zeitgeist-Bann,
die Selbstbestimmung
Ideologen-Schwäre,
zu ködern alle dieses Spätzeit-Man*,
sich hinzugeben Inszenierungs-Fun,
sich zu verhehlen diese Schwere,
dass Selbstverfügung niemand ist gegeben:
Es kann sich niemand selbst gestalten,
wenn müssen Habsucht-, Ich-, Genuss-
und Macht-Sucht walten.
*Das Man nach Martin Heidegger, s. Fremdwörterverzeichnis.
Zwangsgeschehen II (3785)35
Ich hab es nun mal
so gesehen
- das heißt,
ich musste es so sehn ...
genau genommen -,
dass es, medial vermittelt,
ist ein tiefabsurdes,
ein Zeitgeist-Zwangs-Geschehen.
Das hilflos macht
und ratlos und beklommen.
Man ist sich seiner selbst
benommen,
muss sich um Waren,
Reize und Effekte drehn,
so permanent sich
an sich selbst vergehn ...
als sei man
außer sich gekommen.
Muss eine hochabstrakte
Welt bestehn,
die deutungsleer ist ...
bewusstlos anonym
ihr spaßbelämmert
zu verwehn.
Alterseingebungen (3786)36
Trost ist mir,
dass alles endlich,
sinnfrei schuldlos
Nichts versinkt;
letztlich ist auch
unverständlich:
Deutungsschatten
höchtens blinkt.
Gilt für mich auch:
Stoffgefüge ...
Werd verschwinden
ohne Spur.
Los mich selbst sein,
Weltbezüge ...
Auswurf doch
von Zufall nur.
Begriffsarm dahinsiechend (3787)/37
Ich breche physisch
mehr und mehr
zusammen.
Zumal mich
drastich packt
auch Indolenz;
mir Greuel sind zumal
die Medien-Ammen,
die wollen mästen mich
mit Dekadenz:
mit Brot und Spielen,
Sex, Verbrechen,
zu dienen mir,
dem Grab-Gespielen,
als steuerndes
Verdummungszechen ...
Auf dass ich,
wortvergessen leer,
hinnehme all die
Spätzeit-Schrammen,
gar das Geschwätz
der Macht-Debilen ...
In späten Tagen
ohne Geistes-Wehr.
Warum nur wohl? (3788)38
Immer mehr
sind unzufrieden,
dauereinsam,
aggressiv,
fühlen sich
zurückgesetzt,
ungerecht
bahandelt auch.
Gelten selber sich
als Nieten,
als Gedrückte ...
und zuletzt
unbeachtet
blinder Hauch ...
Irgendwann
dann sind's Berückte
von was Rachsucht
kann da bieten,
ihnen, doch so
tief verletzt.
Anmerkungen: Man legte die folgenden 11 Gedichte völlig falsch aus, verstünde man sie als versteckte Klagen, handeln sie doch offensichtlich von mich zuweilen sehr bedrückenden Gegebenheiten, Situationen und Erfahrungen; in der Tat ... Indes: Was in den Gedichten angedeutet wird, war zugleich eine letztlich mich zu mir selbst führende, unterschichtlich geprägte, an zumeist trostlosen Fakten, alltäglichen Widersprüchen und menschlicher Kälte und Gewissenlosigkeit sich "reibende" Lebensschule, die hätte als eben diese nicht besser sein können; ich darf es so sagen: "Zum Glück habe ich so viel Pech gehabt!"
Und das ist nicht gelogen. Ohne diese Erfahrungen hätte ich wohl nie ein Gedicht geschrieben, hätte ich meine Existenz nicht primär auf das Geistige: den unbedingten Willen zu Sachlichkeit, Redlichkeit, Ideologie-, Ideal- und Tugend-Distanz, Wirklichkeits-Sinn usw. abgestellt ... Auch mir selbst gegenüber, denn: Ein in seinen eigenen Lügen, Phantasmagorien, Scheinbezügen und Inszenierungen sich fundierendes Leben ist, für mich jedenfalls, sinnlos, weil nichts weiter als eine existenzielle Schimäre.
Frühes Kirchenglockenläuten (3789)39/Sonett
Die Winde waren’s, welche Töne schoben,
mal in die Fernen, mal die blauen Nähen;
es waren Kirchenglocken, die im Wehen
mich aus Verzweiflung und Zynismus hoben.
Es war kein schönes Leben; das war’s nicht.
Viel Zittern zwischen Angst und Alkohol.
Da war kein Halt, kein Zweck; das hat mich wohl
sozial entfremdet der normalen Sicht.
Mag die auch noch so schäbig sein und fad,
so lenkt sie wenigstens auf Ziele hin:
Realität, die große Formerin
von Selbst, Gesellschaft, Innenwelt und Staat.
Dem Läuten hänge ich noch immer nach.
In ihm liegt aller Diesseitsterror brach!
Katzen (3790)40/Sonett.
Für mich bedeuten Katzen mehr als Tiere.
Ums ohne Rührung und genau zu sagen:
Sie waren mir die magischen Kuriere
aus einer Sehnsuchtswelt, die weder Haken
noch Deklassierung kannte, Angstanfälle,
von Scheitern und Entkräftung aufgerührt.
Die Katzen wurden Du-Ersatz und Quelle
von Nähe, die sich noch im Selbstkern spürt;
wie’s Menschen tun, wenn man sie mehr als hat,
ihr Wesen Selbstsuchtgrenzen übersteigt -
denn finden sie sich als Monade statt,
sind sie komplexer Perfidie verzweigt.
Mir weisen Katzen auf ein Absolutes:
Auf Liebe. Telos. Unbedingtes Gutes.
Bläuen (3791)41/Sonett
Es waren Ohnmacht, Stumpfsinn, Lethargie,
die eine ganze Kindheit täglich prägten,
Vertrauen, Lebensfreude weg mir fegten
und Mängel in die Seele brannten, die
man nicht mehr los wird, weil man selbst wird sie:
Sie bauten die Person auf und bewegten
das Innere bis in die abgelegten,
verdrängten Wesenskerne: Wahn und Vieh.
Und dennoch gab es Stunden, die entrissen
der Rohheit von verstockendem Verachten
zuweilen einen Rausch von kurzem Wissen:
Dass Ärmlichkeit sich löse im Betrachten,
sich stille das verkommene Gewissen,
wenn Bläuen bärsten Scham und Niedertrachten.
Am Rheinufer in Ludwigshafen (3792)42/Sonett
So einer dieser traurig schönen Nachmittage.
Ich lungere herum auf hitzebleichen Bänken
und atme Stadt. Die Minderwertigkeiten tränken
das Uferwasser, Schaum und Gischt und Schnakenplage.
Das Rheingeplätscher lindert meine Niederlage,
die, vordergründig aus Verschmähen und aus Kränken,
lässt Selbstmitleid sich in Gestank und Brühe senken -
Mich greift der lausige Verlust, an dem ich trage.
Und der wiegt schwerer als nur: „Dich will ich nicht sehen!“
Das Wort Verlust, das täuscht vielleicht; ich präzisiere:
Verlieren kann man gar nicht, was man doch nie hatte:
Dazugehören; ganz basal: nicht abseits stehen;
nicht immer abgekanzelt werden, weil man spüre,
ich sei nichts weiter doch als Unterschichten-Ratte.
Ablehnungszwang (3793)43/Sonett
Von den Fiktionen habe ich gezehrt,
die ich geschickt zusammen phantasierte,
indem ich tat, als ob mich was berührte,
als ob die Fakten seien umgekehrt.
Und das, das hat sich mir als Trost bewährt,
zumal real nicht eben viel passierte.
Kein Tag, an dem ich nicht ins Leere stierte,
nicht hätte andre zwanghaft abgewehrt.
Weiß nicht warum. Doch Gründe hat’s bestimmt,
dass ich seit Kindheit nur im Abseits stehe.
Ist eine Fremdheit da, die glimmt und glimmt,
als ob ein Seelenzunder sie versähe,
mit Nachdruck, gar Notwendigkeit, die trimmt
Ereignisse sofort in Gegennähe.
Kindheitskneipe (3794)44/Sonett
Der Gästeraum war eingehüllt in Schwaden
vom Qualm der aufgerauchten Zigaretten.
Es roch nach Bier, nach Schweiß und heißen Fetten,
verglühten Kohlen und Gewürzzutaten.
Die einen lachten, andre warn beladen
von Alltagssorgen, dritte schlossen Wetten,
die knutschten, vierte, sehnten sich nach Betten,
die fünften spielten an den Automaten.
Gewohnt, allabendlich mich hier zu treffen,
fiel’s niemand ein, mich, Kind noch, heim zu schicken.
Auch hinterm Ausschank nicht genervte Reffen.
Warum nicht, brauchte keiner auszudrücken,
es sei denn, einer wollte nach es äffen:
den Säufer mimend mit zerschundnem Rücken.
Kindheitskneipe/Variante zu (3794)//(3795)/45/Sonett
Im Gästeraum verteilten sich die Schwaden
vom Rauch der beißend starken Zigaretten.
Nicht einer trug ein Hemd hier mit Manschetten,
man saß in Arbeitskleidung, grob geraten.
Es schrie, es grölte, lachte, war beladen
mit Alltagssorgen wie zerrissnen Ketten
von Zugmaschinen, Kugellagerstätten.
Man gab sich Hilfestellung durch Beraten.
Man hätte mich nach Hause schicken müssen,
denn, Kind noch, durfte ich da gar nicht bleiben,
wo die Besucher rohe Witze rissen
und auch die Frauen mochten’s scharf gern treiben.
Die Grund-Botschaft? Das Leben ist beschissen.
Und die ließ dann auf Bürgertraum mich pissen.
Zielsicher treffendes Lebensgefühl (3796)46/Sonett
Ich habe solche Sehnsucht nach zuhause.
Nach was genau, ist freilich schwer zu sagen.
Es könnten Katzen sein, mein Kinderwagen,
die Friedhofsstille, eine rohe Sause,
die in der hohlen Hand bespuckte Brause,
die Volksschullehrer, Pfälzer Schwartenmagen,
ein Dorfdepp, der in seiner Mittagspause
die Frauen neckt, die dunkle Kirchenklause.
Nicht dass ich sie verdrängte, jene Dinge,
die keine Sehnsucht machen können. Keine.
Die einen vielmehr würgen in der Schlinge
präzisen Seinsgefühls, das noch so feine
Erschütterungen wahrnimmt, dass man schwinge
an Du vorbei und sich in dem verneine.
Daseins-Zwang (3797)47/Sonett
Ich muss mich in Gedichten klären.
Ich sage damit nicht: Ich will.
Als ob da Wahl und Freiheit wären,
als ob man sich, gesammelt still,
entschlösse, Ängste wegzuschieben,
Bedrückung, Leere, Apathie …
mit Zeilen, die zudem vertrieben
Orientierungslosigkeit und die
Verwerfungs-Male dieses Nepp-Daseins,
Erniedrigungen, Niederlagen,
als Zufalls-Selbst im Bann des Widerscheins
von überindividuellen Lagen.
Ich kläre so nur noch ein nacktes Ich,
heteronom bis in die Grundsubstanz,
Monade andern und Monade sich:
Monade diesem Artefakten-Kranz.
Seinsrausch Gott (3798)48/Sonett
Du Spielgefährte hoher Kindertage,
du faszinierend überzartes Nichts,
Photonenmehrer eines blauen Lichts,
das blendend einschoss meiner tristen Lage,
mich hoch riss aus dem dörflichen Gelage
des wurzelhaft bestialischen Gerichts
in Trost und Stillen deines All-Gewichts,
mich so enthob der kernverfügten Plage
tribaler Rohheit, die auf andrer Kosten
sich schadlos hielt für die Getriebenheiten
der Existenz-Kommandos Sex und Raffen,
besessen war von den Verhordungs-Posten,
die es zu steigern galt bis hin zu Pleiten
des Selbstbetrugs gewissenloser Affen.
Erklärung und Einsicht (3799)49
Was ich hier mache?
Nun: Mich selbst ausdeuten.
Weil ohne dies
ich fremd mir bliebe
und liefe also dann Gefahr,
mich selbst am Ende
auszubeuten,
verkennend mich als
Seins-Hauptsache …
Obwohl belämmert immerdar,
ein kleines Rädchen bloß
in dieser Waren-Blende
als Umsatzjäger-Phrasen-Los ….
Das bin ich: Ich,
mich zu vergeuden
an Markt und mich;
mit Haut und Haar.
Zufalls-Liebling (3800)50
Der blinden Tyche Liebling,
gebe ich mich unbekümmert
meinen geistigen Einfällen hin,
unberührt
von den Absurditäten
unserer Existenz,
die doch oft nichts weiter ist
als Entlastungs-Selbstbetrug ...
nehme ich tapfer
meine objektive Bedeutungslosigkeit hin,
einsichtig freilich,
was die unverschuldete,
indes notwendige Auto-Glorifizierung
meiner Artgenossen anbelangt:
Doch auch hilflos gebunden
an Drang, Fiktionen, Lebenslügen
und Verdrängungsvirtuosität,
diese unvermeidbaren,
oft so trostträchtigen Begleiter
menschlichen Daseins.
Größe/Trias A 82 (3801)/51
Mir rammen sich die Späten
bis tief in die Substanz.
Ich werde trotzdem niemals beten,
ich werde zu mir stehen - ganz.
Zu meinen Leeren; dass nicht frei,
wer immer auch Bedeutung habe;
er doch getriebner Spielball sei,
sich aus Magie und aus Basaldrang grabe.
Ich sehe darin eine stille Größe:
Ganz illusionslos umzugehen,
fernab von Mittelmaß-Getöse
und seinen infantilen Wohlstands-Wehen.
Diese Gedichte (3802)52
Marktkerndrastische Wortgefüge,
zwanghaft abgerungen
dieser sich selbst entlaufenen Welt,
die mein Leben so radikal bestimmt,
mich vereinnahmt und entmündigt.
Entrinnen kann ich ihr nicht.
Vielleicht indes sie mir ein wenig erhellen:
Als totalitäres Intellektgefüge,
selbstgefällig untergangssüchtig.
Eine hedonistische Monadenorgie
nihilistischer Selbstverlassenheit.
Misslungen (3803)53
Pausenlos hab ich geschrieben,
versuchte, rücksichtslos mich auszulassen.
Ein Außenseiter, radikal getrieben,
sich ohne Schminke selbst zu fassen.
Tatsächlich ist mir’s nicht gelungen.
Ich spürte sehr fein meine Widersprüche.
Und die, die flüsterten mit tausend Zungen,
dass auf ich säße dieser Schliche:
Mich vor mir selber zu verbergen.
Aus Angst, mich nicht zu schonen
vor Schwermut, Dauerschweigen und Verzwergen.
So früh doch fassbar meinen Seelen-Zonen.
Belämmerungsemanzipativ sich selbst gewissensarm vergoren (3804)
Eine Selbstaufhübschungs-Kore*
soll Weltpolitik machen:
verstehen,
mitgestalten,
erfühlen,
begreifen,
durchschauen,
diplomatisch meistern,
dem Land dienen ...
Das ist genau so,
als würde ich
in einen Müllberg kotzen
in der Hoffnung,
dass auf diesem dann bald
eine Orchidee wüchse.
*Kore griech.: Mädchen, Jungfrau, Puppe ...
Eine Faszination (3805)55
Diese Konsumdiktatur hat mich lebenslang fasziniert,
gelingt es ihr doch seit Jahrzehnten,
psychischen Verfall und geistiges Elend zu schaffen,
aus denen zugleich doch
- und, wie es scheint, notwendig -
sich alle diese Erlebnislustvarianten ergeben,
die die Individuen geradezu als Selbsterlösungen erfahren,
als Entlastungsglücke zumindest …
Offenbar unbelehrbar davon überzeugt,
oder besser: alternativlos darauf verwiesen,
dass nur ein diesseitssakraler Wohllebenshedonismus die Maße an Glück,
Befriedigung,
Prestige und Selbstintensivierungsorgiastik bieten könne,
die dann hinreichten,
das eigne Dasein als gelungen aúsdeuten zu dürfen.
Redliche Selbstausdeutung (3806)56
Ich mache mir keinerlei Illusionen:
Ich bin ein hilfloser Spielball
dieser von uns selbst heraufbeschworenen,
wohl nicht mehr steuerbaren Verhältnisse.
Bin ein radikal von deren Mächten abhängiger,
gesellschaftlich vereinzelter,
auf seine subjektiven Einfälle zurückgeworfener,
objektiv bedeutungsloser Ausdeuter einer geistig toten,
sinnentleerten, substanzverdinglichten Existenz.
Dass die meisten das anders sehen,
überrascht mich nicht.
Ist sie als solche doch, faktenkonform geurteilt,
objektiv schiere Notwendigkeit,
längst angewiesen, all das,
was jene Verhältnisse ausmacht,
also was uns verkleinert, unglücklich macht,
psychisch ruiniert,vereinzelt,
zu Lebenslügen und Realitätsverweigerungen zwingt,
zu Selbstaufgabe, Selbstverrat und Eskapismus,
zu Drogen, Verdrängungen, Beschönigungen
und Selbsterniedrigungen,
mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln
weiter zu entfalten, auszuweiten und zu optimieren:
Diesen Kortex-Hades kalkülklug-glücksunfähiger,
würdelos-narzisstischer Wohllebensschauspieler
geistig inhaltsloser Daseinsvollzüge.
Banalophile (3807)57/Vgl. (21/1276)
Verflachungslüstern sind wir allemal:
Systemgetriebne Infantile.
Verfügt Verspaßungsgier und Zahl:
erratisch taumelnd dieser Mühle.
Und die, die muss sich ständig drehen,
weil das Erlebnisproduktion erhöht,
von der wir Glück und Sinn erflehen:
Kalkül indes, der nur als Trug aufgeht.
Und dennoch lässt man sich gewähren,
sich eskapistisch aufzureiben:
Man muss sich, haltlos, ja verzehren,
weil seelisch aufrechthält solch schlichtes Treiben.
Unrealistisch (3808)58
Bin ich ganz ehrlich, muss ich eingestehen,
dass ich schon längst verloren habe
die Hoffnung, dass wir könnten unsre Wesenswehen
entschärfen durch die hohe Gabe,
uns geistig noch mal zu gewinnen,
Pleonexie zu mindern und Verzicht zu leisten,
ein bessres Leben so vielleicht uns zu ersinnen;
eins, auch zu führen für die meisten.
Ein Ideal indes. Eins von den großen.
Ein Trancegebilde rationaler Schwunde.
Und so nicht eines von den Kreaturen-Losen,
die von Erlösung geben Kunde.
Kulturelle Niedergänge: Ohne Halte, Maß und Mitte (3809)59/Sonett
Nicht dass mit Absicht ich mich gern verlöre
in Kernbesing, um herauszufinden,
was dieses Dasein heutzutage sei.
Nein umgekehrt. Da treiben Zweifel mich.
Längst nämlich höre ich zu viele Chöre,
die ihre Sicht begriffsdiffus begründen
als faktenfremdes Traumwelteinerlei.
Ich selber spüre den Zerfall des Ich.
Das gar nicht mehr in festen Werten ruht,
genau besehn, auf Reize reagiert,
Effekte, Sensationen, Stimmungswogen.
Das geistig tot ist. Nur Empörungsglut.
Und gar nicht merkt, dass es sich selbst negiert.
Entmündigungsservil Affekt verbogen.
Selbstentlarvung V (3810)60
Vergleiche (7/425), (25/1520), (30/1781), (65/3419) und
weiter das Gedicht (68/3605)
Wenn ich an das mich hielte,
was ich von uns weiß -
Dass wir nicht über uns verfügen können,
weil unvermeidlich in uns selbst zerrissen,
(schon leibbasal nur Widerspruch:
Zeit, Ausgesetztheit, Krankheit, Lustsuchtqual;
und noch als Geistesleidenschaft gezwungen,
zersetzungsradikal uns selber zu entbergen:
Der Großen Leere gegenüber machtlos stumm,
dem Rätsel unsrer selbst verfügt),
orientierungslos Fiktionen wertend,
ganz unfest Artgenossen ausgesetzt,
zuweilen knechtisch ihnen untertan,
Bedürfnisträger, die sich beugen müssen
den andern, die sie überragen wollen,
benutzen und - das ziemlich oft -
erniedrigen, weil sie das selbst erhebt …
Wir unfrei sind und immer ausgeliefert
Gegebenheiten: objektiven Lagen,
prekär auch dann noch, wenn stabil sie scheinen …
Gezwungen alle, uns hinwegzutäuschen,
dass subjektiv wir nichts bedeuten,
ein Zufallswurf des Stoffes sind,
vielleicht für Augenblicke metaphysisch,
erotisch oder schaffend-einsichtsvoll
in einer Trance von Sinn geborgen -,
ich wäre längst in Einsamkeit,
Verzweiflung, Indolenz und Zorn versunken,
der Wesensbarbarei zumal auch zugetan,
die uns doch alle ausmacht,
faszinierend destruktiv,
erlösungsträchtig gar und in den Tod verliebt;
indes Gewohnheitstäuschern,
die wir alle sind,
die meiste Zeit ganz tief verdrängt,
doch jederzeit, begehrt gar, abrufbar:
Wir sind sie nämlich substanziell …
Weit mehr als Güte, Mitleid und Agape …
Als alles, was uns dienen mag
als Großbetrug,
uns vor uns selbst zu schützen,
dem autodestruktiven Intellekt-Titan.
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