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Diese Seite enthält 64 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

La maladie allemande (379)1
(Ü: Die deutsche Krankheit)

Das Glück ist fort, 
Humor und Heiterkeit,
Erotik, Geist und Ironie.
An diesem Hechel-Ort
im Büßerkleid,
der, wohlstandsdumpf
sich selbst entgleist, 
versinkt in Banausie.
Gesinnungstrivial und reflexionsarm 
längst doch Beute,
politmessianisch eitler Leute …
narzissmusstier bespringt sein Ideal
an unbegriffner Würde Faden.
Der Staat hört auf, der Stumpfsinn blüht
(doch rechtlich garantiert in diesem Land).
Das, tugendkrank, erregt sich müht,
sich möglichst selbst zu schaden …
zu frönen geistig kruder Anomie.

An Deutschland (380)2

Scheindominierte Wirklichkeiten,
krude Tugendobsessionen …
Die dich aus dir selber leiten
in rein ideelle Zonen.
Die politisch dir entgleiten,
Selbstverlusten schaffen Kronen …

Deutschland, höre! Du bist krank;
hast dich wieder mal ergeben
bodenlos-absurdem Zank …
begriffsarm selbst dir zu entschweben.

Freilich weißt du es nicht besser;
fällst dir selbst zum Opfer - wieder mal:
Weltgeistdeuter, Seins-Vermesser,
würdelüstern klerikal.

Kultmessianisch immer blässer,
seelenlinkisch, selbstwertkahl;
leerer Phrasen schärfstes Messer …
betend an indes nur Geld und Zahl.

Das Geschenk des Geistes I (381)3

Dank ihm darf ich mir selbst entrinnen,
mich soweit von mir lösen,
dass ich nicht ausgesetzt mir selbst muss fronen: 
Sei’s Amoral, sei’s blindem Hass,
sei’s Deklassierungs- und Zerstörungswut,
sei’s auch Gewissenlosigkeit und Indolenz:
Bedauernd all die von sich Heimgesuchten:
Sich selbst zur Last und phrasensiech,
korrupt und fatalistisch infantil.

Unaufhaltsame Innenweltzertrümmerungen/
Sonett (382)4

Dass es noch Boden hätte, dieses Leben,
so was wie Sinn, Bedeutung, Geistsubstanz,
das lässt sich nicht erkennen. Noch sein Glanz
zeigt klar, es ist nichts weiter als Verschweben:
in Hedonismus und Prestige sich weben
aus Nichtigkeiten eines Drangsal-Banns
in trügerisch-mediale Relevanz …
Um fraglos seiner selbst sich zu begeben.
Fakt ist, dass Innenwelten still verdorren,
zerfallen schleichend alle Selbstbestände,
die Individuen sich inszenieren,

gewissenlos getrieben und verworren,
auf dass sich jeder gramnarzisstisch schände,
sich spaßverzückt dem Zeitgeist zu verlieren.

Einwand gegen das Sonett (382): (383)5

Es sind nicht viele in der Lage,
sich illusionslos 
ihrer Existenz zu stellen;
zumal die oftmals eher Plage,
als eine ist, 
die wäre ohne Dellen.
Zumal sie objektiv auf gar nichts ruht:
Nicht Gott, nicht Sinn
noch irgend Zwecken;
ist weiter nichts als stille Glut
von Lebenslügen,
dies uns zu verdecken:
Dass sie ist ohne jede Hut,
ist Leibdrangsal,
meint alle Tage,
den Zwang, Verfall sich zu verdecken;
vor allem die Vergeblichkeit:
die gilt’s, 
erlebnismonoman sich aufzuhellen:
Was für uns Trancewelt-Kunden 
ist das höchste Gut.

Was ich tun muss (384)6

Über mich selbst noch zu verfügen,
das ist mir nicht gegeben.
Schon weil ich muss mich täglich doch verbiegen
sei’s andern, Lagen, sei es Marktzwang-Streben.
Kurzum ich muss mein Tun und Lassen
nach Fakten, Macht und Zeitgeist richten: 
Kapitalismus, Technik, Wissenschaft und Massen,
mich also fremdbestimmt gewichten.
Zumal nicht frei und auch nicht gut.
Indes normalerweise auch nicht böse.
Von jenen tief geprägte Daseinsglut:
Monaden-Ich als Atomar-Synthese.
Zerrissen psychisch, physisch ausgesetzt
Bedürftigkeit, Verfall und Tod.
Durch eine anonym-komplexe Welt gehetzt,
die, Ratio-Spuk, versagt als Halt und Lot.
Ich glaube nicht an Liebe, nicht an Güte.
Zumal ich bin auch ganz allein,
nichts habe also, was behüte
mich vor mir selbst und jener Faktenpein.
An was auch könnte ich mich halten?
An Gott, Kultur, an Würde und Vernunft?
Längst doch versunken den Gewalten
von Nihilismus, Medien- und Erlebnisbrunft.
Doch diese Leidenschaft, es zu begreifen,
es radikal, wie’s ist, zu denken:
Ihm all die Träume und Fiktionen abzustreifen,
die anonym uns alle lenken,
das scheint mir groß und lohnenswert:
Mich keinem Tugendterror zu verpflichten,
der sich als Geistesarmer Trost gewährt …
Vielmehr entlarven ihn; z. B. in Gedichten.

Prosafetzen (218) (385)7

Entfesselungsdrastisch 
und objektiv notwendig zugleich:
Die Ekstasen und Drogen
sich selbst optimierenden 
Wohllebens …
Obgleich verwahrlosungsträchtig,
vermögen indes nur sie 
uns zu bewahren
vor Barbarei und Bestialität:
Gewaltexzesse einer Diktatur.

Prägungen früher Tage (386)8

Ein paar Erinnerungen 
sind da schon geblieben,
an denen ich bis heute trage.
So die, 
dass mich Verachtungslust hat aufgerieben
im Zentrum mancher Spottgelage.
Grad deshalb hab ich 
viel gelernt in jenen Zeiten.
So etwa, 
dass ich immer gut dran täte,
Naivität und Illusion zu meiden:
Zu glauben etwa an Moralgerede.
Sind doch wir Menschen 
radikal verlogen,
auch ehrlos, seelenkalt 
und unsrer selbst nicht mächtig,
Gewissen mimend, 
in uns selbst verbogen,
charakterarm und kerngrobschlächtig.

Für Niccolò Machiavelli und Thomas Hobbes (387)9

Die andern - wie sich selbst auch - 
sehen, wie wir an sich sind 
(nicht nur müssen scheinen),
erfordert, 
tief in uns hinabzugehen,
um dann, gelingt das, 
all das zu verneinen:
Dass frei wir seien, 
würdefähig, gut.
Kurzum: Der Tugend Bannerträger.
Als diese uns Gewissens-Hut.
Nicht Ehrgeiz-, Selbstsucht-, 
Lust- und Image-Pfleger.
Indes vergesst nicht, 
liebe Artgenossen,
dass wir an sich sind - scheinbar - 
rationale Egoisten,
die kratisch maximieren 
noch das Glück der Gossen,
um sich als Sieger 
vor sich selbst zu brüsten.
Die Fakten sich, 
die eignen Miese zu verschleiern,
dies, 
dass man doch nur Mittelmaß:
Pleonexie-Gerangel ist, 
das sich muss ständig selber feiern,
zumal bedeutungslos ist
bis zum Gras.

Heutige Lagen des Individuums (388)10

Dass eine Farce es sei,
dies Wohlstand, Trance, und Reizen Darben:
Heteronome Gaukelei
als Lustquell sekundärer Daseinsnarben,
das müsste man 
an sich doch merken,
wenn man, was kommandiert, 
erst mal begriff
als dauerangenehmes sich Verzwergen:
Als radikalen Schliff
durch Ratio, Artefakt 
und sich Erleben
in einem Einheitskult des Trivialen:
Sich selbst entfremdet 
zu verschweben …
Systemmonade: Knecht von Zahlen.

Durchschaut (389)11

Bis in die Kerne 
hab ich mich durchschaut:
Ein Stoff-Weh, 
radikal bedeutungslos.
Mir meiner selbst bewusste
Trug-Zisterne,
die sich Behelfsfiktionen baut
aus Ironie-Anfällen, 
Suff und Schoß …
Mich stellend so
auch geistig bloß;
als lächerlicher
Phrasen-Dreh. 

New York - Aus meiner (geistigen) Sicht (390)12 
  
New York? So was 
wie eine Kult-Kloake 
für solche, 
die sich nicht begreifen,
als Creme indes 
beweisen müssen alle Tage,
nicht ihre Nichtigkeit zu streifen.
The masters of the universe
(die Mammon-Leute) …
Der Ichsucht feile Seelenlose,
narzisstischer Verkennung Beute;
so was wie Empathie-Arthrose.
Doch blüht nicht dort
auch die Kultur?
Ja - Als Bewirtschaftung 
von Emotionen;
als Scheingenuss, 
als Selbstdarstellershow …
Sozialprestigezufuhr 
für luxusfade Epigonen.
Ich kann’s mir leisten,
so zu denken
- zumal’s auch 
jene ständig krachen lassen -,
mein Augenmerk zu lenken,
auf die man nicht sieht:
Arme Massen.
Die, tief verachtet,
dennoch jenen gleichen,
weil sie - das ist ihr Traum -
wie sie sein wollen:
die guten und die schönen, 
die halbgottnahen Reichen.

Das Leben II (391)13

Das ist ja alles sehr diffus,
was man so Leben nennt.
Es ist so was, 
wie eines Schattens Gruß,
der keine Adressaten kennt.
Ein lügnerisches Perspektivenspiel.
Und niemand kann das ändern.
Ein Rennen ohne Ziel:
Verlassenheit sich zu bebändern.
Und wenn man’s so erfasst in sich,
verbürgt vom Strom der Dinge weiß:
Dann nur als leeren Stich
auf einem toten Gleis.

Warum nur? (392)14

Warum nur 
schreibe ich 
so viel? 
Ist doch 
das Ganze
längst verloren.
Apathisch laut 
und schunddebil.
Und Normensturz 
vergoren …
Ein Artefakten-Spiel …
Als seelische Tortur.

Unauflösbare Widersprüche/Für Archilochos von Paros (393)15/Vergleiche (66/3460)

Ich kann mich gar nicht mehr bestehen.
Mir kam die Welt als sinnentleert abhanden.
Muss daher ständig um mich selbst mich drehen.
Hab keinen Boden mehr, zu landen.
Was auch erklären mag die Widersprüche,
die vor mir her mich treiben:
Gewalt-, Verrohungs-, Hass-Ausbrüche,
mir, unfrei, fremde Psychen aufzureiben.
Ich weiß, ich kann mir nicht entrinnen
- Wer wäre je entkommen seinen Losen? -.
Ich muss auf rohe Scheinbehelfe sinnen,
mich von mir selbst auch abzustoßen.
Kann keine Ausflucht indes suchen,
wie etwa die, dass ich ein Opfer sei
von andern, roh erpicht, mich zu verfluchen
und auszusetzen diesem Einerlei
von kosmisch uns verfügten Nihilismus-Zwängen,
durch deren Tiefen ich mich grabe,
weil sie zu Geist mich und Zerstörung drängen …
von mir nicht steuerbarem Zwiegehabe.

Monadenexistenz (394)16

Einsamkeitsverrieselte
Traumtorkeleien
durch ein Sozialgefüge,
in dem man lediglich
selbst vorkommt.
Unausdeutbar
sich selbst entfremdet
als exemplarisches
Allgemein-Ich.

So auch ich (395)17

Ein Organismus, 
drastisch selbst sich Zweck.
Ein Stoffgefüge:
Zeit und Raum,
verzwungen 
seinen Selbst-Gehalten …
Bewusstsein, Geist, 
Gesellschaftsdiktatur:
der Konkurrenz der Artgenossen,
der subjektiven Schicksalshaftigkeit:
sei sie genetisch 
noch so ausgezeichnet,
sei umgekehrt 
sie mittelmäßig nur,
vielleicht gar zufallsdeklassiert …
Geprägt zumal 
von Herkunftszwängen,
allein in sich verpuppt 
ein Leben lang,
zugleich nie Herr je 
seiner selbst …
Das alles bin ich
und auch dies: 
Verfall,
Vergessen, 
Nichts verfügt.

Seid mir, wieder einmal, herzlich gegrüßt - 
In dankbarer Erinnerung an meine Eltern (1) (396)18

In meiner Schuld habt niemals ihr gestanden.
Weil ihr euch etwa fehlverhalten hättet.
Ach, liebe Eltern, nein, das sicher nicht.
In jedem Augenblick mir tief verbunden.
Wart ihr doch selber euch abhanden,
in nichts, schon gar nicht in euch selber je gebettet.
Halt Machtflöz ohne Selbstgewicht. 
Missbraucht, verachtet und geschunden.
Ihr wart ein Leben lang doch nur Trabanten, 
an Dünkel, Zufall, Wahn gekettet …

Seid mir, wieder einmal, herzlich gegrüßt - 
In dankbarer Erinnerung an meine Eltern (2) (397)19

Noch mal: Die beiden lieben Alten,
nicht ansatzweise fähig, 
sich zu lenken,
sich anders 
als nach Herkunftszwängen zu gestalten:
sich dauerhilflos also 
selbst zu kränken.

Ihr Beispiel hat mich klug gemacht:
Nicht an Moral 
und Menschlichkeit zu glauben:
An diese bürgerliche 
Selbstbetrugsandacht,
sich Selbsterhöhungstrug 
zu rauben.

An euch von hier aus noch mal liebe Grüße,
gesprochen in die Leere:
des Todes unfühlbare Süße
nach trauerschierer Erdenschwere.

Erlösungsutopistische Selbstentmächtigung 
der Art durch Künstliche Intelligenz (398)20

Wir werden uns gewiss nicht mehr entkommen.
Man konzipiere, welche Rettungswege immer.
Sie werden als Schimären sich erweisen.
Sind wir doch wesensmäßig autodestruktiv:
Als rationale Hybris- und Verblendungs-Zwerge.
Und so uns letztlich dann auch selbst vernichten.
Sind wir gezwungen doch, uns zu bewahren
durch Technik (rational-abstrakte Effektivverfahren).
Auch vor uns selbst als hedonistisch kranken Reizverwertern.
Es bleibt nur dieser Weg: Die Knechtschaft durch KI.
Der Preis? Das Ende aller Hoch- und Geist-Kultur,
totalitäre Formung von Monaden-Innenwelten,
die sprachliche Verkümmerung zu Stumpfsinnlallen,
Vereinzelung bis in den Wesenskern … Die Auflösung
von Staat und Recht: Der Volksherrschaften Ende.
Wie kann man sich nur Ratio-Macht ergeben,
die, menschliches Produkt, wird schaffen sich
ein Wesen, weder Tier noch ansatzweise Mensch,
organisierter All-Verlassenheit dann hilflos unterworfen …
vielleicht Vernichtungskälte wehrlos ausgesetzt?
Indes was liegt an uns, wenn ich genau es nehme:
Tatsächlich gar nichts, merkt man nämlich auf:
Gewahrt man als die tiefsten Daseinsstützen
naive Selbstverständlichkeiten, kollektiv geglaubt,
Gott, Selbstzwang, Demut, Pflicht, Bescheidenheit. 
Und die sind fort, nicht fassbar mehr den seelisch toten,
Realitätsverlusten frönenden Subjektphantomen:
Geprägt von Sinnverlusten und von Tugendmärchen,
von Fortschrittsmären und Beglückungsdeklassierung,
erlösungs- und entmündigungsverzückt egalitär erloschen.

Immerhin (399)21

Ichschwach bis du,
feige auch,
tief verstockt 
und krass perfide.
Freilich auch
mir Trance und Lust,
lindernd diese
Daseinsniete.
Vor der bisher 
jeder kniete,
war sie auch 
nur Selbstverlust.

Was mich gehalten hat - trotz allem (400)22

Nun: Etwa Kindlichkeit und Gottvertrauen
(irrational fundiert in Dankbarkeit;
dann Argwohn gegenüber dieser Welt).
Vor allem Geist auch: Sachlichkeit,
was angeht unsre Existenz:
Dass sie prekär sein muss als solche,
nicht meisterbar durch Utopien, 
sie seien ethische, politische,
sie seien welcher Art Fiktion auch immer …
Ist sie nichts weiter doch als Stoffgefüge,
Replikatoren-Zufallswurf in Stundenträume,
der sich in Nichtigkeit und Trance verflüchtigt,
vergeblich hin ins Anorganische.

Faktentreue Vorsorge für alle Tage (401)23

„Nichtigkeit der Nichtigkeiten“, 
sprach Kohelet, wiederholend es: 
Sei doch alles null und nichtig.

So steht‘s auf meiner Kaffeetasse.
Unter dem Bild 
einer im Gras lauernden 
wunderschönen Katze.
Und beides, 
die Worte des Predigers
wie auch der Anblick der Katze,
rüsten stets mich für den Tag: 
Mir bedeutend,
dass auch heute wieder
letztlich ich vergeblich werde
hoffen, wollen, jagen, greifen … 
Organismus doch, vergänglich;
Leibding einer eitlen Welt:  …
Windhauch, Dunst, 
und Wahn verfallen;
noch im Rausch 
von Geist und Eros.

Für Zeitgeist-Jünger (402)24

Sie reagieren auf Effekte,
auf Reize und auf Sensationen,
doch nicht auf Normen 
- seinsverzweckte -
die fraglos würden 
ihr Bewusstsein formen.
Nun Menschenwesen,
die sich als Person verfehlen, 
die inszenieren sich nur zweiter Hand:
Als Dingwelt-Anamnesen,
Waren-Nutzen-Tand.
Entseelter Leergewissensspiele:
Produkterweckte Anomie,
sich durch ein Dasein ohne Sinn zu stehlen.
Man muss von gestern sein, 
um dies zu spüren.
Kein Aufklärungs- und Ratio-Träger.
In mystisch-religiösen Wogen,
sich nicht verstellt und ganz allein,
ans Große Rätsel 
spät auch noch zu rühren:
Dass man nur geistig meistert Faktenzwang:
Sich dann als Trieb zumal entzogen.
Ideen-Abbild, nicht Erlebnisjäger.

Dorfschatten - Schon lange verscharrt (403)/Variante 25

Der hat sich damals aufgehängt.
Und jene nahm Tabletten.
Was man als Kind da denkt? -
Ich zog mir Zigaretten,

stahl mich auf lichtberauschte Sande,
blies Kringel ab im Kauern.
Obwohl ich beide kannte,
empfand ich nichts, um sie zu trauern.

Was lag mir denn an diesen Leuten?
Sie war’n mir einfach nur egal.
Zumal nicht einmal sie bereuten,
mich abzustempeln als krud asozial.

Das war so meine Lebensschule.
Verrohte. Viel zu primitive.
Als dass mich heute täuschte diese coole
Narzissten-Tugend ohne jede Tiefe.

Illusionslos (404)26

Nicht, dass ich was Besondres wäre,
mir selbst erschiene irgend groß.
Zumal genau ich weiß, wovon ich zehre:
Von diesem hochprekären Wohlstands-Los …
Produkten, Formeln, Absatzzahlen
und Werten, die real nicht greifen,
Erlösungskinderei in Freizeitschalen,
um vor sich selbst zu kneifen.
Doch all das wird wohl müssen untergehen.
Demokratie und Rechtsstaat auch.
Geschichtlich überholt verwehen.
Schon jetzt nur Schall und Rauch.
Ob mich das freute? Nein. Mitnichten.
Nur dies: Ich werde, alt, entkommen
dem Toben jenseits rationaler Schichten.
Uns allen eigen. Auch den Tugendfrommen.

Prosafetzen (405)27

Geist?
Das ist die Vergleichgültigung 
aller Ausformungen
des sapienten Nihilismus:
Gottträchtige Selbstentfaltung
in nichtender Zeit
und dauerprekärer Selbstbelämmerung.

Prosafetzen (337)/Für homo sapiens bambergensis … (406)28

Lass es dir gesagt sein, Blonde!
Die Schönheit, Anmut 
und eidetische Glut 
deiner erotisch 
kommandierenden Körperlichkeit,
zerschlägt allen Gram 
und alle Trauer,
lässt verstummen alle Klage
über diese so verkommenheitssieche 
Konsumdiktatur …
verneint sie in jedem einzelnen 
dieser gottgefälligen Augenblicke
eines leib- und geistbegnadeten
ekstatischen Sommersonnennachmittags.

Selbstabdichtung (407)29

Die kommunikationstechnologisch diktierte 
Schalheit dieser Verbraucherexistenz
geht - es kann gar nicht anders sein -
nahtlos einher mit einem zeitgeistfanatisch
empörungslüstern flachen Innenleben.
Man muss, will man dem entrinnen,
permanent an sich halten,
sich hermetisch gleichsam abdichten,
um nicht hilflos überwältigt zu werden
von Propaganda, Leerformel-, Entseelungs-Terror
und kommandierendem Hypermoralismus,
marktvermittelter Geistlosigkeit (Spracharmut). 
Und einem fanatischen Egalitarismus,
der es sinnlos macht, 
sich noch um sich selbst 
als kantische Person zu bemühen.

Indes kann das nicht anders sein:
Der späte Kapitalismus muss letztlich 
eine verinnerlichte Marktknechtschaft erzwingen,
die einen dann substanzradikal 
vor sich selbst stellt:
Entweder, woher auch immer, 
die Kraft zu haben,
dieser Verdinglichungsdeklassierung zu widerstehen 
oder sich der Desorientierten-Moral zu überlassen:
Sich erlösungsdumpf:
dionysisch zu inszenieren,
um, ekstatisch umnachtet, 
einsichtslos durch sich selbst zu trudeln.

Lob des Marktes - meinetwegen (408)30

Ob autodestruktiv, ob spaßzwangkulturell,
entglückend und verwahrlosungsaffin,
erlösungstrivial und schundbesessen,
verlogen, inszeniert, narzisstisch flach,
ob neppstrategisch, geistlos, Nietenmühle,
Erregungszufuhrmoloch und Phantasmen-Sause,
die kindisch macht, gewissensarm und psychendumpf …
Ich werde, ihn verfluchend, zugleich preisen 
den Markt als Gut für mich, weil er nie zwang,
dass ich vollziehe, was als Gral ihm gilt:
Sich aufzugeben, um als Mammonbarde,
als Selbstwertgaukler und Konsumpotenz
zur Nichtigkeit erhöht, 
sich grinsend zu bewundern.

Dorfschatten/Erinnerung an W. N. (409)31

Ungelernter Handlanger und notorischer Säufer.
Sich selbst stets hilflos ausgeliefert.
Ein zwanghaft witzelndes Subjekt,
sich vor allem wohl vor sich selbst 
und seiner trostlosen Existenz zu bewahren,
zu verdrängen die bedrückende Einsamkeit 
und Orientierungslosigkeit, 
boshaft-kalte Verachtung zumal der Dorfgenossen.
Herumgestoßen. Oft gemieden. 
Nicht selten aggressiv angefeindet.
Indes man wäre menschlich sowieso nicht
an ihn herangekommen.
Der Suff allein, so schien es,
vermochte ihn zu halten: Das Delirium.
Dieses wirklichkeitsferne in sich selbst Taumeln.
Menschliches - und sei’s nur ein warmes Wort -
hätte ihn wohl seelisch auch gebrochen.
Hin und wieder denke ich an ihn,
diese armselig mittellose Existenz …
Doch auch ein Beispiel 
lebenslanger All-Verlassenheit.

So gesehen I (410)32
Vergleiche (13/783)

Vorteile hat es ja schon, 
wenn man, 
an den Rand gedrängt, 
diese fade Daseinsposse von diesem aus,
sozusagen im Abstand 
weniger betroffen und geködert,
genauer sehen, fühlen 
und geistig erfassen kann:
Als Drangsal-Spiel allumfassender Irrationalität,
Gram-Hort der Lebenslügen, 
Triebdiktate, Selbsterniedrigungen 
und Trosträusche.
Zumal doch verfügt einer auf Daseinssurrogate 
verpflichteten Gesellschaft,
darauf, 
sich ein Los zu ergattern
als Erlebnisbüttel und narzisstischer Ich-Schauspieler:
Mime 
eines metaphysisch toten Psychen-Wracks.

Daseinsambivalenz/Sonett (411)33

Das, was uns allen zählt, das ist zwar nichtig …
So etwa, jeden Strohhalm zu ergreifen,
sich, was man nicht ist, tunlichst zu verhehlen,
ansonsten Illusionen zu verprassen …
Nun, ich bejahe es. Es ist schon richtig,
sich nicht auf Selbstentbergung zu versteifen,
weil man riskiert, die Welt so zu verfehlen …
Und auf sich selbst gestellt, ist man verlassen.
Ich muss es wissen, war ich doch gezwungen,
so ganz allein mit mir zurechtzukommen.
Zumal begabt auch, Lügen auszumachen.
So ist es mir am Ende nur gelungen,
zu ahnen, was wir haben uns genommen:
Glück, Sinn und Gott - Für ein paar Warenlachen.

Allein für mich … (412)34

Allein hier still die Zeit wegzehren,
das ist doch auch was. Oder?
Ich muss mich, weltleer, nicht empören,
darf ignorieren allen Phrasenmoder,
darf fort mich träumen aus Konsumneurosen,
erlösungsutopistischen Manien,
aus Ich-Entmächtigungs-: Bedürfnis-Losen …
Auch von mir selbst mich abzuziehen …
Das ist doch alles nicht mehr zu ertragen,
dies Nihilismus-Spiel sapienter Autotranszendenz …
sich technisch anstatt metaphysisch dann zu überragen …
Das Ende doch humaner Existenz.

Das alles kann mich jetzt indes nicht rühren.
Ich halte rigoros es von mir fern:
Um noch mal kindlich zu erspüren 
der tiefsten Stunden Geisteskern.

Dialektik existenzieller Ausweglosigkeit/Sonett (413)35

Dass alles mir egal ist, wirklich alles,
spricht nicht für mich. Ja ganz im Gegenteil.
Entlarvt als zynisch mich und menschlich stumm.
Vor allem als moralisch antriebslos.
Doch ist dies Schicksal nicht das einen Falles,
vereinzelt, einsam, Zwangsgeschehen feil:
existenzielles Dilettantentum,
das nur als Ding noch zählt in Mammons Schoß?
Dass nicht ganz klar da ist, wovon ich rede,
das ist normal; sind wir doch Marktabklatsch
bis in Neurosen und Verlassenheiten:
Behelfsekstatiker geplanter Lethe,
gesinnungspfiffiger Gewissens-Quatsch …
Nicht auch noch Wohlstandshalten zu entgleiten.

Systemnotwendiger Selbstzerfall (414)36

Genialer Kniff, der Ichsucht Drangsal zu entfesseln,
um die Subjekte ihrer selbst sich zu entfremden,
sie hedonistisch-spracharm einzukesseln,
auf dass sie gierfanatisch sich enthemmten,
zerfielen sich erlebnismonoman,
vereinzelnd provozierten Kollektivmagien,
steril berauscht durch technisch-rituellen Wahn
im Schlepptau pseudorationaler Strategien …
Gefangen so in Emotionen,
die sie entlasten und beglücken …
sie einer unbegriffnen Wirklichkeit entrücken
verdorrter Psychen- und Gewissens-Zonen.

Prestigesüchtige Selbst-Vergaukelung/Sonett (415)37

Wir brauchen alle doch Beschönigungen:
Uns vor uns  selbst bewahrende Visionen.
Längst müssen wir Erlebniskunstwelt fronen,
damit uns unser Dasein sei gelungen:
Verpflichtungslos und kindlich ungezwungen
mit Geld, Prestige und Lüsten uns belohnen.
Und das heißt Spaß, Effekt und Trance gedungen:
Belämmernden Erlösungsillusionen.5Doch mögen wir’s, auch aggressiv, verneinen,
dass wir als Selbstverwerter nur noch streben,
uns auszubeuten und zu inszenieren
als Zeitgeistideal, von dem wir meinen,
wir gälten mehr dann, wenn dem hingegeben,
wir menschlich selbst uns schamlos deklassieren.

Usque ad finem (416)38
(Ü: Bis zum Ende)

Das allerdings 
wird bleiben.
Bis zur letzten Minute. 
Hoffe ich.
Das Göttergeschenk Geist.
Für das allein es lohnt,
hier auszuharren.

Zeilen des Trostes (417)39

Ob’s was tauge 
oder nicht,
das ist letztlich 
doch egal.
Wenn einst bricht
des Daseins Auge,
geht mit ihm 
auch seine Qual,
gehen Freuden, Hoffen,
Ziele, Zwecke …
Was auch immer 
von Belang …
Wieder Beute 
stummen Stoffen …
ohne Deutung,
Sinn und Drang.

Dorfschatten/Erinnerung an A. F. (418)40

Was doch mein Hirn da alles birgt 
an solchen Schatten, 
deren Mimik und Gestik ich
- als adipöse Körperunförmigkeit war ich,
um psychisch wenigstens halbwegs zu bestehen,
existenziell darauf angewiesen -
schon früh auszudeuten wusste 
als nach außen, ins Leibliche, 
gekehrte Seelenverfassungen. 
Heute Nacht etwa fiel mir, 
ich weiß nicht, warum, A. F. wieder ein,
ein scheuer, etwas zurückgebliebener Junge,
wohl auch deshalb von seiner Mutter,
trotz ihrer Armut, liebevoll umsorgt
(der Vater war wohl gefallen) …
Ach ja der linkische, überbedächtige, 
ein wenig zu langsam sprechende A.
- selbst seine Bewegungen, 
egal welche,
vollzog er sozusagen überlangsam -
stand wieder vor meinem inneren Auge …
Naiv liebenswürdig, ohne Antrieb, 
sich über mich lustig zu machen,
erpicht, 
mir die sonst bei anderen übliche 
Häme und Bosheit zu bezeigen …
Und als er dann später seine große Liebe verlor
- sie hat es zuletzt doch vorgezogen einen anderen,
einen gewitzteren und beruflich erfolgreicheren Mann 
als A. einer war, zu heiraten -
da senkte ich den Kopf,
nachdem ich es gehört hatte,
wohl wissend, 
dass ihn das ins Mark getroffen haben musste …
Ich weiß nicht, 
was dann aus ihm geworden ist,
schon gar nicht, ob er noch lebt.
Falls ja, dann schicke ich ihm jetzt 
einen letzten Gruß der Dankbarkeit 
über die leeren Jahrzehnte hinweg 
in die ferne Vergangenheit.

Zu den Dorfschatten/Vom Verlust der Identität (419)41

Nun ja. Ich komme aus einer anderen Welt, 
einer Welt absoluter Faktenkommandos.
Sie ist als verinnerlichte Lebenshaltung 
tragender Selbstverständlichkeiten 
definitiv untergegangen.
Ärmlich war sie, worthülsen- und phrasenarm, 
die Individuen noch Selbstzwang-Werten unterworfen:
Disziplin, Gehorsam, Leistung, Fleiß, 
Pflichterfüllung usw.
Vor allem daran auch erinnern mich die Dorfschatten, 
die in mir sozusagen eine psychische Phalanx 
von Antriebspotenzen bilden,
die mich so oder so, jedenfalls tief geprägt und, 
das ist entscheidend, 
weit über mich hinausgetrieben haben.
Ganz anders die heutigen: 
Schauspieler 
eines erlebnis-abstrakt verwahrlosenden Daseins.
Moralgläubige Seelensöldner 
eines hedonistischen Konsumismus,
verlogen sakralisierte, 
steril erregte, ihrer selbst entmächtigte, 
gleichgeschaltete Kreaturen
korrumpierender Verlassenheit … 
Sexfetischisten marktinduzierten Behelfskopulierens (Entlastungsgeilheit) …
Opfer eines kitaisierenden Zeitgeistes, 
Worthülsenjongleure, 
Mimen einer leeren Pseudo-Existenz:
Sich selbst verratende und gesellschaftlich verweigernde, 
geistig Mittellose panrepressiver Toleranz.
Aggressive Narzissten im Bann erlösender Selbstzerstörung. Metaphysisch unbedarft: 
gott-, selbst- und seinsverlassen.

Prosafetzen (17) (420)42

Aufrichtig sollte ich sein, mich nicht anreichern lassen
mit Gehalten, die ich weder bin noch habe.
Erdichten sollte ich weder die Ausrichtungen 
meiner Innenwelt noch die anderer Menschen;
schon gar nicht das, was ich für Wirklichkeit halte.
Und doch mache ich all das. Ich mach’s 
in jedem Augenblick: Notwendig interessegeleitet,
sozial und genetisch auch definitiv gezwungen.
Schießen doch in jedem Augenblick
all die Voraussetzungen, Erfahrungen, 
Festlegungen, Herkunftszwänge und 
Kernerfahrungssteuerungen und vor allem auch
die so bitter benötigten Entlastungsphantasmen 
unentwirrbar als das in mir zusammen,
was ich mir selbst und allen anderen dann,
vollständig heteronom, zu sein und zu scheinen habe.

Prosafetzen (21) (421)43

Nichts rüttelt mich auf.
Nichts überrascht mich.
Nichts macht mir Zuversicht.
Kindisch ist mein Urteilen 
und Werten: Eine Art 
sterile Gewohnheit ist es,
ein Entlastungsgehabe;
freilich von grundlegender
Bedeutung dafür, mich 
gesellschaftlich und sozial 
über Wasser zu halten …
Schließlich muss ich 
mein Geld verdienen; 
und das heißt täuschen, 
liebedienern, Cliquen hofieren
mich selbst verraten, lügen, 
mich vor mir selbst schämen
bis hin zur Selbstverachtung.

Dasein heute I (422)44

Was dieses Dasein heute sei?
Nun ja, das ist nicht leicht zu sagen.
Muss man doch häufig sich mit Schein abplagen.
Sich beugen fadem Allerlei
von Trug, Gerede und Bewusstseinskrusten.
Und die sind schwer zu greifen.
Vielleicht gar Boten einer überreifen 
Misere von Substanzverlusten.
Zu Deutschland passt das alles ziemlich gut.
Ein Land, sich selber längst entglitten:
Kulturlos, ohne Mitten
der Einfalt und des Stumpfsinns Glut.

Danksagung I/Meinen Eltern (423)45

Wenn ich euch nicht gehabt hätte,
liebe, hilflose, weltunfähige Eltern, 
kleine Leute, an der geschichtlichen 
Wirkung und Faszination jenes 
wagnerisierenden, dumpfgenialen,
barbareikundigen Charismatikers,
dem System dann der Wohllebensdrogen,
aber auch an euch selbst gescheitert …
Zumal auch ganz anders geartet als 
diese artverräterischen Dorfschatten,
plumpe Gossenanbeter und von
Gewalt faszinierte Psychopathen,
Traumtänzer, Charakterlose, seelen-
und gewissenskalte Daseinsspreu,
naiv liebenswürdige freilich auch …
Ich wäre nie was geworden, 
hätte mich nie dem Geist verschworen,
dieser unüberbietbaren Ich-Überschreitungsmacht,
wäre gewiss eine sozial gescheiterte,
eine Unterschichten-Niete geblieben …
Habt also - aufrichtigen - Dank dafür,
dass ihr mich ungewollt
zu mir: in mich selbst gehetzt habt.
In eine souveräne Selbstdistanz, 
einen radikal aufrichtigen Realitätssinn,
die bedrückende Einsichtsfähigkeit,
dieses Wissen darum, dass es sich lohnt,
auch dann hier zu Gast gewesen zu sein,
wenn es sich darin erschöpfen muss,
vor der stillen Nichtigkeit seiner selbst
einsamkeitssiech kapitulieren zu müssen.

Entzauberte Gassen- und Kneipen-Wichte (424)46

Taugten nichts,
war’n faul und spröde,
gaben viel 
auf Schlägereien …
Eben Unterschichten-Mob,
suffgemein, brutal
und öde …
Hilflos aus
auf plumpes Schreien 
Grambrunft grölend
so als ob
Faustrecht sei ein Daseinsgral.

Mochte sie
trotz all dem doch.
Und das gilt 
bis heute.
Heimlich fühlend 
dieses Joch,
dem sie waren Beute.

Selbstentlarvung I/(425)/Sonett 47
Vergleiche (25/1520), (30/1781),(65/3419) und (71/3810)

Was nach mir wird aus euch, das ist mir schnuppe.
Und wenn dies zynisch euch erscheine … bitte.
Ich kenne uns, weiß uns als schuldlos böse:
Als niedrig, hinterhältig und verlogen.
Nicht dass ich besser wäre, keine Puppe
von Ichsuchttaumeln ohne Maß und Mitte,
Sozialmonade ohne Sinn für Größe …
Subtiler Täuscher, von sich selbst betrogen.
Doch wollte ich nicht vor mir selbst versagen,
bin deshalb abgetaucht in meine Kerne,
um auszuloten, was an sich ich sei:
Getrieben, diese Welt zu überragen, 
mich nicht zu scheren um die toten Sterne:
Ihr Trost in diesem leeren Einerlei.

Bildungsverluste (426)48

Dass ich von unsrer Wirklichkeit erfasst was habe,
nun, das glaub ich schon.
Zumal es offen auch zu Tage liegt:
Dass wachsen Anomie-Lust, Dekadenz und Niedrigkeit.
Und zugleich schwindet die so wunderbare Gabe,
zu treffen Neigung, Feingefühl und Ton …
Und dass der Sinn für das, was ist, versiegt,
lässt zetern Geistesarmut, Neid und Korruption.

Über mich selbst I/Sonett (427)49

Ein Spießer sei ich. Nun, das ist korrekt.
Auch obsolet; ja das auf jeden Fall.
Und dass mir Wohlleben ein Gräuel ist,
ist auch wahr; immerhin nicht würdelos.
Ich meide alles, was mich mir verdeckt:
Will nichts erleben, nicht sein Marktvasall,
nicht Opfer auch politdiffuser List.
Nicht einmal Sieger: Reich, berühmt und groß.
Will nur in meiner Einsamkeit verharren,
Gedichte schreiben und die Welt vergessen.
Und Einsicht dann in all das hier gewinnen.
So etwa die, dass wir uns selber narren,
auf Nichtigkeiten aus und Daseinsblässen …
Nie werden Rausch, Gewalt und Gram entrinnen.

Des blinden Zufalls Gnade (428)50

So ganz allein zu sein,
das hat schon was.
Man muss sich beispielsweise nicht verbiegen,
verstellen oder auch verkaufen.
Was einen doch in Selbstverachtung triebe …
Doch sicher ist das nicht,
wenn man bedenkt,
dass man vereinzelt und entwurzelt ist, 
Monade, die, 
moralisch-kulturell entborgen,
geradezu notwendig dann 
sich selbst im Stich wird lassen müssen.
Und da ich’s weiß, verbleibe ich in mir,
zuweilen im Gedicht 
mich ungeschminkt zu sichten,
mich auszudeuten als 
des blinden Zufalls Gnade,
schon alt genug,
den Zukunftslasten zu entrinnen.

Prosafetzen (344) (429)51

Flachschalfühlig verwahrlost überwimmeln 
die blickfanghörigen Stumpfsinnweltverbraucher
die ausgelaugten Wohlstandsfelder,
angewuchert doch längst von orgiastischer Brache 
unzureichender Beglückungsgängelung,
sich unersättliche Standardmenschen
entglückungssüchtig gefügig zu machen.
Indes verbiete ich mir jedwede Kritik,
ist mir doch auf bedrückende Weise klar,
dass die Menschen zu all dem gezwungen sind …
Ist die Idee eines guten Lebens 
doch längst verkommen zum inszenierten Vollzug
eines behelfsekstatischen Artefaktenanarchismus.

Nie fähig, selbst uns zu durchschauen (430)52

Du fragst, was unsre Existenz ausmache
in dieser tragisch-rationalen Zeit?
Vereinzelung und innre Leere,
vor allem Wirklichkeits- und Sinnverluste
entgleisender Gewissenlosigkeit.
Und all das ungewollt systembedingt:
Verpfuschungsrationale Hirn-Sackgasse.
Mal abgesehen von der Wesensbarbarei:
Dem faszinierenden Vernichtungswüten.

Homo sapiens bambergensis gewidmet (431)53

Du: Vollendeter Materiewurf:
Feingliedrige Körperlichkeit,
narkotisierender Geruch,
Pandora magischen Übersinns …
Eine Drangsal, unbegreiflich denen,
die Seele anraunen, Werte, Charakter …
Bedeutungslos mir zerrinnend
in schlürflüsterner Vierlippigkeit.
Zungen- und leibrythmisches:
triebimperatives Ineinandertoben
an zeitträgen Nachmittagen 
stofffrommer Alltagsübersteigung.

Depersonalisiert (432)54/Sonett 

Wo fände man in sich noch einen Seelenort,
Gesellschaftszwängen psychoethisch zu entrinnen?
Ist man doch ausgesetzt globalem Gegen-Hort,
dem untertan, kann niemand mehr sich selbst gewinnen.

Man ist, ist’s anonym, doch ständig wie von Sinnen,
wird heimgesucht von Sensationen, etwa Sport,
erfährt von Katastrophen, Kriegen die beginnen,
von Diktatoren-Machenschaften da und dort.

Tatsächlich wird man ständig in Beschlag genommen,
ersehnt sich das geradezu, um zu vergessen,
dass man ist allumfassend seiner selbst benommen,

konditioniert durch Pop-Musik, Reklame-Messen,
durch Propaganda, der man mich mehr kann entkommen:
Sich zwanghaft inszenierend nach System-Finessen.

Das Ende von Maß, Mitte, Person und Realitätssinn (433)55

Es fehlen längst die feinen Seelenlagen,
die metaphysisch-geistig-numinosen*,
um sich aus eignen Mitteln noch zu tragen.
Es dominieren doch die bloßen

Verreizungs-, Lustpflicht- und Gefühlsbestände,
die konsumtiv gefügig machen.
Verbraucher sollen falten ihre Hände,
sich selber anzubeten als beglückte Sachen.

Was sich da lärmend auslebt
ist Verdinglichungsgefolge,
das zeitgeisthörig sich verschwebt
in rauschsublimer Warenschemenwolke.

Zumal es doch auch nicht ertrüge,
dass fort sind alle Selbstverständlichkeiten:
Die Wirklichkeit ist nur noch Reizgefüge ...
erregt empörungslüstern selber sich zu meiden.

*numinos: göttlich

Resümee (434)56

Wir wissen gar nicht,
was wir wollen sollen.
Denn das, was will,
das sind nicht wir.
Das kommt aus autonomen
Hyle-Stollen
ist Drangsalzweck als Wesensgier.
Entlassen 
aus den Urknall-Knollen.
Wir sind uns selber nicht gegeben.
Wir träumen uns ja nur.
und das, was träumt,
ist nicht zu heben
in eine Selbstdistanzstruktur:
In Geist als einsichtsvolles Streben.
Zeit, Stoff und Drang,
sind wir Verfallsvollzüge,
sind Zufallsspielchen
ohne Seinsbelang.
Ein Leben lang verwiesen
auf Begriffsgefüge,
die weiter nichts sind
als Entlastungszwang,
Behelfskonstrukte, zu zerfließen
dem Sinnrausch 
irgendeiner Daseinslüge.

Banale Lebensweisheiten (435)57

Es passt halt selten alles, das ist klar.
So sind, was uns betrifft, wir recht verschieden.
Und doch hast du mir dies und das zu bieten,
denn was du von dir gibst, ist meistens wahr.

Du bist - und das ist gut - dir stets gewahr,
dass dieses Dasein birgt auch viele Nieten;
schon deshalb braucht beschwichtigende Riten,
ist man doch meistens tiefer Einsicht bar,

nutzt Lebenslügen, die schon jeder brauchte,
sich zu verhehlen, was doch täte weh,
wenn man es nicht auch ins Diffuse tauchte …

Verachtung zu vermeiden, Hass, den Dreh
der Rachsucht, die vor lauter Wut man hauchte ….
bereit zum Ausgleich, schmelzend Psychen-Schnee.

Psychen-Keller (436)58

Zu viel begriffen und erfühlt,
vor allem Selbstbetrug
und Oberflächlichkeit.
Tatsächlich lebe ich in einer Zeit,
die sich, 
von Leibmagie berauscht,
aus ihrem richtungslosen Dasein stiehlt …
In einer Zeit,
die wertverlogen ist,
zeigt daher diesen feigen Zug,
dass sie Verblendungs-Emotionen tauscht …
Zu schaffen sich ein ideelles Kleid,
verhüllend tugendarrogante:
sehr deutsche Selbsthass-Trunkenheit.

Einst (437)59

Der Sozialismus? - Brach-Reflex
bei monomanen Intellektuellen.
Mit Minirock und aus auf Gruppensex.
Trotz bürgerlicher Dellen.
Flankierten so das Kapital
als nützliche Idioten.
Protestlervorhut zum Konsumspital
der dirigierten Psychen-Moden.
Sie wollten Emotionen neppen.
Und ihr Prolet war ein Phantom.
Sie übten ein, sich zu verschleppen
in Tugend-Onanien ohne Dom.

Heutige Existenz/Sonett/Nr. 299 (438)60

Man steht allein. Wie gegen sich. So alle;
ist jedenfalls ganz auf sich selbst gestellt;
geht Flachsinn, Wert, Reklame in die Falle ...
Wie Anerkennung, Sex, Erfolg und Geld.
Und weil man so viel auf sich selber hält,
bemerkt man nicht, dass man zuletzt Gelalle:
Subtilem Zeitgeistdruck anheim doch fällt:
Der Wohlstandsdespotie und ihrer Kralle.
Ich hab das längst begriffen und vermeide,
mich nur nach Geltungsgrößen abzurichten,
damit ich nicht nur durch den Stumpfsinn gleite
sei's pop-cool deformierter Seelenschichten
(ich mich Entlastungstingeltangel weite),
um mich nach Marktdiktat dann zu gewichten.

Motto-Verse für meine Sonette-Produktion (439)61

Wenn man was verkaufen will,
darf man nicht Sonette schreiben;
vielmehr hörig Zeitgeist-Drill,
selbstverliebt sich Schund verreiben.
Freilich: Ich will nichts verkaufen.
Weder Botschaft noch Moral.
Will mir nur entgegenlaufen,
Gleichung fern, Produkt und Zahl.
Zu mir kommen in Sonetten.
Was Distanz von Trieb bedeutet:
Lockern von subtilen Ketten,
deren Trost mein Sein ausbeutet.

Eines der Eingangssonette (440)62

Natürlich weiß ich, dass es sinnlos ist,
speziell sich mit Sonetten abzugeben.
Man schlingert hier durch eine Zufallsfrist,
die hinzunehmen ist als Alltagsstreben:

Effekthingabe an Sozialgerüst,
das einem Ordnung bietet: Selbsthalt eben,
den man so nötig hat als Seins-Statist,
gezwungen, permanent prekär zu leben.
Es ist ja faktisch auch ganz leicht zu machen.
Acht Stunden täglich bringt man ganz gut rum.
Zumal erledigend Routinesachen.
Indes Sonette lassen niemals stumm:
Sie greifen mitten in die Daseinslachen,
uns zeigend als korrupt charakterkrumm.

Vermutungen (441)63

Richtig habe ich's gemacht:
Dieser Welt mich zu entziehen;
ihrer stillen Schlacht
um entlastende Magien.
Hätte da gewiss verloren,
weil nicht greifend, worum's geht:
Macht, Erfolge, Drangsal-Koren,
zu versinken Leibsekret?

Wollte immer nur erkennen,
das, was man nicht sieht:
Dass es tief absurdes Rennen:
Kampf ist um was lockend flieht.

Für Platon, Machiavelli und Kant/Für Verehrte (442)64

Bin Rollenträger, Kunde, Selbstverbraucher,
bin Schundweltkonsument und Medienknecht.
Objekt zumal auch von Polit-Reklame.
Kurzum: Gesteuert meiner selbst benommen.

Und kann mich da nur sehr bedingt erwehren
der Apparate, die mir’s auferlegten:
Parteien-Exorzismus, Zeitgeistmächten,
vor allem auch Verdinglichungsinstanzen.

Indes ich war auch unbedingt gewillt,
mich allen diesen Mächten zu versagen …
Von Platon, Machiavelli, Kant getrimmt,

Mich als Person: als Nicht-Ding selbst zu tragen,
von dieser wunderbaren Trance erfüllt,
stets Herr zu sein in allen Daseinslagen.

 

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