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Diese Seite enthält 59 Gedichte, 51 Prosa-, Reim-Gedichte und 8 Sonette

Dümmlich-schändliches Gehabe (3635)1

Er ist ein Meister des Vergessens,
vergisst sogar, was er vergessen wollte …
Weil gar nicht kundig sachgerechten Messens,
was nie vergessen werden sollte.

Was hat dies Land doch alles Asse:
der Phrasenmythen dauermächtig;
so etwa der, dass man die Welt erfasse,
wenn man, weil ahnungslos, sei leerwortträchtig.

Es ist das Land nun mal der Geistestoten:
Der Kämpfer für Diäten, Macht, Applaus.
Die auf sich reiben Vorteilsangeboten
im Schattenkampf  um Selbstwert-Gaus.

Bedröhnungs-Oberflächlichkeiten (3636)2

Das Ganze hat doch keine Tiefe mehr,
ist nichts als Emotionen-Schwall:
Entlastender Geschlechtsverkehr
und primitiver Digital-Krawall.

Was heißt das weiter: Keine Tiefe?
Na ja: Z. B. sich für frei zu halten,
obwohl man nach des Marktes Pfeife tanzt:
Als cool anom, narzisstisch deklassiert.

Ich spiele weiter an auf die Gewissens-Schiefe,
die permanent von Pop-Musik beschallten
Gehirnbereiche, säuselnd dir, du kannst
die Sau rauslassen, bis sie dir krepiert.

Was könnte ich noch sonst anführen?
Dies: Dass wir wieder Kinder wurden,
die des Systems Verkommenheiten schüren
sich ihnen seelisch tot dann anzugurten.

Rechtfertigung (3637)3

Dass Gott fehlt, Weisheit, Ernst und Trauer,
des Daseins Tragik und sein Scheitern
in meinen Zeilen, nun, das hat den Grund,
dass nichts mehr da ist an Gewissensplagen:

Das Über-Ich* beraubt ist aller Schauer, 
das Ich* sich muss zum Reiz-Detektor weitern, 
das Es* gebändigt hat der Netzkult-Porno-Schund.
Vor allem fort sind alle Geisteslagen.

Das Dasein ist nur noch Abstrakt-Vollzug
von utilitaristischen Routinen:
Effektorgiastischer Bespaßungs-Trug
zu bahnen Kunden die gewünschten Umsatz-Schienen.

Zumal die Menschen sind sich selbst längst Spuk:
Als Fans und Starabklatsch, als die sie dienen
Erlösungs-Umsatz aus dem großen Krug,
der, voll von Pseudo-Glücken, lockt die Lustaffinen.

*Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse. Etwa:
(1) Über-Ich: Gewissen (2) Ich: Realitätsbewältigungsprinzip
(3) Es: Das Unbewusste, Begehrliche, Gierige, das radikal Treibhafte
Ich halte Freuds Theorie für überholt in der Hinsicht, dass die heutige Gesellschaft das Über-Ich (das Gewissen) längst abgebaut hat: Der heutige Mensch zeigt sich immer häufiger als entschämt-gewissenlos

Wenn … (3638)4

Wenn die Körper zu optimierbaren Waren geworden sind,
die Psychen zu Reizverwertungs-Instanzen 
und selbst die Reste des Gewissens zu einem 
zu ignorierenden Hemmschuh 
für alle Formen von Entfesselungsverwahrlosung,
dann muss man sich entweder
seiner selbst als Person begeben
oder sich einlassen auf eine lückenlose Selbstverdinglichung …

Oder, wie ich, Gedichte schreiben,
die auf alle Illusionen verzichten,
Abbilder dann sind 
endgültig dekadenter Gesellschaftsgefüge,
die zum Untergang verurteilt sind

Sei’s ökologisch,
sei’s kulturell,
sei’s wirtschaftlich,
sei’s politisch ,
sei’s militärisch ….

Ich sollte sagen: In jeder dieser Hinsichten.
Zumal sie in ihrem Wesen wahrscheinlich 
untergangsüchtig sind.
Unter dem systemimmanenten Nihilismus leidend,
den sie alle spüren.
Spüren vor allem als sie 
in Verlassenheit zwingende Gewalt.

Was man nicht hören will (3639)5

Gefragt, 
was so ein Mensch  
in seinem Kern denn sei 
- ich solle ehrlich sagen,
was ich denke -:
Teils Perfidie, teils List,
teils Barbarei.

Und dann, 
was an den Tag er legt? 
Pleonexie und 
Ich-Schauspielerei;
und Täuschungsdrang,
sich groß zu machen,
den andern immer
zu gefallen.

Vor allem
muss er überspielen,
dass er nicht frei ist;
und moralisch nur,
wen es ihm 
Vorteil, Geltung und 
Prestige verschafft.

Dass Illusionen er
und Lebenslügen braucht,
verdrängt er;
weil es doch besagt,
dass er ein Spielball ist
von Macht etwa,
von andern, ja:
auch von sich selbst:
Ein Büttel 
radikaler Unvernunft.

Prekäre Existenz 
sein Leben lang.
Zumal von Gott verlassen
und sich selbst,
dem Tier,
das Trieb ist 
und Bedürfniszwang,
Materiegefüge
und Verlassenheit,
vergoren Scheitern doch,
Zerfall und Tod.

Geist-Drang (3640)6

Glockengeläut. 
Dasselbe wie vor 70 Jahren.
Es erreichte mich durch die offen stehende Balkontür.
Die Welt um mich herum versank augenblicklich.
Der Bewusstseins-Aufbruch begann sofort.
Die Winde holten mich ab. Wie immer. 
Kommandierend.
Nach dort, wo der Stoff aufhört.
Aufhört all die Schäbigkeit hier;
die menschliche Schalheit, der Stumpfsinn.
Aufhört überhaupt alles, was uns ausmacht:
Diese kleinlich-stumme Wesensschwere.
Diese Stoff-Gefangenschaft.
Diese Ausgesetztheit der Dauerdiktatur 
des Biologischen.
Diese erbärmliche Halt- und Orientierungslosigkeit.
Dieses blindschiere Tugendgezeter.
Dieses lebenslange Alleinsein.
Diese trivialtragische Sinnlosigkeit.

Dorthin gehe ich jetzt.
In jene Allgeborgenheit.
Geistgeführt.
Ich kehre heim also.
Zu IHM,
dieser substanzgenialen 
Geist-Fiktion.

Niedergang (3641)7

Ich mag es drehn und wenden,
wie ich will:
Hier tobt ein anonymer Niedergang,
tobt unterschwellig:
Als ein Spätzeitzwang:
Sich selber als Person zu schänden.
Sich zu verkaufen,
zu belügen:
Sich als Systemknecht anzupassen
an Reize von Erlebnis-Haufen;
an das Geschwafel
machtdebiler Phrasen-Riegen,
gesinnungsmystisch 
in sich selbst verlassen.

Daseins-Öden (3642)8

Von innrer Kraft
ist da die Rede,
von Chancen, 
die grad Krisen böten.
Sich wieder einzufügen
einer Seelen-Stete,
zu meiden 
unsres Daseins Öden …

Ich selber 
will die eher suchen,
mich nicht 
gefühlig zu belämmern
mit mystisch-simplen
Therapie-Versuchen,
die in mir selbst dann
ließen mich verdämmern.

Ob Öden, Schmieren, 
Gaunereien …
Ich will als das sie fassen,
was an sich sie sind:
Korrupte Selbstwert-Weihen
Gieren, Prassen:
Evolutionsdiktierte
Psychen-Massen:
Determinanten, 
kommandierend blind.

Kommentierte Worte des heiligen Franz von Assisi (3643)9

Der Menschenseele Tiefe biete
ganz unergründlich große Kräfte.
Franz meint wohl: 
Liebe, Gottvertrauen, Güte,
meint also metaphysisch süße Säfte,
die retten könnten selbst die Niete
vor ihrer Sünde Höllen-Pol.

Ich seh das anders, will nur sagen:
So was wie Sünde gibt’s nicht mehr.
Weil Wissenschaft und Aufklärung uns tragen,
das Kapital und seiner Glücke Heer.
Und die, die bringen uns in Lagen,
die Innenwelten saugen leer,
indem sie uns in Autokorrumpierung* jagen:
Zu Sklaven machen ohne Geistes-Wehr.

So herrschen Trickser, Schwätzer, Hochkorrupte:
Ein bürgerliches Lumpenproletariat.
Das sich gefügig machte selbst den Staat,
der längst sich als sein Clown entpuppte.

*Autokorrumpierung: Sittliche Selbstentmächtigung,

Für Immanuel Kant (3644)10

Wer frei sich wähnt von Fehlern und Vergehen,
hat Recht: Den freien Willen gibt es nicht.
Vergisst indes, dass er ein Ding dann ist.
Ein Tier, determiniert, sich zu versehen 
mit dieser  hochsublimen Geistes-List:

Dass man durch Einsicht auch kann sich befreien 
zur autonomen kantischen Person.
Indem man vorschreibt sich, 
sich niemals zu verzeihen,
wenn man sich bringt um jener Lohn:

Das hohe Gut der Selbstverfügungskraft,
das nicht auf Willensfreiheit kann beruhn.
Vielmehr auf Geistes-Scham, 
auf radikaler Selbstwerthaft:
All das, als wäre frei man, 
was Würde fordert, auch zu tun.

Polit-Moral (3645)11

Polit-Moral? Die ist ein Machtspiel-Sinnen.
Notorisch sittlich hochriskant.
Ein Strategie-Spiel,
Macht-Vorteile zu gewinnen.

Ist offenkundig auch ein Seins-Verstoß.
Meint Macht notwendig immer doch Gewalt;
die die Gesellschaft treibt und beutet aus;
macht oft zum Elends-Los.

Die kantische Moral soll gelten,
denn jede andere ist geistig tot,
ist nur ein Zerrbild, Daseins-Lüge
ideologisch-primitiver Psychen-Kälten.

Kranke Gesellschaft (3646)12/Sonett 

Wenn man erfühlen muss die tiefe Leere,
den Druck von aggressiven Zwangs-Neurosen,
den schalen Stumpfsinn dieser Reiz-Kolchosen
zu ködern emotionsbetörte Heere,

dass sie vergäßen alle Daseinsschwere,
wenn sie sich überließen diesem Tosen
von sie entfesselnden Erlebnis-Losen,
auf dass sich ihnen nichts mehr dann verwehre …

Dann spürt man diese Zeitgeist-Untergründe:
Den psychischen Verfall der Marktsubjekte:
Dass deren Dasein mehr und mehr doch münde

in Unzufriedenheit und hassgedeckte 
Verzweiflung über eine faktenblinde,
gesinnungswirre Staatsschauspieler-Sekte.

Abstrakte Human-Einheiten (3647)13/Sonett 

Gleich. Austauschbar. Und jeder jedem fremd,
sind sie sich folglich ihrer selbst benommen …
sich selber notgedrungen Fan und Star.
Und selbstverwirklichungslasziv enthemmt;

sind geistig tot sie, psychisch ausgeschwemmt
dem technisch autodestruktiven Mahr,
der sie vereinnahmt, jeder Freiheit bar.
Als Ich-Erleben sie zurecht sich kämmt.

Indes sie haltlos haschen nach Narkosen:
entlastungskünstlichen Geborgenheiten,
sich irgendeinen Pseudo-Sinn zu losen,

um ihre All-Verlassenheit zu meiden
in zufallshedonistischen Symbiosen,
die ihnen ephemeren Trost bereiten.

Resignationsträchtige Fragen und Antworten (3648)14

Was soll noch Geist, Kultur? 
Was soll noch Sachlichkeit?
Was irgend Einsicht, die auch eine wäre?
Was Selbstbeschränkung, 
was Verzicht auf Schein,
auf Selbstwert-, Freiheits-, Glücks- 
und Deutungs-Flausen?

Es ist vorbei. So sehe ich’s.
Die Selbstentmächtigungs-Sottisen*,
die Wirklichkeitsverluste, Tugend-Illusionen, 
die Arroganz der kratisch Unbegabten,
zumal die Dekadenz der Wohlstandsmysten …

Das alles ist zu weit gediehen,
als dass man es noch könnte steuern,
es korrigieren, überwinden gar vielleicht …
Mach’s gut, mein Deutschland, 
welcher Weg auch immer
dir fürderhin mag vorgezeichnet sein.

*sottise franz.: Dummheit, Eselei

Der primär kulturelle Niedergang (3649)15/Sonett 

Ich gehe hier mit denen ins Gericht,
die gar nichts können, sind gewissensfad;
nicht willig so, zu fassen diese Sicht:
Das Recht wird fallen, weichen dann der Staat.

Mit ihm Gesellschaft, Wirtschaft, jede Schicht
von Deutungsdrang nach einer Psychen-Naht:
Das geistig-kulturelle Haus zerbricht
am hypertrophen Nihilismus-Grad.

Und daran wird zuletzt das Ganze scheitern
- verstärkt durchs ökologische Geschick -:
Es werden Leeren sich, Verzweiflung weitern,

zu kapern kargster Mittel kleinstes Glück.
Man wird entbehren der stabilen Leitern
zu finden maßvoll in sich selbst zurück.

BRD. Funktions-Eliten (3650)16

Viel hab ich nicht zu sagen.
Nur noch dies:
Dies hedonistisch-infantile Paradies
wird nicht mehr allzu lange tragen.
Es wird sich müssen selbst anklagen
als atheistische Gemeinheits-Posse,
als  dekadentes Spaß-Verlies
und kitschvernarrte Ichsucht-Gosse.
Als Tugendmasochismus, geistig tot:
Debiler Phrasenschieber Beute.
Die sitzen mit im Sieger-Boot
narzisstisch-intellektuell ganz schlichter Leute.

Gramweiser Ratschlag (3651)17

Nimm alles, was du kriegen kannst;
nimm's zumal angesichts der Zeit,
die beiden uns doch knapp bemessen ist.
Zumal das Alter uns ja auch bedrückt
mit den Verfallsbeschwerden später Jahre ...
Vielleicht sogar mit Selbstverlust uns heimzusuchen …

Und das in einer Welt von Seelenkalten,
von Selbst-Trabanten und Substanzentschämten,
gelernten Wirklichkeitsverlustigen zumal.

Du schuldest niemand etwas, nicht mal dir;
doch weiter nichts als nur ein Zufallswurf
in einem Kosmos ohne Sinn,
Bedeutung, Zweck, Moral und Schuld.

Nimm, was du kriegen kannst - und frag nicht viel:
Warst du doch immer schon bestimmt
zu Irrtum, Scheitern, Rausch und Tod:
Zu einem Nichts zuletzt als leerer Güte.

Mutmaßungen über homo sapiens (3652)18

Nun, man entkommt sich selber eben nicht,
ist lebenslang sich selber ausgeliefert.
Determiniert durch Gene, Herkunft, auch die Art,
wie subjektiv man sich und andere erlebt.
Stets Spielball seiner und der Welt,
wie man sie wahrnimmt oder im Gefühl erfährt,
sie auslegt dann, wie sie tatsächlich sei:
Ein hochkomplexes Vielerlei: Im Kern
ein uns entglittner Großhirnkosmos:
Ein Autodestruktionsgefüge: Selbstverlust;
sei’s physisch, psychoethisch, sei es geistig auch.
Längst doch umsonst ankämpfend gegen uns:
unschuldig unser Dasein modeln müssend
durch Technik und durch Nihilismus-Handeln,
gerichtet gegen uns, bevor wir das gewahren.

Indes dass es uns geben müsse,
ist eine Affen-Illusion, die kollektiv
als Irrtum, Strohhalm, Hoffnung wirken wird 
hin bis zum bitteren: dem kollektiven Ende.

Zerfallende Demokratie/Sonett (3653)19

Hab’s überlegt, geprüft und abgewogen.
Und das Ergebnis ist: Sie hält sich nicht.
Zumindest nicht in meiner Geistes-Sicht.
Die mir bedeutet, sie ist tief verbogen.
Ist Form des Niedergangs, der Phrasen-Drogen.
Es fehlt ihr Scharfsinn, Ehre, Wert-Gewicht,
das aus Verantwortung und Maß sich flicht,
von Wirklichkeitsverlusten nicht betrogen.
Ich fasse täglich diese Art von Leere
als Staatsschauspielertum in den Parteien.
Die nicht begreifen unsre Spätzeit-Schwere:
Narzisstisch arrogante Geistes-Laien,
befangen in der Machsucht Grundmisere,
sich gegen Faktenblindheit nicht zu feien.

Für Chrisbe (3654)20

Ich hatte lange nicht an dich gedacht. 
Die radikale Sehnsucht auch zu meiden
nach rauschbeseelter Körperpracht,
die alle Glücke mich ließ leiden.
Ich kam ja nie mehr von ihr los 
von ihren tierischen Erlösungstränken,
die Sinn entbargen deinem Schoß,
sich als Moment-Delirium zu schenken.
Indes dein Tod lässt all das untergehen,
zwingt, zu vergessen deines Körpers Gleis
zu Stunden hin, die alle Daseins-Wehen
entwanden Zeit und Welt-Geheiß.

Der Tod (3655)21

Was hab ich Glück!
Da steht er doch 
im Rahmen meiner Tür.
Steht still, ganz still,
blickt jetzt zurück
auf meines Daseins
Lauf und Joch;
auf seine Stunden
voller Geistesfülle,
auch wunderbarer
Drangsal-Illusionen.
Und fordert dann: 
„Komm mit ein Stück!
Ein bisschen weiter weg
von all den Daseinskronen,
den überall versteckten Lunten.
Die du bald los sein wirst
in deines Grabes Stille.“

Subtiler Vorteil (3656)22/Systemabwehr (1)/Sonett

Es ist ein Faktum, dass ich unfrei bin:
Materie aus Quarks und Elektronen,
dass diese Existenz hat keinen Sinn …
Weil faktisch wir in Zufalls-Leeren wohnen,
determiniert, uns selbst nur zu belohnen.
Wir treiben sinnlos durch uns selbst dahin,
Pleonexie verfügt, uns Daseins-Spin* …
Verstandesknechten, die als Hirn sich fronen.
Indes mir all das schlug zum Vorteil aus:
Konditioniert, mich Geistmacht hinzugeben
in einem neuronalen Traumwelt-Haus,
in dem Verschaltungszwänge so mich weben,
aus Weltenwirren mich zu halten raus,
mir deren Leeren ins Gedicht zu heben.

*System-Abwehr: 11 Gedichte, die in je verschiedener 
Hinsicht meine starke Bedenken gegen die bestehende Gesellschaft zum Gegenstand haben
*spin engl. Trudeln; physikalisch: schnelle Drehung

Diese Mühle/Sonett (3657)23/Systemabwehr (2)/Sonett

Im Grunde ist mir diese Welt egal,
nicht ansatzweise ihrer selber mächtig.
Gefühle-Spiel, als solches amygdal.
Auch hasserfüllt so, gierig traumweltträchtig.
Da müh’n sich Affen, recht gewissensschmächtig
um Überragen, Ruhm, die höchste Zahl …
Um einen Tugend- und Gewinner-Gral,
sich selbst dann zu erscheinen groß und prächtig.
Indes ich selber kann auf Geist nur setzen;
das heißt, mir sind verwehrt die Wesens-Ziele:
Wie Mammon-, Lust- und Machtsucht-Hetzen.
Mir bleibt die Einsicht nur in diese Mühle
von Dekadenz, Pleonexie und Fetzen
der Unschuld neuronaler Zwangs-Gewühle

*amygdal: Die Amygdala (griech.: ἀμυγδάλη = Mandelkern) betreffend.
Amygdala (Corpus amygdaloideum)/Sehr kurze Hinweise:
(1) Die Amygdala ist Teil des limbischen Systems 
(2) Aus 13 Einzelkernen bestehend
(3) Fundamental für unseren „Emotionshaushalt“
(4) Stichworte: Erregungen, Affekte, Gefühle, Stimmungen - negativ (etwa Angst) oder positiv (etwa Lust).
Wen's interessiert: Gerhard Roth, Fühlen, Denken, Handeln, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1678, S. 256 -284

Alternativlos (3658)24/System-Abwehr (3)/Sonett

Was sollte ich denn an Erwartung haben?
Die, gegengängig, wäre ohne Ziel.
In diesem Trauerloch, so knechtssubtil,
in dem man muss sich an Konsumschund laben,

Erlebnisjäger sein, sich Reize schaben
aus diesem Illusionsgefüge-Spiel,
das streng gefügig macht, ja oft: debil.
Zu unterwerfen sich den Marktvorgaben.

Obwohl das stimmt, muss ich auch dies gestehen,
dass man dem allem sich kann nicht entziehen;
muss doch das Wohlstands-Karussell sich drehen:

Denn nicht nur psychisch ist man ihm gediehen,
nein, nein: man würde lauter Scherben sehen,
wenn‘s unternähme man, aus ihm zu fliehen.

Resümee nach etwa 30 Jahren (3659)25/Systemabwehr (4)/Sonett 

Dass eine Sehnsucht ich nach irgendwas noch hätte,
das kann ich wirklich nicht mehr redlich von mir sagen.
Was hätte diese spaßverhärmte Dünkel-Stätte
mir denn zu bieten außer Leerformel-Gelagen

und tugendklerikal neurotisch stumpfsinnfette 
Polit-Sottisen, die nur Wert-Schimären jagen;
und dies vorbei am Wählerwillen um die Wette.
Weil man korrupt ist geistig: mit sich selbst geschlagen.

Ich will nur einzig dies noch: will beizeiten sterben.
Bevor noch mehr zerfallen Recht, Moral und Staat.
Die nämlich taumeln schnurstracks jetzt schon ins Verderben:

Verhunzt doch von Charakterlosen im Format
von Schwätzern, die sich nur noch selbst umwerben:
gewissenlos, narzisstisch, faktenblind und fad.

Monomanes Ich Systemabwehr (5) (3660)26

Ach die Nähe, 
gar die Liebe …
das ist nichts für mich.
Da ich sehe 
ihre Trübe,
schattenkundig doch
an sich.

Seh nun mal den Selbstbetrug,
sind wir uns doch fremd.
Bleiben es: Phantasmen-Flug,
der sich selbst durchkämmt.

Der sich Illusionen baut.
Als Entlastungsschein.
Delirierend Glück aus Haut.
Doch man bleibt allein.

Bleibt es, ist es lebenslang.
Redet nur mit sich;
Hyle-, Hirn- und Gene-Zwang:
Monomanes Ich.

Von der Dialektik der Ideale (3661)27/Systemabwehr (6)

Hab lebenslang versucht,
mich fernzuhalten
von dieser Leerwort-Diktatur
der ideell Befangnen:
Der arroganten Tugend-Knechte
- oft reflexionsarm, würde- 
und gewissenlos human verrucht -
Die als Propheten wollen
höchster Güter walten,
von denen niemand freilich 
etwas wissen kann.
Erweisen faktenblind sich so 
als Wert-Tortur:
Zerrüttend jedes Augenmaß,
entlarvend letztlich jeden Wert
als sei’s Entlastungs- 
sei es Illusionen-Bann …
die Ideale selbst
als potentielle Barbarei-Gewalten.

Mammon-Tränen (3662)28/Systemabwehr (7)

Ein Reize-Greifer,
der einst Seele hieß:
Entlastungs-Eifer
in dem Markt-Verlies,
das happy macht 
durch Wow-Gefühle
in seiner späten Schlacht:
Ein Dekadenter Endzeit-Spiel.
Die sich nach Untergang
als Rettung sehnen …
Doch faktisch ohne Selbstbelang
als ungeweinte Mammon-Tränen.

Das Glück der Einsicht (3663)29/System-Abwehr (8)

Dass Glück ich hatte, das steht fest.
Ich habe nämlich nie an Sinn geglaubt,
an Gott, an Güte, Würde und Vernunft.
Genauso wenig auch an all den Wahn 
von Daseinsmärchen, dass die Welt 
doch gut sein können müsse; kann sie nicht.
Wir sind ihr nun mal Katastrophe.

Wenn ich auch eingestehe, dass wir’s müssen:
Für uns heißt überleben doch: zerstören.
Und all das hab ich lebenslang bedacht,
im Kessel meiner Einsamkeit entziffert
als unausweichliches Gesamtschicksal.

Einsichts-Macht (3664)30/System-Abwehr (9)

Was aus dem Menschen werden wird
- ich meine: werden muss -,
ist nichts, was mich verängstigt, gar verwirrt;
auch wenn ich ahne, 
dass er Sehnsucht hat nach Schluss.
Nicht weil er grausam wäre, böse gar per se.
Ach was! Er ist sein eigner Spielball nur,
verfügt Pleonexie und Seelenschnee:
Heteronomer Ich-Tortur.

Und weil ich’s weiß, ist’s mir gegeben,
mich abzufinden mit der eignen Nichtigkeit,
mit diesem sinnlos-unbedarften Leben
in einer schäbig-inhumanen Zeit.

Glücke (3665)31/System-Abwehr (10)

Glücke? Meistens nur noch Markt-Komplott!
Doch manche liegen auf den Straßen rum;
wärn nicht narzisstisch: trügerischer Schrott.
Wie ihn uns andreht jenes Schwätzertum,
das sie nur kennt als coole Markt-Zirrhosen,
als fake: als Star- und Prominenten-Stuss,
als Hedonismus-Ramsch in Traumwelt-Dosen,
den jeder - andres gibt’s nicht - löffeln muss.
Nun ja, die Glücke sind geworden selten
(subtile gar schon längst verschwunden).
Nur dieses blieb: Erlebnis-Glück von Kunden -
als Selbstsucht-Jagd durch biedre Daseins-Kälten.

Warum … (3666)32/System-Abwehr (11)

Warum ich zynisch bin,
ganz unromantische Gefühle hege,
nicht an die Liebe glaube,
auch nicht an Moral?
Weil das - ganz schlicht - 
macht keinen Sinn in einer Welt 
erzwungner Selbstsucht-Pflege,
vertrackt subtiler Psychen-Staupe
als hochabstraktes 
Lust-Bestrafungs-Ritual …
In einer Welt, 
sich selbst abhanden,
sei’s nun gesellschaftlich, politisch, 
sei’s kulturell, sei es sozial,
wo sich grandios-narzisstisch Dilettanten
ergattern jedes 
läppisch-schlichte Ohnmachts-Mal …
In einer Welt, die schleichend niedergeht,
sich selbst was vormacht, faktenblind
sich selber hilflos gegenübersteht,
sich, geistig mittellos, 
wohl unumkehrbar selbst zerrinnt …

Teilchen-Fluch (3667)33

Die Glocken läuten:
still wird diese Welten-Halde.
Durchstreift sie dieser
Gott jetzt doch,
trägt Trost-Gran in sie,
frei von Last,
von Gramgefügen auch.
Um sie sich 
gütig auszudeuten,
damit sie sich erhalte,
sich werde heilen  
von dem Menschen-Joch,
das sie verprasst …
für Macht und Spaß und Bauch.

Prosafetzen (229) (3668)34

Für die Liebe - sie gelte, als was immer -
reicht meine gesellschaftliche Stellung nicht,
ist zumal mein Gehalt zu gering,
wäre die Tatsache, dass ich nicht in Urlaub fahren will,
ein viel zu großes Hindernis, 
schürte meine Weigerung, über Emanzipation zu reden,
kaum zu lösende Konflikte …
Vor allem aber reicht meine Einsicht aus,
mich nicht betören zu lassen von eben dieser Liebe - 
Heutzutage, da sich die Seelenregungen 
nur noch um individuelle Wohllebensbegehrungen drehen,
ist sie doch nichts weiter mehr 
als sentimental-konsumtives Erleben 
einer romantischen Gefühlsqualität
oder eben eine Form subjektiver Selbsterhöhung im Du …
Oder, im Einzelfall, eine Grundlage der Hoffnung, 
einen Lebenssinn in ihr, der Liebe, zu finden.
Oder auch eine Existenzentlastungs-Chance in einer 
zunehmend unübersichtlicher und 
bedrohlicher werdenden Welt.

USA VII (3669)35/Sonett

Amerika, du hast dich selbst verlassen.
Verlierst in Selbsttrug dich und Lebenslügen.
Du, Disneyland akultureller Riegen,
die trash sich, Hollywood und Geld verprassen.

Oligarchie der superreichen Blassen,
banaler Menschen, die das Land verbiegen,
musste die Vorbilds-Mär dir doch versiegen …
Demokratie? Wo wäre die zu fassen?

Wo Gott, Familie Vaterland? - Die Halte,
die du als deine ausgabst, der ersehnten
Stadt jenes Hügels, in der Licht nur walte,

vom Herrn geworfene Vollendungsfalte.
Dir, zweites Israel. Wie sie’s sich wähnten
in Hoffnungsweiten, die die Seelen dehnten.

Offene Worte/Für Max Weber (3670)36

Agapeklerikal grundgelegte Ideal-Anwandlungen;
auch die eigenen Neurosen zu objektivieren
in einer Art Polit-Tugend-Ersatzreligion:
Halbbegabte Intellektuelle: Faktenblinde,
verhehlen sich durch diese humanitär-ethische,
auch bei vielen anderen als selbstverständlich geltende
Entlastungs- und Selbstbelämmerungs-Haltung,
ihre für sie unüberwindbare Reflexionsarmut.
Alle Polit-Moral ist illusorisch: Fiktionen-Drangsal.
Es sei denn, die blanke Angst, 
oder zwingendes Interesse verwiesen auf 
gaukelhaft-unterwürfige Wertschauspielerei.
Der Mensch ist ein Hobbes**-Tier, Pleonexie-Spielball.
Ist ein Replikatoren***-Gefüge, 
das sich Selbstzweck sein muss.
Überhaupt: Uns muss es nicht geben. 
Und hat man den Mut,
seine Lebenslügen aus Stolz ehrlich zu zerpflücken,
dann wird man aufhören, mit Ethik zu bramarbasieren.
Und überhaupt: Politisches Handeln ist Machthandeln,
nicht Missionsarbeit für  narzisstische Weltgeist-Amazonen.
Es geht um handfeste Interessen, ökonomische Vorteile,
es geht um Überragen … Allerdings auch um Ausgleich,
gegenseitige Vorteile, es geht um Autarkie* (maximale),
um Vertrauen, gesellschaftlichen Zusammenhalt, 
es geht um Selbstzurücknahme um einer Sache willen,
um Augenmaß, leidenschaftliche Selbstaufopferung: Geist.

*agapeklerikal: priesterlich auf Menschen- und Gottesliebe abhebend
**Thomas Hobbes, englischer Philosoph, 1588 – 1679, Hauptwerk: "Leviathan", das ist der Staat oder der „sterbliche Gott“, T. Hobbes, Leviathan, Hamburg, 1996, XL f.: (Übersetzung von Hermann Klenner). 
Leviatan, vgl. Hiob (AT), Hiobs Klage, Luther-Bibel, Stuttgart 1991, S. 524, 3,8: „“Es sollen sie verfluchen, die einen Tag verfluchen können und die da kundig sind, den Leviatan* zu wecken“. D. i. ein Riesentier, nach Art des Krokodils“ … Hiob: 40,45: „Kannst du den Leviatan fangen mit der Angel und seine Zunge mit einer Fangschnur fassen …“ 41, 1: „Sieh, jede Hoffnung wird an ihm zuschanden; schon wenn einer ihn sieht, stürzt er zu Boden …“ „Auf Erden ist nicht seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht.“
*Leviatan ist also ein Seeungeheuer, das von niemandem zu bändigen ist.

Hobbes-Gedicht/Ein Gedicht von Thomas Hobbes 
(Über das menschliche Dasein und das Wesen des Menschen). Den englischen Text des Gedichtes habe ich nicht gefunden.

Ein Konkurrenzkampf ist’s,
Der keinen andren Ruhm,
Kein andres Ziel kennt als:
Sieger zu sein. Denn
Andre hinter sich zu lassen,
Das ist Stolz,
Sie ständig vor sich sehen,
Führt zu Unterwürfigkeit.
Gestoppt zu werden, das löst Hass aus,
Und umzukehren Reue.
Ermüden heißt verzweifeln,
Und hinzufallen heulen.
Besiegt zu werden - das ist Unglück.
Den Sturz des andern - höchste Freude.
Das Rennen aber aufzugeben, ist der Tod.

*Da haben wir ihn: Den von seiner Kreatürlichkeit radikal und ausweglos beherrschten und vollständig unterdrückten, hilflos sich selbst ausgelieferten, ichschwach erbärmlichen, von seiner eigenen Macht verknechteten Menschen, das Halbtier: sich selbst und den anderen eine Plage, eine Last, eine Schande, ein ständige Bedrückung.
Da haben wir auch sie: die emanzipationsklerikale Macht-Monomanie, die im Kern völlig unpolitisch ist: Ideologen-Missionarismus, substanzlinkisch, unerotisch und also glücksfeindlich. 

***Replikatoren (vgl. Richard Dawkins, Der blinde Uhrmacher, München 1996, dtv, S. 153): „Was ist die lebenswichtige Zutat, die ein toter Planet  wie die urzeitliche Erde haben muss, um schließlich lebendig zu werden wie unser Planet? … Es ist eine Eigenschaft, die Eigenschaft der Selbstreplikation. Das ist die grundlegende Zutat der kumulativen**** Selektion. Es müssen auf irgendeine Weise, als eine Folge der gewöhnlichen Gesetze der Physik, sich selbst kopierende Gebilde oder, wie ich sie nennen werde, Replikatoren entstehen. Im rezenten***** Leben wird diese Rolle fast ausschließlich von DNS-Molekülen übernommen, aber jedes Ding, das kopiert werden kann, könnte diesen Zweck erfüllen …“ „Replikation = Bildung einer exakten Kopie bes. von Genen oder Chromosomen durch Selbstverdopplung genetischen Materials“ (so Duden, Fremdwörterbuch)
****kumulativ = (an)häufend
*****rezent = gegenwärtig lebend

Stolz (oben im Gedicht „Offene Worte/Für Max Weber", Zeile 15). Dazu Alexis de Tocqueville, 1805 - 1859, Nie habe ich - und werde es auch nicht - die folgenden Worte des von mir hoch verehrten Alexis de Tocqueville aus seinem Buch „De la Démocratie en Amérique“, 2 Bände, Paris 1981, Garnier-Flammarion, Band II, S. 304f) vergessen:
„Les moralistes se plaignent sans cesse que le vice favori de notre époque est l’orgueil. Cela est vrai dans un certain sense: il n’y a personne, en effet, qui ne croire valoir mieux que son voisin et qui consente à obéir à son supérieur; mais cela est très faux dans un autre; car ce même homme, qui ne peut supporter ni la subordination ni l’égalité, se méprise néanmoins lui-même à ce point qu’il ne se croit fait pour goûter des plaisirs vulgaires. Il s’arrête volontiers dans de médiocres désirs sans oser aborder les hautes entreprises: il les imagine à peine. Loin donc de croire, qu’il faille recommander à nos contemporains l’humilité, je voudrais qu’on s’efforçât de leur donner une idée plus vaste d’eux-mêmes et de leur espèce; l’humilité ne leur est point saine; ce qui leur manque le plus, à mon avis, c’est de l’orgueil. Je céderais volontier plusieurs de nos petites vertus pour ce vice.”
Ü/Sa.: “Die Moralisten beklagen sich beständig darüber, dass das am weitesten verbreitete und von den Menschen unserer Zeit am meisten goutierte Laster der Hochmut/ Stolz/die Überheblichkeit* sei. Das ist im gewissen Sinn richtig. Gibt es doch in der Tat niemanden, der nicht glaubte, besser zu sein als sein Nachbar; keinen auch, der sich damit abfände/damit einverstanden wäre, dem ihm Übergeordneten/ Vorgesetzten zu gehorchen. Indes ist es andererseits sehr falsch; denn derselbe Mensch, der weder Unterordnung noch Gleichheit ertragen kann, verachtet mitnichten sich selbst in der Hinsicht/in dem Sinne, dass er glaubt, dafür gemacht zu sein, nur vulgäre Vergnügungen zu genießen: Er begnügt sich freiwillig mit mittelmäßigen Wünschen, ohne es zu wagen, bedeutende (nämlich: intellektuelle, sittliche und geistige) Vorhaben/Aufgaben/ Daseinsanforderungen/ Existenzvollzüge usw. anzugehen; er stellt sie sich nicht einmal nur vor/kaum vor. 
Weit davon entfernt also, zu glauben, dass man unseren Zeitgenossen Demut anempfehlen sollte, möchte ich, dass man sich darum bemühe, ihnen eine höhere Vorstellung von sich selbst und ihrer Art zu vermitteln; die Demut ist ihnen kaum zuträglich. Was ihnen, nach meiner Meinung, am meisten fehlt, das ist Stolz. Ich jedenfalls würde für dieses Laster „Stolz“ gerne/ohne zu zögern dafür (für die Tugend des Stolzes) auf mehrere unserer kleinen Tugenden verzichten.“

Freilich: Stolz und Hochmut/Überheblichkeit sind mitnichten dasselbe: Stolz ist ein Affekt, der einen zu Selbsttranszendenz (Selbstüberschreitung, -überwindung) anhält, um sich sei es moralisch zu bessern, sei es sich in Bezug auf sich selbst ehrlicher zu machen (sich selbst angemessener kennenzulernen, um sich nicht dabei erwischen zu müssen, dass man positive Eigenschaften bei sich gegeben glaubt, die man faktisch gar nicht hat, sei es „das Belebende im Gemüt“ (Kant; der meint mit diesem Belebenden „Geist“) überhaupt zu kultivieren, zu differenzieren, zu verfeinern, voranzutreiben. Stolz ist vor allem ein Affekt, der einen von etwas abhält, was einen in den eigenen Augen erniedrigen, sittlich kleiner, gar verachtungswürdig, kindisch und pleonexiehörig machen würde. Stolz, das ist ein geistiger Antrieb, mehr aus sich zu machen, als man bisher war und ist, weil man weiß, dass man mehr sein k a n n (die Mittel dazu in sich vorfindend, nämlich die geistigen, von denen man zumindest ahnt, dass man sie werde zu gebrauchen wissen, um sich menschlich, kulturell und ethisch sich immer weiter über sich hinauszuheben). Stolz, das ist ein geistiger Imperativ, nämlich der, in jeder wünschbaren Hinsicht über sich hinauszuwachsen.
Hochmut hingegen oder Überheblichkeit sind Eigenschaften, die sich der geistig mittellose, profan-banale Existenzschauspieler anmaßt: der Prestige-Gaukler, der andere einnehmen, förmlich übertölpeln will, auf dass sie ihm Eigenschaften, Fähigkeiten usw. zuschrieben/zutrauten, die er faktisch gar nicht hat (und nie haben wird).
Stolz als kultureller Imperativ: Das ist der Stolz, der einen daran hindert, durch sein Verhalten so tief zu sinken, dass man sich schämte, schämte zumal auch dafür, sich durch dieses Verhalten einem Selbstverrat und entsprechender Selbstverachtung ausgesetzt zu haben; freilich: wir leben heute in entschämten Gesellschaften; wohl vor allem deshalb, weil Scham eine konsumhemmende Gewissensdisposition wäre: eine antihedonistischer Imperarativ. 

Der unabänderliche Lauf der Dinge (3671)37

Natur fort, Gott, Person, Gewissen;
Zumal Gesellschaft, Recht und Staat zerfallen.
Indes die Menschen, Halt und Sinn entrissen,
sich an Bewusstseins-Dirigismus krallen.
Orientierungslos von Angst getrieben,
Verzweiflung und Vertrauensschwunden,
versinken sie in Wert-Belieben:
ins Schicksal phrasenkommandierter Kunden:
Medial gesteuerten, verfügt doch ungreifbaren,
technisch-abstrakten Weisen toter Sinnlichkeit,
erzwingend unfehlbar dann ein Gebaren,
despotisch-uniformer Macht geweiht.

*Implizit will ich damit auch - alle Kritk an wem auch immer in Frage stellend/ja: tatsächlich zurücknehmen müssend - sagen, dass von einem subjektiven/individuellen sittlich-moralischen Versagen eigentlich (etwa die neurobiologischen Tatsachen in Rechnung stellend) keine Rede sein kann ... Gibt es doch weder eine Willens-Freiheit (Autonomie) noch also Selbsbestimmung noch Schuld noch also zurechenbare Verantwortung. Indes wir brauchen derlei Fiktionen, um psychoethisch-sozial-gesellschaftlich unser Leben meistern/deutungsfähig/Sinn delieriernd stabilisieren zu können, brauchen sie, um Gesellschaften überhaupt - wenigstens im allgemeinsten Sinne - steuern zu können (daran hindern zu können, in totalitäre Anomie zu versinken).
Zu vergleichen dazu ist , wäre das Gedicht "Wahrheitsgemäß" (unten auf dieser Seite Nr. 3686)

Untergang (3672)38

Sie lässt sich nicht mehr
in Gedichten greifen:
Als Rausch- und Wort-,
als Deutungs- und 
als Geistes-Rätsel,
die Welt, 
in der ich vegetiere:
global-abstrakt-formale 
Mammon-Diktatur.
Muss jede Form 
von Phantasie so schleifen,
zu steuern eine schiere
neurotisch-hedonistische Tortur …
Sie lässt sich nicht mehr
in Gedichten greifen:
nicht ideell, 
nicht sittlich mehr,
schon gar nicht
metaphysisch noch:
Als Seelenabtreibungs-:
Als Entglückungs-Joch,
muss sie hysterisch
tugendmonoman,
als Einheits-Trübe,
Deklassierungs-Anomie …
Als Untergang sich keifen.

Glück (3673)39/Sonett 

Es gibt sie, diese wunderbaren Glücke:
Nur dass ich sie nicht grade oft benenne;
bewusst der Sprache mir und ihrer Tücke:
Dass eine Einsicht sie mir überrenne.

Und sich am Ende mit Begriffen schmücke:
Dass man sie nur als flüchtige gewänne, 
als Stundenräusche einer Fakten-Lücke,
die nur als Schein von Daseinslasten trenne.

Indes nicht eines habe ich vergessen.
Es ist mir jedes noch als Bann präsent,
als der es Lügen strafte all die Messen

von Habsucht, die in Niedertracht ausbrennt,
sich zu erhöhen in Sozial-Exzessen,
wie man sie heute als Entlastung kennt.

Wintertag-Affekt-Wirbel (3674)40

Wintertag. Grau. Geheimnisvoll. Sinnstarr.
So wie damals, in der fernen Kindheit:

Der Schnee rieselt still und indolent
auf die Asphaltflächen herunter.
Gleichsam metaphysisch aufgeladen 
mit der Monotonie eines seelisch
bergenden Immergleichen, welches trägt 
in eine tröstend-beharrende Geborgenheit.
Dem Fall seiner dicht fallenden Flocken folgend,
gleite ich hinüber in jene verschwundene Welt,
deren märchenhafte Verzauberung* 
noch einmal zutiefst dankbar zu spüren.

Auch um den vollendeten Nihilismus
dieses Alptraums aus Mammon-Fetischismus,
Tugendverlogenheit, Polit-Gefasel, 
Reklame-Primitivismus, Realitätsverweigerung,
geistiger Armut, Charakterlosigkeit und 
imperativem Hedonismus ein wenig zu vergessen …
Zu vergessen den menschlichen Abklatsch:
Entseelt, stumpfsinnig, gewissenlos, markthörig.

*Verzauberung: Diese wird uns in unserer modernen kapitalistisch-naturwissenschaftlich-technisch Welt vorenthalten; und dieses vollständige Fehlen von Verzauberung ist einen zentrale Quelle des Verdorrens der individuellen Innenwelten: Sie werden seelenkalt, gewissensarm, mitleidlos, narzisstisch, rücksichtslos, dünkelhaft unverschämt, sind ohne Ehrfurcht, Scham, Mitgefühl usw. usw.; kurzum: sie verkümmern

Gedanken anlässlich der Corona-Pandemie im Jahr 2020 (3675)41

Wenn du tatsächlich draufgehn solltest,
nun ja, dann wär es eben so.
Weißt du genau doch, worum’s letztlich geht
in diesem hypercool
verwahrlosungsaffinen Wohlstandskosmos.
Um dich bestimmt nicht.
Nein. Um gar nichts geht`s,
wenn man es objektiv: naturalistisch kalt betrachtet.
Für uns geht’s, muss es, um die Wirtschaft nur,
um Technikfortschritt und die Wissenschaft …
Zuletzt ein Zuchthaus-Dasein ohne Inhalt schaffend:
Von Sehnsucht leer, von Geist, von allem Glanz,
der dieses Leben letztlich trägt und hebt:
Als metaphysisch-göttlich-infantile Unvernunft.
.
Und du, du weißt das, machst dir da nichts vor.
Weißt, dass du nichts hier zu verlieren hättest,
wenn dich das Virus packen sollte.

Indes vergiss nicht, wenn’s an Sterben geht,
dann gilt das alles nicht, 
was dir ein Einsichts-Mut erwuchs.

Dann wirst verheult du nach dem Leben haschen,
um’s zu behalten, zu bewahren - unbedingt.
Sei es auch Farce nur noch:
Deterministisch-radikales Zufallswalten.
Genauer: Fades Nichtigkeits-Geschehen.

crapule (3676)42

Ja sicher trinke ich zu viel.
Und werd auch deshalb 
nicht mehr allzu lange leben.
Doch weiß ich: 
Langes Leben ist kein Ziel
in einer Welt, 
wo alle nach sich selber streben,
Monaden sind 
in einem miesen Spiel,
das dekadent ist, kalt,
abstrakter Wohlstands-Deal,
narzisstisch sich debil zu heben
zur geistig toten: 
exemplarischen crapule.

*crapule = franz.: Gesindel, Pöbel, Gesocks; auch: Schwelgerei, Völlerei; crapuleux = ausschweifend, verkommen, entartet, liederlich

Immerhin (3677)43

Immerhin hab ich begriffen:
nicht kommt’s irgend auf mich an.
Mich entsprechend abgeschliffen,
dass ich halbwegs leben kann.

Bin ich deshalb unzufrieden:
fühle mich nicht gut?
Nein. Ich halte aus die Nieten 
dieses Spaß-Kults ohne Glut

Muss mich strikt ja auch begnügen,
mache ich doch hier mein Geld:
Grundlage von Selbstgenügen:
psychophysisch Daseins-Zelt.

Mir dem Individuum,
Kaufkraftträger und sonst nichts.
Geistig tot und menschlich stumm:
Maske eines Leichtgewichts.

Wär … (3678)44

Wär doch ganz schön,
wenn’s bald zu Ende ginge.
Tatsächlich 
fühl ich manchmal so.
Dann wär ich alles los; 
mich selber auch:
Verfall entronnen, Wert-Tarot
in eines Grabes Schoß.
Das Allerbeste freilich wäre,
in dieser Welt hier nie zu sein,
zerfließend sich als kalte Zähre …
ekstatisch kommandierter Pein.

Mitteilung (3679)45

Was immer halte man 
von den Gedichten,
die ich geschrieben habe 
(eine ganze Menge) …
Ob sie gefielen 
oder Hass erregten …
das ist mir, bin ich ehrlich, 
ganz egal.
Will ich durch sie doch nur 
mich selber geistig lichten,
bewusst mir machen 
meine Daseins-Zwänge
- auch die, die unbewusst 
mein Sein bewegten -
bevor ich gehe wieder: 
lasse dieses Wunden-Mal.

Sonett (3680)46/Für homo sapiens bambergensis

Es gab auch Tränen, die sich in den Abend soffen.
Nicht weil ich traurig war. Nein. Umgekehrt.
Da hat mich Sehnsucht wieder mal verzehrt
nach deinem Körpergral. Ich sag’s ganz offen.
Und das, das hat mich dann im Mark getroffen.
Wie damals selbstzerstörerisch versehrt:
Von den Kommandos deines Fleischs betört.

Doch sei’s. Zu spät. Es gibt nichts mehr zu hoffen.

Ob du noch manchmal an mich denkst? Wer weiß?
Bestimmt indes hast du mich längst vergessen.
Gehst auf in deinem eignen Wirkungskreis.

Indes ich bleiben werde grundbesessen
vom Sinnschutt der erotischen Details,
der uns umfing im Trance-Sog unsrer Messen.

Wesensmängel (3681)47

Fremdheit, Ich-Fron, Deutungsschwere …
Anonyme Daseinsblößen.
Ob man hasse, ob begehre,
ob entlarve Wert-Synthesen,
Hochmut, Stolz, 
gar Tränen-Meere …
Man erahnt sie, ihre Spuren.
Ob im Guten oder Bösen
als den Fluch der Art-Blessuren:
Zwänge unsrer Grund-Misere,
dass wir werden wohl vernichten
uns, Natur- und Seins-Strukturen:
Rationale Zufalls-Größen,
die sich müssen technisch schichten
eine Welt abstrakter Leere
ohne irgend Sinnkonturen.

Nur meine Mails will ich eigentlich lesen (3682)48

Zunächst von News und Werbung überschwemmt
- ich kann mich nicht dagegen wehren -,
bin ich schon ziemlich aggressiv, geneigt zu Häme.
Zumal nichts jener Unverschämtheit hemmt;
grad so, als würde ich sie gar begehren,
auf dass sie, flutend mich, mich meiner selbst benehme.

Die Macher wissen freilich ganz genau, 
dass von sich selbst sich müssen immer mehr ablenken;
und deshalb dankbar sind für jener Grundbotschaften.
Man bietet ihnen Glück, Erlösung, Überbau,
schlägt vor, sie sollten sich was Schönes schenken;
um so ihr Dasein besser zu verkraften.

Na ja, das mag sogar sein Gutes haben.
Weil nur auf sich gestellt, lebt man gefährlich:
Erlangt mehr Einsicht, steigert seine Gaben.
So weiß ich deshalb etwa, dass wir untergraben,
die einfachste Moral: Zu sich sein ehrlich;
so werden ausbeutbar und menschlich ziemlich spärlich.

Primatenbestialität (3683)49

Die technisch-naturwissenschaftlich-kapitalistisch
inszenierten Konsumdiktaturen,
die, Menschen unterjochend, gängelnd, betrügend,
entwesend zuletzt…
sollten ein Ende haben.
So sollte ich es wollen.
Mir durchaus im Klaren darüber,
welches Leid, welches Elend,
welche Niedrigkeit, welche Gräuel 
- würde dieses Wollen vollzogen - 
dadurch über uns alle gebracht würden.
Indes: Ich will es so.
Richten jene doch
jegliche humane Substanz zugrunde,
schaffen sie doch 
eine Stumpfsinnmonade
als biosoziale Funktions-Einheit,
fühllos und vollständig heteronom … 
sich selber gleichgültig
um künstlich generierte 
Phantasiewelten kreisend.

Indes: Was rede ich denn da, 
von Hass getrieben, 
von intellektueller Arroganz,
von einem maßlos ideellen Eigensinn,
der nichts begriffen hat, 
nichts greifen kann,
zumal sich selbst vor allem widerspricht? ...

Es muss so bleiben, wie es ist:
Denn da vollzieht sich nur 
- indes wir's schuldlos leiden -
des Stoffes Selbstentfaltung;
auch durch uns hindurch:
Determinierter Zufall sein zu müssen,
als dieser - daseinshungrig - auch 
nur sein zu können.

Objektive Tatsachen (3684)50

Bist dir selbst doch
Zwang und Grenze:
schicksalshafte Seinsgewalt ...
Von Geburt an 
bis zur Sense
ohne Sinn und ohne Halt.

Herrlicher Spätsommertag (3685)51

Der Wind streicht durch die offenen Fenster.
Mein Frühestes vor sich hertreibend,
mein Spätestes mir diskret bedeutend:
Die währende Identität
der großen Vergeblichkeit.
Manchmal,
gram- und magiegeschwängert,
scheinbar unterbrochen 
von Wirklichkeit trübenden,
augenblicksdrastisch faszinierend erschütternden Erinnerungen.

Glücklich (3686)52

Nun ich war es.
Jede Stunde.
Sei's auch für Momente nur.
War es freilich 
nicht als Kunde
gängiger Ivressen.
Glücklich war ich,
will ich sagen.
Glücklich 
ohne jede Schrunde,
glücklich
nicht nach Medien-Messen,
nicht nach 
inszenierten Lagen.
Wissend doch,
dass man sich schände,
auf Entfesselung versessen,
zu entgehen Sklaven-Plagen:
Geist- und Selbstverlust-Tortur.

Trostloses Psychen-Gestrüpp (3687)53

Merkwürdig, es schon definitiv zu wissen, 
kaum dass man den Saal betreten hat:
Ein bedrückender Tag zieht herauf,
zerrissen von Erledigungszwängen,
der Diktatur der technisch perfektionierten Entwirklichungsapparaturen, 
die einen so stumm wie tyrannisch umstellen
und in ihren stumpfsinnig machenden Beschlag nehmen,
und dem narzisstisch-selbstsüchtig 
desorientierten Eigensinn einer menschlich 
permanent überforderten Artgenossenschaft, 
hinter keep smiling-Gängigkeitsfloskeln 
und hilflos-flachschichtigen Witzeleien 
von nicht mehr überbietbarer Anspruchslosigkeit;
unbeholfen gesellschaftliche Selbstverramschunsgbefehle kaschierend,
Floskeln und Witzeleien,
wie sie der kommunikativ deklassierte Virtuose 
kollektivierender Verbraucher-Idiosynkrasien
gleichsam reflexhaft aktiviert, 
abgerichtet aus sich herauswürgt als Schauspieler 
an inszenierter Pseudo-Persönlichkeit
medial provozierten geistigen Dauer-Ruins -
Entlastungsversuche freilich auch 
einer außengesteuerten,
sich behelfsdifferenzierenden Sozial-Monade:
Verlassenheits-Selbst: 
flachseelisch, roh, moros, geldgierig, 
vergnügungserpicht 
und devot markthörig auf sich selbst 
als personales Surrogat verwiesen.

Ein bedrückender Tag zieht herauf,
einem zusetzend mit unabweisbaren Vorstellungen,
Ahnungen mehr als Einsichten und Gedanken,
dass da ein Wille zur Selbstzerstörung am Werke sei,
verzweiflungsgehetzt gleichsam thanatophil,
sich heraus zu retten aus einer Welt,
die radikal darauf verwiesen ist, 
Inhalt, Sinn, Bedeutung, Zusammenhang und Glück 
nur noch halluzinieren zu können,
um sie, sie halluzinierend, zugleich zu negieren
in orgiastisch erbärmlichkeitstrunkener Gleichgültigkeit.
Doch niemand trägt Schuld daran. Niemand. 
Auch nicht die Macher:
Selbst gebundene Opfer gewürfelter Mittelmäßigkeit.

*Idiosynkrasie = Überempfindlichkeit
*thanataophil = griech.: den Tod liebend

Wahrheitsgemäß V (3688)54

Nein. Nein. Ich habe nichts zu sagen.
Zu was? Und wem? Und warum ich?
Ich streife höchstens nur noch unsre Lagen.
D i e weiß ich unabänderlich.
Die weiß ich schäbig, schal und ausweglos.
Und dass sie keiner wollte. Keiner.
Da wuchert cerebrales Los*.
Und d a s ist ein Verneiner.
Indes gab’s auch für mich Momente.
D i e wogen alles auf.
Versagen. Leid. Das Wissen um das Ende.
Den ganzen: so absurden Lauf. 

*Die uns wesentlich als menschliche Bedürfnis- und Trieb-Wesen bestimmende Diktatur (das Wort wird hier n i c h t kritisch verwandt - als hätten wir die Wahl, auf sie zu verzichten; haben wir mitnichten) naturwissenschaftlich-technischer Rationalität im Dienste des kapitalistischen Wirtschaftssystems, welches allein fähig ist, denjenigen materiellen Wohlstand hervorzubringen, der für die meisten der Menschen - sie mögen ansonsten sein, welche auch immer - das summum bonum ihrer Existenz darstellt; auch als Garant von so etwas wie Lebenssinn, der in einer Konsumgesellschaft nur diesseitig-gesellschaftlich-sozial-eudämonistisch-hedonistisch, nicht mehr (jedenfalls immer weniger) metaphysisch realisiert/erreicht werden kann.

Leeren-Zecher (3689)55

Ein Leben lang
in mich versunken.
Allein.
Da war nichts,
was berührt mich hätte ...
Nur Leeren hab ich
ausgetrunken
auf dieser 
Waren-Ilusionen-Stätte
der Phrasen, Reize 
und Effekt-Spelunken:
Ruinen 
ohne Seinsbelang.

Ideal und Wirklichkeit (3690)56

Man sollte sich
nicht drücken dürfen
vor dem, was man 
als Kreatur so ist:
Bedürfen, Trieb,
Alleinsein, Frist.
Prekäre Vielheit
sich als Ich …
Bescheiden so 
in Wort und Tun
zu schürfen
nach Wegen
wie man nicht vermisst
sich selbst 
ob dieser Wesens-List,
es gälte unbedingt,
sich auszuschlürfen,
sich selbst zu sein 
nur angelegen:
Pleonexie-Auswürfen
Vorteils-Wägen …

Doch kann man sich 
dagegen wehren,
Gewalt zu lieben,
zu zerstören,
sich selbst als höchstes Gut 
zu ehren,
sich über andere 
hinauszuschieben,
als besser, klüger, 
nie verlegen,
zu rauben ihnen 
alle Glut,
sie auszubeuten 
bis aufs Blut?
Gar zu vernichten sie
als Sklaven-Meuten?

Nein, kann man nicht.
Man kann es nicht als Tier.
Kann’s auch nicht geistig:
Im Gedicht.
Kann’s nicht einmal 
in Gottes Licht.
Ist man doch Stoffsucht:
Leib-Psyche-Hirnknecht-Gier.

Lebensklug ist's manchmal, sich zu sträuben (3691)57

Es ist recht schwer zu sagen,
wer und was ich bin.
Es ist tatsächlich schwer.
Obwohl mir fehlten 
nicht die Worte,
mein Innerstes 
in sie hineinzutragen,
so, dass sie auch
ergäben Sinn;
nicht blieben scheinbar leer.

Indes ich glaub nicht,
dass es mir gelänge,
auch das Diffuse, 
was mich heimsucht,
richtig zu bestimmen.

So etwa weiß ich nicht genau,
worauf ich fuße,
was meine Kerne ausmacht,
meine Zwänge.
Ob da nicht doch auch 
Anwandlungen glimmen,
die jeder 
als brutal verflucht.

Indes mich selber
jede so anlacht,
dass ich sie manchmal
gar verehre:
Gewaltsehnsüchte forme mir 
zur einer klaren Daseins-Lehre. 

Durchdachter Egoismus (3692)58

Ich will hier nicht um jeden Preis gefallen.
Und das, was gilt, bedeutet mir nicht viel.
Ich achte drauf, mir zu vermeiden Fallen:
nicht zu verstricken Neid und Kinderspiel.
Ich dichte. Doch Bedeutung hat das keine.
Der Geist ist nur noch Außenseiter-Schimmer.
Für mich zählt letztlich nur noch dieses Eine:
Ein Geistesflug in einem stillen Zimmer.
Und dies: Noch ungeschoren zu entrinnen
dem Kippen der Verwahrlosungen
in Aggression und altes Spinnen.
Brutales. Untergründig nie verklungen.

Unsere heutige Gesellschaft und Welt und der 
grundlegende, nicht aufhebbare Widerspruch zwischen menschlicher Selbsterhöhungssucht und Wesensschwäche
(3693)59/Für den Oligarchen Kritias von Athen

Das ist mir schmerzlich schicksalhafter Widerspruch:
Dass ich das Menschenwerk als tief verderblich weiß
- als inhuman, entglückend, deprimierend fehlbar doch -,
was uns da permanent bedroht und zwingt.

Und trotzdem weitergehn, als dieses bleiben muss.
Es wäre für uns Menschen eine Katastrophe,
gelänge es, moralverführt, es zu zerschlagen.

Zumal ich auch weiß: Letztlich wär’s umsonst,
weil wir zwar alle idealbedürftig sind, 
doch drastisch außerstande, Ideale auch zu leben.
Und wer das weiß, kann nur verwerfen,
was uns, von sittlicher Vision verzückt, betört.

Tatsächlich menschlich ist zuletzt nur dies:
Sich an was sachlich möglich ist zu halten,
Verantwortung zu übernehmen und 
in stiller Stunde - von sich selber frei -
sich unser aller Schwäche zu gestehen …
Und die Verblendung, die uns ständig treibt,
uns selbst als Daseinswichte zu verfehlen,
der Hybris bloßer Affen einsichtslos verfallen.

Uns doch als Wesensschiefe allen mitgegeben.

 

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