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Diese Seite enthält 60 Gedichte, 47 Prosa-, Reim-Gedichte und 12 Sonette

Der Körper (3576)1

Der Körper ist uns Daseinsmitte.
Und nicht Verstand, gar Geist.
Ist uns prekäre Stoffsucht-Bitte,
der auch Vernunft entgleist.

Ist Sehnsucht, 
die sich selbst verzecht:
Ist Zeit, Verfall und Tod …

Zugleich sich Herr, 
Gebet und Knecht.
Indes als
lebenslange Not.

Eigensinn (3577)2

Niemals werd ich auf mich geben,
niemals mich verlassen.
Illusion und Traum zu leben:
Inhalt kaufen mir an Kassen.

Immer werd auf Geist ich setzen,
auf der Fakten Prägekraft.
Niemals Ideal nachhetzen
oder gehn in Tugend-Haft.

Immer bleiben, der ich bin:
Illusionslos treu Geschehen,
die dahin gehn ohne Sinn:
Nicht nach Glück und Fortschritt krähen.

Prosafetzen (16) (3578)3
Unverstellte Selbstwahrnehmung

Ich bin ein Nichts,
ein Kaufkraftschatten,
Bedürfnisträger, 
Nummer, Kostenfaktor.
Den objektiven Lagen
so Verfügungsmasse.
Und tue dennoch alles,
nicht mir‘s schön zu reden,
zu leugnen es, 
es zu verdrängen.
Hab ich begriffen doch,
dass dieses Wissen
mich mächtig macht,
ja überlegen fast schon
jenen Quellen. 
Wenn’s darum geht,
mich geistig zu bewahren.
Was keiner kann,
der sich nicht Fakten stellt,
die radikaler ihn 
und tiefer prägen,
als jemals er 
das selbst vermöchte.

Einsicht (3579)4

So viele formelgenerierte konsumistische Glückschancen,
Räusche, Entlastungsmagien und 
kollektive Selbstverschwebungsuntergänge!
Und so wenig seelische Halte, Freuden und Zufriedenheit.
Ich weiß freilich schon längst,
dass uns etwas anderes trägt als der Spuk
eines halluzinatorischen Subjektivismus
wesenstypischer Pleonexie.
Zum Beispiel dies: Sich selber los zu sein.
Und mit sich dann auc die Illusion, 
dass sich selbst, 
als planes Bedürfnis-Ensemble,
leibzentrisch aufzuzehren, 
auch nur ansatzweise 
ein gelingendes Leben zu ermöglichen 
geeignet wäre.

Widerständig (3580)5/Sonett/Für Platon von Athen/
Für Verehrte 

Die Kraft, dem Ganzen hier zu widerstehen, 
die werde hoffentlich ich immer spüren:
Die Kraft, die hindert, mich zu korrumpieren:
Als Sieger unsrer Farce gar zu erhöhen.

Nie werde ich mich eignem Trug hindrehen,
mich in Erregungszufuhr zu verlieren,
um ichekstatisch dann zu triumphieren 
und so verfallen auch noch Wohlstandswehen.

Was Platon von Athen ich wohl verdanke: 
Nach Kreatürlichkeit mich nicht zu richten.
Nicht zu vergessen, dass die immer schwanke,

prekär sei, geistig niemals auch zu schlichten ...
Nichts andres sei als Flüchtigkeit und blanke
Versuchung, auf sich selber zu verzichten.

Erinnerungen (3581)6

Die Erinnerungen 
welken immer schneller.
Auch die an schöne Stunden:
Blass die Gesichter, 
vergessen die Worte.
Zuweilen 
weiß ich selbst 
die Namen nicht mehr.
Dahin alle Glücke; 
doch schon damals 
nur flüchtig aufschießend:
Seelenwucherungen,
unbegriffene 
Selbsttäuschungsverklärungs.

Sonett. Zum Alter (3582)7

Molekular strukturkomplexe Hyle.
Schon a priori* Tod anheim gegeben.
Gehirn als Ich-Bewusstsein und Gefühle.
Nach Zielen hungernd in befohlnem Streben.

Das werde ich nach undeutbarem Spiele
einmal gewesen sein (man nennt das Leben),
um dann als Aschehäufchen irdner Kühle
mich langsam wieder All-Staub zu verweben.

Und doch gab’s manche Stunde, die, vollendet,
das Höchste zeitigte, was Stoff vermag,
wenn er als Geist sich im Gedicht geblendet,

gebeugt Betrachtung hat und nicht Ertrag,
Gram, Sorge, Zwang und Gier hielt abgewendet,
sich auszumalen gottverhangnen Tag.

*a priori = von vornherein

Perspektiven vor dem Ende (3583)8

Gewiss: 
Man hat das Ende vor sich.
Es ist dies Ende 
auch schon ziemlich nah.

Indes:
Man darf auch nicht vergessen,
was man an Gram
schon überwunden hat.

Zuletzt:
Ist man erlöst, bedeutet das doch auch,
dass Ich-Fron einen 
nicht mehr gängeln kann.

Haltung vor Thanatos* (3584)9

Schlimm ist, wenn einem 
die Haltung genommen ist
vor Thanatos.

Schlimm? Ja, ganz schlimm,
denn ein Affe braucht
Haltung vor dem Tod,

ist sie doch die allerletzte 
stolze Transzendenz
ins Menschliche,

das allerletzte Aufbäumen
des Geistes gegen den
völligen Triumph des Stoffes.

*Thanatos griech.: Tod

Geschätzte Daseinswerte (3585)10

Auch das sagt viel über den Wert aus, 
den man, 
schönt man sich diesen nicht kindischerweise,
seinem Dasein beizumessen sich bereitfinden kann:

Etwa welche und wie viele Menschen 
man noch einmal zu sehen ersehne, 
bevor man hinübergeht.
Bei mir z. B. sind es ganze drei:

Vater und Mutter nämlich.
Um mich mit ihnen vielleicht doch 
noch zu versöhnen,
wohl wissend, 
jeder Versuch wäre zum Scheitern verurteilt.

Und Anni P.,
um ihr zu danken für einige Augenblicke 
schamhaft vollendeten Mitgefühls,
das, so belanglos unbedacht 
es ihrerseits auch gewesen sein mag,

tröstete, trug, aufrecht hielt …
von mir gierig ausgemalt,
überhöht,
aus innerer Not gar 
in Entlastungsmächtigkeit phantasiert wurde.

Das ist eine recht armselige Bilanz.
Und eine deprimierende allemal,
weil sie unmissverständlich zeigt,
warum ich auch jetzt gegen mein Ende hin

währende Verlassenheit und Einsamkeit, 
Kälte … aber auch das stille Glück,
das sie mir gewährten,
zu den Grundkonstanten
meines Daseins rechnen muss.

Altershärte (3586)11

Man verzeihe mir 
diese Altershärte,
meine Unberührbarkeit,
was das Schicksal
meiner Artgenossen
anbelangt: 
Es ist mir völlig
gleichgültig.
Ich jedenfalls 
verzeihe mir jene,
wohl wissend um 
ihre tiefsten Gründe.

Eines Greises Prophezeiung (3587)12

Obwohl ich, 
ein mystischer Romantiker,
naturalistischer* Materialist,
gotttrunkener Mensch 
und Geistfiktionen-Konstrukteur,
psychisch in fernster 
Vergangenheit lebe,
in raunendem Fürmichsein,
der göttlichen Hyle 
treuestes Nichts,
eignet mir,
ich übertreibe nicht,
ein delphisch scharfer Blick 
in eure Zukunft:
Ihr habt keine mehr.
Ihr seid verloren*.
Euer Menschsein wird
völlig verkümmern.
Lasst euch das gesagt sein,
ihr seelischen Krüppel,
ihr Leerformelkiffer,
ihr Schundanbeter,
ihr geistig Mittellosen
gegenüber euren eignen,
euch unverstandenen
Idealen,
denen ihr,
auch wenn ihr sie erfasstet,
niemals gewachsen wärt.

*naturalistisch: naturwahr, wirklichkeitsgetreu; in meinem Fall: geradezu faktenfanatisch
*Das meint: kulturell, geistig, ethisch, politisch, 
menschlich verloren; nicht unbedingt existenziell

Fast unmerklich (3588)13

Ich fange an,
mich zu vernachlässigen,
weil ich weiß,
ich werde bald vor ihn 
hintreten, vor den,
dem alle Eitelkeit,
alle Scham,
alle kommandierende
Bedeutungs- und 
Scheinsucht 
gänzlich gleichgültig ist.
Denn er nimmt alles,
was es auch sei,
nimmt’s schmutzig,
nimmt’s parfümiert,
nimmt’s leise röchelnd,
nimmt’s weinend,
nimmt’s alterskindisch,
nimmt’s dement …
nimmt’s, 
radikaler Gleichheit verpflichtet,
nimmt’s mit der Weisheit
des ewigen Stoffes.

Unerfüllbarer Wunsch (3589)14

Es wäre schön, wenn ich mich 
an jemanden erinnern könnte,
zu dem ich mich wenigstens diffus 
noch hingezogen fühlte.
Aber da ist niemand.

Es sei denn, ich zählte jene Außenseiter mit,
Deklassierte, Verachtete, Kranke …
Menschenauswurf, 
der nur selten seine Augen vom Boden hob.

Die mochte ich. Vereinsamte freilich, die eher 
an mir vorüberhuschten,
als dass sie mit mir gesprochen hätten. 
Worüber auch?
Die mochte ich? Ja. Sie spotteten nie.

Und überhaupt sind sie alle tot. 
Manche schon lange.
Nicht mal ihre Gräber finde ich. 
Wohl frühstmöglich abgeräumt.
Warn doch im Leben sie 
schon daseinslästig.

Vollendung IV (3590)15
Vergleiche (2/112) und (11/637)

Momentberauschung 
nie gekannter Tiefe.
Als mystisch sich 
entkernte Subjektivität.
Als ob da Stille 
durch die Vielheit liefe
und untergrübe 
ihrer Leeren Schlussgebet.

Allein II (3591)16

Beim Geborenwerden ist man allein.
Beim Sterben ist man allein.
Im Schmerz - sei er physisch, sei er psychisch -
ist man allein.
Allein ist man sein Leben lang mit sich selbst: 
Man kann sich nicht mitteilen.
Einen Orgasmus hat man allein.
Als biochemische Materiemorphe 
ist man allein.
Als Sozialmonade ist man allein.
Faktisch ist man immer allein, 
in jedem Augenblick seines Daseins 
ist man es.

Aber das darf man, 
wenn es einem überhaupt ins Bewusstsein fällt, 
sich nicht zugeben,
um nicht jener sonderbaren nihilistischen 
Melancholie zu verfallen,
die in Halt- und Antriebslosigkeit, 
in Verzweiflung und letztlich sich selbst 
verdrängter Ich-Aufgabe endet.

Bleibt nur die Frage, 
warum es gerade mir gegeben war, 
mir jene Tatsache absoluten Alleinseins 
nicht verhehlen zu müssen.

Weil Geist und Hyle bis in diesen Augenblick
in mir ununterscheidbar durcheinander rinnen.
Fatalisierend.Versöhnend. Bergend.  

Und das hat mich immer getragen,
mich zuweilen gar erhöht bis in die Indolenz
vor dieser zeitmonotonen Nichtigkeit.

Dorfschatten/Erinnerung an Ernst B. (3592)17

„Ach der! Der ist schon Jahre tot.
An Krebs soll er gestorben sein.
Man munkelt aber auch, 
dass ihn der exzessive Alkoholkonsum 
unter die Erde gebracht haben könnte.
Zumindest ist anzunehmen, 
dass seine notorische Sauferei mit dazu beitrug,
dass es so früh verstarb.“

Ich hatte einen alten Bekannten 
nach Ernst  gefragt,
hatte wissen wollen,
was der mache,
wo der lebe,
wie es ihm gehe.

In den 1960er Jahren nämlich 
spielte ich oft Tischfußball mit Ernst 
in einer hauptsächlich von rauflustigen 
Fußballern besuchten Dorfkneipe.

Jedenfalls spielte ich oft genug mit ihm Tischfußball,
um nach und nach erfühlen zu können, 
dass dieser Mensch scheu, verstört,
ja offenkundig linkisch hilflos und verzweifelt war,
zugleich aber auch zutiefst gütig -
und sich alle erdenkliche Mühe gab,
gerade diese zuletzt genannte Eigenschaft 
sorgsam vor anderen zu verbergen.

Hat er an sich selbst,
dem seiner Weichheit und Gutmütigkeit 
hilflos Ausgesetzten gelitten?
Gleichermaßen schwer getragen an der Welt, 
wie sie ihm erscheinen mochte: 
als trostlose Angstlist, 
deren Gemeinheiten als übermächtige 
und zerstörende es zu meiden,
ja: zu fliehen gelte?
Litt er auch daran,
dass es ihn geradezu zwanghaft trieb,
vor anderen den Spaßmacher,
Witzbold und hochbegabten Erfinder 
von grotesken Geschichten zu geben,
nämlich um sich vor ihnen zu bewahren,
ihre Rohheit dadurch überlistend,
dass er sie zum Lachen brachte?

Genau genommen wundert mich keineswegs,
was jener alte Bekannte 
auf meine Fragen antwortete.
Ernsts Haltlosigkeit und Lebensuntüchtigkeit 
waren eben von jener Art,
dass sie, ihn bis in seine Kerne heimsuchend,
diesen so seltsam guten Menschen 
ins existentielle Verderben reißen mussten.

Ich gehe davon aus,
dass er sich nach und nach zerstören musste,
ausweglos sich selber gramdumpf ausgesetzt.

Daseinsgipfel (3593)18

Meine Katzen,
auf meinem Brustfeld
ausgestreckt,
schnurrend.

Eine selbst gedrehte
Zigarette,
der Tabak stark,
unparfümiert.

Ein Glas Rotwein,
billiger Fusel;
indes nach 
Heimat schmeckend.

Einen Sommerwind,
ährenzart,
blauwendig
die Haut liebkosend.

*

Das waren jene Augenblicke,
da es nach Frieden klang:
Momente frei von Tücke,
von Barbarei und Drang.

Da fielen Hass ab und Verachten
und alle Niedrigkeit.
Sogar die Lüste lachten,
wie von sich selbst befreit.

Was ich so mache (3594)19

Ich mach fast täglich auch Gedichte.
Ich mach an sich sie einfach so:
Für nichts und niemand abgefasst.
Schon gar nicht objektivem Nutzen.
Und doch sind sie auch Ich-Gerichte.
Zuweilen unerträglich seelenroh.
Doch immer auch Entlarvungslast
für die, die mich beschmutzen:

Politphantasten, Tugendhehre,
Betriebsbetrüger, Bankengauner.
Kurzum: Die Mammon-Mafia-Heere
der Wertstuss- und Gewinn-Berauner.

Husch (3595)20/Sonett

Warum nur sollte konkurrieren ich
mit Artgenossen, die sich dies erträumen:
Nichts, was dies Dasein bietet zu versäumen,
es auszukosten bis zum letzten Stich?

Verdrängend, was sie sind, was aus sie blich:
Materie- und Energie-Macht-Schäumen;
ein Stoff-Kommando, blind sich zu entzäumen
den Zufallswirren, die ihr Los ausblich.

Was soll ich mir da, doch nur Husch, zumessen?
Der ich tatsächlich bin in Großgefügen
von Werden, Sein, Verfallen und Vergehen.

Ein Husch in ganz gemeinen Drang-Exzessen
von Großmannssucht, Erbärmlichkeit, Intrigen …
Zumal bewusst mir als Umsonst Verwehen.

Dies bisschen Dasein heute (3596)21

Versuchte immer,
auf den Punkt zu bringen es:
Das bisschen Dasein,
dem wir fronen müssen …
Uns Ein und Alles,
sei’s auch noch so fad,
beschämend, kümmerlich
und sinnlos faktisch.

Gut, dass ich’s weiß.
Denn geistig Abschied nehmen,
werd ich am Ende dann
mitnichten müssen.
Zumal’s auch menschlich ist
so schäbig kalt geworden:
Narzissten-Farce,
so glücklos aggressiv.

Wesens-Heteronome* (3597)22

Wenn ich es richtig sehe,
musste es so kommen.
Zumal nur scheinbar 
über uns verfügen wir -
Orientierungslose ohne Gott.

Indes als Tiere 
völlig außerstande,
der eignen Wesensdrangsal
jemals zu entrinnen.

Doch unfrei, amoralisch:
Macht, Gewalt verfallen.
Des Trostes jeder Selbstblendung
so hilflos ichverstrickt bedürftig:
Nie seiend, was wir sollten sein.
Nie seiend, was wir möchten sein.

*heteronom griech.: unfrei, fremdbestimmt, von Gesetzen beherrscht, die man sich nicht selbst gegeben hat

Gossen-Marionette (3598)23

Wie kann man nur
mit Haut und Haaren,
kulturlos seelennackt
von sich verlassen,
sich blindlings
in die eignen Gossen werfen,
so drastisch ausgesetzt den Destruktionskonstanten,
so reichlich doch in unsrer Zeit,
die, eine späte, sich verliert
in ihrer Massenknechtschaft 
feilen Rationalität …
Human verkümmert so
noch im subtilsten 
Selbstverlust.

Bedachter Egoismus (3599)24 und 25/2 Sonette 

Von mir gibt’s faktisch nichts zu sagen,
ich gehe restlos auf im Gang der Zeiten.
Ich muss mein Geld verdienen: sie erleiden,
auch um aus ihnen mich herauszutragen.

Warum? Nun angesichts prekärer Lagen,
gebietet mir doch Einsicht, zu vermeiden,
mir selbst in ihren Fängen zu entgleiten:
Ist ihre Lust doch nichts als Selbstentsagen.

Doch was in meiner Einsamkeit ich denke,
das wollt ihr, spaßkultsüchtig, gar nicht wissen.
Zumal in ihr ich jede Lüge tränke,

die, klug, dem Wohlstandstingeltangel beflissen,
ich vor euch lobe, dass sie euch noch lenke,
bis ich werd haben einst ins Gras gebissen.

                                 *
So lebe alles denn, was substantiell erregt,
was dionysisch einen seiner selbst entreißt,
was ablenkt, das Gemüt besetzt, die Emotionen,
ekstatisiert; kurzum: die Glieder tanzen macht.

Natürlich alles auch, was Selbstwertzuwachs pflegt,
nach oben hievt, wo man sozial nicht leicht entgleist;
wo man zumal sich darf auch ungestraft belohnen;
mit was auch immer, hebend Ich-Entfaltungs-Pracht.

Doch mich lasst unbedingt aus diesem süßen Spiel,
bin ich doch völlig außerstande es zu schätzen,
wie ihr das ständig tut, ihr Wohlstands-Virtuosen.

Doch spielt es weiter, setzt euch da kein letztes Ziel.
Zumal doch ohne es man greift nur Daseins-Fetzen:
Wer schnappte hier denn nicht nach Loser-Losen.

Schmerzhafte Erinnerungszwänge (3600)26/Sonett 

Was bin ich wieder mal, wie oft, todmüde
in diesen noch recht frühen Abendstunden.
Von Inhalt leer; und leerer noch von Güte,
verfolgt von all den frühen Daseins-Wunden,
die damals täglich ich doch vorgefunden
in Wort und Gesten habe: hämisch rüde.
Zu fügen mir dann die Bewusstseinsschrunden,
auf dass Verlassenheitsgewalt mich trüge.
Tatsächlich ist mir all das fremd geblieben,
was Nähe heißt, Gesellschaft und Vertrauen.

Weiß dafür manches von Gewissenstrüben,
von Seelenkälten und von tranceweltblauen
Entlastungs-Lebenslügen, abgetrieben
Verwahrlosungs-Effekt in Ichsucht-Klauen.

Auch ein Glück (3601)27

Was bin ich froh, nur noch für mich zu sein.
Von einem Du etwa nicht heimgesucht:
Mir klagend unsre Daseinstrüben.
Die ich ertragen kann nur ganz allein,
wenn ich in Einsicht mich darf üben.
Entlarvend manch Geschwätz mir dann als spaßgemein,
sich durch die Leeren dieser Farce zu schieben:
kühl mammondreist und ichsuchtfein
sich schnappend seine ausgedörrten Grieben.

Spätkapitalistische Alternativen (3602)28/Sonett 

Wem’s nicht gegeben ist, dies Sein zu greifen
als eines zwischen Rausch und Abstraktion,
Entfesselungs-Verknechtung, Medienmohn,1rlebnistingeltangel Sichverschleifen …

tut gut daran, devot sich zu versteifen
auf diese coole Spaßkult-Religion,
entfaltend sich doch a priori schon
als Wirklichkeitsverlust in Traumweltschweifen.

Doch wer es ahnt als Niedergang vergoren,
mag ab sich wenden, um sich auszurichten
an einer Welt, die, obschon längst verloren,

noch Halt gewährt im Taumel von Gedichten,
zu meiden konsumistische Pandoren 
und ihr Diktat, sich geistig zu vernichten.

Inkompetente Polit-Eliten (3603)29/Sonett 

Was soll man von Polit-Eliten halten,
rhetorisch arm und drastisch tugendblind,
die ohne reflexive Schärfe sind:
Berauschungsphrasen allenfalls entfalten.

Kaum willig, ihres Amtes noch zu walten,
so dass es ihnen unterm Stuhl zerrinnt …
Wie ihre Glückszusage an das Kunden-Kind:
Es müsse niemand mehr die Hände falten:

Der Wohlstand steigere sich immer weiter.
Und immer größre Glücke würden wahr.
Es sei bald jede Plage überwunden …

Das war für viele Wähler dann die Leiter,
sich zu gesellen zu der plumpen Schar 
von Produzenten von Entlastungs-Lunten.

Globalgefangenschaft (3604)30

Gegenwartsgefangen sitze ich 
mein schlichtes Dasein ab.
Ein Dasein, gar nicht mehr in meiner Hand.
Wohl wissend, dass ich,
ausgeliefert einem globalem Wirtschaftskreislauf,
hochprekärer Produktion 
und anonymen Geldstromwegen,
ein Spielball bin all dieser Mächte.
Einer, der als dieser gar nicht zählt,
nicht zählen kann.
Naiv von Selbstbedeutung redend.
Vergeblich träumend Autarkie.
Und sei es auch nur geistige.
Die’s gar nicht geben kann in einer Welt,
die doch, Gebilde neuronaler Zwangsherrschaft,
uns allen längst entglitt,
mit Tyche um die Wette grinsend,
wann wohl die letzte ihrer Lotterien
uns dann befreien wird 
auch von uns selbst.

Gehaltlose Lage (3605)31

Die Lage allgemein kann nur besagen:
Es geht um nichts mehr, es ist alles Spiel.
Man muss als Mitteljäger sich zu Markte tragen.
Was man nur aushält ohne substanzielles Ziel.
Was man nur aushält als Erlebnissammler,
der happy durch Pauschalwelt trudelt,
ein Kunstglück- und Banaltraum-Gammler,
der nicht begreift, was ihn besudelt.

Tatsachen-Bericht (3606)32

Von Krieg, Hunger, Naturkatastrophen, Barbarei
wird mir allabendlich in Nachrichten,
Diskussionsrunden, Politiker-Erklärungen,
Sondersendungen usw.  berichtet …
Als sei ich noch in der Lage,
all das auch nur ansatzweise zu verarbeiten.
Indes kann ich das nicht,
längst innerlich stumpf geworden,
weil eben, zumal völlig hilflos,
viel zu häufig mit solchen Katastrophen konfrontiert.

Ich bin kein Mensch des Jahres 1755,
als das Erdbeben von Lissabon 
(60 000 Menschen starben in einer Nacht)
die Menschen damals,
wie etwa den sechsjährigen Goethe
und den sechzigjährigen Voltaire, 
noch an der Güte Gottes zweifeln ließ.

Uns lassen solche Ereignisse
allenfalls um uns selber fürchten,
um unsere Sicherheit, 
unseren Wohlstand,
vielleicht auch um unser Leben.

Was kümmert uns die Güte Gottes?
Was die mögliche Brutalität unserer Existenz?
Was Elend, Hilflosigkeit, Grausamkeit …?
Was die Tragik eines Daseins, 
das human zu meistern wir außerstande sind?

Allerdings will ich uns deswegen nicht tadeln,
denn gewiss ist, dass wir, wüssten wir -
Tugend-Schauspieler, Wohlstandsseelenlose
und gewissensarme Auto-Konsumenten -,
wer wir tatsächlich sind,
gar nicht fähig wären, es zu ertragen …
Ich will sagen: auszuhalten,
dass wir gottverlassene Selbstsucht-Virtuosen 
geworden sind,
leerformelsüchtige, hedonistische Markt-Monaden,
als solche konfrontiert mit psychoethischen Lasten,
deren Meisterung, ahnte er sie auch nur, 
kaum einem von uns würde noch gelingen können:
Er wäre, seines Wesens als eines letztlich 
sich selbst ausgelieferten, autodestruktiven Affen gewahr,
unfähig, sich dem zu stellen,
zumal er dann auch Gefahr liefe,
sich seiner völligen Nichtigkeit bewusst zu werden.

Selbstwertkomödianten, Traumrausch-Fixer, 
Spätlinge (3607)33
Zu vergleichen ist, wäre das Gedicht (65/3419)

Wir sind doch letztlich 
Selbstwertkomödianten,
die ihre Farce als Drama spielen.
Und das, dass muss man ...
als Person sich längst abhanden …
Um als bedeutend sich 
und frei zu fühlen.

Tatsächlich sind wir Traumrausch-Fixer:
Monadenspreu 
in konsumtivem Einerlei …
polit-, moral- und 
lustsucht-klerikale Trickser,
uns selber 
mehr und mehr nur Warenkonterfei.

Entlaufen allem,
was dies Dasein tragisch trüge:
Geist, Einsicht, Selbstdistanz
und reflexive Exzellenz.
Als Spätling ohne Größe,
ohne Mitte, ohne Siege:
Zwang autodestruktiver Dekadenz.

Mehr gibt’s für einen nicht (3608)34

Wenn ich auch nur Materie bin:
Ein Zufalls-Sein, 
notwendig Ich- und Wir-Vasall,
so macht es dennoch, mein ich, Sinn.
Selbst wenn mich ständig nichten muss 
der biologische Verfall.

Es mache Sinn? Ja! Sicher doch!
Erfasse ich nicht geistig (wertprekär)
dies radikaler Seins-Lust ausgesetzte Joch?
Zumal auch noch durch rationale Macht,
die es sich richtet technisch her
im Rahmen unserer Primaten-Schlacht?

Vor allem weiß ich, es ist ein Geschenk.
Wenn’s auch nur eine kurze Zeit umfasst.
So werd ich bis zum Ende eingedenk
der Kräfte bleiben, die ihm nahmen manche Last:
Als letztlich destruktivem Großhirn-Treiben.

Kreatürlichkeit (3609)35

Nie wird es sein, wie man es aus sich malt:
Es bleibt stets Halbheit, Stückwerkbrösel.
Nicht, was sich machte jemals ganz bezahlt.
Das gilt für Geistgebannte wie für Schnösel.
Das gilt für alle, wer sie immer seien;
ob intellektuelle Tugendvirtuosen,
ob Promis oder schlichte Daseins-Laien. Es gilt sogar für die vermeintlich Großen.
Denn dass es nicht weit her ist mit uns allen,
das wissen wir, wenn’s auch verschweigend.
Zumal wir zwanghaft nach uns selbst nur krallen,
uns vor uns selber nur verneigend.

Der späte Mensch (3610)36

Eine Wirklichkeit gibt es für ihn nicht mehr.
Er vegetiert - Augenblick um Augenblick - 
durch einen mammondiktatorisch kommandierenden, 
Sozial-Atome bannenden Dschungel 
von Gleichlauf-Verführungen; unterworfen einem 
perfekten Selbst-Verdinglichungs-Verfahren: 
Einem Phantasmen-Kosmos marktinduziert 
lenkbarer Bereitschafts-Emotionalität.

Der späte Mensch ruht psychoethisch-kulturell 
auf einer Synthese gleichgeschalteter 
Innenwelterregungen auf.
Faktisch lebt er als verlassenes Sozialmonade, 
hedonistisch lavierend mit Waren, Leerformeln, 
Reizen, Sensationen, Gefühls-Delirien 
und hocheffizienten Belämmerungseffekten.

Verlässlich versorgt wird er durch die 
ununterbrochene Zufuhr von Entfesselungs- Emotionen 
für selbstentfaltungstrunkene Erlebnis-Sammler, 
drastisch angewiesen auf ihre Illusionen von Freiheit 
und Selbstentfaltungs- Leerformeln.

Der späte Mensch trudelt als Verlassenheits-Existenz 
ungeborgen, systemzahm, austauschbar 
und orientierungslos - als „Junkie“ ununterbrochener Verflachungsbetörung radikal heteronom - 
durch einen ihn sich seiner selbst als Geistperson 
entfremdenden Artefakten-Kosmos …
Sinn-, halt-, glück- und all-substanzlos, autodestruktiv, 
gewissenstot und reflexionsbanal.
                   *
Heute gilt’s, dass man sich rette
in entlastendes Gestalten
vorgegebner Lust-Entwürfe: 
Sammler konsumtiver Glücke
mittels Emotion und Trieben;
dass man sich als Kunde sehe,
nicht als sittliche Person:
Sich als Spaßknecht auszuleben.
So ist man geworden Klon,
dionysisch einzustimmen
in der Märkte Zeitgeist-Ton :
Seine Knechtschaft zu verdrängen.

Vogel-Perspektive (3611)37

Dazugehören? Nein. Auf keinen Fall.
Das würde mich doch auch entehren,
mich fügen diesem Lügenschwall
von Mammon-Knechten 
und von Wert-Claqueuren …

Von was weiß ich noch
miesen Sauereien,
die an der Tagesordnung sind.
Sich ständig als human ausschreien:
Doch oft Gewissenloser Psychen-Grind.

Gewalt ist’s, Täuschung, Niedertracht -
um hier nur die zu nennen -
Die Grundkonstanten unsrer Unschulds-Schlacht
in diesem Selbstsucht-, Macht- 
und Drangsal-Rennen.

Das untergründige Wirken des Marktsystems (3612)38/Sonett 

Der Grundabsicht ist, nicht es zu erfahren,
es möglichst lückenlos nur zu erleben*,
es fraglos hedonistisch zu erstreben
im Hochgenuss von Leibern, Ich und Waren.

So will das Marktsystem mir offenbaren,
dass es allein mir gönne, Spaß zu weben,
mir so orgiastisch-selig zu entschweben
in den Erlösungsschauern seiner Scharen.

Tatsächlich soll ich kindisch mich verwerten,
von Emotion zu Emotion getrieben,
in inszenierten Späßen mich zu erden.

Um dann essenzekstatisch aufgerieben
zum steuerbaren Kult-Narziss zu werden:
System-Lakai, den Zeitgeist-Räusche schieben.

*Erleben: eudämonistisch-hedonistischer Freizeitvollzug.
*Erfahren: Dass es n u r ein solcher Freizeitvollzug - und zwar ein systemgesteuerter - ist,  um einem das Erleben zum Grund-Bedürfnis zu machen, einhergehend mit dem schleichenden Verlust der Fähigkeit, diesen Vollzug als progressiven Selbstverlust zu begreifen; zumal einen solchen mit sinkender Befriedigungsintensität; es sei denn, man provoziert sich künstlich Entfesselungsräusche (etwa durch Drogen); sucht also nicht nur Glück, sondern wüste Selbstzerstörung (die in der Tat sehr lustvoll sein kann - und immer häufiger das Ziel orgiastisch ihrer selbst benommener Subjekte darstellt)

Das gab es auch (3613)39

Es gab ja auch
ganz wunderbare,
gab selbst ganz tiefe Stunden.
Die schlossen alle
Daseinswunden:
Da war man nicht nur 
Ding und Ware,
da war man
reiner Daseins-Hauch.
Da war man 
von sich selbst entbunden,
begriff sich nicht
als Trieb und Bauch,
als fremdverfügt,
sich aufzurunden,
zum Mammon-, 
Lust- und Phrasen-Gauch.
Da war man Regung,
die sich selbst genügt.

Mich mir selber bewahren!? (3614)40

So ist’s: Ich bin mir meiner Nichtigkeit bewusst;
dem, dass sie faktisch ist total.
Ich setzte dennoch nie auf Selbstverlust:
Dazugehören, Wohlstand, Zahl.

Erstrebte Geist und Außenseitertum,
was beides ja dasselbe ist.
Es war mir lieber, denn es macht nicht dumm,
war mir - genau genommen - Daseins-List:

Mich wenigstens mir selber zu bewahren
durch Einsicht in die Dinge.
Obwohl die nur noch sind ganz schemenhafte Scharen,
im Kern entglitten uns als unlösbare Schlinge.

Befund einer Selbsttraum-Niete (3615)41/Sonett 

Zu viele Drogen; auch weil zu luzide:
vollständig illusionslos allgemein:
Tatsächlich gilt als nichtig mir dies Sein,
mir Selbsttraum einer kommandierten Niete.

Die sich erlebt als marktgemachte Mythe,
als letztich allverlassen: ganz allein.
In einer Welt von spaßerfüllter Pein,
die weder Ehrfurcht kennt noch Scham noch Güte.

Tatsächlich ist sie kalt, ist Trance von Phrasen.
Doch das zu ändern, ist uns nicht gegeben:
Wir sind verfallen Drangsal und Ekstasen,

die uns gewähren manch Entlastungsbeben.
Sind wir doch Tiere ohne Geistes-Basen:
Behelfssinnträumer, die sich leer verschweben. 

Spätexistenzielle Befunde (3616)42

Das Herz macht nicht mehr mit.
Es quälen Hautausschläge.
Der Körper überhaupt verfällt rapide.
Und ständig schmerzen auch die Beine
(ein Rheumaleiden, wie es heißt).
Die Einzelheiten seien ausgespart indes.

Noch andres wäre freilich aufzuzählen:
Extreme Müdigkeit und schlechter Schlaf.
Zuweilen auch mal plötzlich Atemnot.
Kurzum: Ich schleppe längst mich hin 
auf vorgegebnem Weg zum Grab.

Noch freilich ist der Geist wach,
dieses Grundvermögen,
dies Dasein, wie es ist, zu greifen:
Als Leidgefüge, manchmal reich beschenkt,
sei’s Rausch verwoben, sei es einsichtstief …

Sei’s auch mal eingelassen jener Großen Stille,
die einen seiner selbst benimmt und reich belohnt 
mit jenem tiefensanften Trost,
wie ihn nur Nichtigkeit und Gottes Leeren 
schenken können.

Politik als Show (3617)43

Gelesen habe ich neulich,
der deutsche Staat wolle sich 
nicht mehr durchsetzen.
Das verstehe ich freilich 
machtstrategisch:
Als Laisser-faire-Nihilismus,
der es Politikern möglich macht,
sich ihrem Tugend-Narzissmus,
ihren Leerformel-Orgien
und ihrem Ziel des Nicht-Handelns
fast schon unbemerkt zu überlassen …
von sich selbst als 
ichgrandios, 
allkompetent 
und unfehlbar präsentiert.

Weinschwer luzide (3618)44

Müde trink ich 
Glas um Glas.
Erfühle dabei 
Nichts um Nichts.
Entlarve Ich, Warum 
und Was
als Fratzen eines Zeitgerichts.

Ich reiße weinschwer 
sie herunter,
zu sehn, 
was hinter ihnen stecke.
Da zeigt sich nichts 
als Phrasenplunder
als Einbahnstraße toter Zwecke.
Erträglich macht mir 
dies der Wein.
Auch wenn sich unser Wesen 
da enthüllt:
Dass wir es quälen müssen, 
dieses Sein:
Natur entlaufen, 
technisch nur erfüllt.

Nicht schuldfähig (3619)45

Ich löge schlichtweg, wenn ich tobte 
- verbittert, ichgefangen, angstprall, selbstverlassen -,
dass diese Welt nur eine schlechte sei,
gar eine böse (die sie auch mal ist).
Denn immerhin hielt sie mir manches Glück bereit …
Sogar das höchste, das es geben kann:
Sie soweit zu begreifen, dass man dazu neigen mag, 
sie frei zu sprechen; und zwar frei von allem,
was ihr mit Grund doch anzulasten ist:
Ausbeutung, Grausamkeit und Barbarei,
dann Rachsucht, Hass, Brutalität und Wut,
auch Schändung, Folter und Erniedrigung …
Macht so als absolute auszukosten.

Ihr anzulasten wäre, wenn die, die sie prägen,
ihrer selber mächtig wären,
verfügten über jene Gottesgabe,
sich selbst zu kommandieren,
sich zurückzunehmen,
das Schlimmste zu verhindern, abzulassen
von Machtsucht und Brachial-Affekten.

Doch eben das ist uns Primatentieren
nicht ansatzweise doch gegeben,
gefühlsgefangen würdelos auf sich allein erpicht,
den Organismus, stets Vernunft entlaufen …

Es sei denn Geist nimmt uns von uns zurück,
bewahrt uns, metaphysisch zu sich selbst befreit,
bewahrt uns gänzlich vor uns selbst.

Die Tiere und der sapiente Großhirnzwerg (3620)46

Die Tiere sind des Stoffes Meisterwerk,
kann sie doch Unschuld tragen.
Dagegen bin ich Großhirn-Zwerg
meist virtuos, was angeht Plagen.

Muss alles indirekt-abstrakt erschaffen 
- mich selber eingeschlossen -,
muss überzüchten mich, den Affen,
nur allzu oft erpicht auf Niedertracht und Gossen.

Es steht nicht gut um uns: im Gegenteil.
Nach Knechtschaft sehnen wir uns immer mehr.
Sind dieser freilich längst schon feil.
Weil psychoethisch infantil; und geistig völlig leer.

Ausgesetzt (3621)47/Sonett

An was denn könnte ich mich denn noch halten?
Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich weiß es nicht.
Zumal für mich naiv ist jede Sicht,
die meint, sie könne geistig Welt gestalten.

Sie so verzichten lassen auf die alten
Brutalitäten unsrer Wesensschicht.
Wie Perfidie, Verkommenheit … ganz schlicht:
Des klügsten Tieres Destruktions-Gewalten.

Wir werden nie sein, was wir sollten sein.
Uns zu bewahren vor uns selbst zuletzt.
Sind wir doch Ratio-Knechte, Machtsucht-Pein,

von Selbstwertdrangsal, Lust und Zeit gehetzt:
Effektfanatisch aus auf Show und Schein.
Uns längst doch umsatzplanlos ausgesetzt.

Letzte Wünsche (3622)48

Was ich für Wünsche habe für die letzten Jahre?
Nun: Schmerzfreiheit  und einen klaren Kopf.
Und bis zum Ende diese wunderbare Gabe,
die Fakten zu begreifen, statt zu dienen Ware.

Vor allem nicht zu glauben an Moral.
Die kaum doch jemand hat.
Zumal die Tochter ist von Macht und Umsatzzahl,
politdebil ist … Gral von Seelenzwergen, 
ideologisch auf sich selbst erpicht.

Dann: Stille, Einsamkeit verwoben,
die macht, dass ich ihn hören kann:
Den tiefen Gram, in dieses Sein geschoben,
weil’s keinem Gott als Werk ausrann.
Nur diesem Stoffspiel, diesem groben,
das über uns per Zufall kam:
Als Teilchen-Nihilismus-Toben.

Heimsuchung (3623)49

Der Große Stumpfsinn flutet mich,
sucht mich heim 
z. B. jetzt als blickkaltes Gehabe 
einer jungen Frau, die
- unzufrieden-seelenlos,
regungsleer in sich versunken -,
mir gegenübersitzend,
nervös, wie’s scheint ziel- und planlos 
auf ihrem Smart Phone herumtippt.
Wie gesagt: 
Der Große Stumpfsinn sucht mich heim.
Der einer ganzen Gesellschaft 
gewissenlos-dekadenter,
enthemmungsfrustrierter leichlaufmonaden.

Herbst-Assoziationen (3624)50

Der Herbst ist da.
Er kam plötzlich.
Seine Kühle, 
sein nebelverhangenes Grau
und das Frösteln,
das er mir verursacht,
erinnerten mich sofort 
an die graue Einfalt 
der geist- und seelenlosen 
Subjekte, 
die nunmehr seit Jahrzehnten
im Modus bunter Substanzlosigkeit
die Innenstädte füllen.
Der Herbst ist da.
Einer der letzten wohl auch, 
in dem noch 
- zwischen all dem alljahreszeitlichen Grau -
hie und da vielleicht 
noch einmal reflexive Exzellenz,
großgesinnte Würde 
und intellektuelle Anmut 
aufscheinen werden … 
Wer weiß?

Bevor Wirklichkeitsverluste,
Verwahrlosungsseligkeit,
Tugendnaivität, 
Gesinnungsklerisei
und deutsche 
Sakralisierungsprimitivismen
sich dann zeigen werden 
als eine Quelle von Gewalt
in einer niedergehenden 
Polit-Showmaster- und Star-Gesellschaft.

So gesehen …(3625)51/Sonett

Ich habe immerhin den Tag geschafft.
Es war nicht klar, ob das gelingen würde.
Belastet mich doch dieser Leibverfall,
der nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist.

Ich hatte also doch das Maß an Kraft,
zu meistern eines weitren Tages Bürde:
Obwohl dem Tod doch schon Versuchs-Spielball:
Zerbrechlichkeit, die sich durch Stunden frisst.

Und doch: Wenn ich die Zukunft dann bedenke, 
gestehe ich mir heimlich manchmal ein,
dass dieser Zustand mir nur recht sein kann,

Weil die wahrscheinlich Barbarei und Ränke
bestimmen werden mit Gewalt und Pein …
Bis hin zu Grausamkeiten ohne Bann.

homo homini lupus (2)(3626)52/Für Thomas Hobbes 

Ich kann nur auf mich selber bauen.
Indes auch das nur allenfalls bedingt.
Wo wäre denn der Mensch, der sich gelingt,
der hielte stand dem Grauen,

das sich auf unsrer Seelen Grund auftut,
wenn man in diese tapfer blickt;
dann spürt der angelegten Barbareien Glut,
die alles das erstickt,

was wir so gerne von uns selber sagen:
Dass gut wir seien, würdig auch;
uns würden gegenseitig tragen …?
Ach … Selbstbetrug und Wahn und Lügenhauch.

Kern-Einsichten (3627)535
Aus Zwang hab ich‘s nun einmal so gesehen,
dass es Gewalt ist, Gier, Betrug.
Ein undeutbares Gram-Geschehen
als Zeit-, Verfalls- und Nichtigkeits-Vollzug.

Das ist nicht änderbar, ist stoffverfügt
als evolutionäre Bahn.
Auf der man sich Gehalt und Sinn  vorlügt.
Verfiele sonst doch Wahn.

Doch weil ich’s weiß, hab ich mich abgefunden
mit meinem kleinen Ich-Schicksal.
Zumal schon auf den letzten Runden:
Am Ende aller Qual.

Trost des Geistes (3628)54

Dies Wissen ging mir nie verloren:
Dass es um mich hier gar nicht gehen kann.
Und trotzdem ich mich kümmern muss,
mich irgendwie hier durchzukämpfen.
Zumindest dass ich mich als Kreatur:
Bedürftigkeitsmonade halten könne.
Bis ich das Ziel erreicht einst hätte.
Meint: Wieder einzugehen in das Große Nichts,
was uns bestimmt ist; allen ausnahmslos.
Nie mehr zu sein dann, gleichsam ewig tot:
Nach einem Zufalls-Dasein kruder Würfelei.

Indes wer all dies zu begreifen wagt,
dem ist es nicht so ganz umsonst gegeben.
Der muss nicht trauern, nie sein ganz verzagt:
Greift er’s doch geistig, packt dies Leben
in seinen Kernen, wo‘s ganz stumm sich plagt,
sich zu bekennen als Materie-Streben.

Seltene Tage (3629)55

Der Tag geht grau und ganz verregnet;
begleitet von des Herbstes Stille.
Indes hat ihn kein Gott gesegnet;
noch irgend sonst ein Wille.

Er geht, wie schon so viele Tage,
die laut an uns vorübergleiten.
Vielleicht mal solche voller bittrer Klage,
vielleicht auch sanfte, ohne Leiden:

Vielmehr vor tiefen Glücken sprühend.
Die gibt es ja im Leben auch.
Erotisch-dionysisch: luststrack  glühend,
sich deutend Ich und Welt als Schall und Rauch.

Der Lauf des Daseins und der Dinge/
Materie-Gebilde Ich (1) (3630)56

Man konstruiert sich doch ein Leben lang
aus subjektiven Perspektiven:
in einem Wert- und Zeitgeist-Illusionen-Sog
gesellschaftlich-sozialer Zwänge.
So diesen und sich selbst ein Spielball nur:
Materie und evolutionärer Büttel.
Nie frei, geschweige denn vernunftbegabt.
Getriebener in unwägbar-prekärer Welt.
Genauer: all-sinnloser Zufallsweisen.
Um irgendwann dann hinzusiechen 
in dies von all dem radikal erlösende
Verfalls-Nichts ohne Wiederkehr.

Erfahrungstatsachen/Materie-Gebilde Ich (2) (3631)57/Sonett 

Mir ist nicht nach Gesellschaft oder Du.
Die Last mir wären; viel zu trivial;
weil geistlos; und das heißt auch gängig schal: 
Gewohnt geläufiger Narzissten-Schmu.

In solchen Banden fänd ich niemals Ruh:
Ich fühlte mich vereinsamt, radikal 
wie immer ausgeschlossen und fatal;
suchte vergeblich Antwort auf Wozu?

Indes ich weiß ja, dass man sich verkaufen,
sich inszenieren muss, um aufzufallen
all diesen andern, die doch auch nur raufen

um Anerkennung, dieses Psychen-Wallen,
dass man was gelte, dürfe kurz verschnaufen …
Sogar von Sinn und Halt und Glück was lallen.

Was ich bin III/ Materie-Gebilde Ich (3632)58
Vergleiche (23/1376) und (45/2329)

Dass mein Wille frei sei, 
das wäre eine kecke Behauptung;
genauer: wäre eine Lüge.
Weiß ich doch um das, 
was ich bin:
Eine völlig bedeutungslose
Materie-Marionette in einem Kosmos
von majestätischer Sinnlosigkeit,
verfallsverfügt 
und also vergänglich wie ich:
Ich, als baryonische Materie
sein sublimster Bewusstseinsträger,
in dem er, 
für ein paar Augenblicke,
sogar zu Geist ausrann.
Zufällig. Folgenlos.

Vollendet gefallene Würfel (3633)59

Ganz zart macht’s 
und augenblicksselig,
wenn man weiß 
um die eigene Nichtigkeit:
Anlass ist sie nämlich 
und unabweisbare Verpflichtung:
Das um Glücke bettelnde Du
für ein paar Stunden 
über sich hinauszuheben:
Erotisch, geistig, 
entlastungs- und erlösungsschier:
Sublimer Täuschung so
versierter Demiurg.

Die realitätsfremden BRD-Polittugend-Narzissten (3634)60

Es ist schlimm,
es ist verachtungswürdig,
es ist erbärmlich,
wenn man permanent
ethische Vollendungsformeln
im Munde führt,
aber zugleich nicht begreift,
dass man sie faktisch 
schon immer unterlaufen hat,
geist-linkisch-primitiv 
konterkarierte.

Wer kann sich,
dergleichen über Jahrzehnte praktizierend,
denn selbst noch ernst nehmen,
doch offenbar 
nationalpathologischen Wirklichkeitsverlusten 
ausgeliefert:
Politklerikal-narzisstisch 
von der eigenen Reflexionsarmut,
existenziellen Inkompetenz
und eitlen Charakterlosigkeit
gesinnungsdebil geblendet?

 

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