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Diese Seite enthält 55 Gedichte (54 Prosa-, Reim-Gedichte und 1 Sonett)

ZINSJA (158) (2977)1

Endlich habe ich es geschafft:
Auch ohne Befehl fliegen jetzt 
die letzten Daseins-Belämmerungen,
Beschönigung um Beschönigung leichter,
in die echolosen Schneisen 
meiner immergleich luziden Spätzeitabende,
längst den von uns angerichteten 
Entgleisungskatastrophen
auf die Schliche gekommen.

Ohnmacht (2978)2

Die Diktatur des Mittelmaßes?
Ja. Das trifft allenthalben zu.
Die biedere des Wohlstandsgrases.
Aus der wird nie ein Schuh.

Und die des Terrors? Der Partei?
Die ist doch auch nicht besser.
Als ob’s ein Leben sei,
sich selbst an Faust und Messer:

Zensoren auszuliefern:
Nur weil man sagt, dass B sei B.
Um dann von offiziellen Prüfern
zu hören, B ist C.

So will ich mich beeilen,
dies Warenparadies zu loben.
Wo sogar meine bösen Zeilen
sich dürfen Unernst, Lust und Trance austoben.

Zynisch ungeschminkt (2979)3

Angesichts der totalitären Entfaltung des Konsumkapitalismus 
und der Umwidmung seiner Subjekte in seine 
unreflektiert willigen Partisanen,
wundere ich mich nicht,
dass ich Abend für Abend für mich allein sein möchte,
sei’s um TV-trash zu konsumieren,
sei’s um Gedichte zu machen,
sei’s auch, 
um halt- und ziellos umher zu starren,
widerständig gegen jede Form von Information.

Freilich könnte ich ab und zu eine Frau kommen lassen.
Indes auch davon sehe ich ab, 
weil ich weiß,
wohin das sehr wahrscheinlich führen würde.
Nämlich dazu, 
dass ich dann,
dauermonologisierend,
all das neutralisieren müsste,
was mich auch in jene einsame Lebensweise treibt:
Sentimentalität,
Trivialpsychologie,
personale Indiskretionen,
Verbraucherbelanglosigkeiten,
Lebenslaufverwundungen und vor allem 
urlaubs-eudämonistisch träumerische 
Vorausberauschungen: Narzissten-Individualismus.

Um es offen zuzugeben:
Mein Ekel vor dieser Realitäten verweigernden Gesellschaft,
meine Nähe-Phobie,
meine vehemente Abwehr des hedonistischen Zeitgeistes,
der Tugendarroganz und ideologisch-klerikal 
primitivisierenden Weltoffenheit,
zumal der kratophoben* Polit-Beliebigkeit,
drängen mich sozial immer weiter an den Rand.
Was ich freilich in Kauf nehmen muss,
um mich nicht selber zu verraten 
und selber verachten zu müssen.

*kratophob griech.: Ängstliche Ablehnung der Ausübung von faktengebotener (machiavellistischer) Macht  

Spaßgesellschaft II (2980)4
Vergleiche (14/808)

Der lückenlos anbefohlene Kommando-Hedonismus 
als somatozentrischer Infantilismus ist es vor allem,
an den ich hier denke.
Der irgendwann dazu führen muss,
dass auch die letzten Reste von Lebensfreude,
Einsichtsfähigkeit und erotischer Phantasie 
im Zuge der marktrelevante Ich-Anteile 
optimierenden Erlebniszufuhr 
bruchlos liquidiert werden.
Spätestens unter der Diktatur 
der Künstlichen Intelligenz.
Sie wird den Menschen definitiv 
zum Exemplar degradieren.

Luzide Feststellung - Selbstbewahrungsrechtfertigung (2981)5

Von einer Bindung will ich gar nichts wissen.
Die presste mich doch in Gewöhnlichkeitsvollzüge.
Und die, die kann ich mir nicht leisten:

Ich will mich nicht in deinen Armen selbst vermissen,
will keine abgefeimte Lebenslüge,
will nicht, dass uns Fiktionen speisten.

- Einmal ganz abgesehen von meinem 
notorischen Misstrauen, was die Diskrepanz angeht
zwischen unseren fundamentalen Wünschen 
und unseren tatsächlichen Fähigkeiten,
diese auch nur ansatzweise in Lebenspraxis 
umsetzen zu können:
Man lügt ohne Absicht in Zeiten wie dieser,
auch sich selbst was vor,
in einer Zeit, in der fast jede ans Licht gehobene Seelenwurzel 
sich als bodenlose Selbstentgleisung erwiese. -

Ich will mich daher ohne dich verfehlen,
mir Inhalte allein halluzinieren,
mich nicht mal ansatzweise von dir tragen lassen.
Bist du doch auch das Resultat 
subtil vermittelter gesellschaftlicher Gewalt:
Der einer personal deklassierenden Konsumdiktatur,
die, subtil-hinterhältig 
in geistig-seelische Ohnmacht lockend,
einen in Vereinzelung, Selbstentmächtigungs-Narzissmus,
Ehrgeiz und pathologische Anmaßung treibt,
mit denen dann fertig zu werden nur 
die sehr seltenen Qualitäten 
faktenbasierter Einsicht, 
radikaler Redlichkeit und 
ein nicht kalkulierter Anstand 
geeignet sind.

*

Sind wir uns doch auch selber fremd,
vermögen nicht mehr uns zu greifen.
Von hochkomplexer Wirklichkeit gehemmt,
der wir uns müssen doch verschleifen,

wenn wir bestehen wollen die Erlebnisfüllen,
die uns systemkonform doch prägen;
verhindern noch die seltnen Stillen,
in denen wir uns könnten wenden gegen

die Lenkung durch das Marktsystem:
Weil seine Diktatur wir ahnen.
Zumal die dekadent macht, spaßbequem …
Uns dazu bringt, sich ihr zu bahnen. 

Heimat (2982)6

Gefragt, was Heimat sei, muss dies ich sagen:
Dem Heimatlosen fremde Winzigkeiten,
die still warn, zart und schön für Augenblicke,
so kurz vergessen ließen jener Wesen:
Sei’s rohe Unschuld, Kälte, sei es Stumpfsinn gar.

Ein weißer Flieder barg sie, 
der sich, windverliebt,
mir über einen Zaun entgegen warf:
Ein Husch von Gottes Vielgestaltigkeit.
Der Nachbarshunde Winseln auch,
das darum bettelte, sie weg zu streicheln 
von ihren Ketten und Gefängnishütten.
Und Annis Trostleib, der mich wärmte,
grobschlächtig anzusehen, tief mich hielt
in sehnsuchtslos beglückter Gegenwart.

Indes die Bläuen brandeten mein Wesen an,
es rissen hoch, weit über mich hinaus,
geahnter Güte mich zu überlassen.
Zu krümmen mir zuliebe auch die Steine
in Richtung Sonne, ihre Härte blähend,
als wüssten sie um Freiheit in Zerfall.

Dergleichen hat mich lebenslang getragen,
ließ überwinden mich auch noch die dunklen Seiten:
Die Niedertracht, Erniedrigung und jene Tücke,
die alle, nicht verdrängend, läsen 
als Illusionsgewand von Schön und Gut und Wahr.

Realistische Bestandsaufnahme (2983)7

Dass meine Sehnsüchte - und zwar ausnahmslos - 
ins Leere schießen, einfach kindisch sind,
und meine Hoffnungen zumal absurd,
das weiß ich längst, hab’s immer wohl gewusst.
Doch nicht die Kraft gehabt, es mir auch zu gestehen.

Und das gilt auch für dies: Mein Dichten,
das dienen soll, mir diese Welt und mich zu greifen.
Allein wofür? Wie könnte mich das heben?
Anheim gegeben einer Massentyrannei, 
die alles tut, sich auszutoben, 
die Welt zu einem Trog zu machen,
in dem sich selbst dann ich-froh hinzusudeln.

Monaden-Los (2984)8

Ich kann es nur noch einmal wiederholen
- wie oft schon habe ich es doch gesagt! -
Man ist für sich an sich gebunden.
Allein. Sich sprachliches Gefüge.

Man muss sich so in Werten polen,
Bedarfsfiktionen, sich als Welt erfragt,
als Ich-Phantom und dessen Daseinsschrunden.
Und wie man vorteilhaft sich selbst betrüge.

Inzwischen kann ich gar die Wahrheit lesen 
(was Sollen angeht: die Moral):
Sie ist das Flittchen hominider Kern-Synthesen
von Macht, Verführung, Korruption und Zahl.

Zwang, Ich-Fiktion und Pseudo-Welt (2985)9

Ich bin mir selber doch schon untertan:
Als Leib mir aufgezwungen.
Genom, mir weisend meine Bahn.
Bin mir als eigner Zwang gedungen.

Um wieviel mehr dann andern Mächten?
Die mich mit Pseudo-Rätseln konfrontieren.
Indes nur drücken, täuschen und verknechten.

Mich zwingen so, mich zu verlieren
im Pathos sprachlicher Fiktionen.
Wie Würde, Selbst und freier Wille …
Entlastungswahne, die Affekt belohnen:
Mit Sinn betrügen und Bedeutungsfülle.

Wind-Grab (2986)10

Keine Erde, keine Stätte,
keine ortsgebundne Stille.
Dass ich einst ein Windgrab hätte,
ist mein unbedingter Wille.
Wind-Sog, meine große Liebe,
soll dann meine Asche treiben,
Spielball seiner Zufallsschübe,
ihm soll sie geborgen bleiben.
Bis ihr letztes Korn sich löst.
Allen Seins-Grams dann entblößt.

Kulturelle Selektion (2987)11

Man kann es schon 
als Selektion
zugunsten 
jener Unbedarften,
als inszenierten 
Tagtraummohn,
als transzendenz- und 
illusionsbeharften
Belämmerungsbescheid 
ansehn:
Gelenkte 
kommen und 
Personen* 
gehn.

*Person: Nach Kant nicht Sache/Ding, sondern „Zweck-an-sich“ = Würdeträgerin

Anonyme Widersprüchlichkeit (2988)12

Es gibt Tage, da bin ich so leer
und gleichgültig,
dass mich auch noch
die eigenen Einsichten anwidern:
Orientierungslos 
durch eine pseudokommunikative
Kunstwelt zu stolpern,
die mir, sich permanent
um nichts weiter
als scheinbare Bedeutungslosigkeit,
hysterische Aufgeregtheit,
Sport, Erlebniskonsum 
und also Verspaßungs-Intensität 
drehend,
doch längst entglitten ist
in die für sie so typische,
einzigartig klare
Unfassbarkeit.

Selbstentsagung (2989)13

Ich hab‘s genau begriffen:
Es ist grad metaphysisch leer;
zumal empirisch ganz verschliffen
Besorgen, Traum und Spaß-Verkehr.

Kein freier Wille; nur Gefolge
der Ichsucht je nach Zweck und Wert;
als Trost die Dauer-Emotionen-Wolke,
die sie zu Sinn verklärt.

So herrschen Stumpfsinn und Verdrängen.
Wie anders ließe sich denn auch ertragen,
dass man vor faktisch unbeugsamen Zwängen
sich selber muss entsagen?

Entlarvung (2990)14

Und grad mir selber soll ich Kunde sein,
mich selbst ausnutzen optimal,
so effizient wie möglich die Potenzen,
die ich als Körper und als Psyche bin,
soll auf mich zehren letzter Glücke wegen,
der magisch konsumtiven, die erfleht der Kunde,
der sich als frei begreift: Selbst eigner Wahl.

Indes ich weiß, dass ich ein Knecht der Zahl,
Monade bin, wie Leibniz einst sie konzipierte,
nur dass das Geld, nicht Gott, 
mich Einsheit programmierte,
mich einzutakten Markt-All ohne Sinn,
in ihm als Mittelkosmos ohne Zweck zu tanzen,
der diese Einheits-Seelen kindisch macht erregen
zu einem Ochlosgleichklang anonymer Pein
im Dienst des Stumpfsinns fadster Zirkusrunde.

Begriffen hab ich freilich ungefähr,
dass da was Überindividuelles heimlich webt
als Ratio, Wertspuk, Wohlstandsheteronomie, 
die Menschtum setzten frei, sich selber überlassen,
um hin zu wirken auf den eignen Untergang.
Denn was es schuf, ist ohne Transzendenz:
Pleonexie, die nur sich selbst erstrebt
und so am Ende muss sich selbst verprassen
in Barbareien ritueller Agonie …

Nicht gut, nicht böse: Evolutionärer Zwang.

Nüchterne Feststellungen (2991)15

Ich glaube nicht an Liebe.
So wenig wie an Sinn und Gott.
Das All-Maß? Mediale Schübe
und psychischer Bankrott.

Man ist allein. Ein Leben lang.
In sich verschlossnes Leid.
Dem Zufall ausgesetzt und Zwang
und immer Mittelmäßigkeit.

Man mag indes sich schön das reden,
mag sich betrügen, es verdrängen.
Doch nicht den Durchschnitt anzubeten,
das meinte, selbst sich aufzusprengen.

Das meinte Außenseitertum
und Einsamkeit noch zwischen Laken.
Bestimmt der Durchschnitt doch schon stumm,
was wahr sei, gelten soll - er hat das Sagen.

Späte Auflösung (2992)16

Diese innere Wurzellosigkeit
(von der Aufklärung vermittelte),
die kenne ich,
kann sie gar riechen:
Alles dahin,
was Halte verspräche,
Verzauberungsvereinfachungen:
Gott,
Sinn,
Kultur,
Selbstverständlichkeiten,
Freude.
Alles dahin.
Die Wohlstandsreligion 
hat’s abgeschafft,
hat’s ersetzt 
durch verrohende Einförmigkeiten:
Entseelungsbefehle
verbrauchsbasierter 
Innenweltautomatisierungen.
Das Individuum ist fort.
Die Person ist fort.
Eine Wirklichkeit ist fort.
Fort sein wird auch bald
die seelenlose Realität, 
wie sie
Kapitalismus,
Naturwissenschaften 
und Technik schufen:
Sterbende Welt 
siechenden Einförmigkeits-Lebtums.

Liebe (2993)17

Ob man, fragst du, bauen könne 
auf die Liebe, auf die wahre?
Welche meinst du, welche Liebe?
Ist doch unklar, was sie sei.

Wie auch immer, ich vermute,
dass sie aus Betrug erwächst -
Selbstbetrug: sich umzudeuten
Fakten, Lagen, Perspektiven …

Lügen, bis sie so dann passen, 
dass gegeben dann die Liebe,
Seelenfakt geworden scheint.
Psychen-Nöte zu bestehen,
einsam nicht vor Daseinswirren,
Lebenslügen, Defiziten ...
hilflos ichstumm sich zu finden …
nicht gezwungen zu erfahren,
dass Alleinsein Schicksal ist.

Meine Gedichte (2994)18

Man muss sie 
nicht begreifen wollen;
sie sind tatsächlich
ja geprägt
von einer Sicht
auf unser Sein,
die deprimieren muss
und  Angst erzeugen;
vor allem 
Hoffnungslosigkeit ….
Nicht, dass sie all das 
provozieren sollen …
Mir geht’s um das, 
was ist, allein:
Wir laufen wirklich wohl
in ein finales Nein,
weil wir uns, Ratio hörig,
selber beugen.

Verkümmerungszwang/Für … (2995)19

Verkümmern uns doch letzte Jahre!
Verkümmre du mit mir!
Bis dass uns trennt die Bahre,
verglomm die Lebensgier.

Die Zeit vergeht ja rücksichtslos.
Bedenke das! Und schnell!
Vergänglichkeit trägt sie im Schoß …
Uns bleibt’s nicht ewig hell.

Bleib bei mir wenigstens bis morgen,
auf dass ich die vergesse:
Die Leeren und die Sorgen …
den Stumpfsinn ihrer Schein-Anlässe.

Anonymisierte Hilflosigkeit/(58/2996)20/Sonett

Wenn ich es aus genügend Abstand so betrachte,
dabei ganz kühl, auf Objektivität gestützt,
auf Sachlichkeit, dem Ernst der Lage angemessen,
was die globale Welt als ganze anbelangt …

dann scheint mir, dass sie selbst sich resigniert verachte,
sei krankhaft eitel: tief narzisstisch überhitzt,
werde missbraucht von subjektiven Interessen:
Von Mittelmaß, das sich um Selbstberauschung zankt.

Im Wesentlichen infantile Geistesleere
und von sich selbst besessne wirre Autokraten,
die kein Gewissen haben, keine Seelenschwere,

die sich und allen andern rücksichtslos nur schaden,
verkennend, dass nur Macht hat, wer sie nicht begehre …
um nicht stupide durch sein kleines Ich zu waten.

Genetischer Lotterie verdankt (2997)21

Ich hatte Glück, weil durfte ganz, ganz Seltnes fassen:
So einen Zufallswurf der Gene ohnegleichen:
der mir die Kraft gab, mich nicht immer zu verprassen:
nicht dauernd auszudeuten in banalen Zeichen ...

Als Kunde etwa, ein gelernter Hedonist
und daher Halluzinationen-Konsument,
vor allem auch produktbeseelter Marktstatist ...
sich selber inszenierend stets im Zeitgeist-Trend.

So hab ich dann versucht, mir Gutes draus zu machen. Auch weil ich bald begriff: Der Markt schafft Einerlei,
geeignet, einen anzuspornen zu verflachen,

auf dass man irgendwann sich Waren-Jünger sei,
verliere sich Erlebnislust und falschem Lachen.
Um bald als trash hero* sich selbst dann zu bewachen.

*trash hero, engl.: "Schund-Held"

Gleichlauf (2998)22

Mir laufen die Tränen runter.
Sie laufen ungehemmt.
Als weinte da ein kleines Kind.
Ich bin so trostlos todessüchtig.
Ich gehe hoffnungslos mir selber unter.
Zumal die Welt ist mir so fremd.
Die sich doch selber auch zerrinnt.
So haltlos sinnstumm flüchtig …
Nichts weiter mehr 
als nur Erlebnis-Plunder,
in dem man sich 
als Endzweck spinnt.

Lungenzüge, Alleinsein und Selbstvergessenheit (2999)23/Sonett

Gern rauchte ich doch jede Zigarette.
Daran gewöhnt doch in der Kindheit schon.
Und es tat gut, weil’s mithalf zu ertragen
den Dörfler-Stumpfsinn roher Menschentypen.

Wenn ich nicht diese Lungenschwäche hätte,
ich drehte sie noch heute; eine von
ganz starkem Tabak aus den besten Lagen.
Und rauchte runter sie bis auf die Kippen.

Ich ignorierte auch die Packungssprüche,
dass Rauchen mache krank und tödlich sei.
Als ob den Fiskus kümmerten die Brüche,

die ich mir mildern konnte  mit zwei, drei
Gedrehten, sitzend in der kleinen Küche ...
Für mich allein dort. Von mir selbst ganz frei.

Ein Gedicht machen/Variante II (Trias A) (3000)24

Was wäre tiefer denn als ein Gedicht zu machen?
Noch nicht mal Machtgenuss als Kommandieren;
schon gar nicht dieses marktbefohlene Verflachen
in Zeitgeistgossen, in Effekt sich Sinn zu schüren.

Nichts ist beglückender, was immer es auch sei.
Denn wer Gedichte macht, fügt niemals stumme Trümmer,
nicht Schäbigkeit, Geschwätz, Verrat und Niederlagen,
sich selbst dann diesem Kosmos ohne Zweck: Geflimmer
absurden Daseins anonymer Wesenszwänge.

Gedichte macht, wer sitzt auf eines Gottes Schoß,
ganz unbekümmert doch um Ich, Erfolg und Ränge:
Das Sein antaumelnd, autonom sich selber los,
sich in Vollendung, Sinn und Glück zu tragen.

semper idem* III (3001)25

So ist’s nicht, dass ich nicht wüsste,
dass ich oft mich wiederhole,
geißelnd diese warentriste 
Orgie ohne Geistespole.
Dieses selber sich Entspuren
in entlastend spaßverfügte,
ingeniöse Selbstabfuhren.
So als ob das schon genügte,
Inhalt sich und Wert zu schaffen.
Freilich, so wie’s aussieht, schon.
Protzen will man und erraffen
sich Erlebnis-Fron:
Mag man auch dann psychisch kentern,
selbst sich gar verlieren.
Niemand kann die Farce hier ändern,
mag er auch vertieren,
untergehen, sich verraten … 
Immer ist’s das Gleiche:
Von der Wiege bis zum Spaten:
Wertgetriebne Phrasen-Reiche.
Die sich müssen dann zerstören,
ins Absurde treiben,
dienend wüstem Selbstversehren:
sich den Lagen aufzureiben.

*semper idem lat.: „immer dasselbe“

Bedenkliche Verantwortungslosigkeit - oder: Der Niedergang von Einigkeit, Recht und politischer Freiheit (3002)26

Ob ich irgendjemanden angreifen,
zur Verantwortung ziehen,
diffamieren oder gar verachten wollte,
weil er, entlastungsbedürftig,
all diese Spätzeitverflachungen mitmacht,
sich ergötzt 
an diesen Entwürdigungschaumschlägereien,
sich einlässt auf alle Weisen hedonistischer Selbstzerstörung,
beklatscht und nachahmt 
alle diese Verblendungsbestrickungen 
einer auf diese freilich angewiesenen 
Dauerverhökerungssucht von Schund, Kicks 
und Verlierererregung …
wenn ich diese kompromisslos und ungeschönt bloßstelle?

Nicht einmal meine Absicht könnte dergleichen sein.

Begriff ich doch längst, 
dass die westliche Spielart des Kapitalismus 
darauf abheben muss,
den Individuen alle Wege zu versperren, 
sich noch verantwortungsfähig und -willig zu entwickeln.
Zu dünn,
zu verroht,
zu fühllos 
geraten die Innenwelten jener gelernten Selbstverwerter, 
die doch nichts weiter sind 
als eine Art heteronome psychophysische Konzentrate 
des untergründigen gesellschaftlichen Allgemeinen 
und seiner notwendig entmündigenden Perversionen.
Kindisch,
entabuisierungsfanatisch,
bildungsarm
von narzisstischer Gewalt betört 
und im Extremfall asozial …
Unfähig vor allem,
sich auch nur ansatzweise selber noch 
bewahren zu können 
vor jenem systemimmanenten Nihilismus 
und seinen fein gefügten Resignationszwängen.
Sind doch alle Formen nicht-konsumtiven Glücks 
längst abgeschafft.
So auch das metaphysische,
also auch jedwede Chance 
auf hochkulturell-elitäre Verfeinerung.

Und gerade zu dieser jetzigen Zeit, 
da sich in Asien eine Parteidiktatur 
radikal totalitär-digitaler Ausprägung 
- und zwar rasant - entwickelt,
droht der Westen von innen heraus zu zerfallen.
Müde seiner selbst,
neurotisch verfügt zumal 
seiner zutiefst verlogenen Tugendonanie 
und Realitätsverweigerung,
seiner von ihm selbst vehement geleugneten Dekadenz,
seiner kindlich-naiven Machtverachtung 
(insbesondere in Europa),
seiner seelisch-geistig gebrochenen Massen 
und seiner wachsenden Unfähigkeit,
sich vor sich selbst zu schützen.

Ich frage mich daher immer öfter,
wie er seine sowieso von innen bedrohte Demokratie 
noch bewahren will,
zumal diese faktisch eine elitäre Angelegenheit ist,
letztlich auf asketischen Idealen beruht 
und also auf Dauer von einem infantilen 
und geistlosen Souverän gar nicht gehalten werden kann …
Eine Demokratie,
die in ihrem Wesen bedrückend zerbrechlich ist, 
dauerprekär und - vor allem -,
sich jenem kompromisslos nationalistischen 
und digital-turbokapitalistischen asiatischen System,
zumindest auf Dauer, 
als definitiv unterlegen zeigen wird.

Indes mein unpathetisches Engagement 
für diese Demokratie 
sich etwa so erklären lässt:
Nur in einer westlichen Demokratie kann ein Gedicht 
wie dieses hier,
man nenne es meinetwegen auch ein Pamphlet,
und das betrifft mich fundamental,
ohne Risiko öffentlich gemacht werden.
Unter der Fuchtel jenes Partei-Totalitarismus nicht.
Dieser würde dieses Gedicht verbieten und den,
der es schrieb, ins Gefängnis werfen,
foltern oder sofort umbringen lassen.

                     *

Weiß man, weil’s genau begriff,
was politisch man verlieren,
kratisch man verspielen könnte,
wenn man nicht auf diese setzte:
Rechtlichkeit und Maß und Mitte,
Volksherrschaft und Normenschliff,
unbedingt auch Selbstverzichte …

Nun: Sich selber gar am Ende,
psychisch, physisch, geistig gar.
Ausgeliefert einer Dünkel-Schar,
selbst sich doch Erlösungs-Blende,
wesenstief doch stets gehetzte
von der Deutungslosigkeit der schieren
Schein-, Vergeblichkeits- und Leeren-Dichte.
 
Allerweltsweisheit (3003)27

Genusssucht ,
Schein,
circenses*,
Götzen;
nebst Wärme,
Schlaf 
und Brot.
Obwohl sie
die Person 
verletzen,
tun sie, 
als Daseinszwingen,
not.
Vernunft 
ist da nicht 
durchzusetzen,
kein Geist 
kann sich 
gelingen -
Sirenen,
die von Scheitern
singen,
verkümmern 
ohne Lot.

*circenses lat.: Spiele; panem et circenses: 
Brot und Spiele

Kleiner Existenzabriss (3004)28

Manches war Notwendigkeit.
Wie etwa sich Geld verdienen.
Andres war Gelegenheit,
Leere mit Genuss zu schienen.
Wieder andres diente dann,
diese Wahrheit zu verdrängen:
Dass man sich nicht wählen kann,
front meist Schalheit, Zahl und Mengen.
Oft hat man sich treiben lassen
durch die Zeitgeistniederungen:
Sport und Urlaub, Lüsten, Prassen,
dass man fühle sich gelungen.
Ohne es indes zu sein:
Kann sein Leben nicht mehr führen,
muss sich ständig lassen ein
auf Getue und Allüren.

Sinnvoll war mir selber dies:
Denken und Gedichte machen,
überwinden das Verlies
Zwecke gaukelnd bloßer Sachen.
Zu begegnen sich an Orten,
wo selbst Masken nichts verbergen.
Wo in essentiellen Worten
sich dann kundgibt das Verzwergen:
Jenes, dem wir nicht entgehen,
Dieses, das uns alles raubt:
Glücke, Zwecke, Traumalleen.
Geistvollzug, der Selbst erlaubt.

Naivität (3005)29

Der Krieg ist wieder da! Wie kann das sein?
Er war doch längst Geschichte!
Das rufen sich die Wohlstandskinder zu,
verängstigt und verstört betroffen.
Indes noch nicht mal ansatzweise ahnend,
was sonst sie auch noch treffen könnte.
Doch das sei hier diskret verschwiegen.

Indolenz* (3006)30

Manchmal ist es schon das Sonnenlicht,
das über alte Steine hin sich breitet,
manchmal auch das geräuschlose Aufsetzen
einer Katzenpfote auf der Erde
eines ansonsten kaum benutzten Schleichweges,
in dem ich mich zuweilen verstecke,
manchmal auch ein himmelsweit
sich spannendes Tiefblau,
manchmal das Sternenmeer 
an einem klaren Nachthimmel,
was mich faszinierend tröstet
in meiner des Trostes eigentlich gar nicht 
bedürftigen Gleichgültigkeit.
Die zumal darum weiß,
dass alle diese Erscheinungen etwas sagen,
was sich mir immer mit aufdrängt,
wenn sie sich mir zeigen:
Die sich in diesen Augenblicken mir doch auch 
offenbarende majestätische Sinnlosigkeit
dieser zufällig vorüberhuschenden Stoff-Synthesen
allmächtiger Materie auf dem Weg ihrer Ausdehnung
in ein mir für immer verschlossenes Unfassbares.

*Indolenz: Gleichgültigkeit

Camouflage* (3007)31

Ich schreibe meinen Lebenslauf.
Es geht zum Glück dabei um äußre Daten.
Mal da ein Zeugnis, dort ein Kauf.
Mein Wesen muss ich nicht verraten.
Zum Beispiel das, wofür ich stehe.
Das brächte mich in arge Not
Das fängt schon an mit der geringen Nähe
zum bürgerlichen Lot.
Noch schlimmer steht’s mit den Affekten.
Die brodeln rastlos unterm Zaum,
mir so dann diese Welt aufdeckten,
ein Kunstgefüge ohne Selbstwerttraum.
Und faktisch alles das verneinen,
was andern summum bonum* ist:
Erfolg, Erlebniszufuhr, Macht und Scheinen.
Weil das allein hebt unsre kurze Frist
als Wohlstandstraum in einem lecken Boot.

*camouflage franz.: Tarnung, Verdunkelung
*summum bonum lat.: höchstes Gut

Offen gesprochen (3008)32

Schon wieder viel zu viel gesoffen.
Indes was soll’s? Die letzten Jahre schwinden.
Auf was denn soll ich da noch hoffen,
für welche Illusion mich schinden?

Für irgend Ziele, Zwecke oder Halte?
Nur große Worte für Schimären.
Kann ich dies Dasein doch nur als recht kalte
Entsinnlichungsverdinglichung mir klären.

So mag’s denn hingehn diesem Zwang der Uhren.
Tatsächlich Gram und Traumweltweiten.
Ein Undeutbares aus Blessuren.
Von niemand hier zu meiden.

Existenzzwänge (3009)33

Illusionslos bin ich bei Verstand geblieben.
Für mich mir deutend feile Lügennetze
doch einer letztlich würdelosen Posse:
Verbrämungshaschen nach Entlastungsdrogen.
Indes auch selber drastisch auf sie angewiesen:
in diesem hektisch-leeren Selbstwertkrieg.
Substanzgebot molekularer Drangbefehle,
die Selbsterhaltungszwänge auferlegen.
Heißt, dass ich niemand deshalb tadeln darf,
muss vielmehr anerkennen (und ich will’s),
dies Walten dingverstrickter Tauschgebete.
Gemurmelt in längst gottverlassne Himmel.

Faktenkosmos (3010)34

Zufall, Zwang, Wert, Trance und Zahl.
Das geht nicht anders, kurz: es muss so sein.
Das Dasein tobt nun mal effektfinal.
Ob Macht, ob Lust, ob Geld, ob Schein.
Tut es sich doch nur physisch kund:
Materie schuf auch den Geist.
Es bläht sich, rafft, verhehlt sich jeden Schwund.
Zumal Vollendung es verheißt.
Indes nur Stückwerk ist und sich verliert
an Wert-, Bedürfnis-, Macht-Fiktionen,
die, traumweltziseliert,
dann immerhin verschonen
vor letzter Einsicht, unverdrängter,
in dies Gewirr von Oberflächlichkeiten:
Dass nichts es ist als stoffverhängter
Entlastungshauch, sich selbst zu meiden.

ZINSJA (16) (3011)35

Hyperluzide füge ich 
die niederträchtigen Schemen 
der Vergangenheit 
dieser vor Sinnlosigkeit 
frierenden Zukunft ein:
Leere um Leere ausgestaltend
zu einem harten Gefüge
mittel- und haltloser
Zwangsentfaltungsmiseren.
Nicht dass ich das 
absichtlich täte.
Oder gar begeiferungsschadenfroh.
Nein. Mich nutzen dabei
Gattungssensibilität und 
sich selbst kommandierende 
Faktengewalt.

Zwangsablauf (3012)36

Immer dasselbe Geschehen:
Einzelne wollen oder können nicht mitmachen.
Unfähig, 
sich einzuordnen in eine gegebene Gesellschaft.
Sie rebellieren, 
etwa, 
gegen die trivialmessianische Ichbrünstigkeit 
evolutionsdeterminierter Illusionsproduzenten.
Oder gegen die Sinnlosigkeit einer 
kommandierenden Bedürfnissen dauerunterworfenen,
dauerprekären, 
sich selbst, 
der Welt und den anderen ausgesetzten Existenz,
die nur zu bewältigen ist unter der Voraussetzung,
dass man sie eher träumt,
zurechtlügt, 
verdrängt, 
phantasiert …
als das man sie, 
tapfer sich ihrer bewusst,
tatsächlich unmittelbar lebte.
Mag sie auch aufruhen einem Wohlstandsgefüge,
das alles bietet,
was man braucht, 
um sich - noch in der Hirnaktivität schwerer Nächte -
verluderungsgierig sich selbst zu hissen.
Oder eben Mammon-Oligarchen,
unbelehrbaren Polit-Theologen 
und naiv-optimistischen Technologie-Utopisten,
die den Menschen in die Obhut 
seiner von ihm selbst geschaffenen Technologie geben wollen,
auf dass diese ihn behüte,
leite und endlich erhebe zum pan-glückseligen KI-Schaf 
(zum Neuen Menschen).
Verheeren,
verkleinern,
entmächtigen werden wir uns also gewiss.
Ob nun als Bipedenzoo*-Insassen oder verfahrensoptimiert gewaltlüsternes Kriegergefolge …
Architekten sich notwendig selbstzerstörender 
geschichtlicher Gebilde sind wir allemal:
Nebeneffektblinde,
Normen- und Fakten-Verzwungene.
Auf Abruf.

*Bipedie: Das Gehen auch zwei Beinen; also: 
aufrechter Gang

Präferenz Geist (3013)37

Man nehme, kriege, nutze, was auch immer.
Es wird zuletzt als fad sich zeigen.
Als kreatürliches Gewimmer.
Nur geistig kann man, Spielball, sich noch übersteigen.

Um dann zu sehen, wie’s noch schlimmer,
wird wesenloses sich Verneigen 
vor etwas, was doch längst in Trümmer,
in Siechtum sank und Dauerschweigen.

Indes ich mach’s mir noch als Trance zu Eigen:
Verkrieche mich in stillste Zimmer
und spiegle alle seine toten Reigen 
in magisch indolentem Wort-Geflimmer.

ZINSJA (121) (3014)38

Ich schätze eure Kunden-Hybris nicht.
Nicht eure Selbstwert-Illusionen.
Noch eurer inszenierten Selbste Wahn.
Schon gar nicht eurer virtuellen Fad-Gebete
Entlastungsmohn egalisierter Trance-Monaden. 
Indes fahrt fort noch ein paar Jahre,
euch eure Wohlstandsgaukeleien zuzuführen.
Auf dass es mir denn also noch gelinge,
mich unberührt von Barbarei ins Grab zu retten.

Europäische Grundwerte (3015)39

Ich leugne Würde als ersehnten Wert,
bestreite, dass Vernunft und Toleranz,
Humanität, Autonomie und Güte,
politisch kluge Handlungsquellen seien.
Was haben sie, genau besehen, denn genährt?
Verbraucherhochgefühl und Arroganz.
Realitätsverweigerer, die faktenmüde
und geistig-rational sind schwer versehrt.
Denn Tauschverdinglichung zertritt sie rüde.
Die muss ja Mittel, darf nicht Zwecke weihen:
Kann also weder Würde sein noch haben …
Wer Schund anbetet, ist sich selber fremd.
Wer nur Erlebnis frönt, ist deklassiert.
Wer Zeitgeist huldigt, muss sich untergraben,
wird nie Person, die sich zur freien hemmt,
indem sie nicht an Stumpfsinn sich verliert.
*
Wer denn verlöre nicht die wunderbare Tiefe
verträumungszufälliger Irrationalität,
jene phantasievolle Daseinsfülle metaphysischer
Geborgenheit und faktentranszendenter 
Seelenruhe in den Momenten gramferner, 
kindlicher Heimkehr in die sprachgewaltigen
Enttrümmerungsfelder eines Sinn schaffenden,
allversöhnenden Absoluten?
*
Ja. Wer verlöre nicht sogar sich selbst 
in dieser sentimental pseudotugendhaften,
emotionshypertroph lärmenden Warenschlaraffe,
die doch nichts weiter ist als eine öde
Anmaßungsinszenierung … Sei es der Macher, 
Sieger, Promis, Politideologen, 
sei es des seiner selbst entmächtigten Durchschnitts,
sei es der Propagandisten der Pan-Algorithmisierung
dieser enthemmungsmystisch gesteuerten Menschenmassen
einer sich permanent selbst glorifizierenden, 
lobenden, verheiligenden und feiernden Konsumdiktatur,
die die seelischen und geistigen Kräfte, 
die restkulturellen Selbstbestände zumal auch
der desorientierten Individuen längst aufgezehrt 
und durch infantile Erregungsimperative, 
seelisch steuernden Entfesselungstingeltangel 
und belämmerungsintensive Halligallisierung 
der Innenwelten ersetzt und digital subtil
in immerwährenden Beschlag genommen hat.

Leben als ein Fremder/Sonett (3016)40

Wenn ich’s betrachte aus der Selbstdistanz,
gewissermaßen kalt und objektiv …
Dann muss ich sagen: Es lief gründlich schief,
war ohne Höhepunkt und ohne Glanz.

Naivität wohl, noch mehr Ignoranz,
die sich erklärt aus einem Seelentief,
das lebenslang als Wunde in mir schlief
und lähmte bis in meine Selbstsubstanz.

Nur geistig konnte ich mich halbwegs halten.
Ein Fremder vor den Selbstentfaltungswerten.
Die meist narzisstischen Belangen galten,

nichts weiter waren als Effekt-Gebärden:
Zu inszenieren sich in einer kalten 
Konsumwelt ohne geistgebundne Fährten.

Euch noch mal wieder sehen - Für die Eltern (3017)41

Ein Kinderwunsch. Gewiss. Ich weiß es doch.
Der Stoff lässt es nicht zu; er kommandiert
die Gier wie den Verfall - Das fade Joch,
das Dasein heißt. In dem man sich verliert

in wirres Scheitern, das dann grade noch 
der Tod aufhält, bevor man ganz vertiert.
Und der enthüllt dann dieses Stoffschicksal:
Dass man ein Zufall war - Ding ohne Wahl.

Euch, längst zerfallen, noch mal wieder sehen
verhindern atomare Grunddiktate,
die alle Sehnsuchtsfelder niedermähen
und machen, dass allein man sinnfern wate
in Stumpfsinn und Sozialdunst, sich zu drehen
Abstraktheits-Tyrannei bis hin zur Lade.
Es ist unmöglich, dieses Los zu meiden,
Primaten-Los: Sich reflektiert erleiden.

Ich rebelliere gegen Stoff und Uhren,
Gesellschaft, Selbstverlust und Psychen-Schliche;
und hebe euch, ein Leben lang Blessuren,
als frühstes Bild gebannt in Gegenbrüche
mit blassen Dankbarkeits- und Liebesspuren -
damit Gewalt erhofftem Frieden wiche.
Ein Selbstbetrug. Naiv mir hingebogen
zu einem Traumgeflecht, uns brach gewogen.

Pech (3018)42

Mein Existieren? Nun, Belang
verdient es, hat es bisher keinen.
Es ist Primatenschicksal, Beutegang
an gängigen Sozialdruck-Leinen.

War immer Knecht von Außenzwängen,
von Herkunft und von Wirtschaftsmacht, 
war ewig aufgerieben zwischen Rängen,
errichtet von der deutschen Geld-Andacht.

Ist niemand schuld an der Misere.
Ich hab sie, Pech, nun mal begriffen:
Das ganze Dasein ohne Schwere
von Darwin-Farce und Heilands-Kniffen.

Ein Ausweg (3019)43

In manchen Stunden kann ich’s deutlich sagen,
in andern freilich krieg ich’s kaum zusammen.
Ich rede hier von Daseinskraken,
die unbewusst uns schrammen.
Von überspielten Massen-Einsamkeiten,
von Selbstbetrugszwang und von Illusionen,
vom Druck, sich selber zu vermeiden
und Zielen, die nicht lohnen. 
Ich habe all das rausgefunden,
weil es mir oft ist widerfahren:
Wir sind wohl alle stark daran gebunden.
Ob wir uns Denken oder Stumpfsinn paaren.
Mich hab ich so im Takt gehalten,
dass ich es in Gedichte presste,  
was sich mir auftat an Systemgewalten 
und was sie, kaum erfahrbar, machtklug mäste.

Entgrenzungsknute (3020)44

Die Zeit, für alle Werte offen, 
hat deshalb keinen Abstand mehr zu sich.
Man ist zugleich apathisch und betroffen.
Behelfssakralisiertes Ich.

Flexibel, optimistisch, seicht.
Dem innren Team als update hingegeben.
Und, human capital, global geeicht, 
sich dinglich zu erleben.

Die Lebensführung wird Betrieb.
Das Selbst ein Mikrokosmos einer Welt,
die, unterworfen rationalem Trieb,
um Sinn und Halt es prellt.

Orientierungslos und kulturell befangen,
ergibt man sich den Zeitgeistniederungen:
Narzisstisch cool den Medienzangen.
Systemkonform sich selbst gedungen.

An einen auf Relevanz pochenden Desorientierten (3021)45

Saugst alles auf:
Aus Blättern und Gazetten,
lobst Optimismus, 
Weitsicht, Deal.
Machst dich zum
Sprachrohr aller Netten.
Flexibel, online,
informiert, mobil.
Dich einzulesen 
den Bewusstseinsketten:
Effektdressierten 
Zeitgeist-Idiotien …
Dem intellektuellen Niedergang
ins geistig Defiziente:
Moral-Rekord
und Gleichungs-Brände.
Globalem Abgesang.
An diesem psychisch toten Ort,
Verdinglichungsivressen* 
ausgeschrien.

*ivresse franz.: Trunkenheit

An Niedertracht gewöhnt. Zerwürfnisvirtuos (3022)46

Ich fühle, Zeitgeist nah, so gut wie nichts.
Nicht Trauer, Wut nicht; auch nicht Schadenfreude.
Schon gar nicht Mitleid oder Furcht.
Noch habe Sehnsucht ich nach was auch immer.
Und kein Verlangen drängt mich hin zu Du.
Ich bin mir - und das tröstet - selbst genug.
In stummer Nacht erfüllt von Indolenz:
Jetzt ist der Krieg egal, die Pandemie,
der Klimawandel und die Wirtschaftsflaute.
Obwohl die meisten all das tief bedrückt,
empört sie sind, verängstigt, hilflos, antriebslos.
So war’s schon immer. Kaum hat mich berührt,
was immer umtrieb meine Artgenossen.
Es sei egal in welcher Hinsicht auch.
Der Grund? Ich kenne mich, ich kenne sie:
Demiurgen radikaler Nihilismus-Lagen.
Brutal, verblendet, wertgetrieben, 
nicht mächtig ihrer Selbstbild-Träume,
verlogen grade tugendhypertroph.
Ergriffen kernhuman dann, wenn akut bedroht,
Bestialität und Barbarei schon griffen.
Mehr wäre übermenschlich: Halbgott-Seltenheit.

Die Liebe (3023)47
Zu vergleichen mit den Gedichten (16/963) und (70/372)

Was soll ich auf die Liebe geben?
Die Kundenseelen sind doch viel zu flach.
Zumal nach Kick, Event und Reiz sie streben.
Sie haben sonst kein Dach.

Auch keine Sprache, selbst sich zu begreifen.
Medial verknechtet, wie sie sind.
Auch weil sie vor sich selber kneifen,
erlöst als Marktes Kind.

Wie könnte so ein Mammonknecht denn lieben,
der im Erleben sich verwertet?
Der nihilistisch angetrieben,
sich inszenierend in Narzissmus erdet?

Die Liebe heute? Starsystem-Abbild:
Romantizismus als Gefühlsstrohfeuer.
Man gibt sich stimmungsmystisch wild.
Als Abklatsch ohne Selbst und Steuer.

ZINSJA (27) (3024)48

Die Konsumdiktaturen …
- Ja! Monoman schon wieder diese:
Mir Daseinsbann doch, Existenz-Zuchthaus,
Erlösungs-Schlachtfeld und 
Depersonalisierungs-Atomistik. Nu um Nu -
Diese Konsumdiktaturen 
lassen noch ihre Leeren verprassen.
Indes ihre verdinglichungsumnachteten Subjekte, 
reizrabulistisch in sich selbst verbracht,
Autonomie halluzinieren.
Ichroh vor innerer Schwäche und
Mehr-und-immer-mehr-haben-Wollen
sich selbst hedonistisch 
verbrauchsoptimal berechnend.
Gemeinkindische Körper-, Bilder und
Phrasen-Verbraucher,
träumerisch dahingetragen wogend 
über die technisch allverfügbaren 
Psychenfelder von Reizen,
Signalen, Zeichen und anonymen Befehlen,
sich an zu kommandieren 
jener definitiven Exemplarisierung 
geisttoter Innenwelten.

Am Schreibtisch - Erschöpfungsschweren (3025)49

Unwirtlich kalt, es rieselt rüde.
Mir ist, als fröre selbst der alte Baum,
der blätterlos da draußen stillsiech müde 
sich längst ergab dem Abgaszaum.

Obwohl berechnend die Quartalseinnahmen,
berührt mich diese Spätjahrtrauer.
Erschöpfungsschweren stiller Dramen.
Verstümmelter Natur gequälte Schauer.

Ich spüre durch die regennassen Scheiben
das stumme Leid der kahlen Äste:
Die Sehnsucht, nie mehr auszutreiben.
Erstarrungskranker Hohn verrohter Blütenfeste.

Triviale Welt (3026)50

Brachsüchtig öde ich dahin.
Gewaltlüstern zuweilen.
Zuweilen kundensentimental.
Meistens indes haltlos unberührt.
Zahlen, Bilder und Sprüche:
Sollerregung hetzt mich.
Tugendanmutungen permanent,
stumpfsinnig-arrogant übertobend
kapitalistische Dauerschaumschlägerei.
Seelisch längst impotent,
gebe ich mich freilich auch diesen hin,
erlebnis- und abwechslungslüstern.
Wenn auch gleichgültig gegenüber
welchen Trug-Inhalten auch immer.
Spannungsschäbig gereizt,
durchwuchert mich so
digital proletarisierter Verrohungstölpel
substanzlose Kundenexistenz.

Affenzwang (3027)51

Gedichte (Worte) 
sind auch Waffen.
Wie könnte es
auch anders sein?
Im Fall so oft
brutaler Affen,
die sich ergötzen gern
an andrer Pein …
sich auch 
durch Grausamkeit 
erschaffen.
Für die ihr Nächster
doch bedeutet Nein,
wenn ihnen 
Geltungswunden klaffen.

So ich (3028)52

Ich halte - zwanghaft - ganz gewiss nicht viel
von gängigen Verbraucherreichen
mit Luxus, Freizeit, Selbstwert-Deal.
Um mich auf diese Art mir zu erschleichen.

Ich setzte eher auf Begriff und Wort,
wenn’s darum geht, mich menschlich abzurunden.
Halluziniere dabei, was doch längst ist fort:
Dass man sei metaphysisch auch gebunden.

Ob ich mit solchen Märchen leben kann?
Ist das doch psychisch recht prekär.
Ich kann. Mir gönnend dann und wann
Vollendungstrance, von Marktdrucklügen leer.

Vollendungs-Nu (3029)53

3. Mai 2003; morgens 6.59 Uhr.
Ein Fleckchen blauer Himmel.
Der Nieselregen lässt nach.
Der Wind wird hoffentlich wärmer.
Im Geläut jene friedliche Hinfälligkeit,
die weit fort trägt aus der Wohnungsenge.
Das Großhirn sehnt sich nach Seiner Weite.
Was will man mehr? 
Versinken in ihr doch Alltag, Hektik, 
Existenzbanalität, Pseudo-Ratio und Ich.
Noch mal: Was will man mehr?

Frühweltschatten/Dorfschatten (3030)54

Letzte Nacht, sentimental
mich weinselig selbst auslotend,
schossen sie wieder hoch in mir,
diese mehr als 60 Jahre lang
völlig vergessenen Frühweltschatten:
Bernd K., 
er trug, wie damals, die blaue Wollweste, 
lächelte, wie damals, geheimnisvoll 
an mir vorbei. 
Stumm. Seelisch unfassbar, fremd.
Hartmut, 
dessen Nachname mir nicht einfallen will,
ein gescheiter, etwas redseliger, 
eigensinniger Junge,
der sich, meistens lamentierend,
über seine Ich-Gefangenschaft ausließ.
Als wolle er 
sich seiner selbst versichern.

Ah ja, ich wusste ja stets
um dieses Heer von Frühweltschatten,
die Spalier stehen in meinen Seelentiefen.
Gleichsam ein Existenzvakuum ausmachend,
aus dem, scheinbar grundlos,
immer wieder mal für ein paar kurze Augenblicke
ein Bild hochschießt, 
das längst verblasst sein müsste,
indes mir mit einer Klarheit vor Augen steht,
als sähe ich, was es zeigt, 
in diesem Augenblick wie damals ganz real vor mir.

Frühweltschatten, immer fallend
durch der Zeiten Tiefen.
Weinend, lachend, bittend, lallend.
Fremde Daseins-Schiefen.
Was geworden, wie vergangen?
Opfer ihrer Eigenheiten.
Sei’s auf kalten Flächen sprangen.
Auch sich selbst zu meiden.
Sei es eingebogen Spuren,
die vorbei sie führten
an den Klippen vor den Uhren,
zufallsglücklich kaum berührten.
Dutzende von diesen Schatten
trage ich in mir als Wir.
Solche, die berührt mich hatten
einst in einem Jetzt und Hier.
Menschlich oder niederträchtig,
grausam oder indolent.
Immer freilich prägemächtig:
wehungsvirulent.

Trennung (58/3031)55

Wir wollen nun die Gläser heben.
Es ist, du willst es so, das letzte Mal.
Du träumst von einem selbstbestimmten Leben.
So lautet deine Wahl:
Du willst dich autonom entfalten,
dich leiten, formen, übernehmen …
Betört von Zeitgeist-Suggestiv-Gewalten …

Viel Glück! Du magst erfolgreich weben,
das, was dir gilt als Daseins-Gral;
magst niemals müssen dir verbrämen,
dass Freiheit es nicht geben kann:
Autonomie ist Kapitalwelt-Märe,
ist marktdiktierter Kunden-Bann,
die Selbstbestimmung 
nichts als Ichsucht-Schwäre,
zu ködern dieses Spätzeit-Man*,
sich aufzugeben Inszenierungs-Fun,
sich zu verhehlen diese Schwere,
dass Selbstverfügung niemand ist gegeben:
Es kann sich niemand selbst gestalten,
doch weiter nichts als Hyle-Walten.

*Martin Heideggers ‚Man‘ s. Fremdwörterverzeichnis


 

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