Seite 57

Ein Fremdwörterverzeichnis finden Sie hier

Diese Seite enthält 55 Gedichte (53 Prosa-, Reim-Gedichte und 2 Sonette)

Eindrücke (2920)1

Vor einer Bäckerei sitzend, 
bei einer Tasse Kaffee,
fällt mir die Weisheit 
des Theognis von Megara ein,
dass Wissen besser sei 
als selbst die größte Tugend,
der Sinn für Fakten besser doch 
als Ethik-Träumereien.

Und schau ich auf dann wieder 
auf dies Menschtum hin,
das hier vorübereilt 
auf autofreier Seitenstraße -
viel Alte, schon Gebrechliche; 
doch viele junge Leute auch,
von Apparaten abgelenkt, 
auf die sie ständig starren,

beschleicht mich schon zuweilen 
das so bohrende Gefühl,
dass da inzwischen viele, 
die das Land bewohnen,
ermangeln -  dieser Eindruck 
drängt sich auf geradezu -
jenes belebenden Momentes 
im Gemüt, das einen fähig macht, 
des Landes Zukunft auch zu sichern.
Und dann, dann kann ich 
nicht mehr so recht glauben dran,
dass diese eine solche würde, 
wie man sie schaffen muss, 
um nicht anheim zu fallen, 
sei’s Anomie, sei’s Niedergang.

Von Sinn erfüllter Tag/Sonett (2921)2

Molekular strukturkomplexe Hyle; 
schon a priori Tod anheimgegeben,
Gehirn als Ich-Bewusstsein und Gefühle …
Nach Zielen hungernd in befohlnem Streben.

Das werde ich nach undeutbarem Spiele
einmal gewesen sein (man nennt es Leben),
um dann als Aschehäufchen irdner Kühle
mich langsam wieder All-Staub zu vermählen.

Und doch gab’s manche Stunde, die vollendet,
das Höchste zeitigte, was Stoff vermag,
wenn er als Geist sich, im Gedicht geblendet,

gebeugt Betrachtung hat und nicht Betrag.
Gram, Sorge, Zwang und Gier hielt abgewendet,
sich auszumalen Sinn erfüllten Tag.

Selbstbelämmerung (2922)3

Zuweilen rede ich mir,
seelisch völlig aus den Fugen geraten, 
ein, aus meiner abgeklärten Illusionslosigkeit,
allbedrückend durch mich hindurch 
schwappenden Melancholie 
und mir lächerlich verachtungswürdigen 
Todessehnsucht heraus,
der Selbstverramschungsmentalität 
lässigkeitskultig befröhlichter Durchschnittlichkeit 
ein paar betroffenheitstrunken scharf aufrüttelnde 
Prosazeilen in die unbeschwert-narzisstische 
Gleichgültigkeit ihrer infantilen 
Gefühlshypertrophie zielsicher 
ein sudeln zu sollen …

Ein Idiotismus, den zu erkennen, 
nicht schwer fallen kann:
Da treibt ins Sinnlose 
subjektiver Selbst-Belämmerung 
das deprimierende Wissen 
um metaphysische Leere, 
definitive Innenwelt-Primitivisierung,
intellektuellentypische Tugendüberschätzung 
und radikale geistige Ohnmacht.

Indes man sich,
um seiner selbst willen,
kitschpsychisch 
nicht verfallen sollte.
Schon gar nicht 
verzweiflungsekstatisch naiv.

Faust II, Verse 11844ff (2923)4

Bergschluchten.
Nach oben.
Höher.
Zu Gipfeln.
Gottwärts zuletzt 
über alles 
Ahnbare hinaus:
Die Heimkehr 
des Seins
ins Absolute.

ἀποκατάστασις πάντων.*

Geborgen für immer der,
den solch ein 
metaphysischer Optimismus
zu tragen vermag.

*Apokatástasis pánton griech.:
Wiederherstellung, Zurückversetzung
in den vorigen Zustand: insbesondere der Zeitpunkt 
der Wiederherstellung der ursprünglich göttlichen Zustände im Weltall (Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Meiner-Verlag Nr. 500)

Unverdientes Glück (2924)5

Unverdientes Glück, 
vom Zufall blind zugeteilt,
werde ich gehabt haben.

Das zeichnet sich immer deutlicher ab:
Die mephistophelischen Seelenschichten
- man kann auch sagen: die gängigen -
fressen sich wieder nach oben.
Wenn auch schleppend genug,
dass mich der in jenes unnennbare Nichts 
rettende Gleichmacher 
noch rechtzeitig umreißen wird,
bevor Willkür, Rohheit, 
Gewalt und subtile Unterdrückung 
wieder eintaumeln 
in die dann technologischer Tyrannei 
unterworfene Realität:
Die des Alltags, 
die der Psychen, 
die jedweder Art und Weise 
des Existierens.

Wie gesagt:
Unverdientes Glück,
der großen Tyche verdankt,
werde ich gehabt haben.

Frühester Wind (2925)6

Sperrangelweit steht die Balkontür offen.
Sperrangelweit auch das Küchenfenster.
Immer wieder tauche ich minutenlang ein 
in den warmen Durchzug.
Ein den frühesten Winden ähnlicher weht,
urvertraut mich umfangend, 
durch die Wohnung.
Und nichts, was war, ist und sein wird,
konnte, kann und wird können
seiner mystischen Zärtlichkeit 
je gleichkommen.

Zukunftsvision - Ein Alptraum (2926)7

Ein bessres Leben? Nun das ist vorbei.
Was folgen wird, sind Diktatur,
subtile Techno-Tyrannei,
begehrte Unfreiheit und Selbstzensur.

Und niemand mehr wird noch ein Schicksal haben.
Es wird ihm alles dazu fehlen:
Die Phantasie, die Geistesgaben.
Und die Fiktion, er könne selbst sich wählen.

Das Menschliche wird sich verlieren.
Vergessen sogar Barbarei.
Der Mensch wird nicht mal mehr vertieren:
Sein willenlos-perfekte Litanei.

Wie? (2927)8

Wie ertrage ich bloß diese währende 
Beziehungslosigkeit,
diese psychische wie faktische Isolation?
Wie nur das wiederkehrende Gefühl völliger Belanglosigkeit,
diktiert von dieser zwischen 
beruflicher Leistung 
und freizeitlicher Wohllebensenthemmung 
schwankenden, zeitgeisthörig abgestimmten,
medial-abstrakten Daseinsvollzugsposse?

Wie also auch diese alltägliche Verwiesenheit 
auf Wiederholung eines ökonomisch 
diktierten Immergleichen, 
indes abwechslungsreich durchdrungen 
von Erlebnisreizen,
so angenehm wie lustvoll und unernst?

Wahrscheinlich,
weil mich das alles frontal 
nur im Büro heimsucht,
niemals aber im Sog 
geistig radikaler Weltverachtung,
die sich in Kunst und Einsicht gräbt.
An langen, einsamen Abenden.
Auch um sich selbst als fortschreitend 
bedeutungslos zu erkennen.

Intellektuelle I (2928)9

Mal der Führung, mal den Massen
haben sie sich angebiedert.
Oder waren sie Ästheten, 
todestrunken elitär.
Stammten meist aus bessren Klassen,
waren klug begriffsbefiedert, 
standen so zum Durchschnitt quer.
Schönheit, Neuer Mensch, Vernunft,
Tugend, Fortschritt, Utopie
waren ihre Heilsauskunft.

Ich indes begriff sie nie.
Dafür fehlt mir das Organ.
Sah nur Spiel und Phantasie,
Eigentlich auch Wahn:
Wirklichkeitsverweigerung.

Traumgebilde, das verfehlte,
was den Menschen möglich ist:
Ichsucht, Ehrgeiz, Überragen,
Macht und Selbstwertsteigerung.
Alles auch, was ihm verhehle
Scheitern, Sorge, Gram und Frist,
Zufall, Ende und Verzagen.

ZINSJA (142) (2929)10

Sentimental, 
effekthungrig und trivialtragisch 
ergriffen von sich selbst,
weinen Menschen eher über ein 
verlorenes Fußballspiel, 
als darüber,
dass die geistig berührten Affektlagen
unwiderruflich verkümmern.
Indes muss man, 
um darüber weinen zu können, 
freilich wissen, 
dass es so ist.
Und vor allen Dingen auch noch wissen, 
wohin das am Ende führen wird:
Nämlich dazu, 
dass man irgendwann nicht mehr 
über verlorene Fußballspiele weinen wird,
sondern darüber, 
dass die menschliche Existenz selbst 
definitiv auf der Kippe steht.
Weil keine Hochkultur mehr da ist,
sie vor sich selbst zu bewahren.

Gefeit (2930)11

Genau betrachtet, ohne Schein,
auch keinen Ängsten untertan,
so wenig auch geneigt, mich zu belügen,
muss ich es ungeschminkt mir eingestehen,
dass dies mein Dasein sinnlos ist.
Da nur zu deuten doch als Stoffweltdrall:
Als Ausgesetztheit und Verfall.

Indes was kümmert’s mich,
wenn ich Gedichte schreiben:
All meine Masken mir herunterreißen 
und mich mit Gott dann unterhalten darf.
Der, Geisttrance, meinem Hirn einwohnt.
Gewillt, mich manchmal zu geleiten
in die Vollendungschleier, die er warf.

ἐντελέχεια* (2931)12

Entelecheia?- Die Person geht unter.
Versinkt in allgemeinem Ich.
Ein Ratio-Algorithmen-Wunder
entseelt sie zum Ansich.

Abstraktem Dasein einer crowd*-Monade,
devot sich andressiert.
Auf dass sie nicht sich selber schade.
Nach Datenmengen optimiert.

Wo werden Tragik bleiben, Los und Sinn?
Wo all die Traumrauschstunden,
die Sehnsuchtswehen des ‚Ich bin’
mit ihren tränenschweren Gram-Befunden?

Gewichen einem Alptraum-Eden
von hergestellten Glücken.
Zu denen dumpfe Wesen werden beten
mit wahnbefleckten, ausdruckslosen Blicken.

*Entelechie griech.: Das, was sein Ziel in 
sich selbst hat: en = in, telos = Ziel; vgl. auch
das Fremdwörterverzeichnis
*crowd: Masse für sich seiender, gleicher Individuen

Bestandsaufnahme V (2932)13

Mein Körper verweigert sich mir immer öfter.
Greisenhaft tapst er dann dahin, ist schwach, 
schmerzt zumal an Armen und Beinen.
Und inzwischen sucht er auf dieses Weise
mich fast schon jeden Tag heim. 
Tatsächlich kann ich meinem eigenen 
Verfall zusehen.
Und nichts kann ich dagegen unternehmen.
Krankheit und Alter sind unerbittlich.
Das ist so vorgesehen. Jeder weiß das.
Jeder verdrängt es. Solange er das eben kann.
Und er tut gut daran, es so zu halten.
Ich freilich kann in meinem Zustand 
nicht vergessen, 
doch nichts weiter zu sein als Stoffgefüge, 
Zeit, Alleinsein und Einsichtsbedrückung.
Mir bleibt also nur die Hoffnung, 
dass ich all jene kleinen,
mich mehr und mehr auch psychisch 
zermürbenden Qualen, 
nicht mehr allzu lange werde aushalten müssen.
Für mich jedenfalls verliert der Tod 
seinen Schrecken,
wenn ich mir, meine Angst unterdrückend, 
vergegenwärtige, dass er mich von nicht geringen
Lasten - biologischen Notwendigkeiten - 
befreien wird.

Man hat (2933)14

Man hat die Würde 
demokratisiert:
verrechtlicht, 
dass nur eine 
Hülse blieb;
hat Geist geopfert 
dem Verstand,
der Formel und 
der Effizienz.
Sich selbst so 
psychisch deformiert
zum Emotionsempfänger 
zweiter Hand.

Schneeschwere Dunkelweiten (2934)15

Eine rätsellose Nacht.
Ein Wind haucht Schnee.
Ins Wolkenschwarz verbracht
entseinter Brachherzfee.

Vergänglichkeit schäumt auf,
sich selbst zu fluten
in ihrem Zeitgleichlauf
und Sinn-und-Zweck-Anmuten.

Ich fange selbst mich ein
für einen Wimpernschlag
als Stoffes Widerschein
im Großen Nullbetrag.

Sonett von der Selbsterkenntnis (2935)16

Ich muss mir nicht mediale Täuschung borgen,
mir keine Träumerei nach Norm verschaffen,
auch keine Ausweglosigkeit verhehlen,
und keine Sehnsuchtsräusche zwanghaft suchen.

Mich nicht einmal mit Nachrichten versorgen,
auf andere und ihr Versagen gaffen,
Verlogenheiten aus dem Alltag schälen,
die jene schüren, die sie dann verfluchen.

Ich muss das alles nicht. Ich kenne mich:
Ein Affe, hoch begabt, sich selbst zu täuschen,
der, chronisch unterworfen Wir und Ich,

sich kindisch abquält mit Bedeutungsräuschen,
die er als Wert-Mohn doch vergeblich weiß,
sich - geistwach - selber liefernd den Beweis.

Illusionslos IV/(2936)17
Zu vergleichen sind, wären (20/1190), (23/1362),(53/2700)

Nichts, was es gäbe zu berichten
von meinen Daseinslagen.
Ich hab verlernt, mich zu gewichten.
Mir will sich Relevanz versagen.

Das liegt auch an stupender Kraft,
mir, was ich bin, nicht zu verbergen:
Verbraucher, der sich Lust verschafft,
zu hemmen das Verzwergen,

das sich doch gar nicht leugnen lässt,
liest man genau die Spuren:
Ein objektiver Lauf, der presst
in subjektive Sinn-Abfuhren.

Nüchtern besehen (2937)18

Ich will mich doch gar nicht mehr 
gängig gewichten.
Zu müde, zu schlau und vor allem zu alt.
Ich will mich nach eurer Moral 
nicht mehr richten,
erfuhr ich sie doch als subtile Gewalt.

Die Masse, Märkte und Technik vorschreiben
mir Einzelnem, der nur noch kaufen soll,
um sich entmündigt dem Markt aufzureiben,
erlebniszerstreut in biederem Moll.

Obwohl, ich gesteh’s, ich begreife mitunter,
es könnte um uns gar nicht besser stehn.
Die Wohlstandsmisere gleicht einem Wunder -
Illusionslos, zynisch und nüchtern besehn.

Erinnerungen an eine linke bürgerliche Intellektuelle (2938)19

Sentimental bin ich Prolet gestimmt.
Da läuft ein Oldie, der, mit dir verbunden,
noch einmal jene Illusion anglimmt,
wir könnten unsre Mängel stunden.

So etwa ich die Teilnahmslosigkeit,
die mich beherrscht bis in die Kerne
und mein Bewusstsein steuert seit
ich aus dem Doppelselbst des Bürgers lerne;

des Prototyps, der Ideale 
und Selbstsucht nicht zu trennen weiß,
Pleonexie anbetet und die schale
Fassade ohne Seins-Beweis.

Wir mussten, so gesehen, uns verfehlen.
Du Utopie verfallen, ich verstockt,
bestreitend, dass man könne wählen,
dass uns das Gute, Wahre, Schöne lockt.

Wir hätten niemals uns verstanden.
Die Fremdheit, die soziale, war zu groß.
Ein Bürgerkind in Weltanschauungsbanden -
Geraune und perfider Schoß.

Ich bin dagegen treu geblieben
Erfahrungen aus erster Hand:
Gewalt und Ungefährem aufgerieben,
versagt humanes Band,

hilft allenfalls die Wohlstands-Knute,
Verspaßungs-Phrenesie und Brot und Spiele,
um zu beherrschen diese stets akute 
Entgleisung ins human Labile.

Stundengöttin/Für … (2939)20

Ich werde immer wieder an dich denken.
Vielleicht auch noch in meinen letzten Zügen.
Um mich noch einmal sinnbetört zu senken 
in deine Körpertrance mit ihren Krügen.
Egal was sonst auch, um mich abzulenken
von diesem Muss, mich nunmehr einzubiegen
in dieses absolute Ich-Entschränken …
Falls es mein Zustand überhaupt mag fügen.
Warst du mir mehr doch als Profanerleben:
Ein Überschreiten aller Gängigkeiten.
Auch des Alleinseins noch in tiefster Lust.
Du hast dich nämlich nicht nur hingegeben,
nein, auch verdeckt mir deine kalten Seiten.
Mir so erlaubt, zu wagen Selbstverlust.

Ahnungsreiche Jugendtage (2940)21

Was liebte ich nicht diese Tage 
tiefgrauen Schneehimmels,
wenn die breitesten Straßen und weitesten Plätze 
ins diffuse Zwielicht einer nasskalten Winterdüsternis 
getaucht waren.
Luden sie mich doch ein, 
der ich mich in ihrem Schutz doch anderen weniger 
ausgesetzt fühlte als an Sommertagen,
mich ungehemmter als sonst der mich ständig 
heimsuchenden Bedrückung, 
Traurigkeit und Einsamkeit des physisch Unförmigen 
zu überlassen,
um auf diese Weise, 
gleichsam hilf- und orientierungslos entfesselt,
die Ausweglosigkeiten meiner Außenseiter-Existenz 
für ein paar Stunden zu überspielen
und vergessen zu machen.
Etwa die Schule zu schwänzen, 
um in irgendeiner Spelunke am Geldautomat 
oder Kartenspieltisch 
mit anderen aus der Bahn geratenen Jugendlichen 
oder zwielichtigen jungen Erwachsenen 
die Vormittage zu vertrödeln in der Hoffnung,
ein paar Mark zu gewinnen 
- und meistens gewann ich tatsächlich -,
um mir etwa eine weitere Schachtel Zigaretten,
oder, hatte ich, was zuweilen geschah, 
auch mal sieben oder acht Mark gewonnen,
mir eine kleine Vinylplatte von Elvis,
Pat Boone oder sonst einem Ramsch-Star 
zu kaufen, 
der mit seinem Singsang 
juvenile Erregungsbesessenheit,
auch sexuelle, zu provozieren wusste … 
Ami-Scheintrost eben: 
Entfesselungspuritanisch inszenierte Verlassenheit.
Zumal sich - und ich bemerkte sie drastisch -
in jedes helle Klingeln der Münzen,
in jeden gemachten Stich, 
die hartnäckige Ahnung drängte,
dass, was an Lebenserfahrung auf mich zukäme,
für mich definitiv bedrückend, 
glücklos und letztlich umsonst sein würde.

Abständig (2941)22

Immer vermied ich es, 
mich in größere Gesellschaft zu begeben.
So etwa wenn ein Geburtstag oder eine Party 
gefeiert wurden, 
zu welchen Anlässen man mich eingeladen hatte.
Immer suchte ich eine passende Ausrede, 
warum ich nicht teilnehmen könne.
Hätte ich mich doch definitiv gelangweilt, 
abgestoßen, 
unzugehörig,
gar fremd gefühlt.
Mich widerten diese Leute einfach an:
Subjekte, deren narzisstische Flachheit 
mir Aggressionen hervorrief.
Deren Nähe ich also besser nicht suchte.
Freilich wusste ich auch, 
dass ich ihnen Unrecht tat.
Aus Arroganz, Überlegenheitsgefühlen heraus, 
vielleicht gar Neid; oder auch Angst.
Sei’s.
Gleichgültig, wertvergessen, zynisch 
und sophismenkundig, 
wie ich - voraussehbar - geworden war.
Und so voller Verachtung für jener bombastische 
Selbstglorifizierung.
Obwohl ich um ihre Unschuld, 
ihre Hilflosigkeit, 
ihre Zeitgeistverhaftetheit, 
ihre inneren Zwänge wusste.
Wie auch um die meinen.
Vorurteilslüstern verächtlich und erbärmlich 
in mir selbst gefangen.
Wie sie in ihrer naiven Entlastungssucht 
angesichts einer sie spitzfindig vereinnahmenden Welt.

Das ganze Leben/heute (2942)23/Vergl. (31/1868)

Oberflächlich, zynisch, kalt.
Oft ist es so das Leben.
Vabanquespiel ohne Halt,
dem man nur selten kann vergeben.
Ein welker Strauß von Zufallswirren.
Und nie gewollt, wie’s dann verläuft:
Ein emotionsgetränktes Flirren,
das sich Verfall anhäuft:
Das Taumeln in die Agonie.

Wohl dem, der hat zwei, drei 
Erinnerungen.
Empirisch unberührte, die, 
einst tiefer Ahnung abgerungen,
versöhnt ihn treiben lassen in Magie.

Dies Dasein (2943)24

Was es sei und was bedeute,
dieses Dasein, hochprekär?
Leid ist’s manchmal, Drangsal stets.
Selbst sich Schmerz und leichte Beute:
Rational totalitär.
Spielball eines Stoffdekrets.
Typisch zeigt es Widersprüche,
Ungerechtigkeiten und 
Korruption, Verführung, Schliche:
Zufallsschwankens Untergrund.
Saugt sich Sinn aus Traumverschlägen,
Gelten, Macht, Erfolg und Habe.
Allem, was bringt Hegen.
Ich-Verzückung bis zum Grabe.

Mein Dasein (2944)25

Ein Randgeschehen, still und angemessen
den Gaben und Voraussetzungen.
Weit weg vom Großen Fressen
auf seine Art gelungen.
Auf seine Art an Chancen reich.
Nicht freilich konsumtiven:
Nicht Selbstverdinglichungserlösung gleich,
nicht Zeitgeistsinnschutt-Direktiven.
Indes auf seine Art erfüllend.
Nach Fakten und nach Einsichtsmaßen
sich metaphysisch stillend,
frei von der Knechtschaft leerer Wir-Ekstasen.
Frei von Verwirklichungs-Fiktionen:
Standardisierten Ich-Vollzügen
nach technischen Schablonen
narzisstisch inszenierter Lebenslügen.

Heutige Daseinswelt (2945)26

So ist es wohl: Verfahrensformelhaft banale
Bedeutungslosigkeit, sich zu verhehlen
die eigne Nichtigkeit, dass ohne Götterschale 
man Lust-Gram jage gleicher kleiner Seelen.
Man sei wer immer, habe die und jene Ziele:
Man wird es fühlen, dass man zwanghaft muss
ergeben sich dem hochabstrakten Spiele,
das da enthemmungsknechtisch giert nach Schluss.
So lebt denn wohl, die ihr begreift,
dies tragisch-triviale Machtblindheitsgebot,
das nunmehr uns in Datenknechtschaft schleift:
Den kulturellen Tod.
  
Zugangsvirtuosität (2946)27

Da bricht Vieles heraus an Trauer, 
Grausamkeit, 
Desorientierung, 
Angst und Verzweiflung.
Aber auch an Mitgefühl,
Zartheit,
Selbstwertdefiziten, 
Verunsicherung
und verdrängter Einsamkeit …
Wenn es denn überhaupt je gelingt,
einem verängstigten Individuum
seine seelischen Verwundungen 
und ich-schwanken Fragwürdigkeiten
mit ein paar wenigen, 
Aggressionen und Misstrauen hemmenden 
Worten anzudeuten …
und, gegen Verdrängungsentlastungssucht,
nachvollziehbar zu nichtverletzenden, 
Vertrauen festigenden Einsichten zu verbinden.

Selbstanspruchszwänge (2947)28

Wohl dem, der etwas hat und liebt,
wofür er sich auch selbst dran gäbe.
Bloß weil er glaubt, es lohne sich,
sich selbst für etwas aufzuopfern.
Sei’s für Idee,
sei’s Wert,
sei’s Hab und Gut.
Sei’s auch für Gleichung,
Fortschritt, Selbstbestimmung.
Sei es für Frieden
Recht und Volksherrschaft.
Sei’s auch für Glück
und dafür noch:
Human sich zu bewähren.

Zumal nur dies ein reiches Leben schenkt,
was Geist allein, nur er, erlaubt:
Er, das Subjekt der Transzendenz des Ich.
Vollendungs-Sog, nicht Lustramsch-Coup.
Die Sehnsuchtsspitze, die sich blindstumpf schuf
Materie als Auto-Exzellenz.

Das war mir alles nie gegeben.
Ich fühlte stets nur blanke Barbarei:
Pleonexie, 
Gewissenlosigkeit, 
Gewalt
als Schlüsselkräfte einer Daseinsfron.
Ich war nie fähig, mich hinauszuheben,
sei’s über Drangsal, Selbstverlust, den Lügenbrei,
es gebe irgend Existenzgehalt,
der nicht von vornherein sei bloße Täuschung schon.

Aufgefundenes Gedicht (2948)29

Dem Geist allein, 
dem bin ich treu geblieben:
Gedichten.
Und dem Kerngedanken,
dass alles nichtig sei, 
von Ratio hintertrieben.
Nur Illusionsraum sei 
in diesen Pranken 
von Gleichungswelt 
und von Verfahrenseffizienz,
die einen selbst sich 
unverfügbar machen:
Big-Data-Dekadenz -
Zum Ich-Ding 
unter Waren, Preisen, 
ergeben Nutzwert, 
Knecht von Sachen.

Ungefähr so II (2949)30
Vergleiche (13/765)

Dass es um mich 
hier gar nicht gehen kann,
das zu verstehen,
fiel mir immer leicht.
Zumal ich Zufall 
und Moment ausrann,
bin Hyle-Exemplar;
bin eins, 
das allen andern gleicht,
hier ein paar Jahre 
zuzubringen -
für was,
das sei dahingestellt -
in einem hochprekären Ringen.
Vom Urschrei bis zur Bahre.
Und dabei ständig zugesellt,
sei’s Wir, sei’s Wert, sei's Macht,
sei’s Ware:
Durch die mir stündlich 
zu gelingen
als Wunschtraum-Selbst 
in freilich undeutbarer,
mir letztlich doch 
verschlossner Welt.

Bestimmung (2950)31/Vergl. (55/2848)

Objektiv doch nur 
Verbrauchergröße,
bestimmt für Umsatz 
und für Spaßgetöse,
damit du, happy,
immer weiter, 
dem Markt dich hingibst,
diesem Sinn-Vermeider.
Obwohl du manchmal
dir magst sagen:
Was sind doch angenehm
die Zeitgeist-Plagen.
Ich darf sie nur nicht
überdenken:
Das würde mich in Scham
und Angst versenken.

Ideale (2951)/32
Zu vergleichen wären, sind  (52/2644), (52/2648)

Dass wir sie mit Füßen treten,
dass wir ihnen charakterlich 
gar nicht gewachsen sind,
dass wir sie manchmal 
nicht einmal begreifen,
dass wir sie instrumentalisieren,
das ist wohl notwendig so.
Sind doch Ideale nichts anderes,
als uns entlastende Vorstellungen,
Wünschbarkeiten, Utopismen, 
Vollendungssehnsüchte, 
Ausreden, Lebenslügen, 
Autoglorifizierungsmittel,
Innenweltstabilisierungs-Phantasmen,
Machtmittel, Täuschungschancen,
Propaganda, Ablenkungsmanöver usw.
die, als solche, von uns gar nicht
realisiert werden können. 
Denn: könnten sie es, wären sie 
eben keine Ideale für uns, sondern: 
utilitaristische Handlungsanweisungen.

Gesteuerte Phantasmagorie/Für … (2952)33

Ich habe eine solche Sehnsucht nach dir.
Die würdest du nie begreifen.
Ist sie nicht sagbar doch:
begrifflos absolute Gier.
Ein Hyle-Hecheln, 
das nur sich kann streifen.
Das subjektiv 
man gar nicht fassen kann,
weil drangsaltief
ist kommandierter Bann …
gewaltbanal, brachial und stier.

Das so andere Sein (2953)34

Genug entlarvt, bekrittelt, ethisiert.
Das hält doch niemand aus!
Es hilft ja nichts, weil eben doch passiert,
was gängig ist in diesem Hirn-Tollhaus:
Und gängig sind da Niedertracht,
Leid, Korruption, Verfehlen, Scheitern.
Weshalb ich - gebt jetzt einmal acht! - 
erwäge, uns ein Glück zu schneidern:
Ein wunderbares seltner Stundenpracht:
Wir öffnen eine Flasche Wein
und leeren sie im Geist des Guten.
Dann wird sich anders zeigen dieses Sein:
Als Abglanz auch des Absoluten.
Dann überrennen wir uns selbst am Ende,
uns kleinkarierte, miese Egoisten.
Damit als Dritter zu uns fände,
den Weisheit, Güte und Vollendung küssten.
Mit dessen Hilfe wir dann dies erfassten:
Dass dieses Leben schlechterdings genial,
gar fähig ist, auch Gott zu tasten.
Und dann zu spotten 
Drangsal, Tod und Zahl.

Schicksalslose Weggenossen (2954)35

Unfrei aus der Zeit gefallen,
träume ich von Geistesböen.
Nicht zu kaufen, nicht zu lallen,
schaffend freilich andre Wehen:
Unerträgliche den meisten.
Strack vor Klarheit: Faktenpflüge.
Wer indes kann sich das leisten,
was ihn doch in Trauer trüge,
schöbe in die Deutel-Leere,
würfe vor sich selber hin:
fremdbestimmtem Ich-Gefüge
schleichender Misere …
einem Rennen ohne Sinn?

Weltleer (2955)36/Variante zu (31/1844)

Entgleite mir in trägen Selbstverlusten.
Vorbei an diesem Paradies
der so brachial erwünschten wie gemussten
Kommandolüste, die präzis
kommunizieren die Strategen
der Kniffe für Erregungszonen …
Sie preisen als Beglückungssteten,
die panorgiastisch würden tief belohnen.
Indes ich nehme eine andre Wende.
Um weltleer mich zu phantasieren 
in metaphysische Bestände,
die meine Schicksalslosigkeit berühren.

ZINSJA (68) (2956)37

Im Takt 
der verschwommenen Leeren
gurren die Warenhalden
zynisch die Gunst
aller Unschärfen an:
Atemlos.
Trostlüstern so 
die weinenden Fakten
der Herzformeln
deckend.

Bestätigendes Denken (2957)38

Meine Gleichgültigkeit 
bläht sich 
bis an den Rand 
der Selbstaufgabe.
Mein Wollen und Fühlen
schießen ungerichtet,
objekt- und zielfremd,
direkt in Antriebslosigkeit ein.
Mein Denken 
greift das alles ab
und bestätigt mir,
dass es die Kerne trifft.

Geistig enteignet (2958)39

Unsägliche Belanglosigkeit,
die ich lebe.
Täglich. Stündlich.
Ohne Inhalte,
ohne Ziele,
die über den Gelderwerb
hinausführten.

Und man komme mir nicht
mit dem Hinweis
auf die ungeahnten 
Möglichkeiten,
die die moderne Welt 
dem einzelnen global
doch zu bieten habe.

Denn diese,
auch unvoreingenommen geprüft,
laufen sämtlich
auf dasselbe hinaus:
Die einsame Selbstaufzehrung
eines geistig enteigneten
Tauschagenten.

Zerrissen (2959)40

Deutlich ist,
warum ich schreibe:
Das, was ist,
zu distanzieren.

Dass nicht ganz
mich einverleibe
dieser Ichkult
seinen Schmieren.

Zwingt mich eh schon:
Ich brauch Geld.
Dem ich mich
verfügen muss.
Nehm es hin,
auch wenn’s missfällt …
Bleibt doch eh nur
dieser Schluss.

Bleibt so einzig,
dass ich raube 
nachts mir 
bleibenden Gewinn:
Aus Gedichten 
Einsicht klaube …
Geistesheimat:
Halt und Sinn.

Einige Bemerkungen zu meinen intellektuellen Landsleuten (2960)41

Auch an Tugenden kann man zugrunde gehen.
Dann jedenfalls,
wenn man sie ohne Rücksicht auf reale Gegebenheiten,
Mittel und Machtverhältnisse 
blindlings umzusetzen versucht.
Obgleich man leicht erkennen könnte, 
dass man seinen ethischen Idealismus 
nicht wird durchhalten können.
Die Deutschen - wer sonst? -
sind ein Beispiel dafür:
Ein Volk ohne historische,
geistige und pragmatische Substanz,
unfähig zu ziviler Verfeinerung und Selbstdistanz
weil extremistisch, 
eigensinnig und prinzipienstur.
Ein Volk zumal,
sich selber verhasst 
(man achte nur auf die Vernachlässigung ihrer Sprache),
das sich zuweilen fast fanatisch anschickt,
sich selbst aufzugeben,
jedenfalls verzweifelt danach zu hungern,
um jeden Preis gut,
jedem zu Gefallen zu sein 
und alle sittlich zu überragen.
Ein Volk, so scheint es, des Unbedingten eben.
Sei’s, um sich selbst verborgen zu bleiben,
sei’s, um vielleicht definitiv - tragisch? - 
von sich erlöst zu werden,
sei’s auch, um, wieder einmal, der Welt 
zu demonstrieren,
was man zu denken,
zu glauben,
zu fühlen,
zu wollen,
zu hoffen und zu tun habe,
wenn es darum geht,
sich als human, 
sozial,
allverstehend,
egalitär beflissen,
gerecht oder gar gottgefällig zu erweisen.

Mir indes sind dieser deutsche Moralterror 
und diese autodestruktive deutsche 
Selbstzurücknahme ein Gräuel,
eine Verlogenheit und ein Armutszeugnis 
einer sich auflösenden Gesellschaft 
verblendungs- und hybrisgesättigter 
Weltgeist-Propheten und -Ausdeuter …
tatsächlich also von inkompetenten, 
sich selbst überschätzenden und allenfalls 
halbgebildeten Partei-Ideologen,
trivialmetaphysisch angehauchten Gedankenlosen,
tausch- und geldfetischistisch (globalcoolen) 
Desorientierten und infantilen Gleichgültigen,
die ihre, ihrer selbst entmächtigt,
Pseudoglücke und Erlösungssurrogate anbeten.

Von sich selber mittellos Heimgesuchte (2961)42

Manche sind sich selbst zur Plage,
krank vor Ehrgeiz neidzersetzt;
menschlich arm in jeder Lage,
von sich selbst gehetzt.

Geistplump ohne ein Gewissen,
selbst sich tief verhasst;
fühllos Rationalität beflissen:
Selbstsuchtzwängen angepasst.

Drangnarzisstisch Dauer-Infantile
geifernder Empfindlichkeiten …
Psychenarmuts-Kühle,
die durch pralle Leere gleiten.

Dasein II (2962)43

Man sage nicht, es sei vergebens;
wär das doch ziemlich lächerlich;
d a s ist Kern des Lebens:
Dieses will nur sich.

Und mag’s auch völlig sinnlos sein,
gar schäbig, primitiv und leer.
Es will sich; sei es auch als Schein;
es will sich noch als Trauer-Meer.

Und zieht’s dann dennoch einen Schluss,
ist es sich treu noch mal:
Legt dann in seinen Todes-Kuss,
sich selbst als Zweck: Als frei von Qual.

Klarstellung VI (2963)44

Die Augenblicke,
während der ich erleichtert darüber bin,
dass das Alles hier für mich in nicht allzu ferner Zeit 
ein Ende nehmen wird,
diese Augenblicke häufen sich.
Und zwar deshalb,
weil ich immer öfter heimgesucht werde 
von Krankheiten, Schmerzen und psychischen 
wie physischen Verfallserscheinungen überhaupt,
zumal auch immer größere Schwierigkeiten habe,
diese modernen, datentechnologisch getragenen,
nach meinem Dafürhalten immer deutlicher weiter 
sich lebenswertfeindlich asozialisierenden  
und kulturell primitivisierenden Konsumdiktaturen 
überhaupt noch zu ertragen
- das ist die subjektive Seite -;
und andererseits 
- das ist die objektive Seite -
davon, dass ich diese Welt global auf harsche 
- auch kriegerische - Auseinandersetzungen 
sich zubewegen sehe,
die angesichts etwa der chinesischen 
Partei-, Staats- und Kultur-Metaphysik 
mir unausweichlich erscheinen …

Wenn ich auch nur allzu gut weiß,
dass dann, wenn es tatsächlich 
mit mir zu Ende gehen wird,
jene Erleichterung überhaupt keine Rolle 
wird spielen können,
sofort als Illusion in sich zusammen fallen,
lächerlich werden wird angesichts von Todesangst 
und der mit dieser einhergehenden 
kommandierenden Sucht,
mich um jeden Preis,
auch den der Selbstverachtung,
drangradikal-daseinsgierig aufbäumen zu müssen,
schwemmte sich mir auch das Bewusstsein 
der Absurdität meines Daseins 
irgendwie noch durch Teile
meiner Neuronen-Felder.

Der stille Trost des Unscheinbaren 
(Surrogate-Erläufer) (2964)45

Ziellos stromerte ich - Kind noch - 
im Dorf und im Feld herum,
lief mir so 
- so war es mir damals schon durchaus bewusst -
stundenlang die dauerpräsente Trostlosigkeit 
meiner familiären Situation 
und meines existentiellen Makels (hypertrophe Adipositas) in Müdigkeit und endlich erlösenden Schlaf,
bis zu diesem allerdings stets träumerisch eingedenk 
etwa der Stille eines Schrottplatzes,
auf dem ich während der letzten 
einigermaßen noch hellen Tagesstunde 
mich aufgehalten hatte 
(einsam war’s dort, d. h. ich musste 
kein Häme-Gejohle befürchten).
Des Bellens der Hofhunde,
wenn ich an einem Bauernhaus vorbeilief,
des fauchenden Maunzens sich bekämpfender Katzen,
der bewundernswerten Genügsamkeit 
verkrüppelt unscheinbarer Blumen,
nach denen ich, Gärten passierend, 
in dieser Stimmung der Niedergeschlagenheit 
immer Ausschau hielt,
sich im Wind wiegender Ährenweiten,
aber auch des verschämten Vorüberstolperns 
betrunken heruntergekommener,
im Ort als anrüchig geltender Individuen,  
die schon früh abends durch die Straßen schwankten 
und sich zuweilen auch an Häuserwänden festhielten,
da sie kaum noch fähig waren,
sich korrekt zu orientieren,
was mir auf eine seltsame, geradezu 
unverschämt-eindringlich-scharfe Art bewusst war.
Wahrscheinlich auch, 
um mich darin zu üben,
mich selbst, 
die Welt, die anderen und die fragwürdigen 
Gegebenheiten unseres Daseins überhaupt 
ertragen zu lernen.
Indes dass mir das immer besser gelang, 
ich auch immer schärfer dies erfühlte: 
Seine schiere, unabsichtliche Zufälligkeit -,
das wundert mich bis heute,
zumal ich nicht ansatzweise zu erklären vermag,
was mich letztlich befähigte,
dieser bedrückend ärmlichen, 
zumal recht bald als sinnlos empfundenen,
alltäglich bedrückenden Niedrigkeit 
psychisch überhaupt zu entrinnen.  

Nirgendwo (2965)46

Wo wäre man denn noch zuhause?
In dieser Welt globaler Relevanz?
Zumal sie sich als selbstzerstörerische Sause,
als ihrer selbst entglittene Instanz,
erweisen musste … Von sich selbst getrieben
durch Tugend-und durch Fortschrittsillusionen …
Realitätsverlusten aufgerieben.
Denn faktisch ist sie nichts als Fronen
den Wesenswidersprüchen, die uns knuten:
Intelligenz, Vernunft, den permanent akuten,
organisch grundgelegten Tierschicksalen:
Bedürfnis, Trieb, sich durchzubringen,
zu meiden all die Daseinsqualen,
wie etwa die, um Sinn zu ringen.
Ein fremder Moloch all das, 
nicht geeignet, 
noch irgendjemand Heimatort zu sein …
Abstraktum, fremd als Wie und Was.
Man ist - und zwar in sich allein -
ihm hilflos ausgesetzt, 
muss ihn ertragen,
wohl wissend, dass man, 
ganz bedeutungslos,
tatsächlich nur noch durch sich selber hetzt:
Existenzielles Zwangsversagen,
sich selbst ein Rätsel: 
Wertbeliebig ohne Floß.

Nihilismus und Nichtzugehörigkeit (2966)47

Manchmal frage ich mich,
ob ich nicht besser daran täte,
meinem Leben ein Ende zu setzen.
Nicht nur wegen der Leere,
Nichtigkeit und Absurdität
meines individuellen Daseins,
nein, auch weil die Zeiten 
wieder schlechter werden,
wieder gewaltträchtiger, 
etwa kriegerisch-barbarisch,
bestialisch sogar vielleicht.
Zumal gerade die Deutschen 
es gründlich verlernt haben,
realistisch auf sich selbst zu blicken,
darauf, dass sie gar nicht mehr
fähig wären, für sich selber 
- und gar erfolgreich - einzustehen.
Folglich werden sie, sollten sich 
meine Befürchtungen bewahrheiten,
entsprechend mittel- und wehrlos sein …
Tugendscheel doch Fakten leugnend
bis hin zur plumpen Selbstaufgabe.

Für …/II (2967)48

Du, eine vollendete Materieform:
Feingliedrige Körperlichkeit,
narkotisierende Häute,
eine Pandora tiefsten Selbstverlustes …
einer Liebe, unbegreiflich denen,
die Seele, Person, Charakter anraunen …
Sinnträchtig uns zusammen rinnend
in ekstatischer Vergängnisbrünstigkeit,
ein kommandierendes Ineinandertoben
an zeitträgen Nachmittagen 
leibfromm zungenrhythmischer …
orgiastischer Alltagsübersteigung.

Gelernte Lektion (2968)49

Gewiss: Ich werde ständig heimgesucht
von Propaganda aller Art und Weise.
Da werden angepriesen Tugendgipfel,
auch Daseinsstrategien, die zu Glück,
Zufriedenheit und gutem Leben führten.
Man will mich zudem dauernd überzeugen
von Waren, die ich kaufen sollte, weil 
sie Prestige verschafften, Anerkennung …
mich in den Augen andrer höben.
Und auch verdummt man mich nicht selten.
Versucht es wenigstens. Doch das ist schwer.
Realitätsverweigerer, rhetorisch arm,
die permanent sich selber loben,
nicht fähig sind zu Selbstdistanz,
vor allem geistig sind zutiefst korrupt,
weiß ich, geübt doch seit Jahrzehnten,
längst mühelos präzise auszumachen.

Das gilt auch für die coolen Typen,
die smarten, ichverliebten Technokraten.
Die Wohlstand schaffen (auch für mich),
erfolgreich sind (das ohne Zweifel).
Jedoch zugleich nicht schlau genug, 
parteitotalitäre Machtgelüste
als gegen sich gerichtet einzuordnen:
Und so sich zu Verlierern machen,
zu nützlichen Idioten und Lakaien.

Und was ist mit den Medientheologen?
Den Hütern von Vernunft und Würde?
Die missionieren unverdrossen,
für Menschenrechte, Toleranz zu stehen,
für Gleichheit, dafür, dass der Mensch (an sich)
doch gut sei, solidarisch und 
nach Glück sich sehne, Wahrheit, Recht.
Und das, obwohl sie täglich widerlegt
die Wirklichkeit, die einen deutlich lehrt:
Dass wir das alles doch mit Füßen treten,
wobei ich Absicht gar nicht unterstelle.
Wir können’s einfach nicht, doch angewiesen
auf Lebenslügen, Träume und Fiktionen.
Und dabei selbst uns: Täuschern ausgeliefert.

Doch bleibt mir immerhin noch dieser Trost:
Nach siebzig Jahren Spaß und Selbstbetrug
in diesem Durchschnitts-Wohlstands-Eden
der nunmehr stolpernden Funktionseliten,
vielleicht verschont zu bleiben bis zum Grab
von dem, was kommen muss (auch Barbarei?):
Das lange Ende dieser Stumpfsinnorgie …
Verwahrlosungserpichte, schöne Sause,
historisch beispiellos humane Lumperei …

Hingenommene Unbegreiflichkeit,
selbst gesetztes Versöhnungsdiktat
und vor einer tief trauernden Einsicht 
faktenwillig resignierte Stille 
legen sich indes nun behutsam um meine 
wehmütigsten Gedanken an jene 
wunderbar vereinsamt großen Geistesstunden,
mich lenkend ohne Bitterkeit 
ganz sanft und tränenlos ins Wesenlose
Das alles doch ereilt von Menschlichem:
Personen, Lagen, Werte und Epochen.

Innerlich bodenlos (2969)50

Mein ganzes Leben: Oft nur Selbstbetrug.
Beruflich, weltanschaulich und privat.
Vielleicht ist das ein allgemeiner Zug,
der Wohlstandswelt von heute adäquat,
dass man sein Dasein mehr verschludert,
als dass man Halten es verankert führte -
nicht so vereinsamt und verludert,
indem man nicht Profanes nur tangierte.
Doch damit wäre freilich nichts gewonnen:
Statt Märkten lenkten Soll-Vorschriften,
aus Glaubens-Illusionen unklar ausgeronnen,
die auch nur Halluzinationen stiften.

Wir brauchen freilich alle Lebenslügen.
Auch ich komm ohne die nicht aus:
muss mit Gedichten mich betrügen,
mit einem geistfundierten Kartenhaus.

Aufgeschobene Arbeit an einer Statistik (2970)51

Eigentlich sollte ich doch 
die Jahresstatistik erstellen,
fundamental für die Institution,
weil ohne sie keine Zuschüsse fließen.
Was mich dann unmittelbar selbst beträfe.

Zahlen, Summen und Mengen sollte ich errechnen,
Tabellen ausfüllen und Graphiken erstellen,
Bezüge aufzeigen und Zusammenhänge,
Schlüsse ziehen und Ergebnisse 
faktengeleitet objektiv bewerten.

Und denke doch nur an Gedichte.
Indes an solche freilich ganz allein, 
die, wenn vergeblich auch zuletzt,
sich noch erwehren geistiger Verkümmerung,
notwendig doch, sich durchzumogeln

durch diese Welt 
pandemischer Verwahrlosung,
doch menschlich grundgelegt 
von Anfang an.

Gehaltlose Lage (2971)52

Die Lage allgemein
kann nur besagen:
Es geht um nichts mehr.
Es ist alles Spiel.
Man muss als Mitteljäger
sich zu Markte tragen.
Was man nur aushält
ohne substanzielles Ziel.
Was man nur aushält
als Erlebnissammler,
der spaßgetrieben 
durch Pauschalwelt trudelt,
ein Flachglück- und 
Moment-Berammler,
der nicht begreift,
was ihn besudelt.

Kleines animalisches Glück (2972)53

Wenn ich im Winter 
die zwischen den Heizkörperrohren
gewärmten dicken Wollsocken 
über meine schmerzend kalten Füße streife,
dann wird mir sofort wieder klar,
was das ist: Ein kleines animalisches Glück.

Gesellschafts-Büttel (2973)54

Um’s noch mal deutlich zu betonen,
damit es jeder auch verstehe:
Man kann nicht in sich selbst mehr wohnen:
als ob noch Gott den Kosmos drehe.

Man ist sich seiner selbst benommen,
ein Leibgefüge, drangsalsiech;
wird nie mehr zu sich selber kommen:
weil Selbstverständlichkeit der Formel wich.

Monade ist man, Ding und Umsatzgröße 
in einer Kunstwelt ohne Sinn;
ist metaphysisch tote Blöße:
Systemspielball und Trance von Anbeginn.

Für UFÖ (2974)55

Deine Habe will ich nicht,
auch nicht deine Seele.
Will nur dies: Dein Staubgedicht:
Sorge, Zeit und Trauer-Stele.

Es zu küssen, zu liebkosen,
dass dir alles Glück dann werde,
Lüsten und Verzückungs-Rosen
es sich selig erde.

Niemand wird das je erfahren,
was wir uns da schenken.
Abgeraubt sehr späten Jahren
auf dem Weg zu Krumen-Senken.

Selbstverlust als Welt-Verfallenheit (2975)56/Sonett

Mir ist die Welt von heute ziemlich fremd,
empfinde sie als seicht, abstrakt banal,
verführerisch-totalitär zumal …
Als Ort der Phantasie-Entfaltung hemmt.

Weil ständig das Bewusstsein überschwemmt 
mit Reizen, Sensationen und - basal -
der Psychen-Prägung durch die Macht der Zahl,
weshalb sich kaum noch gegen sie man stemmt.

Doch dass das alles Menschen richtet aus
auf Oberflächlichkeit und Spaß-Zufuhr,
auf Inszenierung, Show und Saus und Braus

zwecks Selbstentfremdung als Entlastungs-Schur,
das zeigt sich am frenetischen Applaus
für smarte Profis der Gefühls-Zensur.

Mögliche Folgen von Wissen und Einsicht (2976)57

Sapere aude*? - Lieber nicht.
Bedenke klug, 
was das bedeuten kann:
Dass man sich Trauer
und Neurosen flicht,
weil muss begreifen 
irgendwann:
Je mehr man weiß
und gar versteht,
wird man verstrickt 
in diesen Bann:
Dass Ideale 
sind nur Selbstbetrug,
dass unsere Dasein 
hat kein Gleis,
die meisten
auf Moral doch pfeifen,
nur selten man 
sich geistig glückt,
man immer 
vor dem Faktum steht,
dass keinen Sinn man
aus was immer bricht.

*sapere aude: Wage es zu wissen; wage es, 
selbst zu denken; bilde dir eine Meinung, 
unabhängig von den Autoritäten. So I. Kant 
in seinem Plädoyer für die Aufklärung

 

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte überprüfen Sie die Details in der Datenschutzerklärung und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.