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Diese Seite enthält 64 Gedichte 

Selbstverlust/Für Immanuel Kant/Für Verehrte (53/2736)Sonett

Kann es sie geben: Kantische Subjekte,
durch Selbstbestimmung freie Würdeträger, 
in diesem Artefakten-Sog der Jäger 
nach Surrogaten für Konsumerweckte?

Geht es doch darum, dass sich diese Sekte  
der Dauer-Spaß verbrachten Ichwertpfleger
gewöhne an je neue Sinnerreger.
Im Wohlstandsrausch für nur profan Gedeckte.

Die Antwort lautet "Nein" auf jene Frage.
Das Ökonomische darf nie verkennen,
dass ihm Kants Selbstzweck zählte seine Tage.

Es müsste sich von den Kommandos trennen:
Erhöhe dich, stech aus und überrage!
Tu alles, zu gewinnen dieses Rennen!

Für-sich-Sein (53/2737)2

Das Meiste habe ich für mich behalten:
Hass, Niederlagen, Angst, Erniedrigungen.
Auch weil man selber sich nicht kann gestalten,
sich fremd bleibt, anonym gezwungen
in Sprachkonstrukte einer Wortbrigade:
Wie Gott, Erfolge, Liebe, Werte …
Um abzuschreiten eine Illusions-Parade
als deutungslose Fährte.
Sie zeigt dann einem diese Einsamkeit,
die man muss ganz alleine tragen.
Auch gegen Phrase, Formel und Effektgeleit,
die letztlich die Person zerschlagen.

Pan-Nihilismus VI/Für Demokrit* von Abdera/
Für Verehrte (53/2738)3/Sonett

Wie könnten, Welt und Ich verfügt, wir etwas zählen?
Doch nichts als Zufallsformen atomarer Hyle.
Die weder Zwecke kennt noch Gott noch Sinn noch Ziele,
sodass uns Zufall und Notwendigkeiten quälen.

Auch müssen wir als Freiheitsträger uns verfehlen.
Wir, Nebenbei-Produkt von jener stummem Spiele.
Auch dass Verzweiflung uns nicht psychisch unterwühle,
gilt’s, dass wir, wertbedürftig uns Phantasmen schälen.

Organisierte Stoffe bis in tiefste Kerne,
müssen wir wieder restlos körperlich zerfallen.
So Staub und Gas eingehen wie die toten Sterne.

Und auch das Große Universum wird verhallen.
Um dann - wer weiß? - in ungeheurer Zeitenferne
vielleicht als Teilchentaumel wieder aufzuwallen.

*Der Philosoph Demokrit von Abdera (5. Jh. v. Chr.) ist zusammen mit Leukipp der Schöpfer der antiken Atomtheorie: Es gibt nur Atome und das Leere, durch das sich die Atome bewegen und immer wieder aus ihnen zufällig zusammengesetzte Körper hervorbringen, die freilich irgendwann dann wieder zerfallen/auseinanderfallen

USA III (53/2739)4/Sonett

Was ich, bedacht, muss unter Geist verstehen,
bezeichnet deine nationale Wunde.
Amerika, dir selbst Fiktion und Schrunde,
erliegst nun deinen Inszenierungswehen:

Sex, Mammon, Inbrunst und sich Show aufblähen.
Du glimmst dir selbst doch als verdeckte Lunte,
politdüpierter, aggressiver Kunde,
der sich nicht greifen kann als Grundversehen.

Geist ist bei denen, die sich selbst begreifen,
sich selber realistisch auszudeuten.
Dabei auch nicht vor Niedrigkeiten kneifen.

Um so vielleicht die Umkehr einzuläuten 
aus Selbstbetrug und infantilen Schleifen
um Ich- und Hab-, Macht- und Genuss-Sucht-Freuden.

Angriff/Für Sigmund Freud/Für Verehrte (53/2740)5/Sonett

Wir führten Kriege, töteten und raubten.
Dem Wesen nach doch letztlich auch Barbaren.
Doch könnten wir vielleicht am Tropf der Waren
gezähmt und friedlich endlich uns behaupten,

sodass zuletzt wir dann, schon träge, glaubten, 
Wirtschaft und Technik könnten uns bewahren
vor jenem doch so niedrigen Gebaren …
Wir gar am Ende auch noch Sinn aufklaubten?

Das ist doch kindisch. Denn als Drangsallose
zu existieren ist uns nicht gegeben.
Nie hielte sie uns, die Konsumnarkose.

Drauf angelegt, uns roh zu überheben
und nachzujagen jeder welken Rose,
muss, was uns ausmacht, sich Gewalt verweben.

Angriff (53/2741)6/Zusatz-Sonett/Für Sigmund Freud

Konnte das Es sich nicht schon längst befreien?
Zerfiel das Über-Ich doch (das Gewissen).
So werden wir noch mehr uns Gossen weihen.
Uns, Niedertracht verwoben, selbst nur küssen

und lukrativer Sauerei ausleihen.
Uns als Person nicht ein Moment vermissen.
So ohne Widerstand auch Mob einreihen -
verbrecherisch, brutal, verroht, gerissen.

Dass wir uns Wölfe* seien, dürfte stimmen.
Ob freilich immer müssen, bleibt zu fragen.
Gewiss ist, dass wir eignem Ich* nur glimmen.

Zumal verdammt, alleine uns zu tragen -
Der Grund der meisten, mit dem Strom zu schwimmen.
Wird, wer allein ist, doch normal verzagen.

*Uns als Wölfe zeigen: homo homini lupus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf; so Hobbes und auch Freud. Ich, Sa., stimme zu

*Ich: Name für den Körper, der uns ausmacht und unser Wesen radikal bestimmt

Bilanzgedicht (17) (53/2742)7

Es ist Magie,
von der wir zehren.
Magie in Form 
von Illusionen.
Magie durch Kunst,
durch Tausch, 
Gewalt, Begehren:
Als Trostentwürfe
dämmernder Neuronen.

USA IV: Ein Mammon-Oligarch (53/2743)8/Sonett

Ein in sich selbst gefangner Infantiler,
politisch unbegabt, weil asozial.
Ein seelisch armer Macher-Posen-Dealer,
der, ichschwach, sich geriert als Mammon-Baal.

Sich selber greifbar nur als Rollen-Spieler,
neurotisch wiederholend Kindheits-Qual,
der gar nicht anders kann als sich als Wühler
nach kalter Härte zeigen - ohne Wahl.

Ermangelt er doch aller Selbstwert-Stützen,
kann so sich nicht entfalten als Person,
Produkt autoritärer Daseins-Spitzen:

Erniedrigung, Zurückweisung und Hohn.
Er kann sich daher vor sich selbst nicht schützen …
Unschuldig so System- und Herkunfts-Klon.

Ineinanderlaufende Resignationsgegebenheiten (53/2744)9

Meine geistige Müdigkeit
wird immer intensiver.
Jahr um Jahr denn auch 
gähnt, verfallsvertrauter, 
mit dem metaphysisch kulturellen 
auch der sich unaufhaltsam 
nähernde physische Tod mit.
Erlösung von jenem 
glaubhaft versichernd.

Illusionslos III (53/2745)10/Sonett

Nie allzu willig war ich, an Moralgebote
als faktisch uns erfolgreich steuernde zu glauben.
Braucht es Askese-Zucht doch, um sie einzulösen,
zu distanzieren sich vom Drang nach Überragen,

durch Selbstdistanz und Zwang zu halten sich im Lote
und nicht gar aller Schmeicheleien aufzuklauben.
Sind doch Vernunft und Würde elitäre Größen, 
vor denen wir im Allgemeinen krass versagen.

Indes ich muss, erfahrungssatt, es eingestehen:
Wer Wohlstand sich, Prestige und Lüsten macht zur Beute,
den werden Ichsucht und Erlebnisdrogen treiben,

wird sich als Sieger zeigen wollen, dass die Leute 
in ihm den Star, den Macher, ja: den Halbgott sehen.
Doch nie die Zwänge, sich narzisstisch aufzureiben.

Variante Verse 9-14 (zu „Illusionslos“):
Wir sind nicht frei und doch stets auf uns selbst verwiesen.
Uns spiegelnd permanent in fremden Artgenossen.
Die uns in ihre Perspektivenbilder gießen,
die wir dann übernehmen, um sozialen Trossen
als Zufallsselbst wie als Person uns abzubüßen,
in sie als Schicksalsselbst genetisch eingegossen.

Bilanzgedicht (32) (53/2746)11

Wenn man bedenkt,
wie oft man lügt,
beschönigt,
faselt und verdrängt …
dann muss man 
zu dem Schluss gelangen,
dass letztlich niemand 
über sich verfügt.
In Artefakten, Ich 
und Wort gefangen.
Sozialjoch zudem 
dauernd untertan,
sich Tag für Tag 
von selber lenkt, 
Wahn, Niedertracht 
und Einsamkeit 
zu meiden.

Erotische Transzendenz (53/2747)12/Sonett

Obwohl nur ephemere Drangeinheiten,
gebunden an die Flucht von Augenblicken,
sind sie es, die uns manchmal so berücken,
dass Sorgen wir und Alltagslast entgleiten.

Sogar befähigt, selber uns zu meiden:
Sei’s, dass uns eigne Mängel schwer bedrücken,
sei’s, dass wir wissen um den Bruch der Krücken,
uns in Entlastungshoffnung zu geleiten.

Das schenkt uns Eros, dieser Antipode
von Elend, Scheitern, Angst und Gramverzagen.
Nur Eros kann uns schenken jene Lote,

Vergeblichkeit und Ende zu ertragen.
Spielt er allein doch jener Räusche Note,
im Du ekstatisch Selbstverlust zu wagen.

Dorfschatten: Für T. (53/2748)13

Es hat geschneit heute.
Zum ersten Mal in diesem Winter.
Und wieder habe ich an T. gedacht.
Und erlebte ich auch noch hundertmal 
das Fallen des ersten Schnees …
Ich dächte immer an jene T., 
trauerte jenem milchig grauen Tag im Dezember 1968 nach,
da ich hätte zum ersten Mal lebensklug,
auf das Du bezogen 
fundamental einsichtig werden können:
Denn dass der Kuss,
den ich ihr absog,
mir gleichgültig war,
schrie sich schroff und kaltfad hinein 
in meine sie anfremdelnden seelischen Stillen.

Ambivalente Weltbezogenheit (53/2749)14

Nichts als Materie ist uns real zu fassen.
So müssen wir als alldeterminiert uns gelten.
Und also auch, dass sinnlos drehn sich alle Welten …
All das muss ich als einzig wahr so stehen lassen.

So gibt’s die nicht: Die Marx-Gesellschaft ohne Klassen,
ohne Versagen, Niedertracht und Psychen-Kälten.
Auch keine Würde für uns Stoff nur Zugesellten.
Kurzum: Wir werden immer wieder uns verprassen.

Und doch will manchmal mich ein Selbstzweckrausch betören,
all diese Fakten tapfer dann zu ignorieren,
um meine Sehnsuchtswelten nicht so plump zu stören:

Die mich seit Kindheit lockend wollen doch verführen,
mich aufzulehnen gegen Barbarei und Leeren,
um mich an Gott und seinen Sinn-Rausch zu verlieren.

Innere Verarmung (53/2750)15

Affektive Implosion:
Die feineren Seelenschichten 
werden abgetragen:
Ehrfurcht, Scham, Selbstbescheidung …
Unbemerktes Vergröberungswerk,
den Konsum anzukurbeln,
der kapitalistisch-technischen Effekte-Diktatur,
die den Kunden psychisch verarmt,
auf dass er, desorientierungstypisch, anbete 
versimpelungssanfte Verlotterungsentlastung.

Notwendiges Scheitern/Für Arnold Gehlen/
Für Verehrte (53/2750)16/Sonett

Die meisten wollten gar nicht es begreifen,
dass das Niveau des Wohlstands könnte fallen.
Denn dann, dann müssten wir uns wieder krallen
an solche, die Verheißungsfloskeln keifen.

Entlastungseuphorie uns vorzupfeifen
mit Phrasenzauber und Erlösungslallen.
Bis die im unverfügten Kern nachhallen
und so Gewaltbereitschaft lassen reifen.

Ich hätte uns indes nichts vorzuwerfen.
Ich weiß um diese Dinge, selber mir verloren.
Ich muss nur meine eignen Sinne schärfen,

um zu erkennen, dass wir eingeschworen
auf technische Ersatzwelt sind und surfen
in ihr als Knechte, die nach Scheitern bohren.

Prosafetzen (133) (53/2751)17

Ich liebe den Wind.
Verzweifelt wie
vollendungsselig,
liebe ich ihn.
Noch auf dem Totenbett
werde ich 
nach ihm haschen,
ihn erlauschen wollen,
sei ich auch 
meiner selbst 
nicht mehr 
mächtig.
War er es doch, 
er allein,
der mich fortriss 
von Ich, Du 
und Wir.
Mich wehte 
in Träume,
Geborgenheitsnischen,
weg von Verkümmerung,
Stumpfsinn und 
unschuldsprallen
Seelenleeren.

Hochkultur-Verlust/Für Arnold Gehlen/Für Verehrte (53/2752)/Sonett

In einer Welt diffuser Wirklichkeiten
und gleich gestalteter Realitäten,
in denen Trance und Waren ziehen Fäden,
gibt es nur eine Chance noch, sich zu meiden:

In Pseudo-Subjektivität zu gleiten,
um sich als Selbst-Schimäre anzubeten
und als Person von sich zurückzutreten,
standardisiert sich selig zu erleiden.

In dieser Diktatur der kleinen Seelen
blüht ein Phantasmen-Strauß des Surrealen,
in dem nicht Fakten, sondern Werte zählen,

die, Traumbefehle absoluter Zahlen,
als leere Formeln und Tabus befehlen,
sich als sakrale Leiblichkeit zu prahlen.

Prosafetzen (142) (53/2753)19

Pleonexie,
die sich selbst
sakralisiert.
Faktengerecht.
Ohne Schuld.
Ohne Bewusstsein.
Ohne Alternative.
Beschlichen von
Verkümmerungslüsten
und Untergang.

Das bedürfnishörige Körperding/Für Max Scheler/Für Verehrte (53/2754)20/Sonett

Wir leben alle in prekären Lagen.
Und wissen das. Obwohl wir’s meist verdrängen.
Wir alle vegetieren in den Fängen
von hirnverfügter Technik und Versagen,

uns selber gegen uns allein zu tragen.
Wir unterliegen hilflos all den Zwängen,
die Innenwelten in Entschämung drängen
und so in Glück umdeuten Wohlstandsplagen.

Allein der Geist mag die abstrakt noch zwingen,
objektivierend sich in harten Worten,
die dieser Gleichungsorgie Noten singen.

Die ihren Nihilismuskultus orten
und ihre Seinsbezüge kalt durchdringen:
Als Joch von Körpern stummer Teilchensorten.

Prosafetzen (327) (53/2755)21

Die Schneereste
schmelzen der 
Sonnenwärme entgegen,
als seien sie todessüchtig 
wie ich …
in meinen luzidesten
Verwahrlosungsmomenten.

Entmündigte Gegenwartsmassen/Für Alexis de Tocqueville/Für Verehrte (53/2756)22/Sonett

Friedlicher Knechtschaft spaßbewegt verwoben,
verschludern sie sich einfachen Gehalten.
Die hilflos unselbständig sie umtoben
als Amüsements und Ablenkungsgewalten.

Entmündigungsroutine, angeschoben
durch selbstbegehrtes technisches Gestalten
von Infantilen und von psychisch Groben,
um geistig anspruchslos sich zu entfalten.

Doch mich kann all das nicht empören,
da alle doch, selbst Macher, danach gieren,
gedrillt sich von sich selber abzukehren.

Zu schwach, ein eignes Leben noch zu führen,
sind sie die Opfer artlicher Miseren,
die sie am Ende werden wohl verzehren.

Genauer hingesehen (53/2757)23

Genau genommen biologisch Tier,
durchlauf ich eines solchen Bahn:
Verfallen Trieb- und Wesenssucht ...
verstrickt in diesen Wahn,
dass dieses plumpe Dasein hier
ziele auf mehr als Zeit und Ende hin …
Zumal nur Stoff als Zufalls-Flucht:
Zerfallszwang schier.
Ich lebe Rauschzwang
ohne Zweck und Sinn.

Des Sittengesetzes Ziel: Die autonome Person. Hinweisende Fragmente. Für Immanuel Kant/Für Verehrte (53/2758)24/3 Sonette

*(1)
Ich soll mich, Sinnenwesen, transzendieren,
aus Pflicht zum Noumenon*: Zum Selbstzweck machen,
Pleonexie* entziehen, nicht an Sachen,
heteronom gebunden, mich verlieren.

Autonomie sei, alles zu negieren,
was das Gesetz entlarvt als Sog der Lachen
von Selbstverfehlungsfrevel und Verflachen,
um geistig tot dann auf sich selbst zu stieren.

Indes: Wozu zu Freiheit sich beschränken,
wenn alle nur nach Lust und Nutzen hungern,
erlebnisselig Außen feil sich lenken,

vor Kick, Behelfsglück und Vernutzen lungern,
wodurch sie Markt enthemmt sich selber kränken?
Wozu - noch mal - sich mit sich selbst beschenken?

*Noumenon griech.: Bei Kant 'Verstandeswesen' = die gedachten Gegenstände möglicher Erfahrung (Wörterbuch der philsophischen Begriffe, Felix Meiner, Hamburg, Band 500, S. 462)
*Pleonexie griech.: Ich-, Hab, Macht- und Genuss-Sucht (so, richtig, Arnodl Gehlen)
*Heteronomie griech: Unfreiheit
*Autonomie griech.: Freiheit

*(2)
Um jene geht’s nicht mehr. Nur um Monaden,
die als Idole statt Personen gleißen.
Und so als Starabklatsch sich mit ausweisen.
Empörungsaggressiv sich selbst verraten,

Respekt einfordern via Medien-Schwaden,
identitätsstupid als Standard-Iche kreisen
um eine Mitte, die sie ihre heißen.
Von Selbstbetrug verführt in hohen Graden.

Das, was man sieht, ist eine Körperschnuppe.
Doch die Person allein muss letztlich zählen.
Die nie doch Leib ist und Gesinnungspuppe.

Die niemals wird statt Selbstzweck Phrasen wählen,
zu zeigen sich als Glied der Nachhuttruppe,
nicht fähig, Selbstverzicht sich zu befehlen.

*(3)
Solch Unterschiede spielen keine Rolle:
Wie etwa Herkunfts- und soziale Zwänge.
Auch nicht Kultur, Geschlecht und Hautmerkmal.
Und in der Tiefe auch nicht irgend Glaube.

Nur ob ich mir und andern Würde zolle:
Mir selbst als Träger des Gebots gelänge:
Mich wände gegen Kreatur und Zahl,
Neid, Korruption und jede Machtsuchtschraube …

charakterlose fade Selbsttäuschungen.
Nur was sich Geisteskraft hat ausbedungen -
die Barbarei der Bestie Mensch zu hindern.

Vergänglichkeit ihm, Angst und Gram zu lindern -
Das ist der Zweck: Person durch sich gelungen.
Doch ist gegeben das perfiden Kindern?

*perfide: treulos, hinterhältig, tückisch

Prosafetzen (399)/Für ... (53/2759)25

Du, vollendeter Materiewurf:
Feingliedriges Leibwunderwerk,
narkotisierender Geruch,
Pandora magischen Stumpfsinns …

Eine Liebe, unbegreiflich denen,
die Seele anraunen, Werte, Charakter …
bedeutungslos mir zerrinnend 
in schlürfender Vierlippigkeit,

zungenvirtuose Zitter-Rhythmik
imperativen Ineinandertobens
an zeitträgen Nachmittagen 
stofffrommer Alltagsübersteigung.

Schlichtes Sonett/Für Platon von Athen/Bezug Höhlengleichnis, Staat, 7. Buch, ab 514ff (53/2760)26

Wer möchte nicht das größte Stück vom Kuchen:
Erfolg, Geld, Lust … Was immer Eindruck schindet?
Und hebt. Auch weil es andere beneiden?
Auch Jubelramsch, die Welt sich schön zu färben?

Dies zu ergattern wird man doch versuchen,
zumal das alles an Gesellschaft bindet.
Sodass man Angst und Einsamkeit mag meiden,
die Psychen erst verhärten, dann verderben.

Ich hab was völlig andres wollen müssen.
Warum, ist unerfindlich. Und soll’s bleiben.
Mich hielt das Faszinosum Geist besessen.

Nicht immer Schattenbildern so beflissen,
um Bauch und Nichtigkeit mich aufzureiben …
entkam ich manchmal jener Höhle Blässen.

Bilanzgedicht (3) (53/2761)27

Der Ausdruck ‚sinnlos’ ist,
versucht man,
ihn präzise zu denken,
schlechterdings 
unverständlich.
Aber gefragt nach dem,
was ich 
als grundlegend,
als zentral 
für die mein Dasein
prägende Welt 
erfahren habe,
würde ich ihn 
ohne Zögern 
benutzen.

Frühes Grambild (53/2762)28/Sonett

Letztendlich kann ich’s nicht genau erklären,
dass alles mich nur oberflächlich packte.
Es sei, was immer: Menschliche Kontakte,
Ideen, Anerkennung, selbst Begehren.

Schon gar nicht Macht mit ihren schalen Beeren.
Durchzog doch Leere jeden meiner Akte,
mir anzudeuten eine sinnlos nackte 
Vergeblichkeit, in der sich nichts lässt mehren.

Stets seh ich abendstarre fahle Lichter,
die einen feuchten kargen Raum bescheinen,
in dem sich austobt saufendes Gelichter,

sich Scheitern und Verkommen auszuweinen.
Und dann sagt mir ein tränenloser Richter,
ich solle das durch Geistesmacht verneinen.

Bilanzgedicht (31) (53/2763)29

Welche eine Last doch,
so ein Du;
sich selber fremd 
und angewiesen
auf ein sozial
gewürfeltes Wozu.
Um dann,
wie ich,
ihm hilflos 
zu verfließen.

Nihilismus-Söldner (53/2764)30/Sonett

Ich wüsste nicht um meine Illusionen?
O doch. Ich kann sie mühelos durchschauen.
Und muss sie trotzdem meinem Sein einbauen.
Und nicht nur deshalb, weil sie seelisch schonen.

Auch deshalb, weil es fasziniert zu wohnen
in Geisteswelten, die was andres schauen
als nur gesellschaftlich-soziale Klauen:
Die jener, die als Krone sich betonen.

Der Geist? Längst folgenlos; er wird’s auch bleiben:
Nicht er, der Wohlstand garantiert den Frieden:
Pleonexie nur kann uns faktisch treiben

durch Spaß und Nihilismus, der, dank Riten,
die wohlstandsreligiös das Ich aufreiben,
uns kollektiv so wird als Söldner mieten.

Bedarf’s der Worte? (53/2765)31

Viel Worte 
muss man da
nicht machen;
man hat es 
täglich doch 
vor Augen:
Man soll 
sich selber 
bis ins Mark
auslaugen 
und tief erregt
verflachen.

Selbstmachtsüchtigallhochmütig (53/2766)32

Möcht dann gerade 
nichts bereuen,
wenn ich von mir 
lassen muss,
sollt ich noch
klar denken können
und nicht Angst 
mich sich vertäuen.

Doch warum,
kann ich nicht sagen.
Es scheint ein 
absurder Wunsch.
Außer, dass dem Tod 
vortragen
ich möcht dann noch 
ein Gedicht.

In der Hoffnung,
er wird gönnen
mir dann 
eine weitre Stunde.
auszudeuten mir,
dass nun die Wunde
meines Daseins
sich verschließt:
mit mir selbst 
sich Nichts eingießt.

Selbst-Lähmung (53/2767)33

Zu lethargisch,
faktenflüchtig,
kann ich kaum noch 
mich entscheiden.
Mein Problem ist,
geistessüchtig
möchte ich, was ist
nur meiden.
Dabei selbst mir 
auch entfliehen:
Antriebslosigkeit
entgleiten,
Sosein, dem real
ich bin gediehen.

Des Nutzlosen Vollendungsträchtigkeit (53/2768)34/Sonett

Umsonst hab ich sie allemal geschrieben,
all die Sonette hier auf diesen Seiten.
Doch keine Stunde musste ich das leiden.
Ich folgte dabei nämlich Geistantrieben,

die, selber sich genug, in sich verblieben.
So niemals kreuzten Kreatürlichkeiten,
profanem Dasein Nutzen zu bereiten,
um sich aus dem dann Zweck und Ziel zu sieben.

Meint Dasein doch den Drang, sich zu betasten
als Stoff, Erfüllungstrance sich zu geloben,
in dieser sich ekstatisch zu entlasten.

Auch davon, dass man dabei wird geschoben
von Triebfragmenten, die vorüberhasten …
Nur Geist allein ist all dem still enthoben.

Bilanzgedicht (14)/So steht es um uns (53/2769)35

Für einen Knecht der Gene und Neuronen,
Knecht ohne Einheit eines Ich,
heißt Würde, Selbst und Freiheit sich betonen,
dass er nur deliriert und damit eigentlich
Phantasmen aufsitzt, Trance, Fiktionen …
Sich also diesen als Subjekt ausblich.

Weiteres zu den Sonetten (53/2770)36/Sonett

Viel Leidenschaft war schon damit verbunden,
aus mir hervorzuzwingen die Sonette.
Das war ein Los und nicht Erlebniskette.
Und ließ vergessen auch so manche Wunden,

die ich mir zuzog in gewissen Stunden
und dann danach so gern vermieden hätte.
Doch leider ist das Dasein nicht das nette
wie's die Reklame vormacht smarten Kunden.

So will ich weiter mich an jene halten,
wenn’s darum geht, mir das, was ist, zu heben.
Darf ich in jenen doch mich selbst gestalten,

nach Einsicht, Tiefe und Gehalten streben,
die ungeschminkt mir zeigen die Gewalten,
die uns an Trauer, Gram und Scheitern kleben.

Was Sache ist (53/2771)37

Ganz illusionslos?
Ja. Das stimmt.
Der Einsicht bloß,
dass nichts mehr glimmt,
mir nichts mehr macht
Zweck, Hoffen, Sehnen.
Längst im Verdacht,
mir zu verbrämen,
was Sache ist.

Nun was denn, was? -
Schoß, Sinnsucht, List,
Geschwätz und Fraß.

Bedingte Anabasis* (53/2772)38/Sonett

Wer will das nicht, in Lust und Luxus schwelgen?
Um sich ein Aura-Selbst so zu verschaffen.
Auf das dann Habenichtse neidvoll gaffen
und dabei träumen von smaragdnen Nelken.

Allein das weiß man doch. Selbst Autofelgen
erzählten, wenn sie’s könnten, von solch Laffen,
die unermüdlich und verbissen raffen.
Obwohl am Ende sie dann auch hinwelken.

Ein Phänomen bei allen Kreaturen.
Doch immerhin mag Geist die transzendieren:
Narzissmus, Geldgier und Erlebnistouren.

Indes nur dann, wenn alle klug agieren.
Schutz ist nur das dem Geist: Dass nicht vertieren
und Frieden halten, die sich gängig spuren.

*Anabasis griech.: Ausfstieg, Weg nach oben

Zu spät (53/2773)39

So ist es nun mal 
mit Einsichten,
die unzweifelhaft 
als solche
gelten dürfen:
Sie kommen 
unweigerlich
zu spät.

Ausweglos I (53/2774)40/Sonett

Ist’s nicht absurd, dass ich Sonette schreibe?
Indes der Geist schoss immer schon ins Leere.
Doch heutzutage gilt gar dies Verquere:
Verwahrlosung statt Geist wird Seelenbleibe.

Auf dass begeistert man sich Markt aufreibe,
vermeide intellektuelle Schwere
und sich, dem Zeitgeist hörig, selbst aufzehre …
Sich Eskapismus in die Fänge treibe.

Wiewohl die Menschen müssen unterlaufen
Persönlichkeit, Vernunft und Selbstgelingen.
Systemabhängig müssen sie sich raufen

um sich Entlastungschancen zu erzwingen:
Ein bessres Los in dem Monadenhaufen,
in dem sie täglich um ihr Dasein ringen.

Ausweglos/Sonett/Alte Fassung: Variante (53/2775)41

Es ist absurd, dass ich Sonette schreibe.
Indes der Geist schoss immer schon ins Leere.
Doch hat sich jetzt vollendet das Verquere:
Enthemmungsspaß statt Geist wird Seelenbleibe.

Auf dass begeistert man sich Markt aufreibe,
vermeide intellektuelle Schwere,
sich, Zeitgeist unterworfen, selbst aufzehre.
Dem Simplen hörig durch Phantastik treibe.

Wiewohl die Menschen müssen unterlaufen
Persönlichkeit, Vernunft und Selbstgelingen.
Systemgefesselt müssen sie sich raufen

um die Entlastungsdrogen, die sie zwingen,
sich selbst zur Standardmaske umzutaufen,
konform in Pan-Verflachung einzudringen.

Die gegenwärtige Gesellschaft (I) (53/2776)42

Man wird vereinnahmt wider Willen,
ist permanent ihr ausgesetzt.
Noch in ganz später Nächte Stillen
wird man von ihr gehetzt.

Man kann sich ihr nicht mehr entziehen,
zumal sie greift mit Emotionen
und Grund-Affekten, grad durch sie gediehen:
Entfesselungsirrationalen Zonen.

Kurz: Sie ist krank, hysterisch, inhuman,
sie ist verknechtungsprimitiv,
wirft einen seelisch-geistig aus der Bahn …
Als spaßtotalitäres Kollektiv.

Form des Nihilismus (53/2777)43

Nichts ist selbstverständlich mehr.
Alles darf ja gelten.
Grund, warum die Psychen leer:
sind enthemmt die Innenwelten.

Menschen fühlen sich verlassen,
hilflos ihrer selbst benommen;
meinen, nur noch Trug zu fassen,
aggressiv beklommen.
Tief verängstigt und verworren;
ohne Mitte, ohne Halt,
müssen sie verdorren,
roh gewissenskalt.

Daran könnte es zerbrechen,
dieses würdesieche Land;
dekadent sich selbst verzechen:
gossenjämmerlich in sich verrannt.
     
Hauptbahnhof (53/2778)44

Was mögen die da denken und was fühlen,
die dich beäugen; maskenschwer.
Dies Pärchen auf den Gitterstühlen.
Mit Fratzen, ganz verzerrt von Du-Abwehr.

Was ist es wohl, was sie so mürrisch macht?
Gram, den man selbst sich hielte gern verborgen?
Welch Päckchen tragen sie und welche Daseinsfracht …
Sind’s einfach Alltagssorgen?

Das wirst du freilich nie erfahren.
Und muss es auch nicht, denn du weißt:
Dass niemand kann sich vor sich selbst bewahren,
was Scheitern, Wirrnis, kurz: Verhängnis heißt.

Die Maße Gottes (53/2779)45

Entlastend wär's ja schon,
an Gott zu glauben.
Doch glauben wollen
kann man nicht.
Grad wenn man weiß,
man ist nur Teilchen-Fron,
verfügt zu sollen
und zu rauben.
Und wesenstypisch 
ohne Gleichgewicht.
Gotte wäre Geist 
und Hyle-Transzendenz,
Quell zarter Güte,
Einsicht, Weisheit gar.

Indes wer wüsste noch,
was das denn heißt?
Gewiss nicht, 
dass die Ichsucht wüte
und seelenlose Indolenz.

Wem wäre freilich
das denn klar?

Zeitloser Nachtwind (53/2780)46

Ein tanzender Nachtwind
- warm, scheu,
verspielt und traumträchtig -
lässt mich heraustreten
aus Isolation,
Teilnahmslosigkeit,
Stumpfsinn und
artefaktiellen Selbst-Vermittlungen:

Herrliche Wiederholung
kindlicher Grunderfahrungen,
tanzt er heran,
noch mit Resten,
so male ich ihn mir aus,
mittelalterlich-bäurischer
und naiv affekthypertropher
Distanzlosigkeit aufgeladen.

Jenseits noch aller industriell 
euphorisierenden 
Emotionen-Standardisierung,
die sich zum Beispiel
darin verriete,
dass ihr schlitzohrig-
abgezocktes Trägersubjekt
jene Trance als obsolete Sentimentalität
rohsmart zu brandmarken 
reflexhaft-cool
versuchen würde.

Auflösung I (53/2781)47

Sogar die Trauer wird sich schal.
Entkernt und trivialisiert
von dem, was hier diktiert:
Enthemmungs- und Entwertungs-Qual
global abstrakter Welt-Komplexität. 
Entschämt das Selbst, das implodiert,
sich als Person entkernt an Ich verliert,
begeistert selbst sich dann verrät.

Doch Schuld trifft niemand.
Hier ist ganz basal 
der bindungslose Mensch berührt.
Den nicht mehr trägt  Ideen-Band:
sei’s Gott, Kultur, sei’s Geistes-Majestät:
Gewissenlos. Verlassen. 
Gesteuert und verführt.

Existenzweise (53/2782)48

Nur Kunde, könnte ich mir nicht gefallen.
Und das, was als Moral hier gilt, 
bedeutet mir nicht viel.
Mir ist nur wichtig, geistig es zu fassen, 
Es zu entlarven, dieses Spiel.
Zu meiden seine Wohlstands-Fallen.
Damit ich kann Gedichte schreiben.
Und das bedeutet, selber mich zu schaffen.
Mich in Momente  tiefsten Glücks zu treiben:
Mich diesem Ratio-Nihilismus zu entraffen.
Will ich doch ungeschoren dem entrinnen:
Den Klippen der Verwahrlosungen,
der Barbarei der Phrasenbrände
und dem narzisstisch kranken Sinnen
nach inszenierten Selbst-Belämmerungen.

Gedicht von tiefster Dankbarkeit (53/2783)49

Verdanke geistig mich primär den Griechen,
dann Juden, Römern und Franzosen.
Indes der deutschen Sprache substanziell.
Ich würde ohne diese Lehrer haltlos siechen:
ich lebte geistig hilflos ausgestoßen
in dieser Warenwelt, so scheinsuchtgrell.
Indes muss ich - und tu es gern -
die deutschen Lehrer auch erwähnen.
Ich nenne stellvertretend Nietzsche, Kant.
Dann Schopenhauer, Weber, Scheler, Gehlen.
Die mich entrissen, Unterschichten-Gram,
meinem doch schlichten Herkunfts-Kern,
meint: einem Dasein ohne Führungs-Band.
Ich wäre ohne sie ein Bündel Tränen,
Vergeblichkeit, Verachtung zuzuzählen,
vor allem freilich tiefer Scham,
der jene geistig mich dann früh entrissen:
Mich hebend hoch zu manchem Geistes-Stern
und manchem wunderbaren Sehnen.

Und diese drei, die muss ich auch noch nennen:
Alexis de Tocqueville und Freud und Thomas Mann.
Sie warn mir Einsichts-Trost, Bezug in diesem Rennen,
das man aus eignen Mitteln nicht bestreiten kann.
Drei Geistesriesen: Lösend meinen Tölpel-Bann,
mich aufzurüsten gegen Selbstmitleid und Flennen,
mich ihre Sprache nahe, ja: ihr einzubringen
mich servitude* und Psychen-Enge sprachlich abzuringen.

*servitude: Knechtschaft

Innenweltbesetzung/Trias A 202 (53/2784)50

Das zeigt die Tiefenanalyse:
Totale Spannung sanfter Art.
Durch Selbstentmächtigung - präzise:
Durch Mächte, die man kaum gewahrt.

Zum Beispiel in den Netz-Spielwiesen,
die faszinieren Fans und Kunden,
die wähnen sich in Paradiesen,
vergessen lassend alle Alltagsschrunden.

Tatsächlich Trivial-Magien
von bannender Alltäglichkeit.
Komplex, vor dem die User knien,
sich einzusaugen einer Trance-Einheit.

Eine Erinnerung/Für … (53/2785)51/Sonett

Auch deiner will ich noch einmal gedenken -
trotz Schuldzuweisung, Niedrigkeit, Verrat.
Will mich noch einmal in dein Sein versenken:
Als zarterotisches Basaldiktat.

Als dieses warst du von den Dogmen frei:
von metaphysisch matten Illusionen.
Uns Körpern waren diese einerlei,
versunken rauscherfüllten Stoffsucht-Mohnen.

Auch wenn’s dir tugendsüchtig jetzt missfiele,
ich will mich, dankbar dir, erinnern dran:
Dein Glaube war es nicht, es war die Hyle,
die uns Vollendungsaugenblicke spann.

Depersonalisierungszwänge (53/2788)52/Sonett

Zerstört sind alle Selbstverständlichkeiten
in dieser Tauschfarce ohne Hochkultur.
Die Einzelnen sind auf sich selbst verwiesen,
sich Wertverfallentschämung anzupassen.

Und völlig außerstande, sich zu leiten,
gar zu erwehren dieser Diktatur.
Zumal sie sollen doch sich selbst genießen.
Sich nicht mehr als Person und Selbst auffassen.

Das ist das Ende aller Psychen-Halte.
Der Ausverkauf auch aller Selbstbestände.
Auf dass die Innenwelten Spaß gestalte

und so Verwahrlosungsentlastung spende
für eine ruinös gewissenskalte
Entwirklichung bis in die Selbstwert-Brände.

Grundgefühl (53/2789)53

Mein Dasein hab als sinnlos ich empfunden.
Und das von vornherein.
Gestand mir ein das auch. 
Das tat ich unumwunden.
Ich musste ehrlich sein.
Es hilft ja nichts, 
sich etwas vorzumachen.
Sei’s zu verdrängen, 
sei es schönzureden.
Da gilt’s zu klären selber sich 
und Sachen.
Vor denen nichts hält stand. 
Auch nicht das Beten.

Indes dies Grundgefühl verhindert schon,
sich gängig auszuleben.
Ich kann das nicht, 
empfände es als Hohn.
Obwohl es mag Erfüllung geben.
Für mich ist Leben Stoffasyl.
Das zweckfrei ist 
und ohne jede Wahl.
Bedürfnis-, Emotionen-, 
Wert-Phantasmen-Spiel.
Strikt festgelegt. Durch Gene, 
Ich-Verlies und Deutungsqual.

Doch mag das eine Sicht nur sein, 
subtil mich selber zu betrügen.
Entlastungshungrig mir 
mein Scheitern zu erklären.
Doch glauben kann ich nicht 
an all die Mären
von Tugend, Würde, Sinn, Vernunft.
Von Macht und Zugehörigkeit und Siegen.
Zumal der Intellekt mir aufweist unser Streben
als ethisch-metaphysisch eitle Brunft,
als Aushub innrer Schützengräben,
als Krieg mit mir 
und andern Daseinswunden,
mir völlig gleich in ihren Lebenslügen, 
jedoch als fremd und feindlich
beidseits sich empfunden.

Kleine Katze II (53/2790)54

Ach komm doch her,
du liebes Tier!
Ich will nur gut dir sein:
Dich streicheln, fühlen 
und dich wiegen.
Um so mit dir
die Welt zu meiden,
von ihren Lasten leer.
In deinem Schnurren
will ich ihr entgleiten.
Ihr, diesem Ratio-Wahn.
Und diesem 
seelentiefen Murren
von Daseinssiechen 
ohne Bahn.

ZINSJA (64) (53/2791)55

Dass es sich lohnte, 
ein gängiges Leben 
zu führen:
Wohlstandstrunken,
stumpfsinngeborgen,
bilderübertölpelt,
propagandaberuhigt,
marktgesteuert,
phrasenbewehrt und 
popniveaumystisch 
stimmungsgefangen,
so ausweglos angewiesen
auf Lebensvollzüge
eines dauerokkupierenden
Pan-Trivialismus …
Das zu glauben
bin ich gänzlich 
außerstande …
ich,
der ich vergeblichkeitslüstern
hinauslausche in die
grandios sinnleeren Überräume
einer selbstenfesselten,
gottunbedürftigen, 
sich selbst 
organisierenden Materie.

So hab ich es sehen müssen (53/2792)56

Zu viel, ich habe viel zu viel begriffen.
Und das, das hat mich schroff gemacht.
Auch zynisch, hoffnungslos und ungeschliffen.
Ich sag’s mal so, sag's sacht:
Dass lebenslang wir uns verweigern
den objektiven Sachverhalten.
Wir müssen, das ist Kerndrang, 
doch uns selber steigern
in dieser Welt der drastisch kalten
Gegebenheiten als Vergänglichkeit.
Und Leben hochprekär ist: Lotterie.
Wir ausgeliefert sind oft Niedertracht und Neid.
Erfüllung finden können nie.
Ist’s Zufall doch, den niemand kann bestehen.
Dem sind wir alle gleich verloren.
Ihm unbegriffen uns dann hilflos hinzugehen.
Zu keinem Zweck geboren.

ZINSJA (66) (53/2793)57

Dass an uns nichts liegt, 
ist offenkundig.
Man richte seine Aufmerksamkeit 
nur einmal
auf die seelischen Eskapaden
dieses genussontologisch befangenen Zeitgeist-Büttels, 
der sich, 
befehlsdevot von sich selbst ergriffen,
durch eine Existenz mogelt,
die jeder sinnbegabten Affektlage 
vollständig entbehrt,
exakter Abklatsch ist dieser Erlösungsdreiheit
von Wohlstandsdauerzufuhr, 
abstraktionsrationalem Intellekt 
und chemisch intensivierter,
Entwirklichungsraserei 
verpflichteter Zeitgeistmystik.
      
Großstadt-Plebejertum (53/2794)58

Erregtes Großstadtsog-Plebejertum:
Die Stadt sei metaphysisch anerlöst,
Ersatz-Jerusalem frenetisch Heimatloser,
ein Faszinosum dionysischer Magie.
Getrieben auch von technischen Effekten,
steriler Körper Inszenierungs-Schub.
Ein Stimmungsdom der Transzendenz
in Kollektiv-Ich und Entlastungsdrogen,
geplanter Einfachheit verbrauchercool verfallen.
Ergeben Tinnef*-Gurus, Trosteinpeitschern
und Underdog-Motorik-Trancebombastik.
Ergriffenheitsgebote, hörig umgesetzt
in was man ichvertrudelt fühlen soll,
sich, Standard-Selbstbruch, zu verhehlen
die knechtische Getriebenheit,
das medienprimitive Kultgehabe
verinnerlichter Zeitgeistanomie.
Subjektivierungs-Eskapismus,
Faktenqualen trash-siech zu vergessen,
sich aufzugeben schundurbanem 
Quantenzufalls-Nichts.

*Tinnef jiddisch: Schund

Das empirische Selbst (53/2795)59

Immer nur vorläufige,
gesellschaftlich-soziale Quer-Bilanz,
dynamisch, schillernd, schwankend, 
Erfahrungs- zu Wert- zu Deutungs-Haltungen:
Faktenbasierte psychische Jenachdeme,
objektiv an sich veränderbar in jedem Augenblick,
nie wahr, zumal vielfach- und überdeterminiert.
Immer nur als solche angenommen,
die für einen selbst gerade gelten müssen,
was man freilich glaubt, nicht weiß,
irrationale und auch unbewusst 
verankerte Interpretationen eben.
Zusammengestoppelt aus biologischen Vorgaben,
Herkunft qua Familie, Schicht oder Klasse,
ausgelegten Widerfahrnissen,
unentwirrbaren Innenweltverstrickungskomplexen,
Kultur, Sprache und Staat,
Geschichte, Verfassungsform und Institutionen,
Technikstand und Wirtschaftsweise.
Es ist das vage Bewusstsein 
einer unaufhebbaren Gefangenschaft 
in genetischer Zufälligkeit
und einer von seiner (noch) 
nationalen Artgenossenschaft, 
also fremd und einem selbst nur 
bedingt begreiflich,
hervorgetriebenen Gesamtkonstruktion 
je subjektiv unbegriffener Welthaltigkeit.
An der man,
ohne die Wahl zu ihr oder zu sich zu haben,
mehrdimensional dauerbedürftig, 
physisch wie psychisch halbwegs gehalten, 
ja: auch geborgen, mit baut,
auch, um quasi nebenbei,
sich selbst und anderen darin auszudrücken,
was man unverwechselbar zu sein scheint.
Jedenfalls einzigartig sich sein wollend und geltend …

So sinnlos das auch sein mag,
da, heutzutage, sein Leben lang 
Mächten ausgesetzt,
die man partiell gar nicht kennt.
Zumal sich mehrend 
in einer globalen Welt,
die mehr und mehr totalitär i
n sich selbst sich verflüchtigt:
Psychisch-kulturelles Nomadentum,
einheitsblind zerfallend 
sich selbst ausgeliefert.
      
Selbstverlust (53/2796)60

Ich lebe in wahrhaft seltsamen Zeiten.
Seltsam, weil auch so leicht zu verstehen:
In ihnen m u s s man dies Schicksal erleiden:
Man muss als Person sich selbst vergehen.
Man kann sich nur noch entgleiten.

Und dies durch repressive Toleranz:
Es sei Freiheit, sagt sie, 
sich um sich selbst nur zu drehen,
Freiheit, sich auszuleben ganz,
Freiheit, nur eigenen Vorteil zu sehen.

Um dann am Ende, allen anderen gleich,
dasselbe zu wollen wie alle:
Sich pausenlos widmen diesem Warenreich,
bis man dann zappelt in seiner Kralle:
Entmündigt, belämmert, verdinglicht und weich.

Zur Republik der Korrupten, Trickser und Charakterlosen (53/2797)61

Was willst du sagen?
Nun, spuck’s aus!
Dass du’s Gefühl hast,
nichts mehr kann dich tragen?
Dass, was hier abgeht,
scheint dir Kartenhaus,
dabei, sich selbst zu machen 
den Garaus?
Durch jenes Hohen Hauses
Trickser-Gaus?

Da liegst du richtig.
So wie’s steht,
ist’s faktisch nur noch 
Leerwort-Pfusch:
Recht arrogant
und völlig nichtig.

Wie sollten Trickser auch
begreifen Sachen?
Für die kann zählen nur
der Machttross-Tusch.

Illusionen-Träger (53/2798)62

Doch Gramhort eines Ich-Verlieses,
meist Niedertracht und Korruption gelungen,
dem Hang des Durchschnitts, 
sich zu überschätzen …
Macht, 
Ehrgeiz, 
Hybris und Verblendungsraffen
sich plattnarzisstisch 
einzuweben,
erscheint’s mir angebracht, 
zu sagen dieses:

Man ist nun mal sich selbst gedungen,
verheddert sich in eignen Psychen-Krätzen,
maßt sich nur an, 
sich selber frei zu schaffen …
Ein Kreatürchen eben.
Und zwar ziemlich mieses.
        
Vergötzte Lyder-Hure* (53/2799)63

Vergötzte lydische Hure;
narkotisierendes Verlies.
Uns Durchschnitt 
die tiefste Daseins-Fuhre:
Uns Göttin und Paradies.
Formierend das Ich,
das Wir und das Du.
Man kann ihr Kommando
nur ahnen:
Sie deckt uns mit Sinn
und mit Beute zu,
uns selbst nach oben zu bahnen.
Macht leer und verkommen
die Zeiten,
zerrüttet die Psychen,
macht gleich alle Dinge.
Macht auch, dass das Ich
sich als Mythe gewinne;
ihr sklavisch-verdinglicht
zerrinne. 
Um letztlich als Halbgott
durchs Leben zu gleiten.

*Lyderhure: Geldmünze, Geld. Die Lyder sollen das Geld erfunden haben.

Standardselbst (53/2800)64 Sonett

Narzisstisch, ichschwach, innenweltfrigide,
von hypertropher Ichsucht all-besessen:
Das Standard-Selbst begehrter Wohlstands-Messen,
das trancegetrieben Marktgewalt aufglühte.

Zu setzen konsumtive Unterschiede,
von Arroganz und Selbstwertgier zerfressen,
sich abzusetzen von den Durchschnitts-Blässen
doch minderwertig kleiner Geltungs-Güte.

Dagegen ich: Ich will rein gar nichts wissen
von Stars, von Wert-Einpeitschern und Agenten
der Werbung, die des Kunden Es ausloten,

es hordenhörig gegen ihn zu wenden:
ihn, der sich richtet nur nach Angeboten,
sich Waren-Reizen lustvoll zu verschwenden.
 

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