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Diese Seite enthält 71 Gedichte (56 Prosa-, Reim-Gedichte und 15 Sonette)
Nutzlos (2620)1
Gedichte sind völlig nutzlos
in einer von Bildern und Formeln
verbarrikadierten Welt,
die jede Form von sprachlich
gemeisterter Vieldeutigkeit unterdrückt,
sie sich ausschwemmt, oder gar zerstört,
um durch ihre medial ausschwärmenden Emotionsdesigner
auch noch die archaischen Psychen-Schichten
so in Beschlag zu nehmen,
dass alle Phantasie und verfeinernde Affektivität
bis in die Persönlichkeitskerne
unterwandert und zeitgeistkonform
zum Vorteil des globalisierten Kapitalismus
produziert und gesteuert werden kann.
Spaßkultsensationen (2621)2
Ich lebe ohne Illusionen
und ohne irgend Deutungsmären.
So sage ich es selbst mir oft.
Mich zu betrügen darum,
dass das gar nicht geht …
Es ist nun einmal ausgeschlossen.
Das weiß ich,
treibend durch die Geisteszonen,
in diesen mich dann
raunend aufzuzehren.
Ein alter Mann,
der nichts mehr hofft,
der weiß,
wie schlimm es um uns steht,
vertändelnd uns in selbst gemachten Gossen,
nicht fähig,
unsrer selbst uns zu erwehren …
selbsttäuschungsvirtuoser
Spaßkultsensationen.
Wie nicht? (2622)3
Wohl werden wir zugrunde gehen.
Verwiesen längst auf Steigerung an sich.
Der Produktion wie des Konsums.
Und alle sollten um dies Scheitern wissen.
Lässt es sich leicht doch auch begreifen.
Wir wissen es. Jedoch wir handeln nicht.
Weil hilflos resigniert und willenlos gemacht,
weil Wohlstand hemmt die Antriebskräfte,
uns stumpfsinnselig sein lässt infantil?
Auch weil der Kunde sich kein Inhalt ist,
nicht sein kann, ein Erlebnissammler,
nichts hat, was über ihn hinaus ihn trüge,
erpicht auf Dinge, die er gar nicht braucht,
und die er hat, längst nicht mehr wollend?
Wie sollte so er nicht denn spüren,
wie sinnlos ist doch seine Existenz,
wie leer und leer nur auszuleben?
Rastlos getrieben zu verdecken
nur wiederholte Albernheiten,
Verblendungskindereien und
am Ende nur formelle Existenz,
Persönlichkeit als Datensammler,
besäuselt von Konzernen und von Banken,
gelockt von Kitsch und von Reklame?
Wie sollte da nicht Todessehnsucht,
Verfallslust ihn subtil beschleichen,
als Gossenbarbarei ihn faszinieren?
Eine neue Gottheit (2623)4
Hast keinen Grund zu jammern.
Auch nicht zu kritisieren.
Sind sie doch angenehm, die Klammern,
die dich als Selbstzweck liquidieren.
Du kannst getrost auf Geist verzichten.
Auf diese griechische Schimäre.
Sich eine Welt zu dichten,
die nicht nur Hyle und Gewaltsucht wäre.
Ökonomie ist längst schon Religion.
Ein Geldwirtschaft konformes Beten.
Sich deren allblasierten Ton
auch träumend noch ins Hirn zu flöten.
Prosafetzen (52) (2624)5
Bis ihr euch wieder foltert,
vergewaltigt und totschlagt,
werde ich hoffentlich
diese Bühne definitiv
unabänderlicher Vergeblichkeit
wieder verlassen haben.
Heimgekehrt
in meiner Atome
hütende Mutter
majestätische Indolenz.
Prosafetzen (69) (2625)6
Nichts habe ich,
es zu versprechen dir.
Zumal
wenn ich dir
was verspräche,
du Gefahr liefst,
gerade daran
zu scheitern
dass es zu halten
ich mich,
wider Erwarten,
radikal determiniert
entschlossen hätte.
Spaß, Gewalt und Drogen (2626)7
Was hab ich nicht schon alles mitgemacht.
Mit Einzelnen, dem Kollektiv.
Orientierungslos Erlebnissucht verbracht
und einem kulturellen Tief,
das Sinn und Halte muss akut zerbrechen.
Vielleicht gar einst das Ganze.
Schon jetzt doch lüstern, Seelen zu verzechen,
verglimmend technisch totem Glanze.
Verstummend rüden Reizgewogen
belämmernder Erlebnisdichten.
Verkümmert Spaß, Gewalt und Drogen
im Hochgenuss von Selbstverzichten.
Gegenwelten (2627)8
Ob das Gedichte sind, was ich so nenne?
Das sei dahingestellt. Ich zweifle selbst zuweilen.
Indes ich will die Welt als Faktenkosmos nicht verfehlen.
Bestimmt von Technik, Medien und von Waren.
Die sekundäre Innenwelten formen,
sodass man selber sich gelenkt vergisst,
sein Dasein kalkuliert, es aufzulisten
in Leistung, Ich-Konsum und in Erlebnishorten.
*
Die Menschen sind sich Kunden. Und nicht Geistbezweckte,
die mit sich selbst und einem Schicksal rängen.
Nur noch ihr Dasein planende Projekte,
auf dass sie zeitgemäß sich konsumtiv gelängen.
Von Bergungsmacht Verlassene, die wiederholen
ein selbstbestandslos angenehmes Sich-Verlieren:
Sich zeitgeisttypisch angepasst zu polen …
auf dass erlöst sie würden durch Verführen.
*
Für wen denn dann - ich muss es fragen - die Gedichte?
- Da fehlen längst doch die Voraussetzungen:
Die metaphysisch-geistigen Gewichte,
von Wert und Halt und Sinn durchdrungen,
um jener Zeilen Widersprüchlichkeiten zu begreifen,
noch in abstrakter Dinglichkeit zu fassen -
Die nicht vor Tugend oder Gossen kneifen.
Noch vor der Trance der Massen.
Für niemand. Um es unverblümt zu sagen.
Da prallen aufeinander doch ganz fremde Kerne:
Sie zielen auf die tiefenstrukturellen Lagen
sich selbst zersetzender Moderne.
Andeutungen über mich selbst (2628)9
Was hätte ich denn machen sollen?
Ich musste meine Existenz verträumen.
Denn schließlich kannte ich doch ihre Stollen.
Und keiner kann sich wollen selbst versäumen.
Ganz außerstande, Gängigkeit zu leben,
sie fühlend, fürchtend und zugleich durchschauend,
konnten nur Trance und Kindlichkeit mich heben,
mich haltlos durch Phantasmen blauend.
Doch dass absurd das ist, steht außer Frage.
Indes mir fehlten letztlich alle Möglichkeiten,
zu meistern meine subjektive Lage.
Ich musste sie zu früh zu schwach erleiden.
Und doch hab ich es irgendwie begriffen,
dass daraus auch sich könnten Chancen mir ergeben.
Dass etwa meiner Einsamkeit verschliffen,
ich könnte geistig, abseits abseits leben.
Und das gelang. Ein Glücksfall. Mehr noch: eine Gnade.
Und dennoch weiß ich, dass ich ausgeliefert existiere:
an Markt-, Global-, an Wir- und Trieb-Diktate.
So gut dran tue, dass mich Einsicht führe.
Du-Versunkenheit/Für … (2629)10
Du kamst an Freitagnachmittagen.
Du kamst, weil wir was hatten.
Wir stellten leibsoggierig keine Fragen.
Verbannten alle Daseinsschatten.
Es waren Stunden ohne Gelten.
Nur Glücksrausch dargebracht.
Bis uns die Körper fällten.
Und wir erwachten aus der Lustandacht.
Schon lange her. Doch hin und wieder,
denk ich zurück an dich.
Wie einst gebannt vom Anblick deiner Glieder.
Vergessend Wir und Selbst und Ich.
Conditio humana (2630)11
Für einen Knecht
der Gene und Neuronen
und ohne Einheit eines Ich,
heißt Würde, Selbst
und Freiheit zu betonen,
dass er nur deliriert
und eigentlich
Phantasmen aufsitzt,
Trance, Fiktionen.
Und nur dank ihrer
sich erlebt als Stich.
Unabänderliches Schicksal/Sonett (2631)12
Wir waren unsrer selbst doch niemals mächtig.
Wir glauben’s nur, weil wir es glauben müssen:
Person zu sein und frei, vernunftgebunden.
Auf dass wir marktkonform verlassen streben
nach Lusteffekten (nihilismusträchtig),
uns selbst, narzisstisch deklassiert, zu küssen
und zeitgeisthörig unklug zu verwunden:
Verbrauchemotionen zu verbeben.
Indes was kann solch Dasein denn besagen,
in dem wir, Ratio, uns aus Zwang verfingen,
dies Gleichungsreich uns doch notwendig schufen?
Fakt ist, wir können uns nicht anders tragen,
nur als Magie und Intellekt gelingen,
entlastungstrunken dann in Leeren rufen.
Über mich selbst - des Weiteren III (2632)13
Vergleiche (62/3233)
Die Welt, aus der ich komme, ging längst unter.
War eine Dorf-Welt, ärmlich und naiv.
Von Bauern, Arbeitern und Würdeträgern,
wie Priester, Pfarrer, Lehrer, Amtspersonen.
Sie war nicht gut, schon gar nicht auch idyllisch.
Im Gegenteil: War ziemlich amoralisch,
affektfundiert und manchmal niederträchtig.
Von mir tagtäglich als verroht erlebt.
Und doch verdanke ich grad ihr die Gabe:
Die Welt von heute tiefer auszuloten
als sie es selbst vermag: Von sich geblendet …
Gesinnungslumperei und Tugendlügen,
geprägt von seelenlosen Ehrgeizlingen,
von geistig toten Sekundärsubjekten …
Abstraktem Kosmos von Konsummonaden,
sakralisierten Fatalismus-Opfern …
Ein Wohlstandsparadies des Mittelmaßes:
das permanent sich seinem Sein verweigert:
Der autodestruktiven Selbstverblendung …
Politisch impotent, doch phrasenreich,
sich selbst zu loben und medial zu feiern
als Virtuosentum der Freiheitsliebe …
Demokratie und Recht sich so verspielend,
sich selber unterwandernd wie den Staat.
Späte hypertechnisierte Wohlstandsdiktaturen (2633)14
Ein Leben ohne Illusionen
und ohne irgend Zweck- und Ziel-Phantasmen,
Entlastungsträume und Belämmerungen
auch ansatzweise nur zu meistern,
das ist unmöglich,
das ist ausgeschlossen …
Verlöre man doch jede Kraft
vor einer ungeschönten Wirklichkeit,
verzweifelte, zerbräche psychisch …
verkäme letztlich einer Lethargie,
von Angst geprägt und
Selbstabschaffungsanwandlungen …
Und das genau ist auch die Lage
der späten Wohlstandsdiktaturen,
die nichts mehr doch zu bieten haben
an Glück, an Schönheit, Sinn und Halt,
Zufriedenheit und Seelengröße,
an Anmut, Chancen auch
auf Selbstdistanz und in sich Ruhen,
existenzielle Sicherheiten …
Zumal auch metaphysisch tot
und technohypertroph abstrakt.
Empörungslüstern aggressiv,
von Perfidie geprägt und Gaunerei,
Besudelungsverkommenheiten,
von Hass, totalitärer Tyrannei,
sich vor sich selbst zu feien alle Tage,
narzisstisch-dekadent sich fort zu quälen
durch ein beschämendes Behelfsdasein:
Als marktbombastisch inszenierte Leere,
historisch vor, vielleicht, brutalem Ende.
Pathologisch-aggressive Leerformelonanie/
Sonett (2634)15
In diesen Zeiten der Gesinnungsaggressionen
- bedingt durch kommandierende Entselbstungszwänge
und Selbsthassorgien spracharm Tugendradikaler:
Fanatiker, nicht fähig zu Primärgedanken,
die sich verloren in den eignen Psychen-Zonen
konstruktivistisch-dumpfer Leerformelgemenge -
muss das Sozialorgan, verkümmernd, werden fahler,
zumal sich Geistesarme da um Phrasen zanken.
Indes steht fest: Wir dienen Abstraktionsgefügen
von Technik, Märkten, News und Propagandawogen,
die Fortschritt, Machbarkeit, gar Freiheit uns versprechen …
Doch das sind drastisch primitive Lebenslügen,
uns von uns selbst entlastungslüstern hingebogen,
weil wir uns müssen Welt-Wahn, Ich und Trug verzechen.
Ende der vermeintlichen Liebe (2635)16
Die Sehnsucht unterlag den Fakten,
die Illusionen gingen hin,
die Schwüre zeigten sich als hohl und leer.
Nichts blieb von Ernst und Zuversicht.
Es musste scheitern: Marktkonform sich takten,
das nahm von Anfang an schon jeden Sinn.
Das zeitgeistprimitive Phrasenmeer
erwies sich als reklameschlicht.
Da fehlten doch schon diese nackten
Verpflichtungszwänge am Beginn …
Subjektivismus gibt nun mal nichts her,
ist infantil, charakterlos, nur Scheingewicht.
Wohlstandsreligion/Sonett (2636)17
Ein quasimetaphysisches Projekt:
Die Wohlstandsreligion des Kapitals.
Noch in den Fasern nistend eines Schals,
der Individualität bezweckt
und, für die Selbstwerthebung ausgeheckt,
Fanal-Symbol ist eines Rituals,
das als Visionsnepp kollektiven Grals
die Auszehrung von Ich und Welt verdeckt.
Man wird den Wohlstandsgott indes entthronen,
Verzicht einfordern müssen, Einsicht und
zerschlagen müssen typische Fiktionen
von einem immer vollen Ichsuchtschlund.
Doch wer versorgt dann zig Millionen,
die darben werden ohne Hoffnungsgrund?
Ich wollte es ändern (2637)18
Ich wollte ein Gedicht mir schreiben.
Doch das hat nicht geklappt.
Man kann sich selbst
nun mal nicht hintertreiben,
wenn man sich, überwach, ertappt,
dass man sich selbst betrügt:
Sei Geistes-Licht.
Indes sozial doch nur ein Leichtgewicht.
Existenziell verwaist
gelöschte Spur.
Selbstverständliche Wahrheiten/Sonett (2638)19
Uns wird es selbstverständlich nicht für immer geben.
Wie andre Arten werden einst auch wir verschwinden.
Vielleicht viel früher schon aufgrund der Umweltsünden,
die uns bescheren längst ein hochprekäres Leben.
Zumal auf Technik richten muss sich unser Streben,
das immer wird an Rationalität uns binden.
Und die muss, scheint mir, im Fiasko zuletzt münden,
weil ihr Ressourcen müssen irgendwann verschweben.
Indes wer sagt denn ernsthaft, dass an uns was läge?
Ich meine außer uns, die sich als Seinsziel fassen
in Wertgefügen einer alten Hochkultur?
Ein Trug. Wir sind Momentgebilde auf dem Wege
vom Urknall bis zu Galaxiensternenmassen.
Planloser Zufallswurf in geistige Struktur.
Treue zum Gedicht (2639)20/Vergleiche Variante (2/122)
Ich bleibe treu ihm,
dem Gedicht.
Und mache mit ihm
immer weiter.
Bis er mich holen wird,
der stumme Ichbegleiter,
in Stillen raffen wird,
ganz wortlos, ohne Licht.
Die keiner von uns
kennen kann,
die allen freilich
stehn bevor:
Zu enden
unsren Diesseits-Bann,
der lebenslang
zumal beschwor,
er biete Sinn und Glück,
zu Paradiesen Tor ...
Indes das alles
gibt es nicht;
doch es zu glauben
schenkt uns Trost-Gewicht.
Gesellschaftliche Wunden/Sonett (2640)21
Schaumschlägerei und Sexsucht. Und fast immer Drogen.
Die sollen häufig sein als Kult-Börsianer-Zeichen.
Was immer letztlich hat die guys dazu verbogen.
Wahr scheint, dass sie um Mammon und um Gifte schleichen.
Dann sind sie wohl auch ziemlich oft verlogen,
weil sie zuletzt vor jeder Einsicht müssen weichen,
die sie entlarven würde als die coolen Reichen,
die, überfordert, sich Narzissten-Sud einsogen.
Längst Ideale auch indes von manchen unten.
Wo man sich eher doch bisher mit Fußballspielen,
mit Krimis, Schlagern, Hits und social media-Runden
das Mütchen kühlt, um so auf Sinn und Zweck zu zielen.
Doch wenn die unten wirklich schon auf jene schielen,
wer mag noch schließen dann gesellschaftliche Wunden?
Trotz aller Verachtung, Ablehnung und deprimierenden Hellsicht (2641)22
Ich will, dass es so bleibt, wie's ist.
Dass bleibt die Volksherrschaft,
der Markt und seine Wohlstandssause.
Auch weil der Mensch sich selbst auffrisst,
wenn er in Armut, Leeren, Ängste gafft;
zumal auch längst kein Gott mehr ihn behause.
Denn dieser Mensch ist völlig mittellos:
verliert sich, wenn nur auf sich selbst gestellt,
sucht Trost und Halt in Radikalität.
Er ist nun mal nicht seelengroß.
Prekär treibt sein Gewissensfeld,
wenn nichts ihm Ablenkung und Spaß anrät.
Und dafür kann er nichts: für sich kann keiner was.
Wir alle sind des Zufalls Laune-Wesen,
bevorzugt selten; meistens Durchschnitts-Würfe,
die weder fähig sind zu Mitte noch zu Maß,
schon gar nicht dazu, selbst sich auszulesen,
bestimmt so dann, dass sie ein X ausschlürfe.
Das Traumweltkarussell/Sonett (2642)23
Den ausgedünnten Seelen dieses Man
trieb es die Scham aus, dass sie ungehemmt,
genormter Nu-Erlösung hin gekämmt,
sich lüstern marodierend griffen fun.
Der Ablenkung gewähre. Heißt: Dem Bann
der faden Wirklichkeit im Einheitshemd
des Immergleichen, so vertraut wie fremd,
henadisch rauschhaft zu versinken dann.
Nicht etwa ausnahmsweise. Pausenlos!
Es muss sich drehn das Traumweltkarussell.
Man inszeniert sich spaßfett rigoros.
Konformen Innenwelten parallel.
Abstrakter Hordenwonne als dem Quell
blasierter Coolness: Technologisch Los.
Ausweglosigkeit I (2643)24
Man kann doch nicht
bereuen wollen.
So wenig,
wie man lieben
wollen kann.
Natürlich hätte ich
so manches sollen.
Doch kam ich
gegen mich
nie an.
Ideale*/Sonett (2644)25
Zu vergleichen wären/sind (52/2648), (57/2951)
An Ideale habe ich mich nie gebunden.
Bin ich doch völlig außerstande zu verstehen,
was sie besagen sollen: Welche Daseinswunden
sie heilen könnten. Und welch menschliche Vergehen
definitiv durch sie denn würden unterbunden.
Um dann vielleicht so bald nicht wieder zu geschehen.
Das traue einfach ich nicht zu sei’s denen unten,
sei’s denen oben, die die auf Macht und Geltung sehen.
Indes dass Menschen Idealen sich verschreiben,
das kann ich nachvollziehen: Weil sie heimlich wissen,
dass Ichsucht uns, Verworrenheit und Zufall plagen.
Es ist weit klüger, Idealen treu zu bleiben,
als Menschen abzulesen, dass sie nicht Gewissen,
vielmehr nur Einfalt tragen, Wohlstand und Verzagen.
Zeilen 12 - 14: Variante:
Und da entlastet’s, Ideal sich aufzureiben.
Statt Fakten abzulesen, dass wir meist beflissen,
ja oft gezwungen sind, korrupt sie mitzutragen.
*Ich merke an:
(1) Wir sind idealbedürftig, aber nicht idealfähig
(2) Man hat seine bestimmten Ideale, weil man sie (diese Ideale) als dieser bestimmte Mensch n ö t i g hat; daraus folgt:
(a) dass man sie auch gegen den Augenschein (die faktischen Gegebenheiten) verteidigen wird, also
(b) bereit sind wird, sich - sozusagen psychisch ideell gefangen - gegen die Tatsachenwelt/Realität zu versündigen, also so indirekt auch gegen andere Menschen (für die Schicksal zu spielen, man sich befugt glaubt, weil man über eine "höhere Wahrheit" verfüge), eben weil man seine Ideale (als Entlastungskräfte) n ö t i g hat.
Ich halte es für ratsam, jedem der Ideale vertritt (religiöse, weltanschauliche politische, utopische, kulturelle …) mit Misstrauen zu begegnen, denn:
(c) Ideale sind recht eigentlich psycho-ethisch bedurfte Leerformel-Konstrukte (und als solche gar nicht umsetzbar in gesellschaftliche Realitäten; das gilt z. B. für Kommunismus und Sozialismus), sind also
(d) emotional (noch einmal: weil subjektive Entlastungs-Fiktionen) hochbesetzte Phantasmen solcher Menschen, die nicht die Kraft haben (die meisten Menschen haben diese Kraft nicht), sich mit den unabänderlichen Tatsachen unserer Existenz abzufinden: Dass diese irrational-dauerprekär, Pleonexie (Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht) ist, zumal in der Regel Amoral, Erbärmlichkeit, Gewissenlosigkeit, Substanzkorruptheit, vor allem metaphysisch tot, also: sinnlos ist (das eigentliche Grundproblem der heutigen Überflussgesellschaften:
Ohne alle (selbstverständlich irrationale) Verzauberung (Max Weber) nehmen sie unserer Existenz alle Geheimnisse, alle tiefen Wesens-Sehnsüchte, alle Geborgenheitshoffnung, jede Chance der Diktatur der Selbstverdinglichung zu entrinnen usw., um auf diese Weise die subjektiven Innenwelten verkümmern zu lassen: zu verwahrlosen und nach und nach verroht und gewissenlos zu machen: unmenschlich.
(3) Politische Ideale sind in der Regel die ideellen Vorboten von Diktatur und Geheimdienstzellen; sie korrumpieren, scheitern dann an den Realitäten, sind also mithin autodestruktiv
(4) Alle vernunftgewirkten: rationalen Begriffs-Ideale sind zu verwerfen: Menschlicher (natürlicher) Wesens-"Adel" (als Resultat zufälligen, auch genetisch gewirkten, Soseins) beruht auf (allerdings seltener) irrationaler Kern-/Substanz-Exzellenz: Ehrfurcht, Scham, Mitgefühlsfähigkeit, Güte, Ágape (einer tiefen Verbundenheit mit der Geistfiktion „Gott“) und Gewissenstiefe.
Die Punkte (1) bis (4) mögen auch ansatzweise andeuten, warum ich unsere heutige und die aus ihr resultierende zukünftige Lage (insbesondere auch, was Deutschland betrifft), so - manche würden vielleicht ungehalten sagen: fast schon abstoßend-indolent-gewissenlos - überaus negativ bewerte: als ob die zukünftigen Gesellschaften notwendig ins Verderben schlittern müssten ... müssen sie nicht; indes einiges spricht dafür, dass dies geschehen könnte/wird(?).
Medial-Krüppel (2645)26
Verwahrlosungslüsterne
Zwangsschauspieler
dieses geldwirtschaftlich
geprägten Wohlstands-Nihilismus
radebrechen trivialekstatisch
ihre Sinntagträume
in die Brachfelder ihrer
phrasengestützten Einheitspsychen.
Ichdrastisch.
Wurzellos.
Tugenddespotisch.
Erlebnishörig.
Ausdrucksarm.
Geistfremd.
Selbstbetrüger (2646)27
Ich kultiviere
Augenblicke
als leibliche
Verfeinerungen:
Molekular verbriefte
Gegen-Tücke.
Den Stoffen
geistvergessen
abgerungen.
Was meine Gedichte sagen oder sind V (2647)28/Sonett/Vergleiche (9/509), (30/1809), (34/2045) und (38/2260)
Wär ich nur ausgeliefert Zeitumständen:
Reklame, Unterhaltungsindustrie,
dem Fernsehmedium und dem Internet …
Ich würde nicht mehr zu mir selber finden.
Dass jene Einfluss üben, ja: oft blenden,
sind Lenkungsmächte, Sensations-Magie,
ist klar; sind ängstigend auch Ich-Korsett,
das psychoethisch ans System soll binden.
Begnadet, wer nicht nur auf sich muss gaffen,
darf mittels Sprache Gegenwelt sich schaffen,
die zweckfrei ist, vom Ich-Diktat entbunden …
Gedichte, löschend der Zynismen Lunten:
Erlebnis-Dekadenz als Lüste-Raffen,
von Selbstverlust und Einsamkeit umwunden.
Ideale I/weltanschauliche/Sonett (2648)29
Zu vergleichen sind/wären (52/2644), (57/2951)
Wer Ideale hat, muss auf Verstand verzichten.
Denn dieser zeigte sofort ihre Schwächen.
Dass sie doch nichts als das Gefühl bestechen,
so trügerisch sich nur aus Hoffnung dichten.
Begriffs-Konstrukte, die sich Träume lichten.
Die freilich an der Wirklichkeit zerbrechen,
weil schlicht naiv sie sind. Das muss sich rächen:
Als Zwang, Realität sich zuzurichten.
Dann müssen sie sich in Verblendung tragen
durch affektiv fundierte Drangkonturen.
Die sich, im Wahn fatal heraufbeschworen,
sich als das einzig wahre Gute wagen
zu fügen andern seelische Blessuren …
Doch faktisch nichts als Machtunflat verschworen.
facta bruta (2649)30
Wir sind doch beide
ganz allein.
Und beide
sind wir alt;
so aufeinander
angewiesen,
uns Trost
zu geben:
späten Halt;
bevor wir Tod
verdämmernd beben,
die Körper
werden kalt,
wir Stoff
und Nichts
zuletzt
zerfließen.
Für Friedrich Hölderlin (2650)31
Nur noch man selbst
kann sich bewahren
in Zeiten personal
deklassierender Banalität
ohne Subjekt, Absicht
und Zweckkenntnis.
Schuldlos wie alle
mag man
- trotzdem -
einstehn für sich,
bejahend die Absurdität
mitverantworteter
Mittellosigkeit.
Abbitte II/Sonett (2651)32
Man kann das alles auch ganz anders sehen.
Viel optimistischer als ich es tue.
Ich zweifle selber manchmal an den Worten,
die ich so von mir gebe … hoffnungsfreie.
Diktiert mir auch zumal von eignen Wehen:
Dem Fehlen von so was wie Seelenruhe,
mich nicht allein Zynismus zu verorten,
zu dämpfen meines Nihilismus Schreie.
Denn so ist’s nicht, dass ich wem Schlechtes wollte.
Ich habe dafür nämlich keine Gründe.
Zumal auch weiß, wie schwer fällt das Gesollte.
Dem folgend, es wohl um uns besser stünde.
Weil unsre Gier nicht ins Absurde rollte
und maßlos geifernd söffe sich ins Blinde.
Tragische Liebe (2652)33
Niemand,
der bestrickender löge
als der tragisch,
schicksalhaft
und unbedingt
Liebende.
Sich selbst,
seine Liebe
und die
Versachlichungsroutine,
die unser Dasein
doch bestimmen muss,
traumwirr verkennend.
So rauschhörig
und sinntrunken
sich selbst
und seinen
Gegenstand
in Scheitern,
Verlust,
Hilflosigkeit und
Verzweiflung
reißend.
Ich-Gefangenschaft/Sonett (2653)34
Dass man sein Leben lang allein ist - ganz allein,
das sollte man aus Klugheit nicht so oft bedenken.
Jedoch hat man’s begriffen, lässt es sich nicht lenken.
Dann wühlt es auf. Auch weil’s entlarvt so manchen Schein.
Zum Beispiel den, man könnte aufgehoben sein
in einer Liebe etwa. Liebe soll ja schenken
Geborgenheit und Halt, die uns dann Ängste senken.
Und dadurch lindern auch noch manche andre Pein.
Indes ich glaube, dass allein man ist an sich.
Man unausweichlich ist sich selbst nur eingelassen.
Sich jeden Augenblick nur dreht ums eigne Ich.
So faktisch kann nur dessen Perspektiven fassen.
Und so denn immer macht den gleich verdrängten Stich:
Dass Du und Wir als Unbegriffene verblassen.
Entpflichtungen/Sonett (2654)35
Berauschungseffektiv mich selbst belämmern,
das schwingt in allem mit, was mich betrifft.
Wiewohl ich weiß, es ist soziales Gift,
Subjektivismus feil, mir einzuhämmern,
dass diese Welt sei die von Selbstsuchtschlemmern,
von denen jeder nur Phantome kifft
in einer Art von digitalem Stift,
um datenhörig Kunstwelt zu verdämmern.
Berauschungseffektiv? Nun das meint Geist,
der diese Welt subtiler transzendiert.
Indem er wesenselitär entgleist
und nur an solche Psychen-Ordnung rührt,
die jene ihm als Niedergang beweist:
Weil normenflüchtig sie sich selbst verliert.
Monaden-Irrelevanz/Sonett (2655)36
Was ich an Selbstwert habe, sei dahingestellt.
Persönlich glaube ich: Gewiss nicht allzu viel.
Begreife ich mich doch als Teil von einem Spiel,
in dem sich jeder in die eignen Arme fällt.
Das muss. Denn letztlich ist nur er allein sich Zelt,
sein eigner Kämpfer um ein X von Daseinsziel.
Da gilt’s zu kalkulieren sich von Deal zu Deal.
Nie sicher, ob am Ende was zusammenhält.
Das würden andere gewiss so niemals sagen.
Ist’s doch tatsächlich schwer, es psychisch zu verwinden,
nicht mehr zu sein als eine wirtschaftliche Nummer.
Sich mediendionysisch aus sich fort zu tragen.
Sich Inhalt zu ergattern, der kein Selbst kann gründen.
Sich auszuweinen über unbegriffnen Kummer.
Auswegloser Prozess (2656)37
Wir müssen indirekt
uns selbst zerstören.
Natur entlaufen,
gegen sie gestellt;
indes ganz radikal doch
auf sie angewiesen.
So werden wir
notwendig sie verheeren,
notwendig uns so
in die Falle laufen,
indem wir sie
uns selbst und sich zerraufen:
Weshalb umsonst wir uns
Sapiente hießen …
Tatsächlich Tiere,
die ihr Sosein büßen:
Materie zu sein,
determiniert
auf Nichts gestellt.
Hergestellte Psychen-Schichten/Sonett (2657)38
Sich an das delphische Gebot zu halten,
sich selber, frei von Hybris, zu erkennen,
ist für uns heute schwer nur zu erfüllen …
Uns Träger hergestellter Psychen-Schichten.
Die mehr und mehr die subjektiven nichten
und rigoros das Ich vom Selbst abspalten,
indem das Ich sie lauthals überrennen,
ums kundenmagisch rauschverzerrt zu stillen.
Man ist primär sich nicht mehr selbst gegeben:
Sich als Person verdeckt. Muss inszenieren
abstrakt verfügte Zeitgeist-Rituale.
Führt so ein kommandiertes Doppelleben,
sich rational-ekstatisch zu verlieren:
Befehlsempfänger ohne Kernmerkmale.
17.8.06. 00.35 Uhr (2658)39
Ich möchte so gern
ein Gedicht herstellen.
Das lässt sich freilich
nicht erzwingen.
Es gibt nun mal so Stunden,
da zerschellen
auch noch die feinsten Weisen
von Gelingen.
In allen diesen Zeilen (2659)40
Was immer sich
da deuten mag
in allen diesen Zeilen.
Ich weiß es nicht,
ich ahn es nur:
Verlustreich öder
Selbst-Betrag,
mir ausgepresst
aus Tauschweltkeilen,
entsprungen
wertverzerrter Sucht
nach kranker Hoffnung
Selbstabfuhr …
Entwesungsdrangsal
Tag für Tag.
Hautstreifzug (2660)41
Noch heute Nacht,
schätze ich,
kehren die
Traumbeeren um,
von dir
umsonst angezüchtet
meinen Sinn
anknabbernden
Verlegenheits-Lippen.
Mehrfach vermittelt (2661)42
Man kann nur das, was einen prägte, leben:
Die Lotterien, meine ich, die einen schufen.
Entsprechend sind die Daseinskufen,
auf die man diese dann muss heben.
Als Gene, Herkunft, Staat, Kultur.
Vabanquespiel ist das Ganze.
Im eignen Weltlauf gegen Wir und Uhr …
Als ob man ohne Boden tanze.
Doch manchmal tritt ein Gott dazwischen
- ich sage „Gott“, weil ich es nicht begreife -,
der einem Kräfte schenkt, all jenes wegzuwischen,
als ob man tiefste Gnade streife.
Teilhaftig sei so jenes Gottes Güte.
Und seiner Weisheit, einer absoluten:
Um dann es zu zerschlagen, jenes rüde
Geflecht von trauerseichten Schicksals-Ruten.
Hass und Liebe/Sonett (2662)43
Affekte etwa wie der Hass und auch die Liebe,
erdichten sich, je radikaler sie verzehren,
ihr Drangziel selbst, indem sie es phantastisch formen.
Bis hin zum radikalen Wirklichkeitsverlust.
Um’s als Objekt dann drängender Vernichtungshiebe
oder als absoluten Sinnstrauß zu beschwören.
Jenseits von Faktensog, Vernünftigkeit und Normen.
Da toben Mächte, wesensdrastisch tief gemusst.
Und stellt sich nicht die Frage nach dem freien Willen,
Verantwortung, Humanität, zivilen Rechten.
Weil Trancegewalt zersprengte alle Psychen-Hüllen.
Um das Diktat von paranoisch dunklen Mächten
durch sei es Niedertracht, sei’s Rachsucht zu erfüllen,
sei’s durch Erlösungsrausch in lustverhangnen Nächten.
Deiner Gramlippen Sehnsuchtszittern/Für… (2663)44
Wohin auch immer
deiner Gramlippen
Sehnsuchtszittern
meine Haltlosigkeit
schleifte,
ausnahmslos
gewährte es ihr
die träumerisch-tröstliche
Weltvergessenheit
in jenen stundenweise
lustrein dahinträufelnden
Vollendungs-Lethen
quasi-metaphysischer
Stoffgeborgenheit.
Das Ende aller Illusionen/Sonett (2664)45
Seit Jahren weiß ich, dass ein Ende machen
das Beste wäre, da mich nichts mehr hält
in dieser surrealen Technikwelt.
Die nichts zu bieten hat als warenflachen
Erlebniskitzel für Fragment-Fellachen.
Die schleichend so die Volksherrschaft entstellt,
da doch die Selbstzwang-Fähigkeit zerfällt …
Verwahrlosungsbeseelt verdreht die Sachen.
Noch treibt mich Neugier freilich zu betrachten,
wie alle Illusionen sich verlieren
im Zeitgeistgötzendienst der Spaßmorosen.
Die von Behelf sich zu Behelf fortschmachten,
orientierungslos sich selbst lädieren
und schier erlösungssüchtig Terror kosen.
Das Körperding Ich und der Geist (2665)46/Sonett
Das Körperding muss stündlich sich zu Markte tragen,
ist Leibgebilde biologisch gleicher Ziele:
Ein fitter Trieb-Soldat zu sein als Erbgutträger,
sich passende Befriedigungen zu erjagen.
Irrational-ekstatisch so an allen Tagen
erfolgreich teilzunehmen an dem Zufalls-Spiele
als individualisierter Trieb-Ableger,
den das Gesellschaftskollektiv muss überragen.
Indes der Geist begreift diese Bedürfniszwänge,
vermag sie gar verneinend sich dann auszudeuten
als hochprekäres Autodestruktions-Gemenge:
Entfremdungsträchtig-anonymes Macht sich Häuten
in einem rücksichtslosen Daseinskampf-Gedränge,
in dem sich Körper müssen rücksichtslos erbeuten.
Prosafetzen (126) (2666)47
Ununterbrochen
schreibe ich.
Für nichts
und niemand.
Anders
wäre es auch
vollkommen
sinnlos.
Prosafetzen (125) (2667)48
Prosafetzen.
Verstümmelter Wirklichkeit
abgerissen,
um sie erneut
zusammenzuflicken
zu jenem Zerrbild,
das es
zu korrigieren gälte,
wenn wir nur
fähig wären,
gegen uns selbst
unverlogen autonom
zu existieren.
SMS (12) (2668)49
Zielvergessen
schlittere ich
durchs Gewirr
meiner Selbst-
Fragmente.
Stillreales Glück/Für … (2669)50
Das Blattwerk sirrt so leise,
der Wind umweht ein Götterblau.
Die Nacht gibt’s preis auf ihre Weise:
Du liegst bei jener Knabenfrau.
Das Fleisch so weiß, so warm, so zart.
Wie frei von Stofflichkeit.
Materie, die sich bewahrt
in Geistverlangen,
das nach Körper schreit.
Machthaber/Sonett (2670)51
Mit Halbbegabung hadernd: Ich-Blessuren
und menschentypisch geistigen Gebrechen.
Das lässt sie glauben an der Macht Versprechen,
dass, eingelöst, es schüfe Sinn-Konturen:
Die Chance gar, andre ihrer Macht zu spuren …
Als müssten nicht wir alle uns verzechen
an Lebenslügen und an Oberflächen …
doch weiter nichts als bloße Stoff-Torturen.
Das ist zuletzt, was anmaßt sich die Macht:
Nur sie könne befriedigen die Sucht,
in Sieg zu wandeln unsre Daseinsschlacht …
könne bewahren vor des Scheiterns Wucht,
in Hybris- und Verblendungs-Sog verbracht,
entrinnen gar Determinismus-Zucht.
Dankgedicht/Für I. S. (2671)52
„Geht jetzt nicht!“ Das sagst du nie;
immer hilfsbereit.
Dienend der Vergesslichkeit,
meines Alters Was und Wie:
Allen diesen Spätgebrechen,
die man nicht vermeiden kann:
Grauer Jahre letzter Bann …
Bis dann alle Kräfte brechen.
Doch es gibt auch Augenblicke,
schießend hoch als Drangfanal,
sehnsuchtsüchtig nach dem Gral
eines Leib-Traums ohne Tücke.
Greisenflause, wie ich weiß,
kindisch wirrer Tage.
Sei ihr bitte trotzdem Gleis,
meiner Schwund verfügten Lage.
Starrsinn (2672)53/Variante zu (57/2969)
Ich denke nun mal nicht sehr positiv.
Das ist mir fremd und auch suspekt.
Auch lag ich früher damit durchweg schief.
Das hat mein Misstrauen geweckt.
Man mag jedoch an sich so denken,
sich Widersprüche eher mal zu schönen:
Sich mit Entlastungsschein zu lenken,
um sich mit Welt und sich dann zu versöhnen.
Allein mich treibt die Neugier in die Kerne
von Dingen, Menschen und Begriffen.
Genau das macht dann, dass ich mich entferne
von Faktenfärberei mit Täuschungskniffen.
Denn was ich greife, ist meist Trost-Ballast,
ist Indolenz und Selbstsucht-Unvermögen,
kurz: sinnlos-hochprekäre Last,
so dass Bemäntelungen einfach schamlos lögen.
Gott VII (2673)54Vergleiche (21/1287)/Anmerkung
Du bist, obwohl längst tot, realer Hort,
wenn dich mein Hirn als Lenker träumt.
Dann weicht mein Ich, reißt alle Grenzen fort,
weil alles Endliche sich dann versäumt.
Wenn du hinzutrittst zu Gehalten,
Vergänglichkeit bestimmt,
will selbst die Leere sich, beschämt, gestalten,
indem sie Fülle sich zum Selbstzweck krümmt.
Nur du allein vollendest alle Wirklichkeit,
wird sie von dir umsponnen,
Dann hält sie sich als Sinn bereit,
versprochen mir auf deinen blauen Sonnen.
Vollendete Gleichgültigkeit (2674)55
Manchmal freilich
weicht das Bewusstsein davon,
wie lächerlich maßlos,
banal, gekünstelt,
verlogen und roh
das alles hier ist.
Dann nämlich,
wenn ich hineinhorche
in jene Stille,
die zu trösten vermag
mit einer Heimat
vollendeter Gleichgültigkeit.
Pessimismus (2675)56
Die Großmoral ist mir suspekt.
Wer an sie glaubt, hat nicht begriffen,
dass man nach Lust und Nutzen leckt.
Das ist genetisch eingeschliffen.
Man ist nicht gut, man ist nicht böse,
gibt sich so hin dem Augenblick,
sensibel nur für Geld und Selbstwertgröße.
Man inszeniert ein auferlegtes Stück.
Was denn auch sonst? Der Wille ist nicht frei.
Trotz der Milliarden von Neuronen.
Man stolpert schuldlos in die Barbarei,
dem Ich verstrickt und seinen asozialen Zonen.
Absurdität (2676)57
Was willst du, sag es, denn noch mehr?
Hast Rechtsstaat, Frieden, Wohlstandsflair.
Und Lust. Und aller Lüste Wiederkehr.
Mediale Leitung auch durch dieses Ungefähr.
Nichts will ich mehr. Bin ganz zufrieden.
Denn unsre Zeit hat wirklich viel zu bieten.
Uns allen ist fast alles doch beschieden.
Selbst Glück in sauberen Verpackungstüten.
Problem? Das Glück ist nun mal nur Fiktion.
Als intendiertes weicht es werdend schon,
wird jedenfalls beschwerlich, drosselt Traum und Mohn,
um schleichend umzuschlagen dann in Fron.
Individualität (2677)58
Das ist,
wie man,
unfrei,
damit umgeht,
sich sich
selber nicht
verfügbar
zu sein.
Was bedeutet das schon? (2678)59
Gar nichts wird bleiben.
Warum auch? Wozu
dich selber aufreiben
in Ich-Zwang und Nu?
Das ist das Ganze:
Materie-Lauf
genetischer Stanze
in Wir-Ausverkauf.
Vom Tchad-Hominiden*
zur Selbst-Destruktion -
Technik und Mythen.
Was bedeutet das schon?
*Sahelanthropus Tchadensis: 6 - 7 Millionen Jahre
alter Menschenähnlicher, im Tschad gefunden (2002)
Beim Aufräumen des Kellers (2679)60
Schon lange hatte ich nichts mehr gehört
von H. Marcuse, E. Fromm, A. Camus und E. Bloch.
Wer läse sie, begriffe denn auch noch,
dass Welt verkehrt sein mag und tief verstört?
Ich fand im Keller Bücher, die sie schrieben,
berühmte damals. Das ist lange her.
Man war noch jung und fühlte, jung, verquer:
Man wollte Menschlichkeit in große Träume schieben.
Das Kapital hat damit gründlich aufgeräumt,
den Seelen Schwung und Flausen ausgezogen ...
Ach was! Sie haben selber sich verbogen,
von Anfang an Begriff und Selbst versäumt.
Ich weiß noch meine Skepsis, die war groß.
Der Hauptgrund war, ich kam von unten,
war so nicht a priori links gebunden,
was nicht identisch ist mit Phrase, Show und Schoß.
Noch immer halte ich nicht viel von Reichen,
die Intellektuelle schaffen.
Trotz aller Ideale bleiben wir doch Affen,
die Ich- und Hab-, Genuss- und Macht-Sucht eichen.
Fernere Zukunft (2680)61
Ein leises Zittern
von der Zukunft her:
Der Nachhall
letzter Sapiens-Siechen,
die, im Verbittern
irrsinnschwer,
vergeblich
Gottes Hand
ankriechen.
Hinüberdämmern (2681)62
Die Lethe wird sich selber trinken.
Mehr könnte ich auch nicht verlangen,
wenn sich mir Ich und Ding ausklinken
und sich verzehrt hat letztes Bangen.
Ich werde Weitres nicht mehr merken,
fängt doch der Rest schon an, sich aufzulösen,
um sich den Stoffen wieder ein zu bergen:
subatomaren Schößen.
Nichts wird da auferstehen, gar nichts strafen,
nichts bleiben, was sich weiter trüge.
Es gibt ihn nicht, den Jenseits-Hafen.
Wie’s keine Schuld gibt, Geltungswahrheit oder Siege.
Wer kann das Ganze denn bewerten?
Kann er’s doch rational nicht greifen.
Für Sinn muss er in Gott sich erden:
sich dem als ungreifbare Trance verschleifen.
Normalverhalten (2682)63
Vergleiche die Variante (23/1412)
Was war und sein wird?
Nun, wer weiß das schon? -
Man weiß doch
nicht einmal, was ist.
Man schleicht
der Redlichkeit davon.
Man phantasiert,
man quatscht und irrt.
Man lässt sich gehen
- ist doch knapp die Frist -
Und legt sich aus,
indem man Unsinn girrt …
Um sich mit Pseudo-Halten
zu versehen.
Es steckt nun mal unabänderlich drin (2683)64
Da kannst du sagen,
was du willst;
trotz der verlognen
Gleichheitstyrannei:
Du gilst als Niete,
wenn du unten bist
und Zeug nur
von Discountern frisst.
Doch würdest,
wärst du selber oben,
du auch doch
deine Arroganz austoben,
genauso deine Kälte
zeigen: verachten
ohne jede Güte.
Ein Erbe der Primaten-Horde,
wie Greifhand, Machtsucht,
Feindschaft, Hinterlist …
Nicht selten gierig auch
auf Artgenossen-Morde.
Doch stets auch
vor sich selber auf der Flucht:
Weil’s einfach
nicht zu meistern ist …
Dies Dasein:
Trieb-, Bedürfnis-Schrei.
Ganz seltner Abend (2684)65
Zuweilen hebt sich mal
ein Abend raus.
Und dieser heute
ist so einer.
Trotz gleichen Tags
von Man-Terror bis Staus,
fiel er sofort
ein Quentchen feiner aus
als die gewöhnlichen
das tun:
Verteilte Stillen
als geschulte Wachen,
befahl entschlossen dann,
mich hier und nun
entschieden
von mir selber
loszumachen.
Was soll's? (2685)66
Was soll’s? Ich trinke noch ein Glas.
Obwohl’s mir schaden wird. Das stimmt.
Indes ich frage nicht, warum’s nicht tun?
Wenn mich doch längst Verfall anglimmt,
bedeutet mir: Du wirst bald ichstumm ruh’n,
entronnen dann dem Wie und Was
das Zwists, der Lügen und des Grolls …
der miesen Niedrigkeiten ohne Geistes-Stolz.
Existenzielle Ausgesetztheit (2686)67
Nicht religiös
und nicht politisch,
nicht axiologisch
auch gebunden,
bin ich verpflichtet
Formeln und Neuronen,
Gesetzlichkeit,
exakt und analytisch,
der Macht der Stoffe
abgeschunden.
Aus Not.
Aus Neugier.
Nach Schablonen.
Beobachtungen und Wertungen (2687)68
Immer mehr,
die aus dem Ruder laufen,
Tabletten nehmen,
Drogen,
Illusionen kaufen,
ein Leben auszuhalten,
das vereinzelt,
oft verängstigt;
zumal ganz deutlich
drauf verweist,
dass man sich selber
nicht mehr steuern kann,
in Anonym-Gewalten
ist verwaist,
wird so verbogen …
Bis man selbst sich
deutungslos entgleist.
Existenzstrategie (2688)69
Ich mach mir
manche Illusionen;
doch weiß ich
welche und warum …
Zu schützen
meine Psychen-Zonen,
mich nicht
zu machen dumm …
Mit Tugendidealen,
Weltanschauungslügen …
Geht’s faktisch doch
um Macht und Zahlen ….
Und darum, selbst sich,
andre zu betrügen …
Und überhaupt um
Ichsuchtzwang-Randalen …
In dieser Farce
von Teilchen-Klonen,
was Sinn anlangt,
doch völlig stumm.
Sonett für Platon von Athen (52/2689)/Für Verehrte
Wir werden immer in der Höhle sitzen
und immer nur auf Schatten sehen.
Uns werden immer scharfe Fesseln ritzen
und sie um Hände wie um Seelen drehen.
Wir werden ewig Illusionen stützen,
uns selbst verkennend so zugrunde gehen.
In jeder Stunde Niedertracht ausschwitzen:
Ernst und Verfeinerung entgegenstehen.
Wir können gar nicht anders, eingebogen
gesellschaftlich-sozialer Despotie.
Auch außerstande, frei uns zu entscheiden.
Ein Leben lang von Du und Wir gezogen.
Von Eros, Glückssucht und der Idiotie,
wir könnten auch nur einmal selbst uns meiden.
Variante (Sonett für Platon von Athen), Zeilen 12-14:
Ein Leben lang von Du und Wir gezogen.
Von Formeln, Apparaten - Der Magie,
sich als Entlastungshunger selbst zu meiden.
Platons Höhlengleichnis, Buch VII, Staat (Politeia), 514a – 517e
Gelingen (52/2690)71
Gelingen?
Wenn,
dann nur
durch Allabwehr
kommandierter
Illusionen:
Diese nämlich
lasten schwer
auf den
späten Psychen-Zonen.
Spülen sie
mit Ich-Kult zu,
Emotionen,
Waren-Kronen,
um dann nieder
sie zu ringen
zu Erlebnissucht-
Ikonen.
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