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Diese Seite enthält 62 Gedichte (55 Prosa-, Reim-Gedichte und 7 Sonette)
Krüppelseelchen (2558)1
Mein Gott, was wabert da nicht durch die Innenwelten,
durch repressive Toleranz dann als Person vereitelt
in diesem Wirrwarr aggressiver Hysterie;
zumal von Stumpfsinn man wird heimgesucht
riskierend sich als Standard-Krüppelseelchen:
neurotisch, hochempfindlich, fühllos, leer.
Vielleich gerade so dann einer Welt gewachsen:
- akultureller, machtfundiert erlösungstrunkner -
Das Glück des Selbstverlustes selig kostend.
Grabwärts (2559)2
Dass ich nicht sehr viel Zeit mehr habe,
dies Geistprojekt hier zu beenden,
das spüre ich: ich trabe
längst um recht späte Tages-Wenden.
Mich holt das Los der Physis ein:
Jetzt immer schneller zu verfallen.
Es geht zu Ende, dies mein Sein.
Dies Sein, an das wir alle uns so hilflos krallen.
Das ist nun mal genetisch so verfügt.
Da muss sich niemand schämen,
wenn’s ihm in keinem Augenblick genügt,
sein Lebensdurst sogar den Tod will lähmen.
Der Standardkunde/Idealtypisch gefasst (2560)3
Er gibt sich ab mit etwas,
was er gar nicht kennt:
Sich selbst. Ist Leib sich,
inszeniertes Mittel,
prekäre Deutungslosigkeit.
In Emotionen wabernd,
ihm medial vermittelt.
Dem großen Spaß verreizt,
erlebend sich dann zu ergeben
Verdinglichung als Dauersause
totalitärer Selbstverlustes.
Auf dich wartend - für immer/Für … (2561)4
Ich habe keinen Wunsch an dich.
Du könntest keinen mehr mir noch erfüllen.
Liegen doch Welten zwischen uns,
die wir uns fremd schon immer waren.
Ich werde trotzdem auf dich warten,
dem Ideal verfallen, das ich von dir schuf,
zumal von Eros’ Nu-Weisheit,
nach dieser süchtig, gern betrogen.
Du, meiner Lebenslügen Traumgeschöpf,
wie schön ist’s, deiner zu gedenken
im Weinrausch manchmal, nachtverwirrt
und faktenflüchtig jene Zeit erinnernd,
da mich dein Körper in Vollendung hob,
Mich gleichsam mystisch-magisch riss
in der Materie gelegne Ur-Sehnsucht:
Sich aufzugeben ihrer Todeslockung.
Zurückhaltung (2562)5
Wie gerne habe ich mich hingegeben
erfundenen Erinnerungen.
Um nach Entlastung von mir selbst zu streben,
mir träumerisch doch immer nur gelungen,
Erträglich in Begriffen und Gedichten,
die diese Welt als solche fassen.
Als die sie selbst sich freilich nie wird lichten:
Sie muss und darf und kann doch nur
als Lüge, Traum und Zwang sich fassen:
Als Staat und Recht und als Kultur,
als Wertgefüge, Ordnung für ein gutes Leben …
Was auch mein Faktensinn will so belassen.
Um nicht als Barbarei sie zu gewichten.
Absage I (2563)6
Du bist, wie ich, doch in dir selbst gefangen,
frönst eben deinen Lebenslügen.
So leben beide wir phantastischen Belangen,
uns Halt und Sinn zu fügen.
Auch Wirren, Kummer, Täuschung zu entgehen,
die so ein Fremder nun mal mit sich bringt.
Doch rinnt auch das in Missverstehen,
das faktisch uns allein gelingt.
Wir sind uns beide nur Konturen
von subjektiven Träumereien.
Unleserlich uns zugewehte Spuren,
Vergeblichkeit und Schweigen uns zu reihen.
Abschied für immer (2564)7
Zu diesem Deutschland will ich gar nicht mehr gehören:
Sind doch Funktionseliten, Volk und Intellektuelle
gar nicht mehr fähig - oder willig - zu begreifen,
dass sie es ruinieren, dieses Land …
Durch Wirklichkeitsverluste, Tugendmasochismus,
durch Machtvergessenheit, Kulturzusammenbrüche,
Politnarzissmus und Gesinnungskorruption …
Durch selbsthasspathologisch-aggressive,
entfesselungsbanale Indolenz …
Primitivismen einer Geistesarmut,
zumal erlösungskonsumistisch unterfüttert …
All das muss unfehlbar die Güter schwächen,
die - klugpragmatisch - mir so teuer sind:
Demokratie und Rechtsstaatsgeltung (vor Moral bewahrt),
mich vor mir selbst zu schützen und den Artgenossen,
die ich als solche sehe, wie an sich wir alle sind:
Gewohnheitstäuscher, Zeitgeistbüttel,
erlebnisintensiv auf Reize aus,
auf Sensationen, Ablenkungseffekte,
Entlastungsillusionen und Umnachtungsdrogen …
Auch zu verdrängen, dass doch jene Güter
zuletzt, wie alles Große, nur von wenigen
zuletzt im Kern begriffen werden können:
Asketisch freien Einsichtsträgern,
die Würde nicht mit Weltanschauungstrance begründen,
bereit sind, auf sich zu verzichten:
auf ihre sowieso doch Sinn enthobne Existenz,
längst Ratio-Opfer: metaphysisch tot.
Als faktisch unwahrscheinliche, nur trugsakrale,
von Wohlstandsdekadenz zuletzt geduldet …
Dir wünschen, Deutschland, will ich zwar das Beste,
doch glaub ich nicht an eine Selbstverfügungskraft,
dich von dir selber noch mal zu erholen …
Identitätslos zeitgeistplump doch ausgepresste,
geschwätzessittlich arrogante Oberflächen-Haft:
Nationsalp inhaltsleerer Mittelmaß-Parolen.
Tiefer Wunsch II (2565)8/Vergleiche (6/337)
Die letzten Jahre halbwegs unbeschadet überstehen:
Investorengünstig organisierter Menschlichkeit entkommen,
der Ausbeutung auch durch Kriminelle,
der fürsorglichen, vor Phrasen triefenden Verhöhnung
durch Politdünkel und Wertschätzungsverlogenheit …
Überhaupt der Tatsache, dass ich, alt, lästig,
nutzlos, überflüssig und zumal
eine verfallshässliche, permanente Mahnung
dem Jugend-, Schönheits- und Körperkult
einer entschämungsinfantilen Gesellschaft bin …
Das ist meine Hoffnung auf dem Weg zum Grab hin.
Was danach sein wird, kann (und muss) mir egal sein,
heimgekehrt sozusagen ins atomare Nichts:
Befreit von mir selbst, den anderen,
dieser öden Ratio-Welt, der es nie gelingen wird,
sich von ihrer Hybris, Barbarei, Machtverworfenheit
und archaisch irrationalen Selbstzerstörungsgier
zu befreien:
Evolutionskatastrophaler Gefangenschaft:
Zu Unschuld und Ausweglosigkeit immer schon verfügt.
Glück - tiefes, weltlos reines (2566)9
Was Glück sei? Nun in Gott versinken,
als Absolutes ihn zu schauen:
Als metaphysisch reines Nichts,
das anzubetteln völlig sinnlos ist …
Sich hinzugeben Einsichtstiefen,
die uns die Große Unschuld zeigen:
Die unsere, dass wir nie halten können,
was doch entgleiten muss, uns selbst zu finden …
Sich zu entrinnen manchmal im Gedicht,
dem Spross der Sprache, Geist verwoben:
Und einer Stille, zu der Ich und Welt
verwahrlosungsaffin umsonst aufschreien …
Sich zu verlieren endlich einem fremden Leib,
erotisch einen zu entreißen
sei’s Du, sei’s Selbst, sei’s Faktenschlingen …
totalitär vereinzelt zu erfahren
Ekstase als dem Tod verwandt.
Die Gnade rechtzeitigen Sterbens (2567)10/Sonett
Ich kann mich freilich nicht dagegen wehren,
dass mich, dies Ich aus Zeit und Angst und Gieren,
die Brüche später Auflösung berühren.
Zuweilen psychophysisch auch verheeren.
Und so mich über das, was kommt, belehren.
Nun ja ich weiß: Zu sein, heißt sich verlieren
und Endlichkeit in Nichts zu überführen.
Hieß immer: Kommandiert sich aufzuzehren.
Doch das ist Chance auch, werde ich doch meiden:
Die Formel-Anomie von Riesenstädten.
Die Kämpfe um Ressourcen: Wasser, Weiden …
Die Flüchtlingsströme weltweit, sich zu retten
ins nächste, dann ins übernächste Leiden.
Um sich dann doch in Staub und Blut zu betten.
Alptraum? Wirklichkeitskonform? (2568)11
Hast du wieder Todessehnsucht, mein Deutschland?
Doch immer gefährdet durch dich selbst:
Durch dieses rätselhaft-maßlos-radikale Ineinanderrinnen
von Barbarei, sittlichen Weltverbesserungsfundamentalismen,
Pleonexie, Stumpfsinn, pathologischer Realitätsverweigerung
und totalitär-ideologischer Innenwelt-Anarchie …
Es scheint so.
Aber du stehst doch längst vor Bedeutungslosigkeit,
kulturellem Niedergang, reizkrass grundgelegten
kollektiv wirkenden Innenweltauflösungserscheinungen …
eben all diesen still sich selbst widerstandslos erduldenden Formen eines marktsphärisch induzierten Entlastungsinfantilismus …
Und der Drache flog dir längst auf die Füße.
Und zerronnen ist definitiv der amerikanische Traum.
Und lügt sich Europa naiv-hilflos durch seine zerfallenden Pseudo-Werte.
Und ist Afrika völlig unfähig, sich selbst zu übernehmen.
Und nehmen Fanatismus, Despotismus und Irrationalismus doch global kontinuierlich wieder zu …
Du faszinierend-abstoßend-verachtungswürdiges Land …
Immer in der Nähe des Lindenbaums dich haltend …
Quälerische Hochkultur einst, stets auf das Absolute gerichtet,
selten auf das Hier und Jetzt …
Letzteres auch heute noch:
Land ohne Selbst, ohne geistige Widerständigkeit,
ja: ohne Behauptungswille …
inszenierungsgierig wabernd, tobend, frömmelnd
und johlend auf den Spuren erlösungsselig enthemmender Emotionsüberschwänge …
Moralstier von sich selbst ergriffen.
Wahrscheinlich unumkehrbar heruntergekommen.
Der Mensch an sich (2569)12
Dass wichtig und bedeutend sei,
was ich hier in Gedichte fasse,
gar diese selbst, das glaub ich eher nicht.
Bedeutend ist die Ich-Schalmei,
die Lust, die volle Kasse …
was sonst zu haben scheint Gewicht:
An Macht, an Geld, Prestigetrug und
an Skrupellosigkeit und Täuschungsvirtuosität.
Der Mensch an sich ist ja ein armer Hund,
sich selbst nicht greifbar: Wirren eingedreht.
Und Lebenslügen, die er dringend braucht,
sein bisschen Dasein zu ertragen,
bevor er wieder Nichts eintaucht …
Doch offen blieben alle Fragen.
So die, die die Gedichte stellen,
da diese Geistgebilde aus den Tiefen,
die einen, Antwort gebend, zugesellen
nur Worten, die vor Nihilismus triefen.
Die Öden trash*-gesteuerter Leerstandsinnerlichkeit (2570)13
Der Mensch ist fort. Was sich da regt,
das ist nur inszenierter Medienflow
von Seelenresten, die kein Inhalt trägt;
da Ausfluss nur von Show,
Effekten, Sensationen, Reizen:
Bewusstseinsschund von Augenblicken,
die Stimmungsorgien drastisch anzuheizen,
sich marktpathetisch ichgeil zu berücken.
Die innre Leere gilt’s zu überfluten
mit außen abgegriffnen Wogen
von kollektiven Schein-Entlastungs-Knuten:
Verspaßungsdeklassierung ausgesogen.
*trash engl.: Schund
Erinnerungen an Woodstock (15. bis 17. August 1968
im Staat New York)/Sonett (2571)14
Wozu noch mühsam selbst sich sprachlich lesen?
Wenn eine Wirklichkeit ist gar nicht mehr vorhanden,
abstrakt verflüchtigt Innenweltsynthesen,
die Reiz-, Gefühls- und Werte-Trance verbanden:
Parolen, Propaganda, Sinnprothesen,
die kollektiv sich schon in Woodstock fanden:
Sich sex- und drogen-magisch aufzulösen
und psychisch utopistisch zu gewanden.
Von Liebe, Frieden, Freiheit dumpf umflossen
die, technisch-wissenschaftlich untermauert
(es gab die Pille und die E-Gitarren),
verdeckten, dass sich da nur selbst genossen
Subjekte, pseudokreativ umschauert,
sich Kunden-Lebenslügen einzuscharren.
Erinnerungen an Woodstock/Variante I -
Gegenwart: Progressives Sichselbstentgleiten (2572)15
Wozu noch mühsam selbst sich lesen?
Ist eine Wirklichkeit doch fort:
Die spaßdiktierten Emotionen flößen
Erlebnisfetzen ohne Einsichtshort.
Und das ist nicht mehr aufzuhalten:
Zu eng liegt an das Marktkorsett.
Es zwingt, sich hedonistisch abzuspalten
von seinem Autodestruktions-Roulette.
Man amüsiert sich, betet an sein Ich.
treibt hoch so seine Traumweltquoten,
erlebt sich spracharm stumm für sich
im Einfalts-Zug von Propagandaboten.
Erinnerungen an Woodstock/Variante II -
Gegenwart: Systembedingte Realitätsverweigerung (2573)16
Die große Sause kollabiert.
Und mit ihr diese Fortschrittslitanei.
Mit Tugendillusionen reich verziert …
Als ob dies Dasein ohne Klippen sei.
Ist es doch faktisch selbst sich eine:
Sich hochprekär und gramreich hin gesät …
Verfahren, Formel, ein Diktat der Scheine,
sich selbst entglitten. Trauerspät.
Wer spürte nicht die Aggressionen,
Entlastungszwänge mittels Spaßdruckräuschen,
der Anomie Vergossungszonen,
das Stoßgebet, sich selbst zu täuschen?
Jenseits unseres Daseinslaufes (51/2574)17
Ich verlange zu viel.
Und weiß es im Grunde:
Als ob ich, die Wunde,
begriffe dies Spiel
von Gleichung und Zufall,
von Fakt und Fiktion,
von sinnlosem Urknall
und Teilchen-Proton …
Indes ich begreif’s nicht.
Es ist ja auch schwer,
zu ertragen,
dass nichts sticht,
dass alles ist leer,
ist vergeblich am Ende -
sinnlose Pracht:
Galaxien-Gelände
grandios stiller Schlacht.
Niemand sei getadelt freilich …/
Für Immanuel Kant (2575)18
Wenn man sich selbst nur halbwegs kennt,
erahnt die unabweisbar dunklen Zwänge,
die, anonym auch, unser Dasein steuern,
es nehmen uns als ein uns selbst verfügtes,
Bewussteinsgram, von Sternenstaub ermöglicht …
Verfall und Zeit und Wirrnis ausgesetzt,
vielleicht auch schon durch Herkunftslast,
die hilflos macht, gar so sehr niederdrückt,
dass man gesellschaftlich-sozial versagt,
besonders dann in schlechter Zeiten Lagen,
wie sie, sei es politisch, sei es wirtschaftlich,
doch kaum zu meiden sind, wenn man bedenkt,
dass ausgesetzt wir uns sind und der Drangsal andrer,
tatsächlich Schicksal als Bedarfsmonaden,
an uns allein gebunden: ausweglos allein …
Begreift man erst, wie wir als Wohlstandsstolze
narzisstisch tugendhypertroph uns selbst verkennen,
uns arrogant und zügellos und einsichtsarm
als Würde-Hort und -Halt und -Heimat loben,
sie, diese Würde, indes aggressiv zertreten.
Gegeben ist es doch nur letztlich wenigen,
sich selbst zu überwinden, um vor sich gestellt,
sich zu begreifen als getriebne Eitelkeit,
zu Selbstdistanz und zu Verzichten gar nicht fähig,
sich über sich als Zufallsspiel hinaus zu reißen.
Dorfschatten/Für B. H. (2576)19
48,9 kg wiege er noch, sei völlig geschwächt,
müsse ständig im Rollstuhl sitzen,
vegetiere einfach nur noch vor sich hin …
erzählte er mir gerade am Telefon.
Trotz seines Zustandes
und seiner mehr als 80 Lebensjahre,
geistig ungetrübt.
Mit ihm wird der letzte gehen
all dieser mir bis heute so urvertrauten Gestalten
aus der Straße des Heimatdorfes …
wird endgültig versinken
der letzte Rest von lebendiger Wirklichkeit
aus meiner Kindheit …
Mach’s gut, B.
Ich wünsche dir
einen schönen Tod.
Thanatos* (2577)20
Mein Gott, wie hilflos man doch ist,
wenn man begreifen muss,
dass Thanatos sich einem nähert:
Nie versteckt er sich.
Nie verfehlt er sein Ziel.
Nie macht er Umstände.
Und immer ist er erbarmungslos
und absolut gerecht:
Alle trifft er gleichermaßen.
Befreit letztlich aber auch alle
- und das sei nicht verschwiegen -
von dieser zu allen Zeiten
so ausnahmslos tückischen,
oft barbarischen, zutiefst doch fremden
und letztlich absurd-rätselhaften Welt,
die als solche zu ändern,
uns niemals gelingen wird.
*Thanatos griech: Tod
Spätzeit-Dasein/Sonett (2578)21
Was könnten andere mir denn noch sagen?
Wie ich gefangen in Bewusstseinszwängen:
In außenprovozierten Sollens-Mengen
und Weltanschauungsfetzen, die versagen
in einer Welt, die niemand mehr kann tragen:
Verdinglichungs- und Selbstverlust-Gemenge,
auf dass als Rauschverlies sie Psychen dränge,
Effekte sich und Reize zu erjagen.
Indes ich sehe sie als Unschuldsspiel:
Als agonales Nihilismus-Rennen,
das sich ins Ungefähre hin entfaltet …
Als krude Daseinssause ohne Ziel …
sich in Bedürfnisdrangsal zu verbrennen.
Durch atomaren Zufall ausgestaltet.
Monomane Vergangenheitsvergegenwärtigung (2579)22
Weiß ja im Grunde ganz genau, dass ich ein besseres,
ein weitaus besseres, Leben gehabt haben werde
als meine Vorfahren: Tagelöhner, Kleinbauern, Arbeiter …
Arme Leute - ohne Möglichkeit ihrem Klassenschicksal
zu entrinnen ...
Die jungen Männer ab 1939 Kriegsmaterial.
Mein Onkel Alfred z. B. fiel in der Schlacht am Kursker Bogen, schon im August 1942.
Mein Vater (Angehöriger der Heeresgruppe Mitte)
wurde 1944 gefangen und verbrachte dann
5 Jahre in einem sibirischen Straflager.
1949 kam er heim: unterernährt, traumatisiert und -
wie sich zeigen sollte unfähig, je wieder ein halbwegs normales Leben zu führen:
Und die Frauen?
Meine Großmutter väterlicherseits brachte 13 Kinder zur Welt,
kämpfte - woher sie die Kraft nahm, weiß Gott - jeden Tag darum, alle Mäuler zu stopfen …
Während ihr Mann stockbetrunken im Feld schlief.
Oft. Viel zu oft.
Meine Mutter, herzensgut,
eine radikal schollenmaterialistische Kleinbauerntochter,
geplagt indes von Angstanfällen und Abstiegsalpträumen,
heimgesucht zumal auch von der Furcht,
einmal allein dazustehen, mit mir, dem 2-Jährigen
(1953 war mein Vater, Hilfsarbeiter in der BASF, von einem meterhohen Gerüst gefallen;
schwerstverletzt; es war unklar, ob er je wieder
würde arbeiten können).
So ist es. Privilegiert werde ich gewesen sein.
Mein Leben lang.
Und das verdanke ich auch
den machtpolitischen Kalkülen der Amerikaner
(Marshall-Plan, Luftbrücke über Berlin - alles im Dienst des amerikanischen Antikommunismus,
sollte die BRD doch als Bollwerk gegen die Sowjetunion dienen)
vor allem aber dem deutschen Volk,
seiner kapitalistischen Marktwirtschaft
(der ökonomische Aufstieg nach 1949 war seine Leistung …
Ein Wunder in der Tat).
Denke oft an diese Dinge, ohne dass ich hätte je erklären können, warum ausgerechnet mir,
trotz aller Gram-, Einsamkeits- und Sinnlosigkeits-Bedrückungen, das Höchste zuteilwurde,
was eine menschliche Existenz zu bieten hat:
Ausreichend Mittel zum physischen Überleben
(gesichertes Auskommen),
Gesundheit (vor allem auch psychische Robustheit),
politische Freiheit, Rechtssicherheit …
Und: Geist, diese unüberbietbare Exzellenz,
die egal welches, wie immer auch bedingtes,
sei’s armseliges, sei’s privilegiertes Dasein,
definitiv über alles andere hinaushebt.
Wie gesagt: Ich werde ein besseres,
ein weitaus besseres, Leben gehabt haben
als meine Vorfahren.
So gewürfelt unverdient indes, wie ihres:
Ein an sich sinnloses, dauerprekäres,
durch und durch in der Großen Irrationalität
und kommandierenden Amoralität
des Menschlichen verwurzeltes Leben …
In meinem Fall allerdings ein stundenweise vollendetes,
weil weltoffen begnadet,
es mir ungeschminkt faktenredlich auszudeuten:
Es geistig zu lesen.
Prosafetzen (178): Du-Sucht (2580)23
Verwahrlosungsträchtig
wie dieses
moderne Dasein selbst,
wirft mich meine
maßlose Getriebenheit
in die Arme eines gängigen
Selbstglorifizierungsnarzissmus,
mich selbst zu erhöhen
in einem seinerseits
wie ich verrohten
Standard-Du.
Bilanzgedicht (8) (2581)24
War immer Schweigen, Einsamkeit und Rand.
Voll Misstraun, weil erfahrungsreich.
Ich weiß, dass ohne Band
wir gieren seelenbleich.
Zumal als Spätzeitaufgewühlte:
Verbraucher fader Innenwelten.
Erlebnisunterspülte,
die in der Regel nur sich selbst was gelten.
Indes das täuscht. Wir haben uns verloren.
Wenn eines gilt, dann dies:
Dass nichts wir sind als Marktfaktoren
in diesem gottverlassnen Spaßverlies.
Was ein erfülltes Leben sei (2582)25
Nun: Das genaue Gegenteil dessen,
was gemeinhin als unhinterfragbar erstrebenswert gilt -
und stündlich auszuleben versucht wird:
Ich-Verheiligung, Selbstinszenierungen,
Belämmerungshedonismus, Daueremotionalisierung,
vor allem Realitätsverweigerung als
Entlastung von sich selbst, den anderen,
den gesellschaftlichen Gegebenheiten,
der modernen Welt überhaupt -
Zumal mit Hilfe der Technik und der Naturwissenschaften
als Garanten der Lebenserleichterungs- und Fortschritts-Phantasmagorien …
Behelfsexistieren eben
in einer intellektuell, emotional und kulturell
nicht mehr real greifbaren Propaganda-, Medien-, Perspektiven- und Bilder-Schnuppen-Heimsuchungsorgie als scheinbar strukturlose Bewusstseinsbefindlichkeit:
Und die lässt sich nur noch indirekt:
enigmatisch-erregungsintensiv verarbeiten:
Als Reiz, Effekt, Sensation,
Illusion, Leerformel und Erlebnisformalismus.
Kurzum: Ein erfülltes Leben beruht
auf permanenter geistiger Selbstformung,
auf der Fähigkeit, sich seiner - in wacher Distanz zu sich -
selbst zu vergewissern, d. h. der eigenen Nichtigkeit,
Unfertigkeit, Selbst-, Welt- und Zeit-Ausgesetztheit
und einer prekär brüchigen, widersprüchlichen
und doch vollständig determinierten
Persönlichkeitsschimäre auf Abruf …
beruht in unseren Tagen letztlich
auf der seltenen Gnade einer rational
nicht ansatzweise erklärbaren generellen Bedürfnislosigkeit,
die man, als der, der man ist, so ist,
dass man sie auch niemals würde wollen
noch erlernen
noch trainieren noch auch unterdrücken oder abweisen können …
Wie alles menschlich Edle und Große
doch zufallsbedingt, verdienstfrei, unbekümmert
um unsere kleinlichen Duckmäusereien,
Neidanfälle, schäbigen Empfindlichkeiten
und sozialtheologisch-narzisstischen Tugendselbstbeweihräucherungsonanien …
Tyche-Werk eben,
insofern vollständig gerecht und substanzelitär …
Jeder und jedem, will man sich nicht vor sich selbst schämen, aus tiefstem Herzen aufrichtig zu gönnen.
Prosafetzen (11) (2583)26
Begnüge dich
mit dem Augenblick.
Gibt doch nur er
noch ein Glück,
das sich nicht überdauert
als gespurter Verrat.
Innenweltstabilisierende Vereinnahmung (2584)27
Tennis, Radfahren, Fußball.
Und morgen Formel I.
Dazwischen surrealer
Reklameaktionismus.
Seit acht Stunden
geht das jetzt schon so.
Subtilere
Vereinnahmung
war nie.
Vollendungsstill (2585)28
Privat hab ich gelebt,
wie es mir vorgeschrieben war
(genetisch,
kulturell,
historisch
und sozial) …
Man kann ja nicht - in keiner Stunde -
sich auch nur ansatzweise selbst bestimmen,
als wer und was man existieren will …
Doch hat man Glück,
ist man sich selber keine Qual,
darf man sei’s Einsichtsrausch,
sei’s Geist,
sei’s Eros-Rausch,
sei’s Kunst verglimmen …
trotz Einsamkeit,
Verfall und Zeit
zuweilen gar vollendungsstill.
Ein seltenes Glück (2586)29
Übersetze gerade das Buch ‚Hiob’ aus dem Althebräischen.
Völlig unfähig und vor allem auch unwillig,
mich auch nur einen Augenblick der Schönheit -
einmal abgesehen von Hiobs unerschütterlichem Gottvertrauen,
das ich bewundere -
der althebräischen Quadratschrift zu entziehen,
einer Schönheit,
die mich für Stunden völlig vergessen lässt
die mannigfaltigen Formen menschlicher Erbärmlichkeit,
Verlogenheit und gottvergessener Banalität,
wie sie den Alltag der Individuen der westlichen Konsumdiktaturen doch lückenlos-totalitär beherrschen …
Ihrer, dieser Quadratschrift, ansichtig, bin ich zuhause,
da, wo ich hingehöre:
Dahin, wo Schönheit, Selbstmächtigkeit, Urvertrauen, Einsicht, Kunst und Geist einen halten,
zu sich selbst kommen lassen, tragen
und als objektive Seins-Nichtigkeit
aus dem Nihilismus der Ratio entkommen lassen …
Und denke dabei immer auch an Sokrates,
der zu Phaidros sagt - und das gilt zeitlos:
„Denn die Schönheit, mein Phaidros, nur sie,
ist liebenswürdig und sichtbar zugleich, sie ist,
merke das wohl, die einzige Form des Geistigen,
welche wir sinnlich empfangen,
sinnlich ertragen können …
So ist die Schönheit der Weg des Fühlenden zum Geiste -
nur der Weg, ein Mittel nur, kleiner Phaidros.“
Und das, das halte auch ich selbst für richtig …
ganz unbeirrbar …
Bis zum bitteren Ende.
Das Größte (2587)30
Das ist das Größte:
Denken, Schaffen …
Dem Geistigen
den Vorzug geben.
Und nicht
als Exemplar ausleben
Fiktionen
sich entlaufner Affen.
Abschiede (II): Der von den westlichen Konsumdiktaturen (2588)31
Ich sag ja nicht, ihr hättet nichts geleistet.
Im Gegenteil, ihr habt befriedet diese Wesensbarbarei:
Die Lust zu unterwerfen, auszubeuten,
zu überragen, zu erniedrigen …
All das, was man so braucht, sich als erhöht zu fühlen:
Als Sieger und Klamauk-Verschnitt.
Obwohl doch menschlich arm und seelisch-geistig leer …
Ihr habt verbraucht, zerstört, verwahrlost, deklassiert:
Ihr werdet untergehen müssen …
Grab der Art vielleicht …
Abschiede (III): Der von mir selbst (2589)32
Dass schwer er mir dann fiele,
wenn’s zu Ende geht,
nun ja, das glaub ich eher nicht.
Ich wusste immer nämlich,
wer und was ich bin und war:
Gesellschaftsabklatsch, Marktmonade
in einem Dasein ohne Ziel und Sinn.
Den andern fremd. Noch in mir selbst allein.
Evolutionsdrangsal, sich unverfügt.
Nicht mitteilbar, sich selber unverständlich:
Ein Zufallswurf, irrational geprägt sich reckend
nach Sehnsucht, Hoffnung, Halt und Glück.
Umsonst. Was immer auch genau ich wusste.
Auch dass da niemand schuld dran sei:
Da schauert jeder sich durch seine Zeit:
Die Welt und sich zu tragen
völlig außerstande.
Abschiede (IV): Der von den Eltern (2590)33
Zuviel ist da geschwiegen worden:
Aus Scham, aus Angst vor Selbstentlarvung,
aus Indolenz und Hoffnungslosigkeit …
Und doch: Die Krumen spalten eurer Grabessande,
das möcht ich wohl, hinabzusteigen
in grauer Erde stilles Nirgends,
um an zu stammeln, was von euch noch blieb …
Wenn’s hochkommt eine paar Knochenreste,
um denen immerhin dann leis zu sagen:
Was habt doch Gutes ihr an mir getan,
geliebte Eltern, sinnlos stumm von mir gegrüßt
in später Jahre schwärendem Gedenken.
Abschiede (V): Der definitive von ... (2591)34
Warst nun mal, sicher ungewollt, nur Dreck.
Ich meine dieser menschliche,
der nie sich seiner selbst bewusst,
den andern Last ist, Gram und Bürde.
Indes auch Dreck kann Würde haben,
sich selbst negieren und entlasten,
indem er nu-luzide das begreift:
Dass jene er gewänne,
wenn er sich entschlösse,
sich selber zu entsorgen
in sein zweites Nichts …
Aus dem ihm Rückkehr
nie mehr werden kann.
Abschiede (VI)/Der von einer geistigen Welt (2592)35
Es wird - jedenfalls für mich - immer schwieriger,
Gedichte zu schreiben:
Die heutige ratiofundierte Welt,
als rein ökonomisch-naturwissenschaftlich-technisch bestimmte,
schuf eine sekundäre Kunst-Wirklichkeit
ohne wirkmächtigen metaphysischen,
ethischen und kulturellen Überbau …
Der wird - z. B. als tugendmessianischer Kulturgüterkonsum
oder narzisstische Prestige-Schauspielerei usw. -
zwar öffentlichkeitswirksam als tatsächlich gegebener suggeriert,
ist aber nichts weiter als Selbstglorifizierungs-,
Ablenkungs- und Entlastungs-Beiwerk
eines panhedonistischen Wohllebens-Nihilismus,
den zu forcieren, zu verfeinern und zu vervollkommnen
die Funktionseliten gezwungen sind:
Er sichert die physische Existenz, befriedet, steuert Innenwelten, bietet Selbstwert-Illusionen,
Eskapismus-Drogen, Behelfs-Glücke …
Medial vermittelte Identifikationsanreize,
die es den Individuen erlauben, sich selbst
als Träger mehrerer Identitäten, wie sie meinen:
beliebig, auszuprobieren:
Sich, sich dabei als sich selbst seiend,
zu erleben, zu inszenieren oder, genauer,
die außenprovozierten Selbstinszenierungen zu inszenieren,
ganz genau: Den Zerfall der Einheit der Person zu vollenden,
dem Subjekt - jedenfalls nach Kant - von Vernunft und Autonomie, der Trägerin von Würde als Wert ohne Preis.
Weshalb ich mich immer auch gefragt habe,
an wen sich eigentlich meine Gedichte wenden könnten,
richten sollten …
Der traditionelle (der vorkapitalistische,
nicht aufklärungsgehemmte) Mensch ist fort:
Der Mensch der hochkulturellen Innenweltkonditionierung,
der metaphysisch naive, der tragisch-widersprüchliche Mensch,
der ideologisch verführbare,
der sozial dauergefährdete, innenweltbrüchige, unterdrückte, verachtete, standesgebundene,
zu Gott aufschreiende gläubige Mensch,
der bescheidene, die Welt als Last und Aufgabe hinnehmende, wert-zuversichtliche Mensch …
An seine Stelle trat - niemand konnte das verhindern,
niemand auch vorhersehen,
niemand auch kann es noch ändern -
der existenziell desorientierte,
sich permanent optimierende,
erlebnisgierige,
gehorsam auf sich selbst insistierende
Spaßprofi als gelernter Reizverwerter:
ohne seine Trancewelten unglücklich,
ängstlich, zukunftsunsicher …
Der sich selbst gefährdende Mensch ohne geistige Stützen.
Und der liest keine Gedichte.
Wofür auch?
Prosafetzen (24) (2593)36
Geh jetzt lieber … Bevor uns dieser
zeitgeistplumpe Intellektualismus
in Gespräche verwickelt,
die uns das bisschen Glück
wieder nehmen,
das wir gerade
unseren Körpern ab raubten:
Dieses gesollte Glück
sich fremder Monaden,
so zerbrechlich vor ihrer
Entfremdungs-Verfügtheit.
Totalitär erdende Heteronomie (2594)37
Dass je ich frei gewesen wäre,
kann ich nicht behaupten.
Stets nämlich war ich ausgesetzt
zunächst der radikalen Despotie,
die so ein Körperdasein mit sich bringt:
Genomdruck und Bedürftigkeit verfügt,
das heißt: Ich musste Geld verdienen,
am Markt mit andern konkurrieren
und meine Arbeitskraft verkaufen,
Ökonomie und Technik unterworfen:
Mithin gesellschaftlich-sozialen Lagen,
die ich nur vorfand, nie bestimmte,
halt, wie sie warn, bejahen musste …
Dann lasten auch die Herkunftszwänge,
die wesentlich bestimmen, wie man fühlt,
die Welt sieht, sie sich auszulegen
nach mir nur selbst gegebnen Perspektiven …
Irrational doch tief im eignen Kern.
Dass ich je frei gewesen wäre,
kann ich nicht behaupten.
War vielmehr immer nur ein Büttel,
sei’s meiner selbst,
sei es der Zeitgeist-Moden,
sei es der Propaganda, der Geschichte,
sei es der Leerformel-,
sei es der Tugend-Schlieren …
*
Frei war ich nie. Trotz Intellekt,
Vernunft und Geistbegabung. Nie.
Denn selbst der Geist ist Leidenschaft,
ist Machtbegehren noch als Kunstsubjekt,
ist immer noch die Melodie,
die einen hält in atomarer Haft:
Materieller Endlichkeit erweckt.
*
So ist die Freiheit eins von jenen Dingen,
die allenfalls man kann erträumen:
Durch sich allein sich zu gelingen
in Ich- und Weltversäumen.
Man ginge indes frei zugrunde,
in leerer Sehnsucht von sich selbst verlassen.
Gefangner einer Emotionen-Schrunde
aus unbekannten Psychen-Gassen.
Verdinglichungsmomente/Sonett (2595)38
Verwiesen auf Erlösungsangebote
und dauerinszenierte Rituale,
Realitätsausblendung und Affekte,
Entlastungssensationen: Reizzufuhren,
soll man vergessen, dass man ohne Lote
durch eine datentechnologisch schale,
zumal von Propaganda zugedeckte
Ersatzwelt taumelt ohne Sinnkonturen.
Und der kann niemand mehr sich doch entziehen,
darf nur entmündigt noch von Selbstmacht träumen,
von Spaß, von Glück, von Selbstbestimmungswerten.
Dabei sich psychisch nur noch ausgeliehen,
um auf Kommando selber sich zu räumen,
so sekundär entfesselt, Ding zu werden.
Anonymer Prozess (2596)39
Ich werde, wie gewohnt,
auch die verbliebnen Jahre
(wie viele, weiß ich nicht;
schon gar nicht, ob auch
halbwegs noch gesund)
mir primär geistbezogen
zu erfüllen suchen: dichtend.
Ein Tun, das längst verkam
zu elitärer Weltabwehr,
grad deshalb freilich letzte
Einsichtschance auch ist
in das, was längst geschah:
Dass diese Art verspielte
die Selbstverfügungsmacht,
als sie auf Eigentum, auf Recht,
den Logos setzte:
Auf Fortschritt, Stände,
Klassen, Hochkultur,
die letztlich gleiten muss
in Gossentändelei, in faktisch
abstraktionsgenial perfekte,
gewissenlose Autodestruktion.
Eine Aufklärungs-Illusion (2597)40
Dass alles machbar sei,
ist eine Illusion
der gleichungs- und
verfahrensintensiven
und ökonomisch kruden
Fortschrittsreligion.
Und endet jetzt
im faden Einerlei
des aggressiven
Tugendguten.
Mit seinem Anspruch
auf Verheiligung
der Subjektivität:
Der Hülle
stiller Partizipation
an Seelen- und
Gewissens-Tod,
an innrer Leere,
repressiver Toleranz …
Entpflichtungs-Fülle
krasser Ignoranz …
Und einer Würde
ohne Fakten-Grund.
Sich selbst anheimgefallen (2598)41
So’n bisschen Mensch
in seiner Nichtigkeit,
die er um jeden Preis
verdrängen muss …
Ich seh’s doch, greif es,
kann’s auch legen aus …
Und schweige doch,
weil ich es kenne:
Da fällt sich
einer selbst anheim,
versinkt in Scham,
in Mittellosigkeit …
Sich ausgeliefert,
anonym zu scheitern.
Chancenlos (2599)42
Uns vor uns selber zu bewahren,
das ist uns nicht gegeben.
Wir werden bleiben, was wir immer waren:
Natur Entfremdete: Und so sich Rätsel-Streben.
Orientierungslose Autonome,
dem Wissen um ihr Ende ausgesetzt,
sich täuschende Sozialatome,
von Angst, Bedürftigkeit und Lust gehetzt.
Wir werden niemals überwinden,
die Widersprüche, die uns prägen,
wie Gier, Geist, Ratio … die uns niemals binden,
die Wesensbarbareien abzulegen.
Wie etwa Machtsucht und korrupte Amoral,
Gewissenlosigkeit, Gewaltsucht, Neid.
Pleonexie auch… Mittel gegen diese Qual:
Die lebenslange Einsamkeit.
Offen gestanden (2600)43
Ich kann’s mir leisten,
Tacheles zu reden.
Ich muss mich nicht belügen.
Auch deshalb, weil sehr früh
mich schon umkreisten,
die Fakten, die was andres beten
als Märchen aus den Gotteskrügen.
Ich musste fertig werden
eben ganz allein
mit mir, dem adipösen Unikum,
mir selber Härte, Trost
und Mitleid sein.
Ich nahm das niemand krumm.
So sage ich auch jetzt ganz offen,
dass euer Schicksal
mir ganz schnuppe ist.
Ihr müsst allein jetzt
für euch hoffen,
dass es für euch nicht
wird die letzte Frist
Und wenn, nun ja
wär’s mir egal:
Euch nachzuweinen,
wäre dumm.
Prosafetzen 28 (2601)44
Ganz allein stehe ich.
Wie gegen euch,
so gegen mich.
Einem Entwirklichungszwang
ausgeliefert,
der uns, widerstandsunfähig,
nur scheinbar noch
auf uns selbst zurückwirft.
Offen gestanden (2602)45/Für homo sapiens bambergensis
Indes du, Zarte,
bist mir nicht egal.
Zumal ich dir
noch etwas schuldig bin:
Trug mich hinweg doch
über dieses Jammertal
dein Leib,
der Glücke bündeln konnte.
Und das hält an,
gibt ein mir Daseins-Sinn
bis einst Verfall mich reißen wird
hinweg vom Ich ...
zugleich dann auch
von aller Daseinsqual.
Anonyme Depersonalisation/Sonett (2603)46
Die Welt von heute muss ich so verstehen:
Als zwingend sinnlos, wenn auch voller Mythen
von Fortschritt, Machbarkeit und Perfektion …
Wenn ich sie ungeschönt im Kern betrachte.
Zumal sie’s schafft, die Menschen zu versehen
mit Ablenkungen und Entlastungs-Riten
und Propagandatricks im Schmeichelton …
verbindlich, täuschungsvirtuos und sachte.
Auch sicherlich, um möglichst zu vermeiden,
dass Kunden ihren Niedergang erahnen.
Ja mehr noch: Dass sie muss sich doch entgleiten
als Wurzel faktenfremder Daseinsbahnen …
Dass reizsiech glücksentwöhnte Ichsucht-Heiden
Verblendung mit Bedeutung sich verzahnen.
Was wäre, wenn (2604)47
Man denkt sich oft,
was wäre wenn
man anders,
nicht so realistisch wäre;
nicht so zerrissen,
dass man gar nichts hofft,
nichts gibt auf Würde,
Freiheit, Ehre …
Zumal das Volk weiß
seiner Dekadenz beflissen,
sich selbst - wie stets -
die größte Hürde,
erpicht auf Selbstbetrug,
auf Schein,
Erlebnis-Leere.
Und diesen typisch
deutschen Zug:
Zu frönen tief verlogener
Wert-Misere,
auf dass man fühle
seine Schicksals-Schwere.
Das Glück, sich selbst los zu sein (2605)48
Fakt ist,
ist man sich
selber los,
genießt man Glück,
fühlt rigoros
Besessenheit
von einer Sache …
die einen steuert,
hält, macht groß,
vergessen einen lässt
auch jedes Leid …
und überhaupt dann
diese Daseins-Lache:
Dies so erbärmlich
miese Stück.
Der Affe und seine Geistes-Illusionen/Sonett (2606)49
Mein Hirn hat mir ne eigne Welt geschaffen;
genetisch ihm vor allem zugemessen.
In der ich lesen darf mir meine Messen,
geeignet, aufzurichten mich, den Affen
mit Geistes-Illusionen, die mich raffen
aus allen diktatorischen Exzessen,
stets inhärierend doch Normal-Anlässen
als Lebensmeisterungs-, kurz: Daseins-Waffen.
Doch bleibe ich Materie-Gefüge,
was mir egal ist dann in jenen Stunden,
in denen ich dem Geist nur angehöre:
Von Sinnbedürfnis frei, von Trug und Lüge;
ja: überhaupt von allen diesen Wunden,
notwendig doch in unsrer Seins-Misere.
Scheint so (2607)50
Dass man für sich selbst
nichts kann,
das scheint
wirklich so zu sein.
Auch,
dass man ist ganz allein,
ausgesetzt
nur eignem Bann.
Was nicht heißt,
man träume sich,
irgend Trancen nur
erlebend;
nur dass man
dem eignen Ich,
ihm als Körperding
verbebend,
lebenslang als Knecht.
entgleist.
Bestätigung, dass so nun mal das Leben ist/Sonett (2608)51
War viele Jahre lang ein Angestellter,
bemüht um was heißt: Lebensunterhalt;
zu sichern meine Bio-Subsistenz; .
und so denn abgestrampelt Tag für Tag.
Gekämpft um Räume, Personal und Gelder
im Stadtrat, dem als Bittsteller ich galt.
Den Räten ging’s um ihre Existenz:
Um Einfluss, Geltung, Macht und Ich-Ertrag.
Nicht, dass mich selber überrascht das hätte:
War mir doch klar, dass Menschen Täuscher sind;
nicht sachlich handeln, Sachen gar verraten
für einen bessren Platz in der Stafette:
Primär für den sich loben, ichsuchtblind
in Selbstwertsteigerung verklärt zu baden.
Freitag, 18. Sept. 2015 (2609)52
Am Ende dieses Tages steht es fest:
Es sind dann 36 Jahr Dienst vorbei.
Jetzt bleibt nur noch ein kleiner Rest
von diesem Angestellten-Einerlei
in einem 9-Quadratmeter-Büro
mit Scanner, Drucker und PC.
Was soll’s? Nun ja, es war halt so.
Ich habe mein Geld verdient; das tat nicht weh.
Bedeutendes war nicht zu tun.
Routine eher zu vollziehen.
Was sonst, das mag auf sich beruhn.
Ist längst vergessen; war nur Bio-Glühen.
Affektlagen, Überzeugungen, Mystizismen (2610)53
Ich bin ganz unbedeutend.
Und ich will’s auch sein.
Am Rande leben.
Und das unbehelligt.
Und einst dann umgehn,
will ich auch für mich.
Wär doch Begleitung
nur ein Gräuel mir.
Zu inszeniert zumal
und zu routinemäßig.
Vor allem geistlos,
seelisch allverzwergt.
Heute (2611)54
Es war ein Tag
wie viele
vor ihm schon.
Ereignislos.
Steril.
Routine.
Wozu?
Stabilisierungszwang
und Lohn:
Verlauf sozialer
Alltagsschiene.
Molekül-Monade (2612)55
Ich brauche
keine Selbstreklame.
Ich lebe
ganz für mich.
Ich klopfe Worte ab
und ich besame
Bedeutungsfäulen
meines Standard-Ich.
Mehr gibt es nicht (2613)56
Es war nichts Großes.
Aber immerhin.
Das Eine, Andre
hab ich schon
verstanden.
So etwa,
dass ich
unbedeutend bin
und Resultat
aus vielen
Unbekannten.
Und doch
ein Glückskind
Nu für Nu:
Mit Gott und All
auf Du
und Du.
Absage II (2614)57
Ich mag sie nicht, diese Topmoralisten,
die Hooligans der Tugendszene,
die immer tun, als ob wir gut sein müssten
und paradieren als Gesinnungshähne.
Wir sind nun mal bloß Ichstatisten,
evolutive Phänomene,
die sich in sich - und das aus Zwang - einnisten.
Nicht gut, nicht schlecht - Dass ich auch das erwähne.
Man zeige jenen Faust und Zähne,
wenn sie Idee und Zweck an sich aufrüsten.
So wie wir sind, führt das zur Träne:
Zu Mord und Hybris durch Puristen.
Begriffen I (2615)58
Was denn genau; und warum das?
Nun ja, es ist nicht leicht,
es auszudrücken.
Man kann's nicht sehen
durch ein scharfes Glas,
es ist ein hochabstraktes
Untergrund-Geschehen.
Es tobt sich in den Psychen aus;
es korrumpiert sie gar zuweilen
in einem Dasein,
suchend sich Applaus,
Schein, Inszenierung,
Emotionsgebraus,
um sich als inszeniertes:
sich formeldumpf zu heilen.
Die Individuen?
Oft orientierungslos
und innerlich zerfallen.
So ausgerichtet rigoros
an starkulttypisch
primitivem Lallen:
So wie Lakaien
manchmal tuen groß.
Man labt sich an
Verwahrlosungen,
an Asozialität und
Pöbel-Arroganz;
tatsächlich längst
gezwungen
zu einem Dasein
ohne jeden
Selbstwert-Glanz.
Alles in allem (2616)59
Erledigungszwänge.
Routineterror.
Informationsverarbeitung.
Reizauslese.
Effektkonsum.
Körperoptimierung.
Innenweltjustierung.
Vergnügungshorten.
Geahnter Untergang (2617)60
Weiß auch nicht.
Nur so eine Ahnung:
Herbst des Kapitalismus.
Die Ressourcen aufgebraucht,
riesige Heere von Unproduktiven,
Unfähigen und Überflüssigen,
archaische Anwandlungen von Irrationalität,
Zerstörungswut, Deklassierten-Neid usw..
Ich würde diesen Untergang bedauern,
denn allein der Kapitalismus taugt
als gesellschaftlicher Demiurg
für das Herbeischaffen der Mittel
zur Befriedigung der zellkerncodierten
Erlösungsräusche standardisierter
Diesseitsdurchschnittlichkeit.
Hellsichtheldentum (2618)61
Ich sehe mir beim Untergehen zu.
Wie ich mir Illusion um Illusion abschäle.
Obwohl ich weiß, nicht mal ein Hauch von Du
wird bleiben: Du, das mich mir selbst wegstähle …
beharre ich auf Einsicht und auf Fakten.
Und die ergeben mir ein Armutsbild:
Ein Splitterfeld von isolierten Akten,
wobei ein jeder auch nur Ohnmacht stillt.
Erhasche so mir gängige Phantome.
Und werde mich in jedem selbst doch nur gewahr:
Ein Ich-Schauspieler einer Horde Gnome,
Sozialabstrakta, alles Eignen bar.
Ablesen (2619)62
Man macht viel Aufhebens
um Emotionen,
Beziehungen
und den Unterleib.
Allein schon daran
lässt sich die
kleinkarierte Hysterie
der überhitzten
Pseudo-Sinnlichkeit
einer standardisierten
Bruchexistenz
mühelos ablesen.
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