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Diese Seite enthält 64 Gedichte 

Leib-Verfall (5/273)1

Dass leiblich ich verfalle, spüre ich; 
inzwischen kann ich es gar sehn.
Muss so es ausstehn Tag für Tag:
Als grabwärs strebendes Verwehn: 
Als Altersschicksalsschlag.

Dem zu entrinnen ganz unmöglich ist.
Er ist der Lauf der Dinge.
Man ist ja Leibzermürben, Frist, 
sich Trieb-, Bedürfnis-, 
Schmerzen-Klinge …
Sich selbst so zu sich ziehnde Schlinge.

Mehr ist man nicht, auch wenn man’s meint.
Man glaubt oft, man sei wunders was.
Indes das freilich nur so scheint …
Ist man doch gar nichts mehr
dann unterm Gras.

Untergang/Sonett (5/274)2

Wir sind Natur; und werden’s immer bleiben.
Soll heißen: zufallssiech und ausgesetzt.
Wir werden technisch selbst uns hintertreiben;
so doppelt bis zum Untergang gehetzt.

Und  dass verschwinden werden wir zuletzt,
ist sicher: Irgendwas wird uns entleiben …
Krieg? Seuchen? Machtsucht, die sich wähnt verletzt?
Die letzte Art* wird sich dem Tod verschreiben.

Doch warum denke ich darüber nach?
Na ja: Ich werd mal selbst dazu gehört,
ein Gattungs-Exemplar gewesen sein:

Ein Sein, als Widerspruch sich liegend brach:
Als Hochbegabung - wenn auch triebversehrt -
der Hyle Selbst als Geistes-Widerschein*?

*Letzte Art: Homo sapiens, also wir.
*Letzte Zeile: In uns, durch und durch Materie-Gebilde,
wird sich die Materie ihrer selbst als die alleinige Grundlage
von Intelligenz, Rationalität und Geist inne: basierend auf
zufällig (nicht notwendig) sich entwickelt habender 
materieller Komplexität.

Nebenbei angefühlt (5/275)3

Man ist sich selbst doch nur noch ausgesetzt;
sich selbst als inszeniertem Ich,
geht mit sich selbst so auf den Strich,
von kollektiven Idiotien gehetzt,
die eine Scheinelite auch sich selbst ausblich.

Weil eben Außenhalte sind zerfallen:
Die metaphysisch-kulturellen,
als leitend anerkannten institutionellen,
die Selbstverständlichkeit von Werten,
nicht asozial: als Trickser, Hero, Showman: 
als objektive Niete sich zu erden …
Als lustdebiles Zeitgeiststuss-Verhallen
und anspruchsloses Scheinselbst-Krallen.
Mit Kettensäge auch bei Macht-Krawallen.

Man wird von Markt-Magie verletzt,
weil deklassiert zum Spaß-Vasallen,
teilt seine Zwangs-Sehnsüchte gar mit allen:
Sich selbst sich müssen nicht mehr stellen,
weil außerstande, dies sich aufzuhellen,
dass man ist seelentotes Abklatsch-Wallen
notorisch würdelos mit sich als Wicht vernetzt.

Von selbstzerstörerischer Oberflächlichkeit (5/276)4

Wenn ich bedenke, wie es um mich selber steht …
nun: Ich bin einsichtsaggressiv und unzufrieden -,

weil’s den Verbrauchern hier nur um sich selbst noch geht,
weil Machtbetörte haben geistig nichts zu bieten,
weil die Funktions-Eliten Schein statt Ernst erhöht,
weil Macher immer noch naiv das Märchen hüten,
der Wohlstand werde bleiben unser Halt-Gerät,
zu schützen uns vor populären Mythen -,

grad weil ich all das als Verwahrlosung erfahre,
als kulturellen Einbruch, Innenwelt-Versehren,
Demokratie-Verfall und letztlich Rechtsstaats-Bahre,

drängt sich mir auf die Barbarei der Seelenschweren,
die weitaus tiefer reicht als der Genuss der Ware,
zumal Vernichtungslust ist: Drang ist, zu zerstören.

ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)

ZINSJA (18) Verödungsmagie (5/277)5

Nichts, gar nichts 
hat es auf sich mit mir.
Ich bin völlig wehrlos 
gegen dieses gesellschaftliche 
Komplexitätsgefüge.
Muss zusehen und hinnehmen dies:
Dass unermüdlich wirft
die Produktionsmaschinerie 
ihre Adiaphora* aus,
die das Ganze noch,
bespaßungsbasal verdrängt,
zusammenhalten.
Ohne sie
fiele das Wohlstandssystem
rasch in sich zusammen.
Dies verhindernd;
zahlen wir freilich 
einen sehr hohen Preis:
Den der geistigen 
und psychischen Verödung
der individuellen Innenwelten.
Auch meiner so.
Indirekt.

*Adiaphora griech: Völlig nutzlose und überflüssige Dinge

ZINSJA (27) Würde (5/278)6

Dass der Mensch eine Würde habe,
das kann ich nicht bejahen.
Kann es nicht aufgrund 
meiner Lebenserfahrung,
meiner Redlichkeit und 
meines Realitätssinnes.
Dass er sich indes eine anmaßen muss,
das mag begründet sein
in seiner Niedertracht, Gemeinheit,
seiner Pleonexie und seiner 
radikalen Verlassenheit in dieser 
ratiohypertrophen Ding-, 
Lust-, Geltungs-, Show- 
und Gaukel-Welt.
Überhaupt: Wie könnte ein
in jeder Hinsicht heteronomer,
ichlüsterner Täuschungsvirtuose,
ein so gänzlich schuldunfähiger
Knecht sapienter Barbarei 
ein Träger von Würde sein?
Zumal er, wäre er es, nicht selten
benachteiligt, verleumdet,
ausgegrenzt und verspottet würde,
er, der sich selbst übermächtigende,
sich selbst zurücknehmende,
sich selbst um eines Wertes an sich willen
überschreitende Bedürfnisbüttel …
der sozusagen eine Art Übermensch 
würde werden müssen;
wäre das auch als Würdeträger: 
als dieser sich Zweck-an-sich, Person 
und überhaupt ein sich jede Form 
von Pleonexie radikal verbietender 
Fremder in der heutigen Gesellschaft.

ZINSJA (21) Daseinslachen (5/279)7

Hinter sich hat man es erst
am Ende des Sterbeprozesses:
Das Alleinsein.
In allen Stunden, ausnahmslos, 
sich rücksichtslos aufdrängend.
Von Anfang an.
Notdürftig verhüllt in Gleichgültigkeit.
Verdrängung, emotionale Belämmerung,
So-tun-als-Ob, Drogenkonsum,
drastische Ablenkung ...

Wie all die andern tabuisierten 
Daseinslachen auch.

ZINSJA (22) Ankommandiert (5/280)8

Die Konsumdiktaturen 
lassen auch noch 
- was bliebe ihnen denn 
anderes übrig? -
ihre Leeren verprassen.
Und die das lustfrenetisch tun -
die spaßgierg in sich 
verbrachten Subjekte -
halluzinieren dabei 
Autonomie.
Verroht durch Gewissensschwäche,
Pleonexie, 
geistige Deklassierung
und infantil emotionalisierende 
Dauererregung,
lassen sie sich treiben.
Geben sie sich auf.
Entledigen sie sich ihrer
als Person.
Sich durch Wolken 
von technisch-magischen 
Reizen, Signalen und Zeichen 
ankommandierter Identität
träumend.

Geistige Freuden/Sonett (22) (5/281)9

Es gibt sie noch. Jenseits der konsumtiven;
obgleich nie massetauglich; daher selten:
Die Freuden elitärer Schaffenswelten.
Die Stillen, Transzendenz und Sinn verbriefen.

Sie schenken Selbstgewinn durch seelisch tiefen
Entlastungseinsatz gegen Psychen-Kälten,
Pleonexie-Dunst und steriles Gelten.
Vor allem gegen die eventlasziven

Verheiligungen dieser Ramschmohn-Sekte.
Sie brauchen keine technischen Effekte.
Und keine marktverfügten Eitelkeiten.

Geschehen wesenszart als geistgedeckte
Erhöhungsschübe, die vom Ich abscheiden.
Und distanzieren alles Tausch Verzweckte.

Genetische Gnade (5/282)10

Ich bin nur das, was ich muss sein.
Genetisch auch mir vorbestimmt.
Ein Selbst in einem Geistes-Hain,
das sich konform verglimmt:

Das keine Wünsche hat, was anbelangt
Prestige und Anerkennung und Applaus,
das nicht nach derlei Gut verlangt,
weil gar nicht wohnt in der Gesellschaft Haus.

Sich abgesondert stets erfahren musste:
Als Sonderling und Freund der Einsamkeit.
Der freilich grad als dieser wusste,
dass immer wäre es gescheit,

zu akzeptieren das Primat 
von Geld und Macht: Pleonexie,
von Recht, sozialer Schichtung, Staat …
Weil Geist nie sein kann Leibwohl-Strategie 

Persönliche Auslassungen (5/283)11

Obwohl mich kaum jemand verstünde,
ich sage es ganz offen raus:
Ich lege größten Wert auf Seelengröße,
auf Geistestiefe, ernste Selbstansprüche.,
auf Selbstverpflichtung, Selbstdistanz,
auf Sachlichkeit: auf Sinn für Faktenlagen.
Grad weil, was ist, die Menschen steuert,
sie konsumierend ihrer selbst benimmt,
zu solchen macht, die sich verlieren sollen
als Kunden-Rausch in Kauf-Ekstase …
Auch um politisch sie zu ignorieren,
weil ichbezogen sie sich frei erleben.

Was mich betrifft, so kann ich sicher sagen,
dass ich primär so eine Strategie verfolge,
mich zu behaupten wie ich’s wollen muss;
als jemand, den sein Stolz antreibt,
zu wissen, was warum er letztlich tut.
Obwohl das schwierig ist in einer Welt,
die ihn doch stän4ig auch manipuliert,
ihn fraglos untertänig sich zu machen,
ihn von sich selber abzubringen,
um letztlich ihrer Tyrannei zu dienen,
die ihr notwendig innewohnt …
Ich meine jener, der man fronen sollte,
weil immerhin sie einen nötig hat,
ihr Wohlstands-Kartenhaus zu festigen …
Durch Selbstbetrug, durch Schein und Show,
durch Trance-Orgiastik, einer Droge gleich,
die dann begehrenswert macht dieses Leben.
Und dies zu leugnen, bin ich nicht bereit.

ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)

ZINSJA (28) Unsägliche Banalität (5/284)12

Ich werde nichts weiter gewesen sein
als eine biosoziale Monade,
die sich um sich selbst gedreht haben,
sich selbst ausgesetzt und überantwortet
gewesen sein wird …
Und zugleich eben, ununterbrochen,
allen diesen anderen unglücklichen, 
entlastungssüchtigen, desorientierten 
und wohllebenshörigen Zeitgenossen.
Haltbedürftig agieren wir alle,
unterworfen sinnflüchtiger Vergeblichkeit.
Unschuldige Organismen (Körperdinge),
die sich - ichschwach - nach  Glück, 
Anerkennung, Zuneigung, Liebe, 
Geborgenheit und Erlösung sehnen.
Auch um zu verdrängen, dass sie 
nichts weiter sind als Vergeblichkeitsdiener,
als Verbraucher (Gewinnpotentiale) 
einem trancedichten Dasein eingepfercht,
ausgeliefert, ausgebeutet (von sich selbst auch)
radikal marktverfügt, Rollenträger sind.
Entfesselt einem Dasein von unsäglicher Banalität:
Quantität, Nutzengröße, Datending (Merkmale, 
Eigenschaften, Präferenzen, Nummer), Zeit,
Bedürfnismaß, Leistungskraft und Zahl.

Indes zuletzt niemandem zur Last zu legen,
drückt all das aus doch, was wir kerntief wollen,
soll heißen: stündlich wollen müssen, weil wir's sind:
weltausgeliefert Leibgefüge in deutungsloser Widersprüchlichkeit, allein, prekär und hilflos schwach ...

ZINSJA (30) Andere Formen der Einsamkeit (5/285)13

Ich zähle die Nullen
einer Außenseiterexistenz.
Ich tu’s klaglos.
Wissend um die Vorteile
eines Verzichtes 
auf was uns allen 
erstrebenswert erscheint:
Rausch, Anerkennung,
Macht, Entlastung, 
dann Leibgenuss und 
Welt- und Selbstvergessen …
Herrliche Nichtigkeiten, 
drangsalvergänglich,
manchmal gar fleischsakral …

Indes doch auch nur 
Einsamkeiten anderer Art:
Solcher mit einem Du,
in einem Du, durch ein Du: 
Orgiastisches Fürsich-:
unaufhebbares Alleinsein.

5 Sonette

Diese Sonette (5/286)14

Sie gönnen keine Emotionszufuhren.
Sie, diese analytischen Sonette.
Sind nicht gedacht für gängig menschlich Nette
mit doch diffusen Existenzkonturen.

Noch sind sie Intellektuellen-Suren
in idealbegrifflicher Stafette.
Noch auch Empörungs- oder Medien-Glätte,
sich schwankendem Bewusstsein ein zu spuren.

Sie bündeln vielmehr Spätzeitillusionen
im Widerschein von harschen Kämpfen gegen
die Zeitgeistkräfte und die Macherdrohnen,

die sich entfalten auf verschlungnen Wegen
und, angetrieben auch von Unpersonen,
die Wohlstandslunten an sich selber legen.

Variante 1 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sie sollen zeigen diese Destruktionen:
Die der Person, der Hochkultur, der Chancen,
sich abzukehren von den Wohlstandsmohnen
der technologisch produzierten Trancen,
um sich als Fremdling balzend einzuwohnen:
Als Warenreichidiot entseelter Zonen.

Variante 2 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sonette - radikale Abrechnungen
mit was auch immer mich düpieren sollte,
damit ich eins zu eins dem Markt gelungen
sei’s Wohlstandstyrannei, sei’s Starschund wollte,
sei’s von Politphantastik eng umschlungen,
als Stimmvieh Staatsversagen Beifall zollte.

trash culture (5/287)15/Sonett

Streng habe ich gehalten diese Zeilen,
um eine Geisteskühle anzuregen,
die nicht gerichtet ist auf Umsatzwägen,
Prestige und Spaß und fade Tagtraumfeilen.
Bombastiktrivial sich aufzustylen
trash, show biz, Kunsttrance und medialen Trägen …
Erlösungsträchtigem Ekstase-Segen,
behelfsberauscht sich selber zu enteilen.

Indes warum denn denken statt sich graben
in Illusionen Reiz verwobner Welten?
Wer will an Einsichtswehen teil denn haben,
die einen selber doch in Frage stellten:
Ob man denn noch verfüge über Gaben,
zu hemmen Selbstzerfall und Seelenkälten?

Für sich wertvolle Einsichtsnetze (5/288)16/Sonett

Das liest doch niemand. Das ist viel zu schwer.
Und überdies auch viel zu rational.
Es handelt nicht von Liebe, nein: der Zahl.
Ist für Effektverbraucher wohl zu hehr.

Wie überhaupt die Sprache eher Qual
für jemand ist, der geistig-seelisch leer,
mithin gewöhnt ist ans mediale Heer
ganz simpler Phrasen aus dem Spaß-Kanal.

Mich kümmert’s nicht. Ich bin damit zufrieden,
mit den Sonetten Einsicht einzufangen,
die mir mag Ruhe oder Abstand bieten

von zeitgeistschwanken Jenachdem-Belangen. 
Die Politik wie Geldwirtschaft mir schmieden
als sapiensspät subtile Psychen-Zangen.

Ein Intellekt-Gebilde (5/289)17/Sonett

Es lässt sich nicht emotional erschließen.
Das heißt: Man kann den Inhalt nicht erleben.
Als Kick, als Spaß, als simples Spannungsbeben.
Weil man sich konsumistisch will zerfließen

in kundentypischem sich selbst Genießen.
Erlebniseskapistisch Rausch ergeben,
sich von was Ichsucht stört, hinweg zu heben.
Auch deshalb wollte ich Sonette machen,
um diesen Geistesausverkauf zu meiden,
den Druck, zum Standard-Ich mich zu verflachen

und intellektuell mir zu entgleiten.
Um gängelnder Beglückung ab zu lachen
Verrohungshämen dekadenter Zeiten.

Essenzaporie (5/290)18/Sonett

Sonette mache ich, um Daseinsschweren,
mich selber überschreitend, zu entfliehen.
Denn diesen Schweren bin ich so gediehen,
dass sie mich kommandierend stets belehren,
ein Nichts zu sein in ihren Kunden-Heeren,(5)
die längst die Welt sich formten und sie ziehen
als Ungenügen spaßesstierer Mühen (7)
in Sinnverlust- und Untergangs-Miseren.
Und Rettung kann ich nicht für möglich halten, (9)
wenn ich an Hybris und Verblendung denke;
an alle unsre Tugendtruggestalten,
verführend uns als Phantasie-Geschenke,
als Selbsterhöhungs- und Vernunft-Gewalten.
Tatsächlich kalkulierte Machtspiel-Ränke.  

Varianten
*Zeile 5: „ein Nichts zu sein vor ihren Gleichungs-Seren.“
**Zeile 7: „als tote Masse wohlstandsstierer Mühen.
in Untergang … Ob dem noch ist zu wehren?“
***Zeilen 9 bis 14:
“Wer weiß? Ich muss es für unmöglich halten,
wenn ich an Hybris und Verblendung denke.
Und überhaupt an all die Truggestalten

politischer und asozialer Ränke.
Und all die Formen von Brachialgewalten,
die wir verüben, da uns Daseinstränke.“

Richtigstellung (5/291)19

Dass depressiv ich je,
gar suizidgefährdet,
auch ansatzweise nur
gewesen wäre,
nun, das ist nicht der Fall,
obwohl es nahelegen 
die alles Glück  
verneinenden Gedichte.

Im Gegenteil:
ich bin substanzgeerdet,
bin’s auch, wenn ich, 
zwecks Welt- und Zeit-Abfuhr,
mir das, was wirklich ist,
luzide lichte,
um mich dann geistig 
nur zu hegen
in diesem allprekären
Unschulds-Stück …
Ganz ohne Gottes-Segen:
ohne Seine Fähre …

Was sollte ich da
Schwermut wägen,
ich nihilistisch 
stellen gegen
uns Ratio-Wesen,
das vergeblich wertet?
Nein, nein. Ich heb 
mein Glas auf es,
zu wünschen ihm
Vollendungs-Spur.

Amerika - In einem seiner Wesenskerne (5/292)20

Die coolen Heroes 
lassen keinen Zweifel,
dass, wenn es gälte,
diese Welt zu retten,
sie zu befreien gar 
von allem Bösen,
dann sie es schafften,
sie allein …
Sei es im Film,
sei es real.
Weshalb ihr Blick,
entschlossen scharf,
von Härte zeugt,
wenn er ins Weite schweift:
Nach innen freilich auch,
in ihre Seelenleere
die aller toughen,
inszenierten Guten.
Wie die 
der masters of the universe,
die dieser Möchtegern-Despoten:
Der hightech-Asozialen
mit dem dumpfen dream;
indes bezeugt 
von weisen Kettensägen,
von ihrem Silberrücken
Richtung Mars gestoßen.

Kapitalismus, Massen und Lebensweisheiten (5/293)21

Der Kapitalismus, höre ich, betröge die Massen, 
bringe sie um ihre Persönlichkeit, Mündigkeit und existenzielle Souveränität, hielte sie unten, bringe sie um Gerechtigkeit, Gleichheit und alle kulturellen Formen der gesellschaftlichen Teilhabe überhaupt.
Zumal auch um Chancengleichheit, Würde, Stolz und Anerkennung …
Darum auch, sich ein auf Dauer materiell abgesichertes Leben leisten zu können: Wohlstandsfülle als Wurzel aller Lebensqualität.
Gewiss doch, wenn er - macht er - produziert Adiaphora.

Na und? Wollten die Massen doch auch betrogen werden, ihrem Wesen nach irrational, infantil, verdrängungsversessen, erlösungsbedürftig (das zeige ihr Verhältnis zu Sport), genussfrenetisch auch und gar entfesselungsapathisch.

Indes was soll denn dieses unverständige Gerede?
Was sollen die pseudoethischen, formaldemokratischen
und kritisch kapitalismusfeindlichen Leerformeln?
Sind doch beide sozusagen weise, soll heißen: realistisch: Der Kapitalismus wie die Massen, 
im Wesen sich doch einig.

Der Kapitalismus ist realistisch, indem er die Menschen nimmt wie sie meistens sind: Pleonexie-Knechte, Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht frönend; präziser: 
dies wesensmäßig müssend.
Und diesem Daseinsdruck schafft der Kapitalismus Abhilfe, den Menschen die materiellen Wünsche erfüllend, die sie erfüllt haben wollen … 
Schon um sich selbst was zu sein, sich was zu gelten, resultiert doch aller Selbstwert gewöhnlich
aus der ungehinderten Verfügung über Kaufkraft, Vermögen, Entlastungs- und Genuss-Chancen, Haben und Gelten überhaupt.

Die Massen, weil sie intuitiv begriffen und immer noch begreifen
- im Gegensatz zu Parteien, die sie zu vertreten beanspruchen, aber, wirklichkeitsverlustig, zu sehr moralisieren -, dass das Gerede von einer humanen, würdebasierten, weil sozialistisch, also gerecht, organisierten Gesellschaft, einer Gesellschaft der gleichen, gleichberechtigten, fürsorgenden, 
sich gegenseitig stützenden, wertschätzenden,
aus aller Entfremdung entlassenen Brüder und Schwestern, geeint durch eine große Idee, im Kern nichts weiter ist als ein Sammelsurium
totalitärer Illusionen, utopisierender Entlastungskonstrukte und ideeller Selbstbetrugsweisen … Ideologen-Träume, außerstande, auch nur einen Tag und eine Nacht psychischen und geistigen Halt:
psychophysische Sicherheit zu gewähren, dass sie gefahrlos würden überstanden werden können: 
Muss man doch jedes hohe Ideal entweder völlig aufgeben oder eben die Menschen dazu zu zwingen, es zu übernehmen - äußerlich, wider Willen, klug verlogen - durch die Anwendung von Zwang, Gewalt, Folter, kurz: von allen Formen menschlicher Barbarei.

Was soll denn das?
Das ist doch kein Gedicht?
Das stimmt. Wie auch
das ganze Leben nicht.
Wir können halt nicht sein
wie wir’s an sich doch sollten:
Gut, sittlich und human.
Und wenn wir’s 
dennoch, unklug, wollten,
dann nur verblendet, meint,
getrieben von dem Wahn,
es gäbe auch nur einen Hauch
von Güte, der nicht werdend 
schon zerfiele,
sofort zertreten würde 
m Gewühl der Herzen - 
hart wie jener Stein
des Dorfgemäuers, 
der mich’s lehrte:
Dass er sich selbst 
nur dann bewährte,
wenn Halt er schaffe 
sich allein,
weil auch nur dann
die Mauer sei stabile.

ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)

ZINSJA (24) Verloren (5/294)22

Aus den konsumkapitalistisch 
aufgetakelten Entlastungsgossen
singen die Restseelen auf.

Ungerührt indes 
lausche ich ihnen,
tatenlos, zynisch,
keinerlei Empörung empfindend,
gesammelt faktenbasiert 
so keinerlei Bewertungen 
von mir gebend ...

Zumal wissend,
dass sie aus Verwahrlosung,
Vereinzelung und 
Selbstverlustseligkeit
nicht zurückzuholen wären.

Was ihnen vorzuwerfen 
mir freilich nicht einfiele.
Sind doch immer mehr von uns
von den meinungshysterisch
ins Absurde diskutierten 
gesellschaftlichen Verhältnissen
eines einheits-, mitte- , halt-
und völlig orientierungslosen 
Entfesselungs-Subjektivismus
psychisch längst heillos überfordert.

ZINSJA (32) Geläuterte Aufklärung (5/295)23

Dass selbstbestimmte Schuld es gebe,
da Freiheit, Selbstzwangmächtigkeit, 
Vernunft uns eigne,
das will ich doch auf sich beruhen lassen.
Zumal ich weiß, 
dass wir uns loben müssen, 
verkennen, ja: betrügen auch.
Nichts weiter doch als Großhirnknechte
und daher hilflos ausgesetzt 
dem eignen technologisch ingeniösen Schaffen … 
so oft doch unbegriffen gegen uns gewendet.
Orientierungslose und Gewohnheitstäuscher.
Vor allem ratiodestruktive doch,
so hochbegabte Gleichungsvirtuosen,
die als Person sich sehen,
als moralische … 
Das bitter nötig haben, wie ich meine; 
es ohne Häme, ohne Schadenfreude,
es ohne Arroganz auch 
trostlos trauernd meine.
Hab ich doch selbst gebaut auf Lebenslügen,
auf Selbsttäuschungen,
Psychen-Notbehelfe.
Sozialphantasmen auch: Entlastungsschlieren.
Mein deutungsloses Dasein so zu meistern:
Es lallend mir zu buchstabieren
mit leeren Worten,
hoffnungsträchtig sehnsuchtsbitter …
Doch manchmal kernluzide auch …
will sagen: über mich hinausgehoben 
als geiststolz einsichtsradikale Hyle.
Die sich in mir als Ich-Selbst-Traum
bewusstlos schaffend selbst beschenkt.

Es folgen 16 Sonette

Gelingen/Sonett (5/296)24

Was will ich mehr? Mehr kann’s doch gar nicht geben:
Der plumpen Gegenwart was abzuringen,
was man für sich zählt zu den größten Dingen:
Wie Abstand etwa zu sich selbst erstreben …

Um sich nicht unbegriffen zu erleben,
erwartungsvoll getragen auf den Schwingen
des Existenzvollzugs, der muss erzwingen,
zu Hab- und Geltungs-Sucht sich zu erheben.

So sehe ich mein Dasein als gelungen.
Vorbei geschlenzt an tristen Widrigkeiten
gesellschaftlich-sozialer Gliederungen;

vorbei am Lärmen dieser kleinen Zeiten
medial gelenkter und verdorrter Zungen,
Ideologen-Stumpfsinn auch zu meiden.

Versöhnender Geist/Sonett (5/297)25

Wir sind nicht böse; aber auch nicht gut.
Als Organismen permanent getrieben
von Kreaturenmächten, die uns schieben
in diese existenzgewirkte Flut

von drastisch schauernder Bedürfnisglut.
Die, sei es Glücke bringt, sei’s Fall und Trüben …
ist jedenfalls gebunden an Belieben:
Der Daseinswürfeleien Zufallsbrut.

Und jeder ist verwoben seinem Leben.
Und weiß, dass er sich selbst kann niemals tragen.
Und dass ihn trennen von den andern Gräben,

Bewertungsunterschiede, was die Lagen 
bedeuten ... was uns nur doch Geist kann sagen,
zumal nur er kann in Versöhnung heben.

Äußerer Lebenslauf/Sonett (5/298)26

Ich frage mich, wohin die Jahre sind.
Nun, das ist eigentlich ganz leicht zu sagen.
Präsent ist mir die krude Zeit als Kind.
Indes als immergleiche die an Arbeitstagen.

Warum? Da sogen die Erledigungen,
die waren gleich sich alle Tage.
Da war ich jenen eng verzwungen,
zu meistern nur Routine-Lage.

Jetzt bin ich alt. Und spür es jede Stunde:
Ich schaffe nicht mal mehr den Alltags-Trott;
zumal schon spüren kann die letzte Runde:
Den nicht zu meiden den Final-Bankrott.

Indes das Kind in mir sehnt sich nach Gott,
dass der mir schließe auch die letzte Wunde.

Systemimmanente Niedergänge/Sonett (5/299)27

Dies Dasein hergestellter Seelen-Öden,
mit Reizen angereichert und Signalen,
fundiert in Lüsten und in Umsatzzahlen
und einer Ich-Sucht ohne Selbstwertböden …

ist das von Kunden, die sich selbst anbeten.
Es ist ein Dasein einer zwangsuchtschalen
Verdrängungsorgie stiller Seelenqualen,
begründet in abstrakten Daseinsnöten.

Was wäre denn noch da an Selbstansprüchen,
es sei denn der, sich drastisch auszuleben?
An Antrieb, zu begegnen all den Brüchen

die die Gesellschaft aus den Angeln heben?
An Faktensinn? Erlegen doch den Schlichen,
genießend ichschwach nach Verfall zu streben?

Entlaufen/Sonett (5/300)28

Tatsächlich sind wir unsre eignen Macher:
Gegängelte von kortikalen Werken.
Die geistig-seelisch lassen uns verzwergen
im Bann von Technik, Gleichung und Geschacher:

Der Markt ist uns Demiurg. Er macht uns flacher.
Und infantiler. Kann uns so nicht bergen.
Zerstört Vernunft er doch und Selbstzwang-Stärken.
Uns Tag und Nacht doch Innenweltbewacher.

Das ist ein Drama für uns Zwienaturen.
Auf Ethik und auf Technik angewiesen.
Objekte nur noch von Kalkül-Zensuren

und künstlich provozierten Traumspielwiesen,
verlieren wir die kulturellen Spuren.
Und das, das müssen wir ganz bitter büßen*.

*Variante Zeile 14:
Um eben das verwahrlost dann zu büßen.

Zuweilen so erfahren/Sonett (5/301)29

Da andere man braucht, sich selber was zu sein,
wird man in unsrer Zeit der Ichsucht-Spekulanten,
die, selbstbrach, permanent um Anerkennungsquoten,
Bewunderung und Selbsterhöhung listig buhlen, 
sich, menschlich angeekelt, finden oft allein.
Zumal sich Star-Kult-Knechte werden cool gewanden,
erfolgreich anzukommen als Beglückungs-Boten
um dann in Beifallsstürmen in sich selbst zu suhlen.
Doch Plan und Absicht da sofort zu unterstellen,
das scheint in diesen Fällen nicht recht angebracht.
Agieren da doch Menschen ohne Geistesquellen:
Ichschwach sich selbst Benommne einer Tranceweltschlacht ...
die sie vergessen lässt all ihre Opferdellen …
Vor allem diese: Ihre Existenz-Ohnmacht.

Faktenlage/Sonett (5/302)30

Man hat nur selten Grund, sich selbst zu loben,
verfügt man über etwas Selbsteinsicht.
Wird man indes durch andere erhoben,
erhöht das einem schnell das Seins-Gewicht:
Verklärt die Mängel, korrigiert nach oben:
Man strahlt sich an in fremd gestreutem Licht.
Bedenkt nicht, dass man, außenangeschoben,
nur kurz vergisst die eigne Wesensschicht.
Ich indes weiß, dass dies ist mein Geleit:
dass Tier ich bin, ein Zufalls-, Art-Gefüge.
So etwa bin ich mir bewusst als Zeit,
weiß, dass ist mich nur allzu oft betrüge
- mit etwa der Fiktion der Selbsteinheit -,
indes nur Stoff bin ohne Sinn-Genüge.

Geiferöden/Sonett (5/303)31

Reklame, Reize, news, Enthemmung oder Daten,
die Tag für Tag doch die Bewusstseinsräume fluten,
zerstörn den Faktensinn, um uns dann zuzumuten,
Zusammenhängen, Ernst und Denken zu entraten.
Man hört nicht hin, versteht nichts, man verliert den Faden.
Um sich bald abzuwenden von auch sprachlich kruden
fragmentdiffus geformten Propagandaknuten.
Als würde trunken man durch Geifer-Öden waten.

Realität und Wirklichkeit* sind am Verschwinden.
An ihre Stelle treten schleichend Stimmungsfetzen,
die in Bespaßung oder Spannungsdruck einmünden.

Um Konsumenten in die Lage zu versetzen,
narzisstisch-cool Verantwortungen aufzukünden,
durch surreale Welten magisch sich zu hetzen.
*Realität und Wirklichkeit: Sie meinen nicht dasselbe. Realität meint die Vielheit der sinnlich erfahrbaren Dinge, Sachen, Waren, Körper usw. Wirklichkeit meint den Überbau, das Wertgefüge, die ideelle Ausdeutung jener Realität.

Nihilismus und Determinismus/Sonett (5/304)32

Nie habe ich, und sei’s nur eine Stunde,
an unsrer All-Bedingtheit zweifeln müssen.
Dass wir uns jederzeit sind selbst beflissen
und, streng notwendig, auch uns selber Lunte …

Uns selber ausgesetzte Daseins-Schrunde,
zerfiel uns längst doch auch schon das Gewissen,
entformt von Ratio- und von Markt-Einflüssen.
Zu arm, von Sinn zu geben irgend Kunde.

Im Zwangsablauf von Kreaturen-Zwecken,
dabei uns selber schuldlos Gramgeleit,
müssen, Natur entlaufen, wir uns recken.
Doch Büttel leibbasaler Endlichkeit.
Was wir uns, Sinn-Sud lallend, überdecken
mit Fakten-Leugnung, Rausch und Tugendkleid.

Ich Loser (5/305)33

Warum ich denn 
so unzufrieden sei?
Das sei nun wirklich 
nicht mehr zu verstehen!
Sei alles mega hier doch, 
super, geil, gar cool 
und fett und wow.
Da sei für jeden doch
zuletzt etwas dabei.
Zumal man könne sich 
an sich vergehen,
rauslassen doch auch 
jede Sau,
sich machen auch 
zum eignen Joch.
Das sei doch great,
weil man sei völlig frei.

Nun ja, mir ist das 
völlig einerlei.
Zumal ich weiß,
man kann’s nicht 
ändern.
Und überhaupt wird es
erst dann wohl kentern,
wenn es für mich 
wird lang schon 
sein vorbei.

So werde ich mich 
weiter triggern,
a hero einst 
vielleicht zu werden:
Um euch dann dies
ganz sachlich verklickern:
Lebt wohl! 
Ihr! Eurer Ichsucht Herden! -
Ob vor, ob hinter
Stacheldrahtverhau.

Dahinschwinden/Sonett (5/306)34

Man merkt es deutlich, so dahinzuschwinden.
Ist man doch dauernd sich als Zwang verfallen.
Und schweigt dazu. Wer will schon sinnlos lallen
von etwas, was man wortlos muss verwinden?

In Leeren starrend, die zu Zeit sich binden.
Man mag sich deshalb an Verdrängen krallen,
um zu ertragen, dass das Ganze Fallen
in Stillen ist, die in Verstummen gründen.

Begreift man das, ist man sich selbst vergoren.
Selbst wenn man wagt den Zufall der Momente,
Vergeblichkeit ein Schnippchen mal zu schlagen:

In Du etwa von einem fort getragen  …
ist jenem Schwinden man doch ganz verschworen.
Man ist es ja. Vom Anfang bis zum Ende.

Urknall-Auswurf (5/307)35/Sonett

Materie, die zu Verstand gediehen, 
Bewusstsein ist, muss durch sich selbst vergehen.
Denn sich in Artefakten-Zwang erhöhen,
muss irgendwann Vernichtung nach sich ziehen.
Und auch sein Höchstes: Geist, kann nicht entfliehen
dem Los des Stoffs: Dem kommandierten Drehen
von Sterngewalten in Zugrundegehen.
Bis auch die Stillen Ewigkeit verblühen.

Sind wir doch atomare Spielereien,
in Technik, Mängeln und in Zeit gefangen.
Phantasten eigner Blender-Litaneien.
Und schuldlos feil zerbrechlichen Belangen.
Die wir in indolente Welten schreien,
zermürbt von totem Wert- und Sinn-Verlangen.

Sein und Sollen (5/308)36/Sonett

Das Sein des Einzelnen wird stets verbleiben
im Hochprekären einer Deutungslage,
die Selbst und Fakten schnürt zur Plage,
phantasmagorisch sich zu hintertreiben.
Und einer Schutz- und Wahnwelt einzuschreiben.
Verschweigend, dass man nie sich selber trage.
Dass Sollen nichts ist als nur Geltungssage:
Sich Perspektivenwirrnis aufzureiben.

So torkeln beide, sowohl Sein wie Sollen
durch letztlich bodenlose Lotterien.
Und provozieren kortikale Rollen,
Pleonexie und Ethikmohn gediehen.
Was nötig macht die Mär vom freien Wollen:
Um nackter Ausgesetztheit zu entfliehen.

Der glücklose Späte (5/309)37/Sonett

Narzisstisch ohne Selbstdistanz gebunden
an letztlich unbegriffnes Wohlstandszetern,
schmückt er sich coolplump mit gesollten Federn
auf immer gleichen Ich-Erlebnis-Runden.
Hat seinen Selbstwert diesen abgeschunden,
sich balgend mit ihm gleichen Ich-Anbetern.
Die Haltschwund, Perfidie und Hybris ködern.
Längst nicht mehr fühlend kulturelle Wunden.

Und, realistisch, muss ich es so sehen.
Mich suchten selber heim schon derlei Finten 
in infantil mir inszenierten Nähen:
Verwahrlosung bis in die Psychen-Rinden,
die spielend sich erdeichselt Spaßgeschehen,
verkommen hilflos Gram zu überwinden.

Ungefähre Einsicht (5/310)38/Sonett

Ich habe sie wohl ungefähr verstanden,
die Welt und was sie ausmacht in den Kernen.
Ich meine sowohl die, vereint in Sternen,
aus deren Staub wir spät erst dann entstanden:
Bipede als Bewusstseins-Intriganten;
als auch die Sehnsucht hin zu Gottesfernen,
mit Halt versehen tiefer Geistzisternen.
Um in Geborgenheit und Sinn zu landen.

Tatsächlich bin ich weiter nichts als Hyle.
Ein Gran Materie, an Zeit gebunden.
Um mit zu schlittern in sozialem Spiele.
Von vornherein in diesem überwunden
durch hochkomplexe Zwänge im Gewühle
der auf mich saugenden Bedürfnisrunden.

Das ist’s (5/311)39/Sonett

Mein Sinn für Fakten konnte nie versiegen,
weil immer ich um unser Dasein wusste:
Dass es Begehren ist und Selbstverluste,
tristesse und Niedertracht an allen Tagen.

Es auch ganz sinnlos sei, nach Schuld zu fragen.
Die gibt es nämlich nicht. Nur dies gemusste
ernüchternde Durchstoßen einer Kruste.
Auf die kein Kern folgt, sich nach ihm zu biegen.

Die tote Masse neuronal durchdringen,
innovativ sie untertan zu machen
dem vorgegebnen Antrieb, Stoff in Sachen

durch technische Verfahren dann zu zwingen …
Das ist’s: Gewaltprozesse zu entfachen,
die ihren Meister dann in sich verschlingen.

ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)

ZINSJA (25) Sie allein verleihen noch Größe: 
Scheitern und Vergeblichkeit (5/312)40

Wenn ich etwas ohen Wenn und Aber
wertgeschätzt habe,
dann gängiges Scheitern 
und die Hochschätzung der Vergeblichkeit.
Kann man doch tatsächlich 
auf diese nur noch bauen,
will man unbedingt verhindern,
im Stich gelassen, 
verdinglicht, 
depersonalisiert und also nur noch 
als Gewinn verzweckt zu werden:
Unwiderruflich ausgeliefert
an Masse, Markt,
metaphysische Mittellosigkeit,
Medienmagie und 
materialistisch-utilitaristische
Markt- und Polit-Moral.

ZINSJA (34) So war und ist es. Ungeschminkt (5/313)41

Kindlich, geistverwiesen, naiv 
und psychisch dauerlädiert,
konnte ich dieser Konsumdiktatur 
nicht viel abgewinnen …
Es sei denn die Einsicht,
dass ihre demokratische Fassade
als diffuses Gestrüpp von Nichtverboten
mir würde sehr nützlich sein können.
Und das war der Fall:
Innerlich lebenslang randständig,
vermochte ich meine Existenz 
gesellschaftlich-sozial und wirtschaftlich
ganz passabel zu meistern.
Indes dass ich lebenslang ausgesetzt wäre
Niedertracht, Verrat, Ausbeutung, 
Charakterlosigkeit, Häme, Arroganz,
Narzissmus, Selbstglorifizierung und 
menschlicher Erbärmlichkeit, 
das war mir schon als Kind klar.
Ist eben so. Zumal niemand vor sich selbst gefeit ist,
niemand sich selbst zu entrinnen vermag.
Ich auch nicht. Gar nicht … Ende.

ZINSJA (35) - Kindlich-träumerische Daseinssehnsucht (5/314)42

Mich den Gepflogenheiten,
wie sie nun mal sind,
mich der Gesellschaft einzufügen,
war ich von Anfang an doch außerstande.

Mich wollte lebenslang was andres leiten,
zumal ich blieb ein Kind.
Mir war nach Träumen, danach, mich zu biegen
dem Wunderbaren sanfter Bande

wie etwa Götter sie bereiten,
- ich traute denen, traue ihnen blind -
mich zu bewahren vor den andern Seiten:
Pleonexie, auch im Moral-Gewande.

Zumal die Daseinsfakten mir geläufig waren: 
Wie etwa Niedrigkeit und Perfidie.
Wie etwa Machtsucht, Lügen, Korruptionsgebaren;
erfuhr früh dies: der Mensch ist oft auch Vieh.

Kindheit I (5/315)43

Wie ich dieses Dasein sehe
und als was ich es erfahre,
hat sich früh mir aufgedrängt,
schon in meinen Kindheitstagen:
Dass es sich als Selbstsucht säe,
fördre Lüge, nicht das Wahre.
Das man es nicht selber lenkt,
kaum begreift auch all die Lagen,
die es oft nur scheinbar tragen.
Alles Kindheits-Perspektiven,
lebenslang dann beibehalten,
weil korrekt in ihren Tiefen,
ihren schäbig seelenkalten.

Kindheit II (5/316)44

Kindheit? Gramvoll gottgeborgen,
Traumgelände, Niedrigkeit,
IHN erfahrend ohne Sorgen, 
ohne Ängste, ohne Leid.
Mit IHM streifend durch die Felder,
laufend durch die engen Gassen,
Sehnsucht treibend durch die Wälder …
Er war überall zu fassen.
War mit Halt und war mir Sinn,
Anfang, Mitte, Daseins-Spende …
Wird’s mir bleiben bis zum Ende,
lebenslang mir Trauer-Wende.

ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)

ZINSJA (36) Du und ich - geistentlarvt (5/317)45

Griffe ich dir rücksichtslos,
ohne Skrupel in die Seele:
Sagte ich dir, wer wir sind, 
du und ich, dann würdest du
hasserfüllt wohl aufbegehren,
alle Fakten leugnen wollen,
nämlich, dass wir sind Versager,
müssen oft uns selber täuschen,
hochprekär doch existierend:
permanent der Welt, uns selbst,
Widrigkeiten ausgesetzt,
die nur einer greift, kann buchstabieren 
- gegenmystisch, wahrheitsliebend -:
der nur selbst sich treue Geist.

ZINSJA (19) Luzider Verzicht (5/318)46

Wieder einmal schreckte ich ein Du ab.
Mit Wahrheiten über meine 
psychophysische Verfassung,
allgemeinen Hinweisen auf
meine Weltanschauung, 
Bezeigungen meines 
rücksichtslosen Realitätssinnes
und auch mit verwirrenden Sophismen.
Eingedenk all der Verwerfungen,
die es mir, dieses Du, anrichten würde,
ließe ich mich auf es ein:
Es lüde mir den Zeitgeist vor die Seele:
Seine Sakralisierung von 
trivial-hedonistischem Konsum,
medial gesteuerten Fadheitsverrichtungen, 
das Anstaunen und Vergöttern
von Stars, Promis, Kultfiguren, 
Tugendwirren und Empörungslüsternheiten,
Behelfsverhaltungen und 
belämmerungsexzessiven Nichtigkeiten …
Mich zu betören mit gängigen Seichtigkeitsbehelfen 
gegen eine faktisch in sich selbst längst 
zusammenfallende: zerbröselnde Welt.

Woraus sich zumal auch ergibt, 
dass man andere Menschen nicht mit ihr belasten, 
sie nicht mit ihr heimsuchen, gar verängstigen sollte.
Hat man doch, so ich, der Nihilist, keinerlei Mittel,
das Sosein jener Welt zu relativieren, 
um auf diese Weise 
ein wenig Hoffnung aufkeimen zu lassen.

ZINSJA (39) Doppeldeutige Vergeblichkeit (5/319)47

Geliebt habe ich die Große Vergeblichkeit.
Feit sie allein doch gegen Sinn-, Bedeutungs-
Geltungs- und Wert-Sucht.
Weiß man sie nämlich zu deuten und hat man die Kraft,
das notwendig allbedrückende Ergebnis 
psychisch-geistig-existenziell halbwegs zu meistern,
dann mag man augenblicksweise, 
den objektiven Nihilismus dieses Daseins vergessend,
versinken im Erfassen einer von der zerstörerischen Hässlichkeit dieser Welt unberührten Schönheit, 
naiven Anmut, absichtslosen Liebenswürdigkeit
oder auch nur erfolgreich widerständig 
strebenden Lebendigkeit einer stummen Pflanze 
oder eines vollendet 
an seine Umwelt angepassten Tieres.

ZINSJA (20) Dankbarkeit - Die von den Fakten her (5/320)48

Ich werd nichts weiter hier gewesen sein 
als ein nach und nach zerfallener Organismus,
ein Tier, das freilich begabt war, um sich selbst
zu wissen: Seine Ausgesetztheit, Sterblichkeit 
und dauerprekäre Existenz in einer 
objektiv an ihm keinerlei Anteil nehmenden 
Materie-Welt - sie kann es nicht -, doch erst in mir 
als allgemeinem Fürsichsein ihrer bewusst geworden:
Tatsächlich bin ich sie als sich ihrer 
in mir selbst gewahrende …

werde nichts weiter gewesen sein 
als ein Teilchengebilde baryonischer Materie,
einer sich selbst organisierenden 
physikalischen Materie also…

nichts weiter gewesen sein als eine 
vielfach bedingte Zufallslaune 
einer biologischen Evolution auf diesem
für eine solche so günstigen Planeten.

Indes kennen weder jene Materie 
noch diese Evolution so etwas wie Zwecke, 
Ziele, Sinn, geistige und genuin sittliche Ordnungen überhaupt;
außer durch mich, in mir, 
einem gehirngesteuerten Ich-Selbst 
als ihr willenloses Werk …

Ob mich das bedrücke, 
werfe in psychische Mittellosigkeit, Trauer,
Verzweiflung, gar Todessehnsucht?
Mitnichten. 

Ein solches Geschenk herabzuwürdigen,
verbietet sich schon deshalb,
weil ich - zufällig - in eine Zeit hineingeboren wurde,
die hätte - in Europa - elendsärmer, zuträglicher, 
glücksträchtiger, materiell reicher, rechtlich sicherer 
und friedlicher nicht sein können; 
gerade auch für mich, 
dieses dauerbedürftige Tier,
das ich doch gewesen sein werde.

ZINSJA (26) Auch eine menschliche Fragwürdigkeit (5/321)49

Man muss sich inszenieren heutzutage.
Tut man’s nicht, ist es so, 
als existierte man gar nicht.
Oder eben abseits; wertlos.
Der Kapitalismus schätzt die Show mehr 
als die Realität.
Kein Wunder: 
Wäre es umgekehrt, erkennte er auch sein Wesen …
Maßlose Übertreibungen, 
Beschönigungen, 
Optimismus-Pflicht,
Zwangslust,
Erlebnisoberflächlichkeit,
Optimierungslüsternheit,
Perfektionssucht,
die Ersetzung der Person 
durch ihren Leib, 
die Verdrängung aller Daseinstatsachen:
Bedürftigkeit,
Schwäche,
Ausgesetztheit,
Irrtum,
Krankheit,
Verfall,
Tod.

Dächte man immer an diese unumstößlichen Tatsachen,
man konsumierte weit weniger,
weil man begriffe,
dass gerade dies: sich konsumtiv anzureichern,
am wenigsten Sinn macht.
Weit weniger als Realitätssinn, 
Selbstdistanz, Augenmaß,
und ungeschminkte Selbsteinschätzung …

Dagegen fürchtet der Marktverfügte 
nichts mehr als Einsamkeit,
Vergänglichkeit,
Hinfälligkeit,
Halt-, Bedeutungs- und Sinnlosigkeit.
Deshalb inszeniert er sich.
Er muss es. Auch um den Anschluss 
an die kommandierte Gängigkeit nicht zu verlieren
Ja, er inszeniert noch seine Inszenierung.
Dieser seiner selbst entmächtigte Mensch ist
ein Flüchtling vor der Wirklichkeit …
Ein auf Wirklichkeitsverzichte und -verluste 
angewiesener Mensch.
Narzisstisch und ichschwach.
Großmäulig und erbärmlich.
Ichlüstern und selbstentfremdet.
Entfesselungsaggressiv und freudlos.

Was freilich ich ihm nicht zur Last legen, 
ankreiden, zum Vorwurf machen würde,
wissend zumal um die Seltenheit jener Geisteskraft,
die man nicht haben wollen kann, 
weil sie auch das zufällige Ergebnis 
genetischer Gnade ist ...
jener Geisteskraft, derer man bedarf,  
um sich dieser so allfältig-listig-totalitär uns dauerbedrängenden Welt 
innerlich entziehen zu können. 

ZINSJA (37) Vollendungsblitz (5/322)50

Ich setze - sei es -
auf den Augenblick,
dies kurze Jetzt 
im Großen Nein.
Tu’s im Wissen
um sein Scheitern,
endend in 
Fürsichsein doch:
nacktes, gar nicht
mitteilbares.
Überhöhend 
deinen Leib,
saugend Trance
aus seinem Fleisch.
Basis dieses 
Stoffgefüges,
Süchte weckend 
nach Vollendung,
die zu sein 
es mir verspricht:
gierwundschön.
erotisch-magisch,
sehnsuchtsdrastisch
um, ja: um Erlösung
bittend.
Doch obwohl 
dir nun verfallen,
fortgerissen von 
Fiktionen,
die dein Körperding
mir jetzt spiegelt,
weiß ich doch, 
ich werde scheitern: 
Weil schon werdend
schwindet Glück,
kann sich ganz
nur geistig geben;
doch ekstatisch
nur als Trance.

ZINSJA (40) Meiner Muttersprache zugeeignet (5/323)51

Zufall und Notwendigkeit, Hybris und Verblendung, 
Machtsucht, Mammon, Indolenz,
Korruption und Barbarei und Gier
treiben sie dahin, diese so offensichtlich 
sich dem Individuum 
rücksichtslos verweigernde Menschenwelt
(um dieses kann es ihr nicht gehen).
So sich auch mir definitiv entziehend.
Das ist unabänderlich.

Es sei denn, ich bin sie und mich selbst los.
Und das ist der Fall, wenn ich Gedichte mache,
geistbefugt und scheinbar bedürfnislos mich dem Reichtum, den Feinheiten und den Bedeutungstiefen
meiner Muttersprache hingebend, 
dieser mich mir selbst in Perspektiven setzenden, 
geistgefluteten Heimat,
die es mir dann auch erlaubt,
jene Menschenwelt zuweilen 
in ihren Kernen zu erfassen …
Als das, was sie ist:
Ein verwahrlosungsparadiesischer Trivial-Nihilismus
individueller All-Hilflosigkeit.

ZINSJA (33) Nach mir, lange nach mir: Der Mensch … nicht einmal mehr sich selbst ein Alptraum? (5/324)52

An meinen langen, 
von Einsamkeit umspülten Abenden
denk ich zuweilen auch daran,
wohin es uns mal führen wird, 
dies hochprekäre Existieren …
Ganz ohne Mystik, 
Verzauberungsmärchen, 
Gott, 
Natur-Magie.
Gerade daran, 
dass unser Ratio-Zwang sich objektivieren wird 
als künstlich-autonomes Lernen,
um uns dann auch zu steuern, zu konditionieren,
auch moralisch abzurichten, letztlich so zu prägen,
dass wir, alle gleich, uns am Ende 
allkonform verhalten werden  …
Allerdings:
Von Daseinsmühen, so wie es zuweilen erhofft wird, dann befreite Menschen sehe ich nicht,
sehe keine Sinngesellschaft solcher,
die ihrer Widersprüche würden ledig sein,
sehe auch keinen, wie auch immer zu bestimmenden, neuen Menschen

Schon gar nicht sehe ich einen Würdeträger, 
verpflichtet Recht, Gerechtigkeit und einem demokratischen Staat. 
Und noch weniger sehe ich ein Geistwesen,
das neugierig, leidenschaftlich, faktenverbunden,
sachlich und schicksalsfähig wäre…
sehe gar nichts dergleichen …
Vielmehr ein lückenlos außengesteuertes,
dumpfes, nützlichen und hilflos-untertäniges Wesen,
dem zumal Gram und Tragik, 
Sehnsucht und Glück, 
Ideal und Versagensqual,
jedes Streben fremd sein wird,
das ihm nicht verfahrensrational vermittelt worden wäre,
um seinen Willen zu brechen,
seine Phantasie zu zerstören, 
ihn politisch hörig zu machen,
ihn zum austauschbaren Exemplar zu reduzieren,
zum pseudohuman All-Hörigen als Resultat
einer totalitären Ratio-Diktatur …

ZINSJA (45) Glückskind (5/325)53

Zweifellos, zumal des Zufalls Liebe,
der mich oft begünstigt hat,
hab ich zu mir selbst gefunden.
Trotz der Häme, trotz der Hiebe …
Alles lief mir glatt.
Kehrten sich zu Schicksalschancen 
selbst noch meine Wunden …
Deutend mir des Daseins Trancen:
Daseinslügen dieser Schädelstatt.

ZINSJA (46) Lebensklug (5/326)54

Grund zur Klage hab ich nicht.
Eher den zur Dankbarkeit.
Hochgekommen aus der Unterschicht
bis in Geistgeleit.

Das mich trug mein Leben lang.
Einsicht mich gewinnen ließ.
Manche von Belang,
die mir Wege wies.

Die recht kluger Selbstaufgabe.
So mir selber zu entrinnen.
Dass ich nicht mit Zeitgeist trabe:
Lustgenarrt von Sinnen.

ZINSJA (47) Wirre Kindheitssehnsüchte (5/327)55

Glas um Glas dieses billigen Fusels
leere ich. Seit Stunden. Billigwein aus ferner,
mir nie so recht gewogener Heimat. 
Indes Heimat. Immerhin. Und Leidgefilde.
Doch das sei radikal verdrängt hier.
Jetzt, da ich trinkfest wie drogenlüstern
und zügellos übermütig zugleich,
wieder einmal vermessen und haltlos genug bin,
mir die maßlose Ahnung zeitloser Vollendung
meiner Tierheit einzubilden, mich rücksichtslos
zu berauschen an fuglosem Immersein.
Jener mythischen Geborgenheit der Frühe
mich träumerisch wieder zu verschreiben …
Einst schon von den Steinen der Stadtmauer 
meines Heimatdorfes sie mühelos kratzend, 
um dann mit ihr auch die Winde zu locken,
die an den Himmeln über den Feldern,
auf mich herabzugleiten, mich zu umhüllen,
den Staub der Mauer und jenen boshaften Flecken
definitiv hinter mir zu lassen, mich mitzunehmen 
in jene allen Worten sich hartnäckig verweigernde, 
seeleneinsam flimmernde Vollendungsphantasmagorie.

ZINSJA (41) Verkümmerungsdiktatur (5/328)56

Nichts mehr da von meiner Kindheitswelt:
Kein Gott, keine Gespenster, keine Nebelgeister,
keine murmelnden Steine, keine Dorfdeppen, 
keine psychisch zerrütteten, schamsiechen Außenseiter,
keine Originale, keine Verunglimpfungsvirtuosen, 
keine weisheitsträchtigen Windböen, 
keine ungenutzten Feldflecken,
keine unhinterfragten Traditionen, 
keine orientierende, da kontrollierende Enge eines 
relativ streng hierarchisierten Sozialkosmos,
keine Verzauberungsgelegenheiten …
Keine Dorfwelt mehr eben mit all ihren Widerwärtigkeiten, Verlogenheiten, Verkommenheiten, menschlichen Abgründen freilich tiefer, 
unreflektierter existenzieller: 
unbegriffener Irrationalität …
Und diese heutige Welt stößt mich ab,
ist künstlich, substanzlos, effektprimitiv:
Entzauberter Klamauk hedonistischer Unmenschlichkeit,
eine Barbarei andrer Art als die gängig historische:
Tugendsubtil, 
phrasenfrenetisch, 
prestigegauklerisch, 
scheinselbstfad,
inszenierungsbrünstig,
steinseelenlinkisch,
gewissenstot,
basiskorrupt
emanzipationsfrigide,
politmessianisch
und selbstrunken …

Diese heutige Welt entfremdete mich ihrer.
Ich bin weltlos geworden.

Indes würde das kaum jemand begreifen.
Man muss nämlich beide Welten kennen,
bis ins Innerste verstanden haben,
um zu erfassen, was ich da sage:
Ich bin weltlos geworden.
Will sagen: Seelisch-geistig trudle ich
durch Haltlosigkeit, Leere, Gottferne …
Durch eine abstraktionsrationale Verkümmerungsdiktatur.

ZINSJA (42) Wir Abklatsch-Subjekte (5/329)57

Lieblos bist du.
Bist es anders als ich.
Bist es im Rausch 
deiner Verbraucherreligion,
deiner von dir 
unbegriffenen Schwüre 
auf die Erlösungsmacht 
der Ware, das Spaßes,
der hergestellten Emotionen …
Abklatsch bis du.
Abklatsch sind wir.
Nicht mal auf uns selbst
zurückgeworfene, 
sich selbst kalkulierende
Zeitgeist-Monaden.

ZINSJA (43) Süchtlinge (5/330)58

Wie könnte ich 
meiner Verwirrung
noch Herr werden?
Zumal sie doch auswuchs auch
im Fortgang der Jahre 
zu Ablehnung, Aggressionen
und scharfzüngiger Verachtung?
Und ob überhaupt noch,
frage ich mich schon
angesichts 
dieser trancetrunkenen
Surrogate-Bedürftigkeit
blasiert provozierter
Gemeinheitsbedürftigkeit?
Von was ich hier rede?
Von uns rede ich,
den desorientierten Süchtlingen
nach erlösenden Sinnbrosamen
in einer immer weiter 
herunterkommenden,
digital verwahrlosenden Welt.

ZINSJA (44) Vergeblich gottestrunken (5/331)59

An den fernsten Horizonten noch:
Kerne von immer komplexeren Atomen
synthetisierende Sterne.
Indes irgendwann dem Zerfall geweiht.
Wie ich dem physischen Untergang. 
Teilchenspross. 
Hinfälligkeitsknecht.
Nichts also ist da, 
kein metaphysisches Refugium,
worauf sich meine Sehnsucht richten könnte.
Die eines vergeblich gottestrunkenen Stoffgefüges.

Dasein heute (5/332)60

Das hast du früh schon doch, 1geahnt ganz früh.
Und irgendwann 
dann auch gewusst:
Dass es vorherbestimmt ist, 
ist gebahnt …
Man kann auch sagen: 
Wird gemusst -
als zufallspralle Daseins-Lotterie:
Abstrakt, banal 
und aller Zwecke bar …
Nichts weiter ist 
als eine Ratio-Sause:
Verlierer- und Versagens-Joch.
Und doch 
zuweilen lebenswert …
Als Geistmacht, 
Eros und Magie.
 
Unfähige deutsche Funktionseliten (5/333)61

Sind sie noch fähig,
dieses Land zu lenken:
naiv gesinnungsschlicht,
ideologisch-ethisch-ideell?
Zumal sie faktisch 
doch an sich nur denken:
An Privilegien, Beifall,
Ämter-Karussell,
Karriere-Glanz
und Geltungs-Drall?

Das hat indes 
komplexe Gründe.
So etwa Selbsthass,
Dekadenz und 
Wirklichkeitsverluste.
Dann diese deutsche
Tugend-Extremisten-Sünde:
Die Kerne zu verwechseln
mit der Kruste.

Dann sind da Feigheit,
Mittelmaßgebrechen,
nur Halbbildung und dann
die unbegriffne Würde:
Phantom und Ausweg-Trance
aus unheilbarer Bürde,
dass leeren Worten wir 
uns letztlich alle doch
verzechen.
Dies müssen ... Ohne jede Chance.

Verschweigen eines Offenbaren (5/334)62

In Nischen horche ich mich um
nach Halten. Doch ich weiß,
ich drehe hilflos mich im Kreis:
Um mich als Individuum.
Zumal man aufreibt die Person,
bezugslos und ersetzbar macht
zum Reizeffekt und Gleichungsklon,
der lustbetont sich selbst bewacht.
Verlässlich gegen alles steht,
was Lenkung und Betrug entlarvte:
Das konsumistische Pamphlet
als Flutungskick für geistig Unbedarfte.
Doch das behalte ich für mich. 
Besagen doch die Eingebungen:
Auf sich gestellt, versagt das Ich.
Allein in Ding sich spiegelnd
sich gelungen.

Erleichterung (5/335)63

Bin ich ganz ehrlich, muss ich’s geben zu,
dass ich erleichtert bin, bereits so alt zu sein.
Ich wünsch mir das, es gibt mir Kraft und Ruh.
Ich glaube nämlich nicht an einen Zukunfts-Hain

des Fortschritts, Wohlstands und der Sicherheit.
Sie sei sozial, politisch, meide jeden Krieg.
Ich glaube eher an vermehrtes Leid;
und nicht an den globalen Sieg

von Menschlichkeit, Vernunft und Groß-Moral.
Im Gegenteil, ich sehe schwere Krisen:
die Last von Mangel, Unterdrückungs-Qual
und Völker, die viel Blut vergießen.

So bin ich denn erleichtert, schon so alt zu sein.
Das wird mir manches Leid erspart dann haben,
wenn homo sapiens wieder lässt auf Krieg sich ein.
Indes das Nichts mich birgt vor seinen schlimmsten Gaben.

Leichtgewicht (5/336)64

Ich trinke reuemüde 
Glas um Glas.
Erfühle dabei 
Nichts um Nichts.
Entlarve Ich, 
Warum und Was
als Fratzen 
eines Leichtgewichts.
Ich reiße weinschwer
sie herunter,
ob hinter ihnen 
noch was stecke.
Doch, wie erwartet,
ist ihr Spind ganz leer,
gerichtet auf
banalen Plunder
und Trostbegriffe
toter Zwecke.

 

 

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