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Diese Seite enthält 64 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)
Leib-Verfall (273)1
Dass leiblich ich verfalle, spüre ich;
inzwischen kann ich es gar sehn.
Muss so es ausstehn Tag für Tag:
Als grabwärs strebendes Verwehn:
Als Altersschicksalsschlag.
Dem zu entrinnen ganz unmöglich ist.
Er ist der Lauf der Dinge.
Man ist ja Leibzermürben, Frist,
sich Trieb-, Bedürfnis-,
Schmerzen-Klinge …
Sich selbst so zu sich ziehnde Schlinge.
Mehr ist man nicht, auch wenn man’s meint.
Man glaubt oft, man sei wunders was.
Indes das freilich nur so scheint …
Ist man doch gar nichts mehr
dann unterm Gras.
Untergang (274)2
Wir sind Natur; und werden’s immer bleiben.
Soll heißen: zufallssiech und ausgesetzt.
Wir werden technisch selbst uns hintertreiben;
so doppelt bis zum Untergang gehetzt.
Und dass verschwinden werden wir zuletzt,
ist sicher: Irgendwas wird uns entleiben …
Krieg? Seuchen? Machtsucht, die sich wähnt verletzt?
Die letzte Art* wird sich dem Tod verschreiben.
Doch warum denke ich darüber nach?
Na ja: Ich werd mal selbst dazu gehört,
ein Gattungs-Exemplar gewesen sein:
Ein Sein, als Widerspruch sich liegend brach:
Als Hochbegabung - wenn auch triebversehrt -
der Hyle Selbst als Geistes-Widerschein*?
*Letzte Art: Homo sapiens, also wir.
*Letzte Zeile: In uns, durch und durch Materie-Gebilde,
wird sich die Materie ihrer selbst als die alleinige Grundlage
von Intelligenz, Rationalität und Geist inne: basierend auf
zufällig (nicht notwendig) sich entwickelt habender
materieller Komplexität.
Nebenbei angefühlt (275)3
Man ist sich selbst doch nur noch ausgesetzt;
sich selbst als inszeniertem Ich,
geht mit sich selbst so auf den Strich,
von kollektiven Idiotien gehetzt,
die eine Scheinelite auch sich selbst ausblich.
Weil eben Außenhalte sind zerfallen:
Die metaphysisch-kulturellen,
als leitend anerkannten institutionellen,
die Selbstverständlichkeit von Werten,
nicht asozial: als Trickser, Hero, Showman:
als objektive Niete sich zu erden …
Als lustdebiles Zeitgeiststuss-Verhallen
und anspruchsloses Scheinselbst-Krallen.
Mit Kettensäge auch bei Macht-Krawallen.
Man wird von Markt-Magie verletzt,
weil deklassiert zum Spaß-Vasallen,
teilt seine Zwangs-Sehnsüchte gar mit allen:
Sich selbst sich müssen nicht mehr stellen,
weil außerstande, dies sich aufzuhellen,
dass man ist seelentotes Abklatsch-Wallen
notorisch würdelos mit sich als Wicht vernetzt.
Von selbstzerstörerischer Oberflächlichkeit (276)4
Wenn ich bedenke, wie es um mich selber steht …
nun: Ich bin einsichtsaggressiv und unzufrieden -,
weil’s den Verbrauchern hier nur um sich selbst noch geht,
weil Machtbetörte haben geistig nichts zu bieten,
weil die Funktions-Eliten Schein statt Ernst erhöht,
weil Macher immer noch naiv das Märchen hüten,
der Wohlstand werde bleiben unser Halt-Gerät,
zu schützen uns vor populären Mythen -,
grad weil ich all das als Verwahrlosung erfahre,
als kulturellen Einbruch, Innenwelt-Versehren,
Demokratie-Verfall und letztlich Rechtsstaats-Bahre,
drängt sich mir auf die Barbarei der Seelenschweren,
die weitaus tiefer reicht als der Genuss der Ware,
zumal Vernichtungslust ist: Drang ist, zu zerstören.
ZINSJA (Zusammenschau in späten Jahren)
ZINSJA (18) Verödungsmagie (277)5
Nichts, gar nichts
hat es auf sich mit mir.
Ich bin völlig wehrlos
gegen dieses gesellschaftliche
Komplexitätsgefüge.
Muss zusehen und hinnehmen dies:
Dass unermüdlich wirft
die Produktionsmaschinerie
ihre Adiaphora* aus,
die das Ganze noch,
bespaßungsbasal verdrängt,
zusammenhalten.
Ohne sie
fiele das Wohlstandssystem
rasch in sich zusammen.
Dies verhindernd;
zahlen wir freilich
einen sehr hohen Preis:
Den der geistigen
und psychischen Verödung
der individuellen Innenwelten.
Auch meiner so.
Indirekt.
*Adiaphora griech: Völlig nutzlose und überflüssige Dinge
ZINSJA (27) Würde (278)6
Dass der Mensch eine Würde habe,
das kann ich nicht bejahen.
Kann es nicht aufgrund
meiner Lebenserfahrung,
meiner Redlichkeit und
meines Realitätssinnes.
Dass er sich indes eine anmaßen muss,
das mag begründet sein
in seiner Niedertracht, Gemeinheit,
seiner Pleonexie und seiner
radikalen Verlassenheit in dieser
ratiohypertrophen Ding-,
Lust-, Geltungs-, Show-
und Gaukel-Welt.
Überhaupt: Wie könnte ein
in jeder Hinsicht heteronomer,
ichlüsterner Täuschungsvirtuose,
ein so gänzlich schuldunfähiger
Knecht sapienter Barbarei
ein Träger von Würde sein?
Zumal er, wäre er es, nicht selten
benachteiligt, verleumdet,
ausgegrenzt und verspottet würde,
er, der sich selbst übermächtigende,
sich selbst zurücknehmende,
sich selbst um eines Wertes an sich willen
überschreitende Bedürfnisbüttel …
der sozusagen eine Art Übermensch
würde werden müssen;
wäre das auch als Würdeträger:
als dieser sich Zweck-an-sich, Person
und überhaupt ein sich jede Form
von Pleonexie radikal verbietender
Fremder in der heutigen Gesellschaft.
ZINSJA (21) Daseinslachen (279)7
Hinter sich hat man es erst
am Ende des Sterbeprozesses:
Das Alleinsein.
In allen Stunden, ausnahmslos,
sich rücksichtslos aufdrängend.
Von Anfang an.
Notdürftig verhüllt in Gleichgültigkeit.
Verdrängung, emotionale Belämmerung,
So-tun-als-Ob, Drogenkonsum,
drastische Ablenkung ...
Wie all die andern tabuisierten
Daseinslachen auch.
ZINSJA (22) Ankommandiert (280)8
Die Konsumdiktaturen
lassen auch noch
- was bliebe ihnen denn
anderes übrig? -
ihre Leeren verprassen.
Und die das lustfrenetisch tun -
die spaßgierg in sich
verbrachten Subjekte -
halluzinieren dabei
Autonomie.
Verroht durch Gewissensschwäche,
Pleonexie,
geistige Deklassierung
und infantil emotionalisierende
Dauererregung,
lassen sie sich treiben.
Geben sie sich auf.
Entledigen sie sich ihrer
als Person.
Sich durch Wolken
von technisch-magischen
Reizen, Signalen und Zeichen
ankommandierter Identität
träumend.
Geistige Freuden/Sonett (22) (281)9
Es gibt sie noch. Jenseits der konsumtiven;
obgleich nie massetauglich; daher selten:
Die Freuden elitärer Schaffenswelten.
Die Stillen, Transzendenz und Sinn verbriefen.
Sie schenken Selbstgewinn durch seelisch tiefen
Entlastungseinsatz gegen Psychen-Kälten,
Pleonexie-Dunst und steriles Gelten.
Vor allem gegen die eventlasziven
Verheiligungen dieser Ramschmohn-Sekte.
Sie brauchen keine technischen Effekte.
Und keine marktverfügten Eitelkeiten.
Geschehen wesenszart als geistgedeckte
Erhöhungsschübe, die vom Ich abscheiden.
Und distanzieren alles Tausch Verzweckte.
Genetische Gnade (282)10
Ich bin nur das, was ich muss sein.
Genetisch auch mir vorbestimmt.
Ein Selbst in einem Geistes-Hain,
das sich konform verglimmt:
Das keine Wünsche hat, was anbelangt
Prestige und Anerkennung und Applaus,
das nicht nach derlei Gut verlangt,
weil gar nicht wohnt in der Gesellschaft Haus.
Sich abgesondert stets erfahren musste:
Als Sonderling und Freund der Einsamkeit.
Der freilich grad als dieser wusste,
dass immer wäre es gescheit,
zu akzeptieren das Primat
von Geld und Macht: Pleonexie,
von Recht, sozialer Schichtung, Staat …
Weil Geist nie sein kann Leibwohl-Strategie
Persönliche Auslassungen (283)11
Obwohl mich kaum jemand verstünde,
ich sage es ganz offen raus:
Ich lege größten Wert auf Seelengröße,
auf Geistestiefe, ernste Selbstansprüche.,
auf Selbstverpflichtung, Selbstdistanz,
auf Sachlichkeit: auf Sinn für Faktenlagen.
Grad weil, was ist, die Menschen steuert,
sie konsumierend ihrer selbst benimmt,
zu solchen macht, die sich verlieren sollen
als Kunden-Rausch in Kauf-Ekstase …
Auch um politisch sie zu ignorieren,
weil ichbezogen sie sich frei erleben.
Was mich betrifft, so kann ich sicher sagen,
dass ich primär so eine Strategie verfolge,
mich zu behaupten wie ich’s wollen muss;
als jemand, den sein Stolz antreibt,
zu wissen, was warum er letztlich tut.
Obwohl das schwierig ist in einer Welt,
die ihn doch stän4ig auch manipuliert,
ihn fraglos untertänig sich zu machen,
ihn von sich selber abzubringen,
um letztlich ihrer Tyrannei zu dienen,
die ihr notwendig innewohnt …
Ich meine jener, der man fronen sollte,
weil immerhin sie einen nötig hat,
ihr Wohlstands-Kartenhaus zu festigen …
Durch Selbstbetrug, durch Schein und Show,
durch Trance-Orgiastik, einer Droge gleich,
die dann begehrenswert macht dieses Leben.
Und dies zu leugnen, bin ich nicht bereit.
ZINSJA (28) Unsägliche Banalität (284)12
Ich werde nichts weiter gewesen sein
als eine biosoziale Monade,
die sich um sich selbst gedreht haben,
sich selbst ausgesetzt und überantwortet
gewesen sein wird …
Und zugleich eben, ununterbrochen,
allen diesen anderen unglücklichen,
entlastungssüchtigen, desorientierten
und wohllebenshörigen Zeitgenossen.
Haltbedürftig agieren wir alle,
unterworfen sinnflüchtiger Vergeblichkeit.
Unschuldige Organismen (Körperdinge),
die sich - ichschwach - nach Glück,
Anerkennung, Zuneigung, Liebe,
Geborgenheit und Erlösung sehnen.
Auch um zu verdrängen, dass sie
nichts weiter sind als Vergeblichkeitsdiener,
als Verbraucher (Gewinnpotentiale)
einem trancedichten Dasein eingepfercht,
ausgeliefert, ausgebeutet (von sich selbst auch)
radikal marktverfügt, Rollenträger sind.
Entfesselt einem Dasein von unsäglicher Banalität:
Quantität, Nutzengröße, Datending (Merkmale,
Eigenschaften, Präferenzen, Nummer), Zeit,
Bedürfnismaß, Leistungskraft und Zahl.
Indes zuletzt niemandem zur Last zu legen,
drückt all das aus doch, was wir kerntief wollen,
soll heißen: stündlich wollen müssen, weil wir's sind:
weltausgeliefert Leibgefüge in deutungsloser Widersprüchlichkeit, allein, prekär und hilflos schwach ...
ZINSJA (30) Andere Formen der Einsamkeit (285)13
Ich zähle die Nullen
einer Außenseiterexistenz.
Ich tu’s klaglos.
Wissend um die Vorteile
eines Verzichtes
auf was uns allen
erstrebenswert erscheint:
Rausch, Anerkennung,
Macht, Entlastung,
dann Leibgenuss und
Welt- und Selbstvergessen …
Herrliche Nichtigkeiten,
drangsalvergänglich,
manchmal gar fleischsakral …
Indes doch auch nur
Einsamkeiten anderer Art:
Solcher mit einem Du,
in einem Du, durch ein Du:
Orgiastisches Fürsich-:
unaufhebbares Alleinsein.
Thema: Diese Sonette
Sonett (17) (286)14
Sie gönnen keine Emotionszufuhren.
Sie, diese analytischen Sonette.
Sind nicht gedacht für gängig menschlich Nette
mit doch diffusen Existenzkonturen.
Noch sind sie Intellektuellen-Suren
in idealbegrifflicher Stafette.
Noch auch Empörungs- oder Medien-Glätte,
sich schwankendem Bewusstsein ein zu spuren.
Sie bündeln vielmehr Spätzeitillusionen
im Widerschein von harschen Kämpfen gegen
die Zeitgeistkräfte und die Macherdrohnen,
die sich entfalten auf verschlungnen Wegen
und, angetrieben auch von Unpersonen,
die Wohlstandslunten an sich selber legen.
Variante 1 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sie sollen zeigen diese Destruktionen:
Die der Person, der Hochkultur, der Chancen,
sich abzukehren von den Wohlstandsmohnen
der technologisch produzierten Trancen,
um sich als Fremdling balzend einzuwohnen:
Als Warenreichidiot entseelter Zonen.
Variante 2 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sonette - radikale Abrechnungen
mit was auch immer mich düpieren sollte,
damit ich eins zu eins dem Markt gelungen
sei’s Wohlstandstyrannei, sei’s Starschund wollte,
sei’s von Politphantastik eng umschlungen,
als Stimmvieh Staatsversagen Beifall zollte.
trash culture/Sonett (18) (287)15
Streng habe ich gehalten diese Zeilen,
um eine Geisteskühle anzuregen,
die nicht gerichtet ist auf Umsatzwägen,
Prestige und Spaß und fade Tagtraumfeilen.
Bombastiktrivial sich aufzustylen
trash, show biz, Kunsttrance und medialen Trägen …
Erlösungsträchtigem Ekstase-Segen,
behelfsberauscht sich selber zu enteilen.
Indes warum denn denken statt sich graben
in Illusionen Reiz verwobner Welten?
Wer will an Einsichtswehen teil denn haben,
die einen selber doch in Frage stellten:
Ob man denn noch verfüge über Gaben,
zu hemmen Selbstzerfall und Seelenkälten?
Für sich wertvolle Einsichtsnetze/Sonett (19) (288)16
Das liest doch niemand. Das ist viel zu schwer.
Und überdies auch viel zu rational.
Es handelt nicht von Liebe, nein: der Zahl.
Ist für Effektverbraucher wohl zu hehr.
Wie überhaupt die Sprache eher Qual
für jemand ist, der geistig-seelisch leer,
mithin gewöhnt ist ans mediale Heer
ganz simpler Phrasen aus dem Spaß-Kanal.
Mich kümmert’s nicht. Ich bin damit zufrieden,
mit den Sonetten Einsicht einzufangen,
die mir mag Ruhe oder Abstand bieten
von zeitgeistschwanken Jenachdem-Belangen.
Die Politik wie Geldwirtschaft mir schmieden
als sapiensspät subtile Psychen-Zangen.
Ein Intellekt-Gebilde: Das Sonett (20) (289)17
Es lässt sich nicht emotional erschließen.
Das heißt: Man kann den Inhalt nicht erleben.
Als Kick, als Spaß, als simples Spannungsbeben.
Weil man sich konsumistisch will zerfließen
in kundentypischem sich selbst Genießen.
Erlebniseskapistisch Rausch ergeben,
sich von was Ichsucht stört, hinweg zu heben.
Auch deshalb wollte ich Sonette machen,
um diesen Geistesausverkauf zu meiden,
den Druck, zum Standard-Ich mich zu verflachen
und intellektuell mir zu entgleiten.
Um gängelnder Beglückung ab zu lachen
Verrohungshämen dekadenter Zeiten.
Essenzaporie/Sonett (21) (290)18/Geringfügige Variante (8/495)
Sonette mache ich, um Daseinsschweren,
mich selber überschreitend, zu entfliehen.
Denn diesen Schweren bin ich so gediehen,
dass sie mich kommandierend stets belehren,
ein Nichts zu sein in ihren Kunden-Heeren,(5)
die längst die Welt sich formten und sie ziehen
als Ungenügen spaßesstierer Mühen (7)
in Sinnverlust- und Untergangs-Miseren.
Und Rettung kann ich nicht für möglich halten, (9)
wenn ich an Hybris und Verblendung denke;
an alle unsre Tugendtruggestalten,
verführend uns als Phantasie-Geschenke,
als Selbsterhöhungs- und Vernunft-Gewalten.
Tatsächlich kalkulierte Machtspiel-Ränke.
Varianten
*Zeile 5: „ein Nichts zu sein vor ihren Gleichungs-Seren.“
**Zeile 7: „als tote Masse wohlstandsstierer Mühen.
in Untergang … Ob dem noch ist zu wehren?“
***Zeilen 9 bis 14:
“Wer weiß? Ich muss es für unmöglich halten,
wenn ich an Hybris und Verblendung denke.
Und überhaupt an all die Truggestalten
politischer und asozialer Ränke.
Und all die Formen von Brachialgewalten,
die wir verüben, da uns Daseinstränke.“
Richtigstellung (291)19
Dass depressiv ich je,
gar suizidgefährdet,
auch ansatzweise nur
gewesen wäre,
nun, das ist nicht der Fall,
obwohl es nahelegen
die alles Glück
verneinenden Gedichte.
Im Gegenteil:
ich bin substanzgeerdet,
bin’s auch, wenn ich,
zwecks Welt- und Zeit-Abfuhr,
mir das, was wirklich ist,
luzide lichte,
um mich dann geistig
nur zu hegen
in diesem allprekären
Unschulds-Stück …
Ganz ohne Gottes-Segen:
ohne Seine Fähre …
Was sollte ich da
Schwermut wägen,
mich nihilistisch
stellen gegen
uns Ratio-Wesen,
das vergeblich wertet?
Nein, nein. Ich heb
mein Glas auf es,
zu wünschen ihm
Vollendungs-Spur.
ZINSJA (17) Dunkle Energie (275)3
Längst mache ich mir
keine Illusionen mehr.
Jene dunkle Energie
reißt es fort,
dieses multientgötterte
Brachhaldenspiel sich nunmehr
als einziges Sein wissender Materie
(sie weiß es durch uns,
die wir sie ja sind),
zerrt es
in die quasi ewige Ausdehnung
unsagbar majestätischer
Sinnlosigkeit.
ZINSJA (19) Luzider Verzicht (277)5
Wieder einmal schreckte ich ein Du ab.
Mit Wahrheiten über meine
psychophysische Verfassung,
allgemeinen Hinweisen auf
meine Weltanschauung,
Bezeigungen meines
rücksichtslosen Realitätssinnes
und auch mit verwirrenden Sophismen.
Eingedenk all der Verwerfungen,
die es mir, dieses Du, anrichten würde,
ließe ich mich auf es ein:
Es lüde mir den Zeitgeist vor die Seele:
Seine Sakralisierung von
hedonistischem Konsum,
medial gesteuerten
Fadheitsverrichtungen,
das Anstaunen und Vergöttern
von Stars, Promis, Kultfiguren,
Tugendwirren und Empörungslüsternheiten,
Behelfsverhaltungen und
belämmerungsexzessiven Nichtigkeiten …
Mich zu betören mit gängigen Seichtigkeitsbehelfen
gegen eine faktisch in sich selbst längst
zusammenfallende: zerbröselnde Welt.
ZINSJA (20) Dankbarkeit - Die von den Fakten her (278)6
Ich werde nichts weiter gewesen sein
als ein nach und nach zerfallener Organismus,
ein Tier, das freilich begabt war, um sich selbst
zu wissen: Seine Ausgesetztheit, Sterblichkeit
und dauerprekäre Existenz in einer
objektiv an ihm keinerlei Anteil nehmenden
Materie-Welt - sie kann es nicht -, doch erst in mir
als allgemeinem Fürsichsein ihrer bewusst geworden:
Tatsächlich bin ich sie als sich ihrer
in mir selbst gewahrende …
werde nichts weiter gewesen sein
als ein Teilchengebilde baryonischer Materie,
einer sich selbst organisierenden
physikalischen Materie also…
nichts weiter gewesen sein als eine
vielfach bedingte Zufallslaune
einer biologischen Evolution auf diesem
für eine solche so günstigen Planeten.
Indes kennen weder jene Materie
noch diese Evolution
so etwas wie Zwecke, Ziele, Sinn, geistige
und genuin sittliche Ordnungen überhaupt;
außer durch mich, in mir,
einem gehirngesteuerten Ich-Selbst
als ihr willenloses Werk …
Ob mich das bedrücke, werfe in
psychische Mittellosigkeit, Trauer,
Verzweiflung, gar Todessehnsucht?
Mitnichten.
Ein solches Geschenk herabzuwürdigen,
verbietet sich schon deshalb,
weil ich in eine Zeit hineingeboren wurde,
die hätte elendsärmer, zuträglicher,
glücksträchtiger, materiell reicher,
rechtlich sicherer und friedlicher
nicht sein können;
gerade auch für mich,
diese so dauerbedürftige Tier,
das ich doch gewesen sein werde.
ZINSJA (23) Daseins-Los (281)9
Es ist mir definitiv nicht gelungen,
jemanden zu lieben*.
Noch nicht einmal
mich selbst;
es sei denn,
mein Geist riss mich hinweg
über diese monoman
glücksfeindliche Welt …
Du und Wir abzuwehren,
mich mir selbst zu bewahren.
*Liebe: Ich glaube nicht an die Liebe, weil die Fähigkeit, sich selbst hinzugeben, ohne dass diese Hingabe eine subtile Selbsterhöhung wäre, man sich also durch die Hingabe an das andere Du tatsächlich sich selbst hingibt, faktisch verschwunden ist; es fehlen dafür alle seelischen Dispositionen; z. B. die nicht-narzisstischen, nicht-utilitaristischen, nicht-hedonistischen, nicht-materialistischen usw. usw.: Der kapitalistisch geprägte Mensch ist zu einer nichtkalkulierten Hingabe nicht mehr in der Lage, schon weil er das Pochen auf sich selbst längst verinnerlicht hat und nicht ahnt, dass dieses ihn menschlich verarmen lässt. Die Liebe ist längst - zumindest in letzter Konsequenz - eine subtile Form der Ichsucht geworden; ohne dass das die Individuen auch begreifen müssten*.
*Der italienische Philosoph Galimberti sagt:
“Was in der Liebesbeziehung gesucht wird, ist nicht der andere, sondern die Selbstverwirklichung durch den anderen … Das Du wird zum Mittel für das Ich.“ So ist es.
ZINSJA (24) Verloren (282)10
Aus den konsumkapitalistisch
aufgetakelten Entlastungsgossen
singen die Restseelen auf.
Ungerührt indes
lausche ich ihnen,
wohl wissend,
dass sie aus Verwahrlosung,
Vereinzelung und
Selbstverlustseligkeit
nicht zurückzuholen wären.
ZINSJA (25) Sie allein verleihen noch Größe:
Scheitern und Vergeblichkeit (283)11
Wenn ich etwas rücksichtslos
wertgeschätzt habe,
dann gängiges Scheitern
und die Hochschätzung der Vergeblichkeit.
Kann man doch tatsächlich
auf diese nur noch bauen,
will man unbedingt verhindern,
im Stich gelassen,
verdinglicht,
depersonalisiert und also nur noch
als Gewinn verzweckt zu werden:
Unwiderruflich ausgeliefert
an Masse, Markt,
metaphysische Mittellosigkeit,
Medienmagie und
materialistisch-utilitaristische
Markt- und Polit-Moral.
ZINSJA (26) Auch eine menschliche Erbärmlichkeit (284)12
Man muss sich inszenieren heutzutage.
Tut man’s nicht, ist es so,
als existierte man gar nicht.
Oder eben abseits; wertlos.
Der Kapitalismus schätzt die Show mehr als die Realität.
Kein Wunder:
Wäre es umgekehrt, erkennte er auch sein Wesen …
Maßlose Übertreibungen,
Beschönigungen,
Optimismus-Pflicht,
Zwangslust,
Erlebnisoberflächlichkeit,
Optimierungslüsternheit,
Perfektionssucht,
die Ersetzung der Person
durch den Leib,
die Verdrängung aller Daseinstatsachen:
Bedürftigkeit,
Schwäche,
Ausgesetztheit,
Irrtum,
Krankheit,
Verfall,
Tod.
Dächte man immer an diese unumstößlichen Tatsachen,
man konsumierte weit weniger,
weil man begriffe,
dass gerade dies: sich konsumtiv anzureichern,
am wenigsten Sinn macht.
Weit weniger als Realitätssinn,
Selbstdistanz,
Augenmaß,
ungeschminkte Selbsteinschätzung …
Dagegen fürchtet der Marktverfügte
nichts mehr als Einsamkeit,
Vergänglichkeit,
Hinfälligkeit,
Halt-, Bedeutungs- und Sinnlosigkeit.
Deshalb inszeniert er sich.
Er muss es. Auch um den Anschluss
an die kommandierte Gängigkeit nicht zu verlieren
Ja, er inszeniert noch seine Inszenierung.
Dieser seiner selbst entmächtigte Mensch ist
ein Flüchtling vor der Wirklichkeit …
Ein auf Wirklichkeitsverzichte und -verluste
angewiesener Mensch.
Narzisstisch und ichschwach.
Großmäulig und erbärmlich.
Ichlüstern und selbstentfremdet.
Entfesselungsaggressiv und glücklos.
ZINSJA (29) Daseinsflüchtig, feige, lebensklug (287)15
Last würdest du mir sein,
Stundenverzehrerin,
obgleich faszinierend klug,
wunderschön, begehrenswert,
ironisch und geheimnisvoll.
Ich begreife mich selbst nicht.
Wahrscheinlich fürchte ich,
von dir gebannt, erhöht,
getragen, beglückt
und befriedigt zu werden.
Das macht mich unruhig,
belastet mich, ermahnt
mich zur Vorsicht,
halten doch dergleichen Daseinshöhen
niemals an, irgendwann
der Alltäglichkeit weichen müssend.
Zumal ich weder an Glück
noch gar an die Liebe glaube.
Ja: Ich habe geradezu Angst
vor ihnen, diesen so
tückischen Illusionen …
Ich will für mich bleiben,
die Stunden sollen mir allein gehören …
rausch- und sehnsuchtsfrei;
und ohne Bedauern - und Misstrauen
gegenüber der Haltlosigkeit, Tücke,
Unberechenbarkeit und Perfidie
eines, zumal so alllockenden,
Du wie dir.
ZINSJA (31) Wirklichkeitsersatz (289)17
Dass du mir irgendwas bedeuten würdest
in diesem später Tage Augenblick,
da es mich kommandierend treibt,
zu suchen nach
sei's Selbst-,
sei’s Zeitgeist-,
sei es Welt-Abstand,
das will ich lieber mir verhehlen,
dich Leibdrang rücksichtslos zu nutzen mir
als Steg in eine Surrogat-Ekstase,
um so,
dank ihrer Räusche, zu vergessen
dass sie ist Wirklichkeitsersatz in Kunden-Leeren;
von mir doch längst entlarvt als Schein
auf atomaren Grundlagen.
ZINSJA (32) Geläuterte Aufklärung (290)18
Dass selbstbestimmte Schuld es gebe,
da Freiheit, Selbstzwangmächtigkeit,
Vernunft uns eigne,
das will ich doch auf sich beruhen lassen.
Zumal ich weiß,
dass wir uns loben müssen,
verkennen, ja: betrügen auch.
Nichts weiter doch als Großhirnaffen
und daher hilflos ausgesetzt
dem eignen technologisch ingeniösen Schaffen …
so oft doch unbegriffen gegen uns gewendet.
Orientierungslose.
Und Gewohnheitstäuscher.
Vor allem ratiodestruktive doch,
so hochbegabte Gleichungsvirtuosen,
die als Person sich sehen,
als moralische …
Das bitter nötig haben, wie ich meine;
es ohne Häme, ohne Schadenfreude,
es ohne Arroganz auch
trostlos trauernd meine.
Hab ich doch selbst gebaut auf Lebenslügen,
auf Selbsttäuschungen,
Psychen-Notbehelfe.
Sozialphantasmen auch: Entlastungsschlieren.
Mein deutungsloses Dasein so zu meistern:
Es lallend mir zu buchstabieren
mit leeren Worten,
hoffnungsträchtig sehnsuchtsbitter …
Doch manchmal kernluzide auch …
will sagen: über mich hinausgehoben
als geiststolz einsichtsradikale Hyle.
Die sich in mir als Ich-Selbst-Traum
bewusstlos schaffend selbst beschenkt.
ZINSJA (33) Nach mir, lange nach mir: Der Mensch … nicht einmal mehr sich selbst ein Alptraum? (291)19
An meinen langen,
von Einsamkeit umspülten Abenden
denk ich zuweilen auch daran,
wohin es uns mal führen wird,
dies hochprekäre Existieren …
Ganz ohne Mystik,
Verzauberungsmärchen,
Gott,
Natur-Magie.
Gerade daran,
dass unser Ratio-Zwang sich objektivieren wird
künstlich autonomes Lernen,
um uns dann auch zu steuern, zu konditionieren,
auch moralisch abzurichten, letztlich so zu prägen,
dass wir, alle gleich, uns am Ende
allkonform verhalten werden …
Allerdings:
Von Daseinsmühen dann befreite Menschen
sehe ich nicht,
sehe keine Sinngesellschaft solcher,
die ihrer Widersprüche würden ledig sein,
sehe auch keinen, wie auch immer, neuen Menschen
Schon gar nicht sehe ich
einen Würdeträger, verpflichtet
Recht, Gerechtigkeit und einem demokratischen Staat.
Und schon gar nicht sehe ich ein Geistwesen,
das neugierig, leidenschaftlich, faktenverbunden,
sachlich und schicksalsfähig wäre…
sehe gar nichts dergleichen …
Vielmehr ein lückenlos außengesteuertes,
dumpfes, nützlichen und hilflos-untertäniges Wesen,
dem zumal Gram und Tragik, Sehnsucht und Glück,
Ideal und Versagensqual,
jedes Streben fremd sein wird,
das ihm nicht verfahrensrational vermittelt worden wäre,
um seinen Willen zu brechen,
seine Phantasie zu zerstören,
ihn politisch hörig zu machen,
ihn zum austauschbaren Exemplar zu reduzieren,
zum pseudohuman Hörigen als Resultat
einer totalitären Ratio-Diktatur …
ZINSJA (34) So war und ist es. Ungeschminkt (292)20
Kindlich, geistverwiesen, naiv
und psychisch dauerlädiert,
konnte ich dieser Konsumdiktatur
nicht viel abgewinnen …
Es sei denn die Einsicht,
dass ihre demokratische Fassade
als diffuses Gestrüpp von Nichtverboten
mir würde sehr nützlich sein können.
Und das war der Fall:
Innerlich lebenslang randständig,
vermochte ich meine Existenz
gesellschaftlich-sozial und wirtschaftlich
ganz passabel zu meistern.
Indes dass ich lebenslang ausgesetzt wäre
Niedertracht, Verrat, Ausbeutung,
Charakterlosigkeit, Häme, Arroganz,
Narzissmus, Selbstglorifizierung und
menschlicher Erbärmlichkeit,
das war mir schon als Kind klar.
Ist eben so. Zumal niemand vor sich selbst gefeit ist,
niemand sich selbst zu entrinnen vermag.
Ich auch nicht. Gar nicht … Ende.
ZINSJA (35) - Kindlich-träumerische Daseinssehnsucht (293)21
Mich den Gepflogenheiten,
wie sie nun mal sind,
mich der Gesellschaft einzufügen,
war ich von Anfang an doch außerstande.
Mich wollte lebenslang was andres leiten,
zumal ich blieb ein Kind.
Mir war nach Träumen, danach, mich zu biegen
dem Wunderbaren sanfter Bande,
wie etwa Götter sie bereiten,
- ich traute denen, traue ihnen blind -
mich zu bewahren vor den andern Seiten:
Pleonexie, auch im Moral-Gewande.
Zumal die Daseinsfakten mir geläufig waren:
Wie etwa Niedrigkeit und Perfidie.
Wie etwa Machtsucht, Lügen, Korruptionsgebaren;
lernte ganz früh dies: der Mensch ist oft auch Vieh.
ZINSJA (36) Du und ich - geistentlarvt (294)22
Griffe ich dir rücksichtslos,
ohne Skrupel in die Seele:
Sagte ich dir, wer wir sind,
du und ich, dann würdest du
hasserfüllt wohl aufbegehren,
alle Fakten leugnen wollen,
nämlich, dass wir sind Versager,
müssen oft uns selber täuschen,
hochprekär doch existierend:
permanent der Welt, uns selbst,
Widrigkeiten ausgesetzt,
die nur einer greift, kann buchstabieren
- gegenmystisch, wahrheitsliebend -:
der nur selbst sich treue Geist.
ZINSJA (37) Vollendungsblitz (295)23
Ich setze - sei es -
auf den Augenblick,
dies kurze Jetzt
im Großen Nein.
Tu’s im Wissen
um sein Scheitern,
endend in
Fürsichsein doch:
nacktes, gar nicht
mitteilbares.
Überhöhend
deinen Leib,
saugend aus
sein Fleisch;
Basis dieses
Stoffgefüges,
Süchte weckend
nach Vollendung
die zu sein
es mir verspricht:
gierwundschön.
erotisch-magisch,
sehnsuchtsdrastisch
um Erlösung
bittend.
Doch obwohl
dir nun verfallen,
fortgerissen von
Phantasmen,
die dein Körperding
mir spiegelt,
weiß ich doch,
ich werde scheitern:
Weil schon werdend
schwindet Glück,
kann sich ganz
nur geistig geben;
doch ekstatisch
nur als Trance.
ZINSJA (38) Gebet an die Materie (296)24
Nichts bin ich doch außer dir.
Bin ganz und gar nur Du: In mir.
deiner selbst als Intelligenz und Geist
bewusst gewordene Materie …
Deiner als der Großen Mutter
eines vergeblich sinn-
und bedeutungshungrigen Primaten.
Sei mir also willkommen,
zufallsdumpfe Indolenz.
Vielleicht ja fügt es sich,
dass mir weiterhin Bedürftigkeit,
körperlicher Verfall, Krankheit und
Bewusstseinsverlust erträglich bleiben,
nicht ausarten in basalfunktional
reduziertes: rein körperliches
Gerade-noch-Sein.
Solange jedenfalls, bis du mich
schon bald wieder in deinen,
in mir selbst als Du seiend angelegten,
fühllos-indolenten Stumpfsinn wirst
- Werden und Vergehen
doch notwendig seiend -
zurückholen müssen:
Das geist-, indes auch schmerzfreie:
absolute Nichts für mich.
ZINSJA (39) Doppeldeutige Vergeblichkeit (297)25
Geliebt habe ich die Große Vergeblichkeit.
Feit sie allein doch gegen Sinn-, Bedeutungs-
Geltungs- und Wert-Sucht.
Weiß man sie nämlich zu deuten und hat man die Kraft,
das notwendig allbedrückende Ergebnis
psychisch-geistig-existenziell zu ertragen,
dann mag man augenblicksweise,
des objektiven Nihilismus dieses Daseins nicht gewahr,
versinken im Erfassen einer von der zerstörerischen Hässlichkeit dieser Welt unberührten Schönheit,
naiven Anmut,
absichtslosen Liebenswürdigkeit
oder auch nur erfolgreich widerständig
strebenden Lebendigkeit
einer stummen Pflanze
oder eines vollendet
an seine Umwelt angepassten Tieres.
ZINSJA (40) Meiner Muttersprache zugeeignet (298)26
Zufall und Notwendigkeit, Hybris und Verblendung,
Machtsucht, Mammon, Indolenz,
Korruption und Barbarei und Gier
treiben sie dahin, diese so offensichtlich
sich dem Individuum
rücksichtslos verweigernde Menschenwelt
(um dieses kann es ihr nicht gehen).
So sich auch mir definitiv entziehend.
Das ist unabänderlich.
Es sei denn, ich bin sie und mich selbst los.
Und das ist der Fall, wenn ich Gedichte mache,
geistbefugt und scheinbar bedürfnislos mich dem Reichtum, den Feinheiten und den Bedeutungstiefen
meiner Muttersprache hingebend,
dieser mich mir selbst in Perspektiven setzenden
geistgefluteten Heimat,
die es mir dann auch erlaubt,
jene Menschenwelt zuweilen
in ihren Kernen zu erfassen …
Als das, was sie ist:
Ein verwahrlosungsparadiesischer Trivial-Nihilismus
individueller All-Hilflosigkeit.
ZINSJA (41) Verkümmerungsdiktatur (299)27
Nichts mehr da von meiner Kindheitswelt:
Kein Gott, keine Gespenster, keine Nebelgeister,
keine murmelnden Steine, keine Dorfdeppen,
keine psychisch zerrütteten, schamsiechen Außenseiter,
keine Originale, keine Verunglimpfungsvirtuosen,
keine weisheitsträchtigen Windböen,
keine ungenutzten Feldflecken,
keine unhinterfragten Traditionen,
keine orientierende, da kontrollierende Enge eines
relativ streng hierarchisierten Sozialkosmos,
keine Verzauberungsgelegenheiten …
Keine Dorfwelt mehr eben mit all ihren Widerwärtigkeiten,
Verlogenheiten, Verkommenheiten, menschlichen Abgründen
freilich tiefer, unreflektierter existenzieller:
unbegriffener Irrationalität …
Und diese heutige Welt stößt mich ab,
ist künstlich, substanzlos, effektprimitiv:
Entzauberter Klamauk hedonistischer Unmenschlichkeit,
eine Barbarei andrer Art als die gängig historische:
Tugendsubtil,
phrasenfrenetisch,
prestigegauklerisch,
scheinselbstfad,
inszenierungsbrünstig,
steinseelenlinkisch,
gewissenstot,
basiskorrupt
emanzipationsfrigide,
politmessianisch
und selbstrunken …
Diese heutige Welt entfremdete mich meiner selbst.
Ich bin weltlos geworden.
Indes würde das kaum jemand begreifen.
Man muss nämlich beide Welten kennen,
bis ins Innerste verstanden haben,
um zu erfassen, was ich da sage:
Ich bin weltlos geworden.
Will sagen: Seelisch-geistig trudle ich
durch Haltlosigkeit, Leere, Gottferne …
Durch eine abstraktionsrationale Verkümmerungsdiktatur.
ZINSJA (42) Wir Abklatsch-Subjekte (300)28
Lieblos bist du.
Bist es anders als ich.
Bist es im Rausch
deiner Verbraucherreligion,
deiner von dir
unbegriffenen Schwüre
auf die Erlösungsmacht
der Ware, das Spaßes,
der hergestellten Emotionen …
Abklatsch bis du.
Abklatsch sind wir.
Nicht mal auf uns selbst
zurückgeworfene,
sich selbst kalkulierende
Zeitgeist-Monaden.
ZINSJA (43) Süchtlinge (301)29
Wie könnte ich
meiner Verwirrung
noch Herr werden?
Zumal sie doch auswuchs auch
im Fortgang der Jahre
zu Ablehnung, Aggressionen
und scharfzüngiger Verachtung?
Und ob überhaupt noch,
frage ich mich schon
angesichts
dieser trancetrunkenen
Surrogate-Bedürftigkeit
blasiert provozierter
Gemeinheitsbedürftigkeit?
Von was ich hier rede?
Von uns rede ich,
den desorientierten Süchtlingen
nach erlösenden Sinnbrosamen
in einer immer weiter
herunter kommenden,
digital verwahrlosenden Welt.
ZINSJA (44) Vergeblich gottestrunken (302)30
An den fernsten Horizonten noch:
Kerne von immer komplexeren Atomen
synthetisierende Sterne.
Indes irgendwann dem Zerfall geweiht.
Wie ich dem physischen Untergang.
Teilchenspross. Hinfälligkeitsknecht.
Nichts also ist da, kein metaphysisches Refugium,
worauf sich meine Sehnsucht richten könnte.
Die eines vergeblich gottestrunkenen Stoffgefüges.
ZINSJA (45) Glückskind (303)31
Zweifellos, zumal des Zufalls Liebe,
der mich oft begünstigt hat,
hab ich zu mir selbst gefunden.
Trotz der Häme, trotz der Hiebe …
Alles lief mir glatt.
Kehrten sich zu Schicksalschancen
selbst noch meine Wunden …
Deutend mir des Daseins Trancen,
Grundgefüge dieser Schädelstatt.
ZINSJA (46) Lebensklug (304)32
Grund zur Klage hab ich nicht.
Eher den zur Dankbarkeit.
Hochgekommen aus der Unterschicht
bis in Geistgeleit.
Das mich trug mein Leben lang.
Einsicht mich gewinnen ließ.
Manche von Belang.
Die mir Wege wies.
Etwa den recht kluger Selbstaufgabe.
So mir selber zu entrinnen.
Dass ich nicht mit Zeitgeist trabe:
Lustbedrückt von Sinnen.
ZINSJA (47) Wirre Kindheitssehnsüchte (305)33
Glas um Glas dieses billigen Fusels
leere ich. Seit Stunden. Billigwein aus ferner,
mir nie so recht gewogener Heimat.
Indes Heimat. Immerhin. Und Leidgefilde.
Doch das sei radikal verdrängt hier.
Jetzt, da ich trinkfest wie drogenlüstern
und zügellos übermütig zugleich,
wieder einmal vermessen und haltlos genug bin,
mir die maßlose Ahnung zeitloser Vollendung
meiner Tierheit einzubilden, mich rücksichtslos
zu berauschen an fuglosem Immersein.
Jener mythischen Geborgenheit der Frühe
mich träumerisch wieder zu verschreiben …
Einst schon von den Steinen der Stadtmauer
meines Heimatdorfes sie mühelos kratzend,
um dann mit ihr auch die Winde zu locken,
die an den Himmeln über den Feldern,
auf mich herabzugleiten, mich zu umhüllen,
den Staub der Mauer und jenen boshaften Flecken
definitiv hinter mir zu lassen, mich mitzunehmen
in jene allen Worten sich hartnäckig verweigernde,
seeleneinsam flimmernde Vollendungsphantasmagorie.
ZINSJA (48) Ichbruchlose Selbstausdeutung (306)34
Dass je ein Mensch mir, sei es Frau, sei’s Mann,
tatsächlich nah, vertraut,
gar einer Freundschaft wert gewesen wäre,
das zu behaupten wäre völlig übertrieben;
genauer: kindisch unverschämt erfunden.
Von früh an habe ich eher gespürt
Schauspielerei und feinste Selbstverstrickung,
den Wunsch zu überragen, auszustechen,
zu diffamieren auch und zu entwürdigen;
Verlogenheit dann auch und Indolenz,
das Spiel der Ichsucht und der Lebenslügen,
der Bosheit und primär auch dies:
Dass wir gefangen sind in einer Wesensschwere,
bei jedem anders zwar, doch gängelnd lebenslang.
Verspottend jede Form von Selbstbestimmungswunsch.
Vor allem hab ich dies begriffen,
dass ich allein dastehe, Einsamkeit verfügt,
bedeutungslos bin objektiv,
so nichts als Mittel fremder Interessen …
Nur Umsatzaffe und Gesellschaftsbüttel,
der - es ist normal, genetisch auch geboten -
erhöhen mag sich zu Elite,
sei’s ökonomisch, ethisch, kulturell,
sei es auch kratisch weltanschaulich:
politisch, meint auch: geistig hochkorrupt.
Das muss so sein; man ginge unter,
wenn radikal charakterfest.
All diese Wege waren mir versperrt,
ich fühlte es, heut weiß ich es:
Ich wäre immer an mir selbst gescheitert:
gezeichnet menschlich und sozial,
zu linkisch unbeholfen oft errötend,
ein Nihilismus-Kenner, manisch faktennah
und noch als Träumer selbstentbergungsvirtuos …
konservativ zumal und völlig außerstande,
mich nicht als Staub-Orgiastik:
als Verfall zu sehen: als Zeit und Stoff,
Bedürfnislast- und Triebgefüge …
grad wenn entlastungslüstern ich
der Eitelkeit der Art mich überlasse:
Vernunft, Intelligenz und Recht und Würde …
an Geist so letztlich, scheint’s, gescheitert,
an Einsichtskraft, an Redlichkeit, auch Stolz,
mich zu betrügen selbstverstrickungsvirtuos,
zu frönen einer täuschungsfaden Gängigkeit …
als Sklave nichtungspraller Daseinsdürftigkeit.
(B) Nunmehr 22 Sonette aus: NEXBISO: Nüchterne Existenzbilanz in Sonetten - Die Entmächtigung der personalen und geistigen Grundlagen des Menschseins
Gelingen/Sonett (1) (307)35
Was will ich mehr? Mehr kann’s doch gar nicht geben:
Der plumpen Gegenwart was abzuringen,
was man für sich zählt zu den größten Dingen:
Wie Abstand etwa zu sich selbst erstreben …
Um sich nicht unbegriffen zu erleben,
erwartungsvoll getragen auf den Schwingen
des Gängigen, die in die Tiefe zwingen:
Zu Hab- und Geltungs-Sucht sich zu erheben.
So sehe ich mein Dasein als gelungen.
Vorbei geschlenzt an tristen Widrigkeiten
gesellschaftlich-sozialer Niederungen.
Vorbei am Lärmen dieser kleinen Zeiten
medial gelenkter und verdorrter Zungen,
Ideologenstumpfsinn auch zu meiden.
Versöhnender Geist/Sonett (2) (308)36
Wir sind nicht böse; aber auch nicht gut.
Als Organismen permanent getrieben
von Kreaturenmächten, die uns schieben
in diese existenzgewirkte Flut
von drastisch schauernder Bedürfnisglut.
Die, sei es Glücke bringt, sei’s Fall und Trüben …
ist jedenfalls gebunden an Belieben:
Der Daseinswürfeleien Zufallsbrut.
Und jeder ist verwoben seinem Leben.
Und weiß, dass er sich selbst kann niemals tragen.
Und dass ihn trennen von den andern Gräben,
Bewertungsunterschiede, was die Lagen
bedeuten … dass das nur der Geist kann sagen,
mag Aporien in Versöhnung heben.
Äußerer Lebenslauf/Sonett (3) (309)37
Ich frage mich, wohin die Jahre sind.
Nun, das ist eigentlich ganz leicht zu sagen.
Präsent ist mir die krude Zeit als Kind.
Indes als immergleiche die an Arbeitstagen.
Warum? Da sogen die Erledigungen,
die waren gleich sich alle Tage.
Da war ich jenen eng verzwungen,
zu meistern nur Routine-Lage.
Jetzt bin ich alt. Und spür es jede Stunde:
Ich schaffe nicht mal mehr den Alltags-Trott;
zumal schon spüren kann die letzte Runde:
Den allumfassenden Final-Bankrott.
Indes das Kind in mir sehnt sich nach Gott,
dass der mir schließe auch die letzte Wunde.
Thema: Allgemeine Lagen (individuell innere,
gesellschaftlich-soziale, ethische politische, kulturelle usw.
Systemimmanente Niedergänge/Sonett (4) (310)38
Dies Dasein hergestellter Seelen-Öden,
mit Reizen angereichert und Signalen,
fundiert in Lüsten und in Umsatzzahlen
und einer Ich-Sucht ohne Selbstwertböden …
ist das von Kunden, die sich selbst anbeten.
Es ist ein Dasein einer geistesschalen
Verdrängungsorgie stiller Seelenqualen,
begründet in abstrakten Daseinsnöten.
Was wäre denn noch da an Selbstansprüchen,
es sei denn der, sich drastisch auszuleben?
An Antrieb, zu begegnen all den Schlichen,
die die Gesellschaft aus den Angeln heben?
An Faktensinn im Angesicht von Brüchen,
empörungslüstern nach Verfall zu streben?
Dasein heute (5/311)39
Das hast du früh schon doch,
geahnt ganz früh.
Und irgendwann
dann auch gewusst:
Dass es vorherbestimmt ist,
ist gebahnt …
Man kann auch sagen:
Wird gemusst -
als zufallspralle Daseins-Lotterie:
Abstrakt, banal
und aller Zwecke bar …
Nichts weiter ist
als eine Ratio-Sause:
Verlierer- und Versagens-Joch.
Und doch
zuweilen lebenswert …
Als Geistmacht,
Eros und Magie.
Unfähige deutsche Funktionseliten (312)40
Sind sie noch fähig,
dieses Land zu lenken:
naiv gesinnungsschlicht,
ideologisch-ethisch-ideell?
Zumal sie faktisch
doch an sich nur denken:
An Privilegien, Beifall,
Ämter-Karussell,
Karriere-Glanz
und Geltungs-Drall?
Das hat indes
komplexe Gründe.
So etwa Selbsthass,
Dekadenz und
Wirklichkeitsverluste.
Dann diese deutsche
Tugend-Extremisten-Sünde:
Die Kerne zu verwechseln
mit der Kruste.
Dann sind da Feigheit,
Mittemaßgebrechen,
nur Halbbildung und dann
die unbegriffne Würde:
Phantom und Ausweg-Trance
aus unheilbarer Bürde,
dass leeren Worten wir
uns letztlich alle doch
verzechen.
Dies müssen ... Ohne jede Chance.
Entlaufen/Sonett (5) (313)41
Tatsächlich sind wir unsre eignen Macher:
Gegängelte von kortikalen Werken.
Die geistig-seelisch lassen uns verzwergen
im Bann von Technik, Gleichung und Geschacher:
Der Markt ist uns Demiurg. Er macht uns flacher.
Und infantiler. Kann uns so nicht bergen.
Zerstört Vernunft er doch und Selbstzwang-Stärken.
Uns Tag und Nacht doch Innenweltbewacher.
Das ist ein Drama für uns Zwienaturen.
Auf Ethik und auf Technik angewiesen.
Objekte nur noch von Kalkül-Zensuren
und künstlich provozierten Traumspielwiesen,
verlieren wir die kulturellen Spuren.
Und das, das müssen wir ganz bitter büßen.
Zuweilen so erfahren/Sonett (6) (314)42
Da andere man braucht, sich selber was zu sein,
wird man in unsrer Zeit der Ichsucht-Spekulanten,
die - selbstbrach - permanent um Anerkennungsquoten,
Bewunderung und Selbsterhöhung listig buhlen,
sich, menschlich angeekelt, finden oft allein.
Zumal sich Star-Kult-Knechte werden cool gewanden,
erfolgreich anzukommen als Beglückungs-Boten,
um dann im Gegenüber in sich selbst zu suhlen.
Doch Plan und Absicht da sofort zu unterstellen,
das scheint in diesen Fällen nicht recht angebracht.
Agieren da doch Menschen ohne Geistesquellen:
Ichschwach Gewissensarme einer Selbstwertschlacht ...
System-Abklatsch mit punktexakten Opferdellen:
Prekäres Mittelmaß und Existenz-Ohnmacht.
Verschweigen eines Offenbaren (315)43
In Nischen horche ich mich um
nach Halten. Doch ich weiß,
ich drehe hilflos mich im Kreis:
Um mich als Individuum.
Zumal man aufreibt die Person,
bezugslos und ersetzbar macht
zum Reizeffekt und Gleichungsklon,
der lustbetont sich selbst bewacht.
Verlässlich gegen alles steht,
was Lenkung und Betrug entlarvte:
Das konsumistische Pamphlet
als Flutungskick für geistig Unbedarfte.
Doch das behalte ich für mich.
Besagen doch die Eingebungen:
Auf sich gestellt, versagt das Ich.
Allein in Ding sich spiegelnd
sich gelungen.
Faktenlage/Sonett (7) (316)44
Man hat nur selten Grund, sich selbst zu loben,
verfügt man über etwas Selbsteinsicht.
Wird man indes durch andere erhoben,
erhöht das einem schnell das Selbstgewicht:
Verklärt die Mängel, korrigiert nach oben:
Man strahlt sich an in fremd gestreutem Licht.
Bedenkt nicht, dass man, außenangeschoben,
nur kurz vergisst die eigne Wesensschicht.
Ich indes weiß, dass dies ist mein Geleit:
ein Tier-, ein Zufalls- und ein Art-Gefüge.
So etwa bin ich mir bewusst als Zeit,
weiß, dass ist mich nur allzu oft betrüge
- mit etwa der Fiktion der Selbsteinheit -,
indes nur Stoff bin ohne Sinn-Genüge.
Geiferöden/Sonett (8) (317)45
Reklame, Reize, news, Enthemmung oder Daten,
die Tag für Tag doch die Bewusstseinsräume fluten,
entflechten Faktensinn, um uns dann zuzumuten,
Zusammenhängen, Ernst und Denken zu entraten.
Man hört nicht hin, versteht nichts, man verliert den Faden.
Um sich bald abzuwenden von auch sprachlich kruden
fragmentdiffus geformten Propagandaknuten.
Als würde trunken man durch Geifer-Öden waten.
Realität und Wirklichkeit* sind am Verschwinden.
An ihre Stelle treten schleichend Stimmungsfetzen,
die in Bespaßung oder Spannungsdruck einmünden.
Um Konsumenten in die Lage zu versetzen,
narzisstisch-cool Verantwortungen aufzukünden,
durch surreale Welten magisch sich zu hetzen.
*Realität und Wirklichkeit: Sie meinen nicht dasselbe. Realität meint die Vielheit der sinnlich erfahrbaren Dinge, Sachen, Waren, Körper usw. Wirklichkeit meint den Überbau, das Wertgefüge, die ideelle Ausdeutung jener Realität.
Thema: Weltanschauung
Nihilismus und Determinismus/Sonett (9) (318)46
Nie habe ich, und sei’s nur eine Stunde,
an unsrer All-Bedingtheit zweifeln müssen.
Dass wir uns jederzeit sind selbst beflissen
und, streng notwendig, auch uns selber Lunte …
Uns selber ausgesetzte Daseins-Schrunde.
Zerfiel uns längst doch auch schon das Gewissen,
entformt von Ratio- und von Markt-Einflüssen.
Zu arm, von Sinn zu geben irgend Kunde.
Im Zwangsablauf von Kreaturen-Zwecken,
dabei uns selber schuldlos Gramgeleit,
müssen, Natur entlaufen, wir uns recken.
Doch Büttel leibbasaler Endlichkeit.
Was wir uns, Sinn-Sud lallend, überdecken
mit Fakten-Leugnung, Rausch und Tugendkleid.
Selbsttäuschungen/Sonett (10) (319)47
Wir sind drauf angelegt, uns zu zerstören.
Und als Globalkraft werden wir das schaffen.
Wir, die sich permanent nur selbst begaffen
und auf sich selbst als Daseinskrone schwören.
Wir wissen freilich nichts mehr von Verehren.
Sind nur noch anspruchsvolle Überaffen,
verdammt, aus Lebenslügen Halt zu raffen.
So unsre Welt als Trug-Mohn zu verzehren.
Warum auch nicht? Denn dass an uns was läge,
das ist ein Trostschub aus Bewusstseinswirren:
Dass Geist, Vernunft und Selbstdistanz uns präge.
Tatsächlich sind wir Trieb gewordnes Irren.
Und phantasieren uns in Scheinauswege.
Indes von Lust und Sinn und Glück wir girren.
Dahinschwinden/Sonett (11) (320)48
Man merkt es deutlich, so dahinzuschwinden.
Ist man doch dauernd sich als Zwang verfallen.
Und schweigt dazu. Wer will schon sinnlos lallen
von etwas, was man wortlos muss verwinden.
In Leeren starrend, die zu Zeit sich binden.
Man mag sich deshalb in Verdrängen krallen,
um zu ertragen, dass das Ganze Fallen
in Stillen ist, die in Verstummen gründen.
Begreift man das, ist man sich selbst vergoren.
Selbst wenn man wagt den Zufall der Momente,
Vergeblichkeit ein Schnippchen mal zu schlagen:
In Du etwa von einem fort getragen …
ist jenem Schwinden man doch ganz verschworen.
Man ist es ja. Vom Anfang bis zum Ende.
Fallschund (321)49
Die Tage gehen.
Und so schleifen sie
mich selbst
durch ihren Uhrenlauf.
Genormt.
Geplant.
Ganz rational.
Auch deshalb
kann ich sehen ihn:
Der goldnen Kälber
Ausverkauf ...
Im Geiststrahl
des Gedichts.
Erleichterung (322)50
Bin ich ganz ehrlich, muss ich’s geben zu,
dass ich erleichtert bin, bereits so alt zu sein.
Ich wünsch mir das, es gibt mir Kraft und Ruh.
Ich glaube nämlich nicht an einen Zukunfts-Hain
des Fortschritts, Wohlstands und der Sicherheit.
Sie sei sozial, politisch, meide jeden Krieg.
Ich glaube eher an vermehrtes Leid;
und nicht an den globalen Sieg
von Menschlichkeit, Vernunft und Groß-Moral.
Im Gegenteil, ich sehe schwere Krisen:
die Last von Mangel, Unterdrückungs-Qual
und Völker, die viel Blut vergießen.
So bin ich denn erleichtert, schon so alt zu sein.
Das wird mir manches Leid erspart dann haben,
wenn homo sapiens wieder lässt auf Krieg sich ein.
Indes das Nichts mich birgt vor seinen schlimmsten Gaben.
Pan-Nihilismus IV/Vollständiger Materialismus
Sonett (12) (323)51
Materie, die zu Verstand gediehen,
Bewusstsein ist, muss durch sich selbst vergehen.
Denn sich in Artefakten-Zwang erhöhen,
muss irgendwann Vernichtung nach sich ziehen.
Und auch sein Höchstes: Geist, kann nicht entfliehen
dem Los des Stoffs: Dem kommandierten Drehen
von Sterngewalten in Zugrundegehen.
Bis auch die Stillen Ewigkeit verblühen.
Sind wir doch atomare Spielereien,
in Technik, Mängeln und in Zeit gefangen.
Phantasten eigner Blender-Litaneien.
Und schuldlos feil zerbrechlichen Belangen.
Die wir in indolente Welten schreien,
zermürbt von totem Wert- und Sinn-Verlangen.
Sein und Sollen (13) (324)/Sonett 52
Das Sein des Einzelnen wird stets verbleiben
im Hochprekären einer Deutungslage,
die Selbst und Fakten schnürt zur Plage,
phantasmagorisch sich zu hintertreiben.
Und einer Schutz- und Wahnwelt einzuschreiben.
Verschweigend, dass man nie sich selber trage.
Dass Sollen nichts ist als nur Geltungssage:
Sich Perspektivenwirrnis aufzureiben.
So torkeln beide, sowohl Sein wie Sollen
durch letztlich bodenlose Lotterien.
Und provozieren kortikale Rollen,
Pleonexie und Ethikmohn gediehen.
Was nötig macht die Mär vom freien Wollen:
Um nackter Ausgesetztheit zu entfliehen.
Leichtgewicht (325)53
Ich trinke reuemüde
Glas um Glas.
Erfühle dabei
Nichts um Nichts.
Entlarve Ich,
Warum und Was
als Fratzen
eines Leichtgewichts.
Ich reiße weinschwer
sie herunter,
ob hinter ihnen
noch was stecke.
Doch, wie erwartet,
ist ihr Spind ganz leer,
gerichtet auf
banalen Plunder
und Trostbegriffe
toter Zwecke.
Smarter Imperativ (326)54
Make the most of now! -
Das ist ein Kernimperativ
des globalisierten Kapitalismus:
Nu an Nu,
jedes standardisierte Ekstase.
Effekt, Nichtigkeit
und das Vorenthalten
von währendem Glück zugleich.
Und dazwischen die Lücken
von geistiger Impotenz,
Gewissenlosigkeit,
seelischer Verwahrlosung,
Phantasielosigkeit
und massiv herabgesetztem
Realitätssinn.
Der glücklose Späte/Sonett (14) (327)55
Narzisstisch ohne Selbstdistanz gebunden
an letztlich unbegriffnes Wohlstandszetern,
schmückt er sich coolplump mit gesollten Federn
auf immer gleichen Ich-Erlebnis-Runden.
Hat seinen Selbstwert diesen abgeschunden,
sich balgend mit ihm gleichen Ich-Anbetern.
Die Haltschwund, Perfidie und Hybris ködern.
Längst nicht mehr fühlend kulturelle Wunden.
Und, realistisch, muss ich es so sehen.
Mich suchten selber heim schon derlei Finten
in infantil mir inszenierten Nähen:
Verwahrlosung bis in die Psychen-Rinden,
die spielend sich erdeichselt Spaßgeschehen,
verkommen hilflos Gram zu überwinden.
Ungefähre Einsicht /Sonett (15) (328)56
Ich habe sie wohl ungefähr verstanden,
die Welt und was sie ausmacht in den Kernen.
Ich meine sowohl die, vereint in Sternen,
aus deren Staub wir spät erst dann entstanden:
Bipede als Bewusstseins-Intriganten;
als auch die Sehnsucht hin zu Gottesfernen,
mit Halt versehen tiefer Geistzisternen.
Um in Geborgenheit und Sinn zu landen.
Tatsächlich bin ich weiter nichts als Hyle.
Ein Gran Materie, an Zeit gebunden.
Um mit zu schlittern in sozialem Spiele.
Von vornherein in diesem überwundendurch hochkomplexe Zwänge im Gewühle
der auf mich saugenden Bedürfnisrunden.
Das ist’s/Sonett (16) (329)57
Mein Sinn für Fakten konnte nie versiegen,
weil immer ich um unser Dasein wusste:
Dass es Begehren ist und Selbstverluste,
tristesse und Niedertracht an allen Tagen.
Es auch ganz sinnlos sei, nach Schuld zu fragen.
Die gibt es nämlich nicht. Nur dies gemusste
ernüchternde Durchstoßen einer Kruste.
Auf die kein Kern folgt, sich nach ihm zu biegen.
Die tote Masse neuronal durchdringen,
innovativ sie untertan zu machen
dem vorgegebnen Antrieb, Stoff in Sachen
durch technische Verfahren dann zu zwingen …
Das ist’s: Gewaltprozesse zu entfachen,
die ihren Meister dann in sich verschlingen.
Erinnerungen an die Stadtmauer meines Heimatdorfes (330)58
Graue, regnerische Tage,
schwermutträchtige
bis in die Daseinskerne.
Selbst die Steine der Stadtmauer
weinten sich aus.
Indes ich, ins Dämmerlicht
eines Winkels gekauert,
vor anderen geschützt,
meine Vergeblichkeitsanwandlungen
abtastete.
Auf ein seltenes Glück hin:
Strömende Räusche
von leerer Geborgenheit,
rettend in sinnfreies
Entlastungsverwehen.
Thema: Diese Sonette
Sonett (17) (331)59
Sie gönnen keine Emotionszufuhren.
Sie, diese analytischen Sonette.
Sind nicht gedacht für gängig menschlich Nette
mit doch diffusen Existenzkonturen.
Noch sind sie Intellektuellen-Suren
in idealbegrifflicher Stafette.
Noch auch Empörungs- oder Medien-Glätte,
sich schwankendem Bewusstsein ein zu spuren.
Sie bündeln vielmehr Spätzeitillusionen
im Widerschein von harschen Kämpfen gegen
die Zeitgeistkräfte und die Macherdrohnen,die sich entfalten auf verschlungnen Wegen
und, angetrieben auch von Unpersonen,
die Wohlstandslunten an sich selber legen.
Variante 1 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sie sollen zeigen diese Destruktionen:
Die der Person, der Hochkultur, der Chancen,
sich abzukehren von den Wohlstandsmohnen
der technologisch produzierten Trancen,
um sich als Fremdling balzend einzuwohnen:
Als Warenreichidiot entseelter Zonen.
Variante 2 (zu „Diese Sonette“, Zeilen 9-14):
Sonette - radikale Abrechnungen
mit was auch immer mich düpieren sollte,
damit ich eins zu eins dem Markt gelungen
sei’s Wohlstandstyrannei, sei’s Starschund wollte,
sei’s von Politphantastik eng umschlungen,
als Stimmvieh Staatsversagen Beifall zollte.
trash culture/Sonett (18) (332)60
Streng habe ich gehalten diese Zeilen,
um eine Geisteskühle anzuregen,
die nicht gerichtet ist auf Umsatzwägen,
Prestige und Spaß und fade Tagtraumfeilen.
Bombastiktrivial sich aufzustylen
trash, show biz, Kunsttrance und medialen Trägen …
Erlösungsträchtigem Ekstase-Segen,
behelfsberauscht sich selber zu enteilen.
Indes warum denn denken statt sich graben
in Illusionen Reiz verwobner Welten?
Wer will an Einsichtswehen teil denn haben,
die einen selber doch in Frage stellten:
Ob man denn noch verfüge über Gaben,
zu hemmen Selbstzerfall und Seelenkälten?
Für sich wertvolle Einsichtsnetze/Sonett (19) (333)61
Das liest doch niemand. Das ist viel zu schwer.
Und überdies auch viel zu rational.
Es handelt nicht von Liebe, nein: der Zahl.
Ist für Effektverbraucher wohl zu hehr.
Wie überhaupt die Sprache eher Qual
für jemand ist, der geistig-seelisch leer,
mithin gewöhnt ist ans mediale Heer
ganz simpler Phrasen aus dem Spaß-Kanal.
Mich kümmert’s nicht. Ich bin damit zufrieden,
mit den Sonetten Einsicht einzufangen,
die mir mag Ruhe oder Abstand bieten
von zeitgeistschwanken Jenachdem-Belangen.
Die Politik wie Geldwirtschaft mir schmieden
als sapiensspät subtile Psychen-Zangen.
Ein Intellekt-Gebilde: Das Sonett (20) (334)62
Es lässt sich nicht emotional erschließen.
Das heißt: Man kann den Inhalt nicht erleben.
Als Kick, als Spaß, als simples Spannungsbeben.
Weil man sich konsumistisch will zerfließen
in kundentypischem sich selbst Genießen.
Erlebniseskapistisch Rausch ergeben,
sich von was Ichsucht stört, hinweg zu heben.
Auch deshalb wollte ich Sonette machen,
um diesen Geistesausverkauf zu meiden,
den Druck, zum Standard-Ich mich zu verflachen
und intellektuell mir zu entgleiten.
Um gängelnder Beglückung ab zu lachen
Verrohungshämen dekadenter Zeiten.
Essenzaporie/Sonett (21) (335)63
Geringfügige Variante (8/495)
Sonette mache ich, um Daseinsschweren,
mich selber überschreitend, zu entfliehen.
Denn diesen Schweren bin ich so gediehen,
dass sie mich kommandierend stets belehren,
ein Nichts zu sein in ihren Kunden-Heeren,(5)
die längst die Welt sich formten und sie ziehen
als Ungenügen spaßesstierer Mühen (7)
in Sinnverlust- und Untergangs-Miseren.
Und Rettung kann ich nicht für möglich halten, (9)
wenn ich an Hybris und Verblendung denke;
an alle unsre Tugendtruggestalten,
verführend uns als Phantasie-Geschenke,
als Selbsterhöhungs- und Vernunft-Gewalten.
Tatsächlich kalkulierte Machtspiel-Ränke.
Varianten
*Zeile 5: „ein Nichts zu sein vor ihren Gleichungs-Seren.“
**Zeile 7: „als tote Masse wohlstandsstierer Mühen.
in Untergang … Ob dem noch ist zu wehren?“
***Zeilen 9 bis 14:
“Wer weiß? Ich muss es für unmöglich halten,
wenn ich an Hybris und Verblendung denke.
Und überhaupt an all die Truggestalten
politischer und asozialer Ränke.
Und all die Formen von Brachialgewalten,
die wir verüben, da uns Daseinstränke.“
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