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Diese Seite enthält 47 Gedichte (42 Prosa-, Reim-Gedichte und 5 Sonette)

Existenz

Realistische Sicht (2444)1

Dass mein Leben am Ende
irgendeine erwähnenswerte Bedeutung gehabt haben wird,
glaube ich eher nicht;
auch nicht, 
dass es mit mir sonst was Besonderes wird auf sich gehabt haben,
was man erwähnen sollte oder könnte.
Tatsache ist,
dass ich recht gut gelebt habe werde:
friedlich, sicher, wohlstandsabseitig 
(soll heißen: verzichtsklug)
und vor allem geistgeborgen;
also ein weitaus besseres Leben geführt habe werde
als die meisten, die vor mir, und, so sieht’s aus,
als die, die nach mir kommen werden …
Verdienstlos zufallsbegnadet, faktenvirtuos …
Ohne Wirklichkeitsverluste, ohne Lebenslügen, Tugendphrasen
und, vor allem, ohne Illusionen über dieses Leben:
Meins und das meiner Artgenossen …
Eine trancegeschönte Vergeblichkeitssause 
undurchbrechbarer Verlassenheit,
kommandiert durch eine notwendig 
atheistisch-nihilistische Sekundärrealität
evolutionskommandierter Ratio-Hypertrophie.

Apps ergeben (2445)2

Asphaltphantasmen.
Lenzgier abgesogen
in Straßencafés.
Sterile Ehrgeizlinge tauschen
gram vor Ichunschärfe
ihre Psychen-Spasmen aus.

Da inszeniert sich
mittagsstundenheilig
digitales Massenweh.

Zeitgemäße Basalmächte (2446)3

Am besten scheint,
man lässt sich einfach treiben.
Besäuft sich, vögelt, protzt
und frisst.
Fragt nicht, was eint,
was wahrhaft ist.
Und lässt sein Selbst
vom Markt zerreiben.

Denn so, wie’s steht,
ist alles einerlei.
Gewissen,
Ehrfurcht,
Scham selbst obsolet.
Nur Mammon nicht,
nicht Gier, nicht Sauerei.
Weil ohne die
hier nichts mehr geht.

Pseudo-Persönlichkeit (2447)4

Ein paar Leerformeln abgreifen.
Im Net zum Beispiel.
Das ist der ganze Inhalt,
der die zerfallenden Seelen
auf Kurs halten soll:
Befehlsnarzisstisch 
davon abgehalten,
ihre subjektive Bedeutungslosigkeit
erregungstorpid*
an sich vorbei zu genießen.

*torpid: träge, stumpfssinig

Irgendwann? (2448)5

Der grauweiße Schirm, 
der blinkende Cursor,
die rundäugige Büroklammer,
das wandernde Absatzzeichen,
Zahlen, Symbole, 
Anzeigen, Befehle.
Das ist die Realität,
in der man täglich acht
oder mehr Stunden hinbringt.

Der Apparat herrscht vollkommen.
Verweigerte man sich ihm,
entzöge man sich damit zugleich 
die Basis des Lebensunterhaltes.
Also beugt man sich,
überlässt sich der bequemen 
und doch auch hilfreichen Diktatur
dieses technisch-mathematischen 
Meisterwerkes.

Man weiß indes,
dass man lediglich 
ein allgemeines Schicksal teilt:
Das einer quasi triebhaft 
neuronal geschaffenen 
Abhängigkeit,
der niemand mehr 
zu entkommen vermag:
Hirnwelt.

Man gewinnt immerhin 
eine Vorstellung davon,
dass eines nicht mehr 
allzu fernen Tages,
irgendwann,
die technische Schöpfung
einer panartefaktiellen Welt
den Individuen nicht nur
jede Entscheidung über ihr 
äußeres Leben abnehmen,
sondern ihnen auch jedes Gefühl
von Spontaneität,
selbst das irrationaler Anwandlungen,
exakt vorherbestimmt provozieren wird so,
dass sie Freiheit und Knechtschaft
nicht einmal mehr basisemotional
werden unterscheiden können.

Dilemma (2449)6

Was denn, 
bitte, 
soll ich sagen?
Und vor allem auch:
Zu wem?
Da wir Wirklichkeit 
zerschlagen
und ersetzen
durch System?
Da wir schönen uns
die Lagen ...
wohlstands-dekadent
bequem?

Aggression (2450)7

Ich habe das alles so unsäglich satt:
Den Terror der technologisch codierten Belämmerungskosmoi.
Die bis in die Moleküle kommandierenden 
Abstrakt-Apparaturen.
Die Rund-um-die-Uhr-Innenweltsteuerung durch Medien.
Die dadurch induzierte Verlotterung, Versimpelung und Verarmung des Affekthaushaltes.
Die Genuss- und Habsucht einer wohllebenserlösungssüchtigen Bevölkerung.
Die radikale Marginalisierung alles dessen,
was außerhalb ihrer intellektuellen Reichweite liegt.
Die Anonymisierung, Verachtung 
oder gar Verhöhnung des Geistigen.
Die Universalisierung des wesensseichten Schnäppchenjägerbewusstseins.
Die Vergötzung erotisch ärmlicher Reklamekörperlichkeit.
Die Vergaunerungsniedrigkeit mancher Funktionseliterepräsentanten.
Die geistige Korruption und machttaktische Selbstverramschung spracharmer Leerformeldeuter.
Die Primitivisierungslust dauerempörter Intellektueller.
Das Übertünchen von Inkompetenz durch Moralhypertrophie.

Ich habe das alles so unsäglich satt:

Die Psychen formenden,
leichtläufig narkotisierenden Plattheiten
dieser von sich selbst ergriffenen, 
magisch Verdinglichungssehnsüchte 
verscherbelnden Dauernichtigkeit,
diesen Warenkosmos 
narzisstisch orientierungslos
in sich selbst verzettelter Daseinsgaukler.

Unfreie Weigerung (2451)8

Ich will nicht tanzen, wie die Märkte flöten.
Und das ist auch kein Wunder.
Wer flöhe nicht den Ramschkult ihrer Spaßwelt-Lethen:
Erregungszufuhrrausch und Psychen-Plunder?

Ich würde mich doch nur verlieren
an ihre Weisen trivialen Trostes.
Mich Inszenierungslärmen ein zu spüren.
Unendlich oft schon vorgekostes.

Doch andrerseits muss ich mir sagen,
dass grad von diesem Irrsinn wir doch leben.
So sehr, dass wir heraufbeschwörten Lagen
gefährlich schwanker Daseinsbeben,
wenn alle wir von jenen ließen.

Und dies ergibt, ich kann mich nur verweigern,
weil andere gerade nicht es tun.
Die so verhindern unwägbare Krisen,
indem sie konsumtiv sich steigern.
So wie ich geistig mich: Dank ihrer … Nun?

Sich allabendlich wiederholende Sinnentleerung (2452)9

Ereignislose Tage, die sich reihen.
Als ob da sonst nichts wäre. 
Ich quäle mich durch lange Zahlenreihen,
um aufzuzeigen diese Schere:
Was kam herein, was wurde ausgegeben?
Wo könnte man noch sparen?
Da zeigt sich das moderne Leben.
Es ist Kalkül verfügt und Plangebaren.
Kein Wunder also, dass man abends giert
nach Spannung, Räuschen, Emotionen.
Sich spaßweltsüchtig so verliert 
an Selbstaufgabe in Erregungszonen.

Zeitenschwelle (2453)10

Ich lebe an einer Zeitenschwelle:
Die ehemals tiefreligiöse Angstehrfurcht
reproduziert sich heutzutage 
als wohllebensmystisch trivialisierte Erlösungsphantasterei
im Bann kapitalistisch-technischen Daseinsvollzuges.
Gebrauchsfertige Halluzinationsfelder
liefern die Bindeglieder für die so gegenreal 
sich abdichtenden, begrifflos vagierenden* Innenwelten.
Die beseligende Despotie digitaler Superstruktur
entlastet die orientierungslose Subjektivität von sich selbst.
Ihr zerfällt zumal,
drastisch reklame- und leerformel-hörig, 
die Sprachmächtigkeit.
Sie mutiert zur Standardmonade.
Monologisierende Verwahrlosung greift um sich.
Niemand will sie. Jeder giert nach ihr.
Depersonalisierung gerät zur Schlüsselstrategie
egalisierender Verknechtungszwänge.

*vagieren: umherschweifen

Erlebnissammler (2454)11

Wohl werden wir zugrunde gehen.
Verwiesen längst auf Steigerung an sich.
Der Produktion wie des Konsums.
Und alle sollten um dies Scheitern wissen.
Lässt es sich leicht doch auch begreifen.
Wir wissen es. Jedoch wir handeln nicht.
Weil hilflos resigniert und willenlos gemacht:
Der Wohlstand hemmt die Antriebskräfte,
uns stumpfsinnselig sein lässt infantil.

Auch weil der Kunde sich kein Inhalt ist,
nicht sein kann, ein Erlebnissammler,
nichts hat, was über ihn hinaus ihn trüge,
erpicht auf Dinge, die er gar nicht braucht,
und die er hat, längst nicht mehr wollend.

Wie sollte so er denn nicht spüren,
wie sinnlos ist doch seine Existenz,
wie leer und leer nur auszuleben?
Rastlos getrieben, zu verdecken
nur wiederholte Albernheiten,
Verblendungskindereien und 
am Ende nur formelle Existenz,
Persönlichkeit als Datensammler,
besäuselt von Konzernen und von Banken,
gelockt von Kitsch und von Reklame.
Wie sollte da nicht Todessehnsucht,
Verfallslust ihn subtil beschleichen,
als Gossenbarbarei ihn faszinieren?

Grundbelange (2455)12

Unfrei in sich selbst gefangen,
lebenslang sein eigner Knecht:
Einer von den Grundbelangen,
typisch für uns Ich-Geflecht;

bündelnd alle Einschränkungen:
Gene, Herkunft, Zufall, Wir,
denen man prekär gedungen
ist Objekt von Gier.

Grund genug, es zu betonen:
Immer braucht es Lebenslügen,
von sich selbst sich zu verschonen,
Macht- und Ausbeutungs-Gefügen.

Bodenlosigkeit (2456)13

Schon die Vergegenwärtigung 
vergangener Freuden 
oder gar Glücke
bedarf des konstruktiven Selbstbetrugs:
Der verzerrten Verklärungen 
in selbstgestellten Bildern,
der Genehmheitszurichtungen …
trostsüchtig gesüßten Innenweltanreicherungen …

Die erinnerte Vergangenheit
ist nicht weniger unscharf als die Zukunft, 
die man sich ausmalt.
Wissend dabei,
dass sie niemals entsprechend eintreffen wird:
Gegenwärtiges Entlastungsphantasieren  
eines zu Verkennungsschlieren verdammten 
Fiktionen-Verbrauchers.

Selbst das, was man jetzt und hier erlebt,
ist letztlich ungreifbar, 
Traumgespinst, zusammengeronnen 
aus der tausendfädigen Komplexität
eines gleichgültigen materiellen Kosmos,
der ein Bewusstsein hervorbrachte,
das ohne Selbsttäuschungsmächtigkeit 
niemals hätte Bestand haben können.

Jeder I (2457)14

Jeder ist Resultat.
Auch noch in dem, was er fühlt.
Soziales Konstrukt, ein Primat,
der als Person sich nur spielt.

Jeder wird sich durch Du,
durch Wir, durch Sprache, durch Normen.
Klaubt sich aus Nicht-Ich Wozu,
Orientierung und Formen.

Jeder ist alles als einer:
Abbild, Reflex und Akteur.
Lebt sich als Körper und keiner
könnte als Ich sich sein mehr.

Jeder ist Spielball von andern,
selbst sich Objekt zugleich.
Um als Subjekt zu mäandern 
durch ein symbolisches Reich.

Und jeder erlebt sich völlig allein.
Grad im Orgasmus-Rausch lustnacktes Ich.
Muss sich das Ganze selber sein,
verurteilt durch es zu sich.

Die meine Wege leibstumm kreuzten (2458)15

Verblassten alle in der Ferne:
Melancholie und Reue, Schwermut auch.
Sie sind gewichen aus dem Kerne,
sentimental nur noch als Schall und Rauch.
Zynismen sind geblieben und Begriffe,
vollendungsnah in ihrer Kraft,
gibt’s nichts doch, was sie schärfer schliffe
als Einsamkeit in Geisteshaft.

Schreibtisch-Schimäre (2459)16

Brütende Hitze.
Noch schaler als sonst der Büroalltag.
Selbst der PC scheint müde,
signalisiert was,
scheint mir, 
von Bit-Sturz und Ohnmacht,
von Ende und Niederlage.
Vergeblichkeiten sowieso.

Ich phantasiere mich 
zurück auf Pangäa*,
durchstreife 
die knochenübersäten 
flimmernden Wüsten,
Seins-Schatten mir,
biped und händig verhirnt,
lange vor mir selbst.

Schimäre nur 
eines gegenwartsflüchtigen Angestellten.
leicht, wie es narrt,
die lethargisch schleichenden
primitiven Kriecher vermeidend,
die ihn anbrüllen,
ihre riesigen Mäuler
hilflos bedrohlich aufreißend.

Noch sengt sich das gleichgültig-faszinierend 
vor sich hin.
Prachtüppig unversehrt noch 
von der neugierigen Hinterhältigkeit
omnivorer* Opportunisten.
Noch nicht vergewaltigt 
von Bedeutungsneurotikern,
auf Technik verwiesenen Destruktions-Virtuosen
und dauerperfiden Geltungsbütteln.

*Pangäa griech.: All-Erde. Superkontinent; etwa  im Perm 
und der Tias (275 bis 200 Millionen Jahr v. u. Z.)
*omnivor = „allesfressend“, allesverschlingend“: Tiere, die sowohl pflanzliche wie tierische Nahrungsstoffe verdauen können.

Was? (2460)17

Was war’s denn nun? War’s Illusion?
War’s Trance, war’s Schein, war’s Ignoranz?
Indes: Wer wüsste, fragt das schon?

Ganz sicher war es Perspektive,
die’s auszudeuten galt;
als solche simple, manchmal freilich tiefe
Entfaltung von Gehalt.

Doch was dann letztlich den bewirkte,
bleibt dunkel, ist mir rätselhaft.
Gewiss nicht nur der Hyle stumme Kraft.

Auch weil um eigne Schatten 
man doch kreist.
Imaginäre, deutungsleere.
Von denen keiner freilich 
irgendwas verheißt,
was als ein Sinnversprechen 
zu begreifen wäre.
        
Seelische Verarmung (2461)18

Das Menschliche ist konsumtiv verdichtet.
Der Markt erlaubt’s kaum mehr.
Hat er sich doch die Seelenreste zugerichtet.
effektfrenetisch trümmerschwer.
Verschwunden ist das Individuelle,
auf Allgemeines reduziert.
Verschüttet jede kulturelle Quelle,
mit Medienschund und Popmusik primär.
Man selbst ist, allen gleich, allein;
sich Leib-Heil, Lust-Sog, Starkultabklatsch-Schein … 
Fiktionsmonade, die sich inszeniert,
entmündigt ist und kollektiv verliert.
Das Menschliche ging Herdenweisen unter,
egalitär verfügt von Schein und Plunder.

Flüchtige Gedanken beim Lesen eines Kontoauszuges (2462)19

Meist zwischen dem 15. und 17. des Monats liegt er vor, 
der Kontoauszug.
Und seine akkurat aufgelisteten Kolonnen spiegeln
die in Zahlen ausgedrückten 
alltäglichen Anstrengungen meines Angestelltendaseins:
8 bis 10 Stunden Büroarbeit.
Dieser Kontoauszug ist die einzige Unterlage,
die ich immer sofort aus der Masse der Werbeprospekte,
die, neben lokalen Presseerzeugnissen,
gewöhnlich den Briefkasten verstopfen,
herausfiltere, um sie aufmerksam zu prüfen.
Denn mir gilt dies als unumstößlich wahr:
Geld ist materialisiertes Ich-Selbst,
abstrakter Gegenwert zu physischen,
psychischen und intellektuellen Vollzügen,
die ich im Laufe von 4 Wochen im Büro 
routinemäßig abgeleistet habe,
um dafür dann bezahlt zu werden.
Und dieses Geld ist als regelmäßiges Einkommen
für mich so etwas wie existentielle Primärsubstanz,
aus der ich - neben der materiellen Bedarfsdeckung -
auch so etwas wie einen Selbstwert sauge,
bestimmt doch dies Abstraktum ‚Geld’ 
mein soziales Ansehen,
den Grad an äußerer Würde,
das Maß an Ehrbarkeit und Einfluss,
die andere mir, wenn auch zuweilen widerwillig,
zuzubilligen bereit sind.

Der deutsche Durchschnittsmensch steht 
- das ist jedenfalls meine persönliche, 
bisher unwiderlegte Erfahrung -
nämlich sozusagen unter einem nationalen Zwang,
wenn er seinesgleichen reflexhaft
nach rein quantitativen Kriterien einstuft,
sie taxiert, ihren personalen Wert festsetzt
nach dem unmittelbar äußerlich,
rein empirisch Wäg-, Mess- und Zählbaren,
kurz: Handgreiflichen,
das allein seinen agonalen Antrieb
und seine brennenden Wünsche 
nach sozialer und individueller Anerkennung anstachelt.
Jener nimmt jene als Träger von wirtschaftlicher 
und also konsumtiver Potenz wahr;
und die definieren dann auch weitgehend
die vermuteten menschlichen Qualitäten.
bestimmen Maß und Qualität des privaten Umgangs,
definieren persönliche Aspirationen, 
Einstellungen, Selbstansprüche und Lebensweisen. 
Das alles nehme ich als unabänderlich gegeben hin,
hielte es gar für falsch, es, 
deutschidealistisch in sich selbst verirrt,
naiv zu kritisieren. Ist es doch menschlich zwanghaft.
Dies zu sagen, verpflichtet mich mein Realitätssinn:
Jede andere Art der Wahrnehmung, 
Einordnung und Schätzung anderer
- etwa nach ihrer Fähigkeit zu Selbstdistanz,
sachlicher Objektivität, bedachtem Urteil, 
Bildungs- und Verfeinerungs-Willigkeit
jenseits von Nutzenerwägungen,
also letztlich Seelen- und Charaktergröße,
sich spiegelnd in den das physisch Ich überschreitenden,
verfeinerungsgesättigten geistigen Haltungen;
kurzum: Irgendein nicht ökonomisch begründetes 
Über-sich-hinaus-Streben
gilt mir als elitär, also als ungeeignet, der gesellschaftlichen Normalität Rechnung zu tragen -
Ist zumal in jenem mittleren Typus, von dem ich hier rede,
gar nicht angelegt: 
Er lebt einer ihn dauerkommandierenden 
Pleonexie unterworfen,
der er keine Selbstbestände entgegenzusetzen hat,
die jene allgemeine Existenzmacht 
würden relativieren können.
Und das ist kein moralisches Versagen. 
Das ist unabänderliches Schicksal.

Man kann im Konsumkapitalismus ganz gut ohne Gott,
ohne Glauben an was auch immer leben.
Gewiss auch ohne eine Weltanschauung;
und ausgezeichnet sogar ohne sittliche Ideale
(wenngleich es, das weiß jeder,
z. B. aus geschäftlichen oder politischen Erwägungen heraus,
ratsam ist, so zu tun, als habe man solche).
Man kann auf alle personalen Werte und Eigenschaften,
auf sein Selbst sogar 
(und dies umso leichter, als auch dieses nur 
ein kompliziertes Kommando- und Phantasmen-Geflecht 
von formal bezüglichen genetischen Partial-Konstrukten ist, die es, auf den eigenen Vorteil bedacht,
je nach Lage sozialreflexiv zu justieren gilt)
nicht aber auf sein Ich
(den Körper als trieb-, schmerz- und bedürfniszentriertes Ding) verzichten.
Und, eben deshalb, ebenso wenig auf Geld.

Geld, das ist das Pendant zum Kern der Marktsubjektivität
(die wir alle sind; das ist ökonomisch-technisch-naturwissenschaftliche Notwendigkeit.
Man mache sich da nichts vor,
enthalte sich dem üblichen Bramarbasieren von Moralphrasen.
Da gibt es nämlich nichts zu wollen,
nichts zu entscheiden,
weil individuell nicht das Geringste zu ändern),
die gegenwärtig nichts weiter 
als ein Momentanreize abarbeitendes und verbrauchendes,
wenn auch hochkompliziertes biologisches Gefüge ist,
ausgestattet zumal mit kognitiven Fähigkeiten
quasirationaler Überlebens-, Überwältigungs-, Halluzinations- und Genussoptimierungs-Strategien; sämtlich riskiert, zentrisch leibgerichtet,
an sich freilich angesichts ihres Übermaßes und ihrer Ausschließlichkeitsrelevanz definitiv sinnlos:
Die Vergottung des Geldes ist nämlich 
gleichbedeutend mit existenzieller Heteronomie.

All das schießt mir durch den Kopf während der akribischen Auswertung des Kontoauszuges.
Und eben auch, ich vergesse es nie, kann das gar nicht, 
das scheinbar Umgekehrte:
Das Faktum der mit jeder Faser auf sich selbst verwiesenen,
sich selbst universalisierenden 
und magisierenden Ich-Selbst-Einheit:
Welche Ängste, welche Gebrochenheiten,
welche Selbstwertverlustbedrückungen schießen auf,
wenn der Kontoauszug eine Zeit lang 
weniger ausweist als gewohnt
- aufgrund von Arbeitslosigkeit z. B. -
jedenfalls bei den übergeordnet belanglosen,
gesellschaftlich nur statistisch relevanten Dutzendexistenzen,
den kleinen Leuten, für die, wie für mich, 
der Kontoauszug psychisch stabil haltende Fristungsgarantie ist:
Dafür, dass Miete, Heizung, Wasser und Strom,    
Sprit, Versicherungen, Autosteuer, Raten 
und sonstige laufende Kosten 
pünktlich beglichen und darüber hinaus auch noch die Statussymbole
(Waren und du-strategische Erlebnisfixierungen als Grundlagen chronisch bedurfter Emotionenbewirtschaftung)
angeschafft, verfügbar gemacht 
und eingekauft werden können …
Doch so dringend benötigt z. B. für Zwecke der Selbstnarkotisierung:
Effektkitzel: Vom Urlaubskick bis hin zur Erregung flüchtiger Aufmerksamkeit bei anderen,
Momentbefriedigungen, vermeintlicher Bewunderung abgerungen.
Aus denen man dann das trügerische Gefühl
von Geltung, Eigenwert und Dazugehörigkeit saugt,
nach denen wir alle, zumal von keiner Wirklichkeit* mehr behaust,
weil es eine solche gar nicht mehr gibt,
so drastisch belanggierig hungern.
Unwägbarkeiten, ja: 
kommandierender Unüberschaubarkeit ausgesetzt,
abgesehen von den existentiellen Erfahrungen,
die ganz unabhängig von z. B. geschichtlichen Konstellationen und technisch-naturwissenschaftlichem Entwicklungsstand mehr oder weniger jeden betreffen:
Ausbeutung, Niedertracht, Unfreiheit, Benachteiligungen, Niederlagen, Deklassierungen, Verbitterungen, Verfehlungen usw. usw.
Die freilich der Kontoauszug nicht ausweisen kann.
Zumal die auch das Substanzgut Geld,
trotz seiner quasimetaphysischen Erlösungs-Qualität,
so wenig wie das Heer der ehemaligen Götter,
auch nicht mal ansatzweise, verhindern kann.

*

Indes ich würde es noch einmal machen,
wenn mich nur wieder dieser Geistsog bärge.
Dann kröche ich noch mal in jene Rachen.
Und nähme hin, dass ich mich selbst verzwerge.

Dann dürfte ich in Sommernächten wachen,
in Rauschgesängen atomarer Werke
das All durchqueren auf Phaiaken*-Nachen,
gewahrend trauersiech schon kalte Sternensärge.

Um wieder einzugehen in dies Nichts:
Der toten Stoffe ungeheure Weiten.
Verfallsding dieses Stoffgedichts, 
das weder Zweck noch Ziel noch Sinn begleiten.

*

Das ist doch was, auch wenn es nichts besagt.
Mir scheint das so. Man kann’s auch anders sehen:
Als ein Gebilde, das sich selber klagt,
verschlagen in Bewusstseinswehen,
in deren Stoffgefügen homo sapiens jagt
nach Selbstvergottung und Vollendungshöhen.
Bis er dann angesichts des Alpgesichts verzagt,
er könne hyperrational sich Barbarei eindrehen.

*Wirklichkeit hebe ich hier ab von Realität: Diese ist Faktenmeer, jene „Überbau“: Wertperspektivengefüge - und ein solches ist als unhinterfragbares nicht mehr gegeben: Wir leben in einer Gesellschaft 
ohne Überbau-Einheit, soll auch heißen: 
einer atheistisch-nihilistisch-hedonistischen
„leibfunktional-nur-physischen“ Gesellschaft von primär autokonsumtiv ausgerichteten Körper-Monaden
*Phaiaken: Mythisches Volk in Homers Odyssee. 
Auf seiner Irrfahrt nach der Eroberung Trojas 
irrt Odysseus - nicht heimfindend nach Ithaka - über die Meere und wird u. a. auch zu den Phaiaken verschlagen. Diese bringen ihn dann nach Ithaka - mit Schiffen, die ihre Ziele von selbst finden … Odysseus kommt nach 10 Jahren Krieg vor Troja und 10 Jahren Irrfahrt, 
also nach 20 Jahren endlich nach Hause. 

Flexibel (2463)20

Gelesen habe ich, 
das Ich sei nur Fiktion.
Zumindest großes Rätsel sich.
Gebettet Traum und Mohn.

Mich freilich stört das nicht, 
ich habe meins.
Getrimmt auf Empirie-Gewicht,
nicht Lustwillkür des Scheins.

Ich füge mich den Faktenräumen:
Den Lagen je und je:
Mich nicht in Selbstkult zu versäumen,
in Märenlabyrinth, gar schwarzem Schnee.

Immerhin ist’s ehrlich so (2464)21

Mit mir weit her war’s nie so recht.
Das muss ich offen eingestehen.
War eher wankelmütig, hin und her gerissen.
Gar fatalistisch oft. Genau genommen.
Ließ lieber mal die Dinge schleifen,
Als sei ich letztlich unberührbar doch,
verfügte über unbeugsame Kräfte.
Indes war’s Indolenz, was mich da schob.
War’s eine Ablehnung gegebner Welt,
die mir nichts würde geben können.
War’s, dass kein Ideal mich rührte,
kein Wert, der Faktenträchtigkeit versprach.
Bin ich doch außerstande, dran zu glauben,
dass Menschlichkeit es geben könne,
Moral, für die es sich dann lohnte,
realen Nihilismus abzuleugnen.

Daseinsfakten/Sonett (2465)22

Warum nur treibt man sich? Sich zu vollenden
in vorgefundnen Gängigkeitsvollzügen:
Erfolgen, Macht, Prestige, Bekanntheitsgraden?
Auf diese Weise menschlich sich zu spuren,
stabil in Selbstwert sich und Glück zu wenden?

Um so sich willig und vernunftgediegen 
auch zu bewähren durch erwünschte Taten.
Vermeidend möglichst Existenzblessuren.

Zumal die Daseinsfakten, die wir schufen
uns unsrer selbst entfremden und versklaven
durch kulturelle Ausweglosigkeiten 
in Wirklichkeitsverluste machen gleiten …

Wir längst schon ohne Sinn und Seelenhafen
umsonst nach Rettung vor uns selber rufen.

Wahrscheinlich (2466)23

Ich bin doch faktisch nicht mehr in der Lage 
- selbst wenn ein freier Wille mir gegeben wäre -
mich noch in meinem Sinne zu entscheiden.
Und das, das wird mir aufgezeigt auch alle Tage:
Dass ich ein Spielball bin - das ist die Lehre -
der halt- und hilflos nur noch um sich selber gleiten,
erphantasieren darf, dass er sei autonom,
vernünftig, selbstbestimmt, emanzipiert und gleich … 
Tatsächlich bin, global gesehen, ich Atom 
in einem Mammon-, Daten- … einem Über-Reich,
sich selbst entglitten, nicht mehr steuerbar,
wie’s aussieht Untergang verfügt … der’s dann wohl war.

Geistige Vergeblichkeit/Sonett (2467)24

Das Geistige? Das ist doch folgenlos,
meint letztlich nur noch, sich umsonst zu winden
durch ein paar Stunden, um sich rigoros
mit neuen Einsichtslasten abzuschinden.

Allein ich muss das. Ist doch das nur groß,
sich radikal an Geisteskraft zu binden.
Statt etwa an Bespaßungs-Gram im Schoß
von dionysischen Entlastungsfinten.

Doch tät ich besser dran, mich auszuleben.
Auch wenn das hieße, selbst mich zu verachten.
Wozu nach Einsicht noch und Wahrheit streben,

wenn wir uns längst doch schon herunterbrachten,
uns selbst Verwahrlosungen leicht vergeben,
uns wissentlich zu StumpfsinnKindern machten?

Maßloser Wutanfall (2468)25

Schon ganz zufrieden wäre ich,
wenn man mich nicht heimsuchte mit ideologischem Kreisklassenintellektuellenstumpfsinn,
gesinnungsmagischen Realitätsverweigerungen,
aggressivem Ressentiment und der tugendtotalitär-messianisch gewirkten Sakralisierung 
des Fremden an sich.

Man sucht mich aber heim,
unternimmt es permanent,
mich sittlich zu belehren,
auch einzulullen, 
mir ein schlechtes Gewissen zu machen,
mich als amoralisch,
oder gar rassistisch,
zu denunzieren …

Wer? Nun:
Die geistig völlig verarmten Amts-Karrieristenden,
die von sich selbst ergriffenen Diener*innen des Augenblicks,
die Kleriker*innen der spätkapitalistischen 
Inquisitionstribunale zur Schaffung sittlicher Vollendung,
die habituell Überempfindlichen,
Leerformelsensiblen und Identitätsverunsicherten,
die hilflos-destruktiven,
von ihrem Wesen nicht losgekommenen 
zerstörungstrunkenen cancel culture-Verwirrten …
kurzum all die von Selbstbestimmungswirren Heimgesuchten,
die auf der Basis wohlstandsnihilistischer Pseudoautonomie 
sich entwickeln müssen …

Weshalb ich glaube, 
dass diese längst auseinanderfallende Gesellschaft 
auch an ihren karitativen Illusionen zugrunde gehen wird:
ihrer grenzenlosen, zeitgeisttypischen 
Zeichensetzermenschlichkeit,
dieser allen sentimental-wahllos zugebilligten, 
faktenfremd-naiven Ágape mit ihren subjektivistisch-gesinnungshumanitären Konstrukten …
also zerfallen wird nicht allein 
aufgrund ihrer kratischen Impotenz,
geistigen Verwahrlosung 
und asozialen Verantwortungslosigkeit 
gegenüber sich selbst,
zumal begrüßt und gestützt von engagiert-eitler 
Kümmernden-Mittelmäßigkeit,
sondern auch zersetzt wird 
durch die radikale Unfähigkeit des gewählten Personals,
die komplexe Problematik der späten Wohllebensdiktaturen überhaupt,
frei von Hybris und Verblendung, 
aus ruhiger Sammlung heraus 
vorurteilslos faktenkonform zu bedenken. 

Doch das ist machtbelämmert-ichsüchtigen Dilettanten,
wortempfindlichen Narzisstenden, nicht gegeben.
Es fehlt ihnen an jedweder Selbstdistanz.
Und so werden sie bleiben,
was an sich sie sind: 
Pfleger*innen ihrer Tugendeitelkeiten …
Neoinquisitorisch. Egalitätsklerikal.
Bis zum bitteren Ende.

Was es mit unsrem Dasein auf sich hat (2469)26

Ist doch das Alter so beschwerlich,
dass man zuweilen daran denkt -
für mich zumindest ist das ehrlich -,
warum man sich nicht mutig schenkt:
Den biologischen Verfall,
die sieche Antriebslosigkeit,
diverser Schmerzen stechend scharfen Drall,
ja überhaupt dies ganze Leid?
Zumal von Anfang an ist leer
das Dasein, wenn auch heilig allen. 
Doch meist Verdrängen, Trug und Gramabwehr:
Verlust und Scheitern … Illusionen-Krallen.

Kleines Glück (2470)27

Komm doch her, 
ich will dich tragen,
liebes Tier, 
so schön wie treu.
Diese Öde zu zerschlagen:
Menschenbettels Giergebräu.
So 
ein kleines Glück zu wagen:
Einsam, 
welt- und phrasenscheu.

Durchlaviert (2471)28

Sozialproteisch mich da durchlaviert.
Das habe ich. Das geb ich offen zu.
Ich habe viel zu früh gespürt,
dass fremd mir bliebe selbst das Du.

Kapierte auch, wie man es halten muss:
Sich wappnen gegen Artgenossen.
Die doch geprägt sind auf ihr eignes Plus.
Der Selbstsucht ausgeflossen.

Und die diktiert in jedem Augenblick.
Wer könnte gegen sie sich wehren?
Stets fällt man doch auf sie zurück.
Doch schon genetisch heimgesucht 
von Selbstwertschweren.

Güte (2472)29

Immerhin ist’s dir bewusst:
Güte, das meint Ich-Rücknahmen -
ohne dass die normgemusst,
irgend auch aus Pflicht geschähen,
ehrten einen großen Namen,
seien greifbar der Geschichte …
Güte, das ist Zufallsgröße,
rar verteilte Gnade …
Ungreifbare, menschlich schlichte,
nu-geschenkte Pfade.
Nicht deutbare Seelendichte,
magisch sanfter Nähen.

Letzter Wille (2473)30

Keine Todesanzeige.
Keine Trauergemeinde.
Keinen Pfarrer.
Keine Reden.
Keine Sentimentalitäten.

Man spiele ‚Lili Marleen’.
Die Originalversion von 1939.
Text: Heinz Leip.
Gesang: Lale Andersen.
Komposition: Norbert Schultze.

Und dann: 
Richard Wagner.
Die Ouvertüre zu
‚Das Rheingold’,
Anfang bis 3,45 Minuten.

Meine Asche dann
sei eingestreut 
dem nächsten Wind. 
Und dieser trage sie,
wohin er wehen muss.

Bilanzgedicht (1) (2474)31

Über all dieser biosozialen Verhaftung
liegt eine Trostlosigkeit ohnegleichen.
Erträglich nur in Augenblicken,
da die Selbstauflösung in Geist 
und absolute Stille 
seinsflüchtig gelingt.

Totalitäre Welt (2475)32

Wie gerne würde ich 
mich auch mal träumen
den coolen Tag entlang 
und dann durch heiße Nächte,
um mich in Gängig-Glücken 
zwangsekstatisch zu versäumen …
Zu inszenieren mich, 
wie alle diese Spaßgeflechte,
die eskapistisch sich entzücken, 
Erlösungstaumel hingegeben,
in kollektivem Rausch geborgen … 
Die sich als Marktgefolge 
relevant erleben,
um zu vergessen 
nicht nur ihre Sorgen, 
nein dies auch, dass sie 
einer Welt verschweben,
die faktisch alle zwingt, 
sich ihr als surrealer: 
totalitärer 
ausnahmslos zu schicken.

Heils- und Erlösungs-Primitivismen (2476)33/Sonett

Na ja … Moralersatz für kalte Seelen:
Ideologische Begrifflichkeiten.
Die primitiv sind: Als Abstrakteinheiten
Heils- und Erlösungs-Ziele sich erwählen.

Die Menschen würden sich dann nicht mehr quälen,
das Ende aller Barbarei einleiten,
entfernen alles, was aus Hass und Neiden
und Ungerechtigkeiten sich muss schälen.

Geplanter Messianismus ohne Stützen
im Sosein ichgefangner Kreaturen.
Drauf angelegt, sich selber nur zu nützen,

Vergänglichkeit verfügt und jener puren
Entlastungsselbstsucht in Bedeutungsblitzen,
zu übergrellen die Gewaltstrukturen.

Wünsche (2477)34

Alles Gute! Alles Liebe!
Und was sonst man wünschen kann.
Angesichts der Spätzeittrübe,
die bald schmerzlich dunkeln wird.
ch indes werd tot sein dann.
Spurlos Stoffschicksal verfallen.
Staub des Nicht-Ichs. Nicht mal ein
Wind verbrachtes leises Lallen.

Alles Liebe! Alles Gute!
Das soll in Erfüllung gehen.
Euch, den Meistern dieser Knute.
Hingesät nun Endverwehen.
Dem indes doch alles girrt.

Ohne Geist-Obhut. Ohne Gott (2478)35

Ich hab geschrieben und geschrieben,
die Welt war mir dabei egal;
galt mir als Trance, als Gram, als Zahl:
Sich selber aufgerieben.

So wie sie's immer ist:
Sich selbst Vernichtungspotential;
auch weil sie sich als Wunder hisst.
Indes nur Niedergangs-Fanal.

So werd ich immer weiter schreiben -
Ich kenne uns zu gut:
Wir müssen uns doch hintertreiben,
da ohne alle Geist-Obhut.

Und das, das meint auch: Ohne Gott.
Und ohne den macht gar nichts Sinn.
Bleibt Macht- und Geld- und Lust-Komplott,
geht Nichtigkeit und Selbst-Trug hin.

Variantenzwerge/Sonett (2479)36

Wir laufen immer in die eignen Fallen -
was immer dieses Faktum auch bedinge:
Intelligenz, die nie sich selbst gelinge?
Moral, die sich an Illusion muss krallen:

Dass - etwa - finde sich Vernunft bei allen,
die sie zu Sachlichkeit und Würde zwinge,
beschenkend sie mit einer Geistesschwinge,
Humanität nicht nur als Wort zu lallen?

Indes gibt’s gar nichts, was uns könnte schützen
vor diesem Fortschritt unsrer Ratio-Werke,
die doch nur Kreaturen-Zwängen nützen:

Pleonexie, auf dass sie uns verberge,
dass wir als Zufallsaugenblick aufblitzen,
nichts weiter sind als Variantenzwerge.

Antwort, die man hören wollte: Kein Grund zur Klage 
(Die Fragwürdigkeiten würde ich verschweigen) (2480)37

Ich kann nicht meckern.
In eine bessere Zeit hinein 
hätte ich gar nicht geboren werden können:
Friede. Rechtsstaat. Formale Freiheiten.
Bildung. Auskommen. Soziale Sicherheit …

Und was will man mehr 
als ein so leicht verwundbares, 
tausendfältig bedingtes,
chronisch abhängiges, 
verfallsverfügtes und sekündlich bedürftiges,
als lebenslang um seinen Tod wissendes Individuum?

Wie gesagt,
ich kann wirklich
nicht meckern.

Winter 2022/23/Sonett (2481)38

Ich muss mich auf den Winter vorbereiten:
Brauch also Vorrat, Decken, Batterien, Kerzen.
Und zwar so viel, dass es mag länger reichen:
Geschäfte werden wohl zuweilen schließen.

Dass ich in Einsamkeit dann werde gleiten,
das ist nicht schlimm, ich werde selbst mich herzen,
mir kundig deuten alle Notzeitzeichen.
Doch keine Träne um uns selbst vergießen.

Wiewohl ist all das niemands Schuld allein.
Zumal wir, ichschwach, sind von uns betört: 
Blasiertsterile, seelenkalte Leute.

Die menschlich tief verarmt sind und so kein 
Gefühl mehr haben dafür, was zerstört,
wenn man sich selber wird zur Hybris-Beute.

Die Große Tyche (2482)39

Nicht dass ich todunglücklich wäre,
in Trauer und Melancholie,
Angst, Entsetzen oder Verdammungslüsternheit versänke,
permanent haderte mit dieser Welt,
sie verwünschte, verfluchte, verdammte.
Man könnte das meinen,
wenn man manche meiner Gedichte liest.
Das Gegenteil ist richtig:
Irgendwann, 
ich kann es mir anders nicht erklären,
zerrte mich die Große Tyche 
auf diesen Pfad über mich selbst hinaus,
hinführend zur geistigen Seite unserer Existenz …
Und auf diese Weise zu weit mehr Gutem,
intensiveren Glücken,
begnadeteren Stunden und faszinierenderen Einsichten,
als ich je erlangt hätte,
hätten die Voraussetzungen mich gesteuert,
die an der Basis meines Daseins gegeben waren:
Krankheit, Scham, Hässlichkeit, Häme, familiäre Miseren, 
soziale Niedrigkeit …

Und so wüsste ich denn auch niemand,
der mehr Grund zu tiefster Dankbarkeit hätte als ich …
Aufrichtig zu entrichten jener unberechenbaren Tyche,
meiner genialen Muttersprache insbesondere,
meinen Eltern, deren Schicksal mich Entscheidendes lehrte, 
was die abgründigen Verwerfungen 
der menschlichen Existenz anbelangt,
dem demokratischen Staat der alten Bundesrepublik,
den damaligen, noch zu sich selbst und den stets 
problematischen Lebensrealitäten willigen Deutschen,
den Initiatoren der Sozialen Marktwirtschaft,
dem damaligen deutschen Schulsystem,
den Alliierten,
besonders den Vereinigten Staaten von Amerika, 
und, vor allem, den Philosophen und Dichtern,
sozusagen den Helfershelfern jener Tyche …
Und, nicht zu vergessen, der erotischen Virtuosität 
einiger hochverehrter Frauen,
wie es sie so, 
in dieser geistig radikal verarmten, 
feindselig empörungslüsternen, 
humorlos-puritanisch-fundamentalistischen, 
sexzwangstupid-narzisstischen und gossenseligen,
kurzum: zutiefst unmenschlichen,
tugendterroristisch erbarmungs- und seelenlosen, 
die Individuen digital vereinzelnden Gesellschaft 
der Gegenwart, wohl kaum noch gibt …

Für ein paar Augenblicke (2483)40

Die Glocken läuten.
Die Fakten zerfallen.
Die Stillen ziehen herauf.

Sie werden nicht 
sich selbst vergeuden.
Sie werden nicht
an Schein sich krallen.

Sie kennen ihren Lauf.

Aus dieser Welt,
erleidend Ratio-Tod.
Aus diesem Werte-Chaos
ohne Lot.

Aus allem, 
was sie sich vergällt.

Meinen Eltern (2484)41

Es will mich nicht in Ruhe lassen,
der beiden Toten Gramschicksal: 
Vernichtungstrunknen Zeiten ausgeliefert,
die ihnen ließen keinen Stich,
zu Trauerspreu sie deklassierten.

Wär ich doch in der Lage nur,
für sie ein Daseinskleinod zu erschaffen,
was durch die Grabessande dann zuletzt 
sie ließe Liebe, Dank und Trost erfühlen.

Vielleicht - wer weiß? - ja ein Gedicht, 
verklärungsmächtig durch ihr Grab zu lenken
ein Geistwort sinngetränkter Lebensspur.
Ein Götterblitz als gütehelles Überlicht,
zu überstrahlen ihre Existenztortur …
So ihrer dankbar zu gedenken.

Vor langer Zeit (2485)42

Von Sommertagen, frühen, geht die Rede, 
Tagen des Urvertrauens auf den Feldern.
Innenwelt packend bergendes.
Magisch ausgesogen 
dem sehnsüchtig erlauschten Brausen des Windes,
dem so tief vertrauten Summen, 
Zirpen und Schweigen der Insekten.
Dem Geruch schwarzer Erde,
dem Anblick neigungsgelb wogender Ähren,
dem roten Klatschmohn, 
der zwischen ihnen stehend,
hin und her schwankte
und den traummächtig lockenden,
in weiter Ferne sich verlierenden Himmelsbläuen.

Urvertrauen wunderbarer Sonnentage.
Am Feldwegrand saß ich,
ließ mich heben von all dem, 
was mich seinstreu umgab,
seelisch behütete, 
sich eine tiefe Spur bahnte 
in mein Innerstes.
Einheitserfahrung. Unverlierbare.
Noch aufblitzend in den Strichen,
die ich ungelenk in den grauen Sand 
am Rande des staubigen Weges kritzelte.

Mein Leben lang habe ich dort gesessen,
am Rand der Getreidefelder,
Sinne und Seele umfangen 
von der kryptischen Heimat 
des vielgestaltig erscheinenden 
stummen Stoffes,
der mich barg, tröstete, 
über die Menschenwelt hinaus riss,
mich ihrer förmlich enthob …
Mich zumal auch 
letztlich untauglich machte 
für diese primitiven Kunstwelten 
der Aufstiegskitzel,
die mehr und mehr 
kommandierend lockten 
mit ihren sich schnell mehrenden 
standardisierten Surrogaten.

Herrliches Gestern einsamer Kindheitstage.
Von ihm werde ich zehren
bis mich 
der allgerechte Gleichmacher 
heim holt,
hat es mich doch 
seelisch aufrecht erhalten,
hat es mich doch, 
Abstand schaffend, 
geleitet durch all diesen 
despotischen Stumpfsinn 
steriler Rationalität,
technischer Hybris und 
jener krakenartig auf alles 
zugreifenden Geldwirtschaft,
die das Denken, 
Wollen und Fühlen 
ihrer Herren wie Knechte
ausnahmslos steuert …

Diese sterile Rationalität,
die das Ich 
zum käuflichen machte,
den Eros zerstörte, 
den Geist liquidierte
und das ganze Dasein 
in die Krallen 
seiner alles profanierenden 
Tauschknute trieb.
Entlastungsdrastisch.
Tugendarrogant.
Selbstzerstörerisch.
Sinnleer.

Definitive Bewahrung durch den Tod (2486)43

Wenn ich bedenke,
was da kommen könnte:
- politisch,
militärisch,
kulturell,
sozial -,
dann bin ich froh,
schon ziemlich alt zu sein,
begreife das 
als mir vergönnte
Verstummungs-Rast 
in einem Krumen-Schrein.
Bewahrt dann so
vor allem Sein.

Dorfschatten/Für den Schläger und Gewaltbüttel F. S. (2487)44

Wer, 
haltlos durch sich selber taumelnd,
verböge sich nicht vor seinesgleichen,
seien auch flach sie,
niederträchtig und charakterlos?
Wer, 
innerer Leere und Herkunftserbärmlichkeit ausgeliefert,
erfühlte nicht in seinen eignen Tiefen 
die seelische Kälte mancher 
mit sich selbst geschlagener Menschen -
hilflos in sich selbst gefangen,
gemein, 
orientierungslos,
bewusstlos getrieben und hohnlüstern?

Niemandem wird das entgehen.
Aber auch dies nicht, 
dass sich da zeigt eine wesensverfügt lebenslang bedrängende Mittellosigkeit,
unabänderlich, mit eherner Härte, 
ein leidendes Körperding treibend,
weder schuld-, 
noch einsichts-, 
noch selbstfähig …
tränenlos taumelnd um seines Daseins tote Lose. 
Indes ein anderer,
gleichsam grundlos glücklich begünstigt,
seiner zufallsgefügten Existenz früh schon 
ihre kruden Geheimnisse zu entreißen versteht:
Dass sinnlos sie sei,
vielgesichtig täuschungslüstern, 
an Selbstbetrug, Ich-Geifer 
und gespielte Verschwebungsräusche gebunden … 
Eine Schmiere,
die es zu überschreiten gälte,
Realität treu, 
Einsicht,
Pflicht und Geist.

All das, Fritz, war dir nicht gegeben.
Nicht einmal ansatzweise.
Ich erinnere mich dennoch an dich,
weil mich deine Indolenz, Rohheit, 
Aggressionslüsternheit 
und offenkundig Respekt verschaffende 
Gewaltsucht zuweilen eigentümlich anzogen,
mir gar augenblicksweise nachahmenswert erschienen,
versprechend zumal auf ihre Weise,
jenes tränenlose Taumeln weitaus 
scheinklüger meistern zu können.

Ein regnerischer, dunkler Herbsttag (2488)45

Sehnsuchtsanlass, 
mich innerlich davon zu phantasieren in die 1950er Jahre.
Meiner verehrten Eltern zu gedenken,
deren Schicksale ich so früh zu lesen wusste;
und so denn auch ihre existenzielle Unzurechnungsfähigkeit …
Trost der Einsicht. Immerhin. 
Denn wer sich selbst, die andern, die Umstände,
überhaupt die Ausweglosigkeiten dieser Welt 
halbwegs begreift, hat’s leichter,
weil er dann um die fundamentale Diktatur von Zufall, Notwendigkeit, 
Fatalismus und Unvorhersehbarkeit weiß.
Was entlastet. 
Obwohl zugleich tief bedrückt.

Ein regnerischer, dunkler Herbsttag da draußen.
Hält die Standardverbraucher ein wenig zurück,
sich, wie sonst, hemmungslos 
der totalitären Spaß-Tyrannei zu überlassen,
die sie mühelos lenkt, auch politisch.
So ihrer selbst benimmt,
sie immer begehrlicher, unzufriedener, kindischer 
und einsamer macht.
Subtil, schmerzlos, verlockungsmassiv, entlastend.
Ein Massendrama. Wohl unvermeidlich.
Das nun freilich wohl zu Ende gehen wird …
langsam, schleichend, unmerklich.

Lotterie II (2489)46

Das Gefühl der Leere.
Der Sinnlosigkeit.
Seit frühen Tagen.

Nur dass ich jetzt glaube,
zu wissen warum.
Das ist der einzige Unterschied.

Entscheidend ist freilich,
ob man die Sache meistert,
wenn man ihre Gründe durchschaut.

Und das hat man nicht in der Hand.
Da spielt so viel Zufall hinein.
Da kommt auch so viel 
DNA-Tyrannei zum Tragen.

Zielgerade: Alter  (2490)47/Im Winter geschrieben

Ich spüre sie nur allzu deutlich,
diese zersetzungsprallen Vorboten des Altersverfalls.
Immer hartnäckiger kriechen sie meinen Körper an.
Von Monat zu Monat rücksichtsloser, dreister.
Kaum noch Stunden,
während der ich nicht fröre,
gezwungen so,
meine Phalangen in vorgewärmte Handschuhe 
und Socken zu packen.
Die ich zudem immer häufiger abstreifen muss,
um sie von Neuem anzuwärmen.
Und meine Körperkraft ließ spürbar nach:
Die Schlaffheit der Muskeln nimmt zu,
die verrunzelten und verfleckten Hautflächen mehren sich.
Wie diese bedrückende Mattigkeit,
die ich nicht leugnen kann,
sucht sie mich inzwischen doch schon täglich heim.
Mein Gang wird langsamer,
schleppender, zögerlicher, greisenhafter.
Ausdruck, ich spüre es,
auch dieser parallel zunehmenden 
psychischen Gleichgültigkeit,
sich auch mir selbst gegenüber 
langsam verstärkend.
Eine Gleichgültigkeit,
die sich zumal längst verschwisterte 
mit jener stupenden Einsamkeit,
die mich lebenslang 
bis in die Kerne kommandierte.
Und auch diese nehme ich immer deutlicher wahr:
Diese Todessehnsucht,
mich in Augenblicken nihilistischer Resignation 
verführerisch anwandelnd.
Als ziele sie eher auf Trost und Befreiung,
als auf ein armselig transzendenzloses Ende.
Wenn doch wenigstens eine Trauer sich höbe,
ein Anflug von Verlustgefühl in der Erinnerung 
an alle diese anderen,
sentimental entlastungssüchtig ausgekosteten Trostkörper.
Indes nunmehr auch fremde und ferne Schemen,
Zerrbilder schattendürftiger Wesenlosigkeit.
 

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