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(F) Thema „Geist“
Dieser Abschnitt ist etwas länger; deshalb hier am Anfang eine Zusammenstellung der Grundmerkmale und Grundausrichtungen des Geistigen (wie ich sie, also wiederum sehr subjektiv, sehe) zur allgemeinen Orientierung
Unter „Geist“ verstehe ich
(1) Antipleonexie (Pleonexie meint: Das Ineinanderlaufen von Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht als evolutionsbiologisch fundierte menschliche Kreatürlichkeit; so, korrekt, Arnold Gehlen)
(2) Anti-Narzissmus (also die Fähigkeit, sich nicht leiten zu lassen von z. B. (Liste unvollständig): Verantwortungslosigkeit, Gewissenskälte, aggressiver Realitätsverweigerung, personaldefizitärer Orientierungslosigkeit, Ich-Schwäche: Unfähigkeit zu souveräner Selbstverfügung, Schauspielerei, maßloser Übertreibung, Auto-Inszenierung, korruptionsanfälliger Charakterlosigkeit, ethischer Gleichgültigkeit, Verleumdungssucht usw. usw.
(3) Faktentreue statt narzisstisch-machtstrategischer Traumtänzerei, Täuschung (auch - u. v. allem - seiner selbst), also Sachlichkeit als Fähigkeit und Willigkeit, die gegebene Wirklichkeit illusionslos, also so zu sehen, wie sie ist; und nicht so, wie man gerne hätte, dass sie sei. Basis: Die Verpflichtung zu Selbstdistanz und zur Übernahme von Verantwortung, zu Redlichkeit und absoluter Wahrheitsliebe
(4) „Gediegene“ = umfassende Allgemein-Bildung, möglichst frei von metaphysischen, weltanschaulichen, politisch-ideologischen, ethischen und kulturellen Wert-Perspektiven, Vorurteilen, Entlastungs-Fiktionen, Lebenslügen, Reduktionen von Komplexität (ein Ausdruck von Niklas Luhmann, Beispiel: Vertrauen; Vertrauen bewirkt tatsächlich Reduktion von Komplexität) usw. - soweit dies eben über möglich ist
(5) Eine „genetische Gnade“ (das Nähere dazu im folgenden Text), die es mir auferlegt (tatsächlich meint „Geist“ eine Verpflichtung zur Machtausübung über sich selbst: Zwang zu geistiger Souveränität: Zwang zur Macht über sich selbst, kommandierend abzielend auf:
(a) Selbstwerdung (Distanzierung der eigenen Kreatürlichkeit, mithin mittels Askese, weil diese Kreatürlichkeit das „Einfallstor“ für gesellschaftlich vermittelte Heteronomie: Unfreiheit als Marktknechtschaft und Anomie: dekadenzträchtigen Innenweltzerfall ist)
(b) Selbststeigerung (etwa durch zunehmende Erkenntnisschärfe im Hinblick auf subtilere gesellschaftliche Vereinnahmungen: solcher durch Macht, Anerkennung, Erfolg, Geld, Eitelkeit, narzisstische Selbstverkennung und Lust)
(c) Selbstbewahrung (etwa durch Kunstschaffen und Weltentlarvung)
(d) Selbstüberschreitung (radikale Einsicht in die eigene genetische, herkunftliche, geschichtliche, kulturelle, muttersprachliche und gesellschaftliche Vermitteltheit, dann in die eigene Nichtigkeit als Materie-Morphe (Stoff-Gebilde als Resultat der Selbstorganisation der baryonischen Materie (dazu (A))
Die Begriffe von (a) bis (d) sollen anzeigen eine progressive psychoethisch-mentale Entfernung von gesellschaftlichen Grundgegebenheiten, die, subjektiv unreflektiert-unkritisch hingenommen und gelebt, einen in eine Zeitgeisthörigkeit zwingen, die notwendig mit einer Heteronomie (Unfreiheit, Abhängigkeit, Steuerung) einhergeht, der man ohne marktknechtschaftlich vereinnahmende Selbstverluste nicht entkommen kann; und das kann
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man, es begriffen habend, nicht hinnehmen, denn es beraubt einen seiner geistigen Selbstverfügung.
-----------------Ende der Zusammenstellung.
Umfassende Ausführungen:
Da ich in meinen Gedichten sehr oft die Worte/Begriffe „Geist“, „Geistmensch“ und „geistig“ benutze, bin ich gehalten, zu dem, was ich mit damit meine, eine klare Auskunft zu geben; und dies umso mehr, als das Geistige heute vielen als unverständlich, obsolet, überholt, gar lächerlich, oder auch als elitäres Gehabe gilt. Ich beginne also zunächst mit hoffentlich eingängigen Formulierungen zum Thema „Geist“:
(1) „Geist“ meint hier, im Rahmen einer vorläufigen Orientierung, eine individuelle Daseins-Qualität und -Prägung, die sich niederschlägt/auswirkt in einer Reihe spezifischer Haltungen
(a) zunächst in der Haltung zu sich selbst: man lebt, geistig orientiert, nicht wohllebenszentrisch-verbrauchs-, mithin: erlebnis-orientiert, sondern asketisch-autokonstruktiv (sich selbst „aufbauend“ und „entbergend“): als sich selbst, aus ihren eigenen - geistigen - Beständen entfaltende und formende Person, die sich bestimmten, gesellschaftlich ungewöhnlichen Existenzvollzugspräferenzen: In meinem Fall
(i) Dem Kunstschaffen (der Herstellung von Gedichten) und
(ii) Der „Entschleierung/Entlarvung“ der durchweg ökonomisch bestimmten gesellschaftlich-sozialen Gegebenheiten; um es so auszudrücken: man strebt nicht - auf der Basis materiellen Wohlstandes - nach der Steigerung und Verfeinerung gängiger „Erlebniszufuhrintensität“ und also auch nicht nach subtiler glücks- und lustträchtiger „Emotionenbewirtschaftung“, sondern nach geistiger Selbstentfaltung mittels Kunst und Einsichtsgewinnen. Und lebt insofern - in seiner Freizeit -, ohne dass einen das störte, als gesellschaftlicher Außenseiter und Sonderling - oft allein; einsam; weltflüchtig. „Geist“ meint dann also eine Haltung zur Gesellschaft, in der man lebt, mithin zu deren - heute -vorherrschenden Wertschätzungen, Lebensvollzügen, Zwecksetzungen und Zielen: Wohllebens-Genuss, -Steigerung und -Intensivierung, die man, geistig orientiert, als existenziell irrelevant empfindet - wiewohl sie n i c h t ablehnend, bekämpfend oder gar verachtend. Ich betone: in der heutigen Überflussgesellschaft primär geistig ausgerichtet lebend, impliziert mitnichten eine Ablehnung dieser Gesellschaft; man säße einem krassen Missverständnis auf, nähme man an, dass eine geistige Daseinsausrichtung eo ipso eine empörungsfundierte Verurteilung dieser Gesellschaft nach sich ziehen müsse; dem ist überhaupt nicht so; im Gegenteil: Als Geistträger weiß man, dass diese Gesellschaft, ein Ergebnis evolutionsbiologischer, historischer, kapitalistisch- naturwissenschaftlich-technischer Determinanten ist, die als diese Gesellschaft nur um den Preis von Chaos, Leid, Gewalt, Barbarei, Zerstörung usw. - scheinbar - zu verändern wäre; indes gilt für mich unumstößlich: Der Kapitalismus spiegelt - und zwar vollendet - das menschliche Wesen als determinierte Kreatürlichkeit und also als Pleonexie (Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht), Streben nach Ungleichheit und also dem Überragen anderer usw. usw.; kurzum: es gilt ihn zu stützen und zu bewahren (sei er auch letztlich autodestruktiv), denn er allein vermag eine Gesellschaft notdürftig zusammenzuschweißen (Vernunft, Freiheit, Würde und Moral allein und überhaupt vermögen das nicht). Soll auch heißen: ich, Sa., verfolge keine ideologisch-ideellen, weltanschaulich-utopistischen Ziele und Zwecke im Namen einer gesellschaftlichen „Höherentwicklung“, auf dass die Gesellschaft und der Mensch gerechter, humaner, vernünftiger werde - was alles ich, Sa., als völlig illusorisch betrachte); also: ich, geistig orientiert, lehne die gängigen Wertschätzungen n i c h t ab, bekämpfe oder gar verachte sie auch n i c h t, nein: sie sind mir g l e i c h g ü l t i g, gelten mir als Adiaphora (Dinge, die man nicht braucht); ich bin lediglich verpflichtet, für meinen Lebensunterhalt zu sorgen, um der
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Gesellschaft nicht zur Last zu fallen; und diese Chance hatte ich zum Glück ein Leben lang.
(2) Dann meint „Geist“ eine „philosophisch-lebenspraktisch-wirklichkeitskonform“ wertende Gesamthaltung zur menschlichen Existenz überhaupt. Dieser gilt - um es kurz zu machen -:
(i) Dass der Mensch dem Menschen nicht notwendig und also gewöhnlich ständig, aber oft genug ein Wolf ist (homo homini lupus)
(ii) Dass der Mensch nicht gut, aber auch nicht schlecht ist (böse schon gar nicht: „böse“ hat nur eine theologische Bedeutung), sondern „liquide Masse“, also form-, knet- modelier- und bildbar (so Robert Musil korrekt)
(iii) Dass der Mensch k e i n moralisches Wesen ist: Er ist (vgl. (A)) ein atomares Gebilde ohne freien Willen; oder: Der Mensch ist sozusagen der Knecht seines eigenen Gehirns
(iv) Dass der Mensch es nicht vermag, sich zu meistern/zu bezwingen/im Zaum zu halten als
(α) Kreatur
(β) emotionale Komplexität und Widersprüchlichkeit
(γ) dauerprekär sich selbst und seiner Gesellschaft ausgelieferter Daseins-Spielball ist: Der Mensch ist sein Leben lang zunächst sich selbst- und zwar in jeder Hinsicht - ausgeliefert
(δ) Zumal er, der Mensch, von Anfang an weiß um seinen Tod; und dieses Wissen muss er verdrängen, bis an den Rand des Grabes. Weiter
(c) Der Mensch ist lebenslang allein: nackte „Verlassenheit“.
Dazu das Gedicht
All-Verlassenheit (41/2291a)
Zuweilen offenbart sich dieses Leben,
indem es ohne Trug sich zeigt:
Als sinnlos-leeres Streben,
als Farce in Trance und Illusion verzweigt;
als Einsamkeit in vielerlei Gestalten,
von denen man nichts wissen will,
lügt um sie sich in wieder weichende Gewalten,
wohl wissend, dass sie still:
Begleiter bis zum Ende bleiben:
Als All-Verlassenheit, die man doch ist:
Monadisches sich selbst Entgleiten
in undeutbarer Frist.
(3) Dann meint „Geist“ eine soziale Waffe im Sinne der geistig fundierten Fähigkeit
(a) sich gegen das Tier in sich (das man doch auch ist - und bis zum Ende bleibt): Neigungen zu Gewalt, Barbarei, Grausamkeit, brutalitätsträchtiger Irrationalität usw. usw. zu wappnen
(b) sich zu wappnen gegen die evolutionsbiologisch verfügte eigene Pleonexie (Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht) und gegen die eigene Narzissmus-Anfälligkeit, zumal diese einen herabmindert zu pathologischen Schwerst-Entgleisungen gegenüber anderen und sich selbst
(c) sich zu wappnen gegen alle die gesellschaftlichen Einflüsse, die geeignet sind/wären, einen von sich selbst als Geistwesen abzuziehen.
Geist ist - weiter - eine Waffe gegen (z. T. zugespitzt-überkritische Formulierungen, die freilich das Verständnis erleichtern)
(d) die Verführungsschärfe der subjektive All-Entfaltung als Erlösungskonsum versprechenden atheistisch-wertverlogenen Konsumwelten
(e) politstrategische Entmündigungsversuche (zur Politik in pseudo-sozialen, sich permanent
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selbst schädigenden, tugendtrunkenen - weil reflexionsarmen - Gesellschaften humanitärer Kern-Einfalt usw. (dazu später im Detail)
(f) gegen eine Welt der Niedertracht, der Perfidie, der Schauspielerei, der Trickserei (der Kleingauner-Mentalität), der Mammonvergottung, der duckmäuserischen Trivialvollzüge, der Pan-Verdummung, der Verantwortungslosigkeit, der Reduktion der Individuen auf Umsatzgrößen, gegen eine Welt des Fundamentalismus, des Niedergangs des Rechts (das teilweise gar nicht mehr durchsetzbar ist), des Staatsverfalls, des Finanzbanditentums, der pathologischen (Pseudo-)Humanität, der Politisierung aller Moral, der impertinenten Charakterlosigkeit, der progressiven Verstumpfsinnung, des Hasses, der behelfsexistenziellen Geschwätzeskunde, der Feigheit, der Gesinnungslumperei, der Korruption, der Lügen, der selbstbestimmungsklerikalen Trost-Belämmerungen … also
(g) gegen eine in sich selbst tendenziell (und zunehmend) substanzverkrebste, primitive, schwerstpathologische, behelfsgeile, völlig verwahrlosungslüsterne, laut schreiend „auf den Busch klopfende“, Bitterseelchen säende Geschwätzeswelt, also gegen
(h) das, was kommen muss: Für mich der Tod, indes für euch der psychoethische Verfall
(4) Geist ist also ein Gabe der spezifischen Selbstbewahrungsmächtigkeit:
(a) (künstlerisch-reflexive) Selbstentfaltung- und Selbststeuerungsfähigkeit anstatt Marktknechtschaftsverfallenheit
(b) d a s Mittel gegen ökonomisch-gesellschaftlich einen vereinnahmende und als Person gefährdende Umstände/ Verlockungen/Diktate usw.
(c) die Chance, i n der Gesellschaft an dieser v o r b e i zu kommen/zu leben/oftmals auch: einsam geradezu „selbststier zu vegetieren“
(5) Geist das meint weiter
(a) eine zufällig erfolgte genetische und als solche imperative (eine kommandierende) Prägung, welche - das scheint paradox - als existenzieller Apriori-Zwang z u g l e i c h die innere Befreiung von Fremdsteuerungen durch Markt und Gesellschaft - und zwar nur sie,
d i e s e geistige Prägung - ermöglicht/erlaubt/ fordert: sich den subtilen psychoethischen Verwerfungen der als Überbau allmächtigen Konsumdiktatur als Kapitalismus-, Naturwissenschaft- und Technik-Superstruktur (so, richtig, Arnold Gehlen) zu entziehen
(b) kurzum: Eine insofern subjektiv gegebene „Genetische Gnade“; soll heißen
(c) Kunst schaffend (Gedichte) und einsichtsradikal getragen, einer gesellschaftlichen Welt zu entkommen, die es den Individuen eben nicht mehr erlaubt, aus letztlich metaphysisch fundierten Wert-, Zweck- und Sinn-Zusammenhängen innere Halte, Stabilität, also: Daseinssicherheiten und Daseinsselbstverständlichkeiten zu schöpfen, die - ich wiederhole - noch geeignet wären, existenzielle Geborgenheit und Sinnabsättigung zu gewährleisten; die vielmehr eine Gesellschaft ist, die sich zusammensetzt aus einer „crowd“ (bestehend aus mit anderen unverbunden für sich seiender, nur als sich inszenierender miteinander in Schein-Kontakt tretender Sozialmonaden: einer lonely crowd, wie David Riesman 1953 es schon formulierte: nicht kulturelle: wertvernetzte Einheits-Masse, sondern eine Masse kulturell verwaister und also allein gelassener, sich einander fremder: wertbeliebig desintegrierter, sich selbst als Reize, Effekte, Sensationen und Show verzückungsemotional konsumierender Körpereinheiten (als Sozialmonaden) von daseinsdesorientierten, außengeleiteten, sich selbst (eigentlich das konsumtiv umnachtete Selbst als narzisstische Ersatz-Fiktion ihres von ihnen überspielten empirischen Selbst) inszenierenden und schauspielernden, auf sich selbst zurückgeworfenen, miteinander konkurrierenden, für sich seienden („verlassenheitslädierten“ und „entseelten“) Sozialmonaden, also einer Gesellschaft ohne jedweden kulturellen, sondern mit nur einem alldirigierenden ökonomischen Überbau, „unter“ dem sich nur ein durchgängiger Nihilismus breit machen kann, ein Nihilismus, der, entlastungsdrastisch die
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Individuen heimsuchend, diese vollends in die von jenem quasi-allmächtigen Ökonomismus mitproduzierten Schein-, Magie- und Traum-Welten treibt: Der Markt hat die Kirche ersetzt*
Anm.* Dass der Markt die Kirche ersetzt habe (so schon Walter Benjamin), soll besagen:
Der Markt hat die Kirche als
(a) Erlösungs-,
(b) Sinngebungs- und
(c) Existenzsteuerungs-Instanz abgelöst.
Indes nicht Seelenheil, Sinn, metaphysische Geborgenheit und ewiges Leben sind jetzt existenziell fundamentale Ziele, sondern reine Diesseitswerte (s. o. (D)), sind nunmehr primäre Objekte individueller Aspirationen.
---------------------------Ende der Anm.*
Die Sinn-Frage stellt sich natürlich weiter - wohl drängender als je zuvor - mit Hinblick auf
(6) Die gesellschaftlich-geschichtliche Welt, in der sie, die Individuen, leben und sich zurechtfinden müssen (sie mag bedrohend oder beängstigend, wie heutzutage wieder, oder mehr oder weniger tragend und stabilisierend etc. auf sie, die Individuen, wirken)
(7) Das Sein überhaupt: All/Kosmos/Universum überhaupt; und da zeigt sich, angesichts der Kenntnisse, über die wir heute bezüglich des Universums verfügen, dass wir, die Menschen in diesem eine quantité négligable (vernachlässigbare Größe) darstellen: Das Universum entstand nicht (vor 13,82 Milliarden Jahren), auf dass einst wir, die Menschen, in ihm auf dem Planeten Erde erschienen (s. o. (A))
(8) Daraus, dass wir alle nach Sinn, also nach
(a) Seelen-Harmonie
(b) existenzieller Geborgenheit
(c) bergender Fraglosigkeit (meint das psychische Ruhen in einem selbstverständlich geltenden Wertesystem, einem institutionalisierten Wertesystem, das in Frage zu stellen niemandem einfällt; heute, in einer pluralistisch-multikulturellen Gesellschaft, ist das ausgeschlossen)
(d) Entlastung von unserem dauerprekären Dasein (als beglückende „Psychen-Flutung“ durch tragende Zuversicht, ermutigende Hoffnung und einen faktengestützten Optimismus)
(e) Reduktion von Komplexität (Niklas Luhmann) streben; Beispiel: Vertrauen)
(e) Indes daraus, dass wir alle nach Sinn streben, folgt nicht, dass es überhaupt einen solchen Sinn gebe; tatsächlich gibt es ihn objektiv nicht; nur subjektiv als gewohnheitsmäßig - etwa durch Erziehung vermitteltes - verinnerlichtes Wert-, Halt-, Zweck-Gefüge. Denn: ‚Sinn’, das ist ein geistiger (überempirischer) Bedeutungs- und Werte-Zusammenhang, ein kulturell als Fraglosigkeit gewirktes Sollens-Netz, gewoben aus Überzeugungen, Präferenzen, Bevorzugungen, Ablehnungen, gewohnheitsmäßigen Neigungen usw.
(f) Sinn ist im Normalfall jedenfalls ein in die individuellen Seelen kollektiv gewachsenes kulturelles Gut, das Gut, das in Gesellschaften gedeiht, deren - in der Regel metaphysisch(!) abgestütztes - Wertesystem als selbstverständlich eingelebtes, nicht zu hinterfragendes bezeichnet werden darf: niemand käme auf die Idee, es zu hinterfragen, also ein Wertesystem ist, das die Individuen lenkt, in sich „birgt“, „verheimatet“, psychoethisch trägt und in einer Geborgenheit ruhen lässt, die sie, die Individuen, befähigt, ihre Existenz (jedenfalls unter Friedens- und alles in allem erträglichen gesellschaftlichen Bedingungen) zu bewältigen und zu meistern.
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(g) Ich erkläre frei heraus - es ist meine, des Atheisten, ehrliche Überzeugung -, dass es unbedingt eines religiös: glaubensfundiert abgesättigten, also metaphysisch fundierten Werte-Systems bedarf, soll sich eine Gesellschaft vor dem Phänomen des Nihilismus erfolgreich bewahren können … Eine Konsumdiktatur kann das nicht leisten: Diese m u s s im Nihilismus enden.
(9) Noch einmal unmissverständlich: Objektiv gibt es keinerlei Sinn; als subjektiv verinnerlichter beruht er entweder
(a) auf metaphysischer, institutionell-gesellschaftlicher Abrichtung, oder
(b) auf „genetischer Gnade“ als Resultat einer genetischen Lotterie, die freilich
(c) nur wenigen (und das unverdient: sie, diese Gnade, ist nicht intendierbar: man kann sie nicht wollen, nicht erstreben, man bekommt sie geschenkt, zufällig, „einfach so zugewürfelt “, nicht wegen irgendwelcher Verdienste, nicht wegen sozialer und gesellschaftlicher Exzellenz; nein: da waltet der reine, blind würfelnde Zufall, ich bezeichne ihn mit dem Namen der Tyche, der altgriech. Göttin des Zufalls und des Glücks)
(d) Und dieses Geschenk, welches sich „genetischer Gnade“ verdankt, das ist das Geschenk des Geistes, also das zufällige Teilhaftiggewordensein an
(e) derjenigen Existenz-Macht, die einen durch die Fähigkeiten,
(i) Kunst zu schaffen (etwa Gedichte zu schreiben) und,
(ii) ohne an ihnen, hat man sie denn erlangen dürfen, zu zerbrechen, gestattet, völlig illusionslos tiefste Einsichten zu gewinnen, einen
(iii) gleichsam kommandierend feit gegen die mannigfaltigen Lockungen, Reize, Zumutungen, Herausforderungen, Verführungen und Gefahren der gegenwärtigen Überflussgesellschaften, die doch die Individuen sich gleichsam, um es milde auszudrücken, so sehr gewogen zu machen fähig sind, dass diese, die Individuen (als ökonomisch abgerichtete Erlebnis-Verbraucher), gleichsam sich selbst an diese Konsumdiktaturen als Sinngebungsinstanzen verlieren. Zumal sie doch auch so etwas wie Daseins-Sicherheit zu bieten haben: etwa wirtschaftliche (Wohlstand), rechtliche (Freiheiten = Nicht-Verbote, die mit „Freiheit“ gar nichts zu tun haben, denn diese, Freiheit, wäre, wenn der Wille frei wäre, nichts anderes als Selbstzwang-Resultat, also eine Art Machtausübung über sich selbst, derer der gelernte Verbraucher nicht mehr fähig ist), politische (Friedenserhalt), die gewiss dazu beitragen, dass die Individuen sich in solchen Konsumdiktaturen weitaus besser fühlen, als sie sich fühlen würden, wären sie einer politischen Diktatur ausgesetzt, die sie zumal bedrohen, in Angst versetzen, verunsichern, psychisch bedrücken oder gar umbringen würde, sollten sie sich nicht als „systemgenehme Bürger“ erweisen/erwiesen haben.
(f) Weiter: Wer unter despotischen Bedingungen leben, wer zumal auch in bedrückender Armut dahinvegetieren muss, der wird schwerlich so etwas wie einen Lebenssinn finden, würfle ihm auch der genetische Zufall die Bedingung der Möglichkeit eines solchen: geistige Begabung als „genetische Gnade“ zu. Denn: Unterdrückung und Armut lassen auch das Geistige in der Regel nicht gedeihen: dieses braucht die Freiheit von kreatürlicher Not und die Möglichkeit, sich ungehindert zu entfalten/auszudrücken; beides ist an sich in den westlichen Gesellschaften gegeben: Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie - wiewohl ich zwar nichts gegen den Wohlstand, wohl aber manches gegen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie vorzubringen hätte; doch: sei’s an dieser Stelle. Aber genau diese Überflussgesellschaften ebnen jede Form einer Hochkultur ein: Sie trivialisieren - und zwar notwendig: das ist die Voraussetzung dafür, dass sie sich ungehindert entfalten können: als K o n s u m-Diktaturen - die Innenwelten der Individuen mittels der sukzessiven Durchsetzung von
(i) Atheismus:
Diese Welt ist tatsächlich metaphysisch leer, tot, unbehaust; gottverlassen; in der Regel radikal diesseitsgefangen; und ist folglich auf eine diesen Umstand kompensierende (faktisch uneinlösbare) Tugendhypertrophie angewiesen: Fakt ist, dass die Kirchen inzwischen
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außerstande sind, Gottes Wort zu verkünden, denn
(α) es fehlen vielen/den meisten heutigen Menschen die für dieses empfänglichen Seelenschichten
(β) es fehlen die gesellschaftlich-objektiven Anknüpfungspunkte (eine ratio-abstrakt-seelenlos-rechenhaft-kalt-naturfern-mammonzentrierte Welt bietet keine)
(γ) es fehlt den Priestern und Pfarrer*innen die gottestrunken- metaphysische Leidenschaft, es fehlen ihnen die sprachlichen Mittel, es fehlt ihnen die so deprimierend seltene Seelengröße und die Fähigkeit, Politmessianismus und Religion zu unterscheiden; indes fehlt auch die Fähigkeit zu dem was ich „metaphysische Leidenschaft“ nenne: die heutige Durchschnitts-Innerlichkeit ist mammonumgarnt reiz- und effekt-rational bereits soweit „ausgedünnt“, dass ihr jedwede tiefe Sehnsucht (insbesondere die nach Gott) längst verdorrt ist. Bei der Gelegenheit: „Der Tod Gottes“ (Nietzsche) ließ auch die Seelen der Menschen klein, brüchig, simpel, selbstblind, hässlich, verfeinerungsunfähig, kalt, affektbanal, rechenhaft gesinnt, verflachungsbetört, krämerhaft, entschämungssteril und zutiefst glücklos verlassen werden
(δ) Gott braucht keine/hat nichts gemein mit Polit-Tugend- und Emanzipations-Wirren, die ihn allenfalls zum Verhaltenstherapeuten herabwürdigen
(ii) Materialismus:
Gemeint ist der triviale als Waren-, Du-, Ich- und Welt-Konsum; dieser gilt den meisten als die Grundlage konsumtiven Glücks, das man als Krüppel menschlichen Glücks überhaupt ansehen muss: Tatsächlich besteht es in der dauererfolglosen Jagd nach sich selbst; was jenen Materialismus indes entsprechend fortwährend intensivieren muss … zumal er das Glück überhaupt abschafft: er reduziert es zum Entlastungs-Vollzug
(iii) Utilitarismus:
Auf jede Art von quantifizierbarem Nutzen abgestellte, geistlos kalkulierende Rechenhaftigkeit, die dies nach sich ziehen muss: Alles, was nichts bringt an Wohlstand, Erlebniszufuhr, Geld, Erfolg, Macht, Lust usw. usw., ist irrelevant; also auch jede scheinbar nutzlose Bildungsanstrengung. Dieser Utilitarismus intensiviert ganz wesentlich die allverbreitete seelische Verkümmerung: Er ist einer der Väter der grassierenden Stupidität
(iv) Hedonismus (Man soll, so Aristipp von Kyrene, Sokrates-Schüler, nach Lust streben: Lustgewinn sei ethisch geboten*)
Der kapitalistisch erforderte: Kein materieller Wohlstand (schon gar kein wachsender) ohne einen auf Dauer gestellten und permanent steigerungslüsternen Verbraucherhedonismus: Spaß-Rausch als zentraler Lebensinhalt, z. B. als behelfskopulativ-verrechnungslüstern-selbstwertsteigernde black friday-Pseudo-Erotik
Anm.* Sokrates soll ihm, Aristipp von Kyrene, seinem Schüler, deshalb gelegentlich gesagt haben, dass er selbst als Sklave zu nichts taugte; indes Aristipp - und das muss zu seiner Ehrenrettung gesagt werden - einen ganz entscheidenden Zusatz zu obiger Aussage, dass Lustgewinn ethisch geboten sei, machte, nämlich: dass dieses ethische Gebot nur gälte, wenn man nicht - in keinem Fall - seine Freiheit dafür drangäbe; die sei das Höchste im Leben
---------------------------Ende der Anm.*
(v) Infantilismus:
Dieser ist das notwendige Ergebnis der marktpropagandistisch verbreiteten Auffassung, dass Sinn und Zweck des Lebens in unernst-folgenlosem Vergnügen und dem Verdrängen von daseinsimmanenten Widersprüchen, Gefährdungen und Existenztatsachen wie Zeitlichkeit, Verfallsverfügtheit, Krankheit und Tod, zu suchen und zu finden seien. Dieser Infantilismus meint ein kindliches Bedürfnis nach Ablenkung von jedweder Form verpflichtenden Lebensernstes; genauer: Ablenkung von einem Dasein, das - kühl-distanziert betrachtet, d. h.: ohne Rekurs auf Verdrängungen, Lebenslügen, Ausflüchte etc. - betrachtet, sich selbst zur Last würde
(vi) Narzissmus: S. oben: (D) (3), Anm.*)
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(vii) Vereinzelungszwängen:
Der heutige Mensch ist als Erlebniskultmonade: Als Fun-Spielball - zu dem er sich auch selber macht (allerdings auch, um sich auf diese Weise eskapistisch zu entlasten, soll heißen: sich die gesellschaftliche Realität der sei es langweiligen, sei es bedrohlichen, sei es unverständlichen, weil zumal komplexen Tatsachen und der Aura der eigentümlich-kalten und künstlichen Tristesse der Waren-, Gleichungs- und Verfahrens-Alltagswelt auszublenden, etwa, wie es oft geschieht, durch die Wahrnehmung von Belämmerungschancen, von denen die heutige Welt viele zu bieten hat, wie etwa die allverfügbare Pop-Musik (s. o. (E) (1) Anm.*) - völlig allein:
(10) Weiter: Eine geistige Existenz schließt aus eine auf konsumtiv-hedonistisches Dauer-Erleben abgestellte Existenz als „Selbst-, Du- und Wir-, als Reiz-, Effekt-, Rausch- und Emotions- und Spaß-Zufuhr-Existenz“ und erzwingt eine auf künstlerisches Schaffen und Begreifen/“Entschleiern“ von Selbst, Du, Wir, Gesellschaft und Welt abgestellte (selbstbewahrungsträchtige) Einsichts-Existenz, die auf Distanz zu jener konsumtiv-hedonistischen Existenz ausgerichtet ist. Das ist ein Faktum.
(a) Ein seltenes Geschenk nenne ich das Geistige, eine genetisch zufällige Gnade/Gabe; es ist allerdings auch eine zwiespältige Gabe, weil, kommt sie all-umfänglich zum Tragen, sozial absondernde und (realistisch-einsichtstief in das bedrückende menschliche Daseins-Drama zu allen Zeiten vorurteilsfrei vorstoßend) auch belastende Gabe/Begabung (ich nenne diese „Distanz-Luzidität“)
(11) Traditionell hat man unter Geist verstanden (s. Artikel „Geist“ im philosophisches Wörterbuch, Meiner, Hamburg)
(a) indogerman.: gheis
(b) gotisch = usgaisjan = erregen; es geht um „schreckhaften Zorn“
(c) althebr.: רוּחַ
(d) griech.: πνεῦμα, νοῦς, λόγος (pneuma, nous (nus), logos)
(e) lat.: mens, animus, spiritus, genius
Dann: „Geist“ als:
(i) unsichtbare Substanzen: Luft, Hauch, Wind, Atem (als Träger des Lebens); רוּחַ = Hauch, Geist, Wind, aramäisch: Geruch (vgl. Verben im aramäischen, arabischen, äthiopischen … deutsch: wehen, fächeln, riechen)
Weiter:
(ii) Geist als Ein Bewegungsprinzip bei
Anaxagoras von Klazomenai (500 – 428 v. Chr.): Der Geist = νοῦς (nous) bewegt und ordnet den Stoff = Materie.
Aristoteles, Physik, Θ5, 256b 24f. : „Anaxagoras hat recht, wenn er den Geist als dasjenige bezeichnet, das nicht in Mitleidenschaft gezogen werden kann und unvermischt ist, eben deshalb, weil er ihn als Prinzip der Bewegung ansetzt. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann er als Unbewegter bewegen und als Unvermischter herrschen“ (in: Die Vorsokratiker, Griechisch/Deutsch, Reclam Nr. 18971, S, 607)
Platon, Kratylos, 413 c: „Anaxagoras sagt, (…) er (der Geist) verfüge über die absolute Gewalt, sei mit nichts vermischt und ordne die Dinge an, indem er durch sie alle hindurchgehe.“ (Reclam, ebenda)
(iii) „Geist“ gilt als ein Prinzip der Lebendigkeit (Seele = unsterbliche = Geistseele = denkendes Prinzip). So Platon, der eine dreigeteilte Seele annahm:
(α) den begehrlichen Seelenanteil (geht auf Lust)
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(β) den mutartigen Seelenteil (zielt auf Ehre)
(γ) den vernünftigen Seelenteil (zielt auf Vernunfttätigkeit) Der vernünftige Seelenteil wird von Platon als unsterblich angesehen; nach dem Tod kehrt die Seele aus dem Körper des Verstorbenen heim in die rein geistige Ideenwelt, mit der die Materie gleichursprünglich ist, also die Materie ist keine Schöpfung der rein geistigen Ideenwelt; etwa der Idee des Guten, welche, gottähnlich, die höchste Idee ist. Die Materie wird dann vom Demiurgen (Hersteller, Handwerkergott) nach dem Vorbild der ewigen geistigen Ideen geordnet: Die Dinge ergeben sich, der Demiurg formt sie, als Abbilder der Urbilder = der Ideen (s. o.)
(iv) Aristoteles, 384 – 322 v. Chr.: Metaphysik, Buch 12, Das erste Bewegende und seine Tätigkeit:
„Nun aber gibt es etwas, das, ohne selber bewegt zu werden, anderes bewegt und der Verwirklichung nach existiert; dies kann sich in keiner Weise anders verhalten. Die Ortsbewegung nämlich ist die erste unter den Veränderungen, und unter dieser die Kreisbewegung; diese Kreisbewegung aber wird vom bewegenden Unbeweglichen ausgelöst. Folglich ist das bewegende Unbewegte mit Notwendigkeit seiend; und insofern es mit Notwendigkeit existiert, existiert es auch schön (…) Von einem derartigen Prinzip also hängt der Himmel ab und die Natur (…) Wir sagen also, dass Gott ein lebendiges, ewiges und bestes Wesen sei. Dem Gott kommt demnach ununterbrochenes, fortdauerndes und ewiges Leben zu; denn das ist eben Gott (…) Dass es nun ein ewiges, unbewegliches und von den Sinnendingen abgetrenntes Wesen gibt, ist aus dem Gesagten klar ersichtlich.“
Gott, selbst unbewegt und Urheber aller Bewegung, ist also
(α) ewig
(β) unbewegt und hat
(γ) alle seine Möglichkeiten verwirklicht (hat/trägt keine unverwirklichten Möglichkeiten in sich, wie die sich bewegenden Dinge, die sich bewegen, um die in ihnen angelegten Möglichkeiten zu verwirklichen).“Aristoteles, Metaphysik, Buch 12, S. 301 bis S. 324 (1069a bis 1076a); Reclam, Nr. 7913
(v) Gott (vgl. AT, Genesis 1,1ff.) als Geist
Ü/Sa.: ”(1) Am Anfang schuf“ (die Wurzel ברא = „schaffen“ darf nur im Zusammenhang mit Gottes Schaffen benutzt werden, nicht im Zusammenhang mit menschlichem Schaffen; für dieses wird die Wurzel ﬠשׂﬣ = machen, tun, bewerkstelligen, schaffen usw. gebraucht) “Gott den Himmel und die Erde. (2) Und die Erde war wüst und leer” (so Luthers treffende Übersetzung) „und Finsternis lag über der Oberfläche; indes schwebte der Geist Gottes über dem Wasser (3) Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. (4) Und Gott sah das Licht, sah dass es gut: für seinen Zweck vollendet war, woraufhin Gott das Licht von der Finsternis schied. (5) Und Gott gab dem Licht den Namen Tag und die Finsternis nannte er Nacht; und so wurde der erste Tag aus Abend und Morgen.“ Geist galt/gilt also als Schöpfungsmächtigkeit: Der jüdisch-christliche Schöpfergott ist allmächtig und: ein Geistwesen, רוּחַ, das, der Materie vor und übergeordnet, diese aus dem Nichts erschafft.
Vgl. weiter:
(vi) NT, Johannes-Evangelium: Gott als Geist, der die Materie ins Sein „wortet“, spricht: Das Wort Gottes materialisiert sich. „Im Anfang war das Wort (Logos) und das Wort (Logos) war bei Gott und das Wort (Logos) w a r Gott. Und Joh. 1,14: „καὶ ὁ λόγος σάρξ ẻγένετο“: „und das Wort ward Fleisch“ - Im Christentum ist der Logos als Wort Jesus Christus selbst, weiter: „und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
Im Christentum, das die Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele von Platon von Athen (427 – 347 v. Chr., Philosoph) übernommen hat, wird die Seele als e i n e unsterbliche (nicht wie bei Platon als dreiteilige, s. o.) im Gegensatz zum materiellen vergänglichen Körper gesehen.
„Geist“ meint aber auch
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(vii) Weltgeist, Weltseele als unpersönlich oder überpersönlich gedachte Macht, waltend in Natur und Geschichte. Weltgeist (u. a. bei G. W. F. Hegel: Der nicht mehr göttliche, sondern nur noch innerweltliche, geschichtliche Geist, der Geist, wie er „sich im menschlichen Bewusstsein expliziert“. Der Weltgeist ist das im historischen Fortschritt sich selbst vergegenwärtigende Verhältnis der Menschen und Völker zu sich. Hegel nennt es den „Weg der Befreiung der geistigen Substanz, die Tat, wodurch der absolute Endzweck der Welt sich in ihr vollführt, so dass „der nur erst an sich seiende Geist sich (…) auch zum äußerlich allgemeinen, zum Weltgeist wird“ (Enzyklopädie § 549).
Weiter:
(viii) „Geist“ als Lebensprinzip/Seele = „das belebende Prinzip im Gemüt“ (Kant)
(ix) „Geist“ als eine den Menschen gegenüber dem Tier auszeichnende Eigenschaft: Der Mensch als Geistwesen = Bewusstseinsträger des Numinosen (Göttlichen)
(x) Geist als eine
(α) ästhetische/künstlerisch schaffende (etwa Gedichte hervorbringende) eine
(β) spezifisch konstruktiv-metaphysische (bei Platon etwa: Das Erfassen von ewigen Ideen durch den vernünftigen - unsterblichen - Seelenteil) und eine
(γ) ethische/moralische Fähigkeit/Kraft: Geist zu sein, zu haben ist ein selbstzentrischer Imperativ, der notwendig mit Haltungen und Ansprüchen an sich selbst einhergeht, wie etwa dem, sich nicht selbst zu verdinglichen = zur Sache, zur Ware zu machen. Freilich: das primäre geistige Ziel ist „geistige Selbstbewahrung“ (s. o. (G) (5)) (ein nicht eigentlich ethisches, sondern existenzielles Ziel, was aber dann praktische Verhaltensweisen und Wertungen nach sich zieht, die auch ethisch von hoher Bedeutung sind)
(xi) Ein Nebenprodukt der Entwicklung des menschlichen Gehirns (von 400/500 cm³ beim Schimpansen, unserem nächsten Verwandten) auf ca. 1350/1400 cm³ bei Homo sapiens); diese Ansicht ist korrekt; ich (Sa.) teile sie uneingeschränkt
(xii) Was verstehe ich, Sa., des Näheren unter Geist?
Um zu einer möglichst allgemein verständlichen Beantwortung dieser Frage zu kommen unterscheide ich
(a) empirische
(b) technische
(c) analytisch-experimentelle und
(d) kratische Intelligenz
(diese ist - als Steuerungsinstanz eines Machtkampfgeschehens - also machtstrategisch, ideologisch, amoralisch, drangsalkreatürlich und ich-ekstatisch fundiert; zu dieser aber erst später im Rahmen der Themen „Politik“, „Politiker“ und „Macht“)
(i) mit empirischer Intelligenz meine ich: Die für eine alltägliche Daseinsbewältigung notwendigen intellektuellen Leistungen (z. B. beruflich erforderliche), inklusive der psychoethisch erforderlichen Fähigkeiten, sich unter auch schwierigen, irrationalen, belastenden und menschlich fragwürdigen Konfliktsituationen und Umständen erfolgreich (meint: im Sinne eigener Interessen) zu behaupten
(ii) mit technischer Intelligenz meine ich verfahrensrationale Intelligenz, etwa um eine industrielle Produktion von Gütern zu erleichtern, billiger zu machen, gefahrenloser für Menschen usw. usw.
(iii) mit analytisch-experimenteller Intelligenz meine ich die, die in den Naturwissenschaften zum Tragen kommt: Der Physik, der Chemie und der Biologie; Ziele: Naturbeherrschung, also die Machterweiterung des Menschen über die Natur, deren Enträtselung und Ausbeutung für industrielle, militärische, überhaupt lebensdienliche (wie etwa die pharmaindustrielle Forschung) und - im Bund mit dem kapitalistischen
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Wirtschaftssystem - den gesellschaftlichen Wohlstand und Unternehmensgewinne/-profite steigernde Maßnahmen.
(12) An dieser Stelle diese sieben Bemerkungen:
(a) Technische Intelligenz zielt auf neue Verfahren und auf die Optimierung bereits bestehender, nicht auf irgendeine Wahrheit; wissenschaftliche Forschung zielt dagegen auf Wahrheit und - letztlich - Weltverständnis
(b) Dass beide Arten der menschlichen Intelligenz (im Bund mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem) die Welt - und unser Leben in dieser: Von der physischen Plackerei zur dekadenten Wohlstandsverfallenheit - in den letzten beiden Jahrhunderten fundamental verändert haben, ist eine Tatsache; dass dies aber, wie man immer wieder hört, ein Fortschritt sei, sehe ich kritisch: Denn „Fortschritt“ meint auch eine positive Bewertung, meint: ein einen Umstand/mehrere Umstände bejahendes Werturteil fällen; indes habe ich Zweifel daran, ob diese Fortschritte für uns Menschen tatsächlich solche sind. Was soll das für ein Fortschritt sein, wenn immer mehr Menschen (nämlich unter den Bedingungen unserer Überflussgesellschaft) seelisch und sittlich „aus dem Ruder laufen“, zu ich-schwachen, neurotischen, glücklosen, sich selbst verdinglichenden, geistlos-primitiven und existenziell pan-verhilflosten Narzissten werden, die gezwungen sind, eine Existenz (nämlich ihre) zu inszenieren, die sie (und die Gründe für diesen Inszenierungszwang) nicht ansatzweise begreifen: spracharm phrasenhörig, faktisch auf sich selbst (orientierungslose Marktmarionetten) zurückgeworfen, um so - wie J. A. Schumpeter es hellsichtig bemerkte - „ihr Leben zu verschludern“.
Noch einmal: Der Kapitalismus ist autodestruktiv (s. o. (VI) Der Mensch … in der heutigen Überflussgesellschaft, Anm* „Nihilismus“)
(c) Auf dem Einband von Richard Dawkins Buch „Der Gotteswahn“ Ullstein Verlag, Berlin 2007, lese ich - Atheist - den Satz: „Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen.“ Und das meint auch, dass „die Welt zu verstehen“ ein Gut sei, ein hoher, jedenfalls unbedingt erstrebenswerter Zweck. Wieso? - Lassen wir’s! Auf jenen Satz von Dawkins möchte ich - obwohl Atheist kein Gegner der Religion, über die mich lustig zu machen, ich keinerlei Neigung verspüre -, antworten:
(d) Die Welt zu verstehen indes mit Hilfe der analytisch-experimentellen Intelligenz der Naturwissenschaften -
Dawkins meint mit seinem Satz ja wohl auch: Wir soll(t)en versuchen, die Welt zu verstehen, denn dieses Verstehen der Welt sei uns, den Trägern einer im Tierreich einzigartigen Gehirnentwicklung, gegeben, sei anthropologisch gesehen sozusagen für uns Zwang, sei uns zumal zuträglich, kläre uns auf über die Welt und uns selbst - führte (wir machen diese Erfahrung in unseren vollendeten Konsumdiktaturen immer deutlicher und nachdrücklicher und schmerzhafter) wahrscheinlich, wie ich glaube: unweigerlich, in den für diese Konsumdiktaturen typischen Nihilismus, den Dawkins - vgl. S. 296 seines Buches - vehement leugnet: „Der Verfasser“ - eines Briefes an Dawkins - „glaubt, der Darwinismus sei seinem Wesen nach nihilistisch, weil er angeblich lehrt, dass wir durch blinden Zufall entstanden seien (zum x-ten Mal: Natürliche Selektion ist genau das Gegenteil eines Zufallsprozesses) und nach unserem Tod vernichtet würden.“
Darauf sage ich, Sa., erstens: Ein Prozess mag mit Notwendigkeit ablaufen; was aber nicht ausschließt, dass er a l s Prozess zufällig entstanden ist/sein kann, also: nicht notwendig (obwohl er, einmal entstanden, mit Notwendigkeit abläuft: sogar berechenbar vielleicht; jedenfalls voraussehbar). Und zweitens sage ich: Die biologische Evolution setzt sehr wohl zwei Ereignisse (vgl. oben (A)) voraus: Erstens die Entstehung des Universums vor 13,82
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Milliarden Jahren und zweitens die Nukleo-Synthese (die Entstehung von immer komplexeren Atomen, ohne die Lebewesen hätten später - vor ca. 4 Milliarden Jahren - gar nicht entstehen können).
Dann führe ich Dawkins selbst an (Dawkins, Der blinde Uhrmacher, München dtv, 30558, S. 18, wo Dawkins schreibt): „“Die natürliche Zuchtwahl, der blinde, unbewusste, automatische Vorgang, den Darwin entdeckte und von dem wir heute wissen, dass er die Erklärung für die Existenz und scheinbar zweckmäßige Gestalt allen Lebens ist, zielt auf keinen Zweck“ (Hervorhebung von mir, Sa.). „Sie hat keine Augen und blickt nicht in die Zukunft. Sie plant nichts voraus. Sie hat kein Vorstellungsvermögen, keine Voraussicht, sieht überhaupt nichts. Wenn man behauptet, dass sie die Rolle des Uhrmachers in der Natur spielt, dann die eines blinden Uhrmachers“ (Hervorhebung von mir, Sa.)
(e) Und noch einmal dies: Der von mir - schon Stirner und Nietzsche (u. a). wussten um ihn deutlich - als unvermeidbar behauptete Nihilismus unserer Überflussgesellschaften ist k e i n direktes Resultat des „Siegeszuges der Naturwissenschaften“, sondern eines des Zusammenspiels der Naturwissenschaften(!) und der Technik(!) mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, das sich ohne jene beiden hätte niemals so allumfassend entwickeln können; erst die „Superstruktur“ (Arnold Gehlen) von Kapitalismus, Naturwissenschaften und Technik ermöglichten das „Stahlgehäuse“ (Max Weber), das heute ein - scheinbares -„Waren-Überfluss- Paradies“ ist … dieses Wohlstands-Reich, das sich heute bis zu dem Punkt entwickelt hat, an dem die Menschen sich selbst als „Körper-Waren“, als verdinglichte Spaß-Potenzen (und nichts darüber hinaus zu sein, sein zu wollen, sein zu können als lediglich „Erlebnis-Kiffer“) behandeln, um sich selbst als diese zu genießen und zu verhalten. Und diesem Nihilismus scheint mir seinem Wesen nach eine gesellschaftliche Sprengkraft einzuwohnen, die ausreichen könnte, die so mühsam zusammenzuhaltenden Institutionen des liberalen Rechts und der demokratischen Organisation der Gesellschaft auszuhöhlen - bis zum Kollaps. Ich, Sa., jedenfalls notorisch pessimistisch gestimmt, glaube nicht (freilich ohne es wissen zu können), dass Europa, der Westen überhaupt, also auch seine Werte, noch eine lange Zukunft haben werden: Demokratie und Rechtsstaat sind jedenfalls gefährdet (vor allem auch von innen heraus)
(f) Und ich bestreite - wohl wissend um die Exzesse, welche die Religionen zuweilen anstoßen -, dass es für uns unbedingt und unbesehen zuträglich sei/ist (seelisch, moralisch, kulturell, politisch, kurz: existenziell überhaupt), die Welt zu verstehen (vgl. o. (A) und (B)).
Fakt ist für mich: Sine deo salus nulla hominibus (ohne Gott gibt es für die Menschen kein Heil; ich meine: als Geborgenheit, Überwindung des Todes, Seelenheil und Sinn)
(g) Ich glaube auch nicht - vergleiche R. Dawkins, Der Gotteswahn, S. 291ff -, dass wir „gut“ sind; glaube vielmehr, dass wir auch an solchen für uns typischen Illusionen, die wir bezüglich unserer selbst hegen (und von denen die meisten Menschen nicht lassen können) scheitern werden
(13) Und von jenen vier Formen der menschlichen Intelligenz: der empirischen, der technischen, der analytisch-experimentellen und der kratischen Intelligenz unterscheide ich den kollektiven Geist (als „Hochkultur-Mentifakt“ = geistiges Werkzeug, Mittel) - als kulturelle Schöpfungsmacht, sich
(i) metaphysisch-ideell, also: sinnfiktional bergend
(ii) ethisch
(iii) politisch und rechtlich, also traditionell
(iv) gesellschaftlich-hierarchisch (sozial differenzierend) bezeigend.
Beispiele: Die Hochkulturen (etwa die des alten Ägypten, die des klassischen Griechenland, die des alten Rom usw. usw.)
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(14) Und von diesem kollektiven Geist unterscheide ich wiederum
(a) den schleichenden Niedergang des kollektiven Geistes als Hochkultur-Grundlage überhaupt, kulminierend in den heutigen Überflussgesellschaften, die
(b) an die Stelle hochkultureller Kollektiv-Steuerungen (Staat, Religion, Traditionen, Recht, geheiligte Überzeugungen, Institutionen, Daseinsvollzugsweisen usw. als selbstverständlicher Grundlagen gelingender Innenwelt-Stabilisierungen/-Ausrichtungen und
-Absättigungen) pseudorational-kreatürlich-hebend-beglückende, soll heißen: wohllebenspralle/konsumtive Diesseitsvollzüge setzten. Indes eine wohlstandshypertrophe Konsumdiktatur als Hochkultur, die immer und notwendig v. a.
a s k e t i s c h e Leistungen der Individuen einfordern m u s s t e, gar n i c h t „funktionieren“ kann, weil sie sich nicht an die Menschen als Kulturträger (asketisch-metaphysisch-ethisch kommandiert), sondern an die Menschen als biologische Wesen, als: psychophysische Bedürfnis- und Trieb-Gefüge wendet
(c) Es ist gerade die Möglichkeit, den gesellschaftlichen Reichtum einer Überflussgesellschaft auf Dauer (und anwachsend mit Hilfe von Naturwissenschaft und Technik) zu stellen und zu gewährleisten, welche - historisch zum ersten Mal ansatzweise im 19. Jh. - es dann erlaubt, die traditionell selbstverständlichen Verzichtsleistungszwänge: Askese (noch im 19. Jh. gehörten in Deutschland 80% der Bevölkerung zur Unterschicht: lndustrie-Arbeiter, Tagelöhner, Knechte, Mägde, kleine Bauern, kleine Handwerker, Dienstleistende aller Art usw. usw. -) nach und nach „aufzuweichen“, um die von der Kirche, dem Staat und dem Recht „gegängelten“ Menschen im Sinne der Aufklärung zumal „umzuerziehen“ zu, wie Kant es gefordert hatte, autonomen Vernunftwesen, geleitet vom Ideal des „sapere aude“(„wage es, zu wissen, zu hinterfragen“, s. o), was freilich von vornherein zum Scheitern verurteilt war: Der Mensch ist nicht vernünftig. Vielmehr war das Ergebnis dieses: „Wage es und lerne es, dich konsumierend zu dir selbst als Wohlstandsgewinner, dann nach und nach als Marktknecht, Phrasenkonsument und außengesteuerten Spaß-Jäger zu entfalten“! Aber das ist nicht der Wahlspruch der Aufklärung, sondern die Selbstverdinglichungsverlockung des Konsum-Kapitalismus). Kurzum: Die Menschen wurden (im 20. Jh., nach dem 2. Weltkrieg) peu à peu aus ihren traditionellen gesellschaftlichen und moralischen Zwängen herausgerissen, um sich „zu sich selbst zu befreien“: sich zu emanzipieren, zu autonomen und autarken Individuen zu machen. Und eben das musste die ideologische Strategie einer zu schaffenden Wohlstandsgesellschaft sein, denn - es sei noch einmal gesagt -: ein metaphysisch-moralisch-asketisch gebundener Mensch ist kein „idealer Verbraucher“. Vollumfänglich griff diese Umerziehung der Individuen zu Spaß- und Selbst-Konsumenten in Deutschland erst in den frühen 1960er Jahren (partiell freilich schon in den 1950 Jahren; Stichworte: „Fresswelle“, „Urlaubswelle“ usw., die freilich noch eher Arten und Weisen eines entlastenden Vergessens der Vergangenheit waren, als dass sie bereits genussnackter Hedonismus gewesen wären), um dann - unter intellektuellennarzisstisch-ideologischer Federführung der kapitalismuskritischen 68er, den nützlichen Idioten des heraufziehenden Konsum-Kapitalismus, in der Forderung von „Selbstentfaltungswerten“ zu gipfeln (die sich heute die Reklame erfolgreich zunutze macht), wesentlich gestützt und verbreitet - vor allem in den 1970/80er Jahren - mit Hilfe der pan-debilisierenden: entfesselungs- also: ekstatisch dionysisch belämmernden Pop-Musik s. o. ). Und diese Selbstentfaltungs-„Werte“ waren es, die, als faktisch „systemgenerierte“ fungierend (der Profiteur der Ideologie der Selbstentfaltungswerte war der Kapitalismus, dem nichts gelegener kommen musste, als die Zerstörung herkömmlicher: konsumhemmender Wertvorstellungen, nicht das Individuum, das mit der Übernahme jener Selbstenfaltungswerte den Weg in eine Marktknechtschaft betrat, die es, das Individuum, in den folgenden Jahrzehnten zu einem erlebnistrunkenen Verbraucherknecht reduzieren sollte).
Jene Selbstentfaltungswerte dienten dann immer Menschen als
(*) als psychoethisch steuernde Emotionshülsen, ihren schrankenlosen Hedonismus zu
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kaschieren(als Innenweltentschränkungsleerformeln)
(*) als gelingende Existenzmeisterungs-Illusionen: Wohlstandssteigerung als zentrischer Lebenssinn) und
(*) als faktische Selbstverwirklichungsvollzüge im Bann repetitiver Erlebnis-Trance …
Also Lebensvollzugskonditionierungen, die es den Individuen widerstandslos erlaubten,
(i) idealistisch-gesellschaftskritische Ansprüche zu formulieren, die sie geistig oder wenigstens affektkritisch zu durchschauen/zu erahnen, gar nicht in der Lage waren, weil der Prozess nicht nur subtil, emotionskomplex, vielschichtig und moralisch gedeckt war durch die längst erfolgte gesellschaftliche Ethisierung des Ideals des Wohllebens (so Götz Briefs bereits in den 1920er Jahren, besagend, dass das Individuum nicht etwa nur einen rechtlichen, sondern auch eine ethischen Anspruch auf Wohlleben habe/haben solle), sondern auch allgemein - und das nachvollziehbar -gut geheißen wurde: In der Tat befreite der Kapitalismus nach und nach nicht nur immer mehr Menschen von der Staats-, Kirchen- und Rechts-Knute des 19. Jh., sondern befreite sie auch aus der bedrückenden Plackerei der 10 bis 14-Stunden-Arbeitstage, der Mittelkargheit, ja: Armut , bescherte ihnen - jedenfalls dann im 20. Jh. - ein historisch beispielloses materiell besseres Leben, das zu ersehen die Menschen allen Grund hatten, denn es ist schlicht menschlicher Wunsche, den man nicht kritisieren könnte, ohne sich lächerlich zu machen:
Freilich: „Selbstentfaltungswerte“ : Als Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse, individuelle Autonomie, Emanzipation, Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit, Eigenständigkeit usw. (Nach Helmut Klages) sind „Selbstentmächtigungsphrasen“, die unter konsumkapitalistischen Bedingungen ins genaue Gegenteil dessen, was sie süß flötend suggerieren, führen m ü s s e n: in die narzisstische Inszenierung seiner selbst als System-Abklatsch-Monade
(ii) einem Pan-Hedonismus zu dienen/zu frönen, den sie als zentrischen Lebenszweck verinnerlicht haatten/haben: Lust und Spaß sind/seien gleichbedeutend mit Glück (als nur konsumtivem) … einem Pan-Hedonismus, dem sie als drastischem Existenzvollzug bedarfsorgiastischer Wirklichkeitsausblendungsstrategien längst verfallen sind, zumal sie, ließen sie einmal davon ab, von der unheimlich bedrückenden Tatsache tatsächlichen Alleinseins heimgesucht würden, denn – noch einmal -: sie inszenieren ihr Dasein, leben es als starmedial nachgeahmtes und also ihnen selbst benommen potentiell dauerbrüchiges
(iii) sich einer Mär von Individualismus hinzugeben, was es ihnen erlaubte/erlaubt, die kapitalistische Alltagsrealität auszublenden, die jedweden Individualismus, der diesen Namen verdiente, unterdrückt, denn diese Realität bedarf der gleichen, austauschbaren menschlichen Exemplare: leicht zu verführen, leicht zu dirigieren, leicht zu überzeugen, leicht auszubeuten, leicht zu hintergehen, zumal sie sich, tatsächlich einmal ausscherend, sofort in den Fängen einer sie typisch ausgrenzenden und sie radikal auf sich selbst zurückwerfenden Verlassenheit finden, die ihnen alle psychoethischen Halte zu zerbrechen droht
(15) Und nun setze ich - erstens - an die Stelle jenes historisch untergegangenen kollektiv steuernden Geistes einer Hochkultur (gekennzeichnet von fraglosen Geltungen, Traditionen, Selbstverständlichkeiten, geeignet die Menschen mit Sinn, Vertrauen, Halt, Ziele und Zwecke zu versorgen - mag ihr empirisches Leben auch noch so hart, niedrig, verachtet und unbedeutend gewesen sein ), dann - zweitens - an die Stelle der gegenwärtigen, nicht geistig, sondern wohllebenszentrisch-tugendmonoman-diesseitsergebenen Verfalls- und Verwahrlosungs-Zivilisation hysterisch-neurotischer Aufgeblasenheit, Erlösungserlebnisse verbrauchender Trivialitäten-Besessenheit und freudlos-aggressiver Ideologen-Arroganz öko-, sozialsstaats- und emanzipations-theologischer Wirklichkeitsverluste - drittens -
den individuell/subjektiv zufällig-genetisch(!) erworbenen Geist als virtuose Sprachmächtigkeit und Reflexionsschärfe, soll heißen: eine subjektive Geistesmächtigkeit als
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Quell und Kraft und unverrückbare Grundlage einer dann individuell determinierten(!) Lebens- und Überlebens-Meisterungsstrategie in einer nihilistischen Welt und Gesellschaft … d e n Geist, den ich als feste/ unverrückbare Grundlage meiner Person schon immer drastisch erfahren habe, ist dieser doch, noch einmal: die genetisch mir zu „gewürfelte“, völlig unverdiente Grundlage und Bedingung meiner als Person. Wobei ich sofort hinzufüge, dass ich n i c h t frei bin, mein Leben n i c h t geistig auszugestalten: Es gibt im Bereich des Geistigen - wie überhaupt im neuronalen Bereich (das Gehirn „kommandiert“) - keine Autonomie/Freiheit/ Selbstgesetzgebung. Es gibt also keine Willensfreiheit, folglich keine Selbstbestimmung, keine Emanzipation, keine existenzielle Wahl: Das Geistige, kommt es subjektiv als zufällige genetische Gabe zum Tragen, ist ein existenzieller Imperativ.
Dazu noch einmal Wolf Singer, Hirnforschung und Willensfreiheit, Frankfurt 2004, S. 30: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen.“
S. 56: „Aufgrund evolutionärer Anpassung sind Gehirne daraufhin ausgelegt, fortwährend nach den je optimalen Verhaltensoptionen zu suchen.“ So ist es. Und die mir, Sa., von meinem Gehirn immer verlässlich „zugewiesenen“ „optimalen Verhaltensoptionen“ sind eben - genetisch zufällig - geistiger Natur. Meine Sichtweise ist dabei, das sollte man strikt beachten,
(a) nicht philosophisch
(b) nicht idealistisch-ethisch
(c) nicht politideologisch
(d) nicht traditionell europäisch-abendländisch-griechisch-jüdisch-christlich denke, sondern, sondern rein naturalistisch-evolutionsbiologisch; das ist notwendig, will ich meinen eigenen Ansprüchen genügen: Fakten zu präsentieren; und nicht subjektivistisch-naiv-illusorische Selbsttäuschungsmärchen. Und dass ich eine Materie-Morphe bin, das ist Fakt.
Anm. * Dächte ich gemäß ((a) bis (d)), und wäre ich religiös, schriebe ich mir etwa zu
(a) Wesens-Würde
(b) Autonomie
(c) Vernunft
(d) Tugend-Fähigkeit und also Selbstverfügungs-Mächtigkeit
(e) Geistwesen zu sein von Gott her, nicht als Neben-Produkt einer sich selbst organisierenden Materie
(f) Träger einer unsterblichen Seele zu sein
(g) Teil eines notwendigen Heilsgeschehens zu sein, endend in der civitas dei (Gottesstaat)
(h) von Natur aus gütig, moralisch vollendet zu sein, meinen Mitmenschen ein rücksichtsvoller, verständiger Helfer usw. (Marx)
Indes ich jene vier genannten Exzellenz-Eigenschaften für Illusionen halte, wenn auch zwecks Entlastung von der Tatsache der eigenen individuellen Nichtigkeit sehr nützliche Illusionen.
Auf das, was ich ausführte, bin ich nicht stolz, nicht ansatzweise; im Gegenteil. Verdanke ich doch den alten Griechen, in deren Gedankengut doch jene zum ersten Mal auftauchten, sehr, sehr viel, eigentlich das Beste meines Lebens (zu dem auch wunderbare Stunden im Rahmen der Lektüre mancher Bücher der althebräischen Thora im Original gehören) - und das, was sie mir ermöglichten, gaben, schenkten, überlieferten, werde ich nie vergessen (sie waren es, die mich aus Desorientierung, Haltlosigkeit, Indolenz und Verlassenheit rissen) und bis zum Ende dafür dankbar sein, „ich deutungslose, kapitalistisch wohllebensdrastisch verhilfloste, von den Naturwissenschaften als nur zufällig entstandene Materie-Monade und Tier entlarvte und in jedem Augenblick sinnverlassen ins Dunkle stolpernde Nichtigkeit“
-------------------------Ende der Anm.*
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Ich gehe also davon aus, dass wie für andere, auch für mich gilt (ich fasse schon Gesagtes hier noch einmal zusammen):
(i) Quidquid fit necessario fit: Alles was geschieht, geschieht notwendig; und das gilt auch für mein Streben, Wollen, Wählen und Handeln (vgl. Arthur Schopenhauer, Über die Freiheit des menschlichen Willens, detebe 140/6, S. 99)
(ii) dass meine Existenz als Organismus an sich und zunächst nichts weiter ist als - freilich - dauerprekäres kreatürliches Selbstinteresse: Selbsterhaltungs- und Lebensmeisterungs-Zwang
(iii) dass meine Existenz keinerlei objektive(!) Bedeutung hat, weil es diese im Hinblick auf atomar aufgebaute Organismen - und ein solcher Organismus bin ich - gar nicht geben kann
(iv) dass der Mensch als determinierte Sozial-Monade kein moralisches Wesen sei/ist/sein kann; allerdings ist er drastisch darauf angewiesen, sich auf ethische (perspektivisch wertende) Illusionen zu stützen, schon um nicht seelisch zu verkümmern: nicht bedrückender Verzweiflung anheimzufallen
(v) dass alle großen Ideen, auch die religiösen, alle Ideale, Weltanschauungen und Ideologien Schimären sind: Durchweg nichts als unrealisierbare Diesseits-Prophetien, die deshalb zu verwerfen sind, weil sie, ich sagte es schon, eher in Gewalt, Krieg, Grausamkeiten und Barbarei führen, als dass sie irgendein erfahrbares Gut zeitigten. Es gilt: Der Mensch ist drastisch idealbedürftig, aber niemals idealfähig
(vi) dass ich mein Leben lang, einsam in mir selbst gefangen (so muss ich es in der Tat sagen), mich nicht „eigentlich“ mitteilen kann (schon weil die Sprache, Emotionen formulierend, diese sich in Worten/Symbolen anverwandelt: also verändert, ist doch die Sprache primär ein kollektives Kulturgut und nur als solches auch ein Instrument subjektiver Selbstausdeutung); auch nicht annähernd vollständig in Gedichten; denn: ich bin eine mir selbst ausgesetzte Existenz (eine solche sind wir alle) zuweilen nicht auflösbarer Widersprüchlichkeit, potentieller Verlassenheit, offenkundiger Bedeutungslosigkeit und - au fond - radikaler Hinfälligkeit)
(vii) dass ich - egal in welcher Hinsicht - ein dauer- und all-ausgesetzter Organismus bin, der allerdings auf eine „genetische Gnade“ zählen darf: das donum divinum (Göttergeschenk) „Geist“, weshalb ich nun sagen darf
(16) Der zentrale Satz im Hinblick auf mich als Geistwesen lautet: „Geist“ zu sein und zu haben, heißt für mich dann entsprechend über eine imperative (mir als „Gnade“ notwendig wesenseigene: mir als „zufälliges Glück“ auferlegte, mich unaufhörlich kommandierende - da formuliere ich keineswegs irgendwelche Widersprüchlichkeiten) geistige Strategie der Lebens- und Überlebens-Meisterung zu verfügen, fundiert/grundgelegt/sich faktisch ausdrückend
(a) in mich existenziell - vor mir selbst und der objektiven Welt - bewahrendem Kunstschaffen und
(b) in einem allein an radikaler Sachlichkeit, Faktentreue und Illusionslosigkeit interessierten Erkennen
(i) sei’s meiner selbst
(ii) sei’s anderer Menschen, sei’s überhaupt: -
(iii) der condition humaine générale (dem, was es überhaupt heißt, ist, scheint, sein soll, als Mensch zu existieren)
(17) Weiter: „Geist“ das meint Haltungen, indirekt verbunden mit unhintergehbaren (a f f e k t i v -
e m o t i o n a l, also irrational steuernden) Ansprüchen an sich selbst - und zwar: -„pancerebral“ (sozusagen rational-limbisch-amygdal: das ganze Gehirn/ Neuronengeflecht
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umfassend) fundiert:
Geist ist eben z u g l e i c h Hochabstraktionsvermögen (scharfe Rationalität), schillernd-widersprüchliche Emotionserfahrungsexzellenz, hypertroph (bis an neurotische Grenzen) entwickelte Feinfühligkeit und außergewöhnliche Fähigkeit, das Allgemeinmenschliche (von Kindheit an übrigens) zu erfühlen und auszudeuten: archaisch-animalische Affekt-Erschütterung … bis hin zur Selbstzerstörungs-Sehnsucht, Gewalt-Faszination und Barbarei-Fundamentalismus.
(18) Geist ist für mich vor allem - noch mal -:
(a) Anti-Pleonexie
(gemeint ist: nicht(!) eine moralische begründete
A b l e h n u n g der Pleonexie als Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht (diese kann mit moralischen Mitteln nicht in die Schranken gewiesen werden), sondern die
G l e i c h g ü l t i g k e i t(!) gegenüber dieser anthropologischen „Wesensmacht", die den eigentlichen Kern der genetischen Gnade „Geist“ ausmacht; freilich unmittelbar einen
(i) Lebensvollzug „am Rand“ implizierend; heißt:
(ii) das weitgehende Meiden gesellschaftlicher Kontakte* (zumal ich daran seit Kindheit sozusagen zwangsgewöhnt bin; Stichwort: Adipositas; ich schließe nicht aus, dass die mit dieser verknüpften, für mich gleichsam alltagsfatalen Lebenserfahrungen, mich maßgeblich, meint: noch einmal drastischer, als es ohne sie vielleicht geschehen wäre, in die Richtung meiner genetisch grundgelegten (s. o.) „Geistgefangenschaft“ trieben)
Anm.*: Gesellschaftliche Kontakte, um auch das deutlich zu sagen, heben nicht
(1) die radikale Einsamkeit/Verlassenheit,
(2) nicht die Nichtmitteilbarkeit seiner als Person, vor allem nicht
(3) die Fremdheit auf, die in jeder menschlichen Begegnung unweigerlich zum Tragen kommt (und also fordert, gesellschaftlichen Schein zu akzeptieren - ohne dass sich darin eine Gegnerschaft zur Gesellschaft oder gegenüber irgendeinem Du oder Wir ausdrücken würde; nein: diese, die Gesellschaft wie irgendein durchschnittliches Du oder Wir, sind exakt so, wie sie unter der sie fundamental prägenden Voraussetzung eines hedonistisch-nihilistischen Wohllebensfetischismus sein
m ü s s e n
Dann
(4) Um es klar zu sagen: Eine geistige Existenz - sonst wäre sie keine - schließt einen auf konsumtiv-hedonistisches Dauer-Erleben abgestellten Daseinsvollzug: eine Existenz als „Selbst-, Du- und Wir-, als Reiz-, Effekt-, Rausch-, Emotions-, Show- und Spaß-Zufuhr-Erleben“ von vornherein aus und erzwingt notwendig eine selbstbewahrungsträchtige Einsichts-Existenz
------------------------------Ende der Anm.*
(b) Anti-Narzissmus (soll heißen: ichschwach seelenverkrüppelte Selbstentmächtigungsdiktate)
Angesichts einer geistigen Begabung, die mit einer hypersensiblen Wachheit gegenüber sich selbst einhergeht, ist es ausgeschlossen, sich als reflexionsarmen, einsichts- und erkenntnisleeren, zwanghaft Fakten leugnenden, pathologisch ich-schwachen, großsprecherischen, aber existenziell inkompetenten Selbstdarsteller als Guru zu vermarkten, ein Guru, der sich ständig als dieser inszeniert, der sich, sich inszenierend, zugleich als Allround-Niete verrät, sich als posenlüsterner Existenzschauspieler gerierend/gebend, denn könnte man das, wäre es ipso facto der Verlust alles dessen, was einen als Geistmenschen auszeichnen muss (sonst ist man keiner; noch einmal: Des Geistigen teilhaftig zu sein, zwingt zu gewissen Haltungen, zwingt, etwas zu sein, etwas, was man zu sein nicht wollen kann,
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sondern sein muss, ohne also wollen zu können, es zu sein; zwingt auf jeden Fall und notwendig zum Anti-Narzissmus, dieser spätkapitalistischen Seelen-Brache als orientierungslos-seelenkalter Selbstvergossungslüsternheit
(c) Sachlichkeit (Faktentreue, Vermeidung von Wirklichkeitsverlusten, Widerstand gegen die Versuchungen ethisch oder ideologisch fundierter Erkenntniskorruption) und
(d) eine nie nachlassende Bildungswilligkeit
(19) Andeutende Erklärungen, warum ich das Geistige als g e n e t i s c h e(!) Gnade ansehe, als genetisches Apriori - als ein vor aller Erfahrung liegendes, imperativ sich vollziehendes, neuronal sich „fädelndes“ Geschehen, welches (zumindest in meinem Fall) genetisch grundgelegt sein muss (anders kann ich mir es nicht erklären), denn
(a) ich komme aus proletarisch-kleinbäuerlich-kleinbürgerlichen Verhältnissen völliger „Geistes- und Bildungs-Ferne“, ja: „Geistfeindlichkeit“, zumal solchen Verhältnissen, die belastet waren
(b) mit gewissen individuellen wie familiären Zerrüttungen, l (sich ausdrückend in dauerpräsenten Angstzuständen, Sozialunfähigkeiten als Folgen des 2. Weltkrieges: Selbstzerstörungslust*, massiven Schwierigkeiten, sich in die neuen bundesrepublikanischen gesellschaftlichen Verhältnisse einzufinden usw. usw.
Anm.* Meinem Vater gelang es nicht, die Erlebnisse und Erfahrungen von 10 Kriegsjahren (ab 1939 Polenfeldzug, am Frankreichfeldzug war er wohl nicht beteiligt(?), dann ab 22.6.41 am Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion bis 1944, ab dann 5 Jahre Haft - bis Herbst 1949 - in einem stalinistischen Arbeits- und Straflager), die er für Nazi-Deutschland hingeben musste, zu bewältigen; er verfügte sich bald - innerlich schon in den 1950er Jahren, äußerlich ab den frühen 1960er Jahren einer zunehmenden psychischen Lethargie und Indolenz, tatsächlich mehr und mehr selbstaufgabewillig, so sah ich es (wohl richtig) - sich objektivierend in einer Art Selbstmord auf Raten … immer deutlicher verfallend und (sich mehr und mehr – auch innerhalb der Familie - zurückziehend vereinsamend)
-----------------------------Ende der Anm.*
(c) Nicht zu vergessen die nicht gerade geistig förderlichen Prägungen durch Gewalt, Niedertracht, Häme, Hilflosigkeit, Scham, Ekel, Hass usw., die ich aufgrund einer bis zum 18. Lebensjahr mich sichtbar prägenden, physischen Abnormität (einer schweren Adipositas, deren Ursachen nie aufzuklären waren) alltäglich erfuhr und ertragen musste; dass die damit verbundenen Lebenserfahrungen mein Menschenbild nachhaltig geprägt haben - und zwar sehr negativ - versteht sich sozusagen von selbst
(d) zumal ich in einem geschlossenen dörflichen Kosmos recht früh - viel zu früh - von menschlichen Schicksalen, charakterlichen Schwächen, von menschlicher Unzulänglichkeit, Verwahrlosung, von Kontrollverlusten erfuhr/drastisch realistisch wusste - wie etwa Selbstmorden (durch Erhängen, durch Erschießen, durch das Trinken von E 605 usw. … es ging da um Menschen, die mir allesamt gut bekannt, manchmal auch ein wenig vertraut waren), Inzest, seelischer Not, A- und vor allem Doppel-Moral usw. usw.
(e) selbst auch heimgesucht von psychischer Agonie, tiefer Einsamkeit, Unzugehörigkeit/Ausgeschlossensein, die mich mehr und mehr auch, innerliche Antriebe verlierend, die Schule schwänzen ließen, mich zum Zocken verführten, zu einer Art Gleichgültigkeit mir selbst gegenüber, aber auch zu dem wachen Bewusstsein, nirgends wirklich dazuzugehören (immerhin fand ich in der Kneipe des örtlichen Handballvereins eine Art zweites Zuhause, aber nur ein räumliches, kein menschliches) …
Sodass ich mir keine andere als meine allein/ausnahmslos genetisch zufällig erworbene
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geistige Grundlage vorstellen kann, die mich formte, ausrichtete und letztlich aufrechterhielt**
Anm.** Tatsächlich muss, trotz aller Belastungen und Verwerfungen, „etwas Geistiges da gewesen sein“ (was m. E. die genetische Fundierung des Geistigen bezeugt), denn im Alter von 12 Jahren (1963) hörte ich - ein leicht angesäuselter Schulrektor las sie aus einer Laune heraus in einem Weinfestkleinzelt (einem „Schubkarren“) des Bad Dürkheimer Wurstmarktes der in diesem Zelt anwesenden Klasse vor, der auch ich angehörte - die 3. Strophe von Hölderlins Gedicht „Hyperions Schicksalslied“, eine Strophe, die mich damals bis ins Mark traf - so aufrüttelnd wie faszinierend -, weil sie eine existenzielle Grundstimmung in mir getroffen haben mochte, die ich vorher, so scheint’s, nicht zugelassen hatte (das Gedicht holte, nein: raffte sie an die Oberfläche): Getriebenheit, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Unsicherheit und völliges Ausgeliefertsein; hier ist sie, die dritte Strope - ich habe sie seitdem nie mehr vergessen; und werde sie auch nicht mehr vergessen -:
Die 3. Strophe von Hyperions Schicksalslied/von Friedrich Hölderlin:
Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.
Zu meinem Schicksal auch noch einmal die Stelle aus Gerhard Roths Buch: Das Gehirn und seine Freiheit, Göttingen 2006/2009, S. 23, im Rahmen des Beitrags „Willensfreiheit und Schuldfähigkeit“, S. 9 - S. 27: “Gehirne sind aber Organe, die ein Verhalten erzeugen sollen, welches das Leben und Überleben eines Organismus, beim Menschen insbesondere das soziale und psychische Leben und Überleben, garantiert. Gehirne müssen nicht nur Sachverhalte erfassen, sondern vor allem die Bedeutung von Sachverhalten. Ihre Netzwerke sind deshalb bedeutungserzeugende und bedeutungsverarbeitende Sachverhalte.“ (Fettdruck von mir, Sa.)
Und ich gehe davon aus, dass bei mir dieses Verhalten ein genetisch mir „zu gewürfeltes“, schicksalhaft kommandierend „geistig unterfüttertes“ gewesen sein muss, denn tatsächlich hätte man mir mühelos - dazu hätte es keiner allzu großen Phantasie bedurft - einen unterschichtlich-asozial belasteten Lebenslauf vorhersagen können - aber nicht einen geistigen, für den es nicht das mindeste objektive Anzeichen gab - im Gegenteil (s. o.), aber genau ein solcher packte mich immer entschiedener, drängte sich mir förmlich auf, nahm mich in Beschlag, wurde mir zur Existenz-Grundlage … Mit 13/14(?) Jahren, jedenfalls noch am Ende der Kindheit, fing ich an, Nietzsche zu lesen; und obwohl ich nichts verstand (oder nur sehr wenig) - ich war fasziniert; und die damals mich überwältigende Faszination für das Geistige ließ mich nie mehr los … bis heute
Noch einmal: Ich lege, was meine drastisch einseitige und mich immer getrieben habende geistige Prägung anbelangt, deshalb so großes Gewicht auf deren genetische Grundlage, weil ich mir, prüfe ich radikal ehrlich, kühl-unsentimental und illusionslos meine mich doch sehr belastet habende Herkunft und meine physische Abnormität und stelle diese beiden, wie ich es muss, faktenkonform in Rechnung als zwei Existenz-Lasten, die mich an den sozialen Rand drückten, mich herabwürdigten (psychisch wie physisch), permanent Spott, Häme,
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manchmal auch Gewalt aussetzten, wie ich es mir immer wieder achselzuckend sagen muss: beide, Herkunft und Krankheit, geben mir keinen, aber auch gar keinen Hinweis darauf, dass sie mich hätten in die Welt des Geistigen „abdrängen“, treiben oder locken können; nicht ansatzweise.
(20) Weitere Bemerkungen
(a) Geist ist Macht; und zwar die einzige Macht, die sich nicht selbst zerstört (wie so oft die politische), sondern, um sich zu beweisen und zu bewahren, auf die Vollendung(!), n i c h t, wie die politische Macht, die Überwältigung oder gar Vernichtung(!) ihres Objekts (z. B. die Macht eines fremden Machthabers) zielen wird: also etwa auf das Schaffen eines Gedichtes, das er sich als vollendet gelungenes ersehnt:
Geist ist Sehnsucht nach sich selbst und seinen Hervorbringungen (Objektivationen): Kunstgebilde und Einsichtsmächtigkeit; ich wiederhole: Geist ist Macht, Struktur, Sinngefüge, Sachlichkeit, nicht mammonerregte Gestaltung, nicht wohllebensdienliche Bedeutung, ist sprachliches Werkgefüge, nicht-konsumtiv fundierte Faszination und - dies alles hervorbringend - Sehnsucht nach sich selbst … Und so, für ein paar Augenblicke oder auch Stunden die Chance, die Nichtigkeit dieser materiellen (meint: konsumfundierten Vergänglichkeitsdiktatur zu transzendieren (zu überschreiten).
Geistige Macht ist also Schöpfermacht, politische dagegen Zerstörungsmacht.
(b) Geist ist eine sehr seltene, jedenfalls materiell, atomar: physikalisch-chemisch fundierte, zufällig (biologisch) genetisch „erwürfelte“, spezifisch-komplexe Gehirn-Vernetzung/-disposition/-tätigkeit, wobei Geist auch als Affektgewalt hochschießt, im Schaffensrausch einen sich selbst vergessen lässt, einen einer Amydala-Wirrnis überlässt (krassen Affekten wie Angst, Hass, Wut usw.), eine mystisch-dionysische Erotik stimuliert, es also der Person, der er zukommt, erlaubt, sprachmächtig-weltdistanzradikal-selbstabständig alles, was ist - es sei die eigene Existenz, es sei das Du, das Wir, es sei die Gesellschaft, es sei die zu erfahrende historische Dimension, es sei die ganze Welt überhaupt, es sei, was einem begegnet, es sei, was einen heimsucht/bedrückt/seelisch zuweilen verkümmern lässt … es sei, was auch immer an „Sein“ – mittels Sachlich- und Redlichkeit in begreifbares Sosein zu heben, ohne daran zu zerbrechen; denn die sich selbst organisierende Materie kennt weder Auszeichnung noch Bedeutung, weder Ziel noch Sinn, sondern nur diesen kosmischen Pan-Nihilismus, der bewusstlos-stumpfsinnig ein von Notwendigkeit und Zufall beherrschtes Nichtigkeitsspiel vollführt (was der analytisch-experimentelle Intellekt rational e r k e n n t, aber nur der Geist b e g r e i f t: Nur er kann, da das gesamte Gehirn durchflutend, Sinnlosigkeit greifen: fühlen, erleiden, vorfinden, erfahren und zuletzt auch hinnehmen)
(c) Geist, das ist Nihilismus-Überwindung: Geist ist die Macht (die einzige), den allfälligen
(*) kosmischen, chemischen und biologischen Prozess-Nihilismus
(*) den gesellschaftlichen System-Immanenz-Nihilismus der späten Konsumdiktaturen und den
(*) unaufhebbaren existenziellen Nihilismus als negative Grundlage psychoethischer individueller Innenwelten auszumachen, anzuerkennen, auszusprechen und in den Momenten/ Stunden künstlerischen Schaffens ekstatisch objekt-, faszinations- und aufgaben-gebunden zu überwinden: In seinem Kunstschaffen und seiner nur ihm zukommenden, auf absoluter Sachlichkeit (nicht Religion, Weltanschauung, Ideologie, Ethik-Illusionen, Vernunftphantasmen, Wünschbarkeiten, kulturellen Perspektiven - deren Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit ich gar nicht bestreiten will) beruhenden Einsicht selbstmächtig sich selbst hingegeben zu
n e u t r a l i s i e r e n
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(d) Also, noch einmal allgemeiner: Selbstbewahrung heute (als Individuum, faktisch hilflos ausgeliefert einer globalisierten, kapitalistisch-naturwissenschaftlich-techisch-machtstrategisch-gewissenlos determinierten, hochkomplexen Welt) meint/ist Selbstbewahrung seiner
(i) vor sich selbst (der eigenen Leiblichkeit als Ziel marktgesteuerter, einen als biologische Umsatzgröße vollständig dem Markt ausliefernd sollender hedonistischer Selbstverdinglichung)
(ii) vor den anderen Artgenossen (Kunden, wie man notwendig selbst einer ist, also anderen „Pleonexie-Knechten“ als nach konsumtivem Glück strebenden Bedürfnis- und Trieb-Monaden; also vor den die bestehende Gesellschaft tragenden Individuen, die in der Regel ausschließlich nach Wohlstandssteigerung als Glücks-Optimierung streben, dekadenten Individuen einer sich langsam auflösenden Gesellschaft; anders gesagt: den subtil marktgesteuerten Lebensvollzügen als Arten und Weisen der Verfallenheit an Marktknechtschafts-, also Wohllebens-Imperative, die einen peu à peu psychoethisch seiner selbst benehmen - ohne dass man sich dessen auch tatsächlich bewusst würde
(iii) vor der Neigung, sich fallen zu lassen in die Pseudo-Inhalte einen psychisch stützender Scheinwelten (Komplexität reduzierende - so Niklas Luhmann - religiöse, politische, weltanschauliche, ideologische und ethische Entlastungs-Fiktionen als Halt-, Zweck- und Sinngebungs-Phantasmen)
(iv) vor der nicht zu leugnenden Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz, von der man sich, hat man sie einmal begriffen (soll heißen: geistig durchschaut und intuitiv-irrational erfasst als Selbstdeklassierungsmächtigkeit mittels Weltverfallenheit), freilich nur zeitweise loszumachen fähig und disponiert ist: Nämlich durch die einen innerlich kommandierende, gegen einen förmlich anwallende und einen dann steuernde geistige Tätigkeit als Kunstschaffen (hier: Gedichte machen), um in der sprachlichen Auseinandersetzung jene Sinnlosigkeit in geistige Gebilde zu heben, wohl wissend, dass sie dadurch mitnichten zu überwinden, sondern allenfalls, ihrer Eigenmacht benommen, zu distanzieren ist: Dadurch, dass das lyrische Schaffen sie als (in der heutigen Welt) existenzwesentlich begreift und in Kunst hebt, d. h. geistig übermächtigt: entlarvt, ihr in jenem Schaffen als Organismus und gesellschaftlicher Spielball entronnen. Tatsächlich ist geistige Tätigkeit ein irrationaler Imperativ, sich als Kreatur zu übermächtigen, sich gegen sich als baryonische Materie und neuronal gesteuerten „Seins-Knecht“ zu erheben, was aber scheitern muss … Indes ein Gedicht immerhin ausdeutet, warum es misslingen muss.
Ein Gedicht, das ist ein hilfloser Protest gegen die radikale Nichtigkeit der heutigen menschlichen Existenz; dass aber solch ein Protest überhaupt möglich ist, das hebt einen über sich selbst als diesem Zeit, Verfall, Nihilismus und Tod ausgelieferten Individuum hinaus …
(v) vor einer idealistischen Moral (der Mensch ist k e i n moralisches Wesen) und einer utopistischen Ideologie (die, weil niemals zu realisieren, in Gewaltsucht, Brutalität, Barbarei, Gräuel und Vernichtungslust führen muss. Beispiel: Kommunismus, s. Gedicht (3338, Seite 38): Ideal und Barbarei sind Geschwister
(vi) vor Wirklichkeitsverlusten, die im politischen Bereich inzwischen Ausmaße angenommen, die kaum mehr nachzuvollziehen sind. Da scheint eine Art pathologisch-wüste Selbstschädigungsethik auf der Grundlage deutschfeiger masochistischer Faktenausblendung gegriffen zu haben, deren Krankheitsbild nur sehr schwer zu erfassen ist
(21) Dann: Geist ein Selbstanspruch/Hier am Beispiel des Stolzes aufgezeigt.
Dazu die folgenden Ausführungen des von mir hochverehrten Alexis de Tocqueville, 1805 - 1859, De la Démocratie en Amérique, Garnier-Flammarion, Paris 1981, Band 2, S. 304 f.), die ich immer bewundert habe:
„Les moralistes se plaignent sans cesse que le vice favori de notre époque est l’orgueil.
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Cela est vrai dans un certain sense: il n’y a personne, en effet, qui ne croire valoir mieux que son voisin et qui consent à obéir à son supérieur; mais cela est très faux dans un autre; car ce même homme, qui ne peut supporter ni la subordination ni l’égalité, se méprise néanmoins lui-même à ce point qu’il ne se croit fait pour goûter des plaisirs vulgaires. Il s’arrête volontiers dans de médiocres désirs sans oser aborder les hautes entreprises: et les imagine à peu.
Loin donc de croire, qu’il faille recommander à nos contemporains l’humilité, je voudrais qu’on s’efforçât de leur donner une idée plus vaste d’eux-mêmes et de leur espèce; l’humilité ne leur est point saine; ce qui leur manqué le plus, à mon avis, c’est de l’orgueil. Je céderais volontier plusieurs de nos petites vertus pour ce vice.”
Ü (Sa.): “Die Moralisten beklagen sich beständig darüber, dass das am weitesten verbreitete und von den Menschen unserer Zeit am meisten goutierte Laster der Hochmut/Stolz/die Überheblichkeit* sei. Das ist im gewissen Sinn richtig. Gibt es doch in der Tat niemanden, der nicht glaubte, besser zu sein als sein Nachbar; keinen auch, der sich damit abfände/damit einverstanden wäre, dem ihm Übergeordneten/Vorgesetzten zu gehorchen. Indes ist es andererseits sehr falsch; denn derselbe Mensch, der weder Unterordnung noch Gleichheit ertragen kann, verachtet mitnichten sich selbst in der Hinsicht/in dem Sinne, dass er glaubt, dafür gemacht zu sein, nur vulgäre Vergnügungen zu genießen: Er begnügt sich freiwillig mit mittelmäßigen Wünschen, ohne es zu wagen, bedeutende (nämlich: intellektuelle, sittliche und geistige) Vorhaben/Aufgaben/ Daseinsanforderungen/Existenzvollzüge usw. anzugehen; er stellt sie sich nicht einmal nur vor.
Weit davon entfernt also, zu glauben, dass man unseren Zeitgenossen Demut anempfehlen sollte, möchte ich, dass man sich darum bemühe, ihnen eine höhere Vorstellung von sich selbst und ihrer Art zu vermitteln; die Demut ist ihnen kaum zuträglich. Was ihnen, nach meiner Meinung, am meisten fehlt, das ist Stolz. Ich jedenfalls würde für dieses Laster „Stolz“ gerne/ohne zu zögern dafür (für die Tugend des Stolzes) auf mehrere unserer kleinen Tugenden verzichten.“ (Alle Hervorhebungen von mir, Sa.)
Anm.*: Freilich: Stolz und Hochmut/Überheblichkeit (so kann man den französischen Begriff „orgueil“ je nachdem übersetzen) sind mitnichten dasselbe: Stolz ist ein Affekt, der einen zu Selbsttranszendenz (Selbstüberschreitung, -überwindung) anhält, um sich sei es moralisch zu bessern, sei es sich in Bezug auf sich selbst ehrlicher zu machen (sich selbst angemessener kennenzulernen, um sich nicht dabei erwischen zu müssen, dass man positive Eigenschaften bei sich gegeben glaubt, die man faktisch gar nicht hat/an den Tag legt, sei es „das Belebende im Gemüt“ (Kant; der meint mit diesem Belebenden „Geist“) überhaupt zu kultivieren, zu differenzieren, zu verfeinern, voranzutreiben).
Stolz ist vor allem ein Affekt, der einen von etwas abhält, was einen in den eigenen Augen erniedrigen, sittlich kleiner, gar verachtungswürdig, kindisch, pleonexiehörig und narzisstisch machen würde.
Stolz, das ist ein geistig-irrationaler Antrieb/Affekt, mehr aus sich zu machen, als man bisher war und ist, weil man weiß, dass man mehr sein k a n n (die Mittel dazu in sich vorfindend, nämlich die geistigen, von denen man zumindest ahnt, dass man sie werde zu gebrauchen wissen, um sich menschlich, kulturell und ethisch-einsichtsvoll: bedacht, nicht willens: affekt-fundiert, immer weiter über sich hinauszuheben). Stolz, das ist ein geistiger Imperativ, nämlich der, in jeder wünschbaren Hinsicht über sich hinauszuwachsen.
Hochmut hingegen oder Überheblichkeit sind Eigenschaften, die sich der geistig mittellose, profan-banale Existenzschauspieler anmaßt: der Prestige-Gaukler, der andere einnehmen, förmlich übertölpeln will, auf dass sie ihm Eigenschaften, Fähigkeiten usw. zuschrieben/ zutrauten, die er faktisch gar nicht hat (und nie haben wird).
Stolz als Kultur-Affekt: Das ist ein Stolz im Sinne eines Edel-Affektes, der wirkt als
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Verfeinerungsimperativ, indem er einen davor bewahrt, ganz tief zu sinken: Diesen Stolz nicht empfindend, sinken und sinken würde ohne Scham, nicht wissend darum, dass man sich selbst verraten hat, also: sinkend ganz tief.
---------------------------Ende der Anm.*
(22) Ich zitiere als letzte Stimme die von Max Scheler: Philosoph, 1874 - 1928, der die entscheidenden Kategorien nennt, die mit dem das Phänomen Geist unmittelbar notwendig verbunden sind (Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, 2010, S. 27 ff; insbesondere S. 40): „Der Mensch ist das Lebewesen, das kraft seines Geistes sich zu seinem Leben, das heftig es durchschauert, prinzipiell asketisch … verhalten kann. Mit dem Tiere verglichen … ist der Mensch der „Neinsagenkönner“, der „Asket des Lebens“, der ewige Protestant gegen alle bloße Wirklichkeit.“
Und Scheler weiter:
S. 28: „ … dann ist die Grundbestimmung eines geistigen Wesens seine existenzielle Entbundenheit vom Organischen, vom „Leben“ und allem, was zum Leben gehört - also auch seiner eigenen triebhaften „Intelligenz“. Ein „geistiges“ Wesen ist also nicht mehr trieb- und umweltgebunden, sondern „umweltfrei“ und, wie wir es nennen wollen, „weltoffen“: Ein solches Wesen hat „Welt“. Ein solches Wesen vermag ferner die auch ihm ursprünglich gegebenen „Widerstands- und Reaktionszentren seiner Umwelt, die das Tier allein hat und in die es ekstatisch aufgeht, zu „Gegenständen“ zu erheben und das Sosein dieser Gegenstände prinzipiell selbst zu erfassen, ohne die Beschränkung, die diese Gegenstandswelt oder ihre Gegebenheit durch das vitale Triebsystem und die ihm vorgelagerten Sinnesfunktionen und Sinnesorgane erfährt.
Geist ist daher Sachlichkeit, Bestimmbarkeit durch das Sosein von Sachen selbst. Geist „hat“ ein zu vollendeter Sachlichkeit fähiges Lebewesen. Schärfer gesagt: Nur eine solches Wesen ist „Träger“ des Geistes, dessen prinzipieller Verkehr mit der Wirklichkeit außerhalb seiner wie mit sich selber sich im Verhältnis zum Tier mit Einschluss seiner Intelligenz dynamisch geradezu umgekehrt hat.
S. 29: „Weltoffenheit“ meint „die prinzipielle Abschüttelung des Umweltbannes … „Der Mensch ist das X, das sich in unbegrenztem Maße „weltoffen“ verhalten kann. Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit kraft des Geistes.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Indes bleibe ich bei meiner grundlegend evolutionsbiologisch-genetisch-neuronal-deterministisch orientierten und fundierten Interpretation des Phänomens „Geist“, die ich hier noch einmal wiederhole:
„Geist“ zu sein und zu haben, heißt für mich, über eine zufällig genetisch erworbene, also mich a priori (hier: von vornherein) als Person vorwegnehmende: mir auferlegte, mich dann in meinen Existenzvollzügen als dieses Individuum ausmachende: imperative Strategie der Lebens- und Überlebens-Meisterung zu verfügen, sich real in Handlungen, Wollungen/Bestrebungen/Eigenheiten/Wertungen und Urteilen ausdrückend, die allesamt als vehemente: letztlich genetisch fundierte: „geistimmanente“ Formen der Ablehnung des - die Auswirkungen auf die Menschen allein hier in Rechnung stellend - psychoethisch und kulturell destruktiven, in Pleonexie und Narzissmus sich lückenlos objektivierenden, also existenziell notwendig zerstörerischen Wohllebens-Nihilismus.
Soviel zum Thema „Geist“.
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