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Diese Seite enthält 60 Gedichte
Die folgenden Gedichte drehen sich im engeren und weiteren Sinn um unsere heutige Existenz, basierend auf dem naturwissenschaftlichen Wissen um uns als
(1) Materie-Gebilde (wir sind nicht das Resultat einer göttlichen Schöpfung)
(2) Wohllebensgefangene in einer objektiv(!) sinnlosen/nihilistischen Welt, in der wir uns selbst zu Waren machen (uns verdinglichen) müssen, Halte, Zwecke und Sinn glauben in Wohlstand finden zu können (was schlechterdings unmöglich ist, aber permanent - weil alternativlos - verdrängt werden muss
(3) Unserer eigenen Rationalität (der analytisch-experimentellen und technisch-verfahrensrationalen) ausgesetzte Ich-Monaden, die wir als diese die von uns selbst kapitalistisch-naturwissenschaftlich-technisch geschaffene Welt immer weniger zu meistern psychoethisch in der Lage sind/sein werden
Determinierter Zufalls-Auswurf (37/2170)1
Ganz allein erfährt man es:
Dieses rätselhafte Sein.
Deutet’s stets sich selbst gemäß.
Grade dann, wenn’s ist nur Schein.
Muss das; muss das auch im Rausch,
wirkend, dass man sich verfehlt,
sich verliert im Du-Austausch:
dem nur Traum und Sehnsucht zählt.
Sonst wird man nur aufgesogen
als Bedarfs- und Leib-Gefüge,
Bio-Trieben eingebogen:
hoffend, dass man das ertrüge,
bis zum Ende könne halten,
weil man insgeheim doch weiß:
Ausdruck ist’s von Zwangsgewalten:
Zufallsallvergeblichkeitsgeheiß.
Atomarer Husch (37/2171)2/Ergänzung zu
Determinierter Zufalls-Auswurf (37/2170)
Geahnt hab ich’s von früh an schon
- alles wies doch darauf hin -,
dass es stets nur kargen Lohn:
Gram nur böte ohne Sinn.
Dass man’s freilich tief begehre,
ihm sich nicht entziehen könne,
heimlich knechtisch es verehre,
wenn’s auch nur Fiktionen gönne.
Später hab ich dann erfahren,
dass es ausrann Großprozessen:
Stoffzufällen, Teilchenscharen,
einst auch mich mir zuzumessen.
Immerhin dann geistgeborgen
- eine seltne Exzellenz -
zu entwinden mich den Sorgen
dieser leeren Existenz.
Existenzmüde (37/2172)3/Ergänzung zu 'Determinierter Zufalls-Auswurf' und 'Atomarer Husch': Gedichte 1 und 2 oben
Ins Dunkel lauschen,
seine Stille,
die Last da draußen
zu vergessen.
Sich mit dem Nichts
so auszutauschen,
geduckt von all den
Weltexzessen,
die immer weiter
sich verschärfen,
abstrakter,
komplizierter werden …
um sich in Sehnsucht
dann zu werfen,
im All-Trost Tod
sich bald zu erden.
Fragen an mich selbst (37/2173)4/Sonett
Warum nicht einfach bis zum Ende saufen?
Denn das, was kommt, kann man getrost vergessen:
Das Kapital wird sich erst selbst auffressen,
um dann an uns sein Chaos zu verkaufen.
Und was wird sonst noch höchstwahrscheinlich laufen?
Man wird sich balgen immer mehr ums Fressen,
wohl auch dann Kriege führen, sich erpressen,
bis nur noch übrig sind zerlumpte Haufen.
Und so gesehen, ist es doch ganz schnuppe,
ob unser Wille frei ist oder nicht.
Was wäre mehr man hier als eine Puppe?
Auch wenn man glaubt, man sei ein Schwergewicht.
Fakt ist, dass man gehört zu einer Truppe,
längst geistig tot; so ohne Seins-Aussicht.
Eine in ihrem Sosein Fehlgeleitete (37/2174)5
Schon die Art, wie sie geht,
ist Star-Abklatsch.
Sie imitiert eine dieser Kult-Ikonen,
die sich manchmal ausziehen,
sexprall-sentimentale Filme machen
und permanent Selbst-Reklame betreiben,
ihre sterilen Reize zur Schau zu stellen:
US-Perfektionsleiblichkeit.
Stumpfsinnigen Megären-Gelichters
inszenierte Körperlichkeit:
kalt, erniedrigungsprovokant,
unerotisch-seelenlos,
machtsüchtig-erniedrigend.
Optimierte Dinglichkeit.
Schade. Denn sie könnte es,
könnte unbewusst ihre individualweiblich-
widersprüchliche Momentleiblichkeit
spielen lassen: scheinbar fehlerhaft,
hemmungsprovoziert,
kreatürlich erotisch,
so unbegreiflich kommandierend,
als schiere Entfesselung
augenblicksgebundener,
ekstatischer Phantasmen
in Männer-Gehirnen …
Sie hätte die Mittel,
die ihr selbst unbekannten,
diese für jene Kirke-Opfer
so unwiderstehlichen
Subtil-Diktate zu provozieren:
Rauschbasale Messen,
bannend, seiner selbst benehmend,
unwiderstehlich, asozial,
hautgütig, bis in quasimetaphysische,
sakrale Existenz-Entfesselung
Am 7. Mai 2014 (37/2175)6
Jener kindlichen Sehnsüchte Vergeblichkeit,
jener du- und wir-losen Glücke Indolenz,
schlagen noch einmal, jetzt,
nach mehr als einem halben Jahrhundert,
aus diesem trostlos verregneten Tag
seinsgefügig ungebrochen
in meine zeitlosen Seelennischen hinein:
Obwohl triefend vor
unaufbrechbarer Einsamkeit,
kommandierenden Verrandungsverheißungen
und verwahrlosungssüchtiger Fühllosigkeit …
Über alles hoben sie mich hinweg,
endgültig.
Auch über das schon,
was noch kommen würde:
Versagen, Verwahrlosung, Hass.
Selig lungere ich mich
noch einmal, jetzt,
um jene grauen Raumplagen herum:
feindselige Körpermonaden und
tückische Asphaltflächenflüchtigkeiten.
Spätzeit-Chaos (37/2176)7/Sonett
Es ist ja jetzt schon nicht mehr zu ertragen:
Da herrscht der Stumpfsinn, tobt die Hysterie
der selbst sich hier verwirklichenden Knechte,
die unsensibel sich als Freie feiern.
Indes nur Phrasen durch die Leere tragen,
die alles unterfüttert, gärt als Anomie
der demokratisch inszenierten Rechte,
längst Beute doch Leerformel-Phrasen-Geiern.
Nun ja: Man will noch mal die Sau raus lassen,
bevor die Halte und die Zwecke kippen
(das kann ich menschlich ganz gut nachvollziehen).
Bevor dann folgen jene spätzeitblassen
Gewissenlosigkeiten, ziehend Strippen,
die jener Leere Gräber lassen blühen.
Zeitgenössische Daseinsschurkerei (37/2177)8
Man ist nun einmal
mit sich selbst geschlagen.
An diesem Faktum
führt kein Weg vorbei.
Kann so sich selber
nur ganz selten tragen
durch diese Daseinsschurkerei:
Von Niedertracht,
Verrat
und Tugend-Arroganz,
von Mammon-Fetischismus
und Betrug:
Verbraucher doch
von Schund und Firlefanz
in einer Wertkloake
ohne Sinn-Bezug.
Nihilismus-Siechtum (37/2178)9
Was habe ich dies Dasein satt;
ist’s doch zur Qual geworden:
so freudlos, aggressiv, stupide;
Ja schlimmer: primitiv und platt -
Narzissten-Attitüde.
Indes wenn ich’s genau besehe,
muss es exakt so sein:
Das Schundloch einer Mammon-Krähe,
Pleonexie-Reich, Seelen-Stein …
Ein Nihilismus-Siechtum allerorten,
betreffend alle Wohlstands-Horden.
Macht: Wirklichkeitsverluste, Reflexionsarmut
und neuronale Knechtschaft (37/2179)10/Sonett
Dass wir human, vernünftig, würdig seien,
das habe ich noch nie real erfahren.
Weshalb ich will mir solch Geschwätz ersparen.
Es Machtstrategen andrerseits verzeihen,
wenn sie ihr Spiel mit derlei Floskeln weihen,
um sich verbal dagegen zu verwahren,
dass sie nichts weiter sind als Selbstsucht-Scharen,
die auf dergleichen Tugendphrasen speien.
Verzeihen? Ja, denn Macht bedarf der Lüge,
des Scheins: Effekt-Trance, um sich durchzusetzen;
bedarf der Feigheit, der Neuronen-Kriege,
der schamlos inszenierten Deutungshetzen,
auf dass sie Es-kultträumerisch dann siege:
Sich an sich selbst als Scheitern zu ergötzen.
Dorfschatten (37/2180)11
Wo sind nur alle diese Dörfler hin?
Originale, Säufer, Straßenschatten.
In eine bessre Welt? Gar die da oben?
Wo sie am Ende fanden Sinn?
Ach was! Sie lösten sich in Gräbern auf,
um letztlich in Atome zu zerfallen.
Entronnen so dann endlich allem Groben,
das sie ein Leben lang als Schicksal hatten.
Mir fehlen sie; das geb ich unumwunden zu.
Obwohl sie oftmals unerträglich waren.
Doch manchmal zart auch, du auf du
verschämt-bescheidne: feine Sehnsuchtsscharen.
Basal vermittelt (37/2181)12
In Innenwelt weichen,
wo Psychengefüge
entdeuteter Zeichen
entlarven die Lüge,
dass Einheit man sei:
Ich, Soma*, Person -
Behelfseinerlei,
Bewusstseins-Mohn?
Ach nein, man erlebt
sich doch nur allein,
erleidet, ergräbt
dies sinnlose Sein,
muss folgen dem Rausch
der Banalität,
entzaubert im Tausch
mit Wir, Du, Gerät;
ein Knecht so von Hyle,
von Trieb und Bedarf,
genetischer Mühle,
die Zufall entwarf.
*Soma griech.: Körper
Fremde Bionten* (37/2182)13
Wie fremd und fern mir
doch die andern sind.
Es ist mir selber manchmal
zum Erstaunen.
Monaden sind’s,
die mir begegnen,
Verlassenheitsgezeichnete:
Ein Heer von Ichen,
Marktzwang abgegriffen,
subtil gegängelt,
Selbstsein zu entsagen.
*Bionten: Lebewesen
So (37/2183)14
Du hättest wirklich
was zu sagen,
was uns gewiss
- ganz zweifelsfrei -
gesuchten Aufschluss
endlich gäbe,
ersehnten,
über dieses Toben?
Warum wir - etwa –
Selbstwertdrogen jagen
in einem Waren-Einerlei?
In einem Punkt-Gewebe,
früh schon angeschoben
von Bipedie
und dann Neuronen-Beuten?
Ananke? Zufall? Agonie?
Und deren Netzkomplex
willst du mir deuten?
Ich bitte dich,
das bleibt doch alles
rätselhaft:
Der Weg von Teilchentänzen
hin zum Ich,
das sich zerfallsbedroht
Entlastungs-Trancen schafft
dabei notwendig nur
sich selbst angafft?
Noch mal gesagt:
Ich bitte dich!
Es ist doch wesentlich nur so:
Ein Dauerkrieg,
im Bett noch roh,
in sich Verzehren
in Vergeblichkeit,
Monaden-Lauf
in Selbstbetrug und Zeit.
Gebundene Eingebungen (37/2184)15
Ob da was kommt,
wenn mal
der Tod eintrat,
wenn endlich
hinter sich’s
man hat,
man los ist
sich,
die Welt
und dies:
umsonst zu greifen
in was unklar bleibt,
Verworrenheitsbefehle?
Ich glaube kaum.
Es wird nur
Stoff
und Zeit
und Norm
und Zwang
gewesen sein -
und Scheitern,
da auf sich gestellt,
man ganz allein
nur sich erlebt:
Gehirnausfluss
in Ungefähr
gezeugt.
Und doch
für mich
wird’s gut
gewesen sein:
grandiose Chance
als Zwischen-Los
von acht Jahrzehnten,
bis erneut
der Seelenabgrund
nach Zerstörung
giert
und schuldlos
Barbarei auslebt –
ich dann
nicht sein mehr
werde,
längst zersetzt.
Doch danken
will ich noch
all diesen Körpern,
die sich mir schenkten
bis zur Neige,
so manche Stunde
mir verklärten,
indem sie Einsamkeit
mich dann vergessen
ließen,
verzauberten,
an Illusion
gekettet,
zu Trostgehalt,
mir schweißbefangen
zu geronnen.
Ob ich,
böt’s mir ein Gott,
noch einmal liefe
durch Ich,
durch Selbst,
Gesellschafts-Lotterien:
die Lumperei
des Mittelmaßes,
Pleonexie verhaftet,
Angst und Phrasen?
Ich sagte nein,
im Wissen um
Vergeblichkeit,
die a priori köpft
sei’s welchen
Zweck
und Sinn
auch immer.
Eingefangener Augenblick (37/2185)16
Im Fernsehen
ethisiert das Mittelmaß
sich selbstarmtückisch
an seiner tiefenfanatisch
blinden mInkompetenz vorbei.
Verbraucherideologisch seicht,
marktmassenkniefällig;
und ohne Gespür
für die Götter erwühlenden Orgien
archaischer Bestialität.
Tiefsichtig
Monokausale Verirrungsbeseligung.
Artifiziell.
Entlastungsschwer
identitätszertrümmernd.
Ein Formelreich
sich ineinander
ab phantasierender
Substanzgleicher.
Heere von personal
Deklassierten
bedaumen betört
Monadisierungsapparaturen.
Gegenzwang glimmend,
robbe ich stündlich
durch ihre kryptischen*
Entichungs-Orgien.
*kryptisch griech: verborgen
Deutsche politische Funktions-Elite (37/2186)17
Wie immer widersprüchlich exzessiv.
Mit großen Worten und versäumten Taten,
getaucht in Feigheit, Laisser-faire,
bereit, sich in den Staub zu werfen
für Werte, die sie gar nicht haben.
Sie sind nun mal das „Täusche“-Volk,
wie Friedrich Nietzsche sie schon nannte,
erpicht, die andern sittlich zu belehren,
um zu verbergen, dass nicht klug sie sind:
Sie schaffen selbst sich so die Hindernisse,
die Ausweglosigkeiten und die Groß-Probleme,
um tragisch-wirr sich zu belohnen,
weil sie politisch ziemlich unbegabt:
sind arrogant, moralfanatisch, faktenblind -
Wie’s scheint mir: Sei es Tugend-Masochisten,
sei’s Extremisten: Weltanschauungs-Radikale,
die, machtsuchttrunken, jedes Maß verloren haben …
Sich selbst bekämpfen bis aufs Messer:
da selbsthasssiech identitätsgefährdet.
Unmerklicher Selbstverrat 37/2187)18/Sonett
Ein Leben, Geist gewidmet alle Tage,
das habe ich, doch unfrei, führen müssen.
Ein seltner Glücksfall ohne jede Frage:
Ich musste keine Stunde mich vermissen.
War letztlich immer Herr der eignen Lage;
zumindest durfte ich abstrakt sie wissen.
Das reicht, dass einen Zweifel nicht benage,
man sei gelenkter Dekadenz beflissen.
Welch ein Geschenk in diesen flachen Zeiten
der nihilistischen Gefangenschaften.
Die alle wir, verdrängend sie, erleiden.
Indes nicht ansatzweise auch verkraften:
Es sei denn, dass wir als Person uns meiden,
indem an Deklassierungs-Spaß wir haften.
Menschlich unbesudelte Stunden (37/2188)19
Das Beste?
Nun: Sich selbst los sein;
und gleichermaßen
Du und Wir.
Um Geistesmacht
zu gehen ein:
Bedeutungsschaffen -
selbstmachtschier.
Erinnerung nach 20 Jahren/Für ... (37/2189)20
Es hielt zwar nicht, doch immerhin:
ein paar Momente, manchmal Stunden.
Da ging uns magisch Selbst und Dasein hin:
Es glommen nicht die Nihilismus-Lunten.
Dein schlanker Körper kommandierte Jugend,
ihn rauschwärts auszutrinken war
basale Kreaturen-Tugend -
Lust, asozial, so jeder Folge bar.
Der Tyrannei von Botenstoffen
ekstatisch - ichzerlöst - verfallen:
von Fleischgeruch besoffen …
war es ein seliges sich Trieb Einkrallen
Das Ganze heute/Variante I (37/2190)21
Eine Abfolge,
von Augenblicken.
Die meisten
eher schal,
reklametypisch
illusionsgetränkt.
Um sich
ein Surrogat
zu pflücken.
Sei’s suchtprall,
selbstarm,
All-Reiz-Arsenal,
damit der Selbstbetrug
perfekt verfängt.
Freispruch (37/2191)22
Erfahren hab ich euch
ganz anders;
nicht so
wie ihr euch selber seht:
Als tolerant,
human,
sozial,
gerecht.
Und selbstverständlich
auch als gleich.
Erlebt indes
hab ich euch
als perfide,
als tief verstockt
euch selber hörig;
als neiderfüllt,
genussversessen;
und oft auch
ichstarr indolent.
Und das,
das seid ihr auch
an sich.
Kann’s faktisch doch
nicht anders sein.
Wenn gelten muss:
Für sich kämpft jeder.
Muss tun das
ganz allein.
Das ist nicht böse,
auch von Schuld
ganz fern.
Da zeigt sich doch
bloß unser Wesen.
Und das,
das bleibt sich
immer gleich.
Ihm wechselt nur
der Überbau.
Redliche Hellsicht (37/2192)23/Sonett
Es ist doch auch nur eine Lebenslüge:
Das Geistige als autonome Sphäre.
Tatsächlich ist es fiktionale Fähre,
von der ich glaube, dass stabil sie trüge
und so mich einer Existenz einfüge,
die mich nicht nur als Marktverschnitt verzehre,
verführerisch mit Nichtigkeit beschwere,
so dass ich dieser mich naiv verbiege.
Indes ich doch in der Gesellschaft lebe,
die längst dabei ist, selbst sich zu verlieren,
der fehlt auch jede kulturelle Strebe,
nicht noch mehr zu verkommen: zu vertieren.
Auf dass der Boden unsres Seins sich hebe:
Gewalt und Amoral, Macht, Lust und Gieren.
Seelenheimat in sinnloser Welt (37/2193)24
So steckt halt jeder fest
in seinen Perspektiven.
Und hofft auch mal,
er könne diese ändern.
Indes das sollte lassen er.
Wärn’s doch dann fremde Schiefen,
die ließen ihn gar kentern,
verlöre er die eignen Werte,
die halten psychisch ihn,
und so auch denn sozial im Lot.
Es ist notwendig nämlich,
dass in sich man erde:
Den Illusionen der Person.
Vermitteln die allein doch Tiefen
als subjektives Seelenbrot.
Dem Fakt zu wehren,
dass die Welt ist deutungsleer.
Bis zur endgültigen Auflösung (37/2194)25
Was hab ich nicht schon alles mitgemacht,
- mitmachen müssen, um genau zu sein -
in unsrer oft recht miesen Daseinsschlacht,
die, arm doch an Gewissen,
durch die Gesellschaft tobt,
durch alle Seelen.
Von Machteliten ausgelobt,
den vielen, die sich selbst verfehlen
(ob oben, unten, in der Mitte),
all denen, die sich selbst nur küssen
auf ihren kommandierten Selbstwertrunden
für letztlich trügerischen Schein …
Auch denen, die sich sinnlos quälen,
sich legen selbst so all die Daseinslunten …
Bis an den Rand der letzten: längsten Nacht,
die keine Stunden kennt, hört keine Bitte …
Verfall nur noch diktiert: Struktur-Entschwelen.
Zum Faszinosum Macht (37/2195)26
Dass ich friere, Schmerzen habe,
alt und hässlich stündlich spüre,
dass ich längst ein Körperwrack,
Stoff nur bin, der auf sich löst …
Nun, solang die Geistesgabe,
Leibverfall noch nicht berühre,
mitbekomme ich, wie gossenstrack,
man mir Trug als Wert einflößt,
möchte gern ich noch erleben,
wie das Ganze wird zerfallen:
Autokraten-Schein wird streben,
irgendwie sich Macht zu krallen.
Was ich nachvollziehen kann.
Ist doch Macht das Königsmittel,
zu entrinnen Durchschnitts-Bann:
allein sich ausgeliefert dann zu sein
als mittelloser Wesens-Büttel.
Sinn- und richtungslos (37/2196)27
Mein Leben lang
war ich allein;
war’s ausnahmslos;
ich lüge nicht.
Wohl auch, weil ich
begriff den Schein,
sah das so bitter-
steinerne Gesicht
von Ich- und Hab-Sucht,
Macht- und Lüste-Zwang,
sich auszurichten
aller Richtung bloß,
zu lügen sich
ein Existenz-Gewicht.
Existenzieller Offenbarungseid (37/2197)28/Sonett
Betrunken, hoffnungslos und völlig deprimiert,
hab ich mich in mich selbst zurückgezogen,
um zu vergessen, dass ich hilflos aufgesogen
von dieser Wohlstandssause, die sich nun verliert
(sich zeigt als Popanz, der in Psychen-Elend führt)
bin Dekadenz-Geschehen ichschwachzahm verbogen,
auf Markt-Phantastik angewiesen und auf Drogen …
Idiot, der nur noch nach Entlastungsräuschen giert.
Doch habe ich das immerhin so halb begriffen,
dass ich muss einer Welt von Illusionen leben:
Erlebnistaumeln, mir medial zurechtgeschliffen,
auf dass bedenkenlos ich ihnen will verbeben.
Zumal doch von mir selbst charakterlos verpfiffen,
ich nach Verdinglichung und Selbstverrat muss streben.
Knechts-Schicksal (37/2198)29
Für mich kommt gar nichts mehr in Frage,
was Zweck mir wäre: Daseins-Ziel.
In diesem faden Nihilismus-Spiel
ganz später Wohlstandstage.
Nun, viele habe ich nicht mehr.
Und das, das muss kein Nachteil sein.
Wird doch längst modern mein Gebein,
wenn hier dann tobt die Große Seins-Umkehr …
Sich rächen werden Mammon-Huld,
Entfesselungs-Ekstatik: Fun.
Als Daseinstrug und als Entlastungsbann:
Enthemmungssiecher Dekadenter Kult.
Westliche Anomie (37/2199)30
Die Innenwelten zerfallen.
Die freudlosen Individuen
sind selbstbestandslos geworden:
Ununterscheidbare Emotions-
und Belämmerungs-Keifer:
flachschichtig, aggressiv,
narzisstisch, halt- und substanzlos.
Phrasen und Leerformeln
beherrschen ihr zerrissenes
Zeitgeist-Pseudo-Bewusstsein.
Ihr Wille ist gebrochen,
hat nicht mehr die Kraft,
sie vor sich selbst zu bewahren:
Dem hedonistischen Nihilismus
gewissenloser Verkommenheits-Sucht.
Eine passiv verzweifelte Lethargie
macht sich breit: Man sehnt sich
nach gossenspektakulärem Untergang:
Geilen Kicks für Wohlstandsservile:
Kollektive Reiz- und
Effekt-Entfesselungen für
Parias, Heloten und Psychen-Simple.
Sie sind hilflos Gefangene
eines geistigen Elends:
eines metaphysischen im Kern,
auf das das gesellschaftlich-
empirische notwendig wird
irgendwann folgen müssen.
Redlichkeit VI (37/2200)31
Man schwappt an andern fremd vorüber,
berührt sie nie in irgend Sein.
Dabei doch selbst nur so was wie ein trüber
Chronist von Einsamkeit und Psychen-Pein.
Zu sagen, das behaupte Geistes-Frevel,
sei Seelenkälte, gierig inhuman;
sei Kunstwelt-Jauche: Dichter-Schwefel,
sei pathologisch: Nihilismus-Wahn …
Nein, ist es nicht. Nur Redlichkeit.
Ist lügenfreier, souveräner Mut
längst obsoleter Ich-Einheit,
entronnen sich, weil alt, als Gossen-Beute-Gut.
Apologie der Massen (37/2201)32
Ja: Alles Scheitern gründet in den Massen;
indes die Massen sind an ihm nicht schuld.
Sind‘s nicht an sich: Sie können sich nicht fassen.
Es sei denn träumerisch: In Kult
Sie sind nicht gut, sie sind nicht böse.
Noch sind sie dumm; sind oft gar weise.
Die Apathie ist ihre Blöße,
wohl in der Ahnung, dass zu leben heiße,
den andern ausgesetzt zu sein wie sich:
Bedürfnisdruck, Versagen, Illusionen,
die man doch braucht, um’s eigne Ich
zu retten in geträumte Zonen:
Phantasmen jenseits unserer Misere.
Die Los wohl ist, auch wenn’s nun scheint,
dass Wohlstandsmehrung um sie kehre …
Ein Infantiler freilich, der dies meint.
*
Ich würde immer auf die Massen zählen.
Auf ihre Führer freilich nie.
Weil die nur Macht und Selbst-Huld quälen
und, ichschwachzentrisch, Phrenesie.
Sie werden immer überwältigt doch
von ihrer Macht, die sie erdrückt:
verkennen lässt ihr Selbstwert-Joch,
im Wahn nur noch von sich verzückt.
Tatsächlich sind das keine Führer,
sind traumweltmonomane Dilettanten:
sind Es-Welt-charismatische Verlierer,
die nie zu Selbstdistanz und Fakten fanden.
Dem Tod zugerufen (37/2202)33
Stehst schon in der Ecke dort,
schärfend deine Sense;
um mich zu holen von hier fort -
weit über jede Grenze.
So komm nur her und zeige dich!
Du musst dich nicht verstecken;
suchst du doch längst mein braches Ich:
Dies Beispiels-Mal von toten Zwecken.
Ich will dir sowieso mal danken,
dass du mich willst erlösen:
Zerschlagen alle Diesseits-Schranken,
um mich ins Nichts zu flößen.
Untergangsentartung (37/2203)34
Was ich höre, was ich sehe,
lausche ab den Zeitgeisttiefen,
ist, dass Diktatur sich blähe
in vulgären Seelenschiefen,
ist die Rausch verwandte zähe
All-Macht einer so massiven
Sucht nach steter Wohlstandshöhe,
dass vor Dekadenz wir triefen:
Knechte, die sich konsumtiven
Stoßgebeten stummer Nähe:
Krass erlebnisprimitiven
Fallen weihen letzter Wehe.
Bürde einer Gram-Monade (37/2204)35
Wer kann Hybris und Verblendung:
Zeitgeisthörigkeit noch meiden?
Wirklichkeitsverluste, wertfundierte:
tugendmonomane Ideale …
Hochabstrakte leere Formeln,
Phrasen, die die Fakten trüben,
weil zumal nie angemessen
einer Täuscherkreatur,
aus auf Macht, Prestige und Lust,
aus auf Luxus, Überragen,
ichschwach aus auf Illusionen,
Lebenslügen, Selbstbetrug?
Brauchen wir doch Daseinsmärchen,
uns zu trösten, dass wir sterben,
müssen gehen, wie wir kamen:
Ich-Schauspieler leerer Nichtigkeit:
zufallssinnlos toter Hyle.
*Hyle = Materie (Kunstwort: ἡ ὓλη, wörtlich: ein Stück Holz - von Aristoteles, 384 -322 v. Chr.)
Sinn (37/2205)36
In was nicht alles
mag er sich erweisen:
In Arbeit, Kunst,
in Glaubenskräften,
im Tun von Dingen
ohne Not und Zwang
- die Selbstzweck sind
als Selbstwertträger -,
in Selbstaufopferung
als Menschlichkeit,
in Leibgesundheit,
Eros auch ...
in geisterfüllten,
stillen Stunden.
Und fühlt man ihn,
wird niemals
man entgleisen,
wird sich gelingen,
wird sich heften
an seinen sanften,
hochsubtilen Drang,
ich meine eine Art
von Lebenshauch,
der trägt und hält,
erhöht, schafft Trost
als Seelen-Halt,
gewährend Daseins-Kuss,
der einem auftut
einen Himmelsspalt,
der alles heilt:
selbst tiefste Wunden.
Resignierte Abkehr (37/2206)37
Will weder wirken noch belehren,
nur meine Zeit mit mir allein verbringen.
Mich würde jedes Publikum entehren,
müsst ich doch seine Phrasen singen.
Ein radikaler Gegner öder Lagen,
geprägt von Formeln, Geld, Effekten,
die enden müssen in Versagen,
nachdem sie Sinn, Person und Glück aufleckten,
bin ich nicht tolerant, nicht liberal, nicht gut
und will von Wohlstandsonanie nichts wissen,
verbrenne nicht Verbraucherglut,
erfühle Einsamkeit, nur Geist beflissen.
Indes ich niemand Schuld auflade
an dieser Halt zerstörenden Misere.
Da braucht man manche Trugweltschwade,
verfügt vereinzelnder Sozialgaleere.
Polit-Missionseiferer: Idealtrunkene (37/2207)38
Die Seelen leer,
gewissenstot.
Obwohl gefühlsabstrakt
man sie oft lügen lässt:
Als ob man stehe
für des Anstands Lot,
für Trauer-, Leid- und
Barbarei-Abwehr.
Doch das ist Schein,
oft einfach Macht-Inzest.
Tatsächlich ist man nur
auf sich fixiert,
dient seiner Selbstsucht
ganz allein:
gesinnungsexzellent,
moralisch hehr,
naiv politmessianisch
(logosliebeschwer*).
Und so verweigernd sich
dem Wesens-Fakt:
Dass sich Politmoral
sofort Gewalt liiert,
wenn sie soll
zielgerichtet sachlich:
soll doch gestaltend sein.
*„logosliebeschwer“:
Bezieht sich
(1) Auf Jesus als Logos (griech.: logos = Wort, Ausdruck, Rede, Vernunft, Geist …)
(2) Auf die christliche Nächstenliebe (griech.: Agápe, s. Korinther 13, NT)
(3) Auf die Tatsache, dass, gleich welches Ideal, an der Tatsache scheitern muss, dass menschliche Realität (der Kosmos der materiellen Dinge) und Wirklichkeit (der Kosmos der Wertperspektiven, die in einer Gesellschaft eingenommen werden im Hinblick auf jene materiellen Ding als „Überbau“) nicht vernunftrational ausgestaltet werden können - versuche man es auch mit Gewalt.
Wie’s nun mal so ist (37/2208)39
Mit nimmst du nichts;
nicht Ding, nicht Zeit;
auch keinen Raum,
kein Selbst, kein Ziel …
Die Hyle nämlich bricht’s
steht als Danach bereit,
beendend dich
als Zellen-Traum;
als Nichtigkeit
und Zufalls-Spiel.
Neuronal* stolpernde Augenblicksschimären (37/2209)40
Die Discounter-Bataillone
erstürmen die Gegenhimmel.
Indes die Verluste
der Verlassenheitsmonaden
nicht annähernd bekannt sind.
Dass es in Europa
keinen Krieg mehr geben könne -
das hörte ich schon vor fast 30 Jahren -
zeigt drastisch die Realitätsverluste
der wohllebenssiech emotionalisierten
Behelfs-Neurotisierten;
als ob die Macht-Sirenen nicht ständig
ihre betörenden Gesänge anstimmten
in den gewaltsüchtigen Teilen
der Affenseelen-Untergründe.
Indes ich wieder einmal Gott zur Rede stellte,
auf dass er mir erkläre, warum er,
in jeder Hinsicht vollendet,
dennoch das Bedürfnis in sich verspürt habe,
etwas außerhalb seiner zu schaffen: Uns etwa.
Sei das Vollendete doch als solches
völlig bedürfnislos.
Eine Antwort gab er mir nicht.
Morgen werde ich endlich
meine Neutrino-Pferde schirren,
um ins Sternbild Bootes* aufzubrechen,
1,2 Milliarden Lichtjahre von hier entfernt;
(und sich pro Sekunde um 61 200 km
immer weiter entfernend).
Mein Traum ist das;
zusammen mit meiner über diese Welt hier
sich seit eh und je rücksichtslos
hinausträumenden metaphysischen Ur-Sehnsucht …
Nach Gott. Er gebe mir Antwort oder nicht.
*Neuron: Nervenzelle mit Fortsätzen
*boós griech.: Ochse
Über die Nichtigkeit der individuellen Existenz (37/2210)41
Ich hab mein Leben lang
- früh dazu angetrieben -
recht gut gewusst,
was existieren heißt:
Entlastungshandeln,
sich zu sieben
aus manch determinierter Lust,
verhehlend sich,
dass man in ihr entgleist,
sich selbst versäumt
und sich verrät.
Indes nicht anders kann.
Doch auch ein Knecht,
der untersteht Pleonexie-Diktat,
und also Nihilismus-Bann …
Notwendig sich Substanz-Belang,
so traumwund zu verschweben
in objektiv diktiertem Drang:
Formal-Selbst,
weder gut noch schlecht.
Meinem Vater zum 50. Todestag (37/2211)42
Denk ich an dich,
dann denke ich an Krieg,
an Armut, Drogen und Versagen;
dann denke ich
an Unterschichtenschicksalshaftigkeit:
Ans Tagelöhner-Los,
an ein verpfuschtes Leben ohne Trost
und ohne jede Hoffnung, ohne Halt.
Denk ich an dich,
dann schüttelt Trauer mich,
Verzweiflung wird dann all mein Fühlen.
Zumal wenn ich erinnre dies,
dass du, von Drogen übermannt,
um Tabak betteltest: Machorka-Kraut.
Dich, delirierend, dann im Lager wähnend,
in jenem Arbeitslager, wo,
den Wachen Stalins ausgeliefert,
fünf lange Jahre du doch verbrachtest.
Von diesen mitleidlos gehasst …
geschlagen und getreten auch,
und alle Tage ausgebeutet …
verachtet noch in Kreaturen-Angst.
Nun bist du fünfzig Jahre tot
- ich hab das Datum nicht vergessen -;
indes auch daran denkend,
dass dich nichts mehr quält:
Sei’s Krieg, sei’s Herkunftsniedrigkeit,
sei’s Suff, Verfall …
sei’s was auch immer
dieser all-brutalen,
gewissenlosen Menschenwelt.
Ein Wunder (37/2212)43
Ein Wunder,
dass ich mich
trotz Welt-Fremdheit,
Verwahrlosung,
Alleinsein
und Gleichgültigkeit,
während all dieser
vielen Jahre,
geistig immer noch
überwach,
klaglos ertragen habe.
Dasein heute II (37/2213)44
Dasein,
das ist Schein verflochten,
kann sich nur
als Traum erhalten,
Perspektiventrost,
Verdrängen …
Zufallsorgie,
Selbstberauschung …
Show, Effekt,
Reklame-Schub …
Knechts-Motorik,
einheitsfade,
sich zu fühlen
freudlos cool
physisch high
und spaßprekär …
Dasein? Heute
Glücks-Konstrukt
sich als Leib-Ding
hoch zu jauchzen
kommandiertem
Selbstverbrauch:
Sich als Markt-Norm
auszutoben.
Das heutige Dasein (37/2214)45
Es ist die absolute Nichtigkeit,
wenn ich es wertfrei überlege:
ist Trance-Erleben ohne Sinngeleit;
und ohne jede Hege.
Sich selber lebenslang nur Perspektive,
legt man sich strikt nach dieser aus:
Sich dabei Wohlstands-Apokryphe*
zerfallenden Gesellschafts-Baus.
Was immer auch man so erfahren mag,
ist rätselfrei systembedingt.
Sich wiederholend Tag für Tag
als Seelenarmut, die sich selbst austrinkt.
*apokryph = unecht, untergeschoben
Entmündigte Gleichlauf-Monaden (37/2215)46/Sonett/Für Alexis de Tocqueville/Für Verehrte
Friedlicher Knechtschaft spaßbewegt verwoben,
verschludern sie sich einfachen Gehalten.
Die hilflos unselbständig sie umtoben
als Amüsements und Ablenkungsgewalten.
Entmündigungsroutine, angeschoben
durch selbstbegehrtes technisches Gestalten
von Infantilen und von psychisch Groben,
um geistig anspruchslos sich zu entfalten.
Doch mich kann all das nicht empören,
da alle doch, selbst Macher, danach gieren,
gedrillt sich von sich selber abzukehren.
Zu schwach, ein eignes Leben noch zu führen,
sind sie die Opfer unsrer Art-Miseren,
die sie am Ende werden wohl verzehren.
ER II (37/2216)47
ER begegnet einem selten.
Und wenn,
für Augenblicke nur:
Behelfsfiktion
aus transzendenten Welten.
Um zu entkommen
Ich- und Du-Tortur:
der marktverfügten
Psychen-Schur.
Um zu entkommen
hochprekärem Gelten:
Der Würde-Farce
und Dauer-Phrasen-Kur.
Den geldwirtschaftlich
längst gefällten
Befehlen feinster Ich-Dressur.
Eingeständnis menschlicher Erbärmlichkeit (37/2217)48
Das Trauern habe ich verlernt,
selbst Mitleid stellt sich kaum noch ein;
geschweige, dass mich noch berührte
die Seelenarmut meiner Artgenossen.
Ihr Gram vermag’s nicht mehr,
mich tief zu treffen.
Ich lebe nur noch so dahin:
Wohl wissend um Verlassenheit,
Zynismus, Wut und innre Leere.
Vor allem Einsamkeit
und Ausgeliefertsein
an sich und Markt und Welt.
Es ist ein Armutszeugnis
für mich rohes Vieh,
der Dinge deutungslosen
Lauf zu kennen;
und dennoch auszuschweigen mich,
wenn jemand ein paar Worte bräuchte,
sich kurz an ihnen aufzurichten,
ein Quäntchen Menschlichkeit
dabei erahnend.
Ausweglose Schäbigkeit (37/2218)49
Es ist so; kann’s mir nicht verbergen.
ich bin allein, bin’s radikal.
Ein Greis, verfügt dem leiblichen Verzwergen:
Alt, überflüssig, lästig, fett und kahl.
Verlassenheit verfügte Kreatur;
zumal ein schlechter Kunde.
So was wie kostenintensive Rest-Fraktur
als Krankenkassen-Schrunde.
Nicht dass ich fürchtete den Tod.
Der wird mir eher doch Erlösung sein
aus dieser gleichungsrational geschaffnen Not:
Der ihr euch opfert:
gierig, lustsiech und gemein.
Heimweh (37/2219)50
Lass dich streicheln,
liebe Katze,
verweile schnurrend hier
mit mir im Sessel.
Will ich doch
der Gesellschaft Fratze
mit dir im Sessel hier
vergessen:
Die Hysterie, den Lärm,
den ganzen Hexenkessel.
Ich will dich glücklich fühlen,
liebes Tier,
mit deinen sanften
Pfötchen spielen …
Zu einem Gottesfest
uns machen Jetzt und Hier.
Und ER wird kommen …
kommen - wegen dir.
Vom Ende der politischen Vernunft (37/2220)51
Politisch handeln, heißt: verfehlen.
heißt das notwendig; unbedingt.
Meint’s doch mit Werten sich zu quälen,
von denen keiner mehr gelingt.
Dies Faktum greifen kann indes nur Geist;
nur der begreift es als vital:
Als hilflos deutungsloses Schweifen
um ein längst totes Gottes-Mal.
In einem atomaren Zufalls-Spiel,
das Halt und Zweck kann nicht mehr kennen,
ist’s doch ein strikt substanzdebil:
ein nihilistisch-neuronales Rennen.
Durch nicht bemerkte Wirklichkeitsverluste:
gespeist von tugendschlichten Illusionen,
verdeckend das politisch nicht bewusste
Versinken Zwangsmacht
bloßer Markt-Schablonen.
Dorfschatten: Für R. G. (37/2221)52
Trotz deines Glaubens
wird’s dir schwer gefallen sein,
von dir und dieser Welt zu lassen.
Zumal du warst ganz oft allein,
du so kein schönes Leben hattest.
Und doch dich musstest an ihm passen:
An Trug, Charakterlosigkeit und Schein.
Hast daher Grund gehabt zu weinen;
und auch manch andern:
etwa abgrundtief zu hassen.
Ich wünsche dir, tatsächlich einzugehen
in Gottes Obhut,
dass die trage dich.
Und sage dir, das wird geschehen,
kann Er doch deine Seele sehen
und dann in der dein frommes Ich:
Das menschlich war und tief und gut.
Das Geistige II (37/2222)53/Sonett
Das Geistige allein hat mich getragen
Das Drumherum war Drang, war sekundär:
Materie: Uraltes Teilchen-Heer,
in mir sich als Bewusstseins-Strom zu jagen.
Nur ein paar Jahre, die nicht viel besagen:
Von Halt und Sinn, ja: allen Zwecken leer.
Dies zu erkennen ist nicht allzu schwer.
Muss es doch bis in eigne Kerne ragen.
Das Geistige als Lot ist fast verschwunden:
Die Überflussgesellschaft hat’s vernichtet,
zum Wohlstandsparadies sich aufzurunden,
das sich die Psyche als gelenkte schichtet:
sie sich zur Fun-Magd macht, die unumwunden,
das Geistige in sich zugrunde richtet*.
*Variante zu Zeilen 12, 13, 14:
das sich die Psychen als gelenkte schichtet,
zu kleinen leeren macht, die, so geschunden,
das Geistige als Anomie gewichtet.
Dazu auch folgendes Gedicht: „Das Geistige“ (5) (37/2223)54
Das Geistige? Orientierungsstrategie,
den Nihilismus dieser Welt zu meiden:
Fiktionenexegese* mittels Sprachmagie,
sich nicht nur marktgesteuert zu erleiden.
Vielleicht auch noch mal heimzufinden
in metaphysische Regionen,
sich kindlich noch mal als Person* zu gründen,
um jene träumend zu entthronen.
Und sei’s auch nur für eine Stunde,
sakral sich zu erfahren,
nachtrauernd jener tiefsten Gottes-Kunde,
dass man nur geistig kann sich selbst bewahren*.
*Fiktionenexegese: Tatsächlich ist das Geistige die Macht/Fähigkeit/Gabe, die Lebenswelt als „Faktenkosmos“ so a u s z u d e u t e n, dass man sie, wenigstens halbwegs, psychoethisch zu meistern/ zu bewerkstelligen versteht, es einem gelingt, sich in ihr zurechtzufinden
*Person: Nach Kant vernünftiger „Zweck-an-sich“, „Nicht-Sache“, „Wesenswürdeträger“: s. GG 1,1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (die Würde des Menschen als Person, Zweck-an-sich, die Würde des Menschen als Subjekt des Sittengesetzes (des kategorischen Imperativs, dazu später ausführlich)
*geistig sich bewahren: Etwa in diesem Sinne: „Es ist wiederum nur die Religion, die die Frage nach einem Zweck“ - also auch: Sinn - „zu beantworten weiß. Man wird kaum irren, zu entscheiden, daß die Idee eines Lebenszweckes mit dem religiösen System steht und fällt.“ So Sigmund Freud, in: Abriss der Psychoanalyse. Das Unbehagen in der Kultur, Fischer Bücherei, Nr. 8043, S. 74).
Und: Der oben erwähnte Nihilismus, Atheismus erst einmal als Daseinstatsache vorausgesetzt, wird sich/muss sich - und sei es auch nur schleichend - am Ende durchsetzen.
Dasein I (37/2224)55
Das hast du früh schon doch,
geahnt ganz früh.
Und irgendwann dann
auch gewusst:
Dass es vorherbestimmt ist,
ist gebahnt …
Man kann auch sagen: Wird gemusst -
als zufallspralle Daseins-Lotterie:
Abstrakt, banal und aller Zwecke bar …
Nichts weiter ist
als einer zähen Leere Sause:
Verlierer- und Versagens-Joch.
Dagegen lebenswert wohl nie.
Konsumtives Glück/Sonett (27/2225)56
Hab’s immer sehen müssen, wie es ist:
Dies doch Erlebnis-Kult verfallne Leben;
ein marktgelenktes, das sich selbst auffrisst;
und das, um in gekauftem Glück zu beben:
In konsumtivem von nur kurzer Frist.
Im Grunde doch ein ziemlich leeres Streben,
da doch entfaltet kollektiver List:
in ihm sich selbst nur immer hinzugeben.
Und das, das soll man doch, um sich zu schützen,
indem man, Lust verschrieben, Wohlstand schafft,
der allen soll als Daseinsbasis nützen.
Sich zu ergattern auch Erlösungskraft:
Gefühle-Stränge, die als Sinn aufblitzen
in unsrer Einsamkeit als Ichsucht-Haft.
Dorfschatten/1960er Jahre (37/2226)57/Sonett
Ich sage Dorf- und meine Gassenschatten,
die, selbst sich fremd, an mir vorüberglitten,
die, so wie ich, an ihrem Leben litten,
doch nicht - wie ich - des Zufalls Beistand hatten:
Mich zu begreifen als Objekt von platten
Versuchen, Halt zu geben Daseins-Schritten
in Form von marktgewirkten neuen Sitten,
versprechend allerfeinste Wohlstands-Matten.
Des Zufalls Beistand? Ja: die seltne Gabe,
dies Wohlstands-bedlam* früh schon zu erfühlen:
Als triggly wiggly*-Schicksal schneller Habe,
sich popekstatisch Es-dumpf aufzuwühlen,
so dass man pseudonuanciert sich schabe
ein Einheits-Selbst, Erlebnisreiz zu spielen.
*bedlam = engl. Tollhaus
*triggly wiggly: Der Ausdruck bedeutet überhaupt nichts; der amerikanische Erfinder des Kaufhauses mit Selbstbedienung - seinen Namen habe ich vergessen - soll die Lautfolge geäußert haben, um so was wie mystische Ergriffenheit und schauernde Beglückung des zukünftigen Kaufhauskunden anzudeuten. Tatsächlich ist Kaufen eine Art metaphysisch toter Akt einer kurzzeitigen Erlösung durch Erlebnis- und Waren-Zufuhr.
Hilflosigkeit/Für Blaise Pascal (37/2227)58
Was soll ich machen, sag es mir?
Ist Gott doch fort, der Schöpfer-Geist.
Und mit ihm Sinn und Halt und Zweck.
Ich spüre täglich, wie verkommt das Wir,
das permanent sich doch entgleist,
nicht mal bemerkt mehr all den Dreck,
den Niedergang, die Gaunereien,
die dumpf-narzisstischen Verwahrlosungen
als Folgen dieser Wohlstands-Agonie.
Und dass wir gut, vernünftig: Würdeträger seien,
das ist ein Märchen, abgerungen
den Selbstverbrämungszwängen leerer Ich-Magie.
Tragische Selbstverfehlung (37/2228a)59
Mit leeren Formeln kann ich mich nicht trösten.
Mein Hirn verbietet’s mir, mich einzulullen
mit hehren Renaissance- und Aufklärungs-Phantasmen …
Wie etwa Würde, Freiheit, Gleichheit und Vernunft.
Erlegte auf mir meine Sicht der Dinge doch
- erfahrungssatt und illusionslos redlich -,
dass wir notwendig selber uns verfehlen,
nicht fähig sind, dies Dasein so zu meistern,
dass es Gewalt nicht,
auch nicht Rausch und Lüge wäre.
Für Großhirnknechte, die mit Tugendwahn
nur machtstrategisch umzugehen wissen.
Die zumal ständig auch
sich von sich selbst entlasten müssen,
nichts weiter doch als eine Ausgeburt
absurder Kleinst- und Groß-Prozesse einer Hyle,
entfesselt einem Nihilismus-Lauf,
der auswarf uns als seine Zufalls-Morphen*,
nie fähig, sich gerecht zu werden
als baryonischer Materie … nun:
Selbstbetrachtungs-Geistsehnsucht.
*Morphe griech.: Form, Gestalt
Substanzmisstrauisch (37/2228b)60
Zu tiefer Nähe hab ich’s nie gebracht;
schon gar nicht einer Liebe.
Hab einfach viel zu viel gedacht
an Selbstbetrug, Verrat und Alltags-Trübe.
Mir fehlte zumal auch das Grundvertrauen
in diese marktgeprägte Subjektivität.
Die nur noch in sich selbst darf schauen,
da hilflos existenzunstet.
So bleib ich Einsamkeit und Stille treu.
Denn die sind immer gleich:
Verbunden Einsicht, die, ganz kühl und scheu,
entlarven Welt als ein Versagens-Reich.