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Diese Seite enthält 59 Gedichte (31 Prosa-, Reim-Gedichte und 28 Sonette)

Einige Sonette über Macht:

Macht und Geist. Oder:
Das Ende der Hochkulturen*/Sonett (1) (2051)1

Macht steuert Seelen, Wünsche und Gedanken.
Durchdringt den Alltag bis in Feinst-Strukturen.
Belangt die Tugendeitlen und die Huren.
Sie ist es, der wir uns als Wert verdanken:

Als Rechtssubjekte und als Drangsal-Schwanken,
Gewissensmimen und Sozialblessuren.
Ist sie doch eine von zwei Daseinsspuren,
die uns Motive geben, Halt und Schranken.

Die zweite ist der Geist. Ihr Antipode. 
Ein sprachliches Konstrukt der Hochkulturen.
Auf die nun folgen wird die sinnmarode

Gewalt durch digitale Diktaturen.
Die schaffen Standardmenschen ohne Lote.
Und Macht, zu löschen alle Geistesspuren.

*Hochkulturen: Der Ausdruck ist etwas missverständlich. Gemeint ist nicht eine Hochkultur wie die klassische ägyptische, griechische, chinesische usw. Hochkultur; sondern: Wenn ich vom Ende der Hochkulturen spreche, denke ich eher an eine vollständig ausgebildete Markt-/Konsum-Gesellschaft westlicher Prägung, die zwar durchaus noch tradierte kulturelle Inhalte als Konsumgüter kennt (etwa klassiche Musik), faktisch aber nicht primär kulturell (psychoethisch-axiologisch oder auch metaphysisch innenweltprägend), sondern rein konsumistisch-utilitaristisch-hedonistisch-erlebniszentriert ausgerichtet ist: Kultur im eigentlichen Sinne also gar nicht mehr kennt, sondern nur noch "fundrastische" = erlebnisintensive Entfesselungs-, Verkümmerungs- und Entlastungs-Verhaltungen zwecks Erhalt, Reproduktion und Optimierungen physischer, psychischer und intellektueller Leistungsfähigkeit ohne jeden geistigen (kulturellen) Wert für die Individuen. Der Kunde als kollektiver Prototypus ist faktisch geistig völlig mittellos, dafür systemstabilisierend und systemoptimierend optimal abgerichtet: heteronome Marktmonade. 
Der heutige Mensch erlebt sein Leben trance-intensiv, aber er begreift nicht mehr die es manipulierenden und lenkenden Mächte: Kapitalismus, Naturwissenschaften, Technik als Grundlagen der Schaffung von materiellem und "psychischem" Wohlstand: Wohlergehen als Unterdrückungs-Verzückung. Das Wort "Kultur" ist vollig beliebig: inhaltslos geworden. Beispiel: Die Rede ist etwa von der Pop-Kultur, die aber nichts weiter ist als eine systemstabilisierendeVerdummungs- und Entlastungs-Strategie: Dionysisch-kollektive Debilisierung gleichförmig fühlender, wollender, strebender, bedürftiger und nach Selbstdeklassierung lechzender Verwahrlosungsbedürftiger. Was heute "Kultur" heißt, ist nichts weiter als "Selbstverlustkonsum", um eben genau den: den Selbstverlust nicht als subjektiv belastende Deklassierung zu durchschauen - was einer existenziellen Katastrophe als Ahnung der eigenen Belämmerungs-Hilflosigkeit, d. i. System-Knechtschaft, gleichkäme. Wenn man den Kapitalismus nicht als Wirtschaftssystem, sondern als Kultur-Produktions-Macht versteht, dann gilt: Er generiert (als Freizeitkonditionierungsmacht) notwendig eine, kollektiv kommandierend, manipulierende Dauer-Ekstase geistig deklassierender, also: depersonalisierender Selbstinszenierungs-Flüchtigkeiten - mit Hilfe der Technik (rationale Schaffung einer sekundären Realität als Kunstwelt; so beruht die Bedingung der Möglichkeit der Pop-Musik substantiell auf technischen Hilfsmitteln (E-Gitarren) und technischen Groß-Arrangements: Hallen, Stadien usw.).

Allgemeine Formungsmächte/Sonett (2) (2052)2

Als Mensch muss man sich öfter selbst bewerten.
Und tut das. Auch aus Mitmenschperspektiven.
Spürt so die Macht der andern bis in Tiefen,
in denen gern man sich alleine erden,
erfahren würde als nicht fremd beschwerten
Persönlichkeitskomplex - Trotz der massiven
genetisch kommandierten Direktiven …
Als einen nicht von Wir-Druck ganz Verzehrten.

Von solchen Mächten ist man straff durchdrungen:
Den andern und den Gen-Code-Würfeleien.
Das heißt von vornherein von Zwang umschlungen.
Ihm Zweck und Ohnmacht ohne Selbstwertweihen.
Auch ist als Selbst man unfrei sich gedungen.
Als Leib nur Machtkomplex und Ohnmachtsschreien.

Trost der Macht: Ruhm als Unsterblichkeit/
Sonett (3) (2053)3

Kaum einer würde offen es bekennen,
dass Macht ihn fasziniert. Und zwar die große.
Als solche nämlich ist sie auch Narkose,
sich von der Daseinsnichtigkeit zu trennen.

Zwar kann die keiner faktisch überrennen.
Begleitet sie uns doch als rigorose
ein Leben lang in dieses sinnkernlose
Substanzverwehen, das wir Sterben nennen.

Doch hat man Macht, mag man sich damit trösten,
dass Spuren dessen werden nie verblassen,
der in die Welt einst wirkte und besessen

auch darum warb, dass sich ihm Taumel lösten,
ihn zu erhöhen im Geschrei der Massen,
auf dass er niemals werde ganz vergessen.

Ich* und Macht/Sonett (4) (2054)4

Macht ist der Hort, in dem zusammenschießen
die Ängste vor Alleinsein, Chaos, Tod.
So wird die Macht dem Ich der Weg aus Not,
indem das Ich sich lässt in ihr zerfließen.

Um dann erleichtert ihr sich einzuschließen:
Das heißt der Macht als allgemeinem Lot.
Sei sie auch Trug, gerissen und verroht.
Sie weiß, das Ich ist nichts, auf sich verwiesen.

Nur Macht vermag das Ich von sich entlasten:
Von Scheitern, Wirren und von Unvermögen.
Es wird sich tief ins Kollektiv vortasten,

sich einzulullen dessen Psychen-Hegen,
um deren Suggestionen zu erhasten.
Macht birgt das Ich, Gewaltgrund ihm und Segen.

*“Ich“ hier: Körperding, Verweis-Name (Ich bin Ich), physisch-rationale Instanz der Weltbewältigung (vgl. Freud: Ich, Über-Ich, Es), Du- und Wir-Objekt. Genauer: Ich, sich als empirisches Selbst gegeben; als ideales Selbst sich seiner als Sehnsucht nach sich selbst bewusst; als Me = soziales Selbst von anderen (sozial-) perspektivisch „erdichtet.“ Vgl. Fremdwörterverzeichnis

Macht und Moral/Sonett (5) (2055)5

Er hasst die dumme Macht, der Moralist.
Verwerflich sei sie, ungerecht, brutal.
Ihr Unterschied zum Bösen oft ganz schmal.
Sie sei es doch, in der sich dieses hisst.

Wer sie erstrebe, liebe Trug und List,
der Lüge zugetan; kurz aller Amoral
sei also zynisch, kalt, charakter-schal;
der andern Willkür und Gewalt zumisst.

Moral indes ist auch von Macht besessen.
Mit der verglichen freilich Kartenhaus.
Die Menschen zollen zwar Moral Applaus,

doch beten sie nur Macht an im Ermessen,
dass die allein sie haue dann heraus,
wenn’s geht um Kreaturen-Interessen.

Des deutschen Zungenideellen Politreklame/
Sonett (6) (2056)6

Was ich den ganzen Tag da ständig höre,
ist, dass ein jeder sachlich kompetent,
Experte sei, der die Probleme kennt …
Auf dass er mich politisch fit betöre.

Tatsächlich buhlen um mich ganze Chöre:
Es ist mal wieder Wahl; ein jeder nennt
Partei mir, Name, Absicht, was ihn trennt
von seinem Gegner, der auf Phrasen schwöre.

Man lügt das Blaue mir vom Himmel runter,
sodass ich keine Absicht kann verstehen,
durchschaue immerhin als Nullwortplunder,
was man mir da will als perfekt andrehen …

Tatsächlich soll als Stimmvieh ich mich blähen,
indem ich gebe meiner Dummheit Zunder.

Gegenwärtig: Macht/Sonett (7) (2057)7

Nur Tugend- und Bezeichnungs-Diktatur,
Gesinnungsterror und Parteigerede,
des Zeitgeists Primitivisierungssog,
Entfesselungsklamauk, Gerede-Blüten …

Neurotisierung und Trivialkultur,
Gesinnungsmystische Bephrasungs-Öde
als intellektmaroder Dialog
mit biederen Narzissten-Attitüden.

Als Teil der gängigen Verwahrlosungen
und ethischen Zerrüttungsgrübeleien.
Polit-Kreisklassen-Personal gelungen
per Zeitenwende-Doppelwumms-Schalmeien.

Um sich als Staatsschauspieler zu verzeihen
die schieren Mittelmaß-Belämmerungen

Grundlegende Zwecke demokratischer Macht/ 
Sonett (8) (2058)8

Was will ich mehr? Für mich gibt es Momente,
da bin ich sicher vor Politergüssen,
vor Medienpropaganda und Prämissen,
die formen sollen meine Selbstbestände,
mich bindend geistig totem Tauschgelände.

Dann bin ich jedem Phrasensog entrissen,
muss auch nicht schnappen nach Gemeinheitsbissen,
darf klären meine eigenen Bestände.

Und Macht ist Mittel, dies mir zu erlauben.
Vor allem mich mir selbst statt ihr zu stellen:
An Seelengröße statt Geschwätz zu glauben

und Wahrheit statt an reizobskure Quellen ...
Dass ich nicht muss mich meiner selbst berauben
für Markterlösung in Bewusstseins-Dellen.

Macht/Wesen der Macht/Sonett (9) (2059)9

Die Handhabung von Macht ist nicht an Geist gebunden.
Sie ist Primatenerbe primitivster Schichten.
Sie fasziniert die Rationalen wie die Schlichten,
uns zu verbergen unsres Daseins tiefste Wunden.

So seine Nichtigkeit noch in verklärten Stunden.
Und es ist Macht, uns faszinierend zu gewichten.
Wir mögen uns an Leib, Verstand, gar Geist ausrichten ... an Machtdrang sind wir alle ganz basal gebunden.

Der rücksichtslos will andrer Dasein übersteigen,
um dann auf diese Weise weit hinauszutragen
sein Ich*, vor dem sich alle sollen ängstlich neigen.

Denn dieses wird sich erst zum Selbst* im Überragen
und dann erst können sich als Übermensch bezeigen.
Auch zu verhehlen sich als Blendwerk und Versagen.

*“Ich“ (Vers 11): Hunger zu übermächtigen, leibseelisch zentrische Entfaltungssucht. 
*Selbst (Zeile 12) hier: verblendende/verblendete Selbstglorifizierungsinstanz

Eros und Macht/Sonett (10) (2060)10

Dass Geistmomente sich mit Macht verbinden,
das zeigt der Eros, dieses Grenzgeschehen:
Nicht alltagstauglich, fleischfromm asozial:
Ein Rausch, wie Macht, von Fremd- und Selbst-Genuss.

Was sich da in den Körpern muss entbinden,
das ist ein magisches sich selbst Erflehen:
Das Gegenüber dient dabei als Gral
von Kern-Gier, der man sich verzehren muss.

Wie Geist und Macht sich ihre Formen schaffen:
Durch rücksichtslose Übermächtigungen
und schamlos kreatürliches Gebrauchen:

Will man im Leib des andern sich erraffen,
will in die Tiefen seines Seins eintauchen.
Beidseits sich machtorgiastisch dann gelungen.

Tief beglückende Macht/Sonett (11) (2061)11/
vgl. Sonett (3) 

Es ist wohl Macht, die substantiell beglückt. 
Das ist so. Was man sonst auch immer sage.
Sie mag Beherrschten lästig sein und Krake.
Doch wer sie hat, wird tief von ihr berückt.

Und handhabt dieser klug sie und geschickt,
mag er nicht fürchten müssen, dass ihn plage
Verlust, der machte, dass er gar verzage.
Dann gibt’s nur noch den einen, der ihn bückt:

Der Tod. Den freilich auch soll überwinden
der Ruhm der Macht, Geschichte eingewoben.
In der soll immer sich der Name finden,

den einst sie hat getragen und erhoben.
Um gleichsam sich Unsterblichkeit zu gründen.
Nicht anonym der Erde Staub zerstoben.

Das sich selbst bekriegende nackte Ich/
Sonett (12) (2062)12

In ihr, der Macht, rinnt all der Dreck zusammen,
der uns doch ausmacht, uns: die Schöpfungskrone.
In Wahrheit Macher all der Daseinsmohne,
die uns zugleich entlasten und verdammen.

Für uns gibt’s immer nur prekäre Ammen.
Sind wir doch Brüche einer Seelenzone,
die keine Einheit kennt, der innewohne
Vernunft, sich Hass und Rohheit einzurammen.

Nur Macht begrenzt uns den Vernichtungsdrang.
Nicht sie ist schlecht. Nur wer sich ihr verbiegt:
Die Kreaturen ohne Geisteszwang.

Ein Selbst, das sich in fremdem Selbst bekriegt.
Und dies, weil ihm die Einsicht nicht gelang,
dass man als Selbst sich hilflos unterliegt.

Sich selbst zerstörende demokratische Macht/
Sonett (13) (2063)13

Wer will denn heute sich noch Geist verschwenden?
Was doch nichts brächte. Gängig mal gedacht.
Heut schaffen Anerkennung Geld und Macht,
die beide sich doch gegen jenen wenden.

Wobei mit Macht besonders man kann blenden,
wenn man moralisch und diffus sie macht,
gefällig zuversichtlich dargebracht
und schlagwortartig - Lob sich selbst zu spenden.

Die Macht also von allen Surrogaten*
ergibt noch Chancen, selbst sich zu vergotten:
Verblendungsspuk, der antreibt Ich-Nomaden,
Narzissten, Gurus, Macher und Kokotten*.

Indes der Geist sieht den verlogen faden
Betrug, dem sie wird peu à peu* verrotten.

*Surrogat: Ersatzmittel, Behelf
* peu à peu franz. „nach und nach“
*Kokotten franz.: Huren

Verblendungshybris/Sonett (14) (2064)14

Wie Lust und Geld, ist Macht ein Phänomen
von Kreatürlichkeit und Trieb-Verhalten:
Verschlingt gewöhnlich die, die sie gebrauchen,
weil sie nicht merken: sie sind Ich-Spielbälle.

Als solche sich verhehlend das Problem,
dass sie durch Macht sich nicht auch selbst gestalten,
nur in die Seelen ihrer Knechte tauchen,
aus diesen schöpfend ihrer Machtsucht Quelle.

Macht muss vergehen ohne Maß und Mitte,
ruht sie doch wesentlich auf Selbstdistanz;
bewahrend sie vor Selbstverblendungszwängen

und dass sie strauchle über eigne Schritte,
verfügt von Hybris und von Arroganz,
die selbst die größte Macht dann werden sprengen.

Urbefehl und Fiktion Macht/Sonett (15) (2065)15

Wir alle müssen letztlich Macht anbeten.
Ist uns das doch genetisch anbefohlen.
den Willen anderer durch uns zu zwingen,
weil wir die andern wollen überragen.

Befinden uns zumal in einem steten
Berauschungszustand von Behelfs-Symbolen,
die uns die Schemen zeigen von den Dingen,
mit Macht sie dann in Relevanz zu tragen.

Dass Macht sich klaube aus Affekt-Fiktionen,
diffusen Grundgefühlen, Phrasen, Träumen …
aus bloßer Unvernunft und Zufall gar,

dass sie die alle muss auch stets betonen,
das schafft Erfolg ihr: so sich zu umsäumen
mit Würde. Obschon dieser völlig bar.

Notwendig gemein/Sonett (16) (2066)16

Macht ist ein unstillbares Wesensstreben
nach Selbsterhöhung durch Dazugehören.
Will andre nutzen, lenken und betören,
indem man’s schafft, sie mystisch zu erheben.

Sie raunt Geschlossenheit und gleich daneben
streut sie Verleumdung und verschweigt die Scheren,
mit der sie ihrer Machenschaften Kehren
in Vorteil schnipselt, um sich zu vergeben.

Doch trotz Gemeinheit ist sie auch Verlangen
nach der Verehrung derer, die sie drückt.
Zwar wird sie immer schärfen ihre Zangen.

Indes doch bettelt sie, von Zustimmung berückt,
um Selbsteinfügung in subtile Spangen,
die sie als As dann ihrer Spielchen zückt.

Vexierspiel und Seelenruder Macht (17)Sonett (2067)17

Wer Macht verhindern will, benötigt Macht,
muss wissen, dass sie unzerstörbar ist.
Ein stets prekäres Gut und Grundgerüst
für alles, was Primaten treibt zur Schlacht.

Als hätte es Zynismus ausgedacht,
dies Wert-Phantom, das sein Gefolge frisst:
Obwohl doch dieses alles an ihm misst.
Nach seinen Launen trauert, weint und lacht.

Macht rückt auch nah, indem sie scheinbar weicht:
Vexierspiel, immer nur auf sich gerichtet.
Und wer sie greift, den bindet sie ganz leicht.

Indem sie, Ich-Gral, ihn als Knecht verpflichtet.
Weshalb man ihr die Daseinspalme reicht 
und sie als Seelenruder sich gewichtet.

Ränge und Überlebenserbe/Sonett (18) (2068)18

Macht spiegelt sich in abgestuften Rängen.
Auch würdevoller Abschließung nach außen.
Die Machteliten täuschen, die sie lausen,
indem auf Exklusivität sie drängen,

wenn sie im Feinzwirn unter Klassiklängen
sich präsentieren Medienlichterbrausen …
Diskret verbergend die Primatenflausen
den sie bewundernden, naiven Mengen.

Da scheint auch durch das Überlebenserbe
als klar sozialstrategisches Signal:
Das Kollektiv bestimmt, wer schlägt die Kerbe,

den Umstandszwängen folgend ohne Wahl.
Erhebend den, der ausgibt eine Scherbe
als einen ihm von Gott gereichten Gral.

Die Biederkeit der demokratischen Machtträger/
Sonett (19) (2069)19

Rhetorisch dürftig, inszeniert man Wahlen
mit Medientaktik und ad-hoc-Gefühlen
im Soap-Gelärme der Belichtungsschwülen.
Denn Wahl heißt, in publicity sich aalen.

Gewicht zu zeigen, spiegelnd sich in Zahlen
und Selbstreklame für erlittne Qualen 
im Dienst von Wohlstands- und von Friedens-Zielen.
Als Exponent von mittelmäßig Schalen.

Doch wenn die Mikrotrosse sich zerstreuten
und so dem Selbstlob mangelt die Brisanz,
sich Bürden, Zweck und Krisen auszudeuten,

entpuppt auch dies sich als Person-Substanz:
Die Biederkeit von ganz normalen Leuten
als Mittelmaßverhältnis-Relevanz.

Machtgebaren und Reizwirrnis/Sonett (20) (2070)20

Man könnte passend uns Gefühlsverbraucher heißen.
Durch Reizweltwirrnis taumelnd, um uns permanent
- Ein Beispiel: Popkult-Dionysien als Event -
diffusen Daueremotionen einzuspeisen.

Auf diese Weise innerlich uns einzukreisen,
Primitivismen hörig, wie sie jeder kennt;
ganz simplen Kniffen, Machterwerb auch Fundament,
um an Verstand und Geist gezielt vorbei zu weisen.

Infantilismus-Schübe, die uns kitzelnd packen:
Die Welt uns so zu malen, wie wir gern sie hätten.
Uns von uns selber freizusprechen (unsren Macken).

Vom Stumpfsinn auch, in dem so gern wir feig uns betten.
Gewährend Machtsucht so, auf unser Sein zu wetten 
als Mittel äffischer Grandiositäts-Attacken.

Macht und Selbstbewahrung/Sonett (21) (2071)21

Allein nur Macht erlaubt, sich selbsttief zu erfahren.
Ob man bewusst sich sei als Kreatur-Zwang-Wesen:
Ist man ihr Büttel oder kann man sich bewahren
die Kraft, sich redlich als von ihr gelenkt zu lesen,

Doch ist das denn gegeben Molekülsynthesen,
Vergänglichkeit anheimgestellt und lapidaren 
sei’s Wert und Sinn negierend deutungslosen Thesen,
sei’s drastisch triebdiktiert zerrüttenden Kandaren?

Ja. Ist es - sei der Wille auch kausal gebunden,
so, dass ihn Stoff und Faktenläufe losstreng lenken -.
Der Geisteskraft ist es gegeben, aufzurunden

sich einer Weisheitsdichte, fähig zu bedenken,
dass man sich hüten muss vor jenes Machtdrangs Lunten,
nicht Selbstverlust sich niederträchtig einzusenken.

Hybris und Verblendung/Sonett (22)/Erinnerung 
an den Oligarchen Kritias von Athen* (2072)22

Macht ist zentraler Motor dieser Hülle.
Die sich auch deshalb maßlos überschätzt.
Oft von sich selbst ergriffen tief verletzt,
wenn Worte zeigen ihrer Herrschsucht Gülle.

Dann wieder schmückt mit einer Einsichtsfülle,
die ziemlich fad diffus nur Zeichen setzt,
an deren Mystik sie sich selbst ergötzt.
Berauschungsopulente Hybris-Zwille.

Indes dient Macht ja auch, sich zu verstecken
die plane Nichtigkeit der Kreaturen.
Die es verhindern müssen, aufzudecken,

dass sie die Macher sind all der Torturen,
die geiststumm an Vergeblichkeit anecken,
um die grad Macht muss blind herum sich spuren.

*Kritias von Athen/Politiker und Sophist 
(ca. 460 – 403 v. Chr.):
„βέβαιον μὲν οὐδέν, εἰ μὴ τό τε καταθανεῖν  γενομένῳ καὶ ζῳντι μὴ οἶόν τε ὲκτὸς ἄτης βαίνειν“:
Freie Übersetzung: „Nichts ist sicher, es sei denn dies, dass man, in die Welt geworfen, sterben muss …Und (auch dies ist sicher): dass es einem Lebenden unmöglich ist, ohne Verblendung seinen Lebensweg zu gehen.“ 
So ist es (A. Sattig).
*Hybris: Frevelhafter Übermut; heute: Kein Narzissmus ohne Hybris und (Selbst-)verblendung

Das Verschwinden übergeordneter Eindeutigkeit/
Sonett (23) (2073)23

Der Staat ist fort. Von ihm blieb nichts; nicht mal Event.
Er lässt sich auch nicht mehr als Organismus greifen.
Und als ein Instrument der Macht ist er kein Hort
für höchste Pflicht, die geistig-sittlich alle bindet.

Die Zeit kennt keinerlei verlässlichen Akzent.
Auf einen solchen würden zumal alle pfeifen,
weil nur sich selbst sie noch sind der zentrale Ort,
an dem ihr Dasein sich in Rausch und Träumen kündet.

Derlei Verfallsdrang ist ein allgemeiner Trend:
Zumal die Lagen längst die Innenwelten schleifen,
sodass die Halt- und Wert-Gefüge fallen fort.

Diffuses jene flutet und Phantasmen gründet,
Realitätsverlust anom sich zu verzechen.
Was nur dann könnte ein Kommandostaat noch brechen.

Sonett der Dankbarkeit (2074)24
(die ich Deutschland schulde)

Ich weiß, dass ich mich anderen verdanke,
die mich befähigten, zu überschreiten
mich selbst, Sozialdruck … diese ganze kranke
Gesellschaft, außerstande, mich zu weiten.

Der ich egal bin, sein muss; sie ist blanke 
Zerfallsgemeinschaft, nunmehr zu entgleiten
in digitale Formen von Ananke
sanft bitvermittelter Versunkenheiten.

Dank ihrer freilich bin ich geistig mir gelungen
und so der Zeitgeistsklaverei entronnen:
Gesinnungspropaganda nicht gedungen;

schon gar nicht diesen Medienramschkolonnen,
ideologisch gängig fad durchdrungen …
Gewissensarm, doch tugendhehr gesonnen.

Prosafetzen (26) Nichts davon (2075)25

Keine psychischen Halte.
Kein individueller Wille zur Selbstrelativierung.
Keine gesellschaftliche Gerechtigkeit.
Keine politische Begabung.

Kein Glückszuwachs durch Wohlstandssteigerung.
Keine Widerständigkeit gegen kulturelle Barbarei.
Keine Einsicht in die Selbstdestruktionskraft des Kapitalismus.
Keine geistige Verankerung der Eliten.

Nichts davon kann ich erkennen; 
gar nichts.
Allenfalls ihre faden,
sich weiter verstärkenden Perversionen.

Gleich geblieben indes
ist das Verlangen nach Verzückungsorgien,
Entlastungsekstasen und inbrünstigem Verschmelzen
mit gossenmessianischem Star-Stumpfsinn.  

Fazit (2076)26

Ob ich’s verfehlte, ob verkannte,
dies Dasein, mir gegeben
als Existenzdruck ohne Halt und Bande,
als Zufallsmacht verfügtes Leben.

Das kann man so und so betrachten:
Man mag‘s beklagen und bedauern,
mag‘s gar als allerhöchstes Gut anschmachten,
man ringt umsonst in seinen eignen Mauern.

Indes ich will es realistisch sehen:
Für mich ist es gelungen:
Ich musste nie in Ketten gehen,
war nie Despoten-Macht gedungen.

War frei von Armut, Hunger und 
von allem, was als Gramzwang deprimiert,
war niemals ausgesetzt sozialem Schwund,
der macht, dass man sich selbst verliert.

Was also will ich faktisch mehr?
Mehr gibt es nämlich nicht
in diesem undeutbaren Trauer-Meer,
so kindlich und so grausam schlicht.

Einheits-Affe (2077)27

Dass ein freier Mensch noch wäre,
einer, der sich selbst bestimme,
nicht von Surrogaten zehre,
nicht als Psychen-Hülse glimme,
nicht zum Knecht sich selber mache,
um als der sich groß zu fühlen,
reduzierend sich zur Sache,
um sich hilflos einzuwühlen
einer Welt im Niedergang,
unaufhaltsam zu verspielen
auch den letzten Sinn-Belang …

Das vermag ich nicht zu sehen;
auch nicht ansatzweise.
Jener muss sich weiter blähen,
sprengen auch noch letzte Gleise.

Vielleicht ja wird’s KI dann richten:
Ein Schafsmenschlein einst schaffen.
Genauer: Es sich züchten
als smarten Einheits-Affen.

Evolutions-Büttel (2078)28

Es ist nun mal ein Hyle-Spiel.
Um uns geht’s sicher nicht dabei.
Wir leben ohne Sinn und Ziel,
sind jenem einerlei.

Und dass wir uns als höchtes Gut betrachten,
kann auch nicht wundernehmen.
Wir müssen uns verachten,
uns radikal entschämen,

weil doch gezwungen, uns herabzubringen
durch Rationalität:
Uns scheinbar so uns zu gelingen,
bevor es ist zu spät.

Und dieser Zeitpunkt ist gekommen.
Wir werden weichen müssen.
Orientierungslos beklommen …
Verzweiflungsstrack als Staub uns missen.

Kindlichkeit (2079)29

Wer sich diese kann bewahren
- früher Tage Seelenkreis -
wird nicht Opfer: Zwangs-Gebaren
dieser Welt auf totem Gleis.

Ausgesetzt dann Selbstverlusten,
Ängsten, Rohheit, Niedrigkeiten.
Spaß-Knecht einer unbewussten
Tyrannei von Trance-Einheiten.

Wird ans Absolute rühren,
Geistmacht ein sich träumen.
Tiefster Einsicht Zwecke schnüren,
nicht als Lebenslüge sich versäumen.

Eben so ist mir’s ergangen:
Zufallsglück, nicht auszudeuten.
Hindernd, dass ich, Markt gefangen,
musste diesem mich vergeuden.

Faktenbasierte Nebenbei-Bilanz/Sonett (2080)30

Statisten doch, sich selber Lustkalkül,
die Schein und Nichtigkeiten sich verrenken,
in diesem Waren-Käfig ohne Ziel,
sind außerstande wir, uns selbst zu lenken.

Wir wissen nur, es ist ein krankes Spiel,
in dem wir uns mit Tugendlügen tränken,
um zu verdrängen, dass dies Gram-Asyl
längst völlig morsch ist in den Hauptgelenken.

Zumal doch auch gewöhnlich außerstande,
das, was wir sollten, uns dann auch zu sein,
sind ausgeliefert wir diktierter Schande:

Gewissenlosigkeit, Monaden-Pein,
verloren Einsamkeit als der Konstante
von Seelenarmen, in sich ganz allein.

Das Geschenk des Geistes II/Sonett (2081)31

Das ist das Kreuz mit diesem wachen Geist:
Man kann ihn einfach nicht, wie sich, betrügen.
Weil er die Dinge magisch an sich reißt
und sie entkleidet aller ihrer Lügen.

Um sie sich dann, wie’s richtig ist, zu biegen.
Und wer das kennt, der weiß auch, was das heißt:
Nichts ist es mit Bedeutung, Glück und Siegen:
Weil man, was ist, ist viel zu eng verschweißt.

Und ausgesetzt so ist auch Niederlagen,
von denen manche man kann nie vergessen;
die an uns nagen noch in letzten Tagen.

Doch hat man Glück, kann man sie alle tragen,
ja: fruchtbar machen, dies dann zu ermessen:
Wir sind nur Drangsal; von uns selbst besessen.

An meine Leeren (2082)32

Ihr Leeren, meine,
horcht nun auf:
Bevor ich umgeh,
will ich danken,
will danken euch
für all die Dienste,
die ihr geleistet habt 
an mir bedeutungslosem, 
an mir, 
dem Schattenwehen-Ich:
Durch eure Nebel taumelnd
konnt ich klarer sehen,
als dies die allermeisten
je vermöchten …
Durft sehn den Rausch
der Lebenslügen,
den Selbstbetrug 
durch Nichtigkeiten;
den Lügenpopanz
der Behelfsmacht-
Schergen,
substanzdebil
längst in sich selbst
versunken.
.
Glockenläuten. 21.4.2017.//14.55 Uhr (2083)33

„Es läutet zusammen“
(s' leit zamme)
so drückte es Mutter immer aus.
Ja, es läutet zusammen.
Gerade eben.
Dumpftönig.
In melancholischer Hilflosigkeit.
Verhüllend bedeutend,
dass jemand 
es hinter sich habe.
Ab jetzt auseinanderfaule.
Langsam. Aber definitiv …

Farce zu Farce.
Stille zu Stille.
Nichtigkeit zu Nichts.

So wandelt’s mich an.
Wie eh und je:
Schwer und 
trauerlos und es gefasst 
hinnehmend;
klaren Wissens zumal.

Ein Befehl (1) (2084)34

Mein Leben lang 
habe ich mich 
gewehrt gegen 
Vereinnahmung,
Außenlenkung
und Uniformierung.
So war’s mir bestimmt.

Jetzt, im Alter -
verrentet, 
gesellschaftlich nutzlos geworden 
und völlig allein -
sehe ich meine Artgenossen
noch kritischer, 
als ich es je tat:
Entfremdung und Ekel
vollenden sich.

Zugeständnisse werde ich 
indes nicht machen. 
Mein mir unverfügbares 
Sosein schließt sie aus.
Bin ich doch völlig hilflos 
ihm gegenüber,
ich, lebenslang
von ihm kommandiert.

In der radikalen Abwehr
dieser Zeit zeigt sich,
was ich immer sein musste:
Als Mensch
wesenswidersprüchlich,
apathisch, 
in mir selbst gefangen.
Als Sozialmonade ein 
nihilistischer Atheist,
als Zufallswurf Geist:
Liebling der Tyche.

Alt sein (2) (2085)35

Das heißt, die Imperative der Biologie 
versuchsweise akzeptieren
(oder infantil zu verdrängen), 
z. B. dass man hässlich wird,
glatzköpfig, fettleibig, körperlich 
immer schwächer, kränker,
langsamer in seinen Bewegungen…

Das heißt weiter:
Dass man kindischer wird,
gleichgültiger auch 
gegenüber sich selbst, 
den Artgenossen und der Welt,
wehleidiger, eigensinniger,
rechthaberischer, unzugänglicher,
radikaler …

Dass man weiter vereinsamt,
da immer mehr derer,
die man von Kindheit an kannte, 
wegsterben oder schwer krank 
oder auch dement werden:
physische Puppen auf hilflos
gewechselten Laken.

Dass man überflüssig geworden ist,
nutzlos, eine Belastung für andere,
jemand, der diese anderen bedroht,
weil sein Sosein ihnen vor Augen hält, 
was sie selbst erwartet:
Eben auch der bedrückende Fatalismus 
des sie störenden Obsoleten …

Man steht eben am Ende des Kampfes,
des Kampfes gegen Vergänglichkeit
und Vergeblichkeit,
den man unweigerlich verlieren muss.
Man mache sich auch sein Leben lang vor,
die eigene Existenz habe 
irgend Sinn und Bedeutung.

Man begreife, sagen einem,
ihre vermeintliche Überlegenheit 
über den Alten kaschierend,
manche Junge,
heutzutage eben die Welt 
immer weniger,
verändere sich diese doch rapide,
werde immer komplizierter 
und abstrakter …

Ich antworte diesen Jungen nichts darauf,
zumal sie mich nicht verstünden,
wenn ich ihnen auseinandersetzte,
dass sie einer 
glücklosen Zukunft entgegenstolpern,
unwissende, 
auf sich selbst zurückgeworfene,
ihrer Armseligkeit und Erbärmlichkeit
ausgesetzte, 
psychisch tote 
und gewissensarme Desorientierte.

Oft verdrängte und übersehene Vorteile meines Alters (3) (2086)36

Dass ich z. B. den Zerfall des Kapitalismus
nicht mehr erleben werde,
der, sich nach und nach, 
direkt und indirekt selbst zerfleischend,
so auch den die meisten Menschen
im Schein-Lot haltenden Wohlstand 
mit in den Abgrund reißen wird,
er, diese massenirrationale,
sich selbst hypereffizient 
zerstörende, geistig und kulturell
deklassierende 
Selbstentmächtigungs-Sause
im Sog ihres Bestialisierungs-Infantilismus.

Dass ich nicht mehr werde 
sehen und begreifen müssen 
die verwahrlosten Horden 
ihrer selbst nicht mehr mächtiger,
geistig Deklassierter:
verkommen, verwahrlost,
asozial und haltlos,
die dreckigen Straßen durchlungernd,
aggressiv, anom,
innenwelttot.

Dass ich also nicht werde 
miterleben müssen,
wie all das, 
was mir so lieb und so teuer war,
was mich definitiv mir selbst schenkte:
die einmalige Hochkultur 
des antiken Griechentums,
die geistige Tiefe 
des Juden- und Christentums,
die europäische Philosophie,
die abendländische Lyrik …
Dass all das unwiederbringlich 
verspielt sein wird …
gossenidiotisiert verschludert.

Anomie, Entlastungsdekadenz, Staats-, Rechts- und Psychen-Verfall (2087)37
Vgl. zu Anomie Seite 72 (Nr. 17 und Nr. 45)

Massiver Innenweltzerfall in Anomie*,
Entlastungsdekadenz, Morosität:
Man inszeniert sich, hat sich aber nie,
weil früh schon Markt verweht.

Was fiele mir nicht alles ein,
wenn ich das jetzt zu Ende dächte:
Dies korrumpierende Verbrauchersein
im Sog der Mammon-Mächte,

des Niedergangs von Recht und Staat:
Notwendiger Prozess.
Zumal die Psyche nur fungiert als Automat 
orientierungsleerer Lust- und Kult-Ivresse.

*Anomie s. dazu Seite 72

Sich selbst entglitten (2088)/38

Plätschert unstet so dahin,
diese abstrakt fundierte Leben:
Deutungszwänge ohne Sinn,
die sich technorational ergeben.
Seelen ohne Halte streifen,
ihre monomanen Leeren.
Ohne Kraft, sich selbst zu greifen:
Dass sie bergen nur Schimären.
So versinken in Affekten,
die Begriffen sich entziehen:
Zahlen nur und Schein aufleckten,
Deutungslosigkeit gediehen.

Kulturelle Ausweglosigkeit (2089)39

Was hat mich hier nicht alles tief geformt
in diesem Hirnreich feinster Qualen:
Lust, Phrasen und die Göttlichkeit der Zahlen,
die jede Seelenregung normt.

Ich unterliege einem objektiven Zwang,
mich meiner zu entfremden.
Mich anzuschließen infantil Enthemmten:
Sich inszenierend Selbstbelang.

Gesteuert von subtilen Despotien
verzückungspraller Daseinsdrogen:
spaßdiktatorischen Erlebniswogen,
In denen noch die rohsten Psychen glühen.

Politisches Gedicht (2090)40

Die Kompetenz ist Schein.
Die Tugend blind.
Man hüllt sich Formeln ein,
die ohne Inhalt sind.

Das geht nicht gut;
das kann nicht tragen.
Da fehlt die Glut,
Begriff zu wagen.

Es schwindet doch 
die Kraft zu denken,
das Medienjoch 
zumal zu lenken.

Man ist zu feige,
einfach Mittelmaß.
Spielt Zeitgeistgeige,
ignorierend Wie und Was.

Eliten? (2091)41

Von denen, die gewöhnlich Einfluss haben:
Durch Macht, Vermögen, Ansehn, Ehre,
kenn selbst ich niemand …Nun:
Es liegen Welten zwischen mir und Ihnen.
Doch ich bezweifle ihre Gaben,
dass ihre Gründe seien immer hehre,
wenn sie das lassen, doch dies andre tun.
Ich spüre: Um sich selbst zu dienen.

Man merkt, dass sie sich oft an Worten laben,
die nichts bezeichnen, eher leere
Vokabeln sind, indes ganz opportun …
bei allen Schund-, Effekt- und Show-Affinen.

Definitiv verlorene Daseinsrunden (2092)42

Ein Vorurteil ist es, 
dass keins man habe.
Im Gegenteil; 
man ist ganz voll von ihnen;
heißt, das man immer grabe
entlang sich 
an gemeinten Schienen;
kurz: Dass man 
in Verblendung schabe:
An irgend Pseudo-Heil.

Tatsächlich ist man
stets gebunden 
an Lebenslügen und Geschacher,
an Trug und List
in allen Daseinsrunden.
Nur meint,
man sei der Macher.
Tatsächlich doch
von Drangsal-Druck
geschunden.

Man lügt sich ewig 
selbst was vor.
Noch dann,
wenn man die Wahrheit sagt.
Dann ist man eben
deren Tor,
den sie in Abseits, Gram 
und Nachteil jagt.

Die Last der Irrationalität (2093)43

Das Ganze ist nun mal notwendig auch
Gewalt, Brutalität und Täuschungsmacht,
ist’s für den Feinen wie den Gauch:
Gemeiner Prügel Tracht.

Wem wäre denn beschieden,
dass er sich raus da halten könne
aus dieser Farce von Nieten,
sich so denn einmal selbst gewönne?

Man ist sich nie doch als Person gelungen,
man sudelt immer mit,
von Mammon, Lust und Eitelkeit gedungen,
gibt man sich selber manchen Tritt.

Verrät sich, gibt sich selber auf,
Verwahrlosung, Erniedrigungen hin:
Sogar auch manchem Selbstverkauf
in dieser Gosse ohne Halt und Sinn.

Erlebnis-Einerlei (2094)44

Erlebnis-Einerlei:
Meint zu vergnügen sich,
sich abzulenken, 
meint auch zu meistern
sei es Angst, 
sei’s Einsamkeit, 
sei es Langeweile …

Erlebnis-Einerlei:
meint auch sich aufzuwerten,
um zu überragen, 
zuweilen Neid 
auch zu erregen …

Erlebnis-Einerlei
als Halt und Glück, 
vielleicht dann auch
als Lebenssinn …

*

Indes wie nicht,
was kann man machen noch
aus einem Leben, 
das rational ist 
durch und  durch bestimmt:
Zumal durch Überfluss 
an allen Sachen,
in dem man selbst
als Ding mitschwimmt?

Man muss es letztlich:
Es ist Klugheits-Pflicht,
dass man auf keinen Fall
das Ganze stört.
Das zwar nichts weiter ist
als Trancen-Beben,
als Leib-Verzehr,
erzwungne Selbstsucht-Sicht …

Gesellschaftlich-sozial
indes allein nur noch betört 
das seiner selbst 
nicht mehr verfügte Ich.

Anonymer Selbstzerfall (2095)45

Wer kann’s - und will’s - denn noch begreifen,
hat zudem dazu auch die Kraft,
es ungeschönt und scharf zu sehen,
dies Beutedasein in den Warteschleifen
von primitivem Selbsterniedrigungsgeschehen,
im Zugriff absoluter Marktknechtschaft?

Ein Dasein, nur noch zu ertragen
als ein Erlebniskult von Lebenslügen,
sich inszenierungsichschwach dann zu sagen,
wie lustvoll es doch immer sei,
verfügten Psychen-Trümmern zu erliegen.

Entmündigt, spracharm zu vollziehen
den schleichend-anonymen Selbstzerfall
und phrasentrunken vor sich selbst zu knien:
Entfesselt, kindisch, Machtspielball.

Aggressiver Anfall (2096)46

O Gott, ist das hier flach und öde.
Eigentlich substanzdebil.
Die Regierung ist autistisch,
kämpft um Macht, die's gar nicht gibt,
muss schon nutzen Ball und Tröte,
um die Stimmung zu verbessern,
schon weil die wahrscheinlich kippt.

Leisten will man auch nicht viel
(wie denn auch, man kann ja nichts).
Chillen ist dann angesagt;
auch wenn alles wankt, verkommt,
will man den Sozialstaat wässern,
diese Kuh, die jeder melkt,
weil er geistig bleibt verwelkt.

Nichts mehr geht, ist schwerstmarode.
Doch was soll's? Die Tugend ruft
(diese rüde Würde-Mode),
die sich als sehr deutsch einstuft:
Muss als Wertpopanz herhalten,
weil man nicht mehr denken kann,
auch weil peppeln muss den Fun.

Trotzdem sind sich viele grün;
Arrogante, Theologen, 
Phrasenluden, Kernfrigide.
Alle deutsch, heißt Extremisten:
Weltgeisttugend-Demagogen,
Seelen- und Gemüts-Aride,
die sich mit Moralkunst brüsten,
freilich auch nur machtaffin .

Dies tugendarrogant verkommene Land (2097)47

Wer könnte zweifeln daran,
halbwegs bei Verstand:
Das ist ein krankes,
tief gespaltnes Land!

Indes was soll’s?
Das Volk ist dekadent,
die Führung mittelmäßig …
Was sie nicht erkennt.

Mag es  also untergehen,
ja sogar verschwinden?
Weil's ist 
Selbstverlustgeschehen ...
Soll sich's gar 
am Boden finden?

Indes das, 
das will ich nicht.
Wär's doch schäbig, 
undankbar.
Will nicht,
dass es an sich 
selbst zerbricht;
auch nicht, 
dass es eine 
Knechte-Schar
von welcher Großmacht 
immer werde; 
will vielmehr,
dass nach und nach
es erneut sich  
in sich erde.

Verweigerung - Eine sibyllinische Mutmaßung (9)/
Sonett (2098)48

Man kann, das will ich zu bedenken geben,
dies Wohlstandsreich nur dann ertragen,
wenn man nicht immer sich ergibt den Lagen,
nach denen andere begeistert streben:

Nach einem möglichst angenehmen Leben,
von allem frei, was deutet auf Entsagen.
Auch, um die anderen zu überragen.
Will man als Ich doch hedonistisch beben.

Nun Hauptgrund ist, sich derlei zu verweigern,
dass könnte es den Selbsthalt untergraben.
Sich nämlich kreatürlich nur zu steigern.

Muss das am Ende doch zur Folge haben:
Dass man sich nur noch will dem Ich* ausrichten:
Auf Außen-Lenkung kann nicht mehr verzichten.

*“Ich“ hier als Organismus, Körperding, Subjekt von Pleonexie ( = Mehr-und-immer-mehr-haben-Wollen; das Ineinanderlaufen von Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht; so Arnold Gehlen)

Ungefähr 1950er Jahre bis 1974; danach bis in die 1990/2000er (2099)49/Sonett

Ich kann es, bin ich ehrlich, nicht bestreiten:
Es waren ökonomisch die Jahrzehnte,
dergleichen man sich weitere ersehnte.
Es waren hoffnungsschwangre, gute Zeiten.

Sie würden auch in Sozialismus leiten,
den Rest von Elend korrigieren, wähnte
manch Kumpel, der mit mir am Tresen lehnte
und kommen sah das Ende aller Leiden.

Das kam dann nicht. Man hatte übersehen,
dass aus dem Überfluss Verwahrlosungen
und Wirklichkeitsverluste auch entstehen.

Dass jener Wohlstand dann, je mehr gelungen,
es nach sich zöge, dass zugrunde gehen
politisch-ethische Voraussetzungen.

Elitebegehren/Kapitalismus (2100)50

Für mich zumindest
ist es so:
Ich muss auf
Sachlich-Schöpferisches zählen:
Gedichte-Produktion
und Arbeit im Büro.
Weil die allein nur
mir Gehalte schälen:
Geist, 
Selbstabstand 
und Ichsubstanz …
mit der ich meine: Geld.
Die sind mir Existenzgrundlagen, 
sind Inhalt mir und Daseins-Zelt …
Der Rest ist Zeitgeist,
ist Erlebnis-Nagen,
ist Schein, Vergnügen,
Phrasen-Feld,
absurdes, infantiles Jagen
nach Glücksausbeute
in entglückter Welt. 

Ausgeliefert III (2101)51

In mir ein stilles Trauermeer,
das tobt, mich ängstigt, steigt.
Von Hoffnung, Sinn und Zwecken leer,
Verzweiflung zugeneigt,

Resignation und Antriebslosigkeit …
Da wäre manches noch zu nennen
an feinstem anonymem Leid:
Mich bald zu überrennen.

Da schwappt durch mich ein Niedergangs-Gefühl,
das immer intensiver wird.
Genährt von diesem Wohlstands-Spiel,
das Barbarei, Verfall und Nihilismus girrt.

Affektradikal (2102)52

Mein Gott, wie hündisch
und erbärmlich primitiv
ist dieses Kartenhaus
von einer dekadenten
Erlebnissammler- und 
Verspaßungs-Diktatur.
Die, wertstrackmonoman,
Verknechtug geifert … 
Gestützt indes auch 
von Moralschauspielern
und sich erloschenen 
Substanzkorrupten.
Allein: Auch hier ist keine Schuld.
Für die, wie Geist, fehlt uns die Größe.
Zumal doch ohne Schöpfer-Huld,
des Stoffes Gram-Getöse …
Das nur in eine Richtung weist:
Der Erde sterbende Geduld.

Bange Fragen (2103)53

Werd ich mich halten können 
bis zum Ende?
Ich meine seelisch-körperlich.
Zu meiden diese
Altersheim-Verwahrungs-Schmach?
Zumal nur Last ich würde sein,
sei’s Staat, 
sei’s kalter Dekadenz,
die Ekel macht und reichlich Kosten.

Na ja, ich hab’s nicht in der Hand.
Da mischt viel Zufall mit.
Wie immer.
Doch eines weiß ich:
Wo ich lebe:
In radikaler Einsamkeit …
Kalkül-Einheit und Mammon-Größe,
vielleicht noch auszubeuten 
gegen Schluss;
als alter Körper noch
Spekulationsobjekt.

Wie lebenslang
in diesem Lachgas-Puff
der Phrasendrescherei
und Tugend-Onanie.

Selbsttäuschungszwänge (2104)54
Vergleiche (17/1015)

Was lügt man sich nicht alles doch zusammen
in diesem Dasein ohne Halt und Zweck,
in dem wir alle aus der Gleichung stammen,
Verfahrensdruck und Waren-Check.

Es ohne Inhaltskern zu fristen,
von Spaßdruck-Optimismus angeschoben
und diesem immer gleichen dionysisch tristen:
gewissenlosen Toben.

Und ohne Zweifel ist das sehr bequem,
bringt Abwechslung und Fun:
Ein scheinbar stimmiges System,
das zu zerfallen freilich längst begann.

Undurchbrechbares Fürsichsein/Sonett (2105)55

Mein ganzes Leben lang hab ich geschwiegen.
Wem hätte ich mich denn auch öffnen sollen?
Wer hätte meine Gramschlacht hören wollen
in dieser Welt, wo’s einzig gilt zu siegen?

Wo alle vor sich selbst im Staube liegen,
sich selber Lob und Groß-Beifall zu zollen,
sich auszuweisen als die coolsten Tollen,
die locker alles auf die Reihe kriegen.

Na ja, da feiern sich System-Marode,
die nichts erfühlen, ahnen, gar begreifen:
narzisstisch gängige Gewissenstote,

die Phantasien zweiter Hand durchschweifen,
um zu fungieren dann als deren Bote:
Entmündigung und Selbstverlust zu keifen.

Nach 10 hoch 100 Jahren (2106)56/Sonett

Ich würde trotzdem dann es noch mal auf mich nehmen,
mich noch mal einzusenken seinen tiefsten Schichten;
die ohne Zögern, Angst, Bedenken radikal,
von nichts gehalten, mir erneut vertraut zu machen:

Bis sich mir offenbarten wieder letzte Schemen,
um mich erneut in ihren Spiegeln auszurichten
als eines Augenblickes Zufallswürfel-Mal …
Was kann mich kümmern dies Geschick von allen Sachen?

Indes ich werde, Stoff, ja niemals wieder werden.
Für immer also aus dem Kreis der Dinge schwinden.
Und nichts wird sein, als Seins-Gefüge mich zu erden.

Und ob aus jenem Vakuum dann einst wird gründen
ein zweiter Urknall sich aus seinen Quanten-Fährten,
das weiß ich nicht, das wird ein Zufall dann entbinden.

Variante zu: Nach 10 hoch 100 Jahren (2107)57

Ein Vakuum wird’s sein;
ein physikalisches. Am Ende.
In ca. 10 hoch 100 Jahren.
Das ist ne 1 mit hundert Nullen.

Nicht nichts wird’s also sein.
Vielleicht gar dann
ein neuer Urknall nach Äonen,
ein weitrer Lauf; indes wohin?

Doch dass ich’s weiß
in groben Zügen,
nun dafür 
hat es sich gelohnt zu leben.

Für einen Augenblick 
so zu gewahren,
dass Geist und Einsicht 
hier das Höchste sind.

Im Rachen der Vergänglichkeit
sapienter Farcen,
verspielt doch schon,
bevor sie wurden.

Trotz aller Nichtigkeit
des Menschlichen,
es hebt in Sinn
als Geistesmachtvollzug.

Wir Heutige (2108)58

Nie habe ich sehr viel gegeben
auf diese glücklos arrogante Zeit,
ihr geistlos-leeres Streben
nach Räuschen ohne Heiterkeit.

Wiewohl ich weiß: Man wird gezwungen,
gelockt, gelenkt, verführt.
Und fühlt sich so dann nur gelungen,
wenn nach sich selbst man freudlos giert.

Wir sind sehr einsam, wir Erlebnissammler,
streng angepasst an Zeitgeist-Schund.
Orientierungslose Stammler
von Psychen-Brüchen und Gewissens-Schwund.

Deutsche Wirklichkeitsverluste (2109)59

Aus mir schießt manches Hassgewirre vor,
das ich indes verschweigen will.
Obwohl es oftmals heimsucht mich ganz still,
Gewalt doch ist: der Schreie Chor,
die sich entfesseln möchten hier und jetzt,
die Niedertracht sich abzuschaben.
Von Zorn: Entrüstung über Arroganz gehetzt
der Tischbeisitzer, die an fremdem Speck sich laben.
Von Hochkorrupten unterstützt,
von deutscher Tugendfeigheit auch gewitzt,
nur indolentes Achselzucken zeigen,
debil sich ihrer  Indolenz zu neigen.


 

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