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Diese Seite enthält 59 Gedichte
Klarstellung IV (34/1993)1
Zuweilen rede ich von Körpern,
diesen als basalen Selbsten,
von Trost, Entlastungs- und
von Sinn-Einheiten.
Und das doch nur,
weil ihrer Iche Selbste*
doch mehr und mehr
nur inszenierte sind,
sind unfest, flüchtig,
halt-, gewissensschwach,
orientierungslos beliebig auch.
Und das heißt letztlich:
hilflos leer.
*Iche, Selbste s. Fremdwörterverzeichnis
Dank/Für ... (34/1994)2
Leb wohl, du Zarte
seltner Nächte.
leb wohl ...
und bleibe,
die du bist.
Du Leibkleinod,
wie es ein Gott
sich dächte,
wenn sein Alleinsein
er vergisst.
Ich könnte dir
noch vieles sagen;
indes ich sage dir
nur dies:
Auch deinetwegen
war er zu ertragen,
der Gram,
der pflastert
dieses Schund-Verlies.
Alles (34/1995)3
Alles sinnlos,
ohne Zwecke.
Alles leer
und nur erlitten.
Ohne Götter
ohne Mitten.
Stoffmacht
ohne Lecke.
Anfangs bloßes
Teilchenmeer.
Wir nur Zufall.
Nur als solcher.
Ich enthoben
auszudeuten.
Großhirnspielball
ohne Retter.
Sich notwendig
auszubeuten.
Sich durch Barbarei
zu toben.
Weder groß
noch gut
noch hehr.
Ohne Glücke,
Ohne Freuden.
Geistig auch
sich selbst
entglitten.
Aussichtslos II: Asozialisierende Vollzugs-Luzidität/
(34/1996)4/Sonett
Ein Leben lang hab ich am Rand gestanden.
Da ist viel Platz. Und es ist nicht so laut.
Auch deshalb günstig, weil man überschaut,
wie man mag fehlen oder Treffer landen.
Verhindernd so, dass man sich kommt abhanden.
Auch weil man kaum mal Gängigem vertraut.
Wie in der Mitte, wo sich Durchschnitt staut.
Nach dem sich richten auch Repräsentanten.
Das alles tut man, um nicht mitzuheulen.
Obwohl das einsam macht und tief verschlossen.
Indes was tut man nicht, zu meiden Gossen,
sich zu bewahren auch vor Psychen-Fäulen?
Die gierig machen und zugleich verdrossen,
verfügen hilflos Markt- und Zeitgeist-Keulen.
*Luzidität: hier: Hellsicht
Der Titel besagt also: Wenn ich mich, wie ich es muss (weniger, weil ich es wollte), meinem Drang nach Fakten-Einsicht (Luzidität) hingebe, dann wird mich das an den Rand drängen, d. h. "verranden": asozialisieren.
Wir unschuldig hilflos toten Seelen (34/1997)5/Sonett
Uns ist es nicht gegeben, sittlich gut zu sein.
Schon weil wir andre überragen wollen müssen.
Wir werden lebenslang uns selbst nur immer küssen …
Und wie auch nicht? In jeder Stunde doch allein.
Soll heißen: Existenzschauspieler-Dauerschein,
der in sich selbst ist wesenssubstantiell zerrissen:
Schein, Haben, Anerkennungssucht und Lust beflissen …
Gepfercht in eines objektiven Nihilismus Pein.
Weshalb wir alle unser Daseinslos verdrängen:
Dass es Verfall ist und an sich bedeutungslos.
Ein Körper-Zwang, materiell bestimmt von Mengen,
was uns als Trieb-und als Bedarfs-Getier stellt bloß.
das gegenseitig muss sich gierbesetzt verdrängen,
auch weil als Würdeträger nur Phantasmen-Floß*.
*Soll heißen: Uns, als vollständig determinierten, soll heißen: völlig unfreien, Materie-Gebilden, kommt keine Würde zu.
Für ... (34/1998)6
Leb wohl, du Zarte
komatöser* Nächte,
leb wohl, mach’s gut!
Für dich ein Glück
vom allerbesten!
Und: Bleibe ,
die du warst und bist! …
Ein Leib-Od,
wie’s ein Gott sich dächte,
sich malte aus
als Bann in Körperglut.
In der für uns indes,
doch nicht für ihn,
sich spiegeln, deuten
unsres Daseins Mächte:
Wie Zeit, Verfall,
die kommandierte List,
im Du sich
selber zu entsiegeln
als Triebgefüge
und als Gramgerüst:
Als kreatürliches
Gebresten.
*komatös: In tiefer Bewusstlosigkeit befindlich; soll hier heißen: rücksichtlos irrational oder faktenirgnorant, weil erotisch ekstatisiert
Beantwortete Neugier (34/1999)7
Was du mir seist,
das willst du wissen,
das soll ich
unverblümt dir sagen?
Da wüsste manches ich,
dem Rausch entgleist
auf diesen weißen,
tief zerwühlten Kissen.
Hier eine Antwort
auf dein Fragen,
auf die dein Hyle-Leib
mich ausnahmslos verwies:
Du bist mir Spur
aus dumpfer Barbarei,
Effekt-Gelagen
und Narzissmus-Gossen …
Aus all der miesen Gaunerei,
den Zeitgeistterror-Plagen ...
Und deutscher Wert-Tortur,
so geistlos
wie Begriff verschlossen ...
Ein Weg, kurzum,
aus diesem Dekadenz-Verlies.
Substanz-Verluste (34/2000)8/Sonett
Dies Dasein heute lässt sich nicht mehr greifen
als metaphysisch grundgelegtes Werten,
um es in Sinngewissheit umzuträumen.
Ist vielmehr ein diffuses Reizgefüge
von spaßverfügten Emotionen-Schleifen,
die es berücken, aber niemals erden;
um es Umnachtungslüsten einzuschäumen,
die es entfremden sich durch wahre Lüge.
Autonomie und Würde? - Selbstlob-Weisen.
Wie Toleranz und überhaupt Moral …
Bedürfnisabstraktionen, Pseudo-Halte:
Verbraucher tröstende Entlastungsschneisen.
Auch zu verhehlen sich das Grundmerkmal:
Dass uns Bedarf nur, Trieb und Geld entfalte.
Eros (34/2001)9
Diskretion und Zügellosigkeit:
Leibgebete. Geistgewoben.
Einer Stunde Rausch-Geleit,
Alltag überhoben.
Nicht nur Selbstgenuss im Du,
sich narzisstisch zu erhöhen:.
Nein: Ein sehnsuchtskrankes Nu,
sich als Sinn-Od zu geschehen.
Das ist Eros, der sich weiß
als Vergeblichkeitsgewalt.
Sich verschwendet trauer-leis;
so im Du der tiefste Halt.
Letztes Bilanzgedicht (30) (34/2002)10
Es soll der letzte Zeuge sein.
Extrem verdichtet bilanzieren:
Man ist für sich, man ist stupend allein
und immer nah am Delirieren.
Sei’s Sinn, sei’s Glück, sei’s Selbst, sei’s Halt.
Man kann da nur Diffuses greifen.
Gelenkt von Stumpfsinn, Angst und Leib-Gewalt,
muss oft man vor sich selber kneifen.
Ist Machtspielball, Korrupten Mittel,
sich selbst ein Seinsgral ganz und gar,
dem Markt ein gierig-infantiler Büttel
aus einer selbstwertarmen Schar,
der er die Kirche längst ersetzte
durch Transzendenz in Stars und Dinge,
reklamediebisch sie verhetzte,
damit sie sich erwünscht gelinge.
Ich werde ungerührt beiseitetreten,
falls ich den Marktsturz noch erleben sollte;
nicht hadern, hassen oder beten
im Wissen um dies Ungewollte.
Bilanzgedicht (25) (34/2003)11
Ich phantasiere wie ihr alle
und schreibe mich mir selber zu,
kann gar nicht lassen von der Falle
des Selbst, des Wir, des Du.
Schon weil die dauernd mich doch lenken,
mich förmlich mir erschaffen,
verfolgen bis hinein ins Denken.
Das ist so bei uns Affen.
Nicht mal mein Fühlen ist mein eigen
besetzt von jener Despotie,
mir Einsicht zu verschweigen,
dass ich nichts weiter bin als Vieh.
Geständnis VI /Für ... (34/2004)12
Ich wusste, was du bist: ein Eros-Stich.
Und dies von Anfang an.
Mir war‘s der Ansporn, der mich trieb in dich,
dich Körper als Ekstase-Bann,
dem sich kein Augenblick versagte,
weil er sich konsumieren ließ,
des Daseins Fadheit stöhnend mir verjagte,
indem er sie im Rausch zerblies.
Ein Seins-Gewinn kam so uns beiden zu.
Mir, weil ich durfte dich verzehren;
und dir als bis ins Mark erregtem Du,
dass ich Orgasmen-Reihen konnte dir bescheren.
Dein Körperding/Für ... (34/2005)13
Dein Körperding
ist mir längst vorenthalten,
dies ruinöse Paradies,
das kommandierend mich
auf sich verwies,
weil seine Kernversprechen galten:
Verfließen einem lückenlosen
Erlösungstrost im Sich-Vereinen.
Neuronen-Nebel/Für … (34/2006)14
Mein Zeit enthobnes
Du-Gespinst,
noch jetzt,
in diesen späten Jahren,
erfasst mein Hirn
im Bild von dir
die Pracht
zerwühlter Stofflichkeit,
durch Schweiß
und Haut
und Seufzer so
die Große Einheit
sich im Jetzt
ersehnend.
Prosafetzen (387)/Für ... (34/2007)15
Inmitten
deiner Körperhalde
träumt sich
der Hochsinn
Gottes.
Waren-Welt-Spaß-Nihilismus (34/2008)16
Kein Wunder, dass die Leute unzufrieden sind,
gar aggressiv, weil drastisch ihrer selbst benommen,
indem man permanent sie konfrontiert mit Waren,
mit Phrasen, Lüsternheit, Magie und Emotionen.
Da müssen regredieren wieder sie zum Kind,
als dieses müssen heimlich fühlen sich beklommen,
weil faktisch niemand mehr kann hier sich selbst bewahren
in dieser Welt der sinnentleerten Lust-Schablonen.
Die Individuen werden so austauschbar:
Durch Medien gleich gemacht in Fühlen, Wollen, Denken;
sind tief entfremdet sich: durch Selbstkonsum verwirrt …
In einer Welt, in der nur eins ist völlig klar:
Die Leute sollen möglichst sich nach Spaß verrenken,
der permanent sie ja als Daseinssinn umschwirrt.
Einsichten (34/2009)17/Sonett
Dass ich mein Leben souverän je führte,
Selbst-, Herkunfts-Last und Marktterror entzogen,
das zu behaupten, wäre dreist gelogen.
Zumal ich jenen stündlich salutierte.
Vielmehr: Was immer mich zutiefst berührte,
war Zwang mich packender Geschehens-Wogen
von Wertphantastik, Ich- und Zeitgeist-Drogen.
Was mich empirisch dauerkommandierte.
Dass meine Existenz Bedeutung habe,
sei frei und sinnhaft, nicht nur Stoffgeschehen:
Vergänglichkeit, aus der ich Dingrausch grabe …
Das glaub ich nicht. Ich fasse doch die Wehen
des Menschlichen mit seiner Täuschungs-Gabe:
Sich Illusionen ohne Boden einzudrehen.
Widersprüchliche Momente meiner Weltanschauung/
(34/2010)18/Sonett
Materie? Es ist nichts außer ihr zu fassen.
Determinismus? Nun: Was hielte sonst die Welten?
Und Nihilismus? Er entlarvt uns alles Gelten!
Das will ich hier als wahr für mich so stehen lassen.
Gesellschaft wird’s nie geben ohne scharfe Klassen,
Narzissmus, Niedertracht und asoziale Kälten.
Dagegen Würde und Vernunft nur sehr, sehr selten.
Vor allem müssen wir uns selber doch verprassen.
Und dennoch will mich da so eine Trance betören,
all diese Fakten radikal zu ignorieren.
Um Gott als Stoff, als Logos-Hyle zu verehren.
Mich zu befreien so aus diesem Bann von Tieren
in eine Geisteswelt, wo jene nicht versehren,
um dann mich triebfrei in Vollendung zu verlieren.
*Logos-Hyle: Wörtlich: Geist-Materie, d. h. Gott und Materie seien identisch: Pantheismus (so die antike Philosophenschule der Stoa); s. Fremdwörterverzeichnis
Zwischenbemerkung XIX (34/2011)19
Wie weit wir
doch gekommen sind!
Vor allem freilich:
Runter.
Durch Korruption
und Ethik-Plunder
von Dilettanten,
völlig faktenblind.
Grenzen des Realitätssinnes (34/2012)20
Muss mich vor mir selbst bewahren;
mehr als vor den Artgenossen.
Die sind zahm, weil eingegossen
Markt-Entlastungsspaß-Verfahren.
Anders ich: Ich hege Wut,
Zorn, gar Hass: Vernichtungslüste,
gegen diese Wohlstands-Flut,
zeigend sich als Wesens-Zyste.
Werd sie zügeln selbstverständlich.
Doch bemerkenswert ist’s schon:
Auch der Faktensinn ist endlich,
der gewöhnlich spült vom Thron
amygdale* Anwandlungen,
die, wenn tobend, tief betören,
Barbarei, Gewalt gedungen,
treiben, lustvoll zu zerstören
*Amygdala griech.: Mandelkern,
Teil des menschlichen Gehirns, „Sitz“ der
Radikal-Affekte: Hass, Wurt, Zorn, Angst usw. usw.
Zwischenbemerkung XX (34/2013)21
Da kommen Ungeeignete nach oben
- und das ist dem System geschuldet -.
Von den Parteien hochgeschoben,
politisch fähig nur noch sehr bedingt.
Karrieristen-Cliquen oftmals nur;
und das heißt eben: Phrasen-Nieten.
Die oft nicht wissen doch, wovon sie reden …
(vielleicht es auch nicht wissen wollen)
Und grade deshalb sich als kompetent anbieten.
Indem sie Amtsversagen als Erfolg herbeten,
Geschwätzigkeit als tief und ehrenvoll ausloben,
Gesinnungsdumpfheit als Charakter-Güten …
Narzissmus-Durchschnitt, der sich selbst verkultet,
sich selbst vor allem will doch Beifall zollen.
Selbstverfügungsverlust (34/2014)22/Sonett
Was ist man noch? Wenn ich es recht bedenke,
dann einer, dem man Selbstverfügung nahm,
den ständig heimsucht Macht als Tugend-Kram,
die Hysterie vor allem dieser Senke
einer Gesellschaft ohne Halt-Gelenke.
Die provoziert - und tut das ohne Scham -
und zwar in mancher Hinsicht krass infam …
Auf dass man, happy, dann sich selber kränke.
Tatsächlich wird man endlos zugemüllt
mit Sinnersatz- und Rauschwert-Angeboten;
durch Trivial-Motorik cool verhüllt.
Um sich am Ende freudvoll auszuloten
als Markt-Kindskopf, den das Gefühl erfüllt,
man lasse hören ihn Erlösungs-Noten.
Gedichte - noch einmal (34/2015)23
Gedichte, das sind Geistbefehle,
die kommandierend aus den Kernen schießen.
Da zählt es nicht, dass ich mich seelisch quäle,
wenn sie als Selbst-Last in die Stunden fließen,
mich nur benutzen, um es anzudeuten,
dass diese Spaßwelt-Transzendenz*
muss Trivialitäten sich vergeuden
als Kultmagie-Ersatzessenz.
Gedichte sind die letzten Boten
aus einer Geisteswelt, die untergeht
zugunsten pseudorationaler Noten,
entgrenzungsmystisch emotionserhöht.
*Transzendenz; hier: Alltags-Überschreitung als Realitätsflucht in hedonistische Enthemmungsbereiche (etwa via Pop-Musik, Sport usw.)
Andere (34/2016)24
Körperdinge?
Seelenlasten?
Oder sogar
Feindgehirne?
Meistens schon.
Doch manchmal
nicht.
Vielmehr sogar
Gegen-Fron.
Selten tiefstes
Seins-Gewicht,
dass man sich
durch sie gelinge,
könne sie
als Glück ertasten,
gar als
Existenz-Gestirne,
eignem Dasein
Gottes-Licht.
Wein, Lichter, Katze und verjüngtes Gesicht (34/2017)25
Meine Trunkenheit
hindert mich daran,
ein formal wie inhaltlich
akzeptables Gedicht
zu verfertigen.
Indes blinken
die Kunstlichter der Stadt
durch die Nachträume,
wer weiß,
wieviel Elend,
Verworfenheit,
Perfidie
und Abartigkeit
überschattend.
Indes schleicht eine
der drei Katzen
meiner Geliebten
um mich her,
mich sofort erinnernd
an die tränengeschwängerten
Einsamkeits-Vollzüge
der Kindheit,
dies schon ganz früh
das radikale
Aufsichselbstgestelltsein
unserer zuweilen
bedrückenden Existenz lehrte:
ihre Ausweglosigkeit
und wertgetränkte
Possenverstrickung etwa.
Nebenan weiß ich indes
meine Geliebte schlafend,
deren Gesicht
in der Lust sich verjüngt.
Als könne es dann
Zeit widerstehen
und Vergeblichkeit.
Phantasmen-Demiurg* (34/2018)26
Die meisten meiner herrlichen Erinnerungen
habe ich einfach erfunden; geradewegs erdichtet.
Denn schließlich braucht man was,
besonders gegen sein Ende hin,
an das man,
verklärungsbedürftig und sentimental geworden,
bedrückungsfrei zurückdenken kann.
Und die gängigen Lebenslügen: Entlastungsfiktionen,
z. B. Liebe, Glück, Erfolg, Bedeutung,
phantasierte ich mir zusammen,
indem ich mich z. B. im Suff intellektuell herabsetzte,
um, mich weinselig betäubt,
dann konzentrationsschwach gegen meine diesbezüglich deprimierenden Erfahrungen und Einsichten zu wappnen.
Sogar politische Phrasen und Macht-Beschönigungen
habe ich willig hingenommen
- als beschrieben sie gesellschaftliche Realitäten -,
so die von Demokratie, Gerechtigkeit, Rechtsstaat usw.;
obwohl ich wusste, dass man sich so
- mittels erzwungener Hypermoral und Naivität -
als Sozialmonade auch personal ruinieren muss.
Eigentlich habe ich mir lebenslang alles Mögliche vorgelogen.
Aber immerhin hatte ich nie Hunger,
musste ich nie frieren, nie anderen als Knecht dienen.
Das sei anerkannt; gerade auch wegen meiner nagenden Befürchtungen,
was die Zukunft dieser technisch hochabstrakten: die Psychen ruinierenden Konsumdiktaturen anbelangt.
*Demiurg griech.: Handwerker, Erbauer, Schöpfer, auch (bei Platon) Weltbaumeister
Zufallsschicksal (34/2019)27
Unstet in sich selbst gefangen
muss man das, was ist,
versäumen,
kann zu Schemen
nur gelangen,
so denn Welt und Ich
nur träumen.
Heimgesucht von Triebbelangen,
die indes
vor Ohnmacht schäumen.
Nicht mal selbst sich
kann man deuten,
perspektivisch sich gegeben,
kann so nur
Ideen ausbeuten,
Zufallsschicksal hingegeben.
Prosafetzen (41)/Sentimentalisierungs-Drogen (34/2020)28
Früher Tage Sentimentalisierungsdrogen
führe ich mir zu.
Songs der Beatles und Rolling Stones abspielend,
die mich an diffuse Sehnsüchte erinnern,
die sich auf nichts und niemanden richteten,
nur eben in die Psyche einschossen:
Lediglich abstrakter Innenweltanreicherung dienten.
Als ob ich schon damals geahnt hätte,
dass sich eine kapitalistische Existenz,
luzide betrachtet,
in technisch ermöglichten Bewusstseinsversimpelungen erschöpft:
Popmusikalischer Erregungszufuhr,
Narzisstischer Ich-Anreicherung,
sexualisiertem Verlotterungsmystizismus
und neidträchtigem Egalisierungsdruck -
Verbrauchererziehungsstrategien: Abrichtung.
Prosafetzen (43)/Abständig (34/2021)29
Hielte ich mich
in Gesellschaft auf,
langweilte ich
mich noch mehr,
widerten mich
Subjekte an,
deren narzisstische Flachheit
mir jene Art
von Aggressionen hervorriefe,
die ich besser vermeide,
gleichgültig,
wertvergessen
und zynisch,
wie ich,
voraussehbar,
geworden bin.
Und zumal voll
aggressiver Verachtung
für jener bombastische
Selbstglorifizierung.
Prosafetzen (49) (34/2022)30
Deine angelesenen Sottisen
magst du
für dich behalten.
Doch auch an dir selbst
nehme ich
keinerlei Interesse.
Verschone mich also
mit deinen verrohungsträchtigen
Verbraucherwirrnissen.
Ich kaufe dich nicht.
Ich schätze dich nicht.
Ich konsumiere dich nicht.
Ich will dich
nicht einmal
geistig vernichten.
Prosafetzen (61) (34/2023)31
Was hab ich
Glück gehabt!
Und auch: so viel!
Und durch und durch
nicht mal verdient!
Denn das ist Glück,
dass die Jahrzehnte,
die mir bestimmt
zu leben waren,
die besten bisher doch
gewesen sind:
sozial,
politisch,
wirtschaftlich
erst recht.
Und wohl für lange Zeit
die besten,
möglich auch: für immer.
Ein wohlstandstrunknes
Durchschnitts-Paradies,
von Formel, Technik,
Kapital getragen,
das mir hier Schutz war,
Geist-Abri* und Nische:
psychophysisch wie auch
letztlich geistig.
*abri franz.: Schutz. Ursprünglich:Altsteinzeitliche Wohnstätte unter Felsvorsprüngen
Prosafetzen (62) (34/2024)32
Behaupte mir keiner,
die Menschheit
habe ein Schicksal,
sei es wert,
gerettet, erhalten, gebessert
zu werden.
Versuche auch keiner,
mir einzureden,
ich hätte mich
jenes Schicksals
anzunehmen,
hätte sogar
die moralische Pflicht,
für jene Menschheit
Sorge zu tragen …
Mir nämlich ist
das jeweilige Schicksal
dieser Menschheit
gleichgültig,
da sie kein möglicher Gegenstand
sittlicher Sensibilität und
ethisch kommandierender
Verantwortungsbereitschaft sein kann.
Zumal ich nur Auto fahre,
wenn ich muss,
die Lichtschalter
zuhause, im Betrieb
und im Sportstudio
regelmäßig,
als einziger, ausknipse,
strikt von allen
Vergnügungen lasse,
die die Natur belasten,
und mir überhaupt überlege,
wie man all diese
narzisstischen Selbstsucht-Monaden
ohne Gewaltanwendung
dazu bringen könnte,
auf den infantilen Vollzug
ihrer armseligen
Verbraucher-Existenz
partiell zu verzichten -
Ohne Erfolg.
Und das nur,
weil ich mich dazu verpflichtet fühle,
dass ich von meiner Pleonexie
zuweilen lassen muss,
um sie auch morgen noch
ein wenig ausleben zu dürfen.
Sinnlos,
diese Überlegungen:
Und ich weiß das,
weiß es
nur allzu gut.
Nicht einmal
zu einer anstrengungslosen
Aufmerksamkeit
sind sie zu bewegen;
ihr Stumpfsinn,
ihre Gleichgültigkeit
sind, wie ihre Ich-,
Entlastungs-
und Genuss-Sucht,
weder böser Wille
noch mangelnde Intelligenz,
sondern auch
genetisch fundierte
Wesensdeterminanten.
Ich kann also
gar nicht einstehen
für eine Menschheit,
die zerfällt
in Milliarden von
Exemplaren,
von denen immer nur
ganz wenige
die seelische Größe
und die geistige Kraft
haben werden,
sich selbst soweit zurückzunehmen,
dass der eigene Daseinsvollzug
nicht nur auf Verschwendung,
Zerstörung,
Ausbeutung
und Raffgier
abgestellt ist …
Nicht ein solcher ist
ausnahmslos heteronomer
Kreatürlichkeit.
Prosafetzen (64) (34/2025)33
Der Schnee fällt.
Er fällt unhörbar.
Er fällt dicht.
Er fällt faszinierend
gleichgültig.
Still, unsäglich still,
bedeckt er
nach und nach
Erde, Steine, Abfall
und Wohllebensmüll
mit dem Schleier
seiner kristallinen Reinheit.
Er lockt mich
in ein imaginäres Sibirien.
Er lockt mich zurück
in die Phantasiewelten
frühester Kindheit.
Er hetzt mich in Kleinstadt-Trüben
trostloser Zurückweisungen.
Und an dich, Strohblonde,
lässt er mich denken,
als du ihm statt mir
deinen Körper hingabst,
ihn materienackt und rein
aus der Zeit zu liebkosen.
Prosafetzen (66) (34/2026)34
Ich würde immer lügen,
schauspielerte ich
den humanitär bewegten
Intellektuellen,
seiner bürgerlichen Naivität,
seinen Betroffenheitsidealismen,
seiner Hypermoral,
seinen Vernunftidealen,
seiner ideologischen Zerknirschung
wortgläubig hingegeben,
verbrüderungspathetische Leerformeln
und egalitär verbrämte
Deutungs-Übermächtigungsformeln raunend
- auch, um seinen Realitätsverlust,
seine Vereinfachungszwänge
und seine rhetorisch subtile
Selbstglorifizierungssucht
zu verdecken.
Das ist mir völlig fremd.
Dagegen bin ich völlig immun.
Das ist mir zu geistlos, zu simpel:
Ich bin kein Bürger.
Variante:
Prosafetzen (66) (34a/2026a)35
Ich würde immer lügen,
schauspielerte ich den humanitär bewegten Intellektuellen:
Seiner Tugendnaivität,
seinen Kulturträgeridealismen,
seiner Hypermoral,
seinen Idealen von Vernunft,
Maß und Mitte,
Selbsterkenntnis und Würde,
seiner Betroffenheitszerknirschung
wortgläubig (und Macht fordernd) unbelehrbar hingegeben …
Verbrüderungspathetische Leerformeln
und egalitär verbrämte Deutungs-
und Übermächtigungs-Sophismen raunend..
Auch, um seinen Realitätsverlust,
seine Wirklichkeit ignorierenden
Vereinfachungsstrategien,
seine rhetorisch subtile ‚
Selbstglorifizierungssucht zu verdecken.
Das ist mir völlig fremd.
Dagegen bin ich -
mir meiner Nichtigkeit
und der unschuldigen Niedertracht
des Menschlichen drastisch bewusst, -völlig immun.
Das ist mir zumal zu geistlos,
zu simpel,
zu unrealistisch,
zu komplexitätsignorant.
Und überhaupt bin ich kein Bürger.
Habe also keine definitiven
Wahrheiten zu bieten,
mir meiner Fehlbarkeit,
Irrationalität und Selbstausgesetztheit
drastisch bewusst.
Ein Büttel der Tyche* zumal,
meines perspektivischen Alleinseins
und der dauerschweigenden,
unerbittlichen Ananke*.
*Tyche: Zufall, Glück
*Ananke: Unerbittliche Notwendigkeit
Prosafetzen (71) (34/2027)36
Was so ein Körper doch
an Weltflucht schenkt,
molekular ersaugter Ich-Aufgabe,
sich raus zu retten
- ein paar Stunden -
aus marktgezinkter Wirklichkeit.
Prosafetzen (78) 34/2028)37
Inmitten
des Großen Lärms
die entscheidende
Stille,
evakuierend
mein Selbst
in die notorisch stumme
Blindheit dieses
dauerprekären Seins.
Prosafetzen (84) (34/2029)38
Mich haben Wut gehalten,
Stumpfsinn und Gleichgültigkeit,
Sentimentalität auchzuweilen -
und die stupende Fähigkeit,
mir die Realität
meinen fremdprovozierten
Phantasmen gemäß
manisch umzulügen
in ein Rauschgespinst
makelloser Fiktionalität,
geistig tragend noch
in den Vernichtungskämpfen
gegen so typisch deutsche,
selbstschädigungslüstern
erbettelte Wirklichkeitsverluste.
Niedergang: Speziell Westen (primär Europa)/
(34/2030)39/Sonett
Zumal der Souverän ist außerstande,
vernünftig für sich selber einzustehen.
Er dient als Hilfskraft am Vergnügungs-Rande.
Wo er sich ichschwach soll in Lust ergehen.
Und dazu lösen möglichst alle Bande,
um ihn als Mittel, Stimmvieh, zu erhöhen.
Indes auch das ist letztlich keine Schande.
Dient‘s doch dem Ganzen als Funktionskonstante.
Er will es selbst: der Einsichtsmacht entrinnen,
da längst schon ihn Verhältnisse doch treiben,
die seine menschliche Substanz ausdünnen.
Die, nihilistisch, Halt und Sinn aufreiben.
In einem Spiel, das niemand kann gewinnen.
Am Ende schleifen wird auch letzte Bleiben.
Niedergang: Weltmächte (34/2031)40/Sonett
Dort das Diktat korrupter Staatspartei
mit offenbaren Weltherrschaftsgelüsten.
Hier ein Verbraucher-Nihilismus, der
sich Werte anmaßt, die ihn untergraben.
Vollzugstotalitäre Tyrannei
von machtgeschulten Fundamentalisten,
die sehr scharf denken können, niemals schwer
sich tun mit visionären Zielvorgaben.
All das spricht Hohn den Tugend-Illusionen
Europas, das wohl untergehen will.
Zumal doch außerstande, sich zu schonen.
Es wird verharren unterwürfig still
vor jenen, die der Willkür Eines fronen …
Am Ende aufgehn in des Einen Drill.
Momente tiefen Glücks (34/2032)41
Und wenn noch was den Grund zu Glücken hätte,
dann wäre es, ich bleib mir treu, nur das:
Zum Nachtisch eine Zigarette.
Ein Blau. Ein Tier. Ein Halm. Ein Glas.
Der Rest ist viel zu kompliziert,
um irgend Glück zu lassen.
Weshalb der Kunde es auch inszeniert,
es Zeitgeistmöglichkeiten anzupassen:
Der Glück doch gar nicht mehr zu fassen weiß
als etwas, was man gar nicht kaufen kann:
Weshalb er kennt nur seinen Preis,
es selbst so wird Erlebnis-Bann.
Und der zwingt, dass die Jagd nach Glück
es selbst ersetzen muss.
So bleibt es letzten Endes nur zurück
als immergleicher: fader Spaß-Aufguss.
Zusammenschau (34/2033)42
Quanten, Gier, Erregungspotentiale
(die Dharmas* der Verbraucherseele)
umgreifen diese sinnlos schale,
morbide Artefakten-Höhle,
in der wir Ich-Monaden hausen,
um eines zweckprekären Daseins willen:
Kollektivierung in Erlebnissausen,
Belämmerungsmoral und Pillen.
Wir: haltlos, wertblass, ohne Wirklichkeiten,
verwiesen auf Politparolen,
enthemmt zu rituellem Gleiten
in medienmystischen Affektsymbolen:
Der Dauerflucht in Fun-Randalen,
in Waren-Animismus und
die Kult-Adiaphora der Ich-Sakralen,
gehütet per Bewusstseinsschwund.
*Dharmas: In asiatischen Religionen Gesetz,
Lehre, Grundbestandteil; auch einzigartige Bestimmung des Individuums usw.
Deutsche Verwahrlosungslüsternheit (34/2034)43/Sonett
Unmöglich, irgendwas noch ernst zu nehmen,
Verpflichtung und Verantwortung zu tragen.
Versucht man es, wird man, das ist der Haken,
verlacht und Opfer von verrohten Hämen.
Berufskorrupte malen Tugendschemen.
Gewohnheitskrittler fordern Hinterfragen.
Die Infantilen werden sich beklagen,
man wolle Mündigkeit und Spaßrecht lähmen.
Man kann sich nur noch auf sich selber richten.
Dabei verzweifeln oder auch verachten.
Man sieht die Niedergänge sich verdichten,
die dieses Volk ergriffen in den Schlachten
der Marktknechtschaft mit schleichend überschlichten
Bewusstseinstrüben bis zum Selbstumnachten.
Existenz (34/2035)44/Sonett
Ein stiller Abend. Wie für mich geschaffen.
Ich schläfere dahin, dem Tag entronnen.
Der so wie andre war: Büro-Routine:
Das Alltags-Übliche, das ganz normale.
Im Fernsehn sehe ich Konsum-Schlaraffen,
der Phantasie der Werbung ausgeronnen,
die einem, wenn man ihnen willig diene,
verschafften Wonnen aller Daseins-Grale.
Natürlich weiß ich, dass das ist gelogen.
Doch nötig ist, um Wohlstand zu kreieren.
Damit erhalten bleibe dieser feine Bogen,
der macht, dass Waren Psychen konformieren,
sie dauernd flutend mit Beglückungswogen,
Erlebnis-Mystik ihnen zuzuführen.
Ekstatische* Verheimatung/Für ... (31.8.2008) (34/2036)45
Durch deine Edel-Nischen
in ein Rausch-All trudeln
aus Markt-Gefangenschaft
und Geltungs-Trümmern,
sich nicht,
Verkindlichung verfügt,
verrudeln
in geistig-seelisches Verkümmern;
auf deinen Telos*-Lippen
Es*-wärts treiben
aus analytisch-digitaler
Hörigkeit,
pheromonale* Transzendenz
fortschreiben
bis in die kleinste
Stoff-Einheit;
in deiner Bergungs-Feige
sich verlieren -
wer weiß wohin;
man ahnt es nur -
vereinigt Zartheit, Du-Sucht
und Vertieren:
von Glücken übersäte
Kreatur.
*Ekstase griech.: Rausch
*telos griech.: Ziel
*Es: Freuds Es: der unbewusste, lüsterne Teil unsrer
Seelenhierachie - nicht von uns zu kontrollieren
*Pheromone: Lockstoffe
Warum ich Gedichte schreibe I (34/2037)46
Mich zu klären, mich zu finden,
auszudeuten, zu erkennen.
Nie an Illusion zu binden,
Meinungen, die spännen
ein mich Traum und Lebenslügen,
Emotionen zweiter Hand,
mich so letztlich zu betrügen
um mich selbst durch Spaß und Tand …
Vielmehr ehrlich das zu sehen,
was mich meiner doch benimmt:
Dieses Spätzeitgrundgeschehen,
dem doch schon Versagen glimmt:
Es ist kaum noch steuerbar,
steht vielleicht am Ende schon;
weder gut noch schön noch wahr:
Grambesetzter Röchel-Ton.
Warum ich Gedichte schreibe II (34/2038)47
Mich zu gründen objektiv:
In Gesellschafts-Großprozessen.
Dass ich nicht substanznaiv
ignoriere all die Blässen,
all die Schwerter, die doch schweben
über, in mir: Einem Sklaven,
der nicht will von Phrasen leben,
nicht fingieren einen Hafen,
wo er noch zu Hause wäre …
Längst doch metaphysisch tot,
geistig Rand und obsolet;
unbeachteter Exot,
den ein Hauch von Nichts anweht.
Der sich als bedeutungslos,
einsam und getrieben weiß:
Spielball auf zerbrochnem Floß,
treibend zu auf Seelen-Eis.
Warum ich Gedichte schreibe III (34/2039)48
Geistig mich herauszunehmen
aus Gesellschaft, Du und Wir.
Diesen seelenkranken Schemen,
konsumierend stier.
So zu meiden Dekadenz
und Gewissenlosigkeit.
Auch den Sieger und den Stenz:
Ihren Kult-Narzissten-Eid.
Heimzukehren in der Muttersprache
kultureller Exzellenz.
Auch zu meiden diese Brache
der Verwowcoolfuckungs-Fans.
Graue Einfalt auch, den Schwindel,
deutschverlogen hingehaucht
vor stupidem Kult-Gesindel,
es zu schleimen als erlaucht.
Weiter: Um mich zu befreien
aus so manchem Ungenügen
jener faden Daseins-Laien,
die, verlierend, immer siegen.
Sich gefügig einzureihen
in die grauen Träumer-Riegen,
gegen Fakten-Einsicht sich zu feien.
Warum ich Gedichte schreibe IV (34/2040)49
Gott noch einmal so zu ehren,
Halt und Scheme ferner Kindertage.
Meister im Entschweren,
dass ein Traum schon trage,
den er aus der Seele hob,
leitete ins Wunderbare:
Himmelsbläuen, bis zerstob
alles drückend Alltags-Wahre.
Mag er tot sein. Nur Schimäre.
Mir ist das egal.
Er macht, dass sich Sinn uns mehre,
Er - Und nicht die Zahl.
Er nur kann das Urbild sein,
sei’s von Güte, Ehrfurcht, Würde,
für uns Affen - kerngemein,
selbst uns Wesensbürde.
Warum ich Gedichte schreibe V (34/2041)50
Weil es faszinierend ist,
mich auch von mir selbst befreit,
schenkt mir manche Frist
ohne jede Bitterkeit;
nicht als Reiz wirkt, Druck und Zwang,
ganz den Worten hingegeben:
Geistigem Substanz-Belang.
Aus mir selbst mich gar zu heben
in ein Meer von Einsichtsmacht,
auszuleuchten alle Gräben,
allen Daseins Unschulds-Schlacht.
Souverän so zu erkennen,
dass wir nicht sind,
was wir sollten sein:
Wissende, die nicht verrennen
in Verblendung sich und Schein.
Fähig, so sich zu bewahren
vor sich selbst: Der Hyle-Laune,
Wesen, die sich stets erfahren
als der Barbarei Geraune.
Amoralisch, täuschungsmächtig,
Ichsucht untertan;
andern und sich selbst verdächtig,
hingegeben Angst und Wahn.
Sich bewusst gar, Tod geweiht:
Kreatur in jedem Nu:
Allbedürftig Trieb-Geleit,
bis ein Sand-Grab deckt uns zu.
Die vielleicht unvermeidbare Selbstzerstörung (34/2042)51
Wozu noch Gedichte schreiben,
wenn doch, scheint's, die Zukunft fehlt?
Wozu sich noch Geist aufreiben,
dessen Einsichtsmacht so quält?
Nur um meinetwillen noch.
Meine Ohnmacht zu vergessen,
ausgesetzt dem Sapiens-Joch
destruktiver Hybris-Messen.
Manche Stunde mir zu süßen
durch gezielte Weltabsage,
selber mich zu grüßen
im Vergessen meiner Lage.
Die doch längst ist Phantasie,
nicht zu greifen mehr real.
Formel-, Waren-, Reizdruck-Wie,
dienend Rausch und Zahl.
Homo sapiens (34/2043)52
Mag über die Natur verfügen,
durch Technik und durch Wissenschaften.
Doch immer wird er damit müssen sich belügen:
dass rational er sei, vernünftig; könne dafür haften,
sich selbst zum Halbgott einstmals zu verändern …
zum Würdeträger, von und zu sich selber frei,
um durch ein technogenes Eden dann zu schlendern,
gerade so, als ob er zweiter Schöpfer sei.
Er, doch einem Wesen ausgesetzt,
das, durch und durch determiniert,
ihn gegen sich - und zwar notwendig - hetzt,
zu Scheitern, Barbarei, Gewaltsucht ihn verführt.
Trägt er doch alle Lasten der Vergänglichkeit,
dass Zweck und Ziel er weder ist noch hat,
nur Zufallswurf ist ohne Sinngeleit,
kaum glücklich - selbstvergessen nur;
nicht souverän, nicht geistessatt.
Er mag verfügen über alle Hyle,
indes nicht über sich, in keiner Stunde.
Ein Büttel seiner eignen Spiele.
Sich selber Rätsel, Feind und Daseinswunde.
Wenn einer also alles hat, indes zuletzt sich selber nicht -
entseelt, verdinglicht, gierige Monade -
ist er verloren, ausgesetzt nur eigner Sicht.
Die zwingt, dass seiner selbst er oft entrate,
dass er verliere sich an Illusionen,
an Wertgespinste und an Fortschritts-Mären,
die niemals ihn doch mit sich selbst verschonen,
vielmehr mit Hass ihn und mit Niedertracht verzehren.
Wir I (34/2044)53/Sonett
Vollzugsunfreie ohne Selbstbestände?
Orientierungsarme Zwangsnarzissten?
Belämmert-fade Medienfetischisten?
Bluff außenprovozierter Psychen-Brände?
Gewissensarm und einsam bis zum Ende?
Zu dienen den systemerwünschten Lüsten?
Mit Surrogaten kindlich uns zu brüsten?
Als ob man Halt in Markt-Behelfen fände?
So zeigt es sich in meinen Analysen,
geeignet, mir die Fakten zu benennen.
Als solche, die mit uns doch längst schon spielen
und, kaum beherrschbar noch, uns so berennen,
dass wir uns fügen müssen ihren Mühlen:
Uns, selbst uns täuschend, wertstier zu verkennen.
Was meine Gedichte sagen oder sind II (34/2045)54/Sonett
Was man da sieht, ist oft nicht die Person,
ein Imitat vielmehr von Stargehabe:
ein zeitgeisthörig all-geformter Klon
als Abklatschschatten einer Marktvorgabe.
Der Illusionen kifft, braucht Medien-Mohn.
Auf dass ihn dieser aus Alleinsein grabe,
ihm gaukle vor auch einen Wohlstandsthron,
auf dem er sich dann als vollendet habe.
Indes in einer digitalen Welt,
verliert man radikal an Autarkie,
träumt allenfalls sich noch als Medien-Held,
ist faktisch aber Allzweck-Nummer, die
von einer Knechtschaft in die nächste fällt:
verschleifend sich Entlastungsdrang-Magie.
Nur für mich (34/2046)55
Ich hab das alles
nur für mich gemacht,
ich meine Einsicht suchen
und Gedichte schreiben.
Ob indes auch mich
frei dazu entschlossen,
das glaub ich freilich
eher nicht.
Denn wenn ich habe
drüber nachgedacht,
ergab sich jedes Mal
mir diese selbe Sicht:
Ich bin den andern
förmlich ausgegossen,
Epoche, dann der Herkunftsschicht,
und nicht zuletzt
Gesellschaftstreiben.
Wie also kann ich sagen:
Nur für mich?
Weil, wäre ich
ein anderer gewesen,
ich‘s sicher anders
angegangen wäre:
Ich hätte mich
nicht geistig rausgetragen,
ich hätte nicht
den Kern gelesen,
genauer:
Unsre Daseins-Schwäre …
Wär nie verfallen
ihrem Gegen-Licht.
Ganz schlichtes Gedichtchen von trostloser Wahrheit (34/2047)56
So manche hier im Land
gibt sich als tugendhaft;
vor allem, um moralisch
sich zu schmücken.
So zu verbergen
manche ihrer Lücken.
Vor allem, dass ihr fehlt
die Geistes-Kraft,
die Faktenlagen
klar zu überblicken,
weshalb vor diesen sie
sich muss
besonders drücken …
Und eben dies
hat dieses Land
im Kern erschüttert:
gesinnungsarrogant
entmächtigt und betrogen.
Seit Jahren nun schon
tief verbittert,
auch wirtschaftlich
so ziemlich ausgebrannt.
Politisch aber auch
rechts abgebogen.
Für Pindar von Theben/In aufrichtiger Verehrung (34/2048)57
Und dies dauerleere Wehen,
in sich ungreifbar gefangen,
nun, das kann nur Geist verstehen:
Meister doch in den Belangen,
die in Nichtigkeiten zwingen,
Daseinsgaukelei verschreiben.
Ohne Aussicht auf Gelingen,
keinen Ausweg zeigen.
Die hab früh ich vorgefunden;
schon in engen Kindheitsgassen:
Außenseiterwunden,
stillen Einsamkeiten überlassen.
Wunden, die mich kommandierten,
Zufallsgnade mich zu schenken:
Gramlast in nur geistgeführten
Schattentraumgelenken.
Dies Dasein (34/2049)58
Ein Schattenlauf durch ungreifbare Stunden,
nicht zeigend, dass man um sich selber wüsste.
Schon gar nicht um die vielen fremden Welten
in ephemeren Einbildungen.
Dies Dasein, schroff in sich allein gefangen,
und doch von außen nur gelenkt,
sich selber nie gegeben als Ansich.
Ein subjektives Deuten eben nur
von Worten, die das Selbst verzaubern
und unverstanden dann sofort verblassen.
Wer weiß so schon, wer er denn sei,
was es denn auf sich habe mit dem Ganzen,
den Lüsten, Gramgefechten und den Lunten,
die man sich selber ist im Schein von Gelten,
von Du- und Wir-Verkümmerungen?
Ein Ängste-Sammler aus Belangen
des radikal getriebnen Ich,
sich als das höchste Gut zu fassen.
Obwohl doch weiter nichts als stummer Schrei
materieller Grundsubstanzen,
bewusstseinsfähig sich geschenkt
als Illusionen-Gaukler vor der Uhr.,
der stets sein Bild nur, nie sich selber küsste.
Das fremde Selbst der Gedichte (34/2050)59/Sonett
Ob ich’s auch wirklich bin, was in Gedichten
ich manchmal deutend von mir selbst preisgebe?
Das sei dahingestellt. Mag sein, ich klebe
nur ein Gespinst von mir aus zumal schlichten
Begriffs-Konstrukten, die mich gar nicht lichten.
Zumal doch das, was ich in diese hebe
nicht subjektiv sein kann, kein Selbstgewebe:
Die Sprache aller kann das nicht gewichten.
Man ist in jedem Augenblick allein.
Sogar sich lyrisch niemals zu erfassen.
Weil doch sich selbst fremd ausgelegtes Sein,
geträumt in kollektiven Seelengassen,
die’s tief verdunkelt haben, sodass mein
Begegnen mit mir selbst versinkt im Blassen.