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Diese Seite enthält 59 Gedichte 

Orientierungslose Jugendkumpel (29/1702)1

Von euch hab ich geträumt die Nacht.
Wir zockten in der alten Kneipe,
wir hässlich-asozialen Außenseiter.
Uns Scheintrost gebend, Trug verwoben.
Und führten große Worte auch im Mund,
uns zu verbergen Gram und Nichtigkeit.  

Bestandsaufnahme IV (29/1703)2

Da wabern Hilfsfiktionen  
kalt durch Traumgefilde,
durch dauerabgerichtete Neuronen …
Sich zu belämmern und herauszunehmen
aus diesem Restgefühle-Sog
der Seelenbrachen, 
der kapernden Bewusstseinsstarren,
der neckenden Verdinglichungen …
In Augenblicken fader Kunstekstasen
sich wegzuwerfen, zu verraten,
sich hinzugeben den Bedeutungsleeren
exzentrisch optimierter Körpermasken.

Weiter nichts. Nur diese (29/1704)3

Kaufkraftpotenz bin ich,
stoffliches Mittel durch und durch.
Weiter nichts. Nur diese.
Es sei denn,
ich schaffe mir eine 
geistesimaginäre Ersatzweltschimäre: 
Heere von Gedichten, 
Einsichten und 
Wahrscheinlichkeitsperspektiven,
mich selber auszudeuten:
Als konkret zu sein nur jene;
weiter nichts; nur jene.
Sonst atomares X 
für kurze Zeit
im Leerlauf tobenden 
Entglückungswahns.

Ist alles fort (29/1705)4

Ist alles fort, 
was einen ruhen ließe,
was einen halten könnte
in sich selbst.
Was einem schenkte
eine Selbstwert-Prise,
die schüfe Mut,
sich zu vertrauen,
Gewissheit einem 
in die Seele senkte,
man könne noch 
sich übernehmen,
man dürfe auf 
sich selber bauen,
als Ichdrangsal
sich zähmen …

Ist alles fort 
dergleichen.
Man kann’s 
nicht mehr wagen, 
als Individuum 
sich hoch zu tragen
in Lebensernst,
Verantwortung,
in Faktensinn,
in Zuversicht,
Charakter- und 
Gewissenstärke ,
in Selbstdistanz
als Geist-Gewicht.

Muss vielmehr sich
dem Markt verdingen
und allen seinen Zwängen.
Kann so nicht mehr
sich selbst gelingen,
geworden nur noch Drängen
nach Lüsten, Waren,
Spaßes-Mengen,
erwünschten Emotionen …
sich Knecht 
in seinen Fängen …
Um sich mit sich
erleichtert zu verschonen. 

Wozu noch Gedichte? (29/1706)5

Sollte - wollte - schöne Zeilen schreiben,
solche, die ganz zart entführen
in Entlastungstraumgewoge:
Liebe, Glück, Humanität …

Kann nicht. Wäre nur Entlastungstreiben.
Würde nicht ans Wesen rühren:
Unsres … stoffsuchtanaloge 
Quelle von Gewalt-Gebet.

Überhaupt stellt sich die Frage:
Zu welchem Zweck denn noch Gedichte?
Im Hinblöick auf die simple Lage,
dass mn muss leisten Geistverzichte.

Sinn ist fort, Kultur, Esprit,
Selbstverfeinerungsantrieb durch Sprache.
Tobend Psychen-Agonie,
Selbst-Tod und Gewissensbrache.

Glücklos taumeln die Subjekte
haltlos an sich selbst vorbei:
Psychisch glatt geleckte
Spaß-Ekstase-Sklaverei.

Die wohl nicht mehr meisterbare Lage meines Landes (29/1707)6/Sonett

Ja: Viele der Gedichte sind Pamphlete,
der Wut entsprungen auf die Führungscliquen;
auch Hass, Verzweiflung dann ob dieser Öde
in Staatschauspieler- und Verliererblicken.

Von solchen, die nicht wissen, dass sie Tücken
sich selbst sind … geistsiech Halbbegabter Nöte:
sind Hybris-Auswurf kultureller Lücken
und unbegriffner Selbstverkennungs-Lethe.

Was kam nicht hoch da an Erfahrungslosen,
an Tugendmasochisten und an Pfaffen,
an ehrlos-plump naiven Fakten-Feinden,

identitätsbelämmerten Mimosen.
Die diesem Land als offne Wunden klaffen
als rein gesinnungseitle Kult-Gemeinden.

Einfache Fakten/Sonett (29/1708)7 

Ihr glaubt doch nicht im Ernst an Toleranz,
Verständigung, Humanität, den Sieg
der Mäßigung, Vernunft, der Allianz
Besonnener in diesem Machtkultkrieg.

Der kommen wird. Genauer: Der schont tobt.
Nicht meisterbar durch ethische Exzesse.
Wenn auch die Führungsclique euch gelobt,
dass sie für euch sich mühe, nie vergesse

Gemeinwohl, Sicherheit, Gerechtigkeit.
Das ist ein Märchen. Phrasentrance, erlogen:
Sie balgen sich um Macht in jedem Kleid,

von sich allein betört und aufgesogen
von Ruhm-Delirien, Narzissmus, Neid …
Und der Betrugsvalenz von Mystagogen.

Geschrieben im Jahr 2022 - Nur wenige Jahrzehnte 
vor einer möglichen globaltotalitären Endzeitbarbarei* (29/1709)8

Welch subtil verblendete Eitelkeit,
welch hybrisdrastische Selbstglorifizierung,
welch depersonalisierender Narzissmus …

dieser reflexionsschwache Tugendfanatismus,
diese gesinnungskniefällige Intoleranz,
diese fundamentalistische Autosakralisierung …

eines würdeideologisch fundierten Realitätsverlustes,
einer rhetorisch brachen Selbstentmächtigungsarroganz,
eines einfaltsgrauen kulturellen Zusammenbruchs.

*Befürchtungen (Befürchtungen sind freilich keine Tatsachenaussagen, gar: Prophetien, mögen überhaupt maßlos übertrieben sein; indes ich glaube, sie immerhin in Rechnung stellten zu dürfen):

(a) Ich sehe eher keine Möglichkeit, die Folgen des Klimawandels noch zu begrenzen; sollte das stimmen, weiß ich nicht wie man die dann unvermeidlichen: riesigen Migrationsströme würde ohne massive Feundseligkeiten/Gewalt bewältigen/kanalisieren könnte. Zumal die Leute ja nicht kämen, weil sie ein besseres Leben wollen, sondern weil sie ü b e r l e b e n, was jedenfalls ich ihnen nicht verdenken könnte

(b) Die Demokratie scheint obsolet zu werden/vorüberzugehen/an Vertrauen und Attraktion zu verlieren: auch weil die Menschen, verängstigt, also: seelischen Schutzes bedürftig, hören immer mehr auf die leeren Versprechen von Radikalen); abgesehen davon entfernen sich die bestehenden Demokratie immer mehr vom Kern dieser Staatsform: Der Gerechtigkeit, der Korruptionsfreiheit, der Solidarität, der Chancengleichheit, der Meinungsfreiheit, der Gleichheit, der Sachlichkeit, der Vernunft, des Kompromisses, der Rechtssicherheit usw. usw.

(c) Es ist mir ein Rätsel, wie man es anstellen will, die Menschen kulturell halbwegs widerstandsfähig zu halten/wieder zu machen („geiststabil“), ja überhaupt: 
m e n s c h l i ch angesichts der genannten Probleme ((a) und (g))

(d) Die Kriegsgefahr wächst (lokal wie global); ich schließe eine Auseinandersetzung zwischen dem sog. Westen (falls die USA nicht schon vorher kollabieren) und China (und dessen Vasallen) nicht aus (Napoléon: La guerre est de nature: Der Krieg liegt im Wesen des Menschen/ist dem Menschen natürlich); aber selbst, wenn das nicht der Fall sein sollte … es wird drängende Gründe geben, sich auch militärisch Vorteile zu verschaffen: Alle Machtverhältnisse werden solche der Gewalt, Täuschung, Lüge und kalten Berechnung sein (wie heute; nur eben drastischer, nachhaltiger, verführerischer, gebotener …

(e) Die KI wird uns unserer selbst entmächtigen, weil wir nicht einmal mehr über eine konsensfähige Wirklichkeit verfügen werden (also auch nicht über eine erkennbare Selbststruktur). Ich gehe überhaupt davon aus, dass wir letztlich in die Fallen der Ergebnisse und "Werke" unserer eigenen hypertrophen Rationalität laufen, soll heißen: mittels dieser Überspezialisierung uns zugrunde richten werden.

(f) Bisher unbekannte Seuchen sogar die Weltbevölkerung heimsuchen könnten (Klimawandel!)

(g) Welche Folgen wird die Vernichtung von Arten haben, die für uns von großer Bedeutung sind? Mir fallen die Insekten ein. Ich vermag es, Laie, nicht zu beurteilen, sehe die Sache aber so, dass, selbst wenn diese Vernichtung für uns folgenlos bliebe, es in meinen Augen doch ein Heilsverbrechen darstellte, die Tiere (denen ich geradezu naiv-kindlich - ich gebe es offen zu - verbunden und zu Dank verplichtet bin) an den Rand ihrer Ausrottung gezwungen zu haben.

Zwischenbemerkung I (29/1710)9

Wiederhole mich, ich weiß;
sage stets dieselben Dinge.

Freilich ist’s ein Geistgeheiß,
flüsternd, dass es nicht gelinge:
nicht uns glücke kulturell,
als Personen uns zu halten:

Wir verfielen ziemlich schnell
diesem Sog von Wohlstandswalten.
Das so seltsam auf uns wirkt:
Optimistisch zu gestalten
alles, was Verspaßung birgt.

Um uns vor uns selbst zu drücken,
vor Gesellschaft, Welt, Problemen,
eher drastisch uns entzücken.
Grad auch, wenn die Nornen* kämen.

Diener doch der Augenblicke,
eigentlich gewissenlos;
unberührt, was Artgeschicke 
legen an Miseren bloß.

*Nornen: Nordische Schicksalsgöttinnen: Urd, Werdandi, Skuld

Zwischenbemerkung II (29/1711)10

Ist’s doch menschlich,
primär sich,
lange nichts mehr
dann zu sehen;
Um zu machen 
jeden Stich,
lichtend so 
das Heer der Wehen,
die zu meiden 
nie gelingt,
weil man, muss es,
in sie sinkt:
Grad wenn man 
nur sich austrinkt;
ist nur selber  
sich zu Lehen;
lebenslang 
sich untertan:
Sinn- und Selbst-
Bedeutungs-Wahn.

Zwischenbemerkung III (29/1712)11

Freilich: ich verstehe das,
dass man alles krallen will,
was es gibt an Wie und Was,
Weiß man doch, 
einst wird man still
Allvergeblichkeit eingehn.

Zwischenbemerkung IV (29/1713)12

Reiß dich endlich mal zusammen!
Achte auf Gegebenheiten,
nicht uns dienend als die Ammen,
die versprechen uns zu bergen,
zu versorgen gar mit Glücken,
bis wir selig dann verzwergen
Fakten- und Bewusstseins-Lücken.

Also auf Gegebenheiten
wie die Macht so eine ist.
Die uns schnell mal lässt entgleiten
in Verlogenheit und Zwist,
Korruption, Gerede, Neiden,
hinterhältig miese List:
menschlich gängiges sich Weiten.

Zwischenbemerkung V (29/1714)13

Endlich muss man dies verstehen,
dass man nie ist, was man sollte;
muss dann klug sich selbst entgehen,
weil man tat, was man nicht wollte;
selber schuf sich Schwierigkeiten,
weil man glaubte, man verfüge 
über sich und Grundweisheiten …
Eine grobe Lebenslüge:

Niemals nämlich, keine Stunde,
ist man seines Daseins Souverän;
ist man nicht; ist eine Wunde
Spielball von Atom und Gen.

Zwischenbemerkung VI (29/1715)14

Wer auch zöge es nicht vor,
wegzusehn, als Knecht zu leben,
mitzusingen in dem Chor
derer, die nach sich nur streben?
Schon weil’s Zwang ist,
evolutionär: biologisch grundgelegt;
überhaupt ist Leidensfrist,
die Vollendung kann nicht geben.
Letztlich permanent prekär,
lästig ist als ein Bedürfen,
das zu decken ist so schwer:
Fusel sich aus Rinnsal schlürfen.

Ich für mein Teil will’s verzeihen;
schon weil’s auch für mich doch gilt:
Eine Nummer in den Reihen,
die mit Geistbetrug sich stillt.

Zwischenbemerkung VII (29/1716)15

Freilich will ich nicht verhehlen,
dass die Straßen quillen über
von selbst exquisiten Freuden.
Die man jagen darf und stehlen,
reich beschenkt mit Daseinsfieber,
es als Seins-Blitz auszudeuten.
Doch wer kann sich so weit häuten,
dass er selber sich kann fehlen,
aufzugehn in jener Läuten,
gottgeborgen sein will lieber?

Ich will (29/1717)16

Ich will auf keinen Fall mein eigner Kunde werden.
Nicht nur vom Markt, auch von mir selber dann bedroht.
Will primär geistig mich, nicht konsumtiv nur erden.
In dem Fall nur ein Austauschexemplar
auf diesem morschen Spätzeitboot,
verfolgt vom Deal-Hero, vom Drachen und vom Zar.

Grundtatsachen unserer Existenz (29/1718)17

Na ja, mich hält nun mal in seinem Griff,
wie alle uns doch ausnahmslos,
ein Alterungsprozess, der mich zersetzt,
mich schwächt, mich krank macht, legt Verfall mir bloß.
Ich laufe grabwärts: immer siecher.

Indes ich habe mich drauf vorbereitet:
Gestand mir ein, dass ich doch Zeit nur bin,
bin jeden Augenblick allein, 
verwiesen dabei auf mich selber nur.
Gelingt’s doch nie, sich mitzuteilen*,
nie zu berühren irgend Du
auf dieser ichdiktierten Daseins-Tour.

Nicht zu vergessen: Es ist Wesens-Spielerei:
Determinismus, Perspektivenzwang,
Vereinfachungsdiktate als Entlastungspfusch.
Zuweilen Lust, doch meistens Schrei.
Für einen selbst Substanz-Belang.
Rein objektiv indes bedeutungsloser Husch.

*Gelingt’s doch nie, sich mitzuteilen … hat/habe Georg Trakl schon gemeint, der österreichische Dichter: 1887-1914. Ich gebe ihm Recht. Es gelingt tatsächlich nicht.

Noch einmal/Für ... (29/1719)18

Manchmal male ich mir aus,
du würdest noch mal meine Nummer wählen.
Obwohl es ist schon zwanzig Jahre her,
das zwischen uns - was immer es auch war.
Für dich gewiss nicht viel: Entlastungs-Sex,
dich abzulenken von den Trennungssorgen,
Problemen, die dir deine Tochter machte,
den, wie du’s nanntest, Kinds-Sperenzchen 
deines Mannes.
Der Angst vor dem auch, was da kommen würde
beruflich auf dich zu: Der Neubeginn …
Ich war nur Trost dir wohl, 
dir so zu dienen als Gebrauchs-Notnagel.

Die rücksichtslose Sehnsucht zwingt’s mir auf, 
noch mal von dir
- mir Trancesucht, Seelenobdach, Körperperfektion:
sakrale Fleischlichkeit zuletzt gewesen -,
wie immer auch, was immer auch zu hören …
Bevor ich dich vergessen muss, 
dich archetypisch blonde Augenweide,
mir oft fingierte Liebe meines Lebens.

Endspurt (29/1720)19

Man denkt,
es müsse noch was kommen.
Was Großes,
wie bisher noch nie.
Allein man weiß,
das ist nur Phantasie.
Zumal man nur beklommen,
diffus auch ängstlich ist:
Es geht bergab.
Man merkt’s 
mit jedem Jahr doch mehr:
Die Welt wird fremd,
gibt kaum noch etwas her.
Der Körper bricht.
Die Zeit wird knapp.

Es kommt nichts Großes,
weil nie Großes war.
Man hat, wie alle,
so dahingelebt,
vor Wohlstand, Urlaub:
Vor sich selbst gebebt.
Sich eingerichtet.
Einsam auch als Paar.

Mehr ist nicht drin,
das wird’s dann wohl,
nur Mittelmaß, 
gewesen sein.
So leidlich leicht auch
der gewälzte Stein
des Waren-Sisyphos, 
indes der Schläue bar.

Die Leere des Daseins (29/1721)20

Auch ich hab so 
meine Träume gehabt.
Sentimentale, banale, 
biedere, gängige.
Doch übersät mit Illusionen.
Und ich verdrängte, 
dass es solche waren.
Indes vergeblich. 
Es sollte wohl nicht sein,
dass menschlich ich es zu was bringe.
Jedenfalls gelang’s mir nie.

Ob ich’s bereue? 
Ganz gewiss zuweilen.
Zumal’s belastend ist, 
primär dem Geist zu leben:
Denn der entlarvt, 
deckt auf und macht,
dass manchmal man 
bis in die Kerne sieht.
Die eignen auch, 
was immer schmerzhaft ist.
Denn was man sieht,
ist niederschmetternd:
Des Daseins Leeren, Illusionen,
naive Wünsche; alle Lebenslügen;
und dass es oft genug 
Versagen küsst.

Kaufkraftröcheln/Für Pindar von Theben (29/1722)21
(Pythische Ode VIII, Vers 95f.:*)

Da braucht es keine großen Worte:
Es ist genussekstatisch oberflächlich,
was man da leben muss als Leib-Verbraucher.
Sich wenigstens als Schein zu wahren:
Bedeutungsträchtig und beachtenswert
als selbst sich gaukelndes Prestige-Phantom.
Als Zeitgeistbarde und Systemausschuss.
Vergängnisknecht im Medienflow:
Ein Kaufkraftröcheln. Elendskonsumtiv.
Als eines Schattens Traum 
Vermarktungshülse.

*„Eintagswesen; was ist einer, was ist einer nicht? Eines Schattens Traum, das ist der Mensch.“ 

Amerika … Deutschland … (29/1723)22

Amerika - ein Massenparadies?
Das zweite Israel, Demokratie?
Ein Land, das mehr und mehr zerfällt,
an seinen Widersprüchen vielleicht scheitern wird?
Oligarchie des Mammons doch,
gekaufte Politik und seichte Lebenslügen. 
Ein inszeniertes Psychen-Hollywood
von sexbesessnen Puritanern.
Amerika, was immer auch:
Du, reiße dich zusammen,
geh in dich, schau in deine Kerne!
Auf dass nicht, was du scheinst, dich breche
und Peking in die Arme prügle.
Vergiss nicht: Deutschland gibt’s nicht mehr,
verlor an tote Tugend sich,
an Schein, an Hybris, Selbstgefälligkeit,
an primitiven Selbstbetrug,
an Reizwortpseudowerte, so verlustig
auch seiner sekundären Wirklichkeit.
Und wer denn wollte auf Gesinnung zählen,
die Ohnmachtslügen kultureller Schatten,
die fade Eitelkeit von Selbsthassvirtuosen,
Megärenhaufen, die, gediegner Einsicht bar,
erweisen sich als geistlos und empörungslüstern? …

Amerika, dies Deutschland braucht dich sehr.
Der ingeniöse Han-Chinese ist uns überlegen.
Weiß Macht zu brauchen, rücksichtslose,
totalitäre Übermenschenphantasien,
den Alptraum auch des digital geformten 
Neuen Menschen.

Einer seelisch mittellosen Existenzschauspielerin gesagt (29/1724)23

Meinst du, ich wüsste nicht, dass deine Albernheiten
und inszenierten Witzeleien, 
kurzum dein Kunden-Ich-Theater,
stets angstspontan doch vor mir aufgeführt,
dich auch bewahren sollen vor mir als Person:
Verpflichtet Einsicht, Wahrheitstreue, Lebensernst,
der manchmal zwingt, sich dem zu stellen, 
was faktisch ist (nicht als begehrter Schein):
Die aggressive Ethik-Litanei,
Vermarktung von Entseelungsterror,
der Machtsuchtdilettanten Hochmutsspiele
als wertschätzungssensibler Strategie,
Inkompetenz und Korruption zu decken,
ist man doch Büttel von Finanzeliten
… und seiner selbst …
Nicht freilich fähig mehr, sich zu sich aufzuraffen:
Es fehlen Selbstabstand und Geisteskräfte,
entlastungsmetaphysische Verzauberungen …

Ich darf dich also bitten abzusehen 
von deinem lächerlichen Ich-Gehabe,
sonst sage ich dir, wer du bist.
Was innerlich dich dann versteinern ließe,
hättst du gesehn doch jene Felsenrosen,
auf denen wir in unsre Zukunft wachsen,
zum Maskenspiel hin technologischer Gorgonen.

Heimweh nach Deutschland (29/1725)24

Heimweh nach Deutschland habe ich,
nach jenem Land, 
dem Halt- und Sinn-Fiktionen ich verdanke.
Sogar mich selbst, 
hat seine Sprache doch -
sie hat es, sie allein -
es mir ermöglicht, 
mich als Person und Geistesträger auszudeuten, 
dem Kollektiv verdankt,
das sie geschaffen hat …
Die letztlich doppeldeutig rätselhafte Muttersprache.
Der Barbarei so hold,
wie auch sublimster Todessucht
und radikalster Trance-Verwirrung,
primär auch tugendmetaphysisch inhuman.
Und doch zu einer Klarheit fähig,
vor der sich alles neigt:
Kultur, Moral und Staat.
Und auch das gossentrunkne Pseudo-Selbst,
von Geist-Los abgefallen,
deutschdumpf nun delirierend.

Heimweh nach Deutschland habe ich.
Jedoch wo ist das Land?
Es ist mir fremd geworden,
ja: ungreifbar sogar,
Reize mit Werten tauschend,
gesinnungsflüchtig fiebernd 
untergangserpicht.
Ich find’s nicht mehr.
Ich glaube, es ist tot.

Entseelungssüchtig (29/1726)25

Hab immer wieder mich gefragt:
Warum hast du weit mehr begriffen
als alle die, die existenzverzagt,
sich haben fraglos duldend eingeschliffen
Gegebenheiten, die zerstören
Person und Selbstwert, Glück und Heiterkeit;
um grade so die Illusion zu mehren
als sei sie Lust, nie Leid?
Hab keine Antwort je bekommen.
Wohl auch, weil’s keine gibt.
Sind wir doch kindisch unserer benommen …
entseelungssüchtig ichverliebt.

Warum ich so ernst bin (29/1727)26

Ja. Ich bin zynisch, kalt und roh.
Ich habe eben nicht die Wahl.
Verzwungen diesem Abstraktionen-Zoo,
von Machtsucht dominiert, Geschwafel, Zahl;
von Gaunerei, Entschämung, Gier …
Zum Vorteil asozialer Macher,
die schüren dieses geile Markt-Plaisir.
Als summum bonum präsentiert uns Hintersassen.
Auf dass wir grölten, hurten, kauften, protzten.
Von unsresgleichen selbst uns überlassen,
auf dass wir Wirklichkeitsverluste uns ertrotzten.

Tiefenseelisch gespiegelte, geschönte Großstadtbilder (29/1728)27

Ob ich nicht Sehnsucht hätte
nach dem Großstadtleben;
von London etwa, von Paris, New York, Berlin?
Das fragten ein paar junge Leute mich.

Um dort was wie warum mir zu erstreben,
was allen dröhnt als Evergreen
verbrauchertypischer Entfremdungs-Mythen?

Die Großstadt? Eine Zwangsbrutstätte
von Trostverdinglichung und Geistmiseren,
Verwahrlosung, von Güte scharf geschieden,
von Selbstverramschung und Gewissenstod.
Ekstatisch inszeniert sich selber zu verheeren
als marktgeblendeter Allround-Idiot:
Totalitär verzwergtes Pseudo-Ich? ...

In Kicks von Show, Prestigesucht und Geschwafel,
gezinktem fun an Deklassierter Tafel?
Ein Marken-Eldorado leerer Seelen,
sich kultnarzisstisch zu verfehlen?
Entlastungsräusche, untergangsaffin?

Entgleist (29/1729)28

In welcher Zeit ich lebe,
nun, das weiß ich allzu gut.
Viel besser als die meisten.
Auch deshalb, 
weil ich mich erhebe
aus dieser marktverfügten 
Mammon-Glut.
Mich mir dann Geist verwoben 
selbst zu leisten:
Den großen Überblick zu wagen.
In Selbstdistanz.
Und frei von Hass und Wut.
Indes grad das 
ist nicht mehr schwer.
Weil schon die ersten Zeichen sagen,
dass sich da eine Welt aufgäbe,
die metaphysisch leer,
sich rational verschwebe,
sich könne nicht mehr tragen.
Im Kern zumal Gewalt primär,
grad weil ja ihre Exzellenzgeschöpfe
der eignen Quelle,
der Natur, entgleisten.

Europa. An einem nicht mehr allzu fernen Morgen:
Lethargie, Anomie und die Diktatur der Indolenz 
(Geschrieben: 2007/08) (29/1730)29

Euch sage ich, ihr Europäer,
besonders euch auch,
eitel pseudogute Deutsche:
Ihr werdet scheitern 
an den hehren Werten,
die ihr beständig doch
im Munde führt,
indes sie einzulösen 
nicht imstande seid.
Moralschaumschläger
an den Phrasentrögen.
Verlogen, dekadent und 
wohlstandskultnaiv.

Die Zeit der Tugendwirren
ist vorbei,
wird weichen müssen 
wieder Machtkalkül,
Gewalt und Barbarei.
Ihr werdet kaltklug 
überlegen müssen,
was ihr mit ihren Mitteln
wohl erreichen könntet,
euch selbst zu schützen 
und des Kontinents
schon tote Schatten 
von Kulturgramkrüppeln.

Es werden Mittellose 
euch bedrängen,
Orientierungslose,
ihrer selbst entmächtigt;
ganz außerstande,
selber sich zu tragen,
notorisch antriebslos,
da geistig ohne Mittel.
So Chaos ausgesetzt,
Gewissenlosigkeit
und willenlosem Fatalismus.
Zerstörungssüchtig,
neidgetrieben,
aus Seelenarmut
kreatürlich roh.
Bar des Belebenden
- für immer - im Gemüt.

So hat’s der Daimon mir,
die Hyle auch geflüstert,
die beide um der Dinge 
Kerne kreisen,
die Niedertracht zumal
in Homos Tiefen.
Auch darum,
lang erfahren, wissen,
dass aller Barbarei 
die Tugend selbst 
gefügigste Tribade* sei.
Sie, diese Schattenmaid,
Schimäre eines
Pseudo-Strebens:
Vernunfttrance-Apriori-Sollen.

*Tribade (griech.: tribein = reiben): Lesbe

Menschliche Daseinstragik (29/1731)30

Auch um mich vor meiner eigenen 
sentimentalen Irrationalität,
Kindlichkeit, metaphysischen Sehnsucht,
Schwäche, Ausgesetztheit und inneren 
Widersprüchlichkeit zu schützen,
habe ich mich 
- immer wieder gezwungen -
von den tatsächlichen Verhältnissen, 
Gegebenheiten, Geschehnissen 
und Lagen selbst permanent dazu angeregt -
mir mein diesen allverfügtes Dasein, 
überhaupt alles:
Gesellschaft, Politik, selbst die Moral,
als zweckfrei, mitleidlos, kalt 
und barbarisch vor Augen zu führen,
d. h. die Welt ohne Realitätsverluste:
Ungeschönt und als diese 
objektive zu betrachten.
Auf dass sie sich mir als das erschließe,
was sie an sich ist:
Ein Ehrfurcht gebietendes Wunder 
einer sich selbst organisierenden Materie,
das wir, 
rational ihrer Herr geworden auf diesem Planeten,
inzwischen zu einer Hölle auf Abruf
umgeschaffen haben:
Definitiv schuldlos freilich.
Niemand nämlich will, 
noch weniger: ersehnt sich, 
den eigenen, 
wohl letztlich katastrophalen Untergang …
Sich zumal so vieler Glücke,
Schönheiten, Erfüllungsmomente 
und zarter Verträumungsentlastungen 
vollkommen bewusst.

Grundtatsachen meines Daseins (29/1732)31

Monoman mich mir verschrieben.
Selbst mich los zu sein.
Vom Bewusstsein angetrieben:
Ich bin ganz allein.

Noch im Bett ist das der Fall.
Doch das merkt man nicht.
Trieb- und lust- und drangsalprall
nur auf sich erpicht.

Objektiv bedeutungslos,
muss man sich verdrängen,
dass man hintreibt ohne Floß,
schlingernd zwischen Zwängen.

Ließ mich so von Geist aufreiben,
all das zu verstehen.
Stillen aufbewahrt zu bleiben,
Versen zu verwehen.

Daseinsauswege/Für ... (29/1733)32

Sehne mich nach deinen Trancen,
deinen Körperparadiesen.
Diesen stoffgenialen Chancen,
mich mir selber auszugießen.
Weltverwicklung zu vergessen:
Die gesellschaftlich-soziale.
Artgenossen-Deutungsmessen,
Ichsuchtmehrung; rationale.

Bilder von Dörflern (29/1734)33

Zuweilen tauchen sie, scheinbar anlasslos, in mir auf,
die Bilder von Dörflern der frühen Jahre,
überscharf dann vor meinen Augen stehend,
auch dann noch, 
wenn inzwischen mehr als sechzig Jahre vergangen sind.
Leute aus der damaligen Nachbarschaft,
die mir fast täglich begegneten:
Tagelöhner, Arbeiter, Kleinbauern.
Manche verbittert,
manche verwirrt,
manche ängstlich und unterwürfig,
ganz wenige geradezu liebenswürdig.

Längst verwehte Schatten.
Ohne Gräber (die sind längst abgeräumt).
Ich freilich erinnere mich noch an sie,
diese Unterschichtenwehen.
Wohl auch,
weil ich sehr früh fähig war,
ihre Trauer und Hilflosigkeit auch dann noch zu erfühlen,
wenn sie witzelten,
lachten,
leutselig ihre Masken zu verbergen suchten.
Dank ihrer zumal habe ich 
auch das Wichtigste über unsre Welt gelernt:
Dies,
dass sie das Resultat kalter Eitelkeit,
schamloser Hybris 
und dieser bedrückenden Hilflosigkeit 
sich selbst gegenüber ist.

Prosafetzen (380) (29/1735)34

Ein verantwortungsloser,
wohlstandshöriger Haufen
Ich-Optimierung halluzinierender
Erlebnissammler 
- oben, in der Mitte, unten -
nicht einmal dazu in der Lage 
zu begreifen,
dass er durch seine Mittelmäßigkeit
seine und seiner Kinder Zukunft 
definitiv zu verspielen 
im Begriff steht.

Kaum noch Siege (29/1736)35/Sonett

Im Menschlichen, da gibt es kaum noch Siege.
Die oft auch sind verkannte Niederlagen.
Ergebnis hochmoderner Dinggefüge,
die bis in der Gesellschaft Kerne ragen.

Man braucht sie, sei es auch als Lebenslüge,
uns zu verhehlen, dass uns nichts kann tragen
im Rahmen nihilistischer Vollzüge,
die keiner, ichschwach, sollte hinterfragen.

Es würde ihn doch lassen kollabieren
dies selber sich zerfressende Gebäude:
Komplexität vereinend, Macht-Schmu, Gieren,

sich selbst geworden zur Enthemmungs-Beute,
als die sich selbst entmächtigt zu verlieren
an ihn dann allverdinglichende Freude.

Lehre fürs Leben (29/1737)36

Was mich gehalten hat, war, paradoxerweise,
dass ich stets wusste, so mich zu vergeuden,
wie es die Lage forderte, in die geschoben
ich mich sei’s vorfand, sei es vorzufinden glaubte.

Erzwangen es primär doch schon die Herkunftskreise
mit ihren Idealen von ganz kleinen Leuten …
Die ihre eignen Träume einfach in mich woben:
„Dir soll’s mal besser gehen!“ - Ich, nun ja, behaupte,

dass ich grad deshalb früh schon ahnte, was es heiße,
mich primär nicht nach Marktbannreizen auszudeuten:
Auf dass, in Einsichtsmacht: soll heißen Geist gehoben,
ich später wisse, was mich meiner selbst beraubte.

Dorfschatten: Daseinsblitz/Eine Jugenderinnerung/
Für F. U. (2) (29/1738)37

Auf deinem Antlitz lag die tiefste Trauer.
Und die,
die hab ich nie vergessen:
Verschwiegnen Daseins Prophetie …
Gram, Wirren, Trug:
Des Iches lebenslange Mauer 
um sich und seine undeutbaren Messen.
Sich selber Danaidenkrug:
Geschöpfte Trance aus stummer Agonie.

Elitärer Solipsismus* (29/1739)38

Was kann’s denn welchen Zweck noch haben
in einer faden Zeit, wie dieser,
sich primär hinzugeben Geistesgaben,
anstatt als sanft gelenkter Lüstebüßer 
erlebnisdumpf sich aufzureiben,
sich nicht als Spielball zu gewahren,
den neoliberale Klüngel treiben,
sich mehr und mehr als Mittel zu erfahren.

Nun diesen: Einsichtsvoll sich abzuwenden
von allen Selbstwertillusionen.
Für sich allein sich dann Gedichten zu verschwenden,
so rücksichtslos als Selbstzweck zu belohnen.

*Solipsismus: Erkenntnistheoretischer Standpunkt: 
solus ipse (lat.) = ich allein. Nur das Ich oder das Subjekt allein sei das erkennbare Seiende, enhalte zumal in seinem Bewusstsein alle anderen Iche und Subjekte sowie die gesamte Außenwelt ... Diese seien nur seine Vorstellungen (Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Meiner-Verlag, Hamburg, S.112.
Ich benutze den Begriff, um - jenen erkenntnistheoretischen Standpunkt nicht teilend - lediglich dies auszudrücken: Geistig(!) bedingte Aufsichselbstzurückgeworfenheit in einer durch und durch ökonomisch-technisch-naturwissenschaftlich geprägten Welt primär - immer ausschließlicher - konsumtiv ausgerichteter Lebensvollzüge.
Ansonsten gilt: Das empirische Ich (die konkret existierende Bedarfs-, Trieb-, Deutungs- und Gesellschafts- = Leib-/Körper-Einheit wird/ist faktisch ihrer selbst entfremdet/benommen, existiert in der Regel defintiv außengesteuert und wird (anonym), was ihre inneren Regungen (noch die intimsten) anbelangt, als subjektiver Reflex auf die (nicht mehr meisterbaren) objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse (von der Reklame, über die Medien, das Internet, social media usw. bis hin zu trivialkulturellen Dauer-Gängelungen/Entfesselungen, z. B. durch die Unterhaltungs-, Sinn- und Entlastungsbelämmerungs-Industrie) aufgefasst werden müssen. Man kann das an seiner alltäglichen Lebenserfahtung leicht ablesen.

Späte Erinnerungen an ... II (29/1740)39

Es ist dieselbe Glück vermählte Stille,
wie die in jener Nächte Sehnsuchtswogen.
Als wir uns, Ichsucht ausgeliefert,
leibkrank liebten.
Uns Stunden schenkend in Genusssucht-Tiefen,
ganz unbedenklich abgerungen 
sei’s Daseinsfadheit, 
sei’s stupider Lage,
sei’s menschlich armer Umstandstrauer.
Ein Sträußchen Trost zu binden uns,
zu meiden asoziale Inhaltsschweren.

Doch auch dieselbe Stille,
die du dann zerrissest,
so angstgetrieben defätistisch dich,
charakterlos, neurotisch auch zu zeigen mir.
Als eine seelenharte, kalte Frau,
von Sektenfanatismus drastisch heimgesucht,
die mich beschimpfte,
vorwarf Gottverrat,
mir atheistisch-bösen Unperson.

Wie du, gibt’s viele, die sich selbst nicht haben,
entrissen ihrer wurden,
weil geistig mittellos sich selber fremd,
orientierungslos und ungeborgen …
Sich selbst zum Feind fanatisch hassen,
sich hilflos irgend Wahn dann zu ergeben.

Bis heute sucht mich jene Stille heim.
Magst du auch, heilsschundaggressiv,
dir es geboten haben,
dich metaphysisch vor mir zu bewahren,
dem Darwinisten, 
den du körpertief,
ich möchte sagen: stoffsakral, 
ekstatisiertest bis zum Selbstverrat.

Stoffglutfunke (29/1741)40

Niemand, 
den erreicht ich hätte,
als Person mir tief vertraut.
Niemand. 
Und das lebenslang.
Harrend stumm 
an meiner Kette:
Innerlicher Stille traut.
Geist lieb, 
wissend um den Zwang,
dass ich Schweigen sein muss, 
Leere:
Nichtigkeit und Teilchenfähre,…
großhirngottlos sich erschaut.

Verworrene Affektabfolge (29/1742)41

Was so ein Leben uns doch auferlegt!
Gewalt, Betrug, Schein, Täuschen, Niedertracht …
Wir brächten um uns, scheint’s,
wenn wir genau es wüssten.
Zumal grad fassten auch die allgemeinen Gründe,
die unabänderlich sind vorgegeben:
Intelligenzgewalt als Überlebensstrategie;
der eitle Geist als Sinnzerstörungs-Quelle;
der Tugendlitaneien Trostgefasel …
Kein Wunder,
dass die meisten ängstlich meiden,
sich objektiv: drum wissend sich zu inszenieren …
Nicht Scham und Trübsal zu verfallen,
dem ödem Selbstverachtungshohn,
der Psychen-Plackerei prekärem Grundversagen …
Dem Schicksal derer,
die sich selbst zu meistern
definitiv doch nicht gewachsen sind:
Sich nie erheben werden über sich,
geworfne Triebgefüge in dies Rätsel Sein.
Erahnend manchmal,
dass sie sich versäumen:
In stummer Stoff-Farce Mitleidlosigkeit.

Alltäglicher Lebensvollzug (29/1743)42

Er muss in jedem Fall was bringen:
Sei’s Nutzen, 
Lust, 
Erfolge und Prestige;
sei’s etwas,
was narzisstisch hält im Lot …
Nur so gelingt’s, 
sich aufzuschwingen,
den Sinnverlusten scheinbar zu entgehen:
Dem Nihilismus und der Seelennot
und all den inhaltslosen Dingen,
die für ein Existieren stehen,
das längst schon aus dem Ruder lief,
weil ohne Wert- und Geist-Gebot.

Ich muss es wissen: Daseins-Spezialist,
dem nichts hier fremd, gar: Ekel ist.
Dem's zumal nie gelang, sich selbst zu haben:
sich vollends zu verlieren in der Gottheit Waben. 

Erzwungene Charakterlosigkeiten (29/1744)43

Ich vertrete Werte, 
die ich verachte.
Ich rede mit Leuten, 
die mir verhasst sind.
Ich kaufe Bücher, 
die ich nicht lese.
Ich maße mir Kompetenzen an, 
die ich nicht habe.
Ich täusche eine Persönlichkeit vor, 
die ich nicht bin.

Und all das, 
um innerlich 
den Verhältnissen zu entkommen,
die mir genau das aufzwingen; 
eben weil ich sie meiden möchte.

Ich muss mich also selbst korrumpieren, 
um mir vorlügen zu können,
ich sei ein selbstbestimmter Mensch.
Indes ich weiß es doch: 
Man entgeht weder irgendeiner Gesellschaft,
noch befreit man sich von sich selbst …
Ewig Büttel, 
Täuscher, 
Undeutbarer Gram.  

Verwahrlosungsgefangenschaft (29/1745)44/Sonett

Was kann mein eignes Dasein denn bedeuten?
Nun nichts, wenn ich es objektiv betrachte.
Zumal doch hin und her geworfen nur
von Medien, Marktgewalt und Zeitgeistmythen.

Ich muss zumal mich Propaganda häuten,
die ich im Grunde zwar zutiefst verachte,
doch auch begreife als Entlastungsschnur
von Halbbegabten und Moralperfiden.

Doch nicht, dass all das auch verwerflich wäre:
Wir sind in Wirklichkeitsverlust versunken,
entbehren Würde, Selbstdistanz und Ehre …

Sind tugendaggressiv von Selbstwert trunken,
sind Kunstprodukte einer Wertmisere:
Charakterlose, ratiowirre Funken.

Selbstklärung (29/1746)45

Stimmung, Gefühl, Affekt und Gedanke …
Wer könnte die in sich denn trennen?
Zumal uns doch treibt diese Stoff-Ananke
durch dies absurde Rennen:

Dies Zufalls-Rennen, dies so tief prekäre,
in keinem Augenblick doch rational.
Entfesselt als Misere:
Verstrickungs-Höhle ohne Wahl.

                   *

Nicht fähig, selber uns zu tragen
- uns, Geist verfügt, zu überschreiten -,
beschwören wir Versagenslagen,
die wir dann mittellos erleiden.

                    *

Wir sind mitnichten uns gegeben.
Sind nicht moralisch, gut und frei.
Wir greifen viel zu oft daneben.
In diesem undeutbaren Einerlei.

                    *

Und doch: Es werden manchmal Augenblicke,
da einen all das gar nicht kümmert:
Dann, wenn sie leuchten, seine tiefen Glücke,
aus denen uns Erlösungstaumel schimmert: 
Als Leibtrance, Vers, die Gnade Geist,
uns von uns selbst dann abzulösen:
Ein Rang, der auf Vollendung weist …
Entweltlichungs- statt Ratio-Größen.

Sterile Weltkloake (29/1747)46

Wozu noch Poesie?
Die Welt ist tote Masse.
Ist Reizkonstrukt für Psychen-Halali.
Vergossung ohne Klasse.

Ist ichvergessen.
Ein Gewissenstod.
Zählt auf erlebnisinszenierte Messen:
Ein Siechen ohne Lot.

Spracharm zumal sich selbst versunken,
blüht da Entmenschung auf:
Anome Horde, spätzeittrunken
in einem fungedopten Lauf.  

Totalitäre Ratio (29/1748)47

Ach diese neuronale Selbstentmächtigungsmisere.
Die ist doch nicht mehr aufzuhalten.
Weshalb ich selber ab mich kehre
von ihren würdelosen Grundgestalten.

Sei’s denen oben, denen unten,
sei’s diesen tugendaggressiven Histrionen*:
Den prototypisch allgemeinen Kunden
und ihren Untergang geweihten Daseinszonen.

Dass sie sich ausgeliefert sind, das weiß ich wohl.
Auch um den Gigantismus, der sie hilflos macht.
Sie können sich nicht Mitte sein und Pol:
Totalitärer Ratio längst verbracht.

*Histrion griech.: Schauspieler

Scheinbar rätselhafte Bemerkungen (29/1749)48

Ich hab versucht, 
was draus zu machen
aus dieser späten Existenz
von Geldmarkt-, Lust- 
und- Trug-Vollzügen …
Für Individuen, 
sich selber Sachen.
Wohl wissend um die frechen Lügen 
von Würde-Exzellenz,
von Gleichheit und Vernunft.
Was aufging nämlich, ist die Saat
ideologisch primitiver Zunft
von repressiver Toleranz:
Verheiligt wurde auch Gesindel.
Man liegt vor ihm im Staub,
charakterloses Bündel,
von sich ergriffen faktentaub.
Mir reicht es jetzt.
Ich sag mich von euch los,
die krankhaft eitel ihr, verhetzt,
bezahlen werdet diesen Tugend-Kloß.

Wiederkehrende Erinnerung an ... (29/1750)49

Deiner gedenke ich,
entfesselungstrunken 
einer Spätnachtkühle hingegeben,
gedenke deines Leibes.
Haltkrank vor Sehnsucht
nach seinen seufzerreichen 
Umnachtungsfeuchten,
nach seiner orgiastischen Zügellosigkeit,
nach seinen stoffgenialen 
Selbstzertrümmerungsgelegenheiten.
Die er mir,
nach jeder Art 
von hedonistischer Entlastungsbelämmerung hechelnd,
so rücksichtslos gönnte.
Dieses herrliche Fleischwerk aus Ichsucht, 
Trivialmaterialismus und Evolutionshörigkeit.

Indes der Mond 
langsam über den Nachthimmel wandert,
gleichgültig wie der Wind,
der die Blätter der Bäume wiegt,
sirrend die Weisen stiller Vergänglichkeit
unter den schwarzen Fluten des Nachthimmels.
Beide die Große Nichtigkeit mir bezeugend,
deren Auswurf ich bin,
Monade der Großen Vergeblichkeit,
die haltlose Flüchtigkeit 
menschlichen Daseins bezeugend …
Die für Augenblicke dein Erlösungsstöhnen
einst so tröstlich zum Schweigen brachte.
Unvergessen. 
Grund mir zu tiefster Dankbarkeit.
Bis zum Ende deiner mich zu erinnern.

Faktenschulung (29/1751)50

Ich lebe nun mal ohne Illusionen.
Ich kann es gar nicht anders.
Ich habe niemals mich doch hingegeben
sei’s Tugendoptimismus, sei es auch
verführerischen Wirklichkeitsverlusten.
Zumal was ich erfuhr, ernüchternd war:
Verschlagenheit, Gewalt und Niedertracht,
dass diese Welt die des Verruchten sei.
Sein muss: Der neue Mensch ist stets der alte,
der die Gesellschaft mit sich selber flutet,
auf jeder Stufe sie zu seiner macht.
Zu allen Zeiten. Überall. 
Auch noch als Hochglanzedelaffe
digital sich optimal verknechtet.

Gott nah (29/1752)51

Ich habe vieles nicht verstanden.
Wahrscheinlich gar 
das Allermeiste nicht.
Was soll’s?
Ich werd ja wieder 
kommen mir abhanden,
werd wieder eingehn 
in die tiefste Schicht.
Aus der das Ganze einst 
per Zufall kam:
Aus der Materie ... 
Ein Meer von Gram,
Brutalität, Gewalt
und Grausamkeit,
selbst eines von Versagenslust.
Indes die Mutter auch 
von Würde und von Stolz,
von Ehre, Großgesinntheit,
Güte, Scham.
Sich ihrer so als Geist bewusst:
Sich selber überschreitend
Gott nah im Gedicht.

Materieauswurf (29/1753)52/Sonett

Sich selbst doch ausgedeutet nur gegeben 
- als sekundäre Drangsalperspektive -,
bleibt man sich selbst und andern ganz verschlossen:
Ein sprachfundiertes Geist- und Wert-Gefüge.

Man hat sich nur als permanentes Streben:
Als biologisch multiapokryphe* 
Ich- und Sozial-Gewalt, aus Stoff gegossen -
Mitnichten Abbild gottverwandter Züge.

Das kann nur heißen, man ist allgebunden,
muss, Zufallseinheit, von Fiktionen zehren,
von subjektiver Träumerei geschunden,

Bedeutungsnieten unbewusst sich mehren.
Verfügt sein Leben lang - in allen Stunden -
dem Gaukelspiel der eignen Daseinsleeren.

*apokryph griech.: unecht, untergeschoben, heimlich,
schwer erkennbar

Auch ein Zwang (29/1754)53

Erzwinge manchmal 
ein paar Reime.
Das fordert 
und es hält stabil.
Es gaukelt Rundung vor 
und Ordnungs-Keime.
Wenn auch nur kurz -
als bloßes Kindsgefühl.

Eine Art von Untergang (29/1755)54/Sonett

Wie radikal präzise ist das jetzt durchschaut,
dies würdelose Selbstbetrugs- und Ichsucht-Spiel
kapitalistisch kalter Asozialität.
Für Gram-Monaden, von Verwahrlosung ergriffen.

Finanzweltehrgeiz, der auf Barbareien baut.
Auch zu verbergen, dass er, ohne jedes Ziel,
sich seinem eignen Untergang entgegen bläht.
Doch pathologischem Berserkerwahn verschliffen.

Indes ich glaube nicht, dass das zu ändern sei.
Hier tobt sich nämlich aus, was man erwarten muss:
Die menschlich ganz normale Durchschnittssauerei …

Der geistesarm bornierte, optimierte Stuss.
Kurzum: Das inbrunst-infantile Einerlei
von Gott entlaufenem Evolutionsausschuss.

SMS (94)/Ich armer Tropf der Geist-Einfalt//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen 29/1756)55

Mal warn‘s die deutschen Übermenschenden.
Mal auch die deutschen Tugendpfaffenden.
Mal sind’s die Sprüche deutscher Pythien* …
Von Weltbeglückungsunsinn gibt es viel in diesem Land.
Man denke nur an die Besternungswut-Taliban*innen,
auf dass die Tugend blühe und das Laster schweige.
Seit Jahren bin ich deshalb depressiv, weil weder gay,
noch bi, noch trans, noch inter - so nicht queer.
Wenn das weitergeht, werd ich mir selbst zerrinnen,
definitiv dann mehrfachexistent - und (ach) gar mehr …
Wahrscheinlich Vollidiot als deutsches Tugend-Tier.

*Pythia: Die Apollo-Priesterin in Delphi, die, in Trance 
versetzt, rätselhafte Antworten auf ihr gestellte Fragen gab

Nirgends zugehörig (29/1757)56

Ich habe viel zu viel getrunken.
Un vin de France, un rouge, un sec*.
Und das erinnert mich an die Spelunken,
wo er sich traf, der Unterschichtendreck.

In jenen ach so fernen Jahren.
Da ich so vieles lernte.
Die krasse Perfidie der Pöbelscharen,
die einen von sich selbst entfernte.

Und dennoch will ich ihnen dankbar sein.
Sie halfen mir, mich zu begreifen:
Ein Leben lang allein,
muss man auf Tugendillusionen pfeifen.

Vor allem die der Intellektuellen.
Die nicht das Schwarze unterm Nagel taugen:
Naive Weltanschauungsdellen,
sich Idealen auszulaugen.

* Un vin de France, un rouge, un sec. 
Ü. Ein Wein aus Frankreich, eine roter, trockner

Die Gaben des Zeus (29/1758)57

Bei Platon habe ich gelesen,
im Mythos des Protagoras,
dass Scham und Rechtlichkeit das Wesen,
die Kerne seien und das As
für das, was Staat meint, Solidarität
und Schutz und Beistand und Gedeih.
Weit mehr als technisches Gerät.
Nur seelisch so gebunden, sei man frei.

Mit andern Worten: Der Narziss
und Tugendschnösel kann das 
gar nicht leisten:
Existenzieller Spliss,
perfide, wie die meisten.
Ein objektiver Wertidiot
als eitel-dekadenter Ich-Schauspieler,
der Grundvertrauen zu vernichten droht
als geistkorrupter Phrasendealer.

Existenzielle Perspektive (29/1759)58

Die  Markterfolge sind es nicht;
und auch nicht Liebe
(dies Naiven-Surrogat);
am allerwenigsten ist’s freilich Macht …
sich selbst zu sein ein Sinngericht,
das einen über sich hinaus dann triebe, 
befähigte, zu schlagen diese Schlacht,
die man das Dasein nennt, dies Traumgesicht,
doch immer ausgesetzt sei‘s Zufall, Schicksal
sei es Herkunftsschicht,
sei’s objektiv prekären Lagen.

Allein der Geist mag einen halten,
ja letztlich ganz allein nur tragen,
so, dass man niemals sich entgleist.
Wiewohl grad er wird einem deutlich sagen,
dass man ist lebenslang verwaist.

Aufrichtige Dankbarkeit (29/1760)59/Sonett

Es ist nicht leicht, sich täglich abzumühen
mit diesen körperlichen Einschränkungen,
die einen niederdrücken, manchmal treiben,
zu resignieren dann in Schicksals-Wehen.

Man schafft es einfach nicht mehr, aufzublühen,
ist sich als Organismus-Last gedungen.
Und weiß, man wird das bis zum Ende bleiben,
verkettet biologischem Geschehen.

Indes: Wenn solche Zeilen noch gelingen,
dann hat man keinen Grund sich zu beklagen.
Darf man durch sie sich selbst doch überspringen:

Aus seines Leibgefüges Schmerzen tragen 
um dann zu danken diesem Unschulds-Ringen,
dass man es geistig durfte überragen. 
 

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