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Diese Seite enthält 59 Gedichte (46 Prosa-, Reim-Gedichte und 13 Sonette)

Schlichtes Gedicht/Für Arthur Schopenhauer/
Für Verehrte (1642)1

In andrer Augen scheinbar was zu gelten,
na ja, das ist mir schon egal.
Ich lebe nicht in Schein-: Prestigekultwelten.
Indes auf Faktenhalden, eher schal.

Mir geht’s nicht darum, was man gilt und hat;
mir geht es darum, was man ist.
Und immer will ich sehn das ganze Blatt.
Auch Täuschung, Selbstverrat, Versagen, Frist.

Kurzum ich will den Kern erfassen.
Und bin dabei schon recht weit vorgedrungen:
D. h. ich weiß, wir lieben Luxus, 
Ich und Lust und volle Kassen.
Genetisch selber uns gedungen.

Menschen-Los (1643)2

Für uns ist alles nur Fiktion,
ist Träumerei, 
phantasmagorisch flüchtig,
wenn es um Sinn und Halt 
und Zwecke geht.
Wir scheitern unbedingt, 
sind Stoffdurstfron,
nach Deutung 
und Erlösung süchtig.
Bewusstseinsknechtung, 
die sich selbst verweht.

Selbstvergewisserungen 3 (1644)3

Nach all den Jahrzehnten
sehe ich,
deutlich wie nie,
dass schon im Anfang
das Scheitern bereit lag,
schon in der frühen Kindheit
alles auf Rand wies,
Alleinsein 
und das Fingieren 
von Entlastungssurrogaten.
Nicht,
dass man es 
selber wollte.
Nicht, dass es 
von irgendjemandem 
so gewollt worden wäre.

Traumwandlerisch gleichsam 
gleitet man,
als ob da 
eine Notwendigkeit 
diktiere,
vorbei an Du und Wir,
um sich am Ende
in all den selbst-
wie außengewirkten 
Wahnverknüpfungen 
einer von niemand
schuldhaft
zu verantwortenden Existenz
noch einmal
kraft- und alternativlos
selbst
zu versäumen.

Gleichungs- und Verfahrens-Virtuosen (1645)4

Von Seins-Gefechten handeln doch die meisten
der hier versammelten Gedichte;
heißt davon, dass wir uns entgleisten.
Das mussten, auf uns selbst doch zwangserpichte

Vollender radikaler Rationalität.
Die zwang und zwingt, was ist
- und so uns selbst zugleich auch - umzuschaffen.
Und nun, so scheint‘s mir, ist’s zu spät
für uns so analytisch hochbegabte Affen.

Ich muss gestehen, dass ich niemals Hoffnung hegte,
wir könnten je uns selbst entrinnen.
Doch Stoffgebilde; und als solche festgelegte,
die Daseinszwänge solcher fort zu spinnen.

Auch dann noch, wenn wir ahnen, was wir tun:
Weshalb wir doch auch Ideale schaffen:
Uns zu betrügen, uns entlastungsopportun
in Trost- und Rausch-Schimären zu vergaffen.
 
Eine durchdachte Sicht auf die Pop-Musik (1646)5

Ohne diese allgemeine Primitivisierung
durch die kapitalistische Wohllebensreligion:
Daueremotionalisierenden Schundkonsum,
puritanische Deerotisierungsgeilheit
unterleibsdiktatorischen Pan-Narzissmus,
geldwirtschaftlich gewirkte Blasiertheit 
und diese unermüdlich wiederholten 
Strategien umnachtender Entfesselungszwänge, 
die jede Art radikaler Anpassung 
als Depersonalisierungslust nach sich zieht,
wäre die Okkupation der Innenweltbestände 
durch Pop-Musik in allen ihren Ausprägungen,
gar nicht zu verwirklichen gewesen.
Da inszenieren sich Universalinfantile,
plärren ihre Underdog-Kakophonien,
unterstützt von aufpeitschender Licht- und Sound-Technik,
in die Behelfsseelen magisch Desorientierter,
liefern zugleich die Verdummmungsfeelings 
erregender Verknechtungsgeborgenheit 
(to be free, wild, lewd, cool and sexy)
und führen so dem Markt die Bedarfs-Iche zu,
die er auf ideale Verbraucher reduziert hat …
Weshalb ich diese Drangsalmaschinerie
als wesentliche Systemstabilisierungsmacht
aus politisch-ökonomischer Sicht 
tatsächlich klugerweise akzeptieren sollte,
passt sie die Fans und Konsumenten an die 
permanent labilen Verhältnisse doch an, 
okkupiert die rauschaffinen Psychen,
macht sie begriffsarm, stimmungsfad
und kaltsentimental unkritisch naiv:
Als affekttotalitäre umfassend ausbeutbar.

Krank (1647)6

Bloß eine lächerliche Grippe.
Ein Virus, so ein Winzling nur.
Und schon ist’s aus 
mit Wohlbefinden, Kraft und Geist.

Versagen greift, dies Stoffgerippe,
das man als Abbild Gottes preist,
zerfällt zu strauchelnder Natur,
wird fleischgeplagtes Kartenhaus.

Erfährt sich drastisch
als verdeckte Hippe*,
die sich sofort als dauerscharf erweist
im Wüten dieser Leib-Tortur.

*Hippe: Sense, sichelförmiges Messer

Wochenendaussichten (1648)7

Freitagnachmittag: Die Dienstschlussfreuden
sickern tiefer ins Bewusstsein als zuvor.
Fast 70 Stunden liegen vor mir, 
zu vergeuden
mich diesen Spaß-Events im großen Chor
der Wochenendentlastungsschübe:
Der Traumweltmache 
und Vergnügungsrunden.
Tatsächlich wirken diese Fremdantriebe:
Man ist sich sozusagen 
aus sich selbst gewunden.
Man fühlt sich fit, 
ist optimistisch, 
gut gelaunt,
will was erleben, 
gängig sich vergnügen …
Man lässt sich lüstern reizen 
von Effekt und Sound
zu rauschhaft inszenierten Lebenslügen.
Man nimmt sie hin 
als Strauß von Lebensfreuden.
Verdrängt, dass Umsatz man 
und Selbstbetrugsbedarf vergor.

Sehr spät I (1649)8/Für homo sapiens bambergensis

Du, mein Sinnmysterium
triebsakraler Lethe-Reiche,
machtest dieses Leid mir stumm,
stoffverströmt in Trancebereiche.

Es geht abwärts. Ich verfalle …
Dank noch mal für jene Stunden,
leibekstatisch war’n sie alle,
Körpersucht verbunden.

Werden niemals wieder werden.
Seelenschatz nur noch für mich:
Drangsal-Sehnsucht mich zu erden.
Noch wenn’s dunkelt einst im Ich.

Ich-Verzichte (1650)9

Ich-Verzichte? - Jeder lacht,
zeigt ein müdes Lächeln mir:
Wie kann man auf all die Pracht
nicht sich stürzen, wund vor Gier?
Die fast alle können kosten:
Sex und Urlaub, Drogen, Spaß,
Gleichgesinnten zuzuprosten, 
ohne Mitte, ohne Maß.
Sich ergattern Geld und Posten,
immer schwenkend volles Glas,
Glücke jagend, Geltung, Macht?

Eigentlich will ich nur melden,
dass ich gutes Leben hatte,
wenn ich - und das war nicht selten -
hoch mir legte dieses Daseins Latte,
aufging etwa Einsichtstiefen,
sprachlich hochkomplexer Kunst.
Selbst mich los war, meine Schiefen,
brauchte keine fremde Gunst.
Keine Anerkennungslügen,
keine Ratio-Abstraktionen.
Von mir frei, mich einzufügen.
metaphysisch toten Zonen.

Richtungslos (1651)10

Ich wollte einfach eine Richtung finden
in dieser richtungslosen Zeit.
Mich nicht begnügen mit Erlebnisfinten,
Behelfsbegehren, Shows und coolem Schneid.

Mit aufgeschwatzten Surrogaten,
Beziehungstremor* und geborgten 
sei’s Emotionen, sei’s narzissmusfaden
Zynismen, die mich flach umsorgten.

Gefunden hab ich freilich keine.
Es gibt sie nämlich nicht.
Denn wo Betrug regieren, Show und Scheine
da gibt’s kein Sinngewicht.

Man feiert sich um Kopf und Kragen.
Von Stumpfsinn übergossen.
Von fadem Nichtbesagen,
dem Idiotismus dieser Welt verflossen.

Sehr Spät II (1652)11 Für homo sapiens bambergensis

Da sind die Schmerzen, 
die mich plagen.
Die Einsichtschweren (mehr denn je).
Das frühe Existenzverzagen:
Verfügt in Russlands Schnee.

Dann dieses Faszinosum auch 
von Geist:
Durchschaut schon längst 
als blanke Illusion.
Auch das etwas, was mich zerreißt …
Wer dient schon 
obsoleter Einsichtsfron?

Und dann noch diese große Liebe,
die ich verbarg dir, 
weil ich wusste,
dass sie uns beide sich zerriebe …
sind wir doch Zeitgeistdruckverluste.

               *
Aphrodisisch* mir Elysium:
Drangekstase: Hyle-Messe.
Nachmittags-Delirium
asozialer Feinst-Exzesse.

*aphrodisch griech: Die Göttin des Geschlechtsverkehrs -
Aphrodite - betreffend

Weisen existenziellen Entlastungshandelns/
Sonett (1653)12

Ach dieses indolente sich Verträumen:
begrifflos stumm von Reiz zu Reiz getragen,
sich inszenierungslüstern zu versagen 
die Last der Einsicht, dass man sich versäumen,

verkaufen muss, sich nicht mal auf kann bäumen:
Gelernter Konsument von marktgewirkten Sagen …
Man dürfe selbst sich sein, man dürfe wagen
Glück, Freiheit, Tugend, Selbstwertüberschäumen.

Doch das ist Geistverrat, nicht zu vermeiden:
Wir alle müssen dieses Leben führen.
Ist es doch das von Traum und Selbstvergessen,

sodass an Fakten wir erst gar nicht leiden.
Vielmehr uns Lebenslügen inszenieren,
weil längst von Einsichtsängsten tief besessen.

Eine Lebenserfahrung (1654)13

Das eigne Dasein ist Sozialkonstrukt,
Ergebnis so von Zeitgeistzwängen.
Und man ist klug, wenn man sich diesen duckt,
zumal entkommt nicht ihren Fängen.

Man ginge, frei von ihnen, auch zugrunde.
Weil asozial man würde streben:
Man wäre dann nicht Psychen-Kunde,
nicht Warenglück ergeben.

Wär zumal Neidern ausgesetzt, 
gemieden und verhasst.
Weil Geistesdasein andere verletzt,
sie zeigend sich als Daseinslast.

Als ausgeliefert objektiven Mächten;
genauer: den globalen.
Die psychisch die Person verzechten,
uns formten längst als deren Schalen.

Daseinsspäter Bewusstseinshusch (1655)14

Der Zeit höre ich zu:
Der trippelnden Monotonie
des Uhrzeigergeräusches.
Überströmt von Melancholie,
Seelenschwere und Existenzekel..
Zufallserinnerungen 
suchen mich heim:
Mein Gehirn zeigt 
Gesichtsbilder mir,
Körpersilhouetten, 
ruft herauf mir 
die Laute von Namen auch.
So fremd. So fern. So deutungslos.
Mein eignes Spät zuletzt: 
Der schleichend stille Leibverfall
fährt mitleidlos mich an.

Bitterer Augenblick/Für … (1656)15

Dein junger Körper, dieses makellose Gebilde 
erotischer Verwirrungsmächtigkeit,
tritt auf mich zu 
mit verdeckt-lüsternem Anmutslocken.
Ein Wunderwerk sich selbst organisierender Materie.
Ach du Feine, du Augenblicksgöttliche …
Eines Wachgespinstes Leibmagie 
in später Nacht von einer tiefen Sehnsucht 
mir lichtklar zugewürfelt.
Trauer macht es, Scham, Bedrückungslast.
Müsste ich ihm doch eingestehen,
ein bitterer Augenblick, 
altersschwach und einsichtshypertroph geistdeformiert,
ihm jene Glücke nicht mehr schenken zu können,
die er einst hemmungslos genoss
an jenen verantwortungslos-asozial tiefen,
längst für immer verschwundenen Nachmittagen.

Selbsterniedrigung und Erlösungserotik/Für … (1657)16

Obwohl als Mensch du nicht viel taugtest
- ich-, genuss-, prestige- und luxussüchtig -
denke ich jetzt, nach deinem Tod, 
doch öfter an dich, als ich es zu tun
mir zuvor würde eingestanden haben,
damals, als du mich hast fallen: 
im Stich gelassen;
verschwiegen sei der Grund 
erbärmlicher Niedrigkeit.
Indes sehnsuchtskommandiert 
immer häufiger triebtrunken verwirrt 
von den Erinnerungen an jene Entlastungsglücke: 
zitternden Gliedern 
belämmernden Geborgenheitsnischen -
Welt distanzierend, 
Sinnlosigkeitsanwandlungen
und all die bedrückenden Einsichten, 
die mich heimzusuchen, 
ich nicht hindern kann -,
in ihnen orgiastisch erlöst dann. 
Radikal kommandierend.
Wie damals,
sexdrastisch auch danach lechzend
für ein paar Stunden zu entrinnen
alltäglich spürbarer, definitiver 
Vergeblichkeitsverfallenheit.

Über mich Außenseiter (Trias C) (1658)17

Biosoziale Monade,
Marktverfügungsmasse
und mir selbst und andern Mittel,
bedeute ich gar nichts.
Ich hatte nur das Glück,
in einer Zeit des Friedens
und materiellen Wohlstands
mich, solange ich als Kunde,
Arbeitnehmer und Steuerzahler
meinen Pflichtteil 
zu dieser Gesellschaft beitrug,
privat nach Belieben 
absitzen zu dürfen …
geistmonoman 
inmitten global entfesselter 
Dinghörigkeit.
Unbehelligt vor allem 
von anderen:
Ihren Einfällen,
ihrer Erlebnissucht,
ihrer Selbst-Verfallenheit 
und ihres sie lückenlos
steuernden Tauschzwangs
- dessen Faszination,
Ablenkungs- und Entlastungspotenz 
ich als erstrebenswerte Zwecke
durchaus nachvollziehen kann -

Geistmonoman? Ja. 
Für faktisch nichts 
und wieder nichts.
Trotzdem: Mehr kann man, 
im wachen Bewusstsein 
unserer Anfälligkeit 
für Unstete,
Irrationalität, 
Selbstverlustträge
und bestrickende Barbareien,
realistischerweise auch nicht 
erwarten oder gar verlangen,
wenn’s darum geht, 
Welt, Wir, Du und sich selbst 
klugerweise zuweilen 
völlig zu meiden.

Der ‚Neue Mensch’ des Kapitalismus/Sonett (1659)18

Dem Wohlstandstaumel kann ich nicht entgehen:
Der dionysischen Entfremdungskrake.
Fakt ist, dass man global sich schönt die Lage,
um sie mit Optimismus zu versehen.

Sei unsre Welt zentral doch Zielgeschehen,
das eine Antwort gebe auf die Frage:
Was soll er sein, der Mensch? Nun: Nie mehr Plage …
frei soll er sein von allen Daseinswehen.

Das wäre dann das kulturelle Ende:
Vor allem das der kantischen Person …
Die letzte Stufe jener langen Wende

zu einem Diesseits ohne Religion,
zu einem Dasein ohne Sinngelände,
Verstand verfügt; heißt: digitalem Mohn.

Ausnahmslos (1660)19 

So wie eure Gier, euer Stumpfsinn, 
eure spaßhungrige Indolenz
und empfindsame Selbstaufgabe
euch schleichend überwältigen,
so mich, gewaltträchtig, mein Ekel 
vor diesem Evolutionsausschuss
kindisch-aggressiven Kreaturen-Gesindels,
das wir doch alle, ausnahmslos, sind.
Unfrei. Uns selbst nicht gewachsen.
Schuldlos uns Deutung, Zweck 
Gehalt und Sinn vorgaukelnd.

Zuweilen intolerant und tugendwirr 
fundamentalistisch (1661)20

Was soll ich geben auf die Intellektuellen?
Ich meine manche dieser lauten heutigen.
Die hybrisarrogant sich selbst darstellen,
als Schlag von toleranzdünnhäutigen
Verfechtern eines Menschenbilds an sich:
Verfügend über ein paar hundert Worte.
Kein Wunder, dass dann ihr verwirrtes kleines Ich,
sich auch mal aggressiv verorte.
Sich mal auf Unbegriffnes auch berufe
(Gesinnung zählt, nicht scharfe Analyse)
und als zu strafen den einstufe,
der inkorrekt „humanity“ vermiese.
Weil eben nicht ein Zeichen nur will setzen,
vielmehr versucht, Komplexität zu greifen.
Was jenen freilich gilt als Hetzen,
zumal Politmoral sie keifen:
Teil einer Zeitgeistzwangs-Inquisition,
die sich erfrecht, was sie nicht kann:
Zu scheiden Wirklichkeit von Ethikmohn
und Geistfinesse von Phrasenbann.

Diese Daseinswunde (1662)21

Der Herbstwind treibt 
die Blätter durch die Straßen.
Wie uns die Zeit 
durch Tag und Stunde.
Uns zu erhaschen 
Daseinsbasen,
mit Hilfe ihrer auszuheilen 
die Wirren mancher 
Schicksalsschläge:
In Träumen etwa 
zu verweilen,
dass man,
erlebnisselig träge,
entränne dieser Daseinswunde,
weil in den Armen
des Vergessens läge,
verschont von sich,
Verfall und 
Menetekel*-Zeilen.

*Menetekel: Unheildrohendes Zeichen; s. AT, Daniel 5, 25

Toleranz, Macht und Gewalt/Sonett (1663)22

Idealismus rationaler Toleranz,
will mich belehren, dass nur diese uns erhöhe,
zu guten Menschen mache, gleichsam Akzeptanz
in jeder Hinsicht schaffe, die selbst Macht verstehe.
Die doch ansonsten sehe nur auf ihren Glanz,
gerissen, taktisch klug und lockend hintergehe.
Denn wer berührt sie habe, wolle sie dann ganz.

Indes ich glaube nicht an Toleranz und Güte,
an Gleichheit, Freiheit, Tugend … Aber an Gewalt.
Dass sie es sei, die uns vor uns zuletzt behüte.

Ja an der Wurzel stehe unsrer Seins-Gestalt,
die sich, behaupte ich, als Ich-Drangsal uns schmiede,
nur ihren Vorteil sehe; klar, gewissenskalt.

Stoffverflachen/Sonett (1664)23

Verleugnet hab ich meine Herkunft nie.
Schon um nicht meine Wurzeln zu vergessen.
Die mich doch prägten bis ins Wesens-Wie,
mein Was verrieten noch in Tränennässen.

Was war’s denn? Welttheateramnesie*
am Schreibtisch, im Vollzug sozialer Messen,
mich durch zu täuschen (auch per Banausie) 
durch diese artfatalen Ich-Tristessen.

Ich hab mir vorgemacht, was vorzumachen;
sei’s anderen, sei’s mir, sei’s sogar Du.
Grad weil ich wusste, wir sind faktisch Sachen.

Und die, die fragen ganz umsonst: Wozu?
Dem Tod verfügt, im Leben ohne Wachen.
Ob oben oder unten: Stoffverflachen.

*Amnesie griech.lat.: Erinnerungslosigkeit

Selbsteinwand/Für … (1665)24

Ich habe es 
zuweilen selber satt,
so negativ 
die Welt zu sehen.
Denn dass auch sie
Vollendung hat,
dass sie kann Glücke 
ohne Makel säen,
das machst schon du allein, 
du bist sie ja:
Ein Leibsuchtgral, 
so jenen magisch nah.

Die letzte Zuflucht (1666)25

Einsamkeit -
die letzte Zuflucht mir,
mich selber zu bewahren.
In einem Seelenraum, 
von andern unerreicht,
mir deutungslos zu werden …
Mich selbst los 
hinzugeben ihr,
der tiefen Stille 
und der raren
Verflüchtigung, 
der alles weicht.
Mich meiner Nichtigkeit 
bewusstlos dann
zu erden.

Was will ich mehr?  -
Ich durft’s erfassen (1667)26

Was will ich mehr?
Hab ich doch vieles 
scharf begriffen: 
So etwa auch doch 
diese Mär:
Dass unser Dasein,
Sinn verschliffen,
ein Hort von Glücken,
ja manchmal gar
Vollendung wär.
Was doch nicht sein kann,
weil wir alle greifen
nach Ich-Erhöhung,
Traum und Lust,
weil die in große
Illusionen schleifen,
zu hintertreiben 
ganz bewusst,
dass dieses Dasein 
selten ist, 
was wir von ihm 
ersehnen:
Ist es Alleinsein doch,
prekär, 
Verlust und Frist:
Ein Organismus-Joch
und leeres Wähnen,
dass es geborgen sei,
vielleicht gar
Wiederkehr.

Hochstunden (1668)27

Das Buch Kohelet etwa 
aus dem Althebräischen zu übersetzen,
schuf mir eine so tiefe Zufriedenheit 
und - ich übertreibe nicht -
Welt enthebende Seelenruhe,
dass ich mit Bestimmtheit sagen darf,
damit Daseins-Hochstunden 
verbracht haben zu dürfen,
die ich indes weder 
nachvollziehbar begreifen,
noch begründen kann.
Immerhin: Es ist letztlich 
eine metaphysische Faszination, 
begleitet von geistiger Leidenschaft:
zum einen der Bewunderung dafür, 
dass Kohelet gleich zu Anfang 
unmissverständlich sagt,
dass alles null und nichtig,
nichts also als Windhauch sei
- ein Satz, 
der mein eigenes Lebensgefühl 
so exakt wiederzugeben geeignet ist -
und zum andern für die - für  mich - 
unüberbietbare Schönheit 
der Quadratschrift,
die diese Stunden ausnahmslos bestimmten.
Und dass, 
obwohl weder von einer Glaubenskrise, 
noch von Existenzangst,
schon gar nicht 
von der Bedrückungstrivialität 
des zeitgenössischen Kundennihilismus 
heimgesucht, 
gerade ich, 
dieser völlig nichtige Zufallswurf 
einer sich selbst organisierenden 
baryonischen Materie,
vom absolutem Hochsinn
jener Stunden getragen, 
dann erahnen, ja: 
bestimmt einsehen durfte,
dass Gott - der Dämon meiner Kindheit, 
der, weder existierend 
noch nicht existierend:
eben geistig wirkmächtig -,
immer noch in mir wohnt …

Dass IHN, diese substanzgeniale Fiktion 
menschlicher Ursehnsucht,
mit dem „Bösen“ 
in dieser Welt zu belangen,
mir geradezu lächerlich 
und arrogant erschiene,
denn dieses ist das Ergebnis 
der Selbstentäußerung 
des Homo sapiens, 
dieses Großhirn-Virtuosen, 
unfähig, nicht zu versagen,
sich nicht zu verkennen,
unfähig auch, zu begreifen, 
dass er - 
wenn auch unschuldig wesensvergoren -
in die von ihm (also: notwendig) 
gelegten Fallen rennen musste:
Sesshaftigkeit, Gleichung, Verfahren, 
Gottlosigkeit, Ungeborgenheit, Hybris, 
Verblendung, Selbstglorifizierung, 
Polittugend-Verkommenheit, Narzissmus …
Kurzum: seinen Intellekt-Nihilismus,
um nunmehr sich selbst heimzusuchen …
vielleicht bis zum bitteren Ende.
In der Tat … „hakōl hābel“*

*Ü.: Alles ist null und nichtig/ist Windhauch

Realitätssinn und Bedeutungswürfelei/Sonett (1669)28

Welch Privileg! - Ich konnte selbst mich meiden,
die Fakten nackt: ganz ungeschminkt so sehen:
Bis auf den Grund, wo sie diffus sich drehen,
und nach und nach in Perspektiven weiten.

Dann, uns bedrängend, ins Bewusstsein gleiten,
uns, allbedürftig, aus der Bahn zu wehen.
Weil Wert und Stoff sich gegenüberstehen,
uns zwingen, ihren Widerspruch zu leiden.

Mich hat’s indes bewahrt vor Einschätzungen,
wie der, dass unser Dasein machbar sei;
dass wir uns menschlich würden sein gelungen,

wenn wir uns lobten nur als gut und frei;
nicht, Zeit und Rausch notwendig ausbedungen,
verlören in prekärer Würfelei.

Hilflos (1670)29

Wohl weiß ich
wie kindisch diese Hoffnung ist,
dass heben sich könne der Mensch
aus blinder Verworfenheit;
hilflos doch ausgeliefert
sich selbst, Wir und Vergeblichkeit …
stets außerstande,
sich selber zu retten 
aus unverschuldeter Ich-Despotie,
Gesellschaftsdruck 
und Ausdeutungsgefangenschaft.

Ungeschminkt/Für ... (1671)30

Wir ahnen, was es heut besagt: zu existieren:
Gefangen sein in sich, in Markt und Lagen.
Um so bewusstseinsarm sich zu verlieren
Gesamtumständen, die nicht tragen.

Die, unumkehrbar, werden stets subtiler,
uns (wehrlos) in sich aufzusaugen.
Uns, mammontheologisch immer infantiler,
auch psychisch auszulaugen.

Ein Los, dem kaum noch jemand kann entrinnen.
Um Mündigkeit und Halt betrogen,
kann er sich gängig nur noch so gewinnen:
Durch Inszenierung, Pop-Ekstatik, Sex und Drogen.

Monadenheere, wir, erpicht uns aufzugeben,
weil schicksalslos erlebnislüstern.
Bestimmt, sich Stumpfsinn auszuleben
und Ethikmohn zu flüstern.

Wir können uns nicht frei entscheiden,
schon gar nicht vor uns selber uns bewahren.
Wir werden immer an uns selber leiden:
In unsren eignen Abgrund fahren.

Nicht dass wir - noch mal - Schuld dran wären.
Uns fehlt doch jede Seelengröße.
Wir, die wir nicht mal um uns selbst uns scheren,
sind weder gut noch böse.

Erinnerungen (1672)31

Erinnerungen - ungeschönt?
Und also ganz genau genommen?
Nun ja bedrückend, deprimierend fad.
Und das gilt für die allermeisten.
So hab ich früh mich schon daran gewöhnt,
dass keiner kann sich je entkommen.
Meist gar nichts kann für was er tat.
Ein Fall der in sich selbst Verwaisten:
Ein mittelloser Spielball sich,
in dieses Sein geworfen ohne Chance.
Orientierungslos gelenktes Ich 
und objektiver Lagen Ausschuss-Trance.

Geschichtlich privilegiert (1673)32

Was habe ich - historisch - es nicht gut getroffen!
Per Zufall eben. Nicht verdient.
Ich darf sogar noch auf ein Ende hoffen,
von objektivem Elend nicht vermint.
Doch dass dies kommen wird, 
das ist wohl abgemacht.
Zumal es schon aus vielen Seelen girrt,
sich selber Gram und Last und Schlacht. 
Auch zeigt es diese progressive 
Verwahrlosung der Durchschnittsseelen.
Bemerkbar längst als stumpfsinnintensive 
Behelfsmoral, sich inszeniert zu quälen.

Absage an das zeitgenössische Deutschland (1674)/33

Was sich hier auftut, das ist nicht mein Land,
war’s - bin ich ehrlich - faktisch nie.
Lethargische Orgiastik zweiter Hand:
Effekt der Wohlstandsonanie.

Die’s treibt als Zahl und Macht bis heute.
Gemeint sind die Funktionseliten,
die, Gier, Narzissmus, Ethikschutt zur Beute,
sich längst von Wirklichkeiten haben dreist geschieden.

Indes die Leute haben kein Vertrauen,
versenken sich in Urlaub, Sport, Erleben.
Erlösungssüchtig dieser flauen 
Ersatzwelt hingegeben.

Das will ich nicht, will mich nicht selbst verdummen
mit Phrasen, Lust und Geltungsdrogen.
Mir eine Existenz zu summen,
medialem Stumpfsinn infantil verbogen.

Was tatsächlich ist. Und dann der Nacht-Mar danach (1675)/34

Ein trivialhedonistischer Nihilismus
geistig deklassierender Konsumschlaraffen:
Ein ökonomisch-metaphysischer Berauschungszwang
für gleichläufig Desorientierte.
Eine Spätzeitmonadenorgie, digital intensiviert,
sich inszenierend hin auf Untergang.
Realität, wie immer, spracharm abzuweisen,
weil nicht zu fassen mehr in diesem Hybris-Strom 
von Tugendarroganz und Ehrgeizschäbigkeit.

Ernst kann ich das schon lange nicht mehr nehmen.Wiewohl die Zwänge des Systems ich schon begreife:
Die Deklassierungsmacht medialer Alltagsniedrigkeit,
die Psychen-Hechel-Onanien kratisch* Unbegabter,
die All-Herrschaft der Siegermittelmäßigkeit,
die Panverdummung durch die Pop-Musik,
die der Bewusstseinstrübung durch Erlebnishanf,
Orientierungslosigkeit und diese Sucht nach Surrogaten,
sich eine Welt zu schönen, die nicht greifbar ist,
die man nur feiern kann als plump geschönte …
Man kaut auf Eskapismus-Rinden,
wie immer einem auch geschehe.
Man ludert hilflos hin durch dieses Dickicht
von Waren, Wirklichkeitsersatz und daueroptimierter …
Nun: Selbstverdinglichungsmonomanie.

Wahrscheinlich wird’s auch etwa so dann laufen:
Per Technomystik digitale Regressionen
in angenehme Traumwelttraufen,
damit man automatisch sich dann straffe Mohnen,
zu unterspülen alle Hirnregionen,
bestialisierend so die letzten Haufen.

*kratisch griech.: (macht)politisch

Dank I (1676)35

Indes sollst auch du wissen, Deutschland,
dass ich dir danken werde bis zum Tod
für deine Sprache, meine Muttersprache.
Geeignet, mich ein Leben lang zu führen:
Sei’s hin zu Gott, dem Seelenabsoluten,
sei es ins Labyrinth der Homo-Barbarei,
sei es ins Sehnsuchtsmurmeln der Materie,
die sich in ihr als Geistgrund darf begreifen …
Sei’s in Gedichten, die von Glücken wissen,
die nah heran an Selbstentwirrung reichen,
dies Dasein zu enträtseln als geniale Nichtigkeit.

Gedicht über sapiente Ausweglosigkeiten (1677)36

Eine Parteienoligarchie,
ethisch angekränkelt und realitätsflüchtig,
schläfert die Kundenhirne ein …
opportunistisch,
werthehr,
verantwortungslos.
Und die neurotischen Opfer von Pleonexie,
kaltschnäuzigem Narzissmus,
sie zollen Beifall,
bildungsarm,
beten die Medienmär her von Würde und Vernunft.
Frenetisch verhalten und hoffnungslos gutgläubig,
geben sie‘s auf zu opponieren …
sich ihren Kindereien,
Erlebnisbelämmerungen und Eskapismen wieder hingebend.
Paradigmata existenzieller Ausweglosigkeit.
Die einen wie die anderen:
Büttel a priori definitiv 
systemimmanenter Selbstzerstörungskräfte …
wachsend,
sich selbst multiplizierend,
von faszinierender Untergangsträchtigkeit.

Kultur/Sonett (1678)37

Kultur? Was würde heute nicht Kultur genannt?
Vom Schlagerfestival bis zum Behelfsvoodoo,
Obszönitätensprech und Tugendindustrie.
Kurz: Jeder Schwachsinn, der in irgendeiner Form
die kleinen Geister und die toten Seelen bannt
mit einem inszenierungsprimitiven Clou,
der, sprachlich halbsatzsimpel, ohne Was und Wie 
erfüllt die zwangsegalitäre Zeitgeistnorm.
Kultur ist Hochkultur. Heißt: Geisteselitär.
Distanz zu sich zu wahren, diesem Rätselknoten.
Als Würde und Person Pleonexie-Abwehr.
Sich Pflicht und Selbstenträtselung: Vernunft zu loten,
dem Sinn für Wirklichkeit primär in diesem Meer
von Barbarei. Dem Schicksal von uns Stoffheloten*.

*Heloten: Staatssklaven im antiken Sparta

Kulturbarbarei/Schlichtes Sonett (1679)38

Kultur als Medienalltagsschwall ermangelt 
verflachungssiech des Wertes überhaupt.
Meint oft nichts mehr, als dass sie tingeltangelt
(oft ist auch andres gar nicht mehr erlaubt).

Es geht darum, dass man durch Schund sich hangelt:
Zu adorieren jeden Geck der glaubt,
dass er am tiefsten im Prestigeteich angelt.
Substanzbestandes doch akut beraubt.

Sex, drugs and rock’n roll als Psychen-Kur, 
sich als Berauschungskunde zu erweisen,
sich selber aufzugeben, um dann nur

gefühlszerlumpt sich selig zu entgleisen,
erlösungsdumpf zu stöhnen bei der Schur
durch Halbgottpöbel aus erlauchten Kreisen.

So für mich (1680)39

Immer hab ich’s so gesehen:
Unbedingt zu wappnen mich,
diesem Zeitgeist zu entgehen,
der doch primitiv frivol,
unverschämt, im Grunde triste,
ist so deprimierend hohl;
der zumal ein Hinweis ist
auf die ruderlose Welt,
die sich zeigt als Gramgeschwür,
das am Ende uns wohl fällt.
Wissen freilich kann man’s nicht.
Würde dran verzweifeln auch.
Hybris-Knecht als Triebgefüge,
der sind wir auf jeden Fall.
Zeit verfügt und Phrasenhauch,
Zwängen, mancher Lebenslüge, 
Traum und Leere, 
Schein und Rausch.
Nunmehr dieser Geldgaleere …
Selbst sich Ding und Tausch.

Einzigartigkeit (1681)40

Wenn ich nächtens in die Stille,
diese schattendunkle lausche,
grüble, ob da irgend Fülle
meinen Daseinskreisen rausche,
wird mir deutlich: Sicher nicht.
In bin selbst mir eingeschlossen.
Stoff-Gebilde Schicht für Schicht,
Zufall ausgeflossen.
Bis zum Ende ganz allein,
mir und andern deutungslos,
werde ich Monade sein:
Weh aus der Atome Schoß.

Ungeschminkte Klarstellung (1682)41

Was redest du 
von Glück und Sinn?
Verzeih!
Du delirierst profan.
Bedeutungslos
geht alles hin:
berechnet
gossenmonoman.

Geistig ortlos (1683)42

In dieser Welt der psychisch Armen,
von Machtsucht dominiert und Ehrgeizräuschen,
Geschwafel, Zahl, Entschämung, Gier,
von Gaunerei, Narzissmus, Traumweltfarmen,
von Werten, die sich selbst vortäuschen,
von Machern inszeniertem Markt-Plaisir,
wird’s immer schwerer, sich zu halten
an Wertvorgaben, sich zu retten
in subjektiv gewirktes sich Gestalten,
weil man sich nirgends mehr 
kann geistig betten.

Ideologischer Selbstbetrug (1684)43

Dann diese Hybris 
sich entlaufner Runden:
Ein Trance-Gespinst von Toleranz,
von Würde, Gleichheit,
von Vernunft und Frieden,
von einem Dasein ohne Wunden,
von tiefer Glücke Dauerglanz,
dem Neuen Menschen einst beschieden.
Welch Kindertraum!
Welch stiere Eitelkeit!
Und welche Tugendarroganz!
Sind wir doch selber uns 
notwendig Lunten
und Barbarei zuletzt 
auch unser Wertgeleit.

Gott V (1685)44/Vergleiche (21/1287)/Anmerkung

Sprachgewoge und Neuronen-Spiel.
Endsehnsucht und Geistheimat.
Seelen Grund, Gehalt und Ziel,
Sinngefüge, Weisheitssaat.

Trug dich immer als Schimäre
mit mir hin, wo immer.
Warst mir doch die Große Kehre,
warst mir Hoffnungsschimmer.

Ohne dich kann’s Heil nicht geben,
weder Zweck noch innre Größe.
Du allein verleihst dem Leben,
mehr zu sein als nur Gekröse*:

Stoffgefüge, atomar.
Hyle-Husch, Geworfenheit,
Gramsog, aller Deutung bar,
Selbstverlust, Versagen, Zeit.

Solltest du nicht existieren,
wie ich es doch glauben muss,
wirst du geistig dennoch führen
mich bis hin zum Schluss.

*Gekröse: „Innerei“ (besonders vom Rind). 
Ich benutze das Wort für „Ein Stück Fleisch“ 

Gott II (1686)45

Bist du nicht ein Geistrinnsal,
Trostspuk einer Seelenstille,
Sprache mystisch immanent?
Sehnsucht nach dem Absoluten,
Loslösung von Drangsal-Schwingen,
rationalem sich Entgleiten?
Heimzukehren in die Große Fülle,
für die jeder letztlich brennt:
In ihr frei von allen Knuten:
Raum und Zeit und Stoff und Zahl.
Nicht gebunden an die kruden
Weisen von Gelingen;
an der Werte Grund-Seichheiten,
faktenflüchtig zu versehren
den, der nur prekär sich kennt,
diesem Bettel ganz vergoren,
willenlos in ihm verloren:
Glücklos faden Daseinsschweren.

Der Unterschied/Sonett (1687)46

Dazugehört? Na ja, das hab ich nie.
Ich hätte mich auch sehr verstellen müssen.
Schon weil ich tief verachte diese Gruppen,
die sich berufen fühlen, Welt zu meistern:
Staat. Wirtschaft. Das soziale Was und Wie.
Indes nicht Einsicht haben noch Gewissen,
sich allzu oft als arrogant entpuppen,
narzisstisch sich nur für sich selbst begeistern.

Nicht dass ich einen Deut begabter wäre,
vernünftiger und klüger, auch gar frei.
Der Punkt ist der, dass ich als kalte Zähredes Stoffs mich weiß, als seine Spielerei.
Zerrieben zwischen Sinnsucht, Drang und Leere
und metaphysisch totem Einerlei.

Das Gedicht II/Sonett (1688)47

Wenn’s aufschießt, nun dann meistens unerwartet.
In irgendeiner Flucht von Geistmomenten.
Ganz ungeplant, man kann es nicht erzwingen.
Es scheint, als würde Sprache einen greifen:

Neuronenzufall dunkel abgekartet.
In zwei, drei Zeilen dann zunächst zu enden,
die meistens überhaupt nicht gut gelingen.
Als wollten einen sie nur spielend streifen.

Was mag da freilich alles mit eingehen 
an Schicksal: Subjektiven Daseinswirren,
sozialen Wunden, feigen Selbstaufgaben, 

an Dingen, die für Niederlagen stehen,
in Seelentiefen aber weiter girren …
Sich im Gedicht dann selbstverklärt zu haben.

Doppelter Abschied (1689)48

Was immer du mir sagen willst,
sag’s jetzt; und sag es offen.
Du weißt, was du mir bist und gilst.
Ich freilich leben kann auch ohne Hoffen.

Mir nie auch Illusionen machte,
dass du mir bleiben würdest bis zum Ende.
Und selbst schon daran dachte,
dass ich mich ohne dich mal fände.

Du bist begehrenswert, gebildet, wunderschön.
Erträumst dir deshalb schon ein bessres Los.
Hör zu: Du musst nicht zu mir stehn.
Zumal ich kalt bin, mir scheint nichts mehr groß.

Gewissensbisse musst du auch nicht haben.
Werd ich doch heimgehn, heim zu mir.
Verzehren mich den eignen Gaben:
Mich auszudeuten geist- und faktenschier.

In dieser Zeit des Selbstverrats,
der Marktverfügtheit und Verdinglichung,
der Inszenierung seiner ohne Skrupel,
der Ehrgeizdrangsal ohne Geistesmittel,
des faden Hedonismus einer Promi-Plebs,
der Unterdrückung des Erotischen,
das Großen Stumpfsinns von der Stange,
der inneren Verarmung und bejohlten Leeren …
ist’s wohl auch besser so, dass ich mich wende
ihr diesmal ohne Rücksicht zu,
sie zu entlarven als schon sehr, sehr späte,
in sich zerfließende Monadenhektik, 
politisch ruinös und rechtlich deklassierend.

Bestandsaufnahme III/Sonett (1690)49

Ich? Marktspielball, der immerhin begriff,
die Mechanismen dieser Diktatur
der Negation von Selbstzweck und Kultur.
Die Psychen zu Bewusstseinsmärkten schliff,

auf Show sie drillte, Coolness, Trug und Kniff,
zu inszenieren sich als Spaßtortur,
gewissenlos, entmündigt … Knechtsfigur
auf einem berstend richtungslosen Schiff.

Indes die meisten sich an Phrasen laben,
an zeitgeistprimitiven Ich-Missionen:
Erlebnisonanie, Prestige und Haben.

Sich zum Systemabklatsch von selbst schon klonen:
Sich technisch asozialisiert zu schaben
aus sie entmündigenden Ramschversionen.

Selbstbewahrungsunfähig/Sonett (1691)50

Ich bin Verfechter einer Allerweltsweisheit,
die einfach ist und eigentlich nur sagt: Verzichte
auf Sinngehalte raunender Verlautbarungen,
die Weltanschauungslupen, nicht Begriffe sind.

Zwar brauchen alle wir ein Lebenslügen-Kleid,
wie Würde (Nachklang metaphysischer Gerüchte),
weil wir, aus der Natur-Hut doch herausgesprungen,
auf Ratio nur gestellt doch werden seelisch blind.

Wir sind dabei, uns aller Halte zu begeben,
uns vor uns selbst, wenn auch nur mühsam, zu bewahren.
Verbrauchsfanatisch gott- und pflichtlos zu verschweben

Autonomiephantasmen: Hybris-Kerngebaren.
So nihilistisch-hedonistisch zu erstreben,
nur noch in eigne Höllen - technische - zu fahren.

Der ideale Kunde/Sonett (1692)51

Gekauften Emotionen hingegeben,
sich, seiner selbst entfremdet, anzupassen,
gelenkt von digitalen Schundabrissen,
das ist das Los des idealen Kunden.

Der, ichfatal, sich nicht mal darf vergeben,
dass er sich dabei muss als Ding verprassen:
Er hat von seines Daseins Grund kein Wissen,
sich nur medial noch: indirekt verbunden.

Indes: Wie anders könnte er ertragen
der Ratio liederliche Glücksversprechen,
die spracharm tugendwirren Staatsschauspieler,

der Massen Selbstverlust in Traumgelagen …
dass kultbarbarisch wir uns selbst verzechen:
Biped bedingt, Bedarfsfiktionen-Dealer?

Erklärung anlässlich der neuerlichen 
Sonette-Herstellung in den letzten Wochen (1693)52

Man meint, ich suchte einfach Worte aus,
um sie bewusst in eine Form zu gießen.
Tatsächlich flicht die Sprache autonom den Strauß,
als der dann jene zum Gedicht ausfließen.
Gepflückt aus unbekannten Selbst-Gehalten
des Mittlers, der sie überträgt 
in Geistgebilde, aus ihm hoch gelallten,
primär nicht rational geprägt.
Man lese aufmerksam nur die Sonette,
enthüllend, dass man sich betrüge,
doch nur Verblendung, Hybris sei und tote Wette,
sich selbst doch ausgesetzt als ein Verfallsgefüge.

Weltanschauungsfetzen/3 Sonette (1694/1695/1696)
52, 53, 54
1
Kaum werde ich mich überzeugen lassen,
dass wir der Endzweck einer Schöpfung seien,
sei's eines Gotteswillens, sei’s der Hyle,
die selbst sich autonom organisiert.

Komplexgebilde atomarer Massen,
sind wir des Zufalls ungeplante Reihen,
die, Resultat ganz früher Teilchenspiele,
stets dichter wurden, intellektgeführt.

Indes muss ich es freilich anerkennen:
Mit uns schuf sich Materie als Geist:
Die feinste Macht in diesem toten Rennen,

um die sie als ihr Selbstbewusstsein kreist …
Für einen kulturellen Traum zu brennen
von der Vollendung, die doch Geist verheißt.

2
Doch glaub ich nicht, dass wir uns halten werden,
da unausweichlich autodestruktiv.
Zumal doch rückgebunden ans Basale:
Bedürfnisdrangsal und Sozialgefühle,

an Sinnfiktionen, die allein uns erden,
an Geltungssucht, an Macht … und ganz massiv
an selbstgewirkte simple Täuschungs-Male,
verhehlend Einsamkeit und Daseinskühle.

Wenn überhaupt was durch dies Leben trägt,
dann nur Realitätsverweigerungen:
Was ist, auf keinen Fall zu hinterfragen.

Weil psychisch-geistig-menschlich es enthegt:
Vertraut gemacht mit allen Niederungen,
uns Großhirnbüttel sittlich muss zerschlagen.

3
Nicht mal sich selbst mehr kann man noch erfahren
(schon gar nicht solipsistisch weltvergessen),
weil, eingebettet in die Zeitgeistfluten, 
man inszenierte Reize konsumiert.

Sind doch die Individuen längst Waren,
verfügt systemnotwendigen Exzessen,
in Augenblicken, allenfalls Minuten,
aus Scham, Verzicht und Wert und Selbst geführt.

Rein ökonomisch nur Konsumpotenz,
nichts weiter als Gewinnerwartungsmittel,
Kalkülstatistisch ohne Exzellenz:

Ein geistlos dauerinfantiler Büttel
rein utilitaristischer Frequenz.
Human und ethisch ohne Daseinstitel.

Strauchelndes Deutschland/Sonett (1697)55

Von tugendaggressiven Dilettanten,
von Halbgebildeten und Staubverehrern,
wird dieses Deutschland schleichend ruiniert.
Indes sich selbst hat kulturell verloren.

Ein Land doch deklassierter Markttrabanten,
von Leerformel- und von Prestigeverzehrern,
von denen viele, als Person negiert, 
sich haben sprachverarmt selbst abgeschworen.

Du bist für Zukunft, Deutschland, nicht gerüstet.
Mit solchen Massen und Funktionseliten,
wirst du dir schwer tun, jene zu bestehen.

Wer sich nur mit Moral durchlügt und brüstet,
kann keiner Barbarei Paroli bieten,
wird weichen müssen ihren Spätzeitwehen.

Selbsterfahrung (1698)56

Man ist sein Leben lang
mit sich allein.
Man ist es bis 
zu seinem Ende.
Verhehlend sich, 
das ist das wahre Sein:
ist Einsamkeit
in pseudo-rational-
medialem Trance-Gelände,
ist Perspektive, 
Waren-Schein ...
Ist Lebenslügen-Zwang,
ist Drangsal 
ist Verdrängungs-Leid ...
Auch dass man Leere,
Selbstverlust und 
sich als Ding ausblende,
auf sich beharre
als ein freies Ich.

Dank an die Tyche (1699)57

Ach Tyche, du! Mir so vertraute Tyche,
mir ausnahmslos, mir lebenslang doch zugetan.
Mir das, was Leere war und Einsamkeit,
Verzweiflung, Niedrigkeit, Versagen,
durch Faktensinn in Einsichtskraft zu wandeln …
Gar Geisteswehr, dies Dasein mir zu buchstabieren
als Unschuld, Kindsversagen, Irrtum nur,
als Stoffdrang- und als Illusionen-Spiel,
Neuronen-Farce und Barbareigewoge.
Mich zu begaben gar,
all dieses Glück zu ahnen kleiner Seelenfreuden,
das wesenszart auch noch in Gossen blüht,
nie welkend,
drastisch freilich stets versäumt
von lustgeblendet eitlen Rauschtranceträgern.

Dankbarkeit I (1700)58

Mein Gott, was hab ich Glück gehabt!
Gar nicht zu fassen, schau genau ich hin:
Nach 45 erst geboren, 
hineingewachsen dann in eine Marktschlaraffe,
rechtsstaatlich-demokratisch dauersicher,
ich meine, unbehelligt selbst mir überlassen,
von Würde gar gehegt und einer Marktwirtschaft,
die als soziale nicht Geschwätz bloß war.
Die’s mir, historisch einzig, doch erlaubte, 
mein Leben mir gemäß dann zu erfüllen,
das, ob’s auch Abschaum manchmal kreuzte,
zu einem so ganz seltnen wurde:
Frei von Bedrückung, wie sie vorher war:
Durch Kriege, Krisen, Daseinstragik,
durch Diktatorengrößenwahn: Vernichtungssausen.
Der Homo-Existenz doch immanent …
Ein Leben, Geist und Einsichtskraft gewidmet,
getragen faktisch auch von allen, 
von allen hingenommen, respektiert
und zugelassen über 5 Jahrzehnte …
ein deutsches Leben, Deutschen nur verdankt. 
Gelungnes Leben, das sich nunmehr langsam neigt:
Verfall greift’s an: Der Zahn der Zeit.
Indes auch heimgesucht von mancher Ahnung wird,
dass nicht mehr es zu führen wäre
in einer Zukunft, die indes beschwiegen sei,
als dieses innerlich so selten reiche.

Richtigstellung/Sonett (1701)59

Gewissenlosigkeit und Seelenkälte,
Entschämungslust und Ehrfurchtslosigkeit,
Narzissmus als subtile Selbsthassweise,
sich mit genehmem Selbstbild zu beschenken …
Das sind des Durchschnitts subjektive Zelte, 
auch zu verbergen Machtsucht, Ehrgeiz, Neid,
nicht nur der zockend asozialen Kreise …
Auch jener Staatsschauspieler, die sie lenken.
Wiewohl wir andern sind da auch nicht besser.
Wir stünden auch doch gern im Rampenlicht,
um uns in diesem marktfromm gehn zu lassen
als sich verkennende Verfallsgradmesser …
Elite ist, wer leistet Selbstverzicht,
sich nicht als Zeitgeistnull muss Markt verprassen.
 

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