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Diese Seite enthält 56 Gedichte (48 Prosa-, Reim-Gedichte und 8 Sonette)

Blinder Zufall/Sonett (1586)1

Sie schießen hoch in stillen Augenblicken:
Der frühen Jahre blasse Silhouetten. 
Mir einen letzten Schweigens-Gruß zu schicken
aus ihren schicksalskargen Armutsstätten.

Alltäglich Bürden: Unsichtbare Ketten.
Die man verdrängte als soziale Tücken.
Man träumte nicht mal, sich da raus zu retten.
Wie hätte das denn sollen jemals glücken?

Und doch: Das alles hab ich überwunden.
Was immer mag mir da geholfen haben …
Da löschte etwas mir die Herkunftslunten:

Verachtung, Schande, Scham zu untergraben:
Des Herkunftsschicksals stumme Alltagswunden.
Ein blinder Zufall war es: Geistesgaben.

Vorläufig-intuitive Analyse (1587)2

Krass und schäbig ist das Land geworden,
gleich in welcher Hinsicht auch.
Aggressionen allerorten,
Wut- und Ärger-Hauch.

Nun, die Leute merken jetzt,
dass die oben schlimm versagen.
Machtnarzisstisch arrogant gehetzt,
Wählerschaft sich abzujagen.

Staatsschauspieler, Phrasendreher.
Kaum geeignet für ein Amt.
Und - betrachtet man sie näher -
drastisch hilflos zu sich selbst verdammt:

Wortgeklingel-Akrobaten,
wenn rhetorisch auch ganz bieder:
kompetenzlos, diesem Land zum Schaden.
Ohne Geistesgüter.

Eine Stille (1588)3

Ein Leben lang
hauste diese Stille in mir.
Die früheste.
Die gebieterischste.
Sie war es, 
die mich dem Wir entzog,
die mich durch diese 
geistarme Zeit gleiten ließ …
Sorglos zuletzt.
Gleichgültig.
Ein atomarer Schemen.
Substanzzynisch.
Tatsachen gewogen,
einsichtsübersät.
Todessüchtig.

Vielleicht (1589)4

Zeitgeistverhilflost erotisch Hochbegabte,
psychisch deklassiert durch den Nihilismus 
von Selbstbestimmung, Emanzipation 
und marktbesudelter Pseudo-Autonomie,
lass uns - alltags-, ideologie- und selbstbetrugsfrei -
in zügellos redlicher Asozialität unsere lückenlose 
Bedeutungslosigkeit und Selbstverlustbürde ausleben,
indem wir nicht ineinander rinnen,
nicht die ideologisch zwanghaft drückenden,
verbraucherfaden Inszenierungen vollziehen,
sondern ein paar Worte wechseln darüber,
dass wir, narzisstischer Leere, 
Selbstverfehlungsgaukelei
und erwartungskonformen Verhaltenszwängen uns überlassend,
aneinander vorbei fielen,
radikal allein, nicht einmal fähig wären,
uns einer dem andern mitzuteilen,
fremd gerade auch 
in dieser behelfsorgiastischen Verlassenheit
zweier sich pseudovertrauten Selbstkonsumenten,
einen Abschied dann beschweigend,
in dessen Stille wir 
einen Augenblick lang uns,
vielleicht, 
kerntief vertraut wären.

Gehirnprodukte (1590)5

Technik und Naturwissenschaften haben mich, 
den Träumer seiner weltfremden Sehnsüchte,
völlig desillusioniert,
haben mich in ihre ingeniösen Kunstwelten 
einer sich selbst gefährdenden Konsumdiktatur gezwungen.
Haben so meine Kindheitsparadiese zerstört:
Mystisch durchgottete Landschaften 
metaphysischer Phantasie.
Technik und Naturwissenschaften sind freilich das Wesensmenschliche.
Nicht Vernunft.
Nicht Geist. 
Diese werden nicht mehr nötig sein dann,
wenn die Künstliche Intelligenz 
ihr substanzrationales Eden wird etabliert haben:
Einen digitalen Totalitarismus.
Produkt indes eines Gehirns,
das nicht die Wahl hat,
seiner ihm immanenten Selbstdestruktion zu entsagen.
Das kann es nicht: 
Vernichte es auch seinen Träger.
Und am Ende sich selbst.
Das wäre die rationale Konsequenz 
einer geist- und vernunftlosen,
nicht irrational gehegten 
Selbst-Übermächtigungs-Verblendung.

Kindlicher Wunsch (1591)6

Ich wollte nie 
erwachsen werden,
ich wollte Kind nur bleiben:
Um mich in Gott
und Wind und Feld 
zu erden,
mich in den Kern
des Seins zu treiben.

Vorhersage (1592)7

Gramtrunken.
Erlebnisfanatisch hedomaterialistisch.
Technologiediener.
Selbstdeklassierungserpicht.
Ding, gefühlsekstatisch heteronom.
Leibdrastisch unterjocht.

Auf was kann man da noch zählen?
Auf gar nichts.
Nicht einmal auf sich selbst.
Die Zukunft schließt sich:
Die Bitterkeitsverfügtheit 
von fünf Millionen Jahren Evolution 
vollendet sich;
endet in metaphysik-, geist- und 
vernunftloser Rationalität.

Das ist das Ende, denn:
extra deum salus nulla*.

Die letzte Zeile in Latein: „Ohne Gott kein Heil“

Bewahrungsgnade (1593)8

Was wäre ich anderes gewesen als ein Zeitgeistspuk,
verdinglichungsgefesselt und tauschzahm,
wenn ich nicht hätte Gedichte schreiben können?
Haltlosigkeit und Einsamkeitszwängen geschuldete Entwirklichungsgebilde
einer weltflüchtigen Spätzeitmonade.
Eine, die die sich in Worte eingräbt,
aus ihnen einen geistigen Kosmos zu schaffen,
der ein wenig Seelenschutz bietet 
gegen die Begaffungszwänge 
der allgegenwärtigen Kunstweltzumutungen,
die auf ihre Art Abrundung und Harmonie suggerieren:
Unterleibsekstatisch angereichertes 
Bespringen von Halluzinationen,
verführt und verzaubert 
von animistischen Behelfsmagisierungen:
Eine artefaktiell fundierte Babylonisierung:
Hinwürfelungen von simplifizierter Stoffheit an sich,
Technologieschamanismus als Zweck- und Sinn-Lieferant,
Triebreizeinfalt mit Verhunzungsgeschmeide versehend,
Zielphantastik und hergestellten Kollektivemotionen:
Flausen-Universa als magische Geborgenheiten, 
ausrichtungssubtil Narzissmus-Wehen zu befriedigen.
Basaltröstungen, abgefühlt einer Fiktion von Wirklichkeit,
schundhörig verlungerungseffizient.

Indes was soll das alles heißen?
Ist es doch undeutbar.
Wer müsste nicht um Surrogate kreisen,
sich seines Selbstverzichtes nicht gewahr?

Ich habe keine Auswege zu bieten 
aus diesem Waren-, Reiz- und Formel-Eden
blasierter Psychopathen-Nieten,
die zu sich selber beten.

Indes mir blieben die Gedichte:
Der Sprache gottmassive Geisteszonen:
enthemmt erfassend dieses spätzeitschlichte
Geräusch synthetischer Gorgonen*.

*Gorgonen: griech. Mythologie, geflügelte Schreckgestalten mit Schlangenhaaren. Wer sie anblickt, erstarrt zu Stein.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1594)9

Digital gehetzt, trommeln die Aktienkurse 
das globale Spezies-Gewimmel zusammen.
Selbstvergessen vollzieht dieses dann
die mammonistischen Substanzbefehle …
Ökonomische Mimesis molekularer Vorgänge:
Zufall und Notwendigkeit dominieren 
ein Kreaturen-Wettrüsten,
das sich nunmehr seinem Ende zuneigt:
Die Materie kann uns Kortex-Geschwür nicht weiter hinnehmen.

Evolutionsgaleere (1595)10

Basal nur Quarks und Elektronen, 
Atome bauend, Elemente.
In homo sapiens dann subtile Geisteszonen
Bis tief in sprachlich-metaphysische Gelände.

Auf dass ein absoluter Gott ihm spende
die psychisch bergenden Entlastungsillusionen
von Sinn, von einem Leben ohne Ende,
mit dem er werde uns dann einst belohnen.

Allein das sind nur Wunschgebilde,
die uns doch kaum mehr tragen.
Als solche gleichsam Kinderseelenschilde:
Sich sehnend nach Geborgenheit aus alten Sagen.

Wir werden auch die beiden dunklen* fassen:
Materie und Energie.
Uns selbst indes, uns werden wir verpassen:
Determinierte Anomie*;

Zerrissen von Ananke* und von Tyche*,
sind radikal uns selbst wir ausgesetzt,
verlassne Gram-, Verfalls- und Stoffzwang-Sieche,
phantasmensüchtig von Bedarf und Zeit gehetzt …
Pleonexie und Macht und Deutungsleere,
von der wir alle heimlich wissen:
Dass niemand jemals wiederkehre,
sein Leben lang Vergeblichkeit beflissen
auf dieser ruderlosen Evolutionsgaleere.

*Anomie: innerer (psychischer) und äußerer (gesellschaftlich-sozialer) Zerfall. Griech.: “Gesetzlosigkeit“; in unserer heutigen Gesellschaft immer deutlicher sich manifestierend
*Ananke griech.: Notwendigkeit, Göttin der Notwendigkeit
*Tyche griech.: Göttin des Glücks, des Zufalls; Zufall, Glück
*„die beiden dunklen“: die dunkle Materie und die dunkle Energie (s. Fremdwörterverzeichnis)

Gedanken eines von Schlaflosigkeit heimgesuchten 
alten Mannes am Morgen des 12. Februar 2022 (1596)11

Wenn ich - wieder einmal - darüber nachsinne,
was alles ich nicht mehr erleben werde, 
dann atme ich zugleich, so ist’s, tief auf:
Denn ich ahne, was, etwa, 
die Künstliche Intelligenz uns,
unfähig, mit ihr umzugehen, 
wird an geistigen Problemen schaffen;
an praktischen die - im Gefolge des Klimawandels -
riesigen Migrationsströme:
ein Massen-Exodus von Menschen,
denen nichts geblieben sein wird als ihre nackte Existenz;
denke, aus eben demselben Grund, 
an die weit fortgeschrittene Naturzerstörung,
die fortschreitende Ausrottung von Arten,
den wachsenden Mangel an Ressourcen,
daran auch, dass im Gefolge dieser Umwälzungen
die evolutionär fundierten Wesenszüge des Menschen:
Bestialität und Barbarei,
wieder zu häufiger auftretenden Phänomenen 
werden könnten;
denke, das wäre das Extrem, gar zuweilen
an ein bellum omnium contra omnes
- einen Krieg aller gegen alle, 
eine Befürchtung, die mich immer wieder heimsucht,
zumal wir einen solchen,
extrem negative Lebensbedingungen vorausgesetzt,
nicht definitiv ausschließen können -
zumal auch Demokratie und Rechtsstaat 
verschwinden werden,
schon weil sich kein Staat mehr 
die massiven Wirklichkeitsverluste, 
wie man sie im gegenwärtigen Deutschland exemplarisch
erfahren kann, wird noch leisten können.

In der Tat: Ein beruhigender Gedanke, 
dass ich, längst auf mein Ende zusteuernd, 
von all dem sehr wahrscheinlich 
noch verschont bleiben werde.

Und doch: Das Beste euch, die ihr all das, 
was ich befürchte, womöglich erleben werdet 
(sicher ist das freilich nicht).
Ich muss es euch schon deshalb wünschen,
weil ihr die Opfer sein werdet unserer Wohllebenssucht,
die macht, dass wir euch werden eine erträgliche Zukunft 
genommen haben. 
Allein: Ihr an unserer Stelle hättet ebenso gehandelt.
Ich zweifle nicht daran.
Denn so sind wir nun mal:
Rücksichtslose, in sich selbst widersprüchliche, 
verfallsverfügte Ich-Drangsal,
die sich abarbeiten muss an und trösten mit 
Haben, Lust, Gelten, Macht und 
nichts als perspektivischen Deutungsfiktionen.
Und die zudem völlig unfähig macht zu begreifen,
dass so etwas wie währende Zufriedenheit, 
gar Glück, Selbstdistanz und die Befolgung 
schlichter Wahrheiten
(wie etwa der, dass Askese, Maß und Mitte, Autarkiestreben 
und überhaupt Verzichte auf profane Weltlichkeit), 
längst nicht mehr in der intellektuellen 
und geistigen Reichweite hedonistisch-infantil geprägter Wohllebenstraumtänzer liegen …
Was ja, sollten jene Befürchtungen auch nur partiell sich bewahrheiten, 
es ja schon an sich sehr schwer machen wird,
sie, innerlich gerüstet, anzugehen:
ihre empirische Härte zu ertragen 
und sie so vielleicht, wenn nicht zu bewältigen, 
so doch auf Dauer halbwegs erträglich 
dann auszugestalten.

Im Übrigen muss es uns nicht geben
- auch das wiederhole ich immer wieder; 
einfach weil es stimmt -
Wir werden, wie alles Leben, wieder verschwinden müssen.
Zumal doch gerade wir völlig außerstande sind,
für uns selbst Sorge zu tragen.
Kurzum: Wir werden uns selbst nicht entkommen.
Das können wird nicht - gerade weil der Natur entlaufen,
folglich notwendig (das zu ändern steht nicht in unserem Belieben)
intellekt-, tugend-, verblendungs- und hybris-hypertroph.

Schicksalsgnade/Sonett (1597)12

Es führt zu nichts, sich da was vorzumachen:
Man ist an seine Herkunftswelt gebunden;
an ihre Vorurteile, ihre Zwänge …
So außerstande, frei sich selbst zu führen.

Wenn ich bedenke all die Psychen-Lachen,
die kalt verrohenden sozialen Wunden,
ihr menschlich auch verkümmerndes Gemenge …
Dann hätte ich mich müssen schon verlieren.

Doch das geschah nicht. Ganz im Gegenteil.
Das Leben sollte reichlich mich beschenken.
Mit Geist und Heiterkeit und Ironie,

mit Einsichtskraft gepaart, die niemals feil
ist Gängigkeit und Grundverlusten wie: 
Sich vor sich selbst als Sieger zu verrenken.

Funktionseliten (1598)13

Was soll das heißen: Freiheit, Mündigkeit?
Da sind doch bloße Worte.
Ich selbst erfahre mich als Ding,
als faktisch machtlos, Marktrauschopfer,
Funktionseliten ausgeliefert,
die außerstande sind, 
nicht ruinös zu handeln:
Zugrunde richten, was sie ständig loben,
wie Recht, Moral, Kultur und Staat.
Das muss so sein, wenn Mittelmaß
sich höchste Macht erobern kann,
von Ehrgeiz und Narzissmus angetrieben,
heißt: geistig arm und geistig dann korrupt.

Dauerfremd (1599)14

Man bleibt sich selber subjektiv verschlossen,
da deutungslos, weil zwangsergeben
sei’s Eigenwelten, Faktendunkel, sei es Perspektiven.
Zumal doch sprachlich kollektiv gegossen
von vornherein in ausgelegtes Leben …
Existenzielles sich Enttiefen.

Mich missverstehend, fragst du, wer ich sei.
Und weiter: Was und wie ich gerne wäre.
Mir ist das völlig einerlei.
Ich formte, dir zur Antwort, wieder doch nur eine Märe,
die ich, als der ich bin, tatsächlich formen müsste:

Ich legte aus so Selbst-Fiktionen.
Wobei ich zudem ständig wüsste:
Wir werden immer fremd uns bleiben:
So wie uns selbst einander auch …
Sich selbst verschlossene Erscheinungs*zonen.

*Nach Kants Unterscheidung von Erscheinungen und Dingen an sich. Wir erfahren die Dinge nur als Erscheinungen (weil unser Bewusstseinsapparat = Verstand = Kategoriengeflecht, Ich; bei Kant) sie 
als solche seinen kategorialen Vorgaben gemäß „konstruiert“; die Dinge an sich sind uns unbekannt. S. „Kritik der reinen Vernunft“
*Sich selbst und einander verschlossene Erscheinungszonen, von denen oben im Gedicht die Rede ist, meint, dass - ob wir uns selbst oder andere auslegen - uns stets des kollektiven Kulturguts Sprache bedienen müssen, die selbstverständlich unsere Selbst- und Fremdauslegungen „färbt“, „präformiert“, also 
mit- und  vorherbestimmt. Also: Was ich zu sein glaube, das bestimmt meine deutsche Muttersprache mit - und zwar v. a. auf der emotionalen und affektiven Ebene.

Ausweglos IV (1600)15

Ach dieses indolente mich Versäumen,
begriffsfern mich 
aus Einsicht und aus Wert zu tragen.
Um so bewusstseinstrüb dann
vor mich hin zu träumen 
und zu vergessen, dass, 
im Sog entmythisierter Lagen,
ich doch nichts weiter bin als Zellenpuppe:
Längst feil doch technischen Verfahrensweisen,
dem Markt zumal 
und rationalen Wissenschaften …
Für die ich Ding bin, Kaufpotenz und Beuteschnuppe.
Doch das muss ich allein verkraften,
mich dabei um mich selber drehen:
Ein Stoffgefüge, metaphysisch ungeborgen,
sogar sich selbst auch nicht zu deuten
Um drastisch sinnlos in mir selbst zu vegetieren …

Da nützt es nichts, zu Gott zu flehen.
Auch nichts, um Anerkennung mich zu sorgen.
Und nichts, mich gossenselig zu vergeuden.
Ich werde weiter Tag für Tag 
die Große Leere spüren.
Verdinglicht mir entfremdet untergehen.

Menschentypen (1601)16

Der Mensch sei prinzipiell gut und selbstvervollkommnungsfähig,
sei jedenfalls zu Rationalität, Toleranz, 
Brüderlichkeit, Altruismus, Ehrfurcht 
und gesellschaftlicher Gerechtigkeit fähig,
in der Lage, sich von Fanatismus, Aberglauben, 
Schwärmerei und Illusionen zu befreien,
vermöge es vor allem auch, 
sich gemäß seinem freien Wollen zu bestimmen,
ehrenvoll und schamhaft zu handeln,
Hybris, Eitelkeit und Verblendung zu unterdrücken 
und sich auf diese Weise über seinen kreatürlichen Egoismus hinauszuheben …
Der Mensch sei Vernunftwesen und Würdeträger …
So ein unter Intellektuellen immer noch weit verbreiteter,
quasi apodiktisch vertretener Aufklärungsoptimismus.

Ich hingegen - der notwendig wohllebenshörige Otto Normalverbraucher - 
hänge mein Fähnchen in jeden Wind,
vertrete die Moral,
die der herrschenden Mehrheit schmeichelt,
gebe das von mir,
was mir Anerkennung, Prestige, Beliebtheit und Vorteile verschafft,
rede denen nach dem Mund, 
auf die ich angewiesen bin,
die ich gewinnen, oder mir geneigt machen will …
Oder verhalte mich wenigstens so,
dass ich nicht unangenehm auffalle 
und mir auf diese Weise Nachteile einhandle.
Und überhaupt versuche ich, 
aus jeder Situation herauszuschlagen,
was aus ihr für mich rauszuschlagen ist …
Und dies, weil ich es muss,
weil ich mich dem Zeitgeist unterwerfen muss,
um mich nicht menschlich und sozial unmöglich zu machen.

Na ja: Der Mensch ist weder gut noch schlecht,
formen ihn doch grundlegend die Umstände und Verhältnisse, 
unter deren substanziellem Einfluss er steht,
ohne sich diesen auch nur ansatzweise entziehen zu können:
Umständen und Verhältnissen zumal,
die er gewöhnlich gar nicht zu durchschauen vermag,
sei’s weil er sie nicht versteht,
sei’s weil ihm grundlegende Informationen, 
die hälfen, sie zu klären, nicht zur Verfügung stehen.
Die er aber gleichwohl erdulden und bewältigen muss,
um psychisch - und zuweilen gar physisch - überleben zu können.
So notwendig auch angewiesen auf Pseudo-Ordnungen 
stiftende Vereinfachungen,
etwa axiologische Bedarfsfiktionen (Werte),
Widersprüche unterdrückende Entlastungsinterpretationen,
politutopische oder metaphysische Halluzinationen,
Weltverschwörungstheorien oder Selbstdebilisierungsprimitivismen.
Gewöhnlich also ist der Mensch außerstande,
frei (verantwortlich) für sich selbst einzustehen …
So in etwa der skeptisch-pessimistische Realist.
*
Da ist doch nichts mehr da an Geist,
an Anstand, Ehre, Scham und Maß und Mitte.
Nur Marktabklatsch, blasiert sich selbst entgleist:
Narzisstische Verschnitte.

Orientierungslose ohne Selbstbestand,
die sich erlebnishörig infantil verbrennen:
Substanzeinsame ohne Band,
allein in diesem smarten Lustsogrennen

der Faktenignoranz der Staatsschauspieler,
der Mammonmasochisten und der Würdeinterpreten:
Des Stumpfsinns arrogante Dealer,
die trugsubtil zu Nichtigkeiten beten.

Wer könnte unsre Posse ernst noch nehmen?
Maligne Sause blasser Wohlstandsluden:
Subjekt von Produktionssystemen,
die Selbstverlust als Formelhafteffekt zumuten. 

Und das, das gilt auch ausnahmslos für mich:
Verdienen muss ich doch mein Geld.
Um zu erhalten dieses permanent doch triebverfügte Ich.
Das sich als Leib nur stoffbefriedigt hält.

Ferne Schimmer (1602)17

Manchmal schießen sie heraus
aus sommerfahlen Erinnerungstiefen,
jene fernen Schemen hämeträchtiger Kindertage.
Phantasmenüberwuchert.
Fluchtwund.
Schamtief.
Sehnsuchtsschal.
Aber immer noch nicht 
fällt dich an eine Trauer,
hilflos verhärtet dem gegenüber,
was Menschtum dir ist:
Verratslotterie und Selbstlastbetrug.
Glücklos verkümmert Erlebnisentlastung.

Die Liebe in diesen Zeiten (1603)18

Die Liebe in Zeiten, die Wohlstand vergotten,
im Fühlen von Menschen, die psychisch verrotten,
die selbst sich umflattern, wie Lichter die Motten …
Was könnte sie sein noch trotz all dieser Pleiten?

Was könnte sie sein noch, wenn Körper sind Sachen,
benutzte, bereit, sich zum Ding zu verflachen,
sich kultisch zu richten nach Medienfellachen,
nach Stars, die sie zur inszenierten nur machen?

Was könnte sie sein noch trotz ärmlicher Sprache,
nicht fähig zu greifen, die geistige Brache …?

Event oder Kicks?
Inszenierungsekstase?
Des Kundengeschicks
verlogne Emphase?
Verkümmerungsschrei,
sich Gram zu entwinden?
Affekt-Einerlei 
in Phrasen-Gebinden?

Ich weiß nicht so recht.
Die Liebe scheint tot.
Ein Nutzengeflecht 
monadischer Not.
Verlogen, verzecht,
kein Manna, kein Brot.
Narzisstisch erfrecht
dem seelischen Tod.

Deutsche Tugendgröße (1604)19

Des Hochmuts tristes Niedergangsgefüge,
so einfaltswirr ... ein fades Grau in Grau,
staatsmasochistisch sollensarrogant,
das, sich verachtend, wälzt in jedem Staub,
betend erpressen lässt, sich zu erweisen
als demokratisch, würdewirr und liberal ...
Das Land der Wirklichkeitsverweigerer, 
der Eingeweihten auch im Dienst des Weltgeistwillens:
Dass er es doch noch küre, sei’s auch geistig tot,
zum auserwählten Ethikhort für alle Gleichen,
die heim dann fänden einst ins Panhumane,
agapezart erlöst von deutscher Tugendgröße …
Und zeichne aus dann endlich es als Land der Guten
und preise sein messianisches Bestreben,
sich, tief gesinnungstheologisch faktenfremd,
dann wertorgiastisch trauerselig scheinbar zu umarmen.

Selbstzerstörung Verfügte/Sonett (1605)20

Wenn ich den kulturellen Ramsch bedenke
und all die psychischen Verelendungen,
den Tugendterror und die Aggressionen,
den Aufstandszorn der geistig Unberührten,
die kratisch primitiven Ehrgeizränke 
gemeingewissenloser Engelszungen,
zumal die faktenblinden Illusionen
der aufklärungsfrenetisch Halbversierten,

dann bin ich dankbar doch für jede Stunde,
in die ich mich noch abstandsstill kann retten,
nicht hören muss die so verlogne Kunde,
welch Daseinsgipfel wir erklommen hätten,
wir Hybris-Arroganz … Obwohl im Grunde
als Endzweck deuten müssen Ratio-Ketten.

Prosafetzen (403) (1606)21

Man will exakt das, 
was man wollen muss.
Ist man notwendig dies doch:
was und wie man ist:
Sich selber ausgeliefert
bis zum Schluss:
Fiktion, Verfallszwang,
Deutung, Frist.
Sich selbst determiniert
als Daseins-Fluss …
Man kann sich selber
gar nicht wollen,
muss lebenslang 
sich selbst ertragen,
verdrängen, 
dass man Fremdbelang:
Ein Spielball ist 
von solchen Lagen
als Wesens-Joch,
als kulturell-geschichtliche
soziale … 
als objektive
Existenz-Kommando-Mengen …
Ein blinder Stoff-Zufall,
der sich als Trance 
muss wagen.

Prosafetzen (392)/Meinem Vater (1607)22

Erst die Erwähnung 
des 17. Juni 1953 im Fernsehen 
erinnerte mich daran,
dass du heute ja Geburtstag hättest,
94 Jahre alt würdest, Vater.

Nun - ich gebe es zu -
ohne die Nennung 
jenes Arbeiteraufstandes 
in der damaligen DDR,
hätte ich das Datum 
wohl vergessen.

Was nicht heißt,
dass ich dich 
vergessen hätte.
Schließlich lese ich 
wieder einiges 
über den 2. Weltkrieg;
und wenn 
das Datum ‚22.6.1941’ 
genannt wird,
denke ich fast immer 
zuerst an dich,
warst du doch Teil 
des Unternehmens ‚Barbarossa’.

Und war es doch an diesem Tag,
dass die letzten Kerne 
deiner schon längst 
angeschlagenen Persönlichkeit 
und die letzten Halte 
deines seelischen Gleichgewichtes
endgültig in sich zusammenfielen.

Was dann auch mich prägte,
spürte ich doch,
dass du einen schleichenden 
Selbstmord begingst 
in den Jahren nach 1949,
nachdem du 
aus russischer Gefangenschaft 
zurückgekommen warst.

Das vergisst man nicht,
falls man es nicht verdrängt.
Ich verdrängte es nie.
Ich vergaß es nie.

Prosafetzen (393) (1608)23

Es war alles vergeblich.
Es war nichts vergeblich.
Es ist eben sinnlos,
überhaupt nach Wert,
Bedeutung und Zwecken 
noch zu fragen …
Wenn man doch weiß,
dass nichts mehr 
kann tragen;
dass das, was ist, 
kann nur noch beflecken.

Eigensinn/Sonett (1609)24
Zu vergleichen sind die Gedichte (30/1794), (36/2164), (56/2890) 

Was will ich mehr? Für ein paar stille Tage
Welt, Wir und permanentem Druck entronnen:
Dem stündlich inszenierten Reizgelage:
Ergriffenheitstheatern, Ichsuchtwonnen,

auf dass man sich, gefühlt, dann überrage
betäubt von Ehrgeizlingen, die sich sonnen 
in zweiter, dritter, vierter Neuauflage
der Magisierung von Effekt-Kolonnen.

Und die, die werde ich zu nutzen wissen,
mein Werten wieder einmal zu bedenken:
Warum ich nicht bin diesem Spaß beflissen,
mich keinesfalls will lassen gängig lenken …

Weil es mir streng verbietet mein Gewissen,
mich dem, was ich verachte, zu verrenken.

So und nicht anders/Sonett (1610)25

Mir war mein Leben lang nur an mir selbst gelegen.
So habe ich’s in Kindertagen schon erfahren.
Da gab es die, die etwas galten und was waren.
Und die, wie ich, gewöhnlich standen nur im Regen.

Ich folgte dabei wahllos meinen Schicksalsschlägen,
die ich zuweilen musste schmerzerfüllt gewahren:
Entsprechend fiel dann aus mein linkisches Gebaren:
Bezeugend Ängste, Einsamkeit und Seelenträgen.

Ich glaube nicht an Menschlichkeit, Vertrauen, Güte,
schon gar nicht Freiheit, Würde, Ehre, Toleranz.
Auch nicht an Solidarität und Tugendblüte:

Vernunft … Vielmehr im Gegenteil: An die Brisanz
von Barbarei; und dass uns oft Gewalt behüte:
Erst möglich mache oft die faktische Bilanz.

Existenzversäumen/Sonett (1611)26

Komplexitätstriviales stilles Leiden.
Ein ungesagtes. Ist doch Glück längst Pflicht
aus hedonistisch greller Zeitgeistsicht:
Konsumorgiastisch tobend sich zu meiden.

Man hört es schließlich auch von allen Seiten:
Genieße selbst dich, alles, was besticht
im marktgezündeten Erlebnislicht.
Heteronom durch Schein und Trug zu gleiten.

Und doch bedrückt’s mich, all das zu durchschauen:
Dass unser Leben mehr und mehr gerät
zu einer Farce von grad ekstatisch flauen,

erregungsdumpf aus zweiter Hand gesät,
Entlastungsposen, fatalistisch grauen … 
Zum sinnlos atheistischen Gebet.

Gedichte heutzutage (1612)27

Gedichte? - Das sind heutzutage 
in dieser Spätzeit Selbstaufgabezwänge
Gebilde subjektiver Seelenwaage, 
des Geistes radikalluzide Abgesänge …
Sich einen letzten Halt zu bilden,
zu graben richtungslose Hoffnungsspur.
Obwohl man weiß, 
man lungert durch der Phrasen Milden,
ein Körperding doch nur,
ein Stoffgebilde ohne irgend Gleis.

Für Gott/Sonett (1613)28

Ich werde niemals etwas auf dich kommen lassen;
man mag für kindlich halten mich, ja gar naiv.
Weiß ich doch ganz genau, dass du allein bist tief:
Nur du noch könntest bändigen anome Massen.

Die atheistisch nunmehr sich, gelenkt, verprassen,
sich als Verbraucher dürfen geben exklusiv;
doch nicht bemerken wollen, dass das primitiv 
und nihilistisch wirkt: lässt jeden Sinn verblassen.

Indes du noch als wunderbare Geist-Fiktion,
kannst einen heben sei’s aus Welt, sei’s gar aus sich,
kannst einem heilen Schicksal, Elend: alle Fron;

sogar das kranke, schwankend-allverlassne Ich,
dass es gewinne sich, entwunden allem Hohn
im einem Seelenfrieden, möglich nur durch dich.

Sakralisierter Zweck/Für … (1614)29

Kurzum: Ich will dich mehr 
denn je,
dich Stoffsuchtwunder 
einer Leibgestalt.
Mir schicksalstiefe Fee
erotischer Gewalt.
Mir unbedingtes Sehnsuchtsziel:
Sakralisierter Zweck
in tiefstem Feuchtenspiel,
vergessen machend 
allen Daseinsdreck.

So sehe ich es (1615)30

Rund 13,8 Milliarden Jahre war ich nicht. 
Und werde, sagen wir in etwa 20 Jahren,
auch nicht mehr sein; endgültig dann.
Denn das, was etwa 
die monotheistische Religion des platonisierten Christentums verspricht:
ein metaphysisches Reich, 
eine Auferstehung, 
gar eine solche auch des Fleisches,
das halte ich für völlig illusorisch.

Immerhin darf ich mit guten Gründen davon ausgehen,
dass jener zeitliche Rest meiner biologischen Existenz 
ohne Krieg in meinem Land,
ohne Folter, ohne Hunger und ohne Anlässe 
zu quälenden Ängsten dahin gehen wird.
So wie die nunmehr fast 55 Jahre,
die ich bereits hinter mir habe.

Und sollte es wirklich so kommen,
dann hätte ich am Ende nicht den mindesten Grund,
mich, ideell korrumpiert, über irgendetwas zu beklagen.
Werde ich doch in einer Zeit gelebt haben,
wie sie vorher nie war und nach mir 
auch so bald nicht mehr sein wird:
Ich zögere nicht,
von einem politischen, 
rechtlichen, 
gesellschaftlichen 
und ökonomischen Wunder
zu sprechen -

Man bedenke doch:
Ein wesensbrutaler Hominid 
wird während meiner ganzen Lebenszeit
sich halbwegs friedlich verhalten haben,
tagtäglich von Wohlstand betört,
durch Erlebnislüste von sich selbst 
abgelenkt worden sein;
und so, seiner eigenen Nichtigkeit vergessend,
das Höchste ausgekostet haben, 
was ihm als diesem gewaltanfälligen 
und widersprüchlichen Wesen gelingen kann:
Der permanent genussverdeckte Selbstbetrug.

Abschied (1616)31

So will auch ich mein Glas nun heben.
Auf etwas anzustoßen, was als Illusion,
als Zeitgeistselbstbetrug ich stufe ein:
Prekäre Glücksschimäre, angepasst
an Marktfunktionserfordernisse:
Du willst ein selbstbestimmtes, freies Leben.
Für mich ist das subtiler Hohn:
Macht man sich längst doch selbst zum Ding, 
ist tauschgemein, ein Spielball, 
der sich selbst als der nicht fasst.
Nur gut, das man das auch nicht wisse.

Ich wünsche trotzdem dir Erfolge.
Als das, was du sie sehen musst:
Prestigegespinst als Daseinssiegerwolke,
nur geistig als Konsumknechtschaft bewusst.
Indes bemerken wirst du das ja nie.

Leb also wohl. Für dich das Beste: 
Deinen tiefsten Traum:
Totalitäre Existenzmagie
in psychisch totem Raum.

Der idealtypische Kunde (1617)32

Ihm ist im Grunde alles gleich;
noch nicht mal von sich selbst nimmt er Notiz.
Ihn klopft der Große Tingeltangel weich:
Sex, Urlaub, Spaß, Geschwätz und Hits.

Ihn, der als Emotionen-Konsument 
und Prototypus des gemeint Normalen 
ist geistig faktisch insolvent
(in Ich gebettet, Waren, Zahlen).

Doch könnte ich ihm das verdenken?
Das wäre eher unverschämt.
Wo Wissenschaft und Kapital und Technik lenken,
ist jeder daseinsdilettantisch sich verbrämt.

Sind Halt und Sinn und alle Glücke fort.
Und diese Lücken sind nicht mehr zu schließen.
Es bleibt ein leerer innrer Ort,
der zwingt, sich leiblich zu verfließen.

Unübersteigbare Fremdheit (1618)33

Das, was du willst, 
kann ich nicht bieten.
Das, was dir Angst macht,
gleich im Überfluss.
Somit ist klar,
wir sind geschieden,
verfügt von jeweils
subjektivem Muss.

Selbstanspruch I (1619)34
Zu vergleichen (72/3857)

Ich mach so weiter, 
wie es zu mir passt:
Ich füge Einsicht 
in gebundne Rede.
Denn eines will ich nicht: 
Dass Zeitgeist mich verprasst.
Mich korrumpierend, 
mir Ersatz-Selbst böte.
Mich, mir entfremdend, 
geistig töte.

Unbewusster Prozess (1620)35

Ich suche Zweck, 
ich spekuliere.
Und weiß doch, 
es ist ganz vergebens:
Der Kortex formt sich 
Sinn-Vampire 
zum Vorteil tierischen Erlebens.

Denn das ist alles, 
was man wollen muss:
Sich lebenslang zu sein 
sein eigner Kuss.

Und dadurch macht vielleicht
zum miesen Schwein.
Das auch aus andrer Tröge frisst,
sich selbst verrät 
und sieht im Spiegel Schein.

Was bleibt (1621)36

Mich ekelt diese Mache an.
Ihr wisst schon, 
welche ich hier meine:
Den werttotalitären Fun 
der Allzwecksurrogate.
Für kleine, 
wirklich kleine Richtungslose …

Nun freilich werd ich 
ziemlich ungerecht:
Es bleibt tatsächlich nur 
die Ich-Neurose,
der Kontostand 
und das Geschlecht,
das Infantile 
und das Endlosfade.

Entgrenzungsknute (1622)37

Die Zeit ist von sich selbst besoffen,
hat keinen Abstand mehr zu sich.
Man ist subtil verwahrlost und betroffen,
sich zugeteiltes Ich.

Flexibel, optimistisch, seicht,
dem innren Team und Updates unterzogen,
als human capital global geeicht,
erfolgscool endlos aufgesogen.

Die Lebensführung wird Betrieb, 
man selbst so Mikrokosmos einer Welt,
die nicht verortet mehr, ist Psychen-Hieb,
der schiere Tauschmonaden um sich selber prellt.

Illusionsgehegte (1623)38

Ich habe meine, ihr habt eure.
Und sie sind gar nicht mitteilbar:
Die Illusionen, die wir alle hegen,
uns vorzugaukeln irgend Zweckgehalte.

Dies Rätseldasein scheinbetört zu lösen.

Es ist, als ob ein Dämon da befeure 
das Sinnbegehren einer Traumweltschar.
Sich jenes lusterpicht zurechtzulegen.
auf dass nicht Einsicht es 
als Selbstverlust entfalte:
Doch Alptraum smarter Ratio-Größen.

Faktenspielballohnmacht (1624)39

Hör endlich, endlich auf zu jammern.
Du weißt doch, wie es laufen muss:
Verfügt bist du Gesellschaftsklammern;
und auch dir selber ausgeliefert bis zum Schluss.

Kein Dasein, das nicht wäre allprekär,
in jedem Augenblick doch ausgesetzt
dem Hang zu Illusion und Ungefähr,
von Selbstwert-Zweifeln tief verletzt.

Es gibt nur einen Weg, sich selbst zu meiden:
als Faktenspielballohnmacht sich sich zu entziehen …
Als diese wissend sich durch dieses Sein zu leiten …
Nie Sinn-Fiktionen, Wert, Pleonexie gediehen.

Fundamental-Abscheu (1625)40

Mich widert das an,
dies Verbrauchergetue:
Der Kultus des Fun,
der Markenschuhe,
das seichte Geschwafel
der Leistungseliten:
Der Wertwirren Tafel,
von Fakten geschieden.

Mich ekelt Gesellschaft,
dies Horden-Gebilde,
die ethische U-Haft,
die Leerformelgilde,
der Warenbetrug,
diese Langweile,
der bittere Zug 
im Ernst jeder Zeile.

Mich stößt das ab,
dies Ringen um nichts,
dies Ramsch-Make up
blasierten Gesichts …
Dies Hauen und Stechen,
verwahrlosungsroh,
sich Sinn zu erfrechen:
Primaten-Tarot.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1626)41

Die Entseelungs-Imperative 
rätseln über sich selbst;
die existenziellen sowohl
wie die sozialen.

Ichlastig spreizen
die Geltungshuren 
Belämmerungsschenkel 
zwecks Hypermoral,

den globalen Ochlos
wahllos empfangend
zu subventionierter  
Entlastungs-Kopulation.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1627)42

Zukunfts- und kulturlos,
Adiaphora speichernd:
Mit sich selbst 
kommunizierende 
Smart Phone-Diener,
auf Effekte getrimmte
Hirne anwählend
in reklamediktiertem
Verseichtungskosmos.
Wahllos massierend
die Ramschphantasien 
deutungsentwöhnter
Sekundär-Ekstatiker:
Stumpfsinnbombastisch.
Zwangsegalitär.
Bewussstseinssynthetisch.
Sich selbst marktbeflissen
steuernde Kandidaten 
eines zwangstechnologisch 
generierten, stets à la mode 
gekleideten Lumpenproletariats.

Auf Ratio-Diktatur doch angewiesen (1628)43

Was kommt? Vermutlich eine Katastrophe.
Die niemand sehen konnte, niemand plante.
Es gibt da keine Schuld, wenn hypertrophe 
Verstandes-(Intellekt-)Ananke bahnte
der Art die Spuren technogener Zwänge.

Wer hätte hemmen können ihre Dünen?
Wer auch entrinnen ihrer Formelstrenge,
nur überlebend doch auf ihren Schienen?

Dass geistig ich da mag oft aufbegehren,
ist doch naiv, meint Illusionen klonen.

Vergeblich sich des Faktums zu erwehren, 
dass Ratio ganz allein muss sich betonen …
Evolutionsverfügt wird auf uns zehren,
nicht fähig, mit uns selbst uns zu verschonen.

Selbsttäuschungszwang (Trias A) (1629)44

Zwecke? Sinn? Verwirklichungen?
Ersatz für Kinder, Medien abgerungen
und Trancen neuronaler Räume.

Bedürftige im Zaum zu halten
in Hoffnungs-, Freuden- und Entlastungsschüben.
Und das Bewusstsein sich so abzuspalten
von jenen objektiven Trüben,
die unser Dasein doch bestimmen:
Als Ausgesetztsein sich und Artgenossen,
als kategorisches Verschwimmen
von Greifbarkeit, der längst verflossen
sind Inhalt, Streben und Geborgenheiten …

Wer könnte ohne Surrogate 
sich da erhalten noch, 
vielleicht gar weiten?

Zumal er ahnt, dass er sich schade,
sich nicht zu inszenieren 
als von sich umschlungen?

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1630)45

Auge und Nase verdeckt,
erfolgreich enttiert,
schnappt ein Begehr 
nach seraphischem* 
Schamhaar.
Schweißneutral 
seiner selbst 
nicht mehr mächtig.
Betrüglicher Leiboptimierung 
zum Opfer gefallen.
Indes: Wer vögelte nicht
sich heraus aus Nihilismus
und Neurosen-Gelächter,
aggressiver Ohnmacht 
und Verwahrlosungs-Gewoge?
Zumal’s die Verwaltung
immer dringlicher
als Vollzugs-Entlastung anmahnt.

*seraphisch: engelgleich, verzückt

Anderssein (1631)46

Was könnte ich denn von mir selbst erzählen?
Zumal beschäftigt damit, das zu meiden,
was man für gut hält und erstrebenswert.
Was gängig propagiert wird als das höchste Glück:
Erfolg und Anerkennung und Dazugehören.
Vielleicht auch Macht und Ruhm und Überragen.
In jedem Fall erwünschte Anpassung.
Die doch verhindert, dass man Zweifel hegt,
ob man das Richtige, meint: Das Erwünschte tue.

Was mich betrifft, so war von Anfang an ich außerstande,
sei’s Vorteil, sei es eine Haltchance drin zu sehen,
in dem, was andere am meisten schätzen.
Selbst wenn gewollt ich hätte, hätte ich’s nicht können.
Mich hielt ein andrer Zwang von all dem ab.

Verdienst ist da auf keiner der genannten Seiten.
Ich hab mich angepasst, wie ich es musste,
wie’s mir die Daseinslotterie bestimmte:
Als Außenseiter, meist allein, zu existieren.

Indes verachtet hab ich jene nie. Zumal ich wusste:
Sind sie es doch, die Sein und Haltung
mir erst möglich machen,
weil grade nicht, wie ich, sie diese Welt verwerfen.
Sich vielmehr in sie stürzen, ihr sich abzutrotzen,
was sie verspricht an Gütern und Genüssen.
Und das erst schafft den Wohlstand, groß genug,
einen wie mich zu dulden, dem an ihm nichts liegt,
der freilich gerne ihn benutzt als ideales Mittel,
beiseite sich zu halten vom Getriebe schieren Haschens.

Und hatte Glück, und zwar sehr viel, ich deute an:
Da war das Ämtchen, das ich inne hatte
(Kultur gewidmet, so politisch ganz bedeutungslos:
Politfiguren sind sich selbst nur relevant),
das mir den Lebensunterhalt für dreieinhalb Jahrzehnte sicherte:
Ich musste also nicht von fremder Leistung leben.
Was mich zutiefst beschämt auch hätte:
Wer will schon sich auf solche stützen müssen,
die ihm suspekt sind, wenn auch nicht verworfen?

Auch wenn ich weiß um’s Ende aller Hochkultur,
um die systembedingte Gossentyrannei,
den Niedergang der Bildung, psychischen Zerfall
der Innenwelten, des Gewissens Tod,
totalitärer Mittelmäßigkeit Gesinnungstugendfanatismus,
so will ich doch mich Geist und Einsicht widmen,
durchschauen diesen späten Ratio-Nihilismus,
begreifen so auch die Notwendigkeit, in ihm beschlossen,
der Gattung letzter Art nicht Schuld an sich zu geben.

Ich durfte Kind so bleiben und herüberretten
ins hohe Alter jener Zeiten Animismus-Phantasie:
Faszinationen. Einfach. Mystisch. Frühnaiv:
Die Katzengötter und die Winddämonen,
der reinen Schneepracht Rieselstille,
den Gott in mir, Phantom des absoluten Geistes,
geheimnisvoller Stummheit Farbenspiele,
mich zart zu trösten, wenn mir eine rasche Bö
den Sand geglättet hatte, meines Seinsgekritzels Kelch.

Indes wir der Materie Fehllauf sind,
wir, Virtuosen ganz banaler Barbarei,
nicht ansatzweise fähig zu bewahren 
sei es uns selbst, sei’s jener Schönheit Trost …
Verstörter Irrtum, Zufallslaune …
Der Tyche Blindheit, scheint’s, 
genialster Katastrophenwurf.

Phantasmagorien (1632)47

Von Phantasmagorien 
frei zu sein,
das ist, genau genommen,
ausgeschlossen.
Zumal man richtet aus
sich Trug und Schein,
sieht Paradiese so
noch selbst in Gossen.
Und das, das tut man 
faktisch dauernd:
Man phantasiert als Hirn,
man lauert,
zielt dabei auf dies Dreigestirn:
Beruhigung, Entlastung,
Traumweltzwirn.
Gemeinter Wahrheit dann
ganz friedlich eingegossen.

Klugheitsregel (1633)48

Auch mal was auszulassen,
bin ich gern bereit.
Ich muss ja nicht 
grad alles sagen.
Schon zu verhindern,
dass mich hassen
die Wert-Propheten 
dieser Zeit.

Denn was ich denke,
- das ist leicht zu spüren -
geht mit dem Zeitgeist
nicht konform:
Nicht seinen 
Tugendramsch-Allüren,
genau genommen 
keiner Norm.

Die ihm mag 
dieses Unvermögen lindern,
exakt zu denken …
ohne Träumereien,
komplexer Faktenwelt
sich einzureihen;
doch das, das würde
tief ihn kränken.

Geistige Überschreitungen (1634)49

Gedichte machen, das heißt zwanghaft überschreiten
sei’s Ich, sei’s Welt, sei’s Du, sei’s Wir,
heißt, radikal sich selbst zu meiden
als marktvereinzeltes Gesellschaftstier.
Heißt wortgeborgen leichthin zu entgleiten
all dem narzisstisch-tugendfaden Bettel hier
von eitlen Wirklichkeitsverweigerungen …
den Fakten nahe, einsichtsschier
sich geistig - stoffkonform - gelungen.

Dies Dasein (1635)50
Zu vergleichen sind die Gedichte (34/2049) und (61/2943)

Es ist dies Dasein letztlich doch genial.
Wie man’s auch drehen mag und wenden:
Es ist - 
trotz Formeln, Gramkonsum und Umsatzzahl,
trotzdem man muss sich Markt verschwenden,
trotz allem Schein von Glück, Bedeutung und Moral -
noch immer groß …
Als geistiges sich selbst Vollenden:
In Weltabwehr …
Aufgrund von Zwang indes, 
nicht Wahl.

Überholte Prägung (1636)51

Die Welt, die mich geprägt hat, ist verschwunden.
Sie war recht klein und eng und noch geschieden
nach Bildung, Konfession und Klassen-Mythen.
Noch gab’s ihn nicht, den ichabstrakten Kunden.

Gut war sie nicht, die Welt der Stammtischrunden,
der Flüchtlingsleute aus den Ostgebieten,
der Lebensgier und der Charakternieten.
An Feld, Fabrik und Kleingeschäft gebunden.

Ich sollte immer ihr verhaftet bleiben.
Ihr, dieser anti-intellektuellen,
mit ihrem noch bescheidenen Betreiben,

sich aufzuschwingen zu ganz neuen Hellen.
Um diesen dann sich fraglos aufzureiben:
Dem Sog des Wirtschaftswunders sich zu stellen.

Was ich schreibe (1637)52

Manches ziemlich deprimierend,
andres einfach roh.
Drittes unerträglich flach.
Vieles, was man gar nicht wissen will.
Doch die Welt, die ist nun einmal so:
Loser Boden, ohne Geistes-Dach.
Heute Hedonismus-Drill:
Nur für Kluge alarmierend.

Wenn wir unsre Kerne kennten,
würden viel zu oft wir trauern,
weil in ihnen gar nichts fänden,
was uns nicht auch ließe schauern:
Dass wir ausgeliefert leben,
Zwängen, Zufall, Zeit und Tod …
Andern, uns, prekärem Streben …
Ohne Mitte, Sinn und Lot.

Deutend uns entsprechend aus:
als vernünftig, frei und hehr.
Als der Würde Geistes-Haus:
Zweck an sich und einsichtsschwer.
Freilich Ohnmacht, sittlich leer. 
Triebgefüge, machtgebunden,
oft nicht fähig, zu erkennen
all die Quellen unsrer Wunden.

Prosafetzen (270) (1638)53

Tatsächlich habe ich 
dir gar nichts zu bieten.
Weder menschlich noch ethisch,
weder kulturell noch sozial.
Weder geistig noch sexuell.

Überlege es dir also,
ob du auf mich setzen solltest.
Wäge es klug, ohne Tagträume,
Erwartungsillusionen und 
irrationale Verstrickungen ab.

Und vergiss nicht, 
welche Chance
ich dir damit biete,
dich nicht 
in dir selbst zu verrennen.

Der tote Gott/Sonett (1639)54

Längst fehlen doch die feinen Seelenschichten,
das Absolute noch als Geist zu fassen:
Die Psyche heute muss sich Reiz verprassen,
kann nicht mehr metaphysisch sich gewichten.

Muss nach Reklame sich und Nutzen richten:
Impulsen also  für Erlebnismassen,
Systemschub für die Selbstverwertungsklassen:
Orientierung diesseitskirren Schlichten.

Wer kann sich da denn noch mit Gott abgeben,
den nicht für einen Therapeuten halten,
der einem helfen könnte zu erstreben

gelungnes Dasein in Genusssucht-Spalten,
um auszukosten dieses Heidenleben
bis in die letzten irritablen Falten?

Grundstimmung (1640)55

Zu nichts fähig,
zu nichts nütze,
hänge ich hier rum;
weiß, dass ich 
mir Ohnmacht ritze,
dass ich Schund 
und Phrasen stütze,
ging am liebsten
schmerzlos um.

Der Leib (1641)56

Es ist der Leib,
der tiefste Glücke gibt;
der Leib allein 
tut das.

Ob Kraft, Gesundheit,
ob Orgasmuswogen,
die schenkt nur
dieses Stoffgefüge.

Und das, bis es
in Siechtum kippt,
wird reduziert
auf Fraß.

Verfügt wird Leid,
dann aufgesogen
vom Krumen-Nichts
der leeren Krüge.

 

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