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Diese Seite enthält 43 Gedichte (41 Prosa-, Reim-Gedichte und 2 Sonette)
Es ist … (1542)1
Es scheitern Seelenkraft
und Einsichtswille,
das eigne Dasein tief,
im Kern zu fassen.
Zumal man ahnt,
das liefe schief.
Ist’s doch nichts weiter
als Sichselbstverpassen,
Erlebnisnichtigkeiten
sich verprassen,
in süßen Selbstverlusten
leerer Daseinsstille.
Schleichendes intellektuelles Versagen (1543)2
Hab ich vielleicht doch Schwierigkeiten,
noch ernsthaft irgendwas zu schaffen.
Wozu, so frag ich nämlich, sich noch weiten,
wenn alle nur Erlebnisinhalt raffen:
Sich durch ihr Leben delirieren,
indem sie nur auf sich noch sehen,
und dabei oftmals selbst sich nur düpieren:
systemerwünscht sich um sich selbst nur drehen;
in Wirklichkeitsverlusten dann die Welt zu meiden.
Und was die ausmacht, ist leicht herzuzählen:
Nichts gibt’s noch, was Gelingen in sich trüge,
dem irgend Sinn noch wäre abzuschälen
in diesem Kosmos steter Daseins-Lüge,
der nicht auf Tausch abzielte und Genuss,
Kalkül und Neiderregen, Überragen,
auf Spaßramsch, Geltung, Zaster-Plus,
Verzicht zu denken und zu hinterfragen
komplexe Sachzusammenhänge …
Sind psychisch wir auch längst zu schwach,
uns auszudeuten unsre Lagen …
Nichts weiter mehr als hochsubtile Zwänge
als lustgetränktes Selbstentmächtigungsgemenge.
Nur ER (1544)3
Vergleiche die Variante (42/2294)
Nur Gott kann uns vor uns bewahren.
Wir selbst nicht ansatzweise.
Wir sind nicht fähig, uns zu schaffen Gleise.
Doch Hyle-Zufalls-Scharen.
Verwiesen drastisch auf Ideen,
auf Ideale … letztlich leere Worte:
Auf Scheinbegriffe und auf Sehnsuchtswehen.
Auf eine Hoffnung, die naiv verorte.
Indes: Man kann nicht glauben wollen.
Auch fehlen längst die Seelenschichten,
zu greifen, was es heißt zu sollen:
sich metaphysisch zu gewichten.
Halt-, Sprach- und Sinnlosigkeit (1545)4
Immer dasselbe Geschehen:
Einzelne wollen oder können nicht mitmachen
und rebellieren deshalb
gegen die kommandierende Selbstliebe,
Halbbildung und emotionsbrünstige Rationalität
der selbstdistanzlos, oberflächenethisch, gesellschaftlich,
kratisch und ökonomisch gesteuerten
tranceerpichten Illusionsträger:
Mittelmäßige politische Funktionseliten
(oft geistig korrupt, sprachlich arm, narzisstisch, schauspielerisch, charakterlich unfest,
von sich selbst ergriffen und inkompetent) …
Macherdurchschnitt (kalkülverblendet, teils gar kriminell, unfähig,
die nihilistischen Konsequenzen seines wirtschaftlich-technischen Tuns und Lassens vorauszusehen,
jedenfalls getrieben von Pleonexie, Selbstüberschätzung,
Ich- und Großmanns-Sucht, Arroganz und,
da global abhängig und unterwandert durch Diktaturen,
ihn dauergängelnden Zweckoptimismus …
Eine ihrer selbst entmächtigte Masse von Anonymen
(die, Komplexitätswirren ausgeliefert, alltagsgedrückt
und orientierungslos, ein notwendig drastisch
ichsüchtiges glücks- und lustzentriertes Leben
zu führen versuchen,
reduziert auf den Status von Systemmonaden:
verdinglichten Verbrauchern und ihrer Wirklichkeit entfremdetern Konsumenten der Deutungs-,
Unterhaltungs- und Psychenkonditionierungs-Industrie) …
Und eine kleine Zahl von pfäffischen Intellektuellen,
Gurus, Hypersensiblen, Gewissensgeleiteten, Weltenrettern, Tugendbewegten
und Scheinsinn-Produzenten
(utopistisch-idealistisch, trivialmessianisch, humanitätstotalitär, erlösungsbrünstig, fundamentalagapistisch, verantwortungslos,
pseudobesorgt und leerformelorgiastisch) …
Halluzinierende. Auf allen Seiten.
Heteronom unaufhörlich in sich selbst zurückschwappend.
In richtungslose Seelenräume. Innenweltphantastisch. Verblendungskümmerlich.
Evolutionsdeterministisch ausweglos gegängelt.
Sich selbst und einander ewig fremd.
Ich bin einer von denen, die nicht mitmachen können.
Indes nicht weniger befangen, hilflos, ich-
und selbsteng-arrogant ungerecht.
In mich selbst eingesperrt.
Elitärer Geistimpotenz, immerhin bewusst, frönend.
Anfällig so für Vorurteile, feinsinnige Hierarchien
und Verlungerungs-Indolenz … So wie wir alle.
Offen gestanden (1546)5
Ja. Ich denke an dich.
Mir ist völlig klar,
was ich versäume,
wenn du nicht da bist.
Andrerseits wiederum
bereue ich deine
Abwesenheit nicht.
Dann nämlich,
wenn es mir vorkommt,
es gebe Besseres
als Zweisamkeitmärchen,
einsamkeitsgesteuerte
Verbraucherverlogenheit,
befriedigte Leibsucht
und sentimentales,
medienkonform leeres,
tief existenzfremdes Geschwätz.
In der Tiefe (1547)6
Es ist nicht leicht,
es zu erklären,
was ich da
aus der Tiefe hebe:
Ein Meer von Irrtum,
Trug und Mären …
Dass man
von Illusionen lebe …
Dass alles Dasein
sei banal und seicht …
Bewirke,
dass man sich entehre …
An Scheingebilden
und Entlastung klebe …
Naiver Daseinstraum
der sich als Selbstphantom
umschleicht.
Anonymer Prozess (1548)7
Ich kann mir Treue gar nicht leisten.
Noch nicht einmal zu mir.
Mir geht es dabei wie den allermeisten.
Ich muss flexibel sein, Gespür
für Marktansprüche haben und für Drill
von Wirtschaftszwängen und von Abstraktionsstrukturen,
muss, Seichtheit schluckend, halten still,
obgleich durchschauend die Polit-Auguren.
Doch leb ich gut. Nicht dass ich litte!
Verfüge über jede Art doch von Entlastungs-Mohn.
Zumal auch permissiv sind Norm und Sitte.
Human selbst die Zerstörung der Person.
Existenzielle Nacktheit (1549)8
Nicht religiös und nicht politisch,
nicht ethisch je stringent gebunden,
sind wir verpflichtet Formeln und Verfahren.
Gesetzlichkeiten, durchweg analytisch.
Materiellem Zwangssein abgerungen.
Aus Not.
Uns,
Halt entlaufen,
zu bewahren.
Frühe Kindheit (1550)9
Ach diese früh vertrauten Gassenschemen …
Zuweilen schießen ihre Bilder hoch.
Längst Namenlose. Ja schon damals Rand.
Ich seh sie stolpern noch, ich seh sie fallen.
Und manche höre ich noch heute grummeln,
wenn sie ihr Schicksal weggezecht sich hatten.
Verachtete, die kalte Gleichmut traf.
Und denen deshalb keine Tränen rannen.
Soziales Spülicht kann nicht offen weinen.
Gedenke ihrer, die verängstigt duldeten
Gemeinheit, Niedertracht, die eigne Nichtigkeit.
Gedenke ihrer als mir doch so Nahe.
Obwohl sich kaum je unsre Blicke trafen.
Weil Scham die Köpfe blicklos senkte.
Heimat (1551)10
Innenweltkonstrukt
auf Erträglichkeit hin
gefilterter Fiktionen.
Für Alexis de Tocqueville/Für Verehrte (1552)11
Nichts behütender,
einlullender,
selig machender
und kindlich entlastender
als diese einen seiner selbst
beraubende
servitude paisible
dans un univers
de sensations mystiques,
provoquées
par des expériences artificielles.
Übersetzung (ganz frei) aus dem Französischen: … friedliche Knechtschaft in einem Universum mystischer Empfindungen, hervorgerufen durch längst technisch-künstlich gewirktes Erleben. Der Text Zeile 8 bis Ende ist von mir (Sa.)
Zwecklücke (1553)12
Ich weiß nicht,
was mir den Realitätssinn trübt,
die psychischen Kräfte raubt,
ganz banalen Anforderungen
noch zu genügen …
Weiß nicht,
was mich so leer,
ausgebrannt
und antriebslos macht.
Ich nehme an,
dass es auch damit zu tun hat,
dass es mir
intellektuell und emotional
einfach nicht mehr gelingt,
einen übergeordneten Gesamtzweck
meiner Existenz
geistig fraglos
zusammen zu phantasieren.
Scheitern des Geistes (1554)13
Am Ende bleibt nur die Gewalt,
das hässlich-kindische Vernichten.
Das liegt auch daran, dass ein jeder Halt
als Wertfiktion sich muss erdichten.
So niemals wahr sein kann,
muss sich nach Perspektiven richten.
Und die sind unvereinbar, affektiver Bann,
Identitäten formende Ich-Selbst-Gestalt.
Ganz anders Geist, der tapfer klar
versöhnte Zufall, Stoff und Deutungsschichten.
Indem er zeigte, dass, was durch die Psychen weht,
sich nur als Stoffverfügtheit deuten lässt.
Sei es auch Tiefenschrei, sei’s auch Gebet,
das sich aus Leere, Gram und Ängsten presst.
Indes als Daseinsqual dem Tier gewahr
als letzter Stoff entrungner Hoffnungsrest.
Der Geist allein doch zeigte, dass der Wert als Glaube
Brutalität und Unterscheidungszwang erst schafft.
Damit ein Wir sich Relevanz aufklaube,
es in Vollendung hebe, gebe ihm die Kraft,
dass es nicht selber seiner sich beraube.
Bewusst sich werdend, dass auf ewig klafft
hie Sein dort Sollen ihm, dem Lebensstaube,
als unaufhebbar stille Selbstgefangenschaft.
Feststellung III (1555)14
Vielschreiber, Dilettant und Epigone,
bin ich Subjekt aus zweiter Hand.
Mit Wir konformer Seelenzone -
für mich der einzig sichere Garant,
dass ich als zugehörig allen gleiche.
Mich auch als Bürger so empfehle
an Oben, Unten, Arme, Reiche
als angepasste Seele.
Tatsächlich hass ich
diese Geltungsschmiere
von Wohlstandsüberbietung
und dem Marktbefehl,
dass man sich täglich onaniere
aus Formel, Artefakt,
Geschwätz und Schund.
Tote Werte (1556)15
Das kann nicht gut gehn;
kann’s mitnichten.
Das träumen nur
die Tugendschlichten.
Indem sie tote Werte schichten,
die, weltfremd,
vor sich selbst vergehn,
weil immer sich
zur Illusion verdichten.
Nach Feierabend: Flucht in blaue Gottesstillen (26/1557)
Es steht noch einer an; noch ein Termin.
Nach ihm kann ich den Arbeitstag beenden,
an dem die Sommerhimmel Bläuen spenden
bis in der Seelenwirren Kokain.
In diesen Bläuen werd ich eilen fort
aus Diesseitsperspektiven, mich zu wenden
bis mir der Tag und seine Lasten schwänden
in jener Gottesstillen ohne Ort.
Um dann von Krüppelbirkentrost zu träumen,
von fleckig-weißem Stamm und grünen Zweigen
und jenen faszinierend weiten Räumen,
in die dann Kindssehnsüchte werden steigen
im Wissen: Unten gibt es nur Versäumen
und unabwendbar ruinöse Neigen.
Staatsversagen/Sonett (1558)17
Nun kratisch impotent und wertberückt:
Realitätsverweigerung verfallen,
gerät der Staat nun aus dem Gleichgewicht.
Zumal er aufruht auf dem Schemen Würde.
An einem Kernversagen doch erstickt
gesinnungsethischer Moral-Vasallen
mit apolitisch-klerikaler Sicht.
Die ließ das Land sich selber werden Bürde.
Zumal karrieresüchtige Narzissten
in den Parteien längst das Sagen haben.
Obwohl nichts weiter sind als Dilettanten:
Des Zeitgeists Schüler, die sich wortarm brüsten,
dass sie verfügten über alle Gaben,
als leerer Worte Star sich zu gewanden.
Grundlagen aller Formen von Verantwortungsfähig- und -bereitschaft (1559)18
Moral hat der,
der selbst sich zwingt,
sich Einsichtsmacht
nur unterstellt;
wohl wissend,
dass nur dann
er sich gelingt,
wenn ihn Verzicht
sich selbst gesellt.
Wenn seine Selbstansprüche
diese sind:
Dass nicht Verdinglichung
ihn mache blind,
er nicht entfremde
seiner sich
wie doch so manches
große Kind.
Erinnerungen an eine Kleinstadt (1560)19
Trostlose Regentage.
Wie jene damals in Bad Schweigenhain.
Ziellos warf ich mich umher,
ließ mich treiben,
apathisch vor Einsamkeit
und Entfremdungskälte.
Damals in jener
herzverseuchten Kleinstadt,
durchweicht zumal auch
von Haltlosigkeit, Schwermut
und aggressivem Daseinsekel.
Dreierlei (1561)20
Ich käme mir unredlich und ichhörig vor,
bei für Null-Magien, Halluzinationen und Lallstrudel
sowieso anfälligen Personen 2. Hand
noch Emotionsblasen zu provozieren,
indem ich z. B. durch Wort-Geraune,
Andeutungs-Mystik und mediales Zungenreden
affekthungrige Innenwelten mit Bewusstsein herabsetzendem Stilllegungszauber betörte.
Denn dreierlei steht mir fest:
Die Nichtexistenz Gottes,
die uns gegenüber
vollständige Indifferenz des Universums
und die notwendige Armseligkeit
dieser einer radikalen Pleonexie unterstellten,
neuronal mit sich selbst geschlagenen Primatenart.
Sonntagmorgen (1562)21
Halb neun an einem gelben Sonntagmorgen.
Ein Glockenläuten fällt mich an,
das mir ein sturer Wind akustisch mal in Fernen,
mal in Nähen weht.
Die Zeit immerhin beißt sich die Achillessehne durch.
Und Blaukrieger stoßen scharenweise vom Himmel herab.
Schon lauert auf mich die 7. Raumdimension.
Unzerstörbar - subjektlos - trägt mich all das
auf diesem Hauch ersehnter Ewigkeit
in Gottes transzendente Weiten,
mit Sonnen zu spielen und lichtübergossenen,
stolzmütig schönen Erlösungs-Feliden*.
*Feliden: Katzenartige
Gewalt, Nihilismus und Seligkeit (1563)22
Was soll wohl dieses Dasein? Sag’s mir doch.
Ich weiß da wirklich klare Antwort kaum.
Ist’s Eskapismus, aus auf Dauergier,
zu engen Einsicht und Bewusstseinstiefe?
Damit uns nicht betrübend quäle,
dass es ein Alptraum könnte sein?
Ein kambrischer* Biontensprung
aus Zufallsketten brünftig explodiert?
Komplex aus Urknallindolenz,
ein Zwang, Entwicklungssucht verführt?
Zu phantasieren sich zuletzt gar Geisteskehren,
die’s gar nicht geben kann, ist man doch Ding?
Als Ding allein, gleich jedem Du,
das fremd und stumm bleibt, unerreichbar fern,
Gewaltverhältnis zu sich selbst doch auch.
Ist ja Gewalt Primärmacht dieses Werks,
das nie von uns, von gar nichts handelt.
Doch augenblicklich überschön uns packt,
uns tief beglückt: ekstatisch hingerissen,
vergehen lässt in stoffgefällig,
in drangverliebter Seligkeit,
uns alles Leid, Vergeblichkeit,
uns selbst gar sehnsuchtskryptisch nichtend,
entsiechungsträumerisch vollendungsschier.
*Kambrium: Zeitspanne der Erdgeschichte, ca. 541 bis 485 Millionen Jahre vor unserer Zeit.
Im Kambrium erfolgte eine explosionsartige
Zunahme von Lebensformen
Faktengetreu (1564)23
Für mich
bis zum Ende
ein Stich
in Gelände
von Leere,
und Nein:
Soziale Galeere,
vergebliches Sein.
SMS (70)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1565)24
Für mich ist es nun einmal so:
Ich muss auf Schöpferisches zählen:
Auf Geistgebilde wie Gedichte.
Weil die nur mich mit mir vereinen.
Weil weder Freizeit noch Büro noch Du
mir Existenzgehalte können schälen,
mir böten irgendwelche Seins-Gewichte,
mich zu entziehen diesem Menschen-Zoo,
in dem es nicht grad ehrenhaft geht zu.
Der vielmehr offenkundig Niedrigkeit
lässt als soziales Gut erscheinen,
belohnt nicht Großgesinnte, sondern Wichte,
bejubelt Phrasenbrei als Geistes-Clou.
SMS (71) Endstadium//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1566)25
Gegen Ende jetzt - auch in der Folge
von Einsicht und Ohnmacht,
von Tugend-Arroganz, Verblendung und Hybris,
von politischer Mittelmäßigkeit
und selbstbrünstiger Megären-Aggressivität -
überrenne ich, völlig desillusioniert,
zumal bestätigt, was angeht mein Menschenbild,
nunmehr auch mich selbst:
Frieden zu finden, Schutz auch
vor Charakterlosigkeit, Gewissenstod
und einem Menschentypus,
dessen narzisstische Erbärmlichkeit
ihn, so hoffe ich, in die eigenen Fallen,
diese unfehlbaren, wird laufen lassen.
SMS (72)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1567)26
Lieber dem Schicksal
von explodierenden
Sternen nachhängen
als tagtäglich
dem Verfall zusehen,
der diese despotische
Selbstbeweihräucherung,
wie es sein muss,
allmählich ruiniert.
Mit einer Folgerichtigkeit,
die jener
in nichts nachsteht,
die eine Sonne
zur Entartung zwingt.
Und es gibt keinen Weg
der herausführte
aus dieser ratio-sapienten
Verkennungssehnsucht.
SMS (73)/Zwischen Regalen
und einer Schlange an der Kasse//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1568)27
Morosität. Hektik. Launenverhaftung. Stumpfsinn.
Die Inhalte von Einkaufstaschen ertastende
virtuelle Feindseligkeit.
Sie nestelt, blickdumpf unzufrieden,
Waren aus dem Einkaufswagen auf das Laufband.
Die Smarten zahlen, objektiv bankenhörig, bargeldlos,
subjektiv sichtlich dankbar für diese Erleichterung.
PIN-Nummer-Identität.
Die Blicke aller wenden sich ab,
diese letzte Form von wenigstens formeller Selbstheit
nicht durch aufdringliche Neugier zu entweihen.
Aufklärungssubjektivismus, der hier seiner Freiheit
frönen darf: Vernunftflach ichhypertropher Selbstgängelung.
Da lebt sich, glücklos,
die juristisch konzedierte Persönlichkeit aus:
Der formelle Würdeträger,
der um die Regale streicht auf der Suche nach Erlösung.
Vor allem wohl von sich selbst.
Indolent-narzisstische Ichschwäche.
Blickabschätzigkeit visueller Streifung der Nachbarmonade.
Konsumkapitalistische Abrichtungen reflexhaft vollziehend.
Kundenmetaphysisches Gehabe
drastischer Verdinglichungsvereinsamung.
Ausdruckslosigkeit.
Erschlaffungsgier.
Langeweile und affektive Verarmung
stürzen von den Gesichtern.
Kants Person reduziert zu dem,
womit sich ihre Karikatur hier versorgt.
Signifikante Hektik von Konsumversehrten.
Als flöhen sie vor sich selbst.
Das ist genau der Fall.
Wolken von Seichtheit ziehen durch die Gänge.
Man lungert in psychischer Austrocknung.
Coole Regungen zeigen an,
dass man sich in sich selbst verkrochen hat.
Ohne dass man würde anzugeben wissen,
was das heißt: Treib-Ich-Totalitarismus?
Kreatürlichkeitsernst einer Konsumkaserne.
Dümpelnd-schläfernder Fun-Stalinismus.
Bräsiges Unterwürfigkeitsauftrumpfen.
Belämmerungsvollzüge formell autonomer,
kaltherziger und mühelos austauschbarer
Binnenmarkt-Vollzugsschatten.
Ich frage mich oft, ob diese gerade erwanderten Warengebirge
in diesem Konsumenten-Dom definitiver Beglückungsangebote
z. B. die spontane Phantasietätigkeit deklassieren;
und ob sie in einem substanziellen Zusammenhang stehen
mit dieser existenziellen Verzwergungshermetik,
die von allem abströmt, was diese Individuen ausmacht:
Narzisstisch inszenierte Veräußerlichungssucht
scheinbar seelisch toter Selbstexponierungsneurotiker:
Gekünstelte Bewegungen,
Aufmerksamkeit erheischende Kleidung,
Satzkrüppelblasiertheit,
blicklich und gestisch auftrumpfende Bedeutungsleere.
Man merkt es ihnen an:
Dieses emotionskomplexe Ineinanderlaufen
von Innenwelterregung und Warenmagie.
Ablesbar freilich schon an jeder Verpackung:
Sie verspricht mythisch Ultimatives:
Quasi-Paradiesisches,
erlösende Großwirkung auf Körper, Seele, Intellekt:
Metaphysische Geborgenheit im absoluten Konsum.
Aber du tätest diesen Menschen doch Unrecht,
würdest du es ihnen,
doch biologisch, existenziell und sozial
gebeutelten Gewohnheitstäuschern,
hilflos ausgeliefert zumal an die Diktatur
des Ungefähren,
Hochabstrakten,
Wirklichkeitslosen,
Dauerpropagandistischen,
Bilderdiktatorischen
und Leeformelmagischen,
auch noch zurechnen …
Womöglich kulturell, politisch, ethisch
oder gar hyperidealistisch empört aufgewühlt:
Geistig verfeinerungsblass betroffen
und medienkonform entsetzt.
Eben: typisch intellektuellenonanistisch kritisch.
Indes du doch weißt:
Niemand mehr ist diesem komplexen Kosmos
naturwissenschaftlich-technischer Selbstentmächtigung
und wohllebenstyrannischer Vereinnahmung
in gleich welcher Hinsicht noch gewachsen.
Niemand mehr wäre gar noch fähig,
ihn zu begreifen,
so dass er sich in die Lage versetzt sähe,
ihn, sich selbst und seine Artgenossen
irgendwie noch zu meiden:
Sei’s metaphysisch,
sei’s geistig,
sei’s magisch,
sei’s trancegeborgen.
Differenz (1569)28
Nur ganz, ganz wenige Dinge,
Räume, Bewusstseinszustände
und gesellschaftliche Lagen
habe ich tatsächlich,
ohne mich selbst zu betrügen,
geliebt.
Gedichte z. B,
sonnenversengte Schrottplätze
(sie ermöglichen ungestörte Einsamkeit),
Hilfsarbeiter-Tätigkeiten
(man bleibt unbeachtet, zählt nicht,
darf an der übrigen Artgenossenschaft
ungetadelt vorbei leben),
Steine zumal,
die mich Apathie und Schweigen lehrten.
All das also,
was notorisch übersehen,
ja: gemieden wird,
von diesen auf sich selbst
gierigen Daseinsschauspielern,
die ich meine Mitmenschen
nennen muss.
Spätjahraufatmen (1570)29
Es heißt zuweilen, schwarzgallig
würden die Leute im Herbst,
begännen zu fürchten zumal schon
des Winters Gefahren …
Weicht doch im Herbst die Wärme des Sommers,
beginnen zu heulen die Winde, die kalten,
durchnässt der häufige Regen die Kleidung,
klatscht und peitscht gar manchmal bis auf die Haut,
steigen die Nebel, hemmend die Blicke,
schneidet und klirrt auch die Kälte …
schrumpfen die Seelen,
- zumal schon belastet
von Wirren, Problemen,
Kummer und Scheitern und Ängsten -,
wandern weiter ins Graue,
innen wie außen gewachsen.
Wie sehr bin ich
dagegen erleichtert,
lebe geradezu auf doch im Herbst,
wenn endlich sich drängen
Wolken und Schatten,
Feuchten und Kühlen,
Wehen und Dunkel,
entrückend die Welt,
Gesichter versteckend,
die drückende Schwere
mürrischen Menschtums,
der lärmenden Tage
verlogne Fassaden,
der Drangsal Versinken
in gleißende Leere,
Enthemmungsvertrauern
und ziellose Lust.
Weitere Andeutungen über mich selbst (1571)29
Das macht mir keiner so leicht nach;
so einfach nämlich ist das nicht,
wenn man ist menschlich tot, liegt faktisch brach
in jeder Seelenschicht.
Dann muss man sich zusammenreißen,
um nicht Gewaltlustdrangsal zu erliegen,
muss auf die Zähne beißen:
Sich selbst besiegen.
Muss unterdrücken Hass und Wut;
trotz Niedertracht von vielen Artgenossen;
wiewohl die weder böse sind noch gut,
Zufall und Schicksal ausgeflossen.30Und überhaupt gewöhnlich doch sich selbst entrafft.
Was hätt ich können andres glauben?
Kaum einer hat sie nämlich, diese Kraft,
sich nicht nur andern ab zu rauben;
sich vielmehr radikal auf sich zu stellen,
um so sein Dasein geistig zu gestalten:
Aus seinen eignen Quellen …
Sich trotz der Gossenprägung dann im Lot zu halten.
Selbstzerstörungssucht und Hellsicht (1572)30
Zwei Tassen starken Kaffees hoben mich in den Tag.
30 bis 40 Zigaretten ließen mich in ihm beharren.
Mit zwei Flaschen Rotwein und geistig provozierten
Abwesenheiten beschloss ich ihn.
Ich begreife nicht,
wie ich all dies
über Jahre hinweg überhaupt aushielt.
Widerständig zumal mir selbst:
Gewaltanwandlungen,
Willkür und Phantasielosigkeit,
Opportunismus und Verwahrlosung,
Charakterlosigkeit und Vorteilsnahme.
Widerständig auch
der zähen Banalität des Alltäglichen:
Der Seichtheit,
Ichsucht,
Geistlosigkeit
und stumpfsinnigen Indolenz der Artgenossen.
Und: Dieser in einer solchen Welt
fortschreitenden Innenweltzerfalls
doch unvermeidlichen
Unterforderung.
Daseinsbilanz (1573)31
Tagtäglich mir selbst, diesem Zufall, ausgesetzt.
Mir meiner selbst bewusst als Ich-Hermetik,
als Körperding doch Zeit, heißt Endlichkeit verfügt.
Auf Sprache, Intellekt und Zahl verwiesen,
Sozialmonade, hilflos Artgenossen dargeboten,
zumal durch Lagen stolpernd,
die sie blind heraufbeschwören;
mal die, mal die; nie rational vorauszusehen,
geschweige denn als Ganze zu erfassen.
Gelenkte Kreaturen doch wie ich:
Sich selbst doch nur gegeben;
freilich ohne Selbstmachtmittel.
Genetisch mir zumal diktiert.
Von Herkunftszwängen auch geschlagen,
Erfahrungswerten dann, die prägen.
Existenziell so immer ausgerichtet
auf Deuten hin, Vermuten, Vorurteile,
Phantasmen, Lügen, sich stabil zu halten,
die eigne Psyche mit Bedeutungsdung zu fluten.
Verzahnt geschichtlich-kulturellen Perspektiven:
Gegängelt so, getragen auch, von freilich
kaum begriffnen Werten: Bedarfsfiktionen,
gefühlsbetört sich träumend durchzuschlagen.
So weder wesensgut noch auch im Kern moralisch,
schon gar nicht fähig zu Vernünftigkeit,
will dennoch ich zufrieden sein,
will meine Existenz nicht, ideell gestimmt, verfluchen
in einem plumpen Anfall fader Tugendwirrnis.
Will vielmehr sagen, dass es lohne sich
für derlei Einsichtsmacht sie, fasziniert,
in ihrer absoluten Nichtigkeit exakt zu greifen.
Vom Schluss her bedacht (1574)32
Ich denke vom Schluss her jetzt drüber nach;
darüber, was das Ganze sollte.
Liegen doch Sehnsucht und Hoffnung jetzt brach
und zeigt sich verfehlt das Gewollte.
Nichts sollte es. Es lief einfach so ab:
Relevanztraum unter Großen Stillen,
für den man sich halten musste auf Trab,
dienend tierischem Willen.
Man hielte das Ganze nie aus … luzide;
weil man sofort an seine Banalität,
seine Selbsttäuschungswucht und Leeren geriete …
Verzweiflung, die besser kommt möglichst spät.
Gegenvorschlag (1575)33
Die Bezeichnung ,Warenhöllen’,
Wortschöpfung eines Intellektuellen,
der mit dem Wort wohl seine entrüstungsgeflutete
Hilflosigkeit,
seinen Protest und seinen Ekel gegen
die seichte Borniertheit
der gängigen Bewusstseinsstandardisierung
per pharmazeutisch intensivierten Konsumismus,
Profanierungsgrölen,
Affektausdünnung und Leerformelonanie zum Ausdruck bringen wollte.
Andererseits aber auch seine vielleicht grollträchtige,
verletzende Ohnmacht gegenüber permanent
erfahrener Verweigerung von Anerkennung durch das seine narkotische Verwahrlosungsbanalität
zum seelischen Hintergrundrauschen aller kommandierende, panisch egalisierende kapitalistisch
prototypische Quasisubjekt des medial
organisierten Tingeltangels qua Verkitschungsdiktatur und Sakralisierung auch noch der Kopulationswerkzeuge -
Dieser Begriff ‚Warenhöllen’ veranlasst nun
wiederum mich,
dem konsumkapitalistischen System
einmal aufrichtig zu danken dafür,
dass die Leute,
selbst nach mehr als 50 Jahren,
noch immer auf die Pauke hauen,
vögeln und sich vorvögeln lassen,
den Urlaub theologisieren,
protzige Autos kaufen,
nüchtern berechnend für ihren Geldbeutel kämpfen
und so die Belebung der Binnennachfrage
intensivieren können,
dass die Leute immer noch an den weltweit
schönsten Stränden sich räkeln dürfen,
um sich,
sozusagen passiv erregt
durch lüstern-diffuse Innenweltbeglückung,
vom hektischen Berufsalltag,
Familienstress,
aber auch von sich selbst zu entlasten,
d. h. Eskapismus und termingerecht
produzierten Seelenstoff schnüffeln können …,
dass die Leute immer noch
ihre messianischen Grundbedürfnisse
eher durch ein Popkonzert oder ein Fußballspiel
als in der Kirche,
oder gar in Seminaren zum Thema ‚Glaube und Sinn’
befriedigen wollen,
sehnsuchtsgemäß entlastet dann auch
durch sentimental-dionysisch packende,
träumerisch emotionalisierende Zirkusatmosphäre.
Oberflächendemokratisiert (und also vernunft- und wirklichkeitsflüchtig) bis in die Grundreflexe:
kindisch nach Seichtheit lüstern.
Dass die oben zwar
inzwischen geistig impotent,
rhetorisch unbegabt,
teils korrupt,
teils charakterlos und,
trotz unermüdlicher Bekundung
menschheitsumspannender Großmoral,
zwar oft entweder bereicherungsdreist oder selbstglorifizierungsdurstig sind
(systemimmanente, zeitgeisttypisch provozierte
- unvermeidliche - Phänomene),
was aber nichts ändert an ihrer grundsätzlich
wohlmeinenden Biederkeit,
an ihrer jovial-harmlosen Staats-,
Demokratie-Treue und Verfassungsgläubigkeit;
und schon gar nichts daran,
dass sie keine Umstürzler,
Ausbeuter,
absichtlich Verantwortungslose,
asoziale Mammonschergen oder gar Verbrecher sind.
Sondern eben bemühtes,
kratisch harmloses,
naives Mittelmaß,
dem es,
via Wohlstand schaffenden ökonomischen Erfolgen,
durchaus gelang,
den eigentlichen Garanten von Frieden
(sozialen wie tugendverwirrten),
nämlich materiellen Überfluss auf eine historisch
bespiellose Höhe zu treiben …
Möglicherweise auch deshalb,
weil sie nur simple Parataxen,
weder des Imperfekts noch des Genetivs
noch der Konjunktive bedürfend,
in die Mikrofone stottern:
Intellektuelle Biederkeit
(die für Heutige so überzeugend ist,
diesen gar als Zeichen von Besonnenheit gilt),
statt faszinierende Redegewalt
(die zumal lächerlich, neurotisch und völlig unzeitgemäß,
allenfalls noch als Megaevent empfunden würde:
Die Leute erleben doch nur noch,
konsumieren das Erlebte,
erfahren und verstehen es aber nicht mehr).
Und zwar will ich deshalb den Demiurgen
des konsumkapitalistischen Systems einmal
aufrichtig danken,
weil genau es (und kein anderes würde das leisten)
mir erlaubt,
inmitten dieser hedonistischen Schlaraffen
ein von ihren Jux-Massen unbeachtetes,
jenseits der abhängigen Beschäftigung sogar
stundenweise geistig gelingendes,
jedenfalls still abseitiges Leben zu führen,
rechtsstaatlich-demokratisch immer noch geschützt;
und so vorerst nicht dem potentiell feindseligen,
zuweilen geradezu aggressionserfüllten,
Zugriff landläufiger Entgleisungen ausgesetzt,
wie etwa Neid,
Wut und Hass auf alles Künstlerische,
hochkulturell Verfeinerte,
Sprachmächtige,
Feinironische und scharfsinnig Sublime.
Ich also bin für Warenhöllen,
für biedere Gewerkschaftsmetaphysik,
für die Befriedigung infantiler Bedürftigkeiten,
für die medial verbreitete Selbstglorifizierung gleicher,
cool-narzisstischer Monaden,
für die Herrschaft sich selbst reproduzierender Fadheit,
für hinterhältige Beglückungseffekte und Kicherjahrmärkte.
Ich bin,
kurzum,
für trancestier verinnerlichte Dauerkirmes.
Ohne dass ich deshalb das Bedürfnis verspürte,
irgendjemandes Wahl hochmütig zu kritisieren:
vernunftorthodox weltfremd zu bejammern,
teilnehmen zu wollen
an diesem kapitalistisch-naturwissenschaftlich-technisch
aus konstitutioneller Notwendigkeit heraus gestampften utilitaristischen Paradies,
an seiner nicht nur verlogenen,
sondern ansatzweise in der Tat verwirklichten Humanität,
mag diese auch partiell darauf beruhen,
dass die Menschen ihre Pleonexie ausleben
und ihre politischen Repräsentanten saugen dürfen
an ihrer vermuteten gesinnungsethischen,
gar historischen Relevanz.
Denn Menschlichkeit ist,
schlimm, es begriffen zu haben,
ausnahmslos gebunden an sozial weit und dicht gestreute Wohllebenschancen,
einhergehend mit auf Dauer gestellten spannungs-,
zerstreuungs- und spaß-orgiastischen
Belanglosigkeitsberückungen
und einer Magie- und Mystifizierungsmächtigkeit,
die,
allpräsent,
in den Psychen raunt und lockt und sehnt und lechzt
noch in den trivialsten Alltagssituationen:
Sensationsmedial innenweltgerodetes
Erregungszufuhrflüstern,
dem radikale Wahrheiten,
Ernst,
Begriffsschärfe und Realitätssinn letztlich abträglich wären.
Warenhöllen?
Ja.
Statt intellektuelles Schürfen
in den Abgründen unseres Daseins:
Dort hausen nämlich Pleonexie,
Barbarei,
Selbstzerstörungszwang und Sinnlosigkeit.
Und: Unschuld.
Die des Zusammenspiels von Zufall und Notwendigkeit.
Die der Illusion eines freien Willens.
Klugheit II (1576)34
Vergleiche (12/690)
Mein Leben lang bin ich am Rand geblieben.
Aus manchem Zwang heraus dorthin verbracht.
Die in der Mitte freilich warn getrieben,
sich aufzuopfern ihrer Wohlstandsschlacht.
Und so denn haben sie sich aufgerieben
für Ziele, die uns weist die Ich-Andacht:
Sich möglichst hoch nach oben hin zu schieben.
Dass man genießen könne Ruf und Pracht.
Doch bin ich ehrlich, muss ich eingestehen:
Ich war als Außenseiter froh darum,
dass jene Menschen wollten sich versehen
mit was doch trägt ein Individuum:
Erfolg, um an der Spitze mitzugehen.
Sie legten so sich auch für mich doch krumm.
Selbstkorrektur angesichts
wahrscheinlicher Zukunft (1577)35
1
Es ist nicht schwer vorauszusehen:
Soziale Unterschiede nehmen wieder zu.
Für viele wird es ums Bestehen gehen,
den Lebensunterhalt (in diesem Meer von Schmu).
Nicht mehr die Selbstsucht von Verwöhnten,
die nur auf ihren Vorteil sahen,
sich selbst missbrauchend jener Knechtschaft frönten,
die Durchschnitt gilt als tiefstes sich Bejahen:
Die Suggestion der Massenlebenswerte,
Pleonexie (evolutionsverfügt):
Erlaubt sie jenem doch die sittliche Gebärde,
da der sich faktisch nur als Körper konsumiert.
2
Die besten Jahre sind nunmehr vorüber
(die besten nach Geschäftsverstand);
zu Ende geht das Dauerfieber.
Und fehlen wird der Traumweltlieferant.
Als Ausweg bliebe, was ich heiße
Verzichtsvision: Sich selber umzuschaffen,
dass man nicht nur auf Ichbeschränktheit weise,
auf Kreatürlichkeit: Auf Triebdrangsale würde gaffen.
Indes der Geist, Verbrauchers Antipode,
ist nichts, was sich erwerben ließe.
Zielt nie auf Quantität und Hode,
nicht Macht, nicht Optimierungsexpertise.
Ist er doch selten, oftmals überzart.
Was zwingt, ihn abzulehnen.
Man ist nun mal doch eher Barbarei gepaart,
muss faktentreu so Grobes sich ersehnen.
3
Ich höre auf zu träumen. Wie naiv
ist jener idealkrank richtige Gedanke.
Nein. Ungehemmt wird’s sein. Brutal. Wie’s immer lief.
Das wirkt die artspezifische Ananke.
18. August 2002/Für … (1578)36
Ich habe deinen Körper so geliebt.
Das mag wohl kindisch sein (und ist es auch).
Und dennoch war dies Leibgebet mit dir
von Zwiespalt frei wie von Getriebenheit.
Es war herausgenommen aus dem Lauf
von Alltagspflichten und Verantwortung:
Orgiastik-Nu lasziver Transzendenz
des Tagbewusstseins, gar des Selbstgefüges.
Ich weiß, wir werden uns nie wieder sehn.
Du fürchtest dieses Außenseitertum in mir.
Kalkül trieb dich zu Sicherheit:
Zu Kind, Beruf, zu gängigen Vollzügen.
Sozialem Zwang sich auszuliefern, weil
von Leidenschaft man doch,
ich weiß, nicht leben kann …
Verzicht auf sie erst garantiert die Selbstbehauptung.
Ich liebe deinen Körper immer noch.
Und sei das noch so weltfremd. Sei’s.
Wenn auch von seinem Rauschsog gar nichts blieb
als dieser Scheme in Erinnerungen,
ins Hirn gebrannt als blau gekreuztes Jetzt.
In dem sogar die Einsamkeit verschwamm,
die man doch ist, Ekstase-Taumel-Trance:
Aus tiefster Daseinslust, da doch Atom, vertrieben.
Erotischer Eskapismus/Für … (1579)37
Um deines
erlösungsträchtigen
Körpers willen,
hat sich das
Alles hier gelohnt.
So will es
gedeutet wissen
meine verdrehungsvirtuose
Phantasie,
ausgepicht genug,
ihren Illusionen
die Herrschaft
über Realität
und Wirklichkeit
fraglos
einzuräumen.
Zumal nur
die Lüge allein,
vor Fakten,
Du und Ich
bewahrend,
den Traum von Glück
durchs Leben trägt.
Verstecktes Fürsichsein (1580)38
Sein Dasein isoliert verbringen,
wer könnte das, wer strebte das gar an?
Auf Dauer kann sich niemand so gelingen,
verliefe sich in Wahn.
Verlöre nach und nach, was menschlich macht:
Persönlichkeit durch Anerkennungszeichen;
er würde um sich selbst gebracht,
denn Selbst ist, was uns andre eichen.
*
Indes wer einsam ist, der wird es bleiben.
Zumal die Einsamkeit die Blicke schult
für dieses anspruchslose Treiben
von Ichverlust. Vom Markt gespult.
Es ist die Tyrannei der Mitte,
kapitalistisch an geschönt,
ein Nieten-Ablauf nach gelenktem Schritte,
wo sich, wer Selbst sagt, unbemerkt verhöhnt.
*
Alleinsein ist in solchen Zeiten,
was einen Rest von Selbst bewahrt:
Die Chance, sich Hörigkeiten abzuschneiden.
Und Niederlagen der sublimsten Art.
*
Dies Paradies ist eures. Meines nicht.
Ich gönne dennoch euch die Große Sause,
dies Los für euer Ichgewicht
surrogativer Flause.
Was auch schon wieder weicht dem alten Hang:
Pleonexie, Betrug und Rohheit oben.
Wo nur das Ich noch hat Belang.
Von unten stündlich angeschoben.
Was mir noch zählen kann (1581)39
Mir selber nur kann ich noch zählen,
auf mich allein gerichtet.
Ich muss als Ding mich wählen
in einer Welt, die doch vernichtet,
was seelisch trüge, schüfe Halte.
Das alles ist verloren.
Stürzt in der Formeln kalte
Entsinnlichung, Effektmanie verschworen.
Ob nihilistische Entfesselungen,
ob Leeren, Brüche, Seelenbarbareien.
Ob Wasserhöllen, Wüstenlungen,
das daueranonyme Schreien …
Ins Nichts will ich dann eingegangen sein,
das soll zersetzt mich haben.
Entronnen Ich und Mein und Dein.
Bewusstlos Stoffheimat begraben.
Abrechnung (1582)40
Ach diese hochabstrakten Techniköden!
Wie soll ich meistern die?
Mit Drogen, Sex, mit Ich-Gebeten,
mit Pop-Musik-Magie?
Soll täglich ich die Sau raus lassen,
dabei den Stall vergessen?
Mich Zeitgeistramschgeschwätz anpassen
und machtstier schalen Propaganda-Messen?
Realitätsverweigerungen,
so wie sie längst doch gängig sind?
Mir dann als Vollidiot perfekt gelungen
und tugendwirres Kind?
Zumal ich unstet existiere,
die Welt als solche nicht begreife.
Wie’s aussieht eine Ratio-Schmiere
in hochsubtiler Endlosschleife
kapitalistischer Entfesselungen:
Dich zu vollenden braucht’s nur einen Klick!
Nun ja, ich muss wohl in mich gehen,
all diese Truggebilde zu entlarven,
sie geistig radikal zu sehen
als Mammon- und Erlebnis-Harfen,
die inszenierte Wonnen bieten
mit 2%-Orgasmus-Spanne
für systematisch deklassierte Nieten
der Marke ‚Volle Kanne’.
Und zöge ich die mir vertraute Karte
des Markt-Zynismus ohne Illusionen,
dann müsste reden ich auf eine harte
Enthüllungsart, die niemand schonen,
entschuldigend verstehen würde.
Uns alle zeigte als korrupte Kleine,
auf Ich-Erhöhung aus und Myrte,
Verräter aller Hohen Seine.
Erbärmlich, ehr- und rückgratlos,
empörungslüstern wohlstandsklammer Dreck.
Erbärmlich. Phrasenhörig groß.
Ein schofel-primitiver Daseinsfleck.
Für Horst Eckel/Fußballlegende aus Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz. Eine kleinbürgerlich-moralisch
sentimentalisierende éloge* (1583)41
Adieu Windhund!
Du warst ein guter Mensch.
Prinzipientreu, verlässlich,
charakterlich geradeaus.
Warst’s ohne Schwanken bis zum Ende.
Auf Disziplin und Leistung pochend,
auf Ordnung und Familiensinn.
Es sind nicht viele mehr,
die das noch ehren können,
sich selber ausgesetzt,
doch ihrer selbst benommen.
Indes nur so kann man gewinnen,
sich seelisch aufrecht halten
und sein Dasein meistern.
Indem man Haltung zeigt,
sich auch mal schindet,
sich selbst auch klaglos unterwirft.
Auch körperlich.
Doch täglich ausgesetzt
prekärem Zufallswerkeln:
Dem Gnom verfallsverfügter Leiblichkeit.
Dass dir’s gelang,
bald 90 Jahre lang dich zu bewahren,
das hast du allerdings verdient …
Mach’s gut, Windhund.
Und Dank noch mal - es ist auch deins -
für jenes Wunder 1954.
Ein Titel, selbstwertgold
für dieses Land verfluchter Parias.
*éloge franz.: Lobrede
Prosafetzen (137) (26/1584)42
Trotz randverarmtem Außenseitertum:
Es wird wohl, dieses Leben meine ich,
doch auch eurer Selbstsucht, Wohlstandshörigkeit,
Aufstiegsträumerei und Arbeitskraft dankbar geschuldet,
am Ende eher Gelingen für mich gewesen sein:
Indem ich euch und eure Lebensziele,
von mir verständig, gar wohlwollend durchschaut,
werde weit öfter überwunden haben
als mir selbst ichschwach zum Opfer gefallen sein.
Nachtgeschenk (1585)43
In Augenblicken, wie jetzt diesen,
in stiller Nacht, allein,
mich zu entreißen meinen Selbstverliesen,
das ist das tiefste Sein.
Vermag dann, frei von Kreaturen-Zwängen,
genau zu sehen meine Lage:
Dass, aufgelöst in Datenmengen,
ich als Person nichts mehr besage;
ja mehr noch, dass als Individuum,
ich gar nicht zählen kann.
Stets Spielball war: bedeutungsstumm
verfügt Gesellschaftsbann.
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