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Diese Seite enthält 62 Gedichte 

Spätes Dasein (25/1480)1

Nacht und Rätsel, Gier und Schweigen.
Diese muss ich fassen
als des Stoffes stille Reigen,
zeugend Glut uns Massen.

Unerkannt sich selbst verloren,
taumeln wir dahin,
Stundenüberschwang vergoren.
Nu-Verwirrung ohne Sinn.

Gibt's denn anderes für mich?
Das ist nicht der Fall.
Bin wie alle Zufalls-Stich.
Ich-Konstrukt, Neuronen-Drall.

In dankbarer Erinnerung an das Buch Kohelet/Ecclesiastes/Prediger Salomo (25/1481)2

Dass es letztlich Windhauch sei 
- also: null und nichtig -,
das zu greifen, fällt nicht schwer.
Auch nicht, 
dass man selbst ist wichtig
sich allein nur - lebenslang ...
Sorge ist, Vergehenszwang,
Geltungssucht und Mammonschrei.
Folglich will auch immer mehr.
Muss es, ist man seelisch leer.

Ich hab's lebenslang gespürt,
dass es Traum und Windhauch ist;
wurde so nicht oft verführt,
anzubeten diese Frist.

Niemand sei indes gescholten,
wenn er umgekehrt verfährt:
Will sich gleichsam selbst vergolden,
weil ihn Todesangst verzehrt,
weil er nicht ertragen würde
das Bewusstsein unsrer Bürde:
Leib zu sein, den Zeit zerstört:
Allverfall in Nichts gekehrt.
 
Erklärung (25/1482)3

Jetzt hör zu, ich kann das nicht,
Familie, Kinder, Zweisamkeit ertragen.
Es legte brach mir meine tiefste Seelenschicht -
Ich würde müssen mir entsagen.

Schon bald so wäre jenes mir egal.
Und niemand könnte mich bereden,
dies Dasein nicht zu sehn als trivial.
Mich täglich so dann anzuöden.

Zahlen muss ich diesen Preis:
Einsichtslast und innre Leere.
Das ist nun mal Geistgeheiß.
Schärfer als soziale Schwere.

Ist es doch Substanzbefehl.
Selber mir entzogen.
Nichts erlaubt der parallel,
was nicht wäre ihm gewogen.

Gottes Leeren/Für … (25/1483)4

An manchen Abenden,
genau zwischen 18.00 und 18.05,
rufen mich die Abendglocken,
Gottes Leeren 
über das Land tragend,
nach Hause.

Dann mag es sein,
dass ich einen Weg 
mitten durch mich 
hindurch nehme,
so vertraut ist mir dann
meine schon immer
mir geistig offenbare Spur,
die, die geradewegs führt
in Seine Vollendungsmacht.

Phantasie/Für niemand im Besonderen… (25/1484)5

Ich träume 
eine Phantasie mir zu.
Die habe ich mir
selbst geschaffen.
Was ihr zugrunde liegt, 
bist du.
Und ein paar Wunden,
die noch klaffen.
Die freilich nie 
sich werden schließen.
Ich werde bleiben,
muss es, 
auf mich selbst
verwiesen.

Befund I/Für niemand im Besonderen (25/1485)6

Mir machen manche Worte Ekel.
Weil seicht sie sind, verlogen, inhaltslos. 
Indes ist eine Wirklichkeit auch längst nicht mehr gegeben,
aus der Affekte sich gewinnen ließen,
den Innenwelten Sinnbann einzuhauchen,
der tragen könnte, fraglos hingenommen,
weil kollektiver Seelen-Überbau.
So lassen sich nur Perspektiven noch einnehmen,
standardisierend endlich selbst Beliebigkeit.

Asthenischer Infantilismus/Für niemand im Besonderen (25/1486)7

Komm mit mir!
Dorthin zu gehn,
wo niemand je war.
An zwietoten Ort.
Die Götter zu holen
aus den Verstecken,
wo Zuflucht sie fanden:
In Seelen und Worten.
Dem Sein zu befehlen,
sich auf nun zu stellen
vor leidlosen Bläuen.
Auch uns hinzugeben
dem Immer, dem Nie.
Der spätesten Späten
Sinn-Stadelposse.

Unvermeidlich (25/1487)8

Mich radikal in mich zurückgezogen.
Auch weil sich andre 
selber sind egal,
sind Ich-Schauspieler,
selbstwertarm verbogen
durch Technik, Wissenschaft und Kapital.
Die sich erlebnisreligiöse Massen,
ein Menschentum hier ziehen müssen,
das kaum noch fähig ist,
was wirklich ist, zu fassen.
Gezwungen so, 
nur noch sich selbst zu küssen.
Narzisstisch inszeniert 
sich zu verludern,
orientierungslos dahinzutreiben,
um sich am Ende zu verschludern
an leere Seelenbleiben.

Schäbige Tage (25/1488)9

Es gibt Tage, die noch schäbiger sind
als die gewöhnlichen
routinierten Alltagsablaufes.
Zum Beispiel die Tage,
an denen man das Gefühl nicht los wird,
dass das eigene Dasein 
unter den Bedingungen des etablierten Kapitalismus
völlig wesenlos und trivial ist.

Am schäbigsten freilich 
sind die Tage, 
an denen man zudem 
definitiv unabweisbar begreift,
dass der evolutionäre Lauf, 
den der bipede, 
auf eine hypertrophe Intellektualisierung angewiesene 
homo technicus nahm,
gar kein anderer sein,
es gar keine Alternative zu ihm geben konnte,
sollte nicht irgendein katastrophaler Zufall 
ihm ein Ende bereiten.

Man also subjektiv am besten so verführe,
sich mit diesem rauschträchtigen Wohlstands-Nihilismus
irgendwie erträglich zu arrangieren.
Zumal dessen Illusionstheater, 
Erlebnisorgien und Entlastungs-Infantilismen,
die meisten Menschen begeistern,
frenetisch in Beschlag nehmen 
und auf subtile Weise von sich selbst 
und den Fakten ablenken.
Sie so wenigstens oberflächlich 
innerlich im Lot halten.
Die dieser ökonomischen Welt wesenseigene Barbarei,
Destruktionsträchtigkeit und 
jedenfalls vorerst vor allem 
kulturelle Deklassierungskraft 
ihnen verhehlend.
Verdeckend ihnen 
die radikale Haltlosigkeit 
dieser metaphysisch-geistig toten Welt auf Abruf.

Wir Tausch-Verzweckte/Für ... (25/1489)10

Du meine matte Trostmisere,
mein Lebensdurst, mein Rausch und Du-Gespinst.
Uns herzt die Große Leere,
der du, wie ich, zerrinnst.

In Selbstsucht und Versagen.
In Würdelosigkeit.
Entwöhnt, uns selbst in Halt zu tragen.
Zumal nur Marktgeleit.

Verbraucher-Prototypen.
Blasiert verwahrlosungskonform
an siechem Pseudoglück zu nippen
medial verfügter Norm.

Uns zeitgeisthörig auszurichten
an Phrasen, Schund, Effekten.
Uns als Person zu dichten
im Taumeltross der Tausch-Verzweckten.

Versachlichung/Für ... (25/1490)11

Was mir so leicht fiel noch vor Tagen,
das krieg ich nicht mehr hin:
Magie und Hautparfum versagen.
Du stehst nicht mehr für Sinn.

Wie ihn die Augenblicke schenken,
molekular berauscht:
Indem sie Faszinosa tränken,
in Körpersäften ausgetauscht,

Jedoch es stimmt, es lässt sich nicht
auf Dauer stellen diese Form
des Du-Genusses, der den Alltag bricht:
Realitätsanforderung und Norm.

Geständnis III/Sonett (25/1491)12

Ein Nichts bin ich. So wie inzwischen alle.
Wir zehren magisch nur von Tagtraummären.
Mit Hilfe derer wir uns gern verheeren,
geborgen nur noch in der Wohlstandsfalle.

Aus der wir Scheinglück schöpfen und Gelalle.
Uns gegenmetaphysisch aufzuzehren:
Ist’s klüger doch, sich geistig zu versehren.
Dann spürt man nicht mehr so die Kralle,

die einen packt als bloße Wirtschaftsgröße,
Statistikum und Binnenmarktverbraucher.
Der den Befehl hat, dass er sich erlöse

als spaßbeseelt manipulierter Taucher
nach Kaufrauschdrogen und Medialgetöse.
Als öder Seelenschichten Phrasen-Haucher.

Moleküle-Monade (25/1492)13

Ich brauche keine Selbstreklame.
Ich lebe ganz für mich.
Ich klopfe Worte ab und krame 
in Widersprüchen, dunklem Standard-Ich.
Die ich dann in Gedichten mir entberge,
um sie und ihre Gründe zu begreifen.
Und zwar als Unschuld mittelloser Zwerge,
gezwungen doch, sich zu verkneifen,
dass glücksleer sind sapiente Werke.

Grober Zynismus? (25/1493)14

Wir? Faktisch DNA-Ausschuss.
Des Zufalls Daseinsschwere.
So angewiesen auf Entlastungs-Plus:
Heteronom sich zu erdreisten,
Person zu sein mit Würde und mit Ehre.
Tatsächlich die sich selbst Entgleisten:
Natur entlaufne Dauer-Plage.
Indes Subjekte schon gezählter Tage.

Wofür ich schreibe (25/1494)15

Für nichts und niemand 
schreibe ich:
Für Ehre nicht 
und nicht aus Eitelkeit;
schon gar nicht Geld,
Applaus, gar irgend Ruhm.
Ich suche schreibend
stets nur mich,
mich Zufalls-Sternekind 
als Stoff-Einheit:
Materie-Eigentum.

Wesensschiefen (25/1495)16

Ehr-, würde- und gewissenlos:
verbreitet Seelenspleiße,
erpicht auf Spaß, auf Ansehn und auf Moos …
Ein Resultat der Wohlstands-Lebensweise?

Indes hab ich schon früh erfahren,
was so ein Mensch kann sein an sich:
Ob nun im Blaumann oder in Talaren,
ist er sich grade Knecht als Ich.

Und das, das kommt aus frühen Tiefen,
nicht erst aus späten Wohlstandsniedergängen.
Da greifen Wesensschiefen,
bedingt von objektiven Zwängen.

Begründete Vermutungen (25/1496)17

Indes dass sich die Menschen drastisch weigern,
ihre Zeit, Gesellschaft und Welt 
- es ist eine Welt der verdeckten Unmenschlich-,
Freudlosig-  und apparativen Gängelungs-Mächtigkeit -,
illusionslos zur Kenntnis zu nehmen,
sich zumal drastisch weigern,
die Modelung ihrer Persönlichkeit 
durch das in jede ihrer Innenwelt-Nischen 
kriechende Systemgefüge 
bewusstseinssteuernder Ideologien
sich rücksichtslos bewusst zu machen, 
zumal sich also drastisch weigern,
die allgegenwärtige Selbstdeformationskraft 
und alle die diese verstärkenden Verwerfungen
aus ihren seelischen Untergründen zu klauben,
um sie ungeschönt zur Kenntnis zu nehmen,
das kann ich ihnen nicht zum Vorwurf machen.
Es würde doch auch gar nichts nutzen, 
würde nur weiter belasten, deprimieren, 
vertrauern lassen und die anonym wachsende Todessehnsucht schleichend 
immer mehr willkommen heißen.

Tote Tage (25/1497)18/Sonett

An manchen Tagen trauern auch die Leeren,
die mich besetzen schon seit Kindheitstagen.
Die Leeren, die so ständig an mir nagen
und alles mir zuletzt in Gram verkehren,

indem sie jede Illusion zerstören.
Sind sie es doch, die ganz genau mir sagen:
Die Welt, so wie sie ist, kann dich nicht tragen
musst du in dieser doch dich selbst aufzehren.

Heut ist so einer dieser gleichsam toten,
bedrückend einsichtsschweren stillen Tage,
mich selber hochluzide auszuloten

als Spielball anonym gebrochner Lage.
Die keinen Zweck mehr kennt und ohne Boden
final uns schenken mag nur kurze Plage.

Vollständig heteronom (25/1498)19

An mir vorbeigekommen bin ich selten.
Und grad die Schicksalsschläge griffen,
mir kommandierend eingeschliffen
in Fühlen, Streben, Gelten.

Man mag was immer zu sich selber sagen:
Wer, was man wolle sein, wie leben.
Doch lenken und durchs Dasein tragen
die Rätsel zwangsgewirkter Zufallsbeben.

So werd ich denn verzichten müssen
Auf all die Großansprüche der Moral:
Es muss sich jeder erst mal selber küssen.
Da hat er keine Wahl.

Für den nordamerikanischen Sumpfzaunkönig/
Cistothorus palustris (25/1499)20

Dieser Nachkomme der Saurier baue,
so berichtet es ein gewisser Walther Streffer*,
während einer dreimonatigen Brutperiode 
zwischen 25 und 35 Nestern.
Das lasse, meint der Autor des Artikels,
eine Entwicklungsrichtung erkennen,
die über das Ziel hinauszuschießen scheine:
Der äußeren Konstruktion des Nestes
komme tendenziell größere Bedeutung zu 
als seinem evolutionären Zweck:
Der Aufzucht der Jungen.

Um wie viel mehr  noch müssen dann mir,
dem auf Bedeutungen angewiesenen Sapienten,
Konstrukt, Phantasie, Symbol, Wert,
überhaupt die Beschönigung von Realitäten
und die intellektuelle Erschaffung 
von Behelfs-Wirklichkeiten
substantielle Vollzugszwänge sein … eben:
Sinnschöpfungsdränge als Folge 
notwendigen Agierens
in stoffgebundene Bedürftigkeit, 
physischen Verfall 
und drastische Danaiden*-Vergeblichkeit.

*Artikel von Walther Streffer in „a tempo“ vom Januar 2011
*Danaiden: griech. Mythologie: Die 50 Töchter des Danaos. Auf seinen Befehl hin töten alle - außer einer - 
in der Brautnacht ihre jungen Ehemänner. Zur Strafe müssen sie dann in der Unterwelt (der dortige Strafort heißt Tartaros) Wasser in ein durchlöchertes Fass schöpfen - also eine sinnlos-qualvolle und völlig entnervende Arbeit verrichten.

Ablehnung (25/1500)21

Wenn ich die Wahl gehabt hätte,
mich auf diese Welt 
einzulassen oder nicht …
- einmal angenommen, 
ich hätte sie gehabt, diese Wahl,
und hätte auch 
über alles Wissen verfügt,
diese Welt faktenkonform 
beurteilen zu können - 
dann hätte ich es nicht getan.
Jedenfalls dann nicht,
wenn ich hätte können 
rational, kühl und 
abstandsfähig urteilen.
So etwa wegen
der Widersrpüchlichkeit
der menschlichen Existenz,
wegen der vielfälltigen 
Abhängigkeit seiner
als Individuum,
wegen der Dauerdiktatur
der Bedürftigkeit,
der Schmerzanfälligkeit,
des lebenslangen Bewusstseins, 
einmal sterben zu müssen,
wegen der tiefen Neigung auch
des Menschen zu Barbarei, 
Grausamkeit und 
Gewaltlust.
All dieser Tatsachen wegen
hätte ich mich nicht
auf diese Welt eingelassen.
Und auch wegen all
der Entlastungsphantasmen 
und Lebenslügen nicht,
derer wir uns alle doch 
bedienen müssen,
um jene substanzabsurden 
Gegebenheiten unserer Existenz
- verdrängt, geschönt, umgelogen, 
in Abrede gestellt …-
wenigstens zeitweise
vergessen zu dürfen.

Geistige Rettung (25/1501)22

Wäre ich mit meinen frühen Lebenserfahrungen
in einer dieser Toleranz und Gleichgültigkeit 
verwechselnden, psychisch und sittlich zersetzenden 
Großstädte aufgewachsen, tagtäglich ausgesetzt 
den entseelenden Kälten und Leeren
von Gossenlärm, Hässlichkeit 
und von Artefakten starrender Unmittelbarkeit,
ich wäre wahrscheinlich ein Verbrecher geworden.
Oder ich hätte mich umgebracht 
durch Verzweiflung dämpfende Drogen.
Oder ich wäre verstummt und psychisch zerbrochen.

Haben mich doch allein Umstände getragen 
und innerlich halbwegs im Lot gehalten,
die in einer solchen Großstadt gar nicht 
anzutreffen sind,
weil dort die natürlichen Gegebenheiten 
eben fehlen müssen:
Naturphänomene (Jahreszeiten), 
nichtmenschliche Lebewesen, 
Stillen und mystische Einsamkeiten.
Erscheinungen auch, 
die Gewaltgier und Selbstzerstörungsverlangen 
beruhigten:
Winde etwa, 
Wolkenfelder, 
Blumendüfte, 
Blätterrieseln,
Wiesen, 
Ährenfelder 
und - besonders - kleine Tiere,
wie Insekten, Vögel, Nager und Katzen. 
Dieser quasinuminose Reichtum 
saugte die Innenweltdispositionen auf.
Gefühle, Affekte, Stimmungen, 
formte und differenzierte er, 
ließ sie zart, schamhaft, zurückhaltend, 
fürsorglich werden, 
besorgt, ängstlich, feinfühlig; 
und zuweilen gar gütig.
Und was bewirkte nicht 
das in sich selber ruhende Mondlicht in Nächten, 
von Artgenossen unbesudelt?
Was nicht das lockende, 
innerlich so seltsam berührende Läuten 
der Totenglocke?
Als tröstend zumal auch, empfand ich es,
garantierend doch gleichsam den Trost
eines absoluten Endes,
das einen befreite von diesem oft so primitiven 
und barbarischen Dasein.

Niemals wohl hätte ich mich herauswinden können
aus Gleichgültigkeit, Verrohung und Verwahrlosung,
hätte da nicht die schöpfungsmagische Majestät 
alles Nichtmenschlichen
in unberührbarer Überlegenheit 
innerhalb der Mauern meines 
personalen Kerns gestanden
und zuweilen, für ein paar Momente, 
die oftmals täglich dumpfe Erfahrung in der,
wenn auch noch schwankenden, Ahnung
eines tragenden geistigen Andersseins 
untergehen lassen …
für Augenblicke die gewöhnliche Niedrigkeit 
- Seelenkälte und stumpfsinnige Indolenz -
geradezu heilsmächtig beiseitegeschoben.
Vergessen lassen so all diese in einem tobenden, 
zumal auch hasserfüllten Verworrenheiten.
Auch mir selbst 
zu keiner Stunde meines Lebens je fremd.

Illusionslos mir selbst entronnen  (25/1502)23

Gedichte sind auch Waffen.
existenziell-soziale; defensive.
Um zu erwehren mich
all dieser andern Affen -
und unsrer Wesensschiefe.

Denn in Gedichten 
darf ich mich erschaffen
als geistgeborgen überlegen,
so rücksichtslos dann auch 
mich selber lichten
als Resultat von Nackenschlägen.

Ist das ein Glück, 
dass ich mich distanzieren kann,
kann treten von mir selbst zurück
entronnen mir im Bann
von jenen kühl luziden Geistgefügen …
Ja sogar dann und wann
in metaphysisch späten Überstiegen.

Fade Gleichgültigkeit (25/1503)24

Ich sitz hier rum.
Bin völlig leer.
Nichts als Gesumm
tost um mich her.
Von Autos, Schlagern,
kurzum: Alltagsschicht -
Mich zu erfüllen
taugt es nicht.
Trifft auf Moment,
da gar nichts zählt,
mich, von der Welt 
und mir getrennt,
nichts freut,
nichts rührt,
nichts hebt,
nichts quält.

Das Gedicht III (25/1504)25

Zwar bist du Flüchtiges wie alles Sein:
Ein Geistdrang folgenloser Augenblicke.
Indes nur du, du ganz allein,
schlägst durch Vollendungsrausch mir eine Lücke

in dieses Daseins Grundversagen.
Um mir dann Wege auszuloten,
die mich aus mir und meinen Wirren tragen:
Zu Wortgefügen strenger Noten.

Die mich in Schöpfungsenthusiasmus drehen,
mir selbst entronnen hin zu Sinnkonturen.
Jenseits von würdelosem Flehen
um kreatürliche Entlastungsschuren.

Frühe Schemen (25/1505)26

Ich habe diese frühesten Gestalten
wie Atem in mich eingesogen,
existenziell sie mir zurechtgebogen.
Um sie, sich selbst entrissen, zu behalten
in der Erinnerung, die ich diktierte,
nicht ihre zufallsträgen Lebensläufe,
die ich vorab schon überführte
in ein nunc stans* als Faktenqualgeträufe.

Ich spielte so ein Leben lang mit ihnen:
Zu Traum gefrornen Schicksalslosen.
Die meiner Sehnsucht als Behelfstross dienen,
mir beizustehn, wenn meine seelenlosen
Erinnerungen sich gemäß der Wahrheit schienen:

Die Heimatschindereien zu verdrängen:
Etwa die schamlos kalten Seelenengen. 

*nunc stans lat. = Stehendes Jetzt für Ewigkeit

Versäumen/Für ... (25/1506)27

Ein Heer von Leibversprechen,
traumsturen Daseinsgründen,
marodierenden Sinnlunten.
Vom blondhaarig überwucherten
Os occipitale
bis hinab zum malleolus lateralis,
die sich feinplastisch
unter deiner jungen, 
faltenlosen Haut 
totfern abzeichnen.

Nur dass deine Hilflosigkeit
gegenüber dieser Chance
zu groß ist, als dass wir
ihren Augenblicken 
ein lebenslang 
erinnerliches Glück
scham- und gewissenlos 
würden abringen können.

Ratio-Krüppel (25/1507)28

Die glitzernd starre Kälte draußen
belangt mich noch hier drinnen.
Ich möchte mich dem Schlaf einhausen
und traumlos durch die Stunden rinnen.

In einer tiefen Höhle neben Feuer
auf warmer Asche Gott nachdösen,
erlöst von diesem Ungeheuer:
Des Formelterrors kalkulierten Größen.

Stattdessen schreibe ich Berichte
und kommentiere Zahlenreihen.
Wobei ich, was uns steuert, deutlich sichte:
Pleonexie, Kalkül und Welt-Entweihen.

Was man freilich auch ausnutzen kann (25/1508)29

Ist das substanzlos, billig und banal,
was dieser Konsumismus bietet!
Das ist ein flaches Wohlstands-Ideal,
an dem die Ichsucht lärmend schmiedet,

sich selbst und ihre Sensationen lobt,
die nichts als Langeweile machen.
Ob man nun bilderhörig tobt,
ob sexbesessen oder wirr von Sachen.

Wie Internet und Anerkennungsschauer.
Das ganze Dasein freilich wurde Trick.
Narzissmus: Selbstverlust auf Dauer.
Bilanzerfolg und Psychen-Schlick.

ZINSJA (77) (25/1509)30

Ob Anteilname nähme ich an Ihnen?
Mir selber doch genug?
Ich werde niemals Ihrer Ichsucht dienen.
Zu kalt, zu zynisch und zu klug.

Sie trügen auch nichts bei zu irgend Glücken.
Ihr guter Name lässt mich kalt.
Bedarf nicht seiner Krücken 
für dauerhaften Halt.

Ich weiß um Ihre Illusionen,
sentimental und ohne Geist.
Ich bitte Sie, mich daher zu verschonen.
Was letztlich dies nur heißt:

Ich darf Sie höflich bitten, jetzt zu gehen.
Wir haben gar nichts uns zu sagen.
Uns würden nur im Wege stehen:
Geist gegen Kundenplagen.

So erlebt (25/1510)31

Ich hab es nun mal
so erlebt:
Als undeutbares 
Zufallswalten,
in dem man hilflos
sich allein 
verschwebt,
ein Spielball
anonymen
Machtgewalten*.

*Variante: Seins-Gewalten

Dorfschatten: Erinnerung an die Tagelöhnerin 
Lene F. (25/1511)32/Sonett

Zuweilen denke ich an die und jene
den andern längst vergessene Person;
besonders solche, die der Dörfler-Hohn
doch bis ins Mark traf - tiefer: dessen Träne.

Etwa die Spindeldürre namens Lene,
die schuftete um ganz geringen Lohn
im Feld, im Stall. Wen kümmerte das schon?
Nicht mal sie selbst. Sie biss halt auf die Zähne.

Doch diese Magd, die hat mich miterzogen
in seelenprägenden ganz frühen Jahren
durch bloße Wortkargheit und kalte Spröde,

die von Verrandung zeugten und von Öde,
von Einsamkeit und Bauernmachtgebaren,
zuweilen auch durch Missbrauch eingesogen.

Dorfschatten: Erinnerungen an W. E. (25/1512)33

Ein Misanthrop*, der einsam hauste
in einem Kleinanwesen, 
seiner Festungsburg,
sich gegen Artgenossen ichdicht abzugrenzen.
Der Typus des Verrückten, 
wie die Dörfler meinten,
zumal mit niemand mehr er sprach.

Am Ende sank in undeutbares Schweigen,
nicht mehr erreichbar, 
auch sich selbst wohl nicht.
Man tuschelte,
er sei verrückt geworden.

Es ist nicht leicht zu sagen,
was er hatte,
ob’s Trauer war, ob Einsamkeit,
ob sonst ein Schicksalsschlag
wie einer jeden treffen kann.

*Misanthrop griech.: Menschenhasser

Dorfschatten: Erinnerungen an E. L. (25/1513)34
 
Wenn ich was wüsste,
was ein Trost dir wäre,
ich sagte dir’s.
Das ist gewiss.

Indes was könnte
ich denn sagen,
wenn’s doch so war,
wie man es munkelt:

Dass deine Schwester
deinen Mann verführte,
sich von ihm nehmen ließ,
als wär’s der ihre?

Weil lustbelämmert
hilflos sie verfiel 
der blinden Tyrannei
des Unterleibs?

Was zählt das dem,
der’s besser weiß:
Dass man nicht bauen kann
auf wen auch immer …

nicht mal sich selbst -
da würfelt doch
der blinde Augenblick,
der Schuld nicht kennt!

Sakral-Selbst (25/1514)35

Metaphysisch entwurzelt 
und untergangsgefährdet,
keiner Vernunft mehr
teilhaftig und
optimierungsmonoman 
ehrfurchtslos verdinglicht …
der homo, der sapiente,
der sich selbst
verkleinernde,
naiv tugendbesessene,
desorientierte Träger 
alltagsreal notwendig
vollzogener Würdelosigkeit,
geht enthemmungs- und
empörungslüstern zugleich
eine Haltverlustfarce
um die andere an,
selbstwertverwirklichungsstur
sich als Sakralselbst 
zu bewundern.
Obwohl doch psychisch 
aus Ruhe und Halt gerissen 
und sprachlich-geistig 
wesenstief 
seiner selbst benommen.

Intellekt-Abszess (25/1515)36

Ich weiß es doch,
ich tobe monoman 
dies Formeljoch 
und die Entfremdung an,

die durch Gedanken mir
und Fühlen treiben
und dauerschier 
mir Angstdruck bleiben.

Verlustgeschehen, 
Zwang zu diesem Lauf 
in Geistverwehn und
Freiheitsausverkauf.

Ein biologisches Diktat,
das neuronal uns spät nun zwingt
auf einen Ratio-Pfad
der kulturell uns dann misslingt.

Nur subjektive Sicht? (25/1516)37

Rückwärtsgewandt, ja: obsolet sei ich?
Das bin ich in der Tat.
Ein Dörfler, dem die Welt verblich,
doch autodestruktiv und fad.

Wo wäre Zukunft ihr noch offen?
Ihr wollt’s nicht wissen,
ihr wollt hoffen!
Tatsächlich in euch selbst verbissen:
In Wirklichkeitsverlusten: ‚
Traumweltstoffen
(Realitätsverweigerung) beflissen.

Erfahre ich doch schon die dritte Welt
(nach der im Dorf, dann der im Überfluss),
die sich nicht trägt, nicht kennt, nicht hält:

Verlustig Sinn, Moral … verfügt am Schluss
totalitärer Macht an sich:
Der Macht, 
die ruht auf technischen Prämissen.

Herkunftsort (25/1517)38

Ob frühe Fremdheit doch noch weichen wird?
Ich glaube nicht. Sie wird final mir bleiben.
So wie die Rohheit, die da irrt
durch meiner Herzwand blinde Scheiben.

So wie in jeder Winkelenge
noch Wortfragmente lungern.
Als mancher Seelenkälte Spätnachklänge.
Bedeutung nach zu hungern.

Und dann die stille Einsamkeit, die schwere,
verwachsne Schwester, die mir blieb,
auf dass sie mich versehre,
mir werde krankhaft lieb.

Welch ein Stumpfsinn!
Welche Häme!
Welch verstocktes Dumpfgehabe!
Bis zum Nichts hin
Schweigen lähme,
meinen Leeren mich begrabe.

Behelfsmär (25/1518)39

Ein Angriff dies auf jene große
Behelfsmär, dass wir könnten finden
einst einen Weg, zu bessern aller Lose,
Humanität zu gründen.

Absurd für Wesen, die nicht frei,
gebunden sind an Formel und an Zahl.
Geworfene mit einem stillen Schrei
aus Ich-Druck ohne Wahl.

Dass so nicht Schuld sein kann, nicht Böses,
das muss ich anerkennen.
Zumal im Taumel jedes Wertgetöses
wir alle auf Verzückung brennen.

Entlastung noch in schierer Gosse
durch Lust und Artefakte.
Das ist das Ziel materieller Trosse:
Von Triebdrangsal und Zeit gepackte.

Sichtweisen (25/1519)40

Ich überschaue, was ich war.
Und stelle fest: ich war nie viel.
Ein Knecht vor allem dieser Kundenschar
und ihrem Lüste-Spiel.
Man kann sich schon als freier Sklave wähnen,
das muss nicht gleich verwirren.
Da tobt nur ein Entlastungssehnen,
uns in Betrug zu girren.

Dass das die meisten anders sehen,
sich selbstverständlich glauben frei,
sich gar zum Würdeträger noch erhöhen,
wiewohl, wie ich, nur Markt-Lakai,
das muss diskret man übergehen,
kennt man doch selbst die Kraft der Lebenslügen,
die Ängste bannend lassen siegen,
verfallen Täuschung, Trance und Nebenbei.

Es sei, was immer. Ich kann’s tragen.
Dem Geist verpflichtet, seiner Redlichkeit.
Weiß jenes Trostsogs Täuschung zu entsagen.
Auf Wunden schauend infantiler Zeit.

Selbstentlarvung (25/1520)41

Für mich allein nur ringend, 
habe ich versucht,
mich irgendwie da durchzubeißen -
Wohl wissend, 
dass ich stets gefährdet war,
ein Opfer meiner selbst zu werden;
mir innerlich doch kaum gelingend, 
weil dauerhilflos asozial -
Vor allem weil substanzhellsichtig,
von Seelenkälte seltsam fasziniert,
mich in Erfahrung,
nicht Moral zu erden.

Zumal bewusst mir meiner Mittelmäßigkeit,
dem Faktum, 
dass ich ganz bedeutungslos,
allein und Grampfad bin, 
der sich verliert,
in allen menschlich doch so armen Weisen …

Doch dieses Dasein mir dann aufzuhellen,
das hab ich nie gewollt.
Ich wollte immer mich nur Fakten stellen,
nicht Illusionen wie der Tugendbold.

Die Stadtmauersteine (25/1521)42

Sie wispern immer noch die Steine.
Und immer noch dieselben Worte:
Es gibt kein Glück im Wir, es gibt nur eine
verängstigt kindische Phantasten-Horde

von Artgenossen, die in sich,
in ihren undeutbaren Trancen kleben,
Monaden, jede nennt sich freies Ich, 
obwohl doch Mammon-Mythen sie verschweben,

sich, schuldlos, selber ruinieren,
sei’s Illusionen, sei es Massen-Kuren,
Pleonexie und ihren Zeitgeist-Schlieren
ihr angekauftes Selbst auf diese Art dann zu verhuren.

In Dankbarkeit/Für … (25/1522)43

Was könnte mir noch Einsamkeit,
was Leere, Zeit und Selbstverlust,
was überhaupt noch diese Farce anhaben,
die wir so virtuos uns schaffen hier?
Wenn mir dein Körper alles Glück gewährt,
mich alle Lüste kosten lässt,
die so ein Stoffgebilde in sich trägt?
Mich tröstet, hebt, zuletzt befreit
von dieser doch so faden Welt
des Tauschs, des Machtbetrugs, 
der Tugendlügen.
Für ein paar Stunden mich hinauszutragen
sei’s über sie, sei’s dich, sei’s über mich sogar?
Doch nichts. In einer Trance 
von Drang geborgen.

Deutschdiffus (25/1523)44

Gehöre nirgendwo dazu.
Bin metaphysisch unbehütet,
bin ohne Ziel und ohne Perspektiven,
längst jedem Zweckgefüge auch entlaufen.
Begriff auch jeden Tugend-Schmu
in seiner deutschen Ungestalt.
Weiß ihn als Selbstverachtungsform
politischer Vermittelmäßigung.
Es wäre für mich so entehrend,
entwürdigend sogar,
wenn ich mich dieser Staats-Neurose:
der deutschen Hybris überließe.
Als Knecht von hypertrophem Sollen,
Trotz, Eigensinn und Niedergang,
Verwahrlosung und Kompetenzverlust.
Mir selbst entfremdet ohne Halt …
mich asozial versehrend,
erlebnismonomanem Zwang
verfügt als subjektive Dauerkrise.

Weigerung (25/1524)45

Wer möchte hier denn noch dazugehören,
zu diesem geistig desolaten Land?
Wenn’s ruiniert doch seinen Selbstbestand,
sich kulturell vor allem will zerstören?
Will selbsthass-masochistisch sich versehren,
politclownesk in Niedertracht gebannt
von Phrasen-Dilettanten zweiter Hand,
die dummdreist nur ihr Unvermögen mehren?
Nun ich will’s nicht, will Abstand nehmen
von allem, was das Land herunterbringt.
Mich also nicht Parteien anbequemen,
in deren Obhut es in Schimpf und Schande sinkt.

Geistesmacht (25/1525)46

Ich schlafe schlecht.
Fast jede Nacht.
Ich sag das nicht,
mich zu beschweren.
Denn immer dann
berührt mich sacht
der Trost der Zeile:
Geistesmacht.
Mir Nichtigkeit 
in Sinn zu kehren.

Heteronom kreierte Gosse/Ein bitterböses Gedicht (25/1526)47

Auf Brot und Spiele (Sausen) angewiesen,
auf Räusche und Verzückung,
hat dieser Durchschnitt längst bewiesen,
dass seine einzige Beglückung

in halluzinativer Trance besteht.
In Märchen, Selbstbetrug, Fiktionen,
für die er sich noch an sich selbst vergeht.
Um sich mit Einsicht zu verschonen.

Sei’s in dies Dasein ohne Zweck,
sei es in Willkür-, Macht- und Zufalls-Posse,
sei’s rationales Daseins-Leck
heteronom kreierter Gosse.

Körpersakral/Variante I/Für ... (25/1527)48

Meine Blonde, meine Kirke!
Bist mir deutlich noch präsent.
Was auch immer dies bewirke:
Sehnsucht? Gier? Nun der Akzent

liegt  auf Bildern, Düften, Lauten,
Wirklichkeitsverlust entrungen:
Kryptische Bewusstseinsflauten,
geisterotisch sich gelungen.

Die dem Licht der Sommerstunden 
Glück um Glück um Glück austranken,
Daseinsgipfel zu bekunden,
stoffbeseelt noch, als sie sanken.

Werke deines Körperdinges,
seines Fleisches Selbstentgleiten,
Wandlungsmächte seines Ringes,
nichtend Kortexlast uns beiden.

Körpersakral/Variante II (25/1528)49

Immer noch, meine, du, meine Blonde,
bist du mir neuronal präsent.
In meiner Erinnerung tief verankert.
Unvergessen ist mir deine Schönheit,
dein Seufzen, deiner Lüste Lauten.
Alles, was damals deinem jungen Körper
sich drangbeseelt und Glück vermählt entrang.
Sich auszugießen in die Sommerstunde,
Erledigungsverweigerungen abgeraubt.
Ein Glück, das Trost und Rausch mir schuf:
Entlastungsdionysisches Vergessen
perfider Randgestalten roher Fratzen ...

Du warst mir gottgewollter Tiefe Sonde.

Zeitgeist II (25/1529)50

Man ist doch psychisch mittellos.
Muss täglich sich dem Zeitgeist fügen.
Und der, der gängelt einen rigoros.
Er will sich alle biegen.

Damit des Durchschnitts Dasein funktioniere,
er Werten auch sich überlasse.
Vereinzelung und Nepp nicht spüre.
Doch imitiere schlichtvulgäre Asse.

Doch tut man gut daran, sich hinzugeben
den lockenden Vereinnahmungen.
Begreift man nämlich jenes Weben,
wird man in Depression und Wut gezwungen.

Grundlegende Unterhaltungsmedien-Maxime (25/1530)51

Zwangsbespaßung.
Zwangsbespaßung?
Zwangsbespaßung!

Gedichte III (25/1531)52

Gedichte: Kulturelle Totgeburten.
Zumal doch nicht zu konsumieren.
Schon das zeigt klar,
dass wir - notwendig - wurden
Verarmte,
die sich profilieren
als Kitschversierte 
in des Marktes Gurten.
In diesen sich 
als Selbsttrance zu verlieren.

Dreifach-Scheitern (25/1532)53

Da sind die göttlichen: Die Geistesweiten,
die Sehnsucht und die Phantasie:
Vernunftbefehl, das Ich zu meiden:
Endet die Körpersucht doch nie.

Machtdrastisch wuchern die Neuronen-Krallen
in technische Finessen;
die ihnen wesenseignen Fallen:
Atom, Verstand, Gewalt und Waren-Blässen.

An Kreatürlichkeit und Tod gebunden,
bleibt die Idee für uns Schimäre.
Phantasmen-Öden abgeschunden:
Dem Intellekt-Traum dieser Daseinsschwäre.

Bürger und Verbrecher (25/1533)54

Die Verbrecher in italo-amerikanischen Mafiafilmen 
- etwa ‚Der Pate’ oder ‚Es war einmal in Amerika’ -
trachten ausnahmslos 
nach den universalen Massenlebenswerten,
bürgerlichen Schlüssel-Aspirationen 
allumfassender Pleonexie: Reichtum und Luxus,
Macht und Status, Anerkennung und Lust,
Neiderregung und  narzisstische Selbstdarstellung.
Das macht ja den Erfolg dieser Filme aus:
Die Vorstellungen von einem guten Leben 
auf rein hedonistisch-utilitaristischer Basis,
zumal spannungsreich heldisch 
und quasi übermenschlich,
cool selbstbewusst und rücksichtslos anom 
von den von den Normalos adorierten 
kapitalistischen Archetypen 
gleichsam exemplarisch realisiert,
decken sich mit denen 
des standardisierten Verbrauchersubjekts 
hochentwickelter Konsumdiktaturen,
nur eben mit dem Unterschied,
dass jene Verbrecher die fade Fron 
der langweilig-intensitätslosen und banalen Alltäglichkeit,
die Sisyphos-Arbeit ihrer geistig enteigneten Bewunderer
- Bedeutungsloser, am Rande der Selbstverachtung treibender, gewöhnlichkeitsgeplagter Markt-Monaden - 
nicht verrichten müssen.

Gedichte IV (25/1534)55

Gedicht, du nachtstill folgenloses Surrogat,
bist mir so lieb geworden.
Ich pfeife auf die Lust, das Du, den Staat,
will keine Kundenleeren horten.

Du machst zwar einsam und auch obsolet.
Und kehrst die Welt ins Sonderbare.
Doch Schund wie Lebenslüge geht.
Bin ich, dich schaffend, doch nicht selbst mir Ware.

Dir halte ich absurde Treue
aus Selbstdistanz im Nu.
Und decke alles, was die Welt mir streue,
mit deinem Deutungsbettel zu.

Gedicht V (25/1535)56

Du bist ganz wesenlos. Wie alle Seine.
Phantasmagorisch. Gegenstrick.
Schaffst keine Macht, rollst keine Scheine
und kein Pistoleneisen vom Genick.

Du bist Behelf, ein Selbstbetrug, Fiktion
im Salvenmeer von Geistes-Armen.
Umsonst dein Betteln: Kinderton 
dem Habgierzwang von DNA-Gebarmen.

Das zählte nie. Du bist mir tief verehrt.
Trotz Psychen-Eis und Niederlagen.
Du bist mir Zweck, bleibst unbeschwert 
von Alltagsflachheit, Neid und Kundenplagen.

Kommandierte Individuen (25/1536)57

Ihrer selbst 
kunstorgiastisch benommen
trudeln die 
orientierungslosen Individuen
durch technologisch 
gefilterte Abstraktwelten.
Von Spaß,
Verzweiflung,
Hilflosigkeit
und Indolenz 
getrieben.
Dauerüberwältigt 
von Medien und Zeitgeist,
rund um die Uhr 
angeleitet,
sich mainstreamdionysisch
selbst zu konsumieren.

Instrument (25/1537)58

Die Massen wollen - stimmt schon - ihren fun.
Dem sollen sie bedenkenlos vertrudeln.
Solang das Kapital noch liefern kann
und die Ressourcen sprudeln.
Bis man wird um sie kämpfen müssen.
Ich meine asymmetrisch, physisch ganz real.
Wird appellieren an ein Scheingewissen:
„Seid ja nicht zimperlich, seid nur brutal!“

An mein Skelett (25/1538)59

Sie unbesorgt, carcasse*, 
du Knochenmann,
wenn jetzt da draußen Sorgen dösen,
Denn auch hier drinnen, 
wo noch Kraft erfreuen kann,
herrscht nichts als ein 
sich permanentes Lösen
von dieser Welt und ihrer Zeit.
Ganz unaufhaltsam tobt da All-Verfallen
in Unordnung … 
Doch noch ist’s ziemlich weit
zu den Vergänglichkeitszugriffen all der Krallen,
die sich zusammentun, 
bis sich dann schließt der Kreis
des Interimskonstrukts von Elementen,
sich einzufügen wieder totem Gleis.

*carcasse franz.: Gerippe

Alltägliche Erfahrung II (25/1539)60

Ich stehe oft nur noch verwundert da.
Und spöttisch trauerleer.
Es gibt halt einfach keine Trauer her,
dies dauernde Blabla.

Zumal ich weiß, ich kann nichts zählen
in dieser Datentyrannei.
Am allerwenigsten mich selber wählen.
Verfügt doch Artefakten-Barbarei.
Und nicht nur der. Auch der der Tugend.
Verlogen, selbstgefällig, primitiv.
Sich selbst entmächtigtes Bewusstsein fugend.
Mit Ethik-, Rechts- und Hybris-Mief.

Was sich da abspielt, das ist, spätzeittrunken,
Total-Versagen der Funktionseliten,
die Massen bieten Lustspelunken:
des homo sapiens species-Nieten.

Elite-Pöbel (25/1540)61

Gewissenslos-narzisstisch-ichamorphe,
verrats- und schunderprobte Kickvasallen.
Des unermüdlichen Proteus* Avantgarde.
Omnipotenzverblendet skrupellos.
The masters of the universe,
behelfsverwiesne kleine Gauner.
Elitepöbel eben, jedem Maß entrückt.
Wie jene Riegen siechender Rhetorik,
prinzipienlos und tugendhörig,
Verweigerer von Wirklichkeit,
in Autoprostration geübt
und biedertäppischem Jargon.
Längst richtet da zugrunde Staat und Recht
Orientierungslosigkeit des Mittelmaßes,
standardisierter Zwergbrunft-Fanatismus.
Dem Selbstzweckfeind von Kapital,
von Technik und von Wissenschaft
in Machtberauschung und in Gier verbrüdert.

*Proteus s. Fremdwörterverzeichnis

Brach (25/1541)62

Nur für uns geht etwas vor, 
steht so manches auf dem Spiel.
Uns trägt ja Gewalt empor,
Ichsucht, das Gefühl,
dass es gälte, uns zu eichen
einem Traumziel nach und nach:
Endlich selbst uns auszuweichen
dass nicht Ichsucht lägen brach:
Wir … Doch Wert- als Trug-Gefüge,
das am Ende immer sprach:
Dass die Barbarei doch siege,
weil nur die baut alle Stege! …
Uns zu sichern Zweck und Hege.
Mehr zu leisten  außerstande:
Uns notorisch Unbekannte,
uns notwendig liegend brach.
 

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