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Diese Seite enthält 61 Gedichte (57 Prosa-, Reim-Gedichte und 4 Sonette)

Ohne Schönfärberei (1419)1

Mal ungeschminkt gesagt. Ganz offen.
Wir fronen einer Technikdiktatur
erlebnistrivialer Innenweltfraktur.
Und doch gibt’s nichts zu hoffen.
Dass ewig das so weiter gehe
mit Fortschritt und gebannten Tücken.
Dass wir uns würden einst vollendet glücken.
Sich jeder dann als jung und schöne geschehe.

Das Ganze ist dem Untergang geweiht;
reißt sich wohl selber ins Verderben.
Ist doch der Kern marode.
Anders als das Kleid.
Das noch verschönt das Sterben.

Doch ist das kein moralisches Versagen.
Viel eher Schicksalsrationalität.
Wir sind verdammt, uns über uns hinauszutragen.
Dem Intellekt als Kreaturen hin gesät.

Sturheit II/Sonett (1420)2
Vergleiche (17/999)

Ich bleib dabei: Ich will mich selbst gestalten;
zumindest geistig; andres zählt mir kaum.
Wahrscheinlich weil ich weiß, es bleibt ein Traum,
gesellschaftlich sich als Person zu halten:

Das ist unmöglich in so einer kalten
Erlebniswelt, die letztlich nichts als Schaum:
Betrug sein muss in einem Formel-Raum,
in dem sich jeder wälzt auf Kunstwelt-Halden.

Doch diese Sturheit läuft doch auch ins Leere:
Dass ich gestalten könne mich, ist Lüge.
Das heißt ich leugne meine Ich-Misere,

weil sonst ich schlicht nicht mehr die Kurve kriege,
verliere meine Selbstachtung, zerstöre
den Glauben, dass ich geistig mir genüge.

Gesellschaftlich ohnmächgtiger Durchschnitts-Idiot (1421)3

Als Bürger ständig angegangen
von Propaganda, Finten, Tricksereien,
medial von undurchsichtigen Global-Belangen,
gehöre ich zu den Lakaien,

die in sich nicht mehr ruhen können;
hysterisch heimgesucht von Emotionen,
die ihnen nicht mal eine Pause gönnen,
sich selbst gehörend einzuwohnen.

Man will nach Strich und Faden aus mich beuten;
verachtet mich, verkauft mich auch für dumm,
will mir sogar mein Selbst ausdeuten,
damit ich bleibe einsichtsstumm.

Und bin ich ehrlich: Ich hab’s satt,
Gewissenlosen Mammonquell zu sein.
Und denke oft: Wer da noch Anstand hat,
ist schlicht ein armes Schwein.

Zeitlose Stunde/Für … (1422)4

Leicht, wie sich Lider senken,
ritzt uns die Stunde.
Und du, 
du hebst sie hinaus aus der Zeit.
Und schläfst dann bei mir im Gedicht.

So meiden wir 
aller Bedrückungen Runde:
Es ist deiner Häute Magie,
die sie bricht
und richten die Welt mir zugrunde …

Sich meiner Sehnsucht 
als Heimstatt zu schenken.

Nebenbei bemerkt III (1423)5 

Sinnkahl trickreich - irgendwie;
Hochamt von  Gebarme
simpler Hülsenwort-Magie:
Clownerie im Phrasenschwarme.

Hör dir mal die Macher an:
Mittelmaß-Narzissten.
Multideutig Frau wie Mann:
Leerwort-Spezialisten.

Wo indes soll das noch enden?
Na im Chaos. So sieht‘s aus.
Müssen sich verschwenden:
Diener von Applaus.

Radikale Wahrheit/Für Demokrit von Abdera* (1424)6

Entkommen wird man sich 
als Dranggefüge nicht.
Sich selbst als dieses nur gegeben.
Kann’s indes sein, 
dass man erkennt sich im Gedicht,
in deutendem Bestreben?
Indem man Geist versucht zu fassen,
des Daseins Rätsel aufzulösen;
sich selbst ausdeutend, 
nicht nur zu verblassen
zu atomaren Größen?
Nun ja. Nur diese sind. Nichts weiter.
Und auch der Geist ruht ihnen auf.
Auch ihm sind Stoffe die komplexe Leiter
zu Sein, Funktion, Vollzug und Richtungslauf.
Selbst im Gedicht vollzieht man daher Hyle-Lose.
Genetisch höchstens Individuum.
Ist so nichts weiter als nur bloße
Fiktion von Freiheit. Deutungsstumm.

*Demokrit von Abdera, griech. Philosoph, 
Begründer (zusammen mit Leukipp?) des Atomismus, 
ca. 460 - 370 v. Chr.

Menschlichkeit (1425)7

Für mich war alles zweiter Hand.
In meinem ganzen Leben war das so. 
Ob Körper, Seelen oder Tugend-Tand.
Nicht selten schmerzlich roh.

Ich hab mich damit abgefunden.
Doch selbst mir Beute-Exemplar.
Tief innen übersät mit vieler Stunden
Verletzungsspuren, jeder Richtung bar.

Und daraus habe ich den Schluss gezogen,
dass Menschlichkeit nur eine Phrase ist.
Doch die hab ich mir hingebogen
als Selbstbetrugsentlastungslist.

Die man doch braucht als Lebenslüge.
Man hielte sonst es gar nicht aus.
Dies kümmerliche Gramgefüge 
von Daseinsbrüchen als verwelkter Strauß.

Viel lieber (1426)8

Diese mich so drastisch
ermüdenden Ansprüche
der Artgenossen.
Diese tyrannische 
Kreatürlichkeit,
die wir alle doch
so ausweglos sind.
Heute Abend etwa
wird meine Geliebte
mich besuchen.
Sie wird mir auch,
orgasmusgierig,
ihren Körper überlassen,
dieses von Lustnischen
übersäte Stoffgebilde …
begehrenswert, kommandierend,
bannend und reizprall.
Und er wird mich 
verführen, dieser Körper,
so wie immer.
Unfehlbar.
ich werde ihm 
keinen Widerstand
entgegensetzen können,
werde ihn,
ihm verfallen,
konsumieren wollen.

Obwohl ich doch
viel lieber für mich wäre.
Viel lieber,
meinen Stillen verschrieben,
in die Dunkelheit hinausstarrte,
um mich,
dem asozial murmelnden Stumpfsinn
meiner Nachtsehnsucht 
fühllos zur Beute,
dem tonlosen Plätschern der Zeit,
dufern entzückt,
ichgierig zu überlassen.

Geistspuren (1427)9

Ich wüsste nichts,
was nicht versunken,
anheimgefallen wäre
seiner Nichtigkeit …

Ob Lust, Erfolg,
ob Macht, ob Ehre.
Was immer sonst
sei drangsaltrunken

verkommen Schicksal,
Zufall oder Zeit …
Mag sein noch Rest-Qual
eines Spätgedichts.

Der Verfall der Innenwelten (1428)10

Dass da noch irgendwas Bedeutung hätte,
erstrebenswert, erfüllend, sinnhaft wäre,
in diesem Dasein der geplanten Selbstverzichte:
Nichts weiter mehr als nur Erlebniskette:
Gefühlsramsch ohne Seelenschwere,
auf dass man sich nicht selbst gewichte,
verfügt doch letztlich einer Leere,
der niemand mehr entrinnen kann:
Ein außenprovozierter Daseinsbann,
der nunmehr wohl zu Ende geht …,

das zu behaupten fiele mir nicht ein.
Zumal ein Menschentyp da vor mir steht,
der, wohlstandshörig, ist allein,
ist asozial, narzisstisch und besteht
doch höchstens noch vor seinem eignen Schein.

Ihm fehlt die Kraft zumal,
sich selbst zu transzendieren;
doch ganz basal
sich selbst benommenes Lavieren.

Die Bonner Republik (1429)11

Ich hab die Bonner Republik geliebt,
die DM, die doch letztlich für sie stand.
Ich liebte dieses tauschbesessne Land,
wo alle lebten marktstramm ungetrübt.

Ich wusste, dass man oben rafft und schiebt,
dass man da Macht missbraucht, hält auf die Hand
und sich juristisch oft bewegt am Rand
und jenseits seiner noch nach Ehre siebt.

Mir war seit Jugendtagen freilich klar:
Wenn man’s genau nimmt, hat man schon verloren.
Es braucht nun einmal - nicht nur im Talar -

viel Illusionen, Lügen, Tugend-Foren,
um Fakten auszublenden; das ist klar.
Sind wir doch alle uns als Trance verschworen.

Im Büro/Sonett (1430)12

Fast rein mechanisch spule ich mich ab
und wiederhole Tag für Tag das Gleiche:
Zunächst am Morgen die gewohnte Fahrt
bürowärts vor PC und  Telefon.

Dort herrscht mal Sachlichkeit, mal öder Trab.
Oft geht’s nur darum, dass man steuernd eiche
das Umgangsklima auf entspannt und smart:
Dann spiele die Vernunft ich in Person.

Klar ist: Das schafft mir meine Subsistenz:
soziale Sicherheit und guten Schlaf.
Auch etwas Anerkennung, diesen Kitt,

der Innenwelten flutet mit Essenz.
Und dass mich stört da mancher Paragraph:
Das trage ich aus Ichsucht einfach mit.

Deutschland (vor 2004) (1431)13

Von innen raus bin ich so deprimierend müde.
Kein Wunder, denn es widert mich so vieles an
in diesem Deutschland, das, scheint’s, perspektivenlos
in seiner Selbstgefälligkeit beharren will.

Als ob sein Taumeln ihm allein Entlastung biete!
Nun ja, ich frage mich, was dieses Land noch kann.
Man riecht den Niedergang - er liegt ja förmlich bloß -
und auch die Impotenz in Zwecken, die so still

moralische Verwirrung schafft - des Landes Erbe.
Jedoch ich zweifle, dass es all das drängend spürt:
erpicht wie’s ist auf Freizeit, Urlaub und das derbe
Vergnügungspotential, das es ins Träumen führt.

Das Land entgleitet mir und zwischen uns wächst Fremde.
Mir ist, als ob ich eine tote Mutter kämmte.

Erinnerungen an eine Tote/Für die Königsbergerin … (1432)14

Das hab ich nur für dich gemacht.
Wenngleich auch da galt: do ut des.
Du hast mich mir mal nah gebracht
in einem Rausch versöhnten Schnees,
in kindischem vor trübem Morgengrauen.

Indes es blieb nicht bei dem einen.
Du wolltest Gegenleeren aus mir bauen.
Als hätte ich mich können selbst verneinen.
So sinnlos alles. Fort. Du bist nicht mehr.

Und doch: In seltnen Augenblicken
seh ich dein Bild in jenem Lethe-Meer
mir als ein Schneerausch in Bedauern glücken.

Allerweltswahrheit (1433)15

Haste was, dann biste was,
giltste was, dann darfste was;
so war’s immer, wie man hört.
Einer säuft aus einem Fass,
während andre Durst zerstört.
Gründe? Nun die bleiben blass.
Is halt so. Auch weil’s betört:
Affen Selbstwertgeltung mehrt.

Unwiederbringlich II /Für die Königsbergerin (1434)16

Dass du da draußen
auf dem Friedhof liegst
als feuchte Asche,
die indes nicht friert,
das ist absurd, 
zutiefst absurd, 
du wunderschön 
gewesnes Körperding,
das nächtens 
durch den kalten Schnee
mir Paradiese schleppte
vors frigide Ich.

Selbstabstellen (1435)17

Ich saufe mich 
aus diesem Schund heraus.
Ich brauche das,
um psychisch zu bestehen.
Denn permanent gibt es
medial Applaus
für’s Mittelmaß
und sein absurdes Krähen
in seine Kunstwelt
ohne Wirklichkeitssubstanz,
die es fixiert 
auf seinen Starkulthöhen.
Wo es sich onaniert
als Sinnpopanz
und feiern lässt
als kundiges Verstehen.

Allein I (1436)18

Ich bin allein.
Ich war das immer.
Wahrscheinlich auch,
weil ich verstand,
was anders doch
kann gar nicht sein:
Man ist sich 
- unverstanden -
fremder Schimmer,
den Lagen drastisch,
niemals sich zu Hand …
Behelfs-Sinn scharrend
aus gekauftem Schein …
Und überhaupt 
sozial zuschanden.

Ein alter Mann (1437)19

Ich habe mir einen Leberkäswecken gekauft.
Ich habe mich auf eine Holzbank gesetzt.
Ich sitze oft auf dieser Großkaufhausbank.

Ich beobachte die Leute, die vorübergehen.
Alle hasten achtlos hektisch an mir vorüber.
Von ihrer kleinen Welt in Beschlag genommen.

Ich spüre indes die Morosität dieser Leute,
ihren Stumpfsinn, ihre geistige Armut,
ihre selbstische Orientierungslosigkeit.

Ich fühle, dass sie unglücklich sind; und lieblos.
Getrieben von einer erbärmlichen Ichsucht,
die sie keineswegs als außenprovozierte begreifen.

Ihrer ansichtig, läuft es mir kalt den Rücken runter:
Hollywoodisierte Innenwelten. Manche Standardschlampen
und coole Rohlinge. Fans eben. Imitatoren fremden Scheins.

Manchmal beschleicht mich die Ahnung, dass sie
die willenlosen Verfügungsmassen der Zukunft vorwegnehmen,
unfähig, ihre Unterdrückten-Situation zu begreifen:

Kleinkriminelle, Neiderfüllte, Selbstwertarme, Daueranome,
die die Privilegierten hasserfüllt anrempeln werden;
ohnmächtig, perspektivlos; sozial Überflüssige eben.

Es ist so bedrückend: diese völlig identischen Monaden
werden außerstande sein, dem Schicksal des ungebildeten
Gewaltbereiten zu entgehen - ziellos marodierende Horden.

Ich hoffe, ich phantasiere, erliege nur der Angstvision 
eines alten, an die soziale Peripherie gedrängten Mannes,
den, faktisch überflüssig geworden, Untergangsalpträume

und senile Phantasmen heimsuchen, 
sei’s weil er einsam ist,
sei’s weil er aus einer Welt kommt, die längst unterging,
sei’s weil seine Todesangst böswillig objektiviert.

Notwendigkeit (1438)20

Schicksalsleere Lotterie:
Diese Farce, die Dasein heißt.
Zwischen Immer, Jetzt und Nie,
bis die Leere schmerzlich beißt.

Keiner sei getadelt drum,
greift er doch nicht, was ihn narrt.
Willenlos erträgt er stumm,
was ihn hilflos sich verscharrt.

Zeilen tränenloser Trauer,
Einsichtsfron, die deprimiert.
Um mich nur Monadenmauer,
einer Ich-Trance aufgeführt.

Trostfeuchten (1439)21

Schon wieder kamst du
um Liebe zu betteln.
Monoman erpicht 
auf orgiastische 
Selbstbestätigung einer 
willenlos zu sich selbst
verdammten Marktmonade.
Derweil ich dich 
auf die Kissen werfe,
Trostfeuchten 
dir auszulutschen
und Samenabfuhren 
in dir zu vollziehen,
nur um für ein paar Augenblicke
mir selber zu entrinnen.

Die große Fadheit (1440)22
Zu vergleichen mit (56/2891)

Läge ich jetzt bei dir,
schösse eben 
gedoppelte Einsamkeit 
durch unsre infantilen 
Schnäppchenjägerspielereien.

In unseren 
gierträchtigen Körpern wühlend,
wüssten wir beide doch 
ganz genau,
dass auch orgiastisch 
wir uns weit verfehlten,
der Großen Fadheit 
hilflos ausgeliefert.

Selbstgefällige Faktenverkennung/Sonett (1441)23

Mein Dasein? Objektiv bedeutungslos.
Das muss so sein; und so sei’s abgetan.
Es gilt: In dieser Zeit ist gar nichts groß,
verfallen Reflexionsarmut und Wahn,

der sich als Wirklichkeitsverlust stellt bloß:
Erregungshysterie, die, allprofan,
auf Hedonismus abhebt: Spaß und Schoß.
Sich selbst negierend; ohne Halt und Bahn.

Tatsächlich sind das die Gegebenheiten.
In Deutschland exemplarisch zu besehen:
dem Land der Würde und der Tugendweiten:

Wo man erlebnisinfantil sich drehen,
indes politisch auch will ethisch weiten:
Erlösungsbrünstig will sich selbst begehen.

Sonett/Für … (1442)24

Ich habe Stillen so geliebt. Ihr Wie.
War froh, die andern alle los zu sein.
Die doch nur Last sind, meistens auch gemein
und ohne diese Seelengröße, die

man haben muss, um diese Agonie
der Existenz als krudes Leih-Dasein
sich als Gehalt zu modeln im Verein
mit Menschen von verarmter Phantasie.

In deinem Körper war mir das egal.
Dies Stück Materie ließ alle Zweifel ruhn,
bot Rausch-Vergessen und war das Fanal,

mich willenlos durch Selbstbetrug zu trinken,
um dann, geruchsbetäubtes Stoffzwang-Mal,
luziden Stillen trancestumm zuzuwinken.

Prosafetzen (391) (1443)25

Aus dem graudunklen Abendregen heraus
drängen sich,
nur von meiner phantastischen 
Sentimentalität aufrechterhalten,
die bewusstlosen Schatten derer,
die einmal geliebt zu haben
ich mir einrede,
wabern durch mich hindurch,
wieder in die Unräume,
die sie zeitlos einnahmen,
bevor sie der Zufall,
Fremdheit flaggend,
lallend mir 
vor die Augen spülte.

Dorfschatten: Prosafetzen (390)/Anlässlich einer Erinnerung an H. D. (1444)26

Der Dichter und Theatermacher Brecht soll ja,
habe ich gelesen,
an die Notwendigkeit
der sozialistischen Revolution,
die sanfte Gewalt der Vernunft
und das sichere Heraufkommen
einer neuen Zeit geglaubt haben.

Mir, einem halbgebildeten Kleinbürger
mit freilich erfahrungsgewieftem Realitätssinn,
ist es indes völlig unbegreiflich,
wie ein Intellektueller 
an dergleichen Einbildungen
glauben kann;
mir, der ich mich doch nie 
irgendwelchen Illusionen hingab,
was den historischen Adressaten
jener Emotionswolken betraf,
das Proletariat:

Dessen empirische Repräsentanten wollten, 
dass ihre Nachkommen 
ein besseres Leben hätten:
Nicht so viel schuften müssten,
sich in die Lage versetzt fänden, 
sich ein besseres, 
wirtschaftlich abgesichertes, 
Dasein aufzubauen,
ohne all die bourgeoisen Aspirationen 
vernunftidealistischer Intellektuellenarroganz,
Kulturdünkel, Selbstglorifizierungsanwandlungen 
und Tugendidealen,
an die der Prolet, und das mit Recht,
nie zu glauben vermochte:
Seine Lebenserfahrungen 
ziehen diese nämlich allzu oft der Lüge.

Bei der Gelegenheit mache ich
diese sentimental bedauernde, 
naive Anmerkung :
Es ist für die gegenwärtige Gesellschaft 
nicht gut,
dass das sogenannte Proletariat historisch verschwand
(ich weiß es sehr wohl: verschwinden musste)
denn seine Besten wussten noch,
was Ehre bedeutet,
Mindestanstand,
was Sache: Realität ist,
worum’s - immer - geht:
Jedenfalls nicht um linkisch-primitives Tugend-Unmaß,
nicht um inquisitorischen Bephrasungsterror,
nicht um die zwangsegalitär-abstrakte Würde der Menschheit,
sondern: Um die dauermühsame Eingrenzung
der uns doch wesenstypischen Pleonexie,
der zu entgehen der Bourgeois übrigens
am allerwenigsten fähig war.

Na ja, ich will sie mir durchgehen lassen,
diese widerspruchsvolle Bemerkung;
zumal sie doch auch 
mit einer traurigen Erinnerung verbunden ist an H. D., 
der ein feiner, zurückhaltender, angenehmer
und sehr verlässlicher Mensch war.

Vom Schicksal verfügt (1445)27

Nichts, 
was man hätte 
mir schon anempfohlen,
mich körperlich zu optimieren.
Medikamente, Kuren,
Wunderwaren …
Behandlungsstrategien, 
mir zu holen 
mehr Lebensglück, 
mehr Lust
und mehr Zufriedenheit.
Selbst Therapien 
gegen Seelenfrieren.
Doch all das bleibe mir
als Tand gestohlen.
Gibt’s doch nur eine Weise,
sich zu übersteigen
zu Glücken hin,
die niemals sich verlieren.
Weil sie rein geistig sind,
heißt: Schlechthin elitär.
So nichts zu schaffen haben
mit den hohlen
Versuchen zu verführen
zu technischen
Effektverfahren,
die lindern könnten 
unser eitles Leid.
Das ist doch 
marktlancierte Mär.
Den Kunden-Nihilismus,
der sich geldwert lohnt,
durch Werbung 
ganz gezielt zu schüren.

Meiner Strophen Wie und Was (1446)28

Dass etwas bliebe,
glaub ich kaum.
Zu nüchtern sind sie,
schonungslos
und unverblümt.
Von meinen Strophen
red ich,
ohne Rührung 
deutend Faktenraum.
Dabei nicht eine,
die was immer 
rühmt:
Nicht Zeitgeist,
Kapital nicht,
nicht mal Tugend:
Verfallssymptome,
Arroganz und Hype;
ein spätglobaler Schaum,
Versagen ...
so wie es Frevelmut
und Macht geziemt. 

Kommende historische Umwälzungen: 
KI/Sonett (1447)29

Ich weiß es wohl, in welcher Welt ich lebe.
Und lebe daher ohne Illusionen.
Kann sie doch nicht mit Sinn mich noch belohnen,
Gefüge technischer Kommandostäbe.

Die dieses demokratische Gewebe
zerreißen werden als verfügt den Zonen
von Digitaldiktaten (Ratio-Mohnen),
so dass zerbreche jede Psychen-Strebe.

Resignation spricht da. Nicht Schadenfreude.
Für eine solche ist kein Grund vorhanden:
Hier geht’s um permanenten Zwang für Leute,

die werden müssen Machtkontrolle tragen,
beobachteter Beobachtung zur Beute,
um sich am Ende dann von selbst zu jagen.

ER I (1448)30
Zu vergleichen sind die Gedichte ER II (37/2216)
ER III (62/3259) ER IV (72/3844)/Sonett

Ob‘s ihn gebe oder nicht,
ist nicht mehr die Frage.
Gott ist tiefste Geistessicht
auf sonst deutungslose Lage:
zwecklos, Leid, bedürfnisschlicht.

Heute ist die Frage die:
könnten wir in ihm 
noch leben,
gläubig seinem Licht 
ergeben,
sind wir ohne Glaube doch:
Tiere, 
die nach Diesseits streben,
allergeben dessen Joch …
Ohne irgend Seelen-Licht.

Dass wir’s könnten, 
glaub ich nicht;
könnten’s  nicht mal
wollen wollen.
Rationale ohne Sollen,
ohne jede Geistesschicht.
Leibpagan* sich untertan
und narzisstisch infantil.
Fasziniert von unsrer Bahn;
Mittel unsrem Großhirn-Spiel,
diesem Homo sapiens-Wahn:
wir bestimmten Sinn und Ziel,
seien mehr als Zufalls-Tollen,
kommandiert von Trieb und Zahl.

*pagan = heidnisch

Kapitalismus (1449)31

Die friedliche Variante 
der schleichenden
Selbstzerstörung:
Durch die Überspezialisierung
was analytische und technische
Rationalität anbelangt.
Körperhörig,
genusstrunken, 
phantasielos
Ein Mittelkosmos
ohne geistige Zwecke.

Bombastik der Adiaphora.
Animismus der Ware.
Metaphysik
der Anschubglücke.
Geplante Unzufriedenheit.
Gleichmacherische Trivialsprache.
Angenehm.
Kindisch.
Verantwortungslos.

*

Ohne ihn freilich
wäre ich wahrscheinlich
Tagelöhner 
auf irgendeinem 
dörflichen Bauernhof;
besäße ich keinerlei 
Bildung,
söffe und grölte ich,
biederte mich anderen an,
unterwürfe mich ihnen -
notgedrungen …
Lebte dahin als verachteter 
Unterschichten-Dumpfling,
wenn auch nicht, 
Krankheiten hilflos ausgesetzt, 
allzu lange.

*

Wir mögen uns abzwingen,
was auch immer -
und sei’s ein Diesseits-Paradies -
Büßen werden wir es müssen:
Uns selbst ausgeliefert:
unserer existenziellen 
Wesens-Widersprüchlichkeit,
und unserer Materie-Verhaftetheit.

Geständnis II (1450)32

Hätte gern mich aufgeopfert 
einer Daseins-Großaufgabe;
eingebracht mit allen Kräften:
ethischen und geistigen.

Faktentreu dabei geblieben,
Lasten anderer erwägend,
die zumal gekannt ich hätte,
schicksalhaft damit verbunden.

Hat indes nicht sollen sein.
Passt so nicht zum Selbst von heute.
Das entpflichtungslüstern ist,
ichschwach und gewissensarm.

Datenbasierte Psychen-Verkümmerung (1451)33

Vereinzelung, Kalkül und Kälte.
Ein Schicksal dieser Technophilen.
Als ob man dann nur als authentisch gälte,
wenn man gewänne sich aus Zahlenspielen:

Aus Zeitgeist, Markttrance, Apparaten.
Geformt durch Ritualstrukturen
des Werdens seiner aus Computerdaten
als Selbstaufgabe in abstrakten Spuren.

Harmonisierungszwänge, die ganz unbemerkt
den Neuen Menschen schaffen:
Ein Wesen, abgerichtet und verzwergt:
Den austauschbaren gleichen Affen.

Unterleibstheologie/Für ... (1452)34

Ich komme nicht 
um dich herum.
Und weiß auch nicht,
warum ich's sollte.
Bist du mir doch
basales Gnadentum:
Momente-Transzendenz -
Genuss entrollte.

SMS (68)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1453)35

Erlebt, erfahren und erlitten.
Eines Lebens Resultat:
Ich-Verlust und Spaß inmitten
einer - rational und fad -
übermächtigenden Welt
ohne Maße, ohne Mitten,
ohne Halte, ohne Naht.
Abgestellt auf Drogen, Waren,
Selbstkonsum und Geld -
Stoffzufall,
nicht Geistestat,
gleichungsknechtisch
sich entglitten.

SMS (69)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1454)36

Dem, was du da nieder kritzelst,
entringt sich doch was:
Irgendeine Bedeutung;
und sei sie noch so fragwürdig,
noch so schäbig,
noch so zeitgeistwiderspenstig.
Die Frage ist, was.
Und ob’s nicht zerflösse,
Bedeutung auch nur verlöre
vor deiner radikal ehrlichen
Einsichtswilligkeit,
ließest du diese 
ungetrübt gewähren.
Zumal du doch weißt
um so viel Verkennungssucht,
das eigene Ichlein
vor der Entlarvung seiner selbst
als dauerprekäre Daseinsausgesetztheit 
faktenflüchtig zu bewahren.

SMS (65) Begrifflos orgiastisches 
Existenzschauspielertum//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1455)37

Mediale Verkitschungs-Offensiven.
Enthemmungskakophonien: popdionysische.
Rauschbegehrliche Körperlichkeit
tobt sich sollgeil erregungsempfänglich aus
im aufpeitschenden Sound
einer genau geplanten Kollektiv-Orgiastik:
Eine verzückungsprall-phantasielose Zirkusnummer
als aggressiv-erotische Selbstentfesselungsmotorik.

SMS (66) Redliche Auskunft//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1456)38

Auch ich kann dir 
nichts andres sagen.
Es ist so wie es ist:
Man muss alleine 
meistern seine Lagen,
zumal alleine 
sie auch tragen.
Obwohl man sie 
sich hat nicht ausgesucht -
man kann ja nicht 
sein Schicksal wählen.
Man ist zu diesem
sei’s verflucht,
sei es bestimmt,
es hinzunehmen.
Mag’s einen ehren
oder quälen,
man muss, noch mal,
sich ihm verzehren,
zumindest sich 
ihm anbequemen:
Bis vor des Todes
Ich-Erlösungs-Leeren.

Innere Haltung (1457)39

Wenn schon meine 
Innenweltstabilität kollabiert,
dann soll wenigstens
meine Krawatte sitzen.

Darauf lege ich Wert.

Paradoxerweise,
weil ich mir im Klaren 
darüber bin,
dass alle wertorientierten 
inneren Haltungen
gar nicht mehr durchhaltbar sind.
Kalkülen, Reizen, Effekten 
gewichen.
Es ist einfach kein Staat mehr 
mit ihnen zu machen:
Hält man an ihnen fest,
gerät man unausweichlich
gesellschaftlich ins Hintertreffen.
Nichts mehr gilt nämlich,
es sei denn
abstrakt, ideologisch, politisch:
Als Täuschungsreklame.

Der Mensch (1458)40

Dass er gut sei,
ist gelogen;
dass er schlecht sei,
freilich auch.
Lebenslang doch 
eingebogen
undeutbarem Daseins-Hauch.
Machend, dass er 
gar nicht weiß,
was ihm hier so widerfährt,
letztlich auch nicht, 
wer er ist.
Nicht mal, 
ob ihn schützt ein Wert;
oder blind ist
seine Frist.

Würdelos hechelnd (1459)41
Vergleiche (21/1283)

Das Selbstverwertungslocken angesichts von Waren,
Körpern und Entlastungschancen,
liefert uns unweigerlich auch 
digitaler Sekundär-Wirklichkeit, 
Bisocial media-Knästen aus: 
Kultpsychischen Belämmerungsorgasmen.
Kann doch niemand entgehen 
den Glücksversprechen der Sachen,
der Untergangsseligkeit in fremden Körpern
und dem sanften Vergessen seiner selbst.
Sich selber zumal Zweck und Mittel zugleich.
So verdrängungslüstern darauf angewiesen,
sich anderen Zielen zu kalkulieren 
als denen drastisch vergeblichen 
Leerlaufs in Realitätssinn, 
Einsichtstrübsal und Außenseiterhellsicht.
Und dennoch lebe ich lieber diesen dreien,
der Ohnmacht des unverschuldeten 
Absurditätenvollzuges gewärtig,
der vergeblich um Sinn, 
Selbstwertgral und Bedeutungsfülle
sinnsüchtig hechelnden Spätzeitsubjekte.
Von denen ich freilich auch eines bin.
Nur dass ich’s weiß.
Nur dass ich’s ertragen kann.
Nur dass ich’s fügen darf 
in geistige Gebilde.

Dorfschatten/Für K. K. (1460)42

Schon in der Kindheit 
stand ich hier,
an dieser leicht erhöhten Stelle.
Drauf wartend,
dass vorbei du kämst,
weil dich zu sehen
doch so schönwirr war;
von kommandierender 
Lebendigkeit zumal.
Indes du hast mich 
nie beachtet,
liefst stolz und kalt 
an mir vorüber,
bedeutend mir,
dass ich egal dir war.
Stand neulich wieder mal
an jener Stelle,
um deiner noch mal jetzt,
nach sechzig Jahren,
im Abstand sinnend
zu gedenken.
Obwohl du tot bist,
längst verschwandest 
in den gerächten Sanden
auf dem Berg da oben.
Erfahrend, 
dass es eine Sehnsucht gibt,
die wächst, 
weil grade nicht gestillt,
Bedauern macht, 
ein leises „Schade“ spricht …
Ob des Kairos*,
der damals unerkannt
verstrich.

*Kairos griech.: Das ist der Augenblick, der sich nur einmal bietet; versäumt man es, ihn zu ergreifen, kommt er nie wieder

Seelenschichten. Innenwelten (1461)43

Indes es dorrten längst die Seelenschichten,
das tief Versäumte noch zu greifen
in trauerträgen schlichten 
Verödungsweisen toter Tränenschleifen.
Da gehen Heere von Versäumtem um,
wenn ich gedenke jener Scharen
von Kindern, deren Schatten stumm
all ihre Bilder mir bewahren.
Ich glaube nicht, dass heute das noch möglich wäre:
sind doch die Innenwelten nu-fixiert:
Sind Abklatsch einer Medienschwäre,
die macht, dass man sich selbst verliert,
die macht, dass all dies trostlos Ferne
Versinken in Vergängnisspuren,
Erregungszwang verfügt, dann bis in seine Kerne
zum Mittel würde feiler Spaßtorturen.

Vorschein tiefen Selbstverlustes (1462)44

Wir sind uns selbst nicht mehr gewachsen.
Zumal, uns selbst entfremdet,
unsrer selbst benommen.
Weil auf Entlastungsrausch wir setzen,
Erlebnisfolgen hingegeben.
Konform gesteuert dann; gedankenlos.
Wir wollen uns und diese Welt vergessen.
Genauer: Müssen es inzwischen.
Uns unsern Seelenschnee so auch zu spuren,
nach Drang und Nützlichkeiten kalkulierend.
Für uns kann nur das Wie noch zählen,
die Existenz ergötzungsintensiv zu meistern.
So oft wie möglich. Völlig rücksichtslos.
Als ob wir ahnten all die Leeren,
die Nichtigkeiten, schleichenden Zerfall,
die diesem Wohlstandszirkus an doch haften.
Und doch es wissen ganz genau:
dass er allein uns kann erlösen,
er ganz allein; in uns erwünschter Weise:
Eudämonistisch-hedonistisch inszeniert,
uns rauschzerrüttet zu vergessen.
Uns Hoffnungskrüppeln dunkler Ahnungsschemen,
uns Körpern, einsam und allein,
ekstatisch Trostvergnügen hingegeben,
so spaßblind spätes Pseudoglück erraffend.

Mal angenommen (1463)45

Stürbe ich in dieser Stunde …
nun ich wär mich selber los,
ledig dieser Dauerwunde,
die nur Kinder plappern groß;

die doch nur Gemeinheit blutet,
Perfidie, Fiktionen, Gossen,
Psychen mit Verzweiflung flutet
und Hasard* von Haussen.

In der Tat: Was ich verlöre,
sollte man verlieren wollen,
wäre man ein Mann von Ehre,
fügte man sich Geistessollen …

Doch man kriecht vor Niedrigkeiten,
Geltung, Stoff und Gier gelungen:
Sinnstuss in Entlastungsgleiten
Biobarbarei verzwungen.

*hasard franz.: Zufall

Kindheitsglücke (1464)46

Ein paar glücksträchtige Augenblicke,
mir unvergessen gebliebene,
habe ich rüber gerettet aus jener untergegangenen Ich-Stufe.
Unverblasst haften sie im Gedächtnis als kindliche Bilder, 
Stimmungen und Befangenheiten.
Seelenkraftgeflutet wie damals.
Unvermindert.
Mir in ihrer zärtlich fremden Schärfe zugänglich,
als seien sie reine Gegenwart.
Etwa jene Welle blau überströmter Geborgenheit 
auf den grauen Sanden des Feldes.
Geborgenheiten, 
die Rohheit und Stumpfsinn vergessen ließen, 
diese Schlüsselqualitäten durchschnittlichen Menschtums.
Naturgeistern lauschte ich, 
wie sie mir hervorzubrechen schienen 
aus der geräuschtrunken geheimnisvollen,
seit Äonen still sich aufführenden Symphonie 
der bewusstlos sich selbst feiernden Materie,
gleichgültig aus sich selbst in sich selbst gebannt,
sich selbst feiernd im Tier und der Pflanze,  
in allen ihren Erscheinungen überhaupt,
nicht freilich dem von ihr ausgezeichneten Sinnflüchtling,
in dem sie sich ihrer selbst gewahr wurde:
Dem Menschen.
Lauschte besonders 
den geheimen Zeichen des Absoluten,
von dem gehalten und durchströmt,
ich völlig gleichgültig wurde,
sogar mir selbst,
fortgerissen in eine Mystik 
gottgewollter Unberührbarkeit.

SMS/Nachsicht (1465)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen

Nicht, dass ich es nicht verstünde,
dass wir glauben, frei zu sein:
Selbstbestimmt in jeder Weise;
dass sich jeder fraglos künde
als der Wähler seiner Kreise,
Herr auch über jeden Schein.

Ich versteh's nur allzu gut.
Freilich auch, dass wir das brauchen:
Radikale Ichsucht-Glut,
die durch dieses Sein will tauchen,
unberührt von Fakten-Brut
will Vollendungs-Glücke hauchen.

Freilich: Niemand war je frei.
Das war niemand je gegeben.
Selbst wer Macht hat, ist nur Schrei,
will nur ichgetrieben streben
weg von sich als Nebenbei
des Diktats mit Namen Leben.

Weihnachten (1466)48

Nichts als Kommerz, Stress und Tränenkurbel.
Widerliche Sentimentalität auch, US-trivial unterlegt.
Der Kern des Festes heute?
Nun es hat keinen mehr.
Gelegenheit bietet es freilich zu opulentem Mahl, 
das hälfe, Gemütsseichten,
Langeweile und Unflat aufrührende Zwistigkeiten 
im Kreis der Familie erfolgreich zu unterdrücken …
meinte sinngemäß eine versöhnlich eingestellte Zeitgenossin 
angesichts einer lärmenden Rotte 
Glühwein nippender Krippenbesucher.
Ich meinerseits bin einfach froh,
dass der Umsatz boomt,
weil mir das indirekt zugutekommt:
Ist es doch eine florierende Wirtschaft,
die mein aus Steuermitteln finanziertes Auskommen,
das Gehalt eines Angestellten in einem Kulturbetrieb,
sichern hilft.
Zufrieden bin ich zumal,
dass ein paar freie Tage für mich anstehen,
Tage, die mir den Rückzug 
auf mich selbst ermöglichen werden.
Kümmern mich doch nicht 
die saisonalen Verlogenheiten jener Emotionskonsumenten.
Am allerwenigsten allerdings der Geburtstag 
eines revolutionären Utopisten.

Gedanken anlässlich einer Erkrankung (1467)49

Ich kriege faktisch gar nichts mehr zustande.
Stumpf vegetierend zwischen Sessel, Tisch und Bett,
fixiere ich nur hier die Heizungskante.
Doch ihre Wärme macht kein Frösteln wett.
Wohl Opfer einer Virusplage
- die gehe schon seit Wochen hier herum -,
verteilend eine winzig kleine Krake,
die mich vielleicht sogar macht stumm.
Geschähe dies, wär’s Resultat der Lotterie,
als die doch abläuft unser aller Leben.
Bezüglich Was, bezüglich Wie.
Dem Faktum muss man sich ergeben.
Es mag sogar zuletzt entlasten.
Weil sie gerecht ist. Sogar absolut.
Und konnte bisher tragen man geloste Lasten,
mag man sich sagen: Sei’s! Es wär dann eben gut.

Erleichterung (1468)50

Ach hätte, hätt ich damals doch …
Das sagt und denkt man sich so oft.
Und immer ist es dann zu spät.
Man überlegt, wägt ab, man hofft,
misstraut der Sehnsucht freilich (die verrät).
Man schweigt, man tut nichts, kurz: Man zaudert,
um endlich - irgendwann - zu reagieren.
Man trifft sich einmal, raucht und plaudert …
Gerade das erträgt man noch …
Viel leichter dann das sich Verlieren.
Kann man dem Treffen doch recht gut ablesen:
Da wäre gar nichts rausgekommen.
Es wäre sicher falsch gewesen,
sich irgendwie zu engagieren.

Sapienten-Muss (1469)51

Ob an uns was immer läge,
wir zuletzt so überstiegen
unser Dasein hin auf Ziele?
Lebenslang an Stoff gebunden,
Zeit und Lagen ausgesetzt.
Ohne Wahl und ohne Wege,
die nicht säumten krude Lügen.
Endend oft in leerem Spiele,
leitend uns in Trauerstunden,
von Verzweiflungsdruck gehetzt.
Die in schwere Zweifel stürzen,
ob man’s weiter tragen solle,
könne oder auch nur wolle.
Lässt sich doch heraus nichts kürzen,
was verwiese uns auf Sinn …
Nicht kann so an uns was liegen.
Was auch immer es denn wäre.
Müssen uns Fiktionen biegen,
schaffen uns Entlastungs-Märe.
Gehen Intellekt-Staub hin.

Gefangenschaften (1470)52

Nach Realitätsflucht ist mir,
danach, mich abzusetzen 
aus dieser lückenlosen Abfolge
kommandierender Banalitäten
massendespotischer Traumwelten,
wie sie etwa Reklame produzieren, 
Unterhaltungsindustrie und Sport.
Auch um mich einzulullen,
genauer: davon abzuhalten,
den marktdominierten Umständen,
Lagen, Seelenzuständen und 
Bewusstseinseinschränkungen 
Einsicht abzugewinnen
statt nur halluzinationsträchtigen Bilderterror,
der zur Nachahmung 
und Identifikation verführen soll.
Allein, wer entkäme schon 
diesen allgegenwärtigen Mächten?
Zumal doch deren Zugriffsgewalt 
längst reproduziert wird
in den eigenen psychischen Manifestationen 
von Denken, Wollen und Fühlen.
Ich freilich schon. Indes nur,
weil ich Kunst mache,
mich darin selbst zu vergessen,
weil dies Glück bedeutet: 
Entlastung von sich selbst als Verbraucherkreatur.
Vor allem auch,
mich geistig zurückzugewinnen mit Hilfe der Sprache.
Erlaubt die es mir doch,
bis in die eigenen Kerne vorzudringen,
diese aufzudecken und unverstellt zu betrachten:
Durch und durch widersprüchliche und 
hochkomplexe Innenweltschwaden
wohl substantiell determinierter Tiefenprägungen.
Bis hin vor die Zugriffsgewalt Gottes,
dem ich nicht zu entrinnen vermag
- und das auch nicht will -
hält der doch die Hauptanhöhen 
meiner dieser technischen Kunstwelt 
so feindlich gesonnenen Seele.

Faktensicherung (1471)53

Vollständig heteronom,
exzentrisch-biochemisch Zufallsknecht,
gesellschaftlich Atom
in einem doppelten Gefecht:
Der Schlacht um Einheit, Sinn, Bestand.
Und dann der Schlacht mit Artgenossen.
Stets Pseudo-Sieger, in sich selbst verrannt
als Mitgestalter dieser Gossen
umtobter Dysbulien:
Adiaphora als Massengötzen,
sich ichschwach zu entziehen
Bewusstseinstrübung durch Erlebnisfetzen.

*Dysbulie: krankhaft schwacher Wille
*Adiaphora: Dinge, die man nicht braucht, weil sie
völlig überflüssig sind

Vorausschauendes Verschweigen/Für … (1472)54

Nie habe ich dir gesagt,
dass du der einzige Mensch warst,
der mir je etwas bedeutet hat.
Jedenfalls dann,
wenn mich Melancholie,
Trauer, Leere und jene richtungslose 
Sehnsucht heimsuchten,
eine andere Welt mir zu erphantasieren
in gegennihilistischem Suff.
Das habe ich dir 
nie gesagt:
Und zwar einzig aus der Furcht heraus,
dass dich mein dir als Gerede erscheinendes Geständnis
zu einer Verlegenheitsrohheit 
hätte hinreißen können. 
Wertlos, wie du dir selbst bist,
dich permanent zurücknehmend,
dich deiner gar schämend
und hilflos verachtend für Dinge,
die du, und das stimmt,
nie hättest tun dürfen.

Für den Wind II (1473)55

Er war meine tiefste Liebe.
Hat mich nie verlassen.
Hob mich aus Sozialgeschiebe,
raffte mich aus Wir-Gelassen.
Früh schon säuselnd, mich zu hüten,
Trauerstunden einzugehen,
dass sie weltarm mir verblühten.
Strauchelnd vor Verwehen.
Schob beiseite Schreibtischtrotte,
dass ich fort mich träume.
Hin zu jenem Kindheits-Gotte
Sinn verhangner Himmelsschäume.
Wenn dann die Notwendigkeiten
einst mir kommandieren,
mich dem Sterben zu bereiten,
soll’s in ihm mich dann entführen.

Mammonfunktionale Homo-Sause/Sonett (1474)56

Greift: Mammonfunktionale Homo-Sause
des Mehrens oben und des Mehrens unten.
Gemeinsam optimierten die die Lunten
im Gruftraum der globalen Wohlstandsklause.
Die schenke Glück und Frieden ohne Pause
als Kickerlebnispark gelernter Kunden.
Zerstreuungsgierig infantil gebunden,
dass Spaß auch metaphysisch sie behause.
Wir müssen jetzt schon um’s Gebäude bangen.
Denn immer tiefer werden seine Risse.
In sekundären Folgen längst gefangen,
verfolgt uns radikal das Ungewisse.
Aus dem wohl nicht mehr wir heraus gelangen.
Man sehe nur mal hinter die Kulisse.

Zeitvertreib (1475)57

Gedichte: Gottes letzte Kinder.
Bevor der Große Stumpfsinn greift,
um seinem Kitsch auch sie zu opfern.
Der Mensch als Technikarabeske
und jedenfalls gelenkter Sklave
in was er für Vollendung halten soll.
Das kann nur einer noch wie ich begreifen,
der, weil störrisch, alt und obsolet,
in eurer armen Pseudoseele liest,
dies Krüppelding in Zeilen fasst,
um spätklug kindlich Nichts zu spielen
im Tempel dort in Ephesos*.

*Heraklit, um 500 v. Chr., der Dunkle, griechischer Philosoph, stammte aus Ephesos. ἦθος ἀνθρώπῳ δαίμων = Des Menschen Charakter/Verhalten ist sein Schicksal.

Verlust (1476)58

Ich bin ein Stoffhirn,
wenn auch zeitgebunden.
Als dieses Ichknecht-
Intellekt- und Körper-Ding.
Ich habe Wert und Norm
aus mir geschunden
und atomar am Ende mich verzecht.
Zu X in einem Nihilismus-Ring.
Hab mich zum Geistknecht hoch gewunden.
Doch rational geschwächt:
Ward Sternestaub und Zeitgeflecht.
Mir selbst nunmehr verschwunden.

Ungefähr so (1477)59  

Hier mein Persönlichkeitsprofil:
Soziophobie und Stumpfsinn
bis ins Mark.
Als Wirtschaftsfaktor 
permanent labil.
Politisch dauerindolent.
Und psychisch viel zu karg.
Mir ist das alles hier zu viel.
Zumal's mein Hirn
bis an die Wurzel kennt ...
Es ist des Geistes 
und der Lebensfreude:
es ist gelungnen Daseins Sarg.

Körperpuppe/Für … (1478)60 

Inmitten deiner 
hinfälligen Körperpuppe:
Fleischvergängnis,
Vergeblichkeitshalde,
Entweltlichungsmagie
und Sinngekröse,
träumt sich 
das Ursprungswort Gottes,
deutet sein Plan sich 
noch einmal in 
heilige Lebendigkeit.

Der Lauf der Innenwelten (1479)61

Wie kann man denn glauben,
menschlich etwas zu bedeuten
in diesem uns doch längst entglittnen
Zertrümmerungsvollzug 
technisch-naturwissenschaftlicher Rationalität?
Die meistens tun’s.
Wohl weil sie nicht ertragen könnten,
sich wissentlich selbst das Nichts zu sein,
zu dem sie jener macht:
Zum Nichts vor Gleichungsorgien und Erregungsräuschen.
Heteronom bis ins intimste Sein,
Marionette, Spielball, Ich-Schimäre.
Subjekt, das, wüsste es um seine Lage:
die fadsten Knechtstums Selbsterleben,
sich, da ohne Ausweg,
noch mal flüchten müsste
in die Fänge der Mächte, 
die es zum Ding, auch für sich selbst,
reduzieren müssen:
Zum geistlos flachen, seelenlosen,
frigide hörig kalkulierten …
zum trauerdorren, glücklos-dumpfen, 
zum zweckfrei deutungslosen Mittel.

 

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