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Diese Seite enthält 64 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

Kollektiv gebauter Käfig (1355)1

Als Arbeitnehmer bin ich pflichtgemäß aktiv
in einem Kosmos ingeniöser Apparate.
Ich denke und verfahre effektiv
zu halten meine Leistungsrate.

Und die, die muss ich rücksichtslos erhöhen.
Warum, das weiß ich ganz genau:
Wie könnte ich denn anders widerstehen 
dem Druck des Marktes und dem Fortschritts-Bau?

Die alles unter ihre Knute zwingen,
Gehirne lenken, Anspruch, Wollen und Affekt.
Wie soll man sich da noch gelingen,
gezwungen, dass man sich erwünscht bezweckt?

Wenn nur Effekte zählen, Quantenplus,
der Zwang, sich so zu adaptieren,
dass man in Selbstaufgabe oft sich winden muss,
muss man sich menschlich wohl zuletzt verlieren.

Daseinsprivileg (1356)2

Rund 21.500 Tage habe ich bereits hinter mir.
Und ich wüsste nur wenige,
an denen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit,
Bedrückung und Trauer 
nicht auch in die Schranken gewiesen worden wären
durch irgendein unscheinbares Glück,
das mir zufällig begegnete.
Gerade mir,
dem Träger eines Daseinsprivilegs,
das es mir erlaubt,
mag ich auch nur das sanfte Wehen 
eines Sommerwindes spüren,
mich leichthin dann 
aus allen meinen Seelenwirren herauszuwinden.
Unberührbar geworden der Welt und mir selbst.
Heimgekehrt in des göttlichen Stoffes
geborgenheitsmystische Sinnträchtigkeit.

Kommende historische Umwälzungen/Sonett (1357)3

Ich weiß es wohl, in welcher Welt ich lebe.
Und lebe daher ohne Illusionen.
Kann sie doch nicht mit Sinn mich noch belohnen,
doch mehr und mehr in hochprekärer Schwebe

als antidemokratisches Gewebe,
entflechtend sich in leeren Seelenzonen
von sich in ihm entfremdeten Millionen.
Das merkt man kaum; und doch ist’s gang und gäbe.

Resignation spricht da. Nicht Schadenfreude.
Denn Schadenfreude kann nicht geistig tragen,
durchschaute nicht die Indolenz der Leute,

drauf angewiesen, lustvoll sich zu plagen
als in sich selbst verirrte Spaßkult-Beute:
Sich als Effektsucht treibend in Versagen.

Spät abends* (1358)4

Ein Abend, wie du ihn gerne hast:
Spät. Bei einem Wein, mit einer Selbstgedrehten.
So ganz allein, befreit von jener Last,
Sinn und Verwirklichung dir einzureden.

Dir ist nicht nach Zerstreuung oder Spaß,
wie sie die Medien sehen und verbreiten.
Obgleich auch diese sind Erfüllung und ein Maß
im sanften Strom der kommandierten Nichtigkeiten.

Was willst du mehr, du bist für dich,
brauchst niemand, dir Alleinsein zu vertuschen.
Weißt nur zu gut: Hier machst du keinen Stich,
wo Perversion und Wahn durch alle Stunden huschen.

Die große Stille darfst du so erlauschen,
dich in sie fallen lassen, um es zu verträumen,
dass durch Vergeblichkeit wir rauschen
und wenn uns deutend, selber uns versäumen.

*Das Gedicht „Spät abends“ ist eines meiner ältesten … frühe 1980er Jahre  

Deutschland im November 2021 (1359)5

Den Fakten entfremdete Oligarchie 
von biederer Parteienarroganz. 
Eine Art linkische Macht-Onanie, 
entbehrend jedweder Geistsubstanz.  
   
Sie pocht auf Moral von hehrsten Fähigkeiten, 
die, mein ich, menschlich selten sind, 
als suggestiv verdeckt korruptes Tugendmeiden.  
Verschlagenheitslasziv.  

Ein hedonistisch indolenter
und ausrangierter Souverän.
Sakralisiert auf jedem Fernsehsender
als autonom. Indes für wen?

Für diese Nihilismus-Lunten
von Technik, Wissenschaft und Kapital.
Verdinglichungsperfekt dann zu bekunden
ein Selbst von Seelenöden unbemerkter Qual?
*
Deine Gesellschaft, Deutschland, zerfällt.
So deine Sprache und deine Kultur.
Mittelmäßig und kleingaunerhaft bist du geworden.
Immer häufiger dir selbst und andern zum Hohn.
Selbstbestandslose haben dich im Griff, Deutschland,
unfähige Funktionseliten, 
aggressive Tugendschaumschläger,
sich ihren Einfällen überlassende existenziell Unbedarfte
und eine Bevölkerung, die, Konsum verheiligend, 
glückstrancegierig sich den Wonnen von Erlebniszufuhren 
medialer 
und urlaubspraller Nichtigkeitsgeborgenheit überlässt,
verdrängungsmystisch ein Leben genießend,
das inszenierte Inszenierung: Zeitgeistbetrug ist …
Banalrausch, Selbstentmächtigungsmagie, 
Verwirrungs-Infantilismus und hedonistisch 
verrätselte Orientierungslosigkeit.
*
Dekadent bist du geworden, Deutschland, 
stumpfsinnig auch,
wohlstandshörig permissiv, kindisch 
und oberflächenemotional eigensinnig.
Gut willst du sein, moralisch gut, wertorientiert, 
ethisch korrekt, idealistisch. 
Um der Menschenliebe, der Demokratie, 
der Gleichheit aller, des liberalen Rechts,
der Vernunft und Humanität und Würde willen.
Wie naiv bist du doch geworden, Deutschland!
Für die Tugend gibt es keinen Lohn, 
nicht den geringsten. 
Und schon gar nicht den, den deine eitlen, 
erbärmlich selbstdistanzlosen Amtsinhaber 
sich erhoffen.
*
Alt bist du geworden, Deutschland, sehr alt.
Und schwach, 
narzisstischen Egoismen ausgeliefert.
Deine Zukunft ist ungewiss.
Gut sieht es nicht aus, wie es scheint.
Was also soll ich dir wünschen, Deutschland,
der ich für dich, 
diese geschichtsverstrickte Selbstentmächtigungs-Sause,
nicht einzustehen  vermag?
Allein um der Geistesfülle deiner  tiefen Sprache willen:
Das Beste … Dies, 
dass du dich wiederfinden mögest,
du so verachtungswürdig gewordenes,
kleinmütig-naives Tugendland.

Ideologie (1360)6

Emotionen-Wolke,
Selbstversicherungs-Hülle,
Halt-Drang-Bresche:
Ideologie.
Gegen Wirklichkeit 
und Realität 
monoman abgedichtet,
ignorieren die in ihren
begriffsgestützten Floskeln,
feinsinnigen Vorurteilen 
und anmaßenden 
Fakten-Verweigerungs-Phantasmen
eingesponnenen Ideenjünger
die störrische Apathie,
Erlösungs-Inbrunst,
rohe Kreatürlichkeit
und duldende Weisheit
der von ihnen heimgesuchten,
glorifizierten wie instrumentalisierten
Zielmassen.
Unbelehrbar und stumpfsinnig
sich der Einsicht verweigernd,
dass, wer,
die empirischen Gegebenheiten
luzide und faktengetreu
in Rechnung stellend,
gegen die Verhältnisse 
und ihre Widersprüche steht,
unweigerlich allein ist,
auf sich gestellt bleibt.
Weil er eben auch begreift,
dass es nicht die geringste 
Möglichkeit gibt,
an Indolenz,
Pleonexie, 
Angst,
Perfidie 
und evolutionär verfügter 
Selbstgefangenschaft
des durchschnittlichen Menschen
was auch immer 
auch nur ansatzweise
ändern zu können.

Realistisch betrachtet (1361)7

Ekel, Verbitterung, Wut 
und Zerstörungslust
vernünftigerweise 
auf sich beruhend lassend -
schössen sie doch, 
empörungsidealistisch umgesetzt, 
folgenlos ins Leere -
muss ich eingestehen,
dass der Konsumkapitalismus 
die Massen fasziniert,
beseelt, trägt, ja gar erlöst.
Und so denn sie 
auch noch dahin bringen wird,
erlebnishungrig augenblicksstrack, 
fatalistisch hinzunehmen,
von ihm irgendwann
sogar um sich selbst 
gebracht werden zu müssen.
Absichtslos systembedingt.

Illusionslos II (1362)8
Zu vergleichen (20/1190), (53/2700), (57/2936)

Gedichte sind, wie ähnlich Reden,
doch auch soziale Angriffswaffen.
Wie könnte es auch anders sein
bei einem agonalen Affen,
der sich ergötzt, wenn andre schrein
- zumal so findig ist im Leid-Erschaffen -,
beurteilt sich und Artgenossen
nach Eigennutz, Verwertbarkeit und Schein,
dem noch sein lautes, wirverfügtes Flöten
lockt Selbst- und Geltungs-Fetzen aus den Gossen.

Letzte Sünde (1363)9

Hast allenfalls noch Kundenstatus.
Verwerter bist du, Produzent,
dem Markt beflissener Agent
qua homo excitatus*.

Mehr bist du nicht. Doch reicht dir das,
solange dich sein Güteroutput schmückt.
Dir das erwünschte Ich auch glückt.
Indem du imitierst das Promi-Maß.

Nicht dass ich dich nicht auch verstünde:
Wer schwämme gegen diesen Wohlstands-Strom?
Der doch viel tiefer reicht als Staat und Dom.
Zudem kennt nur noch eine Sünde:

Dich abzusetzen in Verzichten,
um auf dir selber zu beharren.
Denn das, das machte dich dir selbst zum Narren.
Und würde psychisch dich zugrunde richten.

*homo excitatus lat.: der erregte Mensch

Dorthin. Nach Hause (1364)10

Inmitten der 
Absurditäten des Alltags:
Ein Gedicht.
Auch,
um mich hinwegzutragen
über jene,
mich selbst,
Kollegen und Kunden …
Weit hinaus
über Broterwerbshandeln,
Identitätsbehauptung
und die subtilen
Vereinnahmungen 
durch trivialkulturelle
Verschundungs-Zumutungen …
Wer weiß,
wohin.
Jedenfalls in eine Leere
völlig andrer Art 
als jene,
die dem kapitalistischen
Alltagshandeln
zugrunde liegt:
Für Minuten 
verfeinernd,
erlösend 
von sich selbst;
und so denn 
geistig ichfern 
vollendend.

Starrsinnig (1365)11

Mir wäre es gleich,
Epigone geheißen zu werden,
krankhafte Randfigur,
gar panobsolet,
einsichtsarm,
bezugs- und
bedeutungslos. 
Solange ich nur meide
markthalluzinativ
abgerichtete Innenwelt,
Agape-Intellektualismus,
Medialverdummung 
und dauerethisierender Politik
kratische Ohnmacht
und Verantwortungslosigkeit.*

*Variante:
„und ohnmächtige Wirklichkeitsflucht.“

Dahinleben (1366)12

Die Gleichgültigkeit der Welt.
Die Fremdheit des Du.
Die Irrationalität des Wir.
Die Ordnungsstete der Zeit.
Die Flüchtigkeit des Glücks.
Die Ungreifbarkeit seiner selbst.
Der Angst und der Einsamkeit Stille.
Die Güte des Fallens in traumlosen Schlaf.
Das Schweigen von Sinn.
Das Bewusstsein des Todes.
Die Spur von Vergessen,
sich löschend im Nichts.

Ohne Einheit I (1367)13

Versammle meine Stillen alle
und schreite ab die Einsamkeiten.
Damit in ihnen die Person nachhalle,
die mir die Lagen unterbreiten.
Die ich ertragen muss und mir geloben
als das, was meine Existenz ausmacht,
in Frühen an den Rand geschoben
durch jene anonyme Macht
genetisch-kultureller Gliederungen,
die niemanden aus sich entlassen.
Sozial bin ich mir so misslungen.
In Selbst nicht, Du nicht, keinem Wir zu fassen.

ἐν ἀρχή (griech.: am, im Anfang) (1368)14

Ich trink und trinke. Bloß: Auf was?
Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.
Wahrscheinlich doch auf jenes Stoffausmaß
von Formel, Artefakt und Wertgericht,
von Hirngewalt, Ich, Haltfiktionen,
die, obschon durchschaut, man stündlich braucht,
nicht zu betreten jene Einsichtszonen,
wo nur das Hyle-Spiel* Befehle haucht.
Kapitalismus ist so auch doch nur
objektivierter Strebensdrang
materieller Diktatur
und perspektivisch täuschendem Belang.

*Das vor ca. 13,82 Milliarden begann - als sog. Urknall -,
die physikalischen Monaden (Einheiten ohne Teile) Quarks und Elektronen bereits enthaltend, also die Teilchen, aus denen später die Materie entstehen sollte, die uns durch und durch ausmacht

Gleichgültigkeit II (1369)15

Ich sitze rum.
Bin völlig leer.
Nichts als Gesumm
wellt um mich her.
Von Autos, Schlagern,
Alltagsschicht -
Mich umzulagern
taugt es nicht.
Trifft auf Moment,
da gar nichts zählt,
mich, abgetrennt,
nichts freut,
nichts quält.

Ein sinnloses 10 hoch 100-Jahre*-Spiel (1370)16

Was liegt an mir,
an den Gedichten,
ja überhaupt an dieser Welt?
Geht’s da um Zwecke,
Ziele, gar um Sinn?

Ums rational,
ums kosmisch wahr 
zu richten:
Um gar nichts geht’s.
Das alles 
treibt nur so dahin,
bedeutet nichts,
ist ohne Gottes-Zelt.
Ist nichts als 
Energie- und 
Teilchen-Strecke.

*Das ist eine 1 mit hundert Nullen; spätestens dann werden alle kosmischen Strukturen (auch die größten schwarzen Löcher) zerfallen sein; und bleiben wird ein physiskalisches Vakuum ... Und dann?

Im Nachhinein (1371)17

Heute vor 15 Jahren 
starb meine Mutter.
Viel war’s ja nicht,
was uns verband.
Geistig eigentlich 
gar nichts.

Zählt das freilich?
Nein.
Denn sie hat 
nie versagt,
nie versäumt zu tun,
was sie konnte.

Und selbst wenn nicht,
würde ich heute dennoch 
ihr ein „Danke!“
nachflüstern,
eingedenk ihrer
verzweifelten Tapferkeit.

Mammon-Despotie (1372)18

Ihr Gott kennt Quantum nur, Kalkül und Tausch,
ist auf dies plane Diesseits angewiesen.
Weshalb notwendig er die Innenwelten,
Natur und Geist, am Ende selber sich
verrotten lassen muss und dann zerfallen.

Da tobt ein hypertropher Drangsal-Rausch,
der sich muss pseudorational ergießen
in Zeit und Stoff, Blasiertheit und in Gelten.
Um sich zu formen ein abstraktes Ich,
das Einheits-Ich von Niemand und von allen.

Bedrückt’s mich? Nein. Da tobt ein Affenplausch18von Wurzellosen, die an Grenzen stießen.
Und doch als Herrentiere sich als Helden 
sakralisieren trotz Neuronen-Strich,
auf dem sie hilflos tingelnd ihre Öden lallen.

Psychen-Verkümmerung (1373)19

Vereinzelung, Kalkül und Kälte.
Ein Schicksal dieser Technophilen.
Als ob man so nur als authentisch gälte,
dass man gewänne sich aus Zahlenspielen:

Aus Zeitgeist, Markttrance, Apparaten.
Geformt durch Ritualstrukturen
des Werdens seiner aus Computerdaten
als Selbstaufgabe auf abstrakten Spuren.

Harmonisierungszwänge, die ganz unbemerkt
den idealen Menschen schaffen:
Ein Wesen, abgerichtet und verzwergt:
Den austauschbaren Überaffen.

Flucht vor sich selbst (1374)20

Wer wollte denn noch vor sich selbst bestehen?
Begriffe gar, was hieße das?
Zumal sich selbst doch Inszenierungs-Spaß;
auch, um sich selber zu umgehen,
sich manche Fakten zu verschleiern …

Wer wäre indes nicht auf Lebenslügen angewiesen,
verstrickt in diese sich dann selbst zu feiern,
um nicht ein Dasein abzubüßen,

das, Dekadenz und Amoral verschoben,
dient faktisch fremden Interessen,
für deren Zwecke Einsichtslosigkeit verwoben
und lustgefärbten Selbstverlust-Exzessen.

Selbst-Verzwergung (1375)21

Was lebt man noch,
genau betrachtet?
Ein Dasein, das,
auch Phrasen-Joch,
sich, weil sich unverfügt,
doch selbst verachtet?
Ein Dasein,
das, verdrängend, lügt,
sich vor sich selber 
zu verbergen,
sich panisch 
immer mehr verliert
in lüsternem
sich selbst Verzwergen.

Was ich bin I (1376)22
Vergleiche (45/2329) und (68/3630)

Muss keine Weltanschauung beten.
Nicht Stars, nicht Sieger, noch auch Macht anstaunen.
Mir weder Sinn noch Wertbehelfe flöten,
humanitär zu raunen.

Nicht dass ich deshalb frei schon wäre.
Ich bin nicht dumpf genug, mir vorzumachen,
es gäbe mehr als diese Leere …
Autonomie gar in des Stoffes Rachen.

Ich sehe realistisch, was ich bin:
Objekt der Wirtschaft, hilflos ihr zur Beute:
Bedürfnisquantum zwecks Gewinn
in immergleichem Heute.

Ich soll mich durch Erleben toben.
Als wäre das nicht zugleich Selbstaufgabe,
in Warennihilismus aufgehoben
mich steuerndes Gehabe.

Dilemmata (1377)23

Was denn, bitte, soll ich sagen?
Und vor allem auch: Zu wem?
Dass wir Wirklichkeit zerschlagen 
und ersetzen durch System?
Daten, Mengen, leere Worte.
Hilflos trudelnd in den Fängen 
technisch uns diktierter Horte.
Effizienzen, die bedrängen,
kreatürlich uns zu biegen
noch in geistigen Belangen.
Ausgeliefert Pyrrhus-Siegen*,
ökonomisch kernbefangen.
Bis dann an schon späten Tagen
Kunstgeschöpfe uns sich fügen?

*Pyrrhus-Sieg: Pyrrhos I., König der Molosser (319 – 272 v. Chr.). Nach seinem Sieg über die Römer bei Asculum 279 v. Chr. soll Pyrrhos - aufgrund der erlittenen eigenen Verluste - gesagt haben: „Noch so ein Sieg - und wir sind verloren.“

Ein herrlicher Tag (1378)24

Acht Sätze aus dem Alten Testament übersetzt.
Etwa zwanzig Odyssee-Verse nach metrischen Vorgaben
des homerischen Hexameters mit Punkten versehen
(die sechs Hebungen anzuzeigen),
einige Gedichte in eine Computerdatei getippt.
Keine Nachrichten gehört.
Nicht ferngesehen.
Kein Telefonat geführt.
Mich überhaupt 
von allem ferngehalten,
was mich hätte stören, erbosen,
aggressiv machen oder auffordern können,
etwa schuldbewusst und schamerfüllt
all derer zu gedenken,
die in Armut, Elend und Hoffnungslosigkeit leben, 
darben, ja vegetieren müssen.
Und dies auch meinetwegen,
der ich, 
wirtschaftlich, gesellschaftlich und sozial privilegiert, 
in einem reichen Land lebe,
das doch auch auf Kosten jener Benachteiligten 
seinen Wohlstand geschaffen habe.

Indes nichts dergleichen. 
Ich war völlig allein.
Und allein schon deswegen 
war es ein herrlicher Tag.

Mehr gibt es nämlich nicht:
Geistige Herausforderungen
in Stille und Einsamkeit
geschwätzesfern zu bestehen.
Frei zu sein 
von den Kreaturen-Primitivismen 
dieser sich selbst 
entmächtigenden Wohlstandsdiktatur.

Die Tage mit dir/Für … (1379)25

Diese Tage mit dir
werden für immer 
geschwisterlos bleiben:
Magisch für sich stehen.
Tage erotischer Revolten
gegen Alltags-Seichtheit,
Kohlenstoff-Despotie
und Verbraucher-Bitterkeit.
Geborgen leibgeniale Tage.
Vollendungshungrig noch 
in olfaktorisch provozierter 
Entgrenzungs-Besessenheit.
Substanzbasal:
Entrissen profanierender 
Tausch-, Nutzen- 
und Berechnungs-Rohheit.

Morgen (1380)26

Morgen wird alles anders.
Morgen sprenge ich alle Hüllen.
Morgen gehe ich auf mich selbst zu.
Morgen nehme ich Abschied von mir.
Mich selbst zu gewinnen
in dunkelster Worte Entfremdungs-Magie.

Ein ganzes Leben (1381)27

Wenn ich es objektiv gewichte,
dann war es Aufstieg und Betrug.
Dann war es Wohlstandsgier als Massenzug
der Despotie, dass man sich selbst ausrichte
zugunsten einer Mittelmäßigkeit,
geprägt von Waren-, Lust- und Ramsch-Tiraden
und jener so apathisch faden
Genusssucht in Zerrissenheit.

Ein Gleichungs-All für Infantile,
Korrupte mit Moral-Inbrunst,
Gedankenarme im medialen Dunst
standardisierter Regressions-Asyle.

Ich akzeptiere dennoch dieses Los.
Ist doch sein Terror viel subtiler,
vor allem menschlicher als der der Spieler,
die Wert, Idee und Ideal macht groß.

Eskapismus-Sucht/Für Chrisbe … (1382)28

Obwohl erschöpft,
will ich doch noch nicht 
schlafen gehen -
Deiner Entfesselung 
kultkopulativer 
Brachial-Leiblichkeit
imaginär noch einmal
entgrenzungsverzückt
zu vertorkeln.

Fleischrad-Solipsismus/Für Vio… (1383)29

Immerhin zwei Stunden Trance
entrissen wir,
von Pheromonen auch übermächtigt,
der Späte des mondtrunknen Abends.
Schon vom ersten Augenblick an
rücksichtslos belehrt,
wie stoffgefällig es ist,
somatisch sich 
einander zu verschwenden.
Hilflos freilich verfallen
dieser kommandierenden 
Ich-Transzendenz
in gegenseitiges Zwangs-Verfehlen.

Naiver Wunsch (1384)30

Wenn es ein Drüben gäbe
- es gibt aber keins,
kann keins geben
für ewigkeitshungrige,
haltlos sich lobende,
überwältigungslüsterne,
selbstsuchtkranke 
Neuronen-Büttel -,
ich wünschte es mir so:
Als Einheit von Stille,
innerer Ordnung,
Eros, Anmut und Geist.

Provozierte Ekstase (1385)31

Selbst die Geilheit ist zum sozialen Diktat geworden,
ihr vom Zeitgeist kommandierter Vollzug,
pflichtgemäß erledigt,
qua hormonelle Eingliederungshilfe 
zwecks durchschnittskonformem Dazugehören.

Der Reklamemacher nutzt sie als Aufmerksamkeits-Peitsche
und Absatz fördernde Enthemmungsstrategie,
der Krankenkassenvorstand als Einspar-Potential.
Und die Sinn-Industrie dazu,
ihre notorische Erfolglosigkeit zu kaschieren.

Speziell für Ich-Verbraucher 
scheint sie die ekstatische Variante
der Selbstwertsteigerung zu sein.

Dem sei, wie auch immer:
Die Zwerg-Lobbyisten 
des hurrahörigen Gesamtzusammenhangs
vögeln immer mit.

Der Einsamkeit Früchte (1386)32

Ich weiß nicht,
was ich sagen soll.
Zumal es sinnlos wäre,
was zu sagen.
Ganz aussichtslos 
die Geisteslagen -
Die Leute sind erlebnistoll.
Ich habe mich 
auf mich zurückgezogen.
Aus Unverständnis und
aus Langeweile.
Schrieb deshalb auch
so manche Zeile.
Das hat mich nicht verbogen.
Und denke dabei
schon ans Sterben.
Und dass es manches mir
wird wohl ersparen:
Den Kampf etwa
enthemmter Scharen
um unsrer Spaßsucht 
winzig kleine Scherben.

5. Querstraße, 1955 (1387)33

Die Belanglosigkeits-Murmeln
trudeln sinnleer
durch die 5. Querstraße.
Du glaubst das nicht?
Es ist aber so.
Neulich sah ich sie,
nach 50 Jahren,
immer noch auf 
denselben Spuren rollen.
Gegenschwindlig 
und klaglos
sich um sich selber drehend.

Zufällig mitgekriegt (1388)34

Emma Watson, die Feministin und 
Kämpferin für Frauenrechte,
hat ihre Titten ablichten lassen.
Das habe ich im Fernsehen
gehört und gesehen.
Wow! Cool! 
Doch Tittenshow und Feminismus,
das nun freilich gehe nicht,
versichern ihre orthodoxen Schwestern.
Und hacken hämisch auf sie ein.
Das wundert mich freilich,
sind gerade Frauen doch
mit Frauen immer solidarisch.

Was Frauen und Männer eint (1389)35

Von beiden halte ich nicht viel.
Besetzt sie Machtsucht doch und oft auch Seelenkälte.
Maßlose Eitelkeit, berechnende Moral.
Verschlagenheit und Rachsucht auch.
Zumal prekär ja ist dies Daseinsspiel.
Sind sie doch fleischliche Gemälde
der Quantität, der Hinterlist und Zahl:
Der Oberflächlichkeit gemeinster Hauch.

Zuletzt: Sie sind im Kern verlogen.
ermangeln zumal Seelengröße,
von Neid getrieben und Gewohnheitslügen,
nur selten fähig zu verzeihen.
Nun ja. Wir alle sind Gewalt verbogen.
Sind ohne Mitte, zentrisch doch nur Ich-Getöse.
Was doch nichts andres meint als sich verbiegen:
Zum eignen Vorteil sich dem Ganzen einzureihen.

Wer glaubte, dass ich mich da selbst rausnähme,
der irrte sich, der hätte nichts begriffen.
Bin ich doch auch gezwungen, dass ich anbequeme
mich unsern schoflen* Affenkniffen.
Nur dass ich weiß, mich rauszuhalten.
An Stillen, Einsamkeit und Geist gebunden.
Mich nicht als Kreatur nur zu gestalten.
Entronnen mir. Nicht von mir selbst auch noch geschunden.

*schofel hebr.-jiddisch: gemein

Ataraxia*/
Für Epikur von Athen (341 – 271 v. Chr.) (1390)36

Befinde selbst: Ich sei mir Scheinproblem.
Und treffe damit wohl die Fakten.
Das macht mich fähig, dem System
mich zu entziehen: seiner abgeschmackten
Vereinnahmung noch schärfer zu entgehen:
Erregungs-Zufuhr und gewieften Krähen.

Mir zuzueignen dieses andre Mem:
Zurückzunehmen mich, mich selbst zu takten.
Asketisch mir, nicht Du und Wir,
nicht Welt und Macht und Schein gelungen.

*Ataraxie griech.: Unverwirrtheit, Seelenruhe, Gleichmut

Nüchtern besehen (1391)37

Ich kann mich doch gar nicht mehr gängig gewichten.
Zu müde, zu schlau und vor allem zu alt.
Wie könnte nach eurer Moral ich mich richten,
wenn ich sie weiß als subtile Gewalt?
Die Staatsmacht, Märkte und Technik vorschreiben
grad mir, der sich ihnen fügen soll.
Um mich subtil dann aufzureiben,
erlebniszerstreut und leerformeltoll. 
Obwohl ich auch dies begreife mitunter:
Da ist kein vernünftiges Wollen am Werk.
Da lügt sich ein Glück vor und glaubt gar an Wunder
ein sich sich selbst verachtender Zwerg.

Heteronomie* (1392)38
Zu vergleichen ist das Sonett (55/2801)

Was ich fühle,
was ich hoffe, 
was ich denke,
was ich will,
geht zurück
auf dumpfe Stoffe
und auf 
normativen Drill.
Geht zurück
auf das Soziale,
Anerkennung,
Macht und Trieb,
ungestört 
sich auszuleben,
fraglos glaubend
dem Gerüchte,
dass man selbst
sich dabei lenke,
dass man, frei,
sein Wesen lichte,
wähle selber auch 
sein Glück.
Sich als Herr
und Einsicht habe.
Derlei Trugmacht
muss man weben,
dass man nicht
die Fakten sichte: 
Knecht zu sein 
und Zwangsverschweben
traumdiffuser 
leerer Wabe.

*Heteronomie griech.: Fremdbestimmtheit/Unfreiheit. Gegensatz: Autonomie

Scheinbares Paradox (1393)39

Je angestrengter 
und aufmerksamer
ich mich
auf meine Existenz
konzentriere,
desto fremder
und ungreifbarer
wird sie mir.
Desto mehr
begreife ich sie 
als letztlich 
selbst mir
unverfügte.

Dankbarkeit, Pessimismus und Selbstbegrenzung (1394)40

Mir war es eigentlich immer klar,
dass meine Lebenszeit in die besten Jahrzehnte
der deutschen Geschichte gefallen sein wird.
Der ich sechs Jahre 
nach dem 2. Weltkrieg geboren wurde 
und sicherlich irgendwann in den 2030ern spätestens sterben werde.
Nicht, dass ich das irgend erklärbar verdient hätte. 
Aber es ist doch ein Grundfaktum meiner Existenz.
Und getragen wurde sie 
von einem demokratischen Rechtsstaat,
stupenden wirtschaftlichen Erfolgen 
und dem pragmatischen Realitätssinn 
der Politik und der Bevölkerung,
die beide, unausgesprochen, 
wussten um die Befriedungspotenz 
eines auf Dauer gestellten stupenden Wohlstandsniveaus …
Ohne dessen psychisch zersetzende Sprengkraft schon fürchten zu müssen.

Alles in allem muss ich es so sehen, 
denn mir ist durchaus bewusst, 
dass ich das, was ich 
- insbesondere auch im Hinblick auf meine Herkunft - 
als Individuum aus mir zu machen in der Lage war,
in erster Linie dieser deutschen Nachkriegsgesellschaft 
zu verdanken habe.
Und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Wär’s anders, 
wäre ich verachtungswürdig.
Und so, weil eben dankbar, sage ich denn auch 
ohne Bitterkeit oder gar Hass, dass ich 
- im Bewusstsein, dass sich diese Phänomene 
nicht mehr werden aus der Welt schaffen lassen - 
werde hinzunehmen haben,
was aus dieser deutschen Gesellschaft 
- noch einmal: Ich meine notwendig - geworden ist:
Einmal abgesehen von 
der medialen Verreizungs-Theologie, 
Trivialideologisierung und dauerpräsenten 
Emotions-Orgiastik,
der politischen Impotenz, Ignoranz 
und Selbstglorifizierung auf der Basis 
eines weltfremden Macht-Narzissmus,
der geistigen Korruption, der Wirklichkeitsverkennung 
und des Tugendnihilismus,
abgesehen aber auch von der konsumtiven Barbarei, 
der allgegenwärtigen Mediokrität der subjektiven Innenweltverfassungen,
der fortschreitenden Verpöbelung,
des geistigen All-Verfalls und der Diktatur 
der ideologisch unscharf-primitiven Halbbildung …
werde ich definitiv akzeptieren müssen,
dass diese Gesellschaft immer schneller zerfallen wird, 
nicht die Zukunft haben kann,
die ihr verantwortungslose Funktions-Eliten 
zuweilen noch vorgaukeln zu müssen meinen:
Als Wohlstandsschlaraffe wird sie sich nicht halten können:
Klimawandel, Ressourcenschwund, Verödung, Verwüstung, Überschwemmungen und Migrationsströme
werden - zusammen mit machiavellistischer Machthandhabung weltweit -, 
unweigerlich in eine Barbarei führen, 
die niemand wird aufhalten können: 
Vielleicht gar in einen Krieg aller gegen alle.
Vernunft, Würde, Humanität und Menschenrechte 
werden sich jedenfalls als die Illusionen erweisen,
die sie immer schon waren.
Der demokratische Rechtsstaat wird hinweggefegt werden.
Schon weil auf Seiten des aggressiv infantilisierten 
und hilflos verwahrlosten Souveräns
die Voraussetzungen nicht mehr gegeben sein werden, 
jenen zu stützen: 
Dieser Souverän wird sich als der erweisen, 
der er an sich immer schon war:
Als unfähig, die Freiheiten, die er sich selbst zugestand, 
begreifen, schätzen und bewahren zu können.
Im Kern seines Wesens faktisch unabänderlich asozial, 
weil durch und durch heteronom, geistfremd, 
immer irgendeinem prekären Sollen hörig, 
auf Illusionen und Lebenslügen angewiesen,
existenziell allein auf sich gestellt, um seinen Tod wissend, angstbesetzt, weil weltfremd. Und heute -
ungefähr 300 000 Jahre nach Entstehung seiner Art 
(homo sapiens) auf dem afrikanischen Kontinent - 
sich seinem eigenen neuronalen Imperialismus verfügt vorfindet, der ihn selbst wohl transzendieren wird:
Technisch übermächtigen und überbieten wird 
diesen sich selbst ausgelieferten, 
so seiner selbst entfremdeten und Halt entborgenen, 
von Gott, einem Zweck und Ziel 
und jedwedem Sinn verlassenen, 
naturfremden Superprimaten:
Weder Halbgott noch Tier. 
Sondern ausweglos kreatürlich-wertbefangen gesteuerter Intellekt. 
Rationalitäts-Opfer seiner selbst. 
Irgendwann in den kommenden 200 Jahren.

Indes hoffe ich, mich in dem radikalen Nihilismus 
meiner Weltsicht verlaufen zu haben, hoffe ich, 
dass ich mich, von meinem geistigen Sophismus 
boshaft fasziniert heimgesucht, irre.
Zumal ich Grunde habe, Deutschland alles Gute zu wünschen, 
selbst doch jahrzehntelang privilegiert,
mich einer Existenzform verschreiben zu dürfen, 
der geistigen, deren Einsichtsreichtum und Weltdistanzierungsmächtigkeit auf immer geeignet sein wird, 
diesem armseligen Dasein manchmal, 
sich selber los, eine stille, 
gleichsam metaphysisch geadelte Vollendung abzugewinnen.

Nachthellsicht (1395)41

Daraus, dass ich nicht schlafen kann,
lässt sich nicht schon wieder ein Gedicht machen.
Dafür ist das Thema einfach zu begrenzt.
Von der Müdigkeit wäre wieder einmal die Rede,
davon, dass man am folgenden Tag 
seine Arbeit nicht gemacht bekommt,
gerädert ist,
unfähig, sich zu konzentrieren,
und sich auch intellektuell wie sittlich herabgesetzt fühlt.
Aber auch davon,
dass man in diesen Stunden erzwungener Wachheit bestürzend deutlich erkennt,
dass man definitiv allein,
ausweglos der Zeit und der schleichenden Entartung
psychophysischer Abläufe hilflos unterworfen ist.

Tragende Kleinigkeiten/Für Epikur von Athen 
(341- 271 v. Chr.) (1396)42

Auch so kann man leben:
Ohne Sex.
Ohne Bekannte.
Ohne Freunde.
Überhaupt ohne jedwede Erfüllung,
die der hedonistisch-übersoziale Zeitgeist
nicht müde wird,
den Menschen als höchstes Gut 
und Vollendungsdelirieren, 
sozusagen als Sinn-Orgasmus anzuempfehlen.

Man kann nun mal das Allein- und Fürsich-Sein 
angenehmer finden
als das von Propaganda- und Reklame-Sprüchen
durchsetzte Gewäsch von Repräsentanten
der Funktionseliten, 
der Lachgas-Schickeria 
und der Unterhaltungs-Industrie.
Ersatzweise mag man sich an Kleinigkeiten freuen,
zum Beispiel daran,
dass die Heizung funktioniert,
der Wasserhahn nicht tropft
und die Uhren verlässlich 
die regelmäßige Gleichgültigkeit
von was auch immer bezeugen.

Tatsächlich nämlich 
braucht man wirklich nicht mehr
als Nahrung, Wärme und Schlaf.
Am Ende wahrscheinlich 
wesentlich zufriedener als all jene Jäger 
nach konsumtiven Glücken, 
die, weil gleichsam hektisch,
ichlüstern und hysterisch von allem gejagt,
doch letztlich so indirekt nur bezeugen,
dass man die allprägenden Grundwerte,
Abläufe, Endzwecke und Brachialzwänge 
der kapitalistischen Gesellschaft 
und die Wesenswirren aller menschlichen Existenz
nicht begriffen hat:
Verdrängung von Daseinsleere, 
Zufallsverfügtheit, 
Vergänglichkeit und 
ständig vergeblich nagendes 
Selbst-Entlastungs- und Sinn-Begehren.

Absurd (1397)43

Ich erwarte überhaupt nichts mehr.
Über stille Abende
gehen meine Wünsche nicht mehr hinaus.
Solange ich gesund bleibe,
die Uhr ticken höre,
fähig bin,
den Kuli zu führen,
will ich es 
gut sein lassen.
Es ist absurd,
nach Glücken zu jagen,
die es gar nicht
geben kann.
Der Kapitalismus jedenfalls
muss alle die abschaffen,
die antikonsumtiv 
sich auswirkten,
wachstums- und also
wohlstandshemmend.
Das heißt alle,
die den Namen Glück
verdienen.
Weil sie mehr sind
als Augenblicks-Enthemmungen,
zumal hedonistisch intendiert,
reklamehörig imitiert  
und selbstwertsüchtig inszeniert.

Ichlädierte (1398)44

Da will man ewig 
überrunden.
Obwohl man ahnt,
es winkt kein Sieg.
Das ist das Los
der ichlädierten Kunden:
Sie müssen mimen sich
als Zweck und Überstieg.

Flüchtige Sehnsucht (1399)45

13.27 Uhr ab Stuttgart Hbf.
mit dem ICE 576 auf Gleis 7
nach Hamburg-Altona.
Wie gerne wäre ich
eingestiegen!
Obwohl ich sicher wusste
dass auch um 18.34 Uhr
(Ankunft des Zuges 
im Hamburger Hbf.)
die Welt mir trivial und schäbig,
despotisch und langweilig
erscheinen würde.
Was sie tatsächlich ist.
Wiewohl notwendiger- 
und unschuldigerweise.

Geistesparadox (1400)46

Vorwürfe kann ich niemandem machen.
Nur mir selbst. Auch harte.
Das ist das Los dessen,
der sein Dasein auf Geist abstellt.
Denn dieser, obwohl wissend, 
dass auch er nicht frei ist,
fordert unbedingte Autonomie
von dem, der ihm dient.  

SMS (65)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1401)47

Verkitschungsoffensiven.
Enthemmungskakophonien.
Die motorische Zirkusnummer
als narzisstische Selbstverramschung.
Selbst der Staat
übt sich in zeitgeistgehörnter
Erregungsmotorik.
Längst Beute egalitär
gesinnungsethischer
Polittugendonanie.

SMS (66)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1402)48

Ich wühle immer öfter mich aus mir heraus.
Ich tu es geistig oder mittels Drogen.
Zumal ich hier war nie so recht zuhaus,
der Wohlstandsmystik nur aus Faktensinn gewogen.
Doch nunmehr ausgerichtet auf das letzte Nein,
erwarte ich den Trost der späten Stillen,
um dann zu gehen dieser schwarzen Erde ein:
Dies Bagno los und seinen Scheinwelt-Willen. 

SMS (67)/Gewappnet trauern//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1403)49

Ich habe immer 
es gewusst:
Es hat dies Dasein 
keinen Sinn.
Ich ließ mir dennoch
nicht vergällen 
sei’s auch nur eine Lust:
Ich ging mir oft
als ihr Beschenkter hin.
Zumal sie auch benahm 
mir alles Trauern,
für das, beschied sie mir,
noch Zeit doch wäre:
Als Augenblicke
eines stummen Kauern
vorm allerletzten Hier:
Physischem Allverlust.

SMS (68)//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1404)50

Worte, Versfragmente, Halbsätze werfe ich,
auch die Welt von mir fern zu halten,
auch mich als Leibdrangsal zu übersteigen,
auch freilich mir meine Artgenossen vergessen zu machen,
gehetzt und gleichgültig in Einem
auf das von Kritzeleien schon längst übersäte Papier.
Gesteuert indes auch, ich kann es mir nicht verhehlen,
von jener mir von Anfang an so seltsam urvertrauten Stille,
die mich bei meinem Tun jetzt heimlich, aber bestimmt
auch auf sich selbst verweist, jene Grabesstille,
in der ich auch von mir selbst befreit sein werde.

SMS (69) spezial (1405)51/Kapitalismus//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen

Er hat aus Armut, Untertänigkeit gerissen,
aus metaphysischen Geborgenheiten,
entfesselnd rationales und Verfahrens-Wissen,
beendend so manch Körperleiden …
Hat nach und nach 
ein Massen-Wohlstands-Reich geschaffen,
das einen neuen Menschen sich erzog
mit seinen Waren-, Freizeit-, Spaß-Schlaraffen,
was ihn, verdinglicht, in Gewissensarmut bog,
ihn machte zum entseelten Heiden:
narzisstisch nur sich selbst beflissen;
kurzum: zum sich abstrakt entglittnen,
zum phantasierend lebensfremden Affen …
                              
                          *
Des Kapitals geniales Meisterstück,
indem’s den Menschen gar nicht anders wollte 
- nicht, dass er etwas Ideales sollte  -
als wie er eben faktisch ist:
Als Stoffeinheit, die süchtig ist
nach sich, nach Luxus, Selbsterhöhung, Glück,
nach Macht, Genuss, zu lassen andere zurück …
zumal sie’s Ende kennt doch ihrer Frist,
die Macht des Zufalls, diese allprekäre,
ein Leben lang muss sein sich selber Fähre …
gelenkt von Zweckfreiheit gebanntem Blick.

Glücke des Augenblicks/Für … (1406)52

Es ist der Augenblick, der zählt.
Und über hin hinaus zählt faktisch nichts.
Wenn es um Glücke geht, aus ihm geschält:
Um solche leiblichen Gewichts.

Die nur in ihm, in ihm allein aufscheinen
und werdend schon vergehen.
Und niemand kann sie je verneinen,
da sie als Selbstverlust geschehen.

Und die mit dir, die werden das bezeugen
bis in die letzten Daseinstage:
Bis dann auch sie der Tod wird beugen
als letzte Schweren auf der Lebenswaage.

Ich-Gral (1407)53

Was soll ich denn von mir berichten,
bekennen, kryptisch lallend von mir geben?
Zumal mich objektive Mächte doch gewichten
als dumpfes, Trieb verfügtes Streben.

Nach Lust und Geld, nach Anerkennung und Bedeuten:
Nach einem Dasein ohne Fragezeichen.
Sich oberflächlich zu vergeuden.
Worin wir alle uns doch gleichen.

Die sich der Markt als Helfershelfer schuf.
Sich selbst als Ich-Gral zu entfalten
durch tiefsten Kreaturen-Ruf,
sich ichverzückt zu weihen Seelenhalden.

Der Gedichte Tiefenintentionen (1408)54

Um mich geht’s nicht.
Und kann es auch nicht gehen.
Was sich da äußert im Gedicht,
ist eines Außenseiters Spähen
auf hochkomplexe Trivialitäten,
auf Zwang und Selbsterniedrigungen.
Versteckt in nihilistischen Gebeten
morbid-perfider Täuscherzungen.
Das spricht aus allen seinen Zeilen,
versteckt sich noch in Einzel-Worten.
Ein unverfälschtes Bild zu feilen
noch aus subtilsten Sorten
des Scheiterns ohne jede Schuld:
Wir sind uns nämlich unverfügt,
vollziehen einen Deutungs-Kult,
der, tröstend uns, uns um uns selbst betrügt.

Genetische Verfügung? (1409)55

Immer hab ich mich verweigert,
bin für mich allein geblieben.
Einer, der sich geistig steigert.
Gegenwelt verschrieben:
Einsicht, Fakten oder Wahrheitsspuren,
realistisch sich zu greifen.
Nicht sich blindlings zu verhuren
an des Zeitgeists mieses Keifen
vor verlognen Tugendwelten:
Hochabstrakter Korruption
intriganter Niedertracht,
flimmernd von der Seichten Thron
in geschichtlich späte Nacht.

Momentaufnahme am 14.11.2021 (1410)56

Verwahrlosungsjovial.
Und ohne allen Geist.
Rhetorisch trivial.
Charakterlich entgleist.

Verantwortungs- und tatenlos.
Inkompetent zumal.
Jeder nur ein Gernegroß.
Erpicht auf seine Wahl.

Geeignet auch nicht ansatzweise,
dem Amtseid zu genügen.
Des Mittelmaßes Kreise
der Phrasen und der Lügen.

So Spiegelbild des Ganzen:
Zum Untergang bestimmt.
Der Hyper-Tugend Schranzen.
Denen Verderben glimmt. 

Täuschende Oberflächen (1411)57

Die Dinge sind ja oft  nicht das, 
was sie für uns zu sein doch scheinen.
Und wüssten wir 
um ihr auch krudes Was,
wir würden noch viel öfter weinen.

Insofern ist es nicht sehr klug,
die Dinge stets zu hinterfragen,
zumal, wer scharf sie sieht,
entdeckt auch viel Betrug
besonders in prekären Lagen.

Vor allem macht es Sinn,
sich niemals aufzuzeigen,
was jedem Ding zugrunde liegt:
Ein monotoner Reigen,
der radikal uns Tod und Grab verfügt.

Normalverhalten (1412)58
Vergleiche die Variante (52/2682)

Was war und sein wird?
Nun wer weiß das schon?
Man weiß doch nicht einmal, was ist.
Man schleicht den Fakten doch davon.
Man phantasiert, man quatscht und irrt.
Man lässt sich gehen, kopuliert und frisst.
Und legt sich aus dann als Medial-Fiktion.

Homo sapiens - auf der Zielgeraden/Sonett (1413)59

Das Individuum hat keine Relevanz.
Es ist nur Kaufkraftgröße, dem System ein Ding,
das sich, vom Markt gesteuert, in sich selbst verfing:
sich als Person zu haben in verlognem Glanz.

Das ist das Endergebnis rationalen Banns.
Evolutionsverfügt: Los einem Sonderling,
den Zufall zu sich selbst entließ aus jenem Ring
natürlicher Gefangenschaft und Ignoranz*.

Er kann sich durch sich selbst vermittelt nur noch haben,
um so, sich selber ausgesetzt, sich zu verfehlen …
als Opfer seiner intellektuellen Gaben,

die nun, auf ihrem Gipfelpunkt, ihm dies befehlen:
Sich zu ergeben technischen Erlösungs-Waben,
subtil entmündigt, sich nicht mehr mit sich zu quälen.

*"Schicksal" der Tiere: Auswegloser Naturbann,dem wir - "biped-hyperhirnig-genial-händisch": technisch - entronnen sind ... um uns selbst in die rationale Falle zu laufen (uns zu "Techno-Knechten" zu machen?
Also: Naturbann (Tiere) vs. Natur umschaffender (sie zerstörender?) Ratiobann (Mensch) ... Mit dem Ergebnis einer technischen/technologischen Selbstentmächtigung (Verknechtung) des Menschen durch sich selbst?

Weisen autodestruktiver Selbstentmächtigung (1414)60

Die Welt sei schlecht.
Das hör ich immer wieder;
sei tief verstrickt 
in Kriege und Gewalt,
sei inhuman, sei ungerecht,
sei längst sich doch missglückt;
ermangle aller Geistesgüter,
die böten Halt,
gewährten Selbstbewahrung …
Gewährten letztlich Zweck und Sinn.
Das scheint korrekt.
Sie macht sich selbst ja nieder,
geht sich in Ratio-Fallen hin.
Von Gleichungs- und 
Verfahrens-Zwängen sich verdeckt.
Auch diesem 
ganz normalen Deutungs-Dung.
Zumal auch metaphysisch
ohne Hüter.

So oder so … (1415)61

Dass lächerlich es ist, 
das weiß ich wohl;
in solcher Zeit 
sich Einsicht aufzureiben.
Meint’s doch: 
Im eignen Selbstkosmos verbleiben;
ein wenig weltfremd, 
stur und ohne Pol.

Indes es andre richtig machen,
indem sie sich 
zu Sachen reduzieren,
sich passen so dem Weltlauf an,
sich hinzugeben Dauer-Fun:
Orgasmen, Drogen, 
Urlaub, Gieren …
Von Zeitgeistträumen aufgesogen:
geborgen in des Kunden Bann.

Wofür denn Einsicht, wofür Geist?
Doch völlig wert- und folgenlos
in einer Welt, die sich längst selbst entgleist,
die unrettbar liegt Elend bloß.

Frage. Und Antworten (1416)62

Was hieße denn
‚sich übernehmen’ auch? …
In letzter Konsequenz:
Sich eingestehen,
dass man nichts weiter ist
als Zufallshauch,
ein Stoffgefüge,
Einsamkeit zu leben,
Bedarfsding,
Lagen ausgesetzt,
die Hybris 
und Verblendung weben:
verworren, dunkel
von Gewalt verletzt,
sodass der Selbstverblendung
es bedarf,
entlastungslüstern überscharf 
dem Rätsel Dasein zu verwehen …
In Deutungslosigkeiten,
sich zu lügen:
in Sinn-Konstrukte,
die nie tragen,
nur Abstraktionen 
in Verwirrung fügen,
sich Zweck- und Halt-Phantome
zu erjagen.

Letzten November in einem Café (1417)63

Ich habe Glück, man lässt jetzt Oldies laufen.
Gelegenheit, sich aus Verstand zu kippen
und in Gefühlchen quasi abzusaufen.
Sentimental erinnernd ein paar Lippen,
die diese Nebelstunde noch mal taufen
auf warme Reste von getauschten Kippen …
in jener Kindheit, auch novemberträchtig;
am Anfang freilich noch der Tränen mächtig.

Gefühls-Messianismus und Sentimentalitäten-Konsum (1418)64

Das ist doch alles
nicht mehr ernst zu nehmen.
Verspottet jede Faktenlage.
Kann sich zumal auch nicht 
dazu bequemen,
sich offen zu gestehen, 
dass selbst es auch schon
längst ihn trage,
den faulen Keim 
des Untergangs in sich.
Doch es gelingt nicht mehr, 
das zu begreifen.
Da tobt sich aus ein Kinder-Ich,
das trotzen will 
und Freiheit keifen.
Das, sprachverarmt, sich selbst verlor,
Realitäten weltblind ignoriert.
Da tönt ein Infantilen-Chor,
nur noch reklame- 
und affekt-versiert,
gefühlsmessianisches Ansich.
Das feiert sich als Weltgewissen
in Tugendheiligkeit;
als Wertgerede, 
Ideal zu küssen.
Als wüchse, 
statt allein das Leid,
auch Hoffnung noch
für diese Daseinsöde.
 

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