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Diese Seite enthält 62 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

Radikales Alleinsein (1166)1

Man schwappt an andern nur vorüber,
berührt sie nie in ihrem Sein.
Doch weiter nichts als nur ein Schieber
von Einsamkeit und Schein.
Zu sagen dies, 
sei doch ein Frevel!
Sei eine Einsichts-Härte,
kalt und inhuman!
Sei letztlich nichts 
als Existenzgiftschwefel!
sei krank, 
sei Psychopathen-Wahn!

Indes mitnichten. Es ist Redlichkeit,
ist souveräner Mut:
Man ist sich selbst tatsächlich Traum als Ich-Einheit.
Den fremden andern höchstens Beute-Gut.

Ein weiteres Gedicht zur Erinnerung 
an meine Eltern (1167)2

Wie habt ihr all das nur geschafft:
Die Plackerei, den Krieg,
die Psychen-Wehen;
wo nahmt ihr her die ganze Kraft,
das alles durchzustehen?
Wohl weil ihr so gewohnt es wart,
euch täglich 
eurem Los zu stellen;
auf eine duldend-stille,
resignierte Art,‘
euch auszublenden
eure Daseinsdellen. 
Ich hab’s mir 
von euch abgeschaut,
dass man muss an sich halten
alle Stunden;
ganz ohne Selbstmitleid 
und ohne Klagelaut …
sich selbst zu heilen
noch die tiefsten Wunden.

Auch weil ein Leben lang
allein man ist,
auf niemand letztlich
zählen kann,
ist Daseinsspielball, Trauerfrist,
sich selbst gar 
fremder Seelen-Bann.

ZINSJ (108) (1168)3

Hast keinen Grund, dich zu beklagen.
Dir ging es immer gut.
Warst jeden Augenblick getragen
von deiner Gier nach Warenflut.
Nach Illusionen, Phrasen, Sehnsuchtsschüben,
nach Mediensog ins Ungefähre.
Mystifizierung auch von Trieben,
von allem, was da mehre
die Chance, sich lustvoll zu erleben.
Egal, wie seicht und wie banal.
Man will sich ja als Selbstwertträger weben.
Genauer: Muss es. Subjektiv. Sozial.
Ich freilich 
war dem früh entzogen.
Beileibe nicht indes 
aus freiem Willen.
Ich war nie 
dieser Welt gewogen:
Nur Geist, nur Einsicht:
ideellem Schein. 
Und musste so
mich niemals drillen
mit Zeitgeist-; Markt-,
Narzissten-Drogen.
weltleer auf meine Art:
Als Außenseiter.
Ganz allein.

ZINSJ (112) (1169)4

Affekte, wie meine,
mystisch geronnnen,
verweigern sich Welt:
Synthetischen Wonnen 
steriler Magie.
Die chronisch zerfällt
in Taumeleffekte,
Erlebniszufuhren
und technisch geweckte
Bebilderungsmengen …
In Hype-Diktaturen …

Affekte, wie meine,
entlarven dies Lärmen:
Sie fühlen die Steine 
im seelischen Geifern,
Verkommen und Härmen.

Ausgesetzt (1170)5

Aufrichtig, sage ich mir, 
sollte ich sein,
mich nicht anreichern 
mit Gehalten und Eigenschaften,
die mich nicht ausmachen.
Erdichten und flunkern sollte ich 
weder 
meine schwankenden Innenweltsatzgeflechte
noch die von mir vermuteten 
anderer Menschen.
Schon gar nicht das,
was ich für Wirklichkeit halte …
diesen subjektiv 
gar nicht greifbaren Sollens-Popanz.

Vor allem sollte ich mich nicht
realitätsflüchtig hingeben 
sei’s metaphysischen,
sei’s ideologischen,
sei’s geistigen,
sei’s kulturellen 
Entlastungsphantasmagorien.
Und doch tue ich all das,
ich mach’s in jedem Augenblick.
Schießen doch auch 
in jedem Augenblick
alle die gesellschaftlichen, 
sozialen, genetischen 
wie zufallssubjektiven 
Herkunftsvoraussetzungen,
Erfahrungen,
Festlegungen,
Vorurteile,
Traumsteuerungen,
Sehnsuchtsphantome usw.,
unbegreiflich und unentwirrbar, 
als das in mir zusammen,
was ich mir selbst 
und allen anderen dann,
vollständig heteronom,
als dieser Mensch zu sein 
und auch zu scheinen habe.
Mag ich auch noch so 
knechtstypisch hilflos
mich dagegen auflehnen.

Vergeblicher Wunsch/Für … (1171)6

Riefst du mich doch 
noch einmal an.
Dass wir uns 
noch mal wiedersähen. 
Um klaglos jenen 
Sehnsuchtsbann
längst toten Träumen
hinzusäen.

Geist (1172)7

Dieser stofffundierte Geist,
ist längst  
rational zerbrochen,
verloren ist er, 
ist verwaist.
ward technologisch 
ausgestochen.
Als Sapiens-Hybris 
ist er still entgleist:
hat elitär sich,
Tod geweiht,
in Fakten-Halden
tief verkrochen. 

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1173)8

Die Selbsttraumberückten 
treiben das Glück ab.
Artefaktiell ruiniert 
als Personen.
Gramleer versimpelt  
für immer.

Schreibtischdösen (1174)9

Zwanzig Minuten vielleicht,
während der ich 
nicht so recht arbeitsfähig bin,
müde, 
ein wenig erholungsbedürftig auch,
weil ich einfach zu viel zu erledigen habe.
Routineaufgaben indes, 
die mir an sich doch lieb sind, 
weil ich mich in sie fallen lassen kann,
mich so völlig von mir selbst 
und meinen Gemütsschwankungen zu lösen.
Am liebsten würde ich schlafen.
Wozu freilich das kleine Büro 
keine bequeme Möglichkeit bietet.
Immerhin bin ich nicht ansatzweise bedrückt,
frei doch von privaten Sorgen, 
überhaupt von existenziellen Verwerfungen.
Vielmehr auf eine sehr angenehme Art antriebslos,
gleichgültig und unbekümmert.
Ein wenig glücklich auch 
über den bestandenen Büroalltag.
Zumal mir in diesem angenehmen 
vor Mich-hin-Dösen 
dreierlei wieder einmal deutlich wird:
Erstens, 
dass ich ein recht schlichter und naiver Mensch bin,
einer, 
der dem Zeitgeist misstraut 
und mit Geringem sich schon zufrieden gibt.
Objektiv eine Sozialmonade,
die sich jetzt in einen ungestörten Abend 
hinein rekelt und hofft,
dass sie weltfrei,
einsam und wunschlos bleiben wird.
Vielleicht geadelt 
durch eine Zwiegespräch mit Gott.
Zweitens, 
dass ich der historischen Gnade teilhaftig wurde,
nach dem 2. Weltkrieg geboren worden zu sein,
hinein in eine sehr bald ‚
von materiellem Überfluss geprägte Gesellschaft
- spaßtotalitär (substanzhedonistisch)
entschämungssüchtig (verkümmerungsnarzisstisch) -,
eine solche, die mir sogar die Freiheit lässt, 
mich von den von ihr hochgehaltenen Werten 
- in der Regel 
rein ökonomisch-technisch bezogene Apologien 
utilitaristischer Ichsuchtstrategien 
zeitgeistvermittelter Autonomiewirren,
die einzig dazu dienen,
die konsumtive Fitness prestige- und erlebnissüchtiger 
gelernter Verbraucher zu maximieren - 
zu distanzieren.
Drittens,
dass dieser Welt,
wie ich sie kannte und kenne,
kein Bestand gegönnt sein wird 
(sie muss sich, technisch, 
aber nicht existenziell steuerbar, 
selbst auflösen),
dass sie wahrscheinlich gar sukzessiv global 
wieder zurückfallen wird in Barbarei.
Sodass sogar der Bestand unserer Art
bedroht sein könnte.
Was alles aber mich nicht zu rühren vermag,
weiß ich uns doch notwendig 
schundnihilistisch-deterministisch 
radikaler Mittelmäßigkeit verfügt.

Gedankengrätsche (1175)10

Formel hier,
dort Emotion.
Wiewohl doch 
untergründig streng verbunden:
Die Formel schafft
das ganze Wir,
die Emotion den Einzelkunden.
Die beide sich am Markt erleben.
Als Gleiche, 
die nicht gleich sein wollen.
Und dennoch zwangsnarzisstisch beben
vor ganz dem selben Sollen:
Sich auf die Träume einzulassen,
die als die Träume aller gelten:
Sich spaßentfesselt dann zu fassen
in marktgenormten Innenwelten.

Selbstbewahrungszwänge (1176)11

Diese erbärmlich verdrängte Gram- und Trauer-Sudelei.
Noch erbärmlicher 
ihre Mystifizierung als erlösungsträchtige 
Selbstoptimierungs-Ideologie.
Bin ich denn eine Stoffmaschine?
Ein Träger von Zeitgeist-Pathologien?
Ein schaumschlägerischer Prestigejäger?
Ein intellekthöriger Technologiebüttel?
Aber sicher. Unausweichlich.
Wie sollte ich all das nicht sein?
Fremd, weltos, leer und einsamkeitssüchtig:
An den Rand geschwiegen in mich selbst gedrängt,
wenn ich nur auf mich allein pochte: Geist.
Das heißt Anti-Pleonexie, 
begriffene Heteronomie,
desillusionierende Einsichtsdrastik, 
radikaler Realitätssinn …
Gottunmittelbarkeit in diesem metaphysisch toten, 
paneitel nichtigen Selbstentmächtigungszuchthaus.

Eingebungen fragwürdiger Intensität/Für … (1177)12

Wärst du jetzt hier,
ich tränke dich aus,
söge mich in dein Wesen,
deine sylphenhafte 
Geistleiblichkeit…
So trosttief,
so wehmutsträchtig,
so melancholisch,
so weltüberschreitend,
so kommandierend 
gegenprofan,
so zart auch
sich zurücknehmend
in wunderbar 
täuschende Augenblicke,
dass man erlösungserpicht
sich hingeben muss
dieser Ahnung 
von Friedfertigkeit 
und zarter
Entzeitlichung.

*Sylphe = junges, zartes, weibliches Wesen

Widerspruchsgefangenschaft (1178)13

Es war immer alles da. 
Widerspruchsgefangenschaft
war es faktisch ausnahmslos.
Geistigkeit und Pöbelgosse.
Ekel, Gier und Körperdurst.
Selbsterhöhung, Hassanfälle.
Negationsverachtungsdrang.
Stolz dann bis zur Selbstvergottung.
Indolenz und Tiefst-Passion.
Würde und Verdinglichung.
Kreatürlichkeit, Askese.
Grausamkeit und Zartgefühl.
Vorurteil und Sachlichkeit,
Bosheit und Gerechtigkeit,
Kälte und Erniedrigung,
scharfe Sicht des Objektiven.
Es war immer alles da.
Dass ich’s trug, das ist ein Wunder. 
Andrerseits doch Selbstanspruch,
Pflicht und Wille zur Person.
Die zu werden Dummheit ist.
Schwäche letztlich. Einsichtsmakel.
Macht befriedigt, Lust und Haben.
Sklavenwerte ganz und gar.

Nichtungsnymphe. Du. Sinnhäutige/Für … (1179)14

Ich küsse 
deine Zerbrechlichkeit.
Von Wange zu Schamhaar,
von Schamhaar zu Fuß.
Ihr murmelnd,
wie erdhaft dein Körper
mich zwingt,
von Pore zu Pore,
hinauf und hinab,
entfesselungszart
Gebarme des Mangels
erotisch zu nichten,
dich Sinnleib 
mir zu bewahren.  

*Nymphe = weibliche Naturgottheit es griech. Volksglaubens; Braut, Jungfrau. 

Dauerkonditionierung (1180)15

Schon wieder lockt, rund um die Uhr ist es so,
das endlose Wechselbad von Verlautbarungen,
Staatsschauspielerei, Reklamepropaganda,
Vereinnahmungsschleimerei, Bilderdiktatur 
und permanenten Reizattacken (z. B. derer,
die, sich augenfällig spreizend, selbst inszenieren, 
um Prestige zu gewinnen (das Gaukelspiel der
Nimbus-Durstigen, die sonst nichts haben,
um sich anderen interessant zu machen).
Kaum dass man noch Gelegenheit findet,
zu sich selbst zu kommen, förmlich gezwungen 
zu Tugendernst, Innenweltaufruhr und Empörungshysterie.
Eigentlich kann man dem allen gar nicht mehr ausweichen.
Es sei denn, man reißt sich mit Gewalt davon weg.
Um dann die Erfahrung radikalen Alleinseins zu machen.
Denn: Wer zu sein, meint heute vor allem Dazugehören.
Über ein pseudoinformiertes Gebrauchsselbst zu verfügen,
einsichtslos all den Mächten verfügt, die einem 
was verkaufen wollen: Urlaub, Waren, Lust, Drogen,
Ich-Optimierungsstrategien und Ersatzzwecke.

Aufruf (1181)16

Der sterile Dauerstuss des Konsumkapitalismus:
Abstrakta innenweltautotaktisch verarbeiten,
stumpfsinnsmart schauspielern,
Moralreize aufblasen,
protzen und kopulieren und sich selbst glorifizieren,
unbegriffene Geschehnisse abhaken 
und Anerkennungsquanten erjagen: 
Prestigedrogen für Realitäts- und Selbstflüchtige.
Solltet ihr dennoch den Drang nach Einsicht verspüren,
dann macht euch gefasst darauf,
die Verwahrlosungsträchtigkeit eures Alltags zu erkennen.
Zugleich aber auch, 
dass ihr diese hedo-utilitaristische Profan-Farce 
nicht mehr ändern könnt.
Um euch dann vielleicht,
hilflos euch selbst ausgeliefert,
eurer euch kommandierenden Verworfenheit 
eines schleichenden Untergangs gewärtig zu stellen.

Widerspruch (1182)17

Was für ein quälender Widerspruch!
Allbendklichkeit zum einen.
Zum andern dann 
- und das macht einen scharfen Bruch -
kann ich die Faktenlagen nicht verneinen:
Die, dass ich selbst mich nur bewahren kann,
wenn Märkte weltweit funktionieren,
Gewinn erzielend, wirken jenen Bann,
der Kunden bringt zum Dauer-Delirieren:
Dass Kaufen Glück sei, 
Freiheit Urlaub machen,
zumal Erlösung spaßtraumhörig sich erbeten …
Sich selber auszutrinken in Verfahrens-Lethen
auf diesem lecken Spätzeit-Nachen.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1183)18

Trotz Leerformel-Falls:
Die letzte Variante des Geiststerbens
kräht noch immer 
Vernunft berührenden 
Kernwiderstand.
Und das gerade in Deutschland,
dem Land 
der exzessiv-verlogenen
und zugleich masochistischen 
Tugendwirren.

Ausflucht (1184)19

„Ich weiß nicht, was ich reden soll.
Was diskutieren. Und wofür.
Ist das Café doch dafür viel zu voll.
Auch zieht es durch die Tür.
Das ist kein angenehmer Platz,
um sich intimer auszutauschen.
Hier geht doch unter jeder zweite Satz.
Man kann hier allenfalls 
belanglos plauschen.“
Tatsächlich kam mir das zustatten.
Stand’s mir seit Tagen doch schon fest,
dass wir rein gar nichts uns zu sagen hatten.
Uns fremd auch noch als zeitkonformer Rest.

Augenblicksaufnahme I (1185)20

Ein Schnelldurchlauf durch Trivialitäten,
durch Emotionen per Effekt.
Ansonsten Stechen-Hauen-Treten,
ideologisch überdeckt
von Ethik-Kommissionen und Geschwätz
- appellativem Druck von Prominenten -.
Man schwemmt die Kundenhirne in ein Netz
von ideellen Dividenden.
Selbst der Verwahrlosung glänzt auf Moral.
Das hilft, Verstand zu unterdrücken
und dieses ochlokratische* Spital
dem Mittelmaß in Schoß und Kopf zu pflücken.
Indes ich weiß, 
es kann nicht besser sein.
Tatsächlich grenzt es an ein Wunder.
Wenn man in Rechnung stellt 
das geistig arme Schwein,
das Selbstwert fischt 
aus affektivem Plunder.

*Ochlokratie griech.: Pöbelherrschaft

Augenblicksaufnahme II (1186)21

Mein Profanierungstrieb ist kaum zu zähmen,
anarchisch seine Lust, das Ding,
das Du … die Welt als ganze anzuhämen
als plutokratisches Sing-Sing.
Als Phrasengosse für das Mittelmaß,
das ichverliebt sein Szepter schwingt,
sich vollsaugt mit Medial-Lachgas
und angenehmer Despotie verdingt.
Das alles runterreißt in seine Sphären
von Banalismus, Unfreiheit und Sex,m sich sich selbst so magisch zu gewähren
als prototypischer Momentreflex.

Sozialzwerge-Schicksal (1187)22

Bin ausgewiesener Sozialartist,
bemüht, mir durchzuhelfen (je nach Ist).
Und trotzdem muss ich so viel schlucken,
mich (etwa) hohlen Phrasen ducken,
vertreten, was mir tief zuwider,
nur Schund ist (selbstverachtungsbitter).
Was soll ich machen als Gehaltsempfänger?
Das Beste scheint, ich bleib Verdränger:
Besonders davon, dass ich hilflos bin,
was Eigenständigkeit betrifft und Sinn.
Die erste gibt es nicht, ist Illusion.
Der zweite? Faktenleerer Mohn.

Surrogate-Söldner (1188)23

Wir haben alle Sehnsucht nach Substanz.
Sei’s Wert, sei’s Glück, 
sei’s sogar Nichtvergehen;
nach Ich-Vollendung, Sinn 
und Selbstwertglanz.
Und nach geordnetem Geschehen;
nach Lust statt Schmerz, 
auch Ruhm und Ehre,
Bewunderung in fremden Blicken.
Um abzufedern die Misere 
der unwählbaren Tücken 
wie Habsucht, Selbstverrat und Perfidie:
Strukturbegleiter dumpfer Großhirnzwänge.
Frontal gerichtet auf Magie
beseligender Trostgemenge.

Der Ideologe (1189)24

Vor dem muss man in Acht sich nehmen.
Weil der grundsätzlich immer phantasiert.
Den werden immer Ideale lähmen,
nach deren Umsetzung er giert.

So dass sie ihm weit mehr bedeuten
als faktische Gegebenheiten.
Erpicht allein, sich jenen zu vergeuden,
lässt er sich nie von Wirklichkeiten leiten.

Ihm ist das Schicksal anderer egal:
Totalitäre Tugend treibt ihn doch.
Die werde brechen Ichsucht, Gier und Zahl 
und letztlich überwinden jedes Joch.

Zuletzt neurotisch von sich selbst besessen,
ist er bereit, die Wirklichkeit zu formen
nach seinen hohlen Phrasen-Messen …
Durch Krieg selbst und Geheimdienst-Normen.

Illusionslos I/Trias A 11 (1190)25
Zu vergleichen (23/1362), (53/2700), (57/2936)

Hört auf damit, 
ihr geht mir auf die Nerven!
Hört auf mit ‚Selbst’ 
und mit ‚Persönlichkeit’!
Das sind Gehalte, 
die ihr doch verwerfen 
und opfern würdet 
Gier und Neid.
Da habt ihr doch 
nicht ganz das Zeug dazu:
Vernunft, 
Begriffen, 
Selbstdistanz
und einem Tagtraum 
von Wozu,
entzogen Waren, 
Spaß und Firlefanz.

Gattungsgeschichtliche Möglichkeit? (1191)26

Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt,
sich quasi automatisch optimierend,
schränkt der technische Fortschritt
die Daseins- und Entscheidungsspielräume
von Individuen immer mehr ein.
Eines fernen Tages
wird vielleicht das Savannenerbe in uns erwachen
und alle jene Fesseln 
- wer weiß, ob es noch möglich sein wird -,
die psychische wie die physische Knebelung,
rücksichtslos abwerfen wollen.
Besoffen von barbarischem Vernichtungswüten:
jener todessüchtigen Melancholie,
die wider Verstand und Vernunft,
gott-, hege-, sinn-, und deutungslos
nur noch sich selbst zerstören will.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (1192)27

Eine Nullrunde 
nach der andern:
existenziell.
Selbst die 
Verdrängungskapazitäten 
gehen zur Neige.
Ausdifferenziert bis in die Quarks,
flaggt nunmehr auch
die Wirklichkeit aus.
Jetzt wird es Zeit,
uns endlich 
einen schönen Tod zu bereiten.

Kind des Olymp (1193)28

Seelisch zugrunde bin ich nicht gegangen.
Sei es an Stumpfsinn, Kälte oder auch Erniedrigungen.
Schon gar nicht an mir sonst wie auferlegtem Leid,
gar aller Wirren dunklem Was und Wie.
Mir standen zu Gebote jene Gaben,
die’s mir erlaubten, mich allein zu erden
als Außenseiter auf den kargen Feldern 
von Einsamkeit, Begriff und Einsichtskraft.

Auf dass ich weiter ginge, traum- und trancegerichtet,
bewahrt vor Stocken, Stolpern und vor Fallen.
Und sehe ich das Ganze ratiokalt,
dann muss ich anerkennen, dass selbst jene Lasten,
die andre mir fast täglich auferlegten,
für mich tatsächlich Krücken wurden, 
mich aufzuschleppen, stumm aus aller Apathie.

Zu diesem Geistesflug mich dann noch zu erheben
von Ironie und Heiterkeit, 
von Ich-Abstand in Einsichtsweiten, 
mir Gram und Nichtigkeit, mir Spott und Niedertracht, 
mir all dies typisch Menschliche 
im Abstand noch mal zu betrachten …
Es zu begreifen dann, 
dass stoffverfügte Homo-Last:
Evolutionsmitgift es sei, 
von der wir Affen halt  nicht lassen können.

Vorüberstaksende junge Frau (1194)29

Welche Kälte! Welche Leere!
Welcher Ichsucht Eitelkeit!
Stumpfsinn einer Seelenschwere.
Zeitgeistnot-Bescheid.
Ohne Lächeln, unzufrieden.
Giernarzisstisch angeschoben.
Frei von Anmut Markt beschieden.
Abklatschhörig aufzutoben.
Augen, die doch tote waren.
Schnippischcool sich zu bekunden.
Blinzelnd aus der Neppkandare
unbegriffner Selbstwertschrunden.

Gedichte als Selbstschutz- und Einsichts-Horte (1195)30

Um die Gedichte geht’s als Ich-Schutzschilde.
Ob sie was taugen, das ist sekundär.
Trotz Hedonismus, Laisser-faire und Rechtstaatsmilde:
Das Wohlstandsdasein gibt für mich nichts her.

Mir kommt es seicht vor, vielfach auch nur als Betrug.
Weil’s viel verspricht, nicht fähig, es zu halten.
Effekt oft ist, Schauspielerei, Entzug.
Als Leichtlaufposse Kunden zu verwalten.

Empirisch bin ich chronisch Marktvasall.
Da kann ich mich nicht selber lenken.
Indes ganz gut in der Gedichte Geisteswall,
wo ich mich mir als Einsichtshort darf schenken.

Überlegungen zur ethischen Selbstgefälligkeit (1196)31

Wie naiv, auf Geist zu zählen!
Überholt und zu subtil
ökonomisierten Seelen,
rechenhaft und marktservil.

Geist meint, selbst sich überschreiten:
Ichsucht oder Neid etwa.
Zwingt auch, selber sich zu leiten,
aufmerksam den Fakten nah.
Daseinsleere hinzunehmen,
Welt Vergossung abzulauschen.
Niemals so sich selbst zu lähmen,
Tugendnieten zu verrauschen.

Psychisch bewahrende Einsichtnahme-Verweigerung/
Sonett (1197)32

Da Einsichtnahme? Nun, das wäre obsolet,
zerstörte auch die permanente Feierlaune.
Reklameoptimistisch lauthals angeregt,
sich reizcool zu entlasten von den Alltagswunden.
Man tobt sich aus, vergisst sich, wie’s im Rausch so geht,
durchzittert selig sich in Emotionsgeraune,
zumal kommandolüstern man auf sich nur steht,
ist man dem Zeitgeistmuss doch längst im Kern verbunden.
Ist’s auch ein Offenbarungseid, ich kann’s begreifen.
Denn will man psychisch die Gesellschaft heil bestehen -
sich also schützen vor gewissen Zumutungen:
Verdinglichungsgeboten, Deklassierungsschleifen,
Orientierungslosigkeit und Sinnverwehen -. 
gelingt das nur, Spaß und Belämmerung gedungen.

Nach fernsehtypischen Abendnachrichten 
hingeworfen … (1198)33

Nachrichtlich überwältigt, sitze ich den Abend ab.
Stündlich versorgt mit Informationen 
über das Weltgeschehen.
Das bedrückende, verängstigende, brutale.
Oftmals von mir gar nicht ausdeutbare,
weil es naturgemäß für mich dabei nur um Bilder 
und gefilterte Nachrichten aus zweiter Hand geht.
Irgendwie scheint es aber auch dazu zu dienen,
mir eine Art Elendskonsum zu ermöglichen,
der mich für die Zeitgeistmoral 
etwa des deutschen Staats- und Schuldmasochismus 
- subtile Formen der Realitätsverweigerung 
und Entlastungsverantwortungslosigkeit - sensibilisieren,
also etwa erziehen soll dazu,
mich sittlich zu bessern: Meine Vorurteile abzulegen,
mich entsprechend der deutschen Tugend vor den Richtigen 
in den Staub zu werfen,
der Kraft der Vernunft zu vertrauen 
und mich überhaupt daran zu erinnern,
dass alle Menschen als solche per se Würdeträger seien 
(wie es ja auch die Fernseh-Reklame verdeutlicht) …
Freilich weiß ich, 
dass die juridische Würde des Grundgesetzes 
nicht zu vereinbaren ist mit der ethischen Kants:
Jene setzt, um überhaupt einen greifbaren 
(aber nie wahren, sondern immer nur gesollten) 
Inhalt zu gewinnen, metaphysische Spekulationen 
über das Wesen des Menschen 
- also ideologisch-weltanschauliche - voraus.
Indes die kantische Konzeption fordert,
dass ich mich selbst zum Würdeträger bestimmen soll …
und das auch nur selber kann 
– indes als Noumenon*, das ich aber, weil durch und durch Materiemorphe, also ein stoffliches Atomkonglomerat, 
nicht sein kann … dem sei freilich, wie auch immer -.
Ich soll die Schlechtigkeit der Welt begreifen,
ihre Ungerechtigkeit,
ihre Unterdrückungs- und Gewalt-Virtuosität,
ihre Bestialität.
Dabei nicht selten auch mit aufgefordert,
mich gegen all das aufzulehnen,
zu protestieren gegen eine solche Welt,
zumal doch ein glücklicher, privilegierter, autonomer 
und wohlstandsgesättigter Verbraucher,
als der ich die sittliche Pflicht habe,
mich zumal meiner indirekten Mittäterschaft 
am Elend der Welt bewusst zu werden:
Mitleid solle (und müsse) ich haben,
aufbegehren müsse ich gegen Kriege, 
Irrationalität, Ausbeutung, Rassismus, 
Benachteiligung und Zerstörungssucht.
Indes zeigen sich meine moralische Irritabilität 
und mitleidende Entrüstungskraft als erstaunlich gering.
Ich fühle mich nicht fähig,
das kommunizierte Elend auch nur ansatzweise 
zu verarbeiten und zu bewältigen.
Und dies auch deswegen, 
weil ich mich nicht mitschuldig fühle an all dem, 
was mir gezeigt und bewusst gemacht wird.
(Zumal ich mich irgendwie auch daran gewöhnt habe 
und die Gewöhnung an alle diese Dinge 
die sittliche Sensibilität signifikant herabzusetzen scheint, 
ist sie doch letztlich ein Nähe-Phänomen).
Und überhaupt grundsätzlich (und zwar unbelehrbar) 
davon überzeugt bin,
dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sein muss … 
sich selbst substanzwidersprüchlich. 
(Eine Art Viererwesen: 
Pleonexie-Kreatur-, Techniker: Ratio/Intellekt-, Moral/Vernunft/Kultur- 
und Lautsprache-Produkt/Geist-Monade, 
sich permanent so selbst ausgesetzt, 
aber zugleich in keiner Hinsicht selbst gegeben, 
sondern dauerprekär seiner tiefen Widersprüchlichkeit 
und Irrationalität verfügt, 
sich zumal als sterblich wissend, 
radikal einsam, bedürfnisgeknebeltes Ich-Ding, 
das sich als Selbst konstruieren muss, 
zumal von anderen als Fremdselbst sich sozial vermittelt … 
ehrgeizig, eitel, süchtig, andere zu überragen, 
zu übermächtigen, als Wohlstandsbüttel zumal infantil,
seelenkalt, spaßgesteuert und gewissensarm.  
Agape-, vernunft-, humanitäts-, tugend- 
und schuld-trunken daher irgendein ein abstraktes Zeichen 
meiner vorgeblichen sittlichen Feinfühligkeit zu setzen 
(sei es, schweigend innezuhalten, sei es, die Faust zu ballen, 
sei es auch, mich aus meinem Sessel zu erheben, 
um mich, von mir selbst ergriffen, 
ichschauernd ethisch zu berauschen, 
gar tränenabstrakt zu konsumieren), 
erschiene mir daher als lächerlich.
Zumal ich dadurch alle diese Verkümmerungsverstrickten 
zugleich subtil verspottete.
Doch wohl wissend um die Grausamkeit des Menschen, 
darum, dass er zu Güte und Würde in der Regel keinerlei 
ihm mitgegebene Wesensmittel haben kann, 
es sei denn, irgendeine zufallsgenerierte Gnade - 
auch wohl genetische - schenkte ihm diese …
Auf dass er sie (sinnlos vertan: Es fehlen ihnen die Objekte) 
wieder mit ins Grab nehme.

 *

Es sind die großen Ethikgaben Zufalls-Würfeleien:
Wie Güte, Mitleid, Anmut, Toleranz.
Nur der Bedachte - er ist selten - kann verzeihen,
kann unterbrechen diesen Ichsuchttanz,
mag, weil doch fähig auch zur Selbstdistanz,
verzichten drauf, den Nächsten anzuspeien …
Auch weil er buchstabieren kann den Glanz
des Menschseins noch im Gossenschreien:
Dass da noch Geist durchscheint 
als metaphysisch klagende Substanz.

Radikale Offenheit/Sonett (1199)34

Wie oft doch ist man mit sich selbst geschlagen,
Marionette seiner Ich-Exzesse.
Schon deshalb, weil sich selbstisch Daseinsmesse,
da Ichsuchtknecht in allen Lebenslagen.
Man wird getrieben, auch zu überragen;
bewusst sich doch der eignen Seelenblässe:
Dem Faktum, dass auch Ohnmacht einen presse,
sich hilflos mit sich selbst dann abzuplagen.
Wiewohl: Schuld an sich selbst kann niemand sein.
Denn niemand kann sich, Stoffglut, übernehmen;
ist Zufallsspiel aus Genen, Herkunftspein,
Bedürftigkeit und Perspektivenschein,
Objekt auch seiner Artgenossen-Schemen,
die einen treiben, nutzen, formen, lähmen.

Kapitalistische Grundmächte (1200)35

Genüsse ohne Dauerfreude
Statt Werte Reize: Knechtungsspaßgewalt.
Die Psyche simpel, 
dass sie Schein ausdeute,
sei hochflexibel, flach und kalt.
Indes was soll’n die Leute machen?
Sie müssen schlicht parieren.
Der Wohlstand fordert nun mal Schlieren,
sich diese Welt, die Welt der Sachen,
sich als das höchst Gut zu küren.

Dann ist da dieses Unvermögen,
das schierer Dilettanten,
von Ehrgeiz und Narzissmus angetrieben,
so subjektiver Hybris doch Trabanten.
Die sich vor jedes Mikro schieben.
Dabei den Staat zu oft zur Posse machen,
indem in Phrasen-Sud sie landen,
Ideologisches und Tugendschund 
verzährungssbübisch dann heraus zu blöken.

Da sind die Unternehmer noch, 
die Techniker, die Wissenschaftler.
Die dürfen nicht mal denken, 
dass ihr gelobter Fortschritt Joch,
könnte was sein, nicht mehr zu lenken …
In ferner Zukunft könnte sein 
ein Schwarzes Loch,
in dem die Art wird sich 
von selbst versenken.

Daseinsenthobenheit (1201)36

Noch weiß ich es, das Windessäuseln.
Geheimnisvoll hat’s mich entführt
in Träume, die sich Sehnsucht kräuseln,
von einem Gott berührt.
Es waren Welt enthobene Momente,
die weder Niedrigkeit noch Trauer kannten.
Die niederrissen alle Wände
und mich in Seine Weiten bannten.
Die nie mehr ich vergessen konnte,
weil sie Vollendung sehen ließen:
Versöhnungsfähigkeit, in der sich sonnte
ein Tränenpaar, sich weigernd zu zerfließen;
im Angesicht zumal das Absoluten:
Der Zwecke Urgrund, Garantie und Weihen.
Von unsrem Dasein nie zu fluten.
Muss es Bedürfnis doch, Ich und Verfall aufschreien.

Beispiele gesellschaftlichen Alltagsseins/Sonett (1202)37

Banal. Und doch so drastisch Zwang verwoben:
Ich muss mein Geld verdienen. Das ist Sache.
Da hilft es nicht, dass ich die hündisch flache
Alltäglichkeit mit ihren Nervenproben
verfluche, ja: verachte, weil verschoben 
Getue, Psychen-Lenkung, Spaßkult-Lache.
Auf dass ich nicht durchschaue diese Mache,
in inszenierten Selbstverlust gehoben.
Obwohl auch sie kennt noch die Spur von Schweren,
wie das Begreifen von Notwendigkeiten:
Dass diese wohlstandsimmanenten Leeren
als Glücksversprechen durch die Psychen gleiten
und Menschen, propagandasüchtig, narren,
auf sich als Würdeträger zu beharren.

Pfauenauge (1203)38

Pfauenauge - Kindheitsbote
gottberückter Untergänge.
Was für eine Seelennote
metaphysischer Gemenge.
Welt indes, vom Kind begriffen
als Verkümmerungsbetrug:
Makel tiefer Selbstsuchtzwänge
ohne Sinnbezug.
Pfauenauge, deine Flügel
trügen mich noch heute fort
auf den stillen Friedhofshügel,
spräche noch Sein Wort,
wäre da noch eine Liebe,
ein Gewissen nur -
Ich verteile jetzt die Hiebe:
Analytisch Gegenschwur.

Nur das: Die Gedichte (1204)39

Hab nicht mehr zu hinterlassen
als ein paar Gedichte:
Doch die reichen, Welt zu fassen,
uns und die Geschichte.
Decken sie doch rücksichtslos
auf, was war, was ist und wird:
Macht und Mammon, Ansehn, Schoß,
Sinnsucht, die als Tugend girrt,
Mittelmaß, das dünkt sich groß,
um Geschwätz und Traummohn schwirrt,
endlich muss sich selber hassen:
Barbarei als Stoffzurichte.

Sozialflimmern (1205)40

Kampf um Geltung, Einfluss, Mittel,
Selbstwert, Halt und Sicherheit.
Diesen ausgesetzte Büttel
sind wir alle: Ichsucht, Neid,
Konformismus, Daseinszwang.
Lebens- und Entlastungsgier …
Biologischer Belang.
Auch nicht allzu lange hier,
zumal stündlich auch prekär.
Ausgesetzt uns selbst und Wir.
Von Gelingen leer.
*
Bruch, Manie und Scheingehalte
technologischer Galeeren.
Zwang zumal, nur sich zu ehren,
auf dass sich ein Traum gestalte,
nicht durch Einsicht zu entlarven,
nicht durch Fakten, Analysen,
nicht einmal durch geistesscharfen
Seinsbegriff  von Stoffverliesen.

Dasein der Gattung (1206)41

Es hat kein objektives Ziel.
Doch ist es seinem Träger alles wert:
Ein kommandierendes Neuronen-Spiel,
das ihn von sich betört.
Wiewohl aus Ich-Zwang: Dass er habe
als Allmacht sich: als Halbgott-Sein.
Dann nicht achtend mehr der Gabe,
sich zu greifen als allein.
So hab ich’s nun mal verstanden:
Als Gefecht in Grammomenten:
sinnleer-selbstentmächtigungsmarkanten
Weisen, Trance geborgen einst zu enden.

Nihilistische Synthesis (1207)42

Dem Geist allein nur bin ich treu geblieben:
Gedichten und dem Kerngedanken,
dass alles nichtig sei, weil faktisch hintertrieben
durch Hybris, Zeit und der Materie Pranken …
Der Dingweltflut der Markterbärmlichkeit,
Werk leerer Psychen, metaphysisch tot,
genormte Sachen ohne Zweckeinheit,
Bestandsmonaden ohne Lot.
Zumal das Spätzeitselbst entspringt 
dem Ramschmohn aus Entlastungsgleisen:
ekstaseprimitivem Zwang,
sich zu entlasten grad auf solche Weisen:
Als scheinverdeckter Abgesang. 
Sich Knecht an Tagen und in Nächten,
der zynisch, roh und hoffnungslos,
muss Surrogate sich erfechten
in dieser Mammon-Trümmer Schoß …
Auch Wohlstand bietend, zweifelsfrei:
Doch als Verluderung und Lebenslügen …
Auf dass grad dann man tief ergriffen sei, 
wenn man ihn schlürft aus Danaidenkrügen.

Selbstzerstörung (1208)43

Ihr Werden sucht mich heim,
zwingt mich, sie monoman 
in jeder Hinsicht mir zu greifen:
Als Seelenschleim,
Neuronen-Kahn,
als Macht- und Tugend-Keifen.
Ich muss sie sehen, 
tasten, hören,
muss sie vor allem 
geistig mir gewinnen.
Als drastisches sich selbst Zerstören …
Mag sein auf vorgegebner  Bahn:
Als seliges in Gier Verrinnen.
Als rauschverfallenes Betören.
Als dionysischer Ananke-Plan.
Als Gottverlust durch Größenwahn.

Sonett/Für … (1209)44

Die Stille habe ich geliebt, ich … Vieh!
War froh, die andern alle los zu sein.
Die meist nur Last sind. Manchmal gar gemein
und ohne diese Seelengröße, die
man haben muss, um diese Agonie
der Existenz als krudes Leih-Dasein
sich als Gehalt zu modeln im Verein 
mit Wogen krass verarmter Phantasie.
In deinem Körper war mir das egal.
Dies Stück Materie ließ alle Zweifel ruhn.
Bot Rauschvergessen, war mir das Fanal,
mich willenlos durch Selbstbetrug zu trinken,
um dann, geruchsbetäubtes Stoffzwang-Tun,
entlarvten Stillen trancestumm zuzuwinken.

Verbraucher-Los (1210)45

Als Kunde,
das ist offenbar,
hat man nur ein
Vollzugsgeschick.
Man wiederholt stets das,
was immer war:
Gekauftes,
nicht sich selbst 
geschaffnes Glück.

Selbstwege (1211)46

An Selbstbestimmtheit glaub ich nicht.
Nicht an Bedeutung und dergleichen.
Mir fehlt’s Gefühl für ein Substanzgewicht,
mir Zweck und Halt zu eichen.
Doch immer sehe ich dies ferne Licht,
dies fahle, dem die Worte weichen …
Wie etwa Freiheit, um dann im Gedicht
mir Leeren darzureichen:
Gestaltlos stumme Geistauswürfe,
die seltsam mächtig taumeln machen,
die nie enttäuschen und die nie verflachen …
Als ob nur so ich mir begegnen dürfe.

Daseinsvollzug (1212)47

Dass da noch irgendwas 
Bedeutung hätte,
erstrebenswert ,
erfüllend, sinnhaft wäre
in diesem Dasein 
kommandierter Selbstaufgabe,
das ist wohl nicht der Fall.
Man wird es leugnen müssen.

Nichts weiter mehr
als nur Erlebniskette:
ist es Vollzugsrausch 
ohne Alltagsschwere.
Sich zu betören,
einer Hörigkeit beflissen,
die einem Lebensinhalt 
aus Momenten schabe,
vollzogen als Entlastungsdrall.

Stadtmauersteine-Geflüster (1213)48

Sie wispern immer noch, die Steine.
Und immer noch dieselben Worte:
Es gibt kein Glück im Wir, es gibt nur eine
verängstigt kindische Phantasten-Horde

von Artgenossen, die in sich,
in ihren undeutbaren Trancen kleben,
Monaden, jede nennt sich freies Ich, 
obwohl doch Mammon-Mythen sie verschweben,

sich, schuldlos, selber ruinieren,
sei’s Illusionen, sei es Massen-Kuren,
Pleonexie und ihren Zeitgeist-Schmieren
ihr angekauftes Selbst verhuren.

Dorfschatten: Die Lektion von Herrn G. (1214)49

Tagaus, tagein, sommers wie winters,
fuhr er mit dem Fahrrad nach Ludwigshafen in die BASF.
Sein Geld zu verdienen.
Schließlich musste er auch eine Familie versorgen,
wohnhaft in einer der Sozialwohnungen
der sogenannten Blöcke,
wo damals, in den 1950er Jahren,
die ärmeren Leute ihr Dasein fristeten.

40 km etwa am Tag legte Herr G. so,
Tag für Tag, 
später außer samstags und sonntags, 
mit seinem Fahrrad zurück;
40 km, hin und zurück.

Ich erinnere mich an Herrn G.,
weil er stets freundlich zu mir war,
ein ruhiger Mann, ganz unauffällig.
Das heißt, ins Auge fiel mir, 
wenn ich ihn sah - abends z. B.,
wenn er zurückkam auf seinem Fahrrad,
von seiner Arbeitsstätte, 
immer eine Hosenklammer, 
die Herr G. angelegt hatte,
um zu verhindern, dass das Hosenbein
in die Fahrradkette gerate.
Angebracht war sie, diese Klammer,
stets mit Akkuratesse, immer exakt 
an derselben Stelle … Als solle sie auch 
Pflichtbewusstsein, Selbstzurücknahme-Willigkeit,
Bescheidenheit und  so was 
wie deutschen Anstand signalisieren.

Ja. Herr G. hat so auch mich ein wenig geprägt,
mir eine stille Lektion erteilt, 
nämlich die, dass Würde auch darin bestehe, 
dass man die einem auferlegten 
Pflichten angemessen erfülle; 
falle es auch schwer zuweilen.

Und niemand lacht, wenn ich ihm, 
will er’s, jene Lektion näher erkläre: 
Ihm verdeutliche, welch armes Würstchen er sei,
von Freiheit und Selbstbestimmung
immer nur schwadronierend, 
statt zu begreifen, dass die nur zu haben sind 
durch Selbstüberwindung und Selbstverpflichtung …
Zu ihnen auch dann stehend,
wenn man begriffen hat, 
dass sie ins Leere laufen müssen 
in einer Gesellschaft,
die einen narzisstisch deklassiert,
zum dauerbetrogenen Zeitgeistbüttel
und zum erlebniskirren 
Selbstverdinglichungsvirtuosen abrichtet.

Armselig/Sonett (1215)50

Die weiß gar nichts von ihrer Seelenkälte.
Die inszeniert sich, wie sie es wohl muss:
Als festes Ich mit freudigem Beschluss -
Reklame, Zeitgeistphrasen ausgefällte.

Sie spielt die Powerfrau, die sich in Bälde
den Männern zeigen werde als die Nuss,
die keiner knacken könne - auch kein Kuss!
Sie schlage jeden Macho aus dem Felde.

Tatsächlich ist sie eine arme Frau!
Ein Klon, wie alle wir, erkrankter Welt,
die Selbst verspricht und nur den Abklatsch hält

von einer würdelos banalen Schau:
narzisstisch maskuliner Gaunerbau
von Vulven-Knechtschaft, Ichbrunft, Rohheit, Geld.

Dorfschatten: Beim Discounter (1216)51

Den Körper im Discounter da, vor dir,
den hast du mal begehrt in jenen Tagen,
als die Person, der er gehört, noch jung,
ein Mädchen war, weiß Gott wie schön.
Das ist jetzt 50 Jahre her und wir,
verdammt, das Alter (Untergang) zu tragen,
versinken nach und nach im Gegenschwung
von Zukunftslosigkeit: in Stoff-Verwehn.

Doch wenn sie wüsste, wer ihr folgt zur Kasse,
wär sie bereit, wie ich, der Infantile,
zuletzt zu adeln all der Jahre blasse
Erinnerung an frühes Gier-Gewühle,
um sich in jener dunklen Gasse
noch mal zu träumen in absurde Ziele
sentimentaler Unterschichtenmasse
in einem Ramschgebet von Gegenkühle?

Durchgängig (1217)52

An einem klirrend kalten Januartag,
damals, 1951, bin ich geboren.
Mit der Nabelschnur um den Hals; und lag,
als Bio-Stoff, Verzweiflung schon verschworen.

Auch Frühgeburt sei ich gewesen; viel zu leicht.
Und sogar scheintot, wie man mir erzählte.
Geringgewicht und bläulich angebleicht.
Kurz, einer, der kaum da, sich, da, schon quälte.

Und so ist es bis heute auch geblieben.
Fremd Du und Wir; und undeutbar das Außen,
hat Indolenz mich aufgerieben -
gelang‘s mir nie, mich irgend zu behausen.

Die späte Komödie einer hilflos desorientierten Gesellschaft/Sonett (1218)53

Ein Spaß-Asyl, das mehr und mehr verrottet,
ist inhuman, korrupt; auch kriminell;
circensesinszeniert* als Stargehabe,
politischen Verfall auch zu verdecken.

System, das Mammon, Show und Lust vergottet.
So Anomie und Phrasenkult ist Quell,
Gewissenlosigkeit erhebt zur Gabe,
auch Machtmissbrauch und Täuschung zu verstecken.

Indes ich löge, wenn ich sagen würde,
dass mich das wütend mache und empöre.
Agieren da doch reflexiv Verwirrte:

Ein Mikro-Klerus, leidend die Misere
der Mittelmäßigkeit und jener Bürde
von Machtsucht-Arroganz und Selbstwert-Leere.

*circenses "Zirkusspiele" als Massenlenkungsereignisse

Feststellungen II/Sonett (1219)54           

Ich bin so müde, lust- und antriebslos;
kann kaum noch schlafen, schon des Kopfwehs wegen.
Doch nicht genug: da sind die Hassausbrüche,
die grundlos-unvermittelt aus mir schlagen.

Die Abscheu frisst; vor Alltag, Zeit. Selbst Schoß.
Es beißt die Wut vor plumpen Fremd-Ich-Trägen,
der Hinterhältigkeit gezielter Stiche,
die mir Verleumder ständig schärfer nagen.

Nur selten in den lichteren Momenten
erahne ich, das sind nur Ausgeburten
von Depression und Lebensüberdruss.

Allein, ich weiß sie nicht mehr umzuwenden,
die Lasten, die mir in der Kindheit wurden.
Sie nahmen Nähe, Halt und Weltgenuss.

Frühe I (1220)55   

Die Winde waren’s, welche Töne schoben,
mal in die Fernen, mal die blauen Nähen;
es waren Kirchenglocken, die im Wehen
mich aus Verzweiflung und Zynismus hoben.

Es war kein schönes Leben; das war’s nicht.
Viel Zittern zwischen Angst und Alkohol.
Da war kein Halt, kein Zweck; das hat mich wohl
sozial entfremdet - der normalen Sicht.

Mag die auch noch so schäbig sein und fad,
so lenkt sie wenigstens auf Ziele hin:
Realität, die große Formerin
von Selbst, Gesellschaft, Innenwelt und Staat.

Dem Läuten hänge ich noch immer nach:
Liegt doch in ihm nichts Zeitgeistterror brach.

Frühe II/Sonett (1221)56    

Es waren Ohnmacht, Stumpfsinn, Lethargie,
die eine ganze Kindheit täglich prägten,
Vertrauen, Lebensfreude weg mir fegten
und Mängel in die Seele brannten, die

man nicht mehr los wird, wurde selber sie:
Sie bauten die Person auf und bewegten
das Innere bis in die abgelegten,
verdrängten Wesenskerne: Wahn und Vieh.

Und dennoch gab es Stunden, die entrissen
der Rohheit von verstockendem Verachten
zuweilen einen Rausch von kurzem Wissen:

Dass Ärmlichkeit sich löse im Betrachten,
sich stille das verkommene Gewissen,
wenn Bläuen bärsten Scham und Niedertrachten.

Frühe III/Sonett (1222)57 

Von den Fiktionen habe ich gezehrt,
die ich geschickt zusammen phantasierte,
indem ich tat, als ob mich was berührte,
als ob die Fakten seien umgekehrt.

Und das, das hat sich mir als Trost bewährt,
zumal real nicht eben viel passierte.
Kein Tag, an dem ich nicht ins Leere stierte,
nicht hätte andre zwanghaft abgewehrt.

Weiß nicht warum. Doch Gründe hat’s bestimmt,
dass ich seit Kindheit nur im Abseits stehe.
Ist eine Fremdheit da, die glimmt und glimmt,

als ob ein Seelenzunder sie versähe,
mit Nachdruck, gar Notwendigkeit, die trimmt
Ereignisse sofort in Gegennähe.

Frühe IV/Sonett (1223)58        

Halbherzig dies, mal jenes habe ich gemacht.
Bestimmend blieb allein die innre Leere.
Die kam mir regelmäßig in die Quere
und hat mich zu mir selbst zurück gebracht.

Gewiss hab ich darüber nachgedacht,
was sie hervorrief, sie und ihre Schwere,
war sie doch zweifelsfrei die Grundmisere,
die mich beherrschte mit stupender Macht.

Vereinzelnd wirkte Fettsucht. Das steht fest.
Dann diese seelenkalten rohen Bauern,
Proleten, Bürger. Kurz, ich schaffte nicht den Test,

dass man gesucht mich hätte innerhalb der Mauern.
Zudem ich galt als asozial im Nest
und musste in Verachtungsnischen kauern.

Frühe V: Ersatzfamilie/Sonett (1224)59    

Der Gästeraum war eingehüllt in Schwaden
vom Qualm der aufgerauchten Zigaretten.
Es roch nach Bier, nach Schweiß und heißen Fetten,
verglühten Kohlen und Gewürzzutaten.

Die einen lachten, andre warn beladen
von Alltagssorgen, dritte schlossen Wetten,
die knutschten, vierte, sehnten sich nach Betten,
die fünften spielten an den Automaten.

Gewohnt, allabendlich mich hier zu treffen,
fiel’s niemand ein, mich, Kind noch, heim zu schicken.
Auch hinterm Ausschank nicht genervte Reffen.

Warum nicht, brauchte keiner auszudrücken,
es sei denn, einer wollte nach es äffen,
den Säufer spielend mit zerschundnem Rücken.

Frühe V/Variante/Sonett (1225)60

Im Gästeraum verteilten sich die Schwaden
vom Rauch der beißend starken Zigaretten.
Nicht einer trug ein Hemd hier mit Manschetten,
man saß in Arbeitskleidung, grob geraten.

Es schrie, es grölte, lachte, war beladen
mit Alltagssorgen wie zerrissnen Ketten
von Zugmaschinen, Kugellagerstätten.
Man gab sich Hilfestellung durch Beraten.

Man hätte mich nach Hause schicken müssen,
denn, Kind noch, durfte ich da gar nicht bleiben,
wo die Besucher rohe Witze rissen
und auch die Frauen mochten’s scharf gern treiben.

Die Grund-Botschaft? Das Leben ist beschissen.
Und die ließ dann auf Bürgertraum mich pissen.

Frühe VI/Sonett (1226)61        

Sozialrand, Fettsucht, Stumpfsinn, Suff und Schweigen:
Die Grundkonstanten meiner Kindertage,
bewirkend Einsamkeit, Angst, Selbstwertbrüche,
erstarrtes Seelenleben toter Nähe.

Was macht man substanziell sich da zu eigen
in dieser asozial bestimmten Lage,
der Schauspiel sein muss doch das Eigentliche:
dass man sich selbst erniedrige und schmähe.

Doch Rabulistik, Gottklang, Windblau, Katzen,
stupende Feinmotorik-Fähigkeiten
erlaubten Spott- und Deklassierungshatzen

dann abzumildern, schließlich umzuleiten
als überindividuelle Fratzen
in sie erlösende Begriffs-Einheiten.

Frühe VII: Gott/Sonett (1227)62

Du Spielgefährte hoher Kindertage,
du faszinierend überzartes Nichts,
Photonenmehrer eines blauen Lichts,
das blendend einschoss meiner tristen Lage,
mich hoch riss aus dem dörflichen Gelage
des wurzelhaft barbarischen Gerichts
in Trost und Stillen deines All-Gewichts.
Mich so enthob der kernverfügten Plage
gewohnter Rohheit, die auf andrer Kosten
sich schadlos hielt für die Getriebenheiten
der Existenz-Kommandos Sex und Raffen,
besessen war von den Verhordungs-Posten,
die es zu steigern galt bis hin zu Pleiten
des Selbstbetrugs gewissenloser Affen.
 

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