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Diese Seite enthält 66 Gedichte (61 Prosa-, Reim-Gedichte und 5 Sonette)

(I) Existenzielle Ausflüchte, Daseinslasten, Selbstentbergungstaumel, Sinnkernfunde …

Grundlegende Bemerkungen und Hinweise (91)1

Dass sinnlos es und still vereinzelnd sei,
dies spaßerlebnisprall so simple Leben …
so einen seiner selbst entfremde -
und dies auf hochsubtile Weise …
durch repressives Toleranzgehabe,
dem man, verwahrlosungserpicht,
sich oft verschreibt …
das sind die Hintergründe 
meines radikalen Strebens,
primär mich geistig zu bewahren
(wiewohl ich das an sich schon muss):
Mich hinzugeben meiner Muttersprache,
um ihr Gedichte abzuringen,
die mir, mich klärend, zeigen,
dass wenigstens für Stunden ich
in Einsichtstaumeln 
dies begreife dann:
Dass mir mein Dasein
nur noch so gelingen kann:
Als sprachorgiastisch 
hochabstrakte, als asoziale 
Selbstentbergungsorgie.

              *

Gedichte mache ich,
weil ich das muss;
sei’s innerlich,
sei’s äußerlich bedingt.
Faszination mir schaffend,
Einsicht, Geistesfluss.
Wodurch mir 
diese Welt versinkt.

Gedichte, die mich so belehren,
dass unsre späten Lagen,
die wir uns - ratiokommandiert -
notwendig schufen,
uns können nicht mehr 
weiter tragen.
Doch metaphysisch tote,
verzweiflungsmagische 
Enthemmungsstufen,
die geistig-psychoethisch 
uns verzehren,
da doch nach Menschlichkeit 
nicht können rufen.

Weltabwehr (92)2

Wer all dem hier entrinnen kann 
- und sei es nur für ein paar Augenblicke -
sich einer Zeile hinzugeben dann,
fernab von jeder Nutzentücke,
fernab von Lust-Gram und von Aggressionen …
Dem muss sich dieses Dasein lohnen,
dem wird’s zuweilen alles geben …
In Einsicht ihn, in Selbstdistanz, 
gar wesenstiefe Glücke heben …
von geistigem, 
nicht konsumtivem Glanz.

Mein Grundanspruch (93)3

Was können mich die andern kümmern,
gar diese hochkomplex so simple Welt?
Ich will nur dies: Entkommen ihren Trümmern.
Weil eben das allein mich hält:
In deutungslosen Geistfiktionen 
mir apollinisch* aufzuschimmern.

*apollinisch: Betrifft die Forderung des delphischen Gottes Apollon, sich um Selbsterkenntnis zu bemühen ...
um Hybris und Verblendung, Selbstüberschätzung und dem Verkennen unserer Daseinstragik zu entrinnen.

Transzendenz* (94)4

Sich selbst ein Leben lang doch ungreifbar
und je nach Herkunft, Einfluss, Lage, Interessen,
sich mal in dieser Perspektive, 
mal einer andern wiederum gegeben; beständig angewiesen so auf Interpretationen, 
auf Lebenslügen, Selbsttäuschungen …
ist außerstande man, sich selbst zu übernehmen,
hat man nicht Grund, sich frei zu nennen,
sich anzumaßen Selbstverfügung …
Als Redlichkeit und Selbstentbergungsmacht,
als Augenmaß und Sachlichkeit
und die asketisch-elitäre Fähigkeit,
sich ohne Eitelkeit, sich ohne Selbsttraumgaukelei zu sehn:
Als Stoffgefüge, triebgebunden,
bedürfnisradikal sich ausgesetzt,
um zu versagen manchmal, 
doch Verfall verfügt …
Und diesem Spätzeitnihilismus, 
dem von würdelos gemachten Trugmonaden,
narzisstisch seelenkalt in einer Welt verloren,
die doch so viele ihrer selbst entfremdet,
indem sie sie sei es verkommen lässt,
sei’s ichgemein verluderungserpicht 
in Wohlstandsgossen treibt …

Vergessen von der Tyche so,
die nur beschenkt,
die sich, aus Übermut zuweilen, 
still daseinstapfer 
von sich selbst wegreißen,
sich aufzuraffen,
der Verzweiflung zu befehlen,
für ein paar Stunden 
ihrer selbst doch zu entraten …
Um der Materie zu huldigen,
dem Stoff,
weil’s ihm, doch zwecklos dumpf nur formend,
deshalb gelang, sich an sich selbst zu freuen:
Sich seiner selbst bewusst in mir als Geistdemiurg, 
hinauf zu sehnen sich,
dann über sich hinaus
in eines Augenblicks Entwesungstraum. 

*Transzendenz lat.: Überschreitung (z. B. seiner selbst
als sich selbst ausgelieferte Existenz-Einheit)

Ablenkung (95)5

Dein stoffprekäres Leibgefüge
- wird’s doch verfallen irgendwann -,
es kommandiert mich, 
als ob’s Endzweck trüge,
der hälfe, 
mir zu schaffen tiefen Bann.
In dem ich mir und dieser Welt entkäme,
Ekstasen deiner Lust versunken …
Was mir zumal auch das Bewusstsein nähme
von diesem dauerinfantilen Prunken,
von Korruption und von Versagen.
Und davon, 
dass wir wissend laufen
in nicht mehr meisterbare Lagen,
geeignet, 
uns am Ende aufzusaugen.
So also schenk dich mir … 
Als kurze Lebenslüge.

Gleichgültigkeit I (96)6/Zu vergleichen sind (23/1369) und (60/3152)

Doch diesen Tag will ich für mich vergeuden
an Stillen, Indolenz und Dauerschweigen;
werd aus mich in Gedichten deuten: 
in faktenleeren Geistesreigen.

Ich werde nicht nach Not und Kummer fragen,
nach Innenweltzerfall und Zeitgebrechen,
beim Wein mit toten Göttern tagen,
mich ihrem Zauber zu verzechen.

So mag zertrümmert liegen alles morgen.
Es wird mich nicht berühren.
Mir wird egal sein auch ein Berg von Sorgen.
Zumal mich wird nur Einsicht führen.

Tatsachen statt Illusionen (97)7

Wie kommen Sie dazu, zu glauben,
das Recht zu haben, mir was vorzuschreiben?
Dass ich (z. B.) müsse ihre Tugendtauben
mit Phrasenfirnis glänzend reiben?

Damit ein jeder sie mit Staunen sehe,
wenn unterm Himmel sie die Welt anfliegen,
auf dass sich diese deutsch begehe:
Dass solle Wert, nicht Faktum siegen.

Ich glaube nicht an Güte und an Würde,
ja überhaupt nicht an Moral.
Wir sind uns selber ewig Bürde:
An Macht gebunden, Lust, Gewalt und Zahl.

Fragen (98)8/Zu vergleichen ist das Gedicht (16/930)

Was ist ein Dasein denn noch wert,
wenn Heiterkeit und Glück daraus verschwanden,
wenn alle Freuden konsumtiv versanden,
man seelisch-geistig ist substanzversehrt?

Wenn man sich nur noch als Verbraucher weiß:
sich nutzenoptimal zu küssen;
nur Umsatzspielball, ohne das zu wissen;
sich kalkulierend ohne Gleis?

Und ohne Halt; vor allem ohne Sinn;
so nur erlebnismonoman mag sich entlasten:
durch Pseudo-Lüste (Leeren tasten)
und so nur Markt, doch nicht sich selbst Gewinn?

Mögliche Antworten (99)9

Totalitär ist’s, primitiv:
Gefühlseffektzufuhr.
Ist Umsatzschmiere,
triviallasziv.
So was wie eine Psychen-Schur.

Der Mensch ist fort,
sein Double leicht zu lenken:
Die Welt nur noch frigider Ort,
wo kratisch Impotente
Phrasen denken.

Gewissenlose sich empfehlen,
als coole Heilsgaranten:
Statisten, die sich quälen
durch einen Faktenkosmos voller Scheitern;
als machtbetörte Ignoranten.

Grad ohne Ziel: Die Stellung halten (100)10

Die Perspektiven? Alle Schein.
Und dieses Selbstsein? Lüge.
Das gibt es nicht, ein objektives Sein.
Es gibt nur Trancegefüge.

Und ich? Monade, in mir selbst allein,
sich ringend durch Bewusstseinskriege,
die permanent mich holen deprimierend ein.

Dann bleibt nur noch die Frage, was das alles soll.
Nun: Gar nichts. Was denn auch?
Es ist ein Spiel, von List und Trauer voll:
Der stummen Hyle Schall und Rauch.

Indes: ich habe das begriffen,
es, Geist verbracht, erfasst.
An keinem Tag es mir genehm geschliffen.
Es anerkannt als Last.

Als Chance auch, mich zu übersteigen.
Mich selbst und diese Welt.
Um mir und ihr und überhaupt zu zeigen
wie geistig man für nichts die Stellung hält.

Mitgefühl (101)11

Es jemand anzukreiden, was er ist,
das fiele mir sogar im Traum nicht ein;
zumal ich weiß doch, wie zerfrisst
das einem zugeloste Sein:

Wenn’s eines ist, das duckt und niederdrückt,
beschämt und unterwürfig macht,
sodass man nie sich selber glückt,
durch andrer Selbsterhöhung auch verlacht.

Die Lehre ist, der Mensch ist schlecht,
ist grausam, hämisch, kalt und roh,
ist wesensmäßig ungerecht,
kurz: das brutalste Vieh im Zoo.

Das sag ich allen Tugendsamen,
die an Agápe* und an Güte glauben,
in Idealen nach dem Homo-Wesen kramen,
das faktisch überragen muss und rauben,
Gewalt ausüben und bedrücken …

Es sei denn, darf sich geistig glücken,
um schließlich zu beenden dann 
all seine kleinen Daseinsdramen,
ihm Mitgefühl und Seelengröße,
ihm Autarkie und Selbstbestandsverfügung,
als Trostfiktionen zu erlauben.

*Agápe griech: Menschenliebe. Auch Gottesliebe. 
Die Liebe, die Gott den Menschen entgegenbringt und umgekehrt die Liebe, die die Menschen Gott entgegenbringen

Ideologen (102)12

Ideologen? Die sind inhuman.
Sind tugendradikale Leugner dessen,
was man erwarten muss auf einer Bahn,
auf der man Obdach braucht und Sinnkult-Messen.

Um dieses Dasein leidlich zu bestehen:
Das menschliche, das meistens trostlos ist.
Erpicht doch drauf, sich selbst zu hintergehen
mit Rücksichtslosigkeit, Brutalität und List.

Der Weltausdeuter ist ein Phrasenlude*,
affektbesessen von Ideen;
die erst mal umgesetzt, das absolute Gute
in Wirklichkeitsgefüge würden säen …

Ein Idiotismus - ziemlich primitiv.
Wie alle solch erlösungsträchtigen Affekte:
Gemein, vollendungstrunken, radikal naiv.
Durch Fakten nicht und nicht durch Geist gedeckte.

Sind die Geschwister doch, genau besehen:
Das Ideale und die Barbarei.
Die homotypisch stets zusammengehen,
Zumal im Kern gar einerlei.

*Phrasenlude: Einer, der Phrasen auf den Strich schickt, nicht faktenkonforme Aussagen

Prägende Lebenserfahrungen (103)13

Ich war noch nicht einmal neun Jahre alt, 
da wusste ich bereits Bescheid über scheinbar motivationslose Selbstmorde, sittliche Verwahrlosungen, sexuelle Missbräuche und alltägliche Gewaltdelikte, begangen von Menschen aus der Nachbarschaft.
Das prägte mich fundamental.
Zumal ich die Täter und Opfer, Dörfler-Durchschnitt, allesamt ganz gut kannte. 
Als eben bis dahin völlig unbescholtene, 
ja: ehrenwerte Durchschnittsmenschen.

Nicht zu reden von anderen Fragwürdigkeiten,
wie etwa seelische Verwahrlosung, Asozialität, 
Bigotterie usw.
Ich habe all das als nicht weiter überraschende menschliche Normalität erfahren, 
also auch ohne dass irgendjemand sich erregungslüstern ergangen hätte in Betroffenheitsmystik
(einer subtilen Form des gefühlstrategischen Selbstgenusses),Tugendempörung oder inszenierungsnarzisstischer Aufgeregtheit.

Und überhaupt vermochte ich viel zu früh Menschen auszulesen:
Ihre Täuschungslist, Verlogenheit, ihren gespielten Anstand, ihre drastisch sie gängelnde Geilheit, Selbstbetrugsvirtuosität und Charakterlosigkeit.
Was soll ich sagen? Mir war eine radikal pessimistische Illusionslosigkeit - als eine Art existenzielle Bestandssicherung - gleichsam früh schon als Daseinsausformung bekannt und vorgegeben.

All das hat mich jedenfalls Entscheidendes gelehrt, bedrückende Existenztatsachen unsentimental erfassen und als unabänderliche hinnehmen lassen.
Einmal ganz abgesehen von den Verwerfungen 
in meiner eigenen Familie und meinen persönlichen, 
mich deklassierenden, Erfahrungen 
als adipöses Monstrum.

Aber ich bin dankbar für all das; sehr, sehr dankbar.
Hat es mich doch bewahrt vor Wirklichkeitsverlusten, leeren Idealen und bürgerlicher Tugendnaivität, die ich nicht selten als subtile Selbstüberhöhungsberauschung glaubte erfühlen zu müssen.
Ja. Ich bin ihnen dankbar, all diesen unschuldig-naiven, selbstlüstern-ichschwachen Menschen.

Denn sie waren es, vor allem sie, die mich über mich hinaustrieben, mich förmlich zwangen, zu versuchen, nicht wie sie zu werden
- und dies mit geistigen Mitteln allein -: nicht mir selbst, meiner Eitelkeit, Selbstüberschätzung und einer gespielten Moral-Bolderei aufgeblasen zum Opfer zu fallen: mittelmäßig, ichprekär, großkotzig und letztlich tatsächlich existenziell verhilflost …

Indes aus eigener Kraft habe ich das nicht geschafft.
Die Tyche* hat es mir geschenkt, die große, blinde, würfelnde Tyche. Sie hat mir den Weg geebnet zu einer geistigen Existenz, die für mich ein Wunder geblieben ist bis auf den heutigen Tag.
Da sie mir selbst unerklärlich ist, voraussetzungslos erscheint … letztlich genetische Gnade wohl.

*Tyche griech: Zufall, Glück. Göttin des Zufalls und des Glücks

Entlarvungs-Sonett - Meinem tugendmasochistisch verkommenen Deutschland zugeeignet (104)14

Es ist Verlassenheit in Spätzeitbrüchen,
vergebliches Bemühn, sich mitzuteilen.
Das kann man nämlich nicht, in sich vergoren,
weil Psychen dorren, faulen Wertbestände.

Ich kann erahnen all die Selbsttrugschlichen,
die Wirtschaft, Politik und Volk ereilen,
die Arroganz auch all der Tugendforen,
die nach Verfall sich sehnen, ja: nach Ende.

Indes nur subjektiv verdammt zum Schweigen,
bleibt doch die Nische meiner Einsichtnahme,
die überindividuell mag zeigen

das so spezifisch deutsche Lustinfame:
Sich zu erniedrigen in Selbsthassreigen,
damit in Weltgeisttrost nach Sinn man krame.

Für mein niedergangslüsternes Land (105)15

Begabungslos debile Indolenz
Respektramsch feuchtender Narzissten-Zähren …
die einen Kita-Staat in letzter Konsequenz,
Naturrechtswürde unbegriffen dumpf verehren …

Parteisophisten, linkisch, ohne Ausdrucksmittel,
die kratisch nichts zustande bringen,
essenzkorrupte Investorenbüttel,
die ausnahmslos sich an sich selbst verdingen.

Die Glücke propagieren, die nicht machbar sind,
zumal dem Souverän schon lang entfallen.
Denn dieser ist ein kollektives Kind,
das hedonistisch muss in Selbstverlust sich lallen,

sich wohlstandsonanistisch will erhöhen
in einem Dasein nihilistischer Substanz,
zu greifen so nur Phrasenböen
verludernder Prägnanz.

Die Folgen der Bipedie … (106)16

Dass wir uns retten werden vor uns selbst,
das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.
Und denke dabei an diese Art-Sackgasse 
der hypertrophen Rationalität,
die ich als Falle sehe (evolutionäre),
in die vielleicht wir bis zur Selbstzerstörung,
doch sicher bis zur Selbstverzwergung 
bald ohne Ausweg rennen könnten …
In eine digitale Diktatur,
Spezialisierungsresultat verengter Virtuosität.

Nicht zu vergessen unsre Widersprüche,
die uns Moral, Bedürftigkeit und dies auflegen,
dass wir stets werten müssen (Perspektiven setzen), 
uns völlig widersprüchlich auch gegeben sind: 
Als sprachliche Behelfsfiktionen,
vom Kollektiv doch übernommen und dann subjektiv 
so nach und nach als Me* gedeutet … 
integriert genetisch-personalem Selbst
(indes auch inszeniertes heutzutage: 
als Medienabklatsch oft sich angemimt).

Zumal auch dieses spricht dagegen,
dass je wir haben werden uns 
als durch Vernunft Verfügte,
weil Zeit wir faktisch sind (Verfall), Bedürftigkeit … 
Von unsrem Ende also wissen lebenslang …

Und muss ich nicht auch Hybris nennen,
dann Wesensbarbarei und Geistesmangel;
vor allem Tugendeitelkeit als Täuschungsvirtuosität?
Und dann die andern hochprekären Widersprüche,
sich selbst als Kreatur zu sein und zugleich 
Geist, Vernunft, Verstand als Intellekt?

Indes wir wissen doch, 
dass ins Fiasko wir schon liefen,
was das System beweist, 
dem ohne Unterbrechung wir doch fronen:
Kapitalismus, Technik, Wissenschaften,
die mathematisch und versuchsgenial entlarvte
Natur als Hyle (als tote Masse ohne Ziel und Sinn,
organisiert nur von und durch sich selbst)
zerstörend Menschlichkeit, Gewissen, Geist und Psyche, die reizverwiesen wertstrukturlos treiben 
in emotionsekstatischen Entwirklichungen 
sich selbst entborgner: gottverlassner Überaffen

*Bipedie: Das Gehen auf zwei Beinen. Me: s. Inhaltsverzeichnis

Keine naiven Forderungen (107)17

Wohl weiß ich um den Überschwang
der radikalen Geistbefehle,
weiß, dass ich ihnen folgend, mich umsonst abquäle
in dieser Trancefarce ohne Sinnbelang.

Weiß nämlich ganz genau, dass es vergeblich wäre,
da noch Veränderungen zu erwarten.
Hat man verinnerlicht doch längst die Lehre,
dass Wohlstand schüfe uns den zweiten Gottesgarten.

Indes das kann er nicht. Im Gegenteil.
Er laugt’s Gewissen aus, die Psyche, hemmt die Freuden …
Lässt alles toben Nihilismus feil,
sich Selbstverlusten zu vergeuden.

Substanztrug (108)18

Hier aufzurufen zu was immer,
das fiele mir nicht ein.
Zumal doch derlei Akte machen meistens schlimmer,
was man vermutet, objektiv zu sein.

Der Tugendbold verhökert Phrasen
und Hoffnungskrebs der Revolutionär.
Des ersten Worte gleichen leeren Vasen,
des zweiten Wirken bleibt am Ende leer.

Man kann sich höchstens selber ändern:
Askese, Maß und Mitte sich verschreiben,
Pleonexie-Diktat nicht ganz zu kentern
und Fakten treu zu bleiben.

Es gibt kein ideal geprägtes Leben;
nur diese Diktatur von Gram und Traum.
Entlastungsräuschen zu verbeben
in einer Trübe von Bewusstseinsschaum.

Daseinsfunkeln (109)19

Ob’s wert gewesen sei,
gelebt zu werden,
ist eine ziemlich dumme Frage.
Denn erstens ist dies Dasein einerlei,
muss zweitens stets in Selbstbetrug sich erden,
und drittens schönen sich doch jede Lage …

Gewalt, Verwahrlosung und Scheitern ausgesetzt
vom ersten bis zum letzten Augenblick …

Indes ganz selten auch von Glück durchsetzt,
das wett macht alles Zwangsgeschick;
das einen bis in Geisteskerne hetzt:
in Eros, Sprachkunst, ja: selbst Gott zurück.

Frei von ... (110)20

Scheinbar verlierend, hab ich viel gewonnen.
In erster Linie Einsichtskraft.
Weil ich nicht kindisch hedonistisch war gesonnen,
umgarnt von infantiler Marktknechtschaft.

Die ich vermied, weil stets sie wusste
als immanenzsubtile Asozialität …
Als ihrer selber unbewusste
Instanz, die in Erniedrigung besteht.

So war ich zwar gesellschaftsfern stets isoliert,
doch frei von jener Drangsal-Gaukelei,
die man als Außenlenkung spürt:
Als zeitgeistschiere Tyrannei.

(II) Warum ich Gedichte mache

Askesearchaisch (111)21

Als mir selbst entwundene Ich-Monade,
einer sich hedonistisch-nihilistisch ruinierenden Welt ausgeliefert …
einer konsumapathischen Gesellschaft,
die sich phrasentheologisch und tugendpenetrant
vor sich selber zu bewahren versucht:
Ihrem mählichen Torkeln
in eine kulturelle Barbarei,
kann ich nur noch versuchen,
mich in Einsamkeit,
Geisteswachheit,
Kunstmachen
und Tatsachentreue zu retten,
um mich für die paar Jahre,
die mir noch bleiben
- dass es nicht mehr viele sind,
tröstet mich angesichts dieser Warensöldner-Schmiere -
dieser absurden Ratio-Diktatur,
soweit mir dies gelingen mag,
askesearchaisch zu entziehen.

Vollendung I (112)22/Vergleiche (11/637) und (73/3587)

Gedichte
ins Sein
schleudern.
Für niemand.
Umsonst.
Das ist
Vollendung.

An meine Gedichte (113)23

Ihr nachtverliebten, spröden Trostgebilde.
Was wäre ohne euch ich doch geworden?
Wohl Opfer dieser Mammon-Gilde
und feiler Tugendsorten.

Nur doch um euretwillen,
war’s mir wert, hier auszuharren.
Wo alle ichsiech nach Erfüllung scharren,
die doch nur Kind sein kann von Geist und Stillen.

Mir Atem, Gnade und Gebet,
hab ich in euch die Kraft gefunden,
die diesem Sog von Mächten widersteht,
an Selbstverlust und All-Betrug gebunden.

Kunst machen (114)24

Definitiv obsolet.
Es fehlt nicht nur
eine kulturelle Wirklichkeit.
Es fehlen auch die Hirne,
sich noch eine solche
als Halt gebende
auszumalen:
Ihr gegenüber sich selbst
bewahren zu können,
weil sie es zulässt.

Gedichte schreiben (115)25

Um diesen wohlstandstheologisch trivialen,
von Medientyrannei geprägten,
gewissensarmen infantilen Mythen
von Glück, Erfolg und Wesenswürde …

Um Märchen, Illusionen, Psychen-Wunden,
Entmündigung und Ausbeutung,
Bephrasungstorkeln, Dauerreizattacken …

Um also dieser trivialen
und knechtungsfiligranen Welt
für ein paar Stunden geistig zu entkommen,
verfasse ich Gedichte:
Gebilde, die’s mir noch erlauben,
aus meinen eigenen Beständen mich zu formen,
mich so in Einsichtsströmen zu erfahren
als faktisch einsam und bedeutungslos,
als hilflos ausgeliefert dieser Orgie
globaler Nichtigkeit im kalten Schoß
von plutokratisch-nihilistischer Magie.

Ich - Medium des Gedichts (116)26

Brauche faktisch nur zu warten:
Es wird kommen das Gedicht.
Mich verpflichten seinen harten
Worten vor dem Ur-Gesicht:
Unsrem. Hässlich früh und spät.
Selten zeigend Sehnsuchtsschimmer.
Meist nur, was der Zufall sät:
Gram, Versagen … Hybris-Flimmer.

Ganz einfaches Gedicht I (117)27

Man mag’s bedenken, wie man will:
Es wird nichts mit der bessren Welt.
Zum einen nämlich steht die Gier nie still …
Nach Lust, Prestige, Erfolg, nach was gefällt …

Zum andern fragt der Deutungszwang.
- Auch den bringt niemand leicht zum Schweigen.
Er muss, wie jene auch, befriedigt werden -:
Was soll denn dieser Lustgramreigen?
Wie kann man denn sich auch noch erden?
Gibt’s überhaupt denn noch Substanzbelang?

Und drittens ist da auch noch diese Sache:
Man muss, das weiß man, irgendwann mal sterben.
Soll man genießen deshalb jede Lache,
um sich das Ganze schön zu färben?

Ich weiß es selber nicht, weiß bloß,
das Beste ist für mich, Gedichte schreiben.
Denn dann bin ich mich selber los,
so dass die Welt mir kann gestohlen bleiben.

Diese Gedichte (118)28/Zu vergleichen Gedicht (10/618)

Marktkernzentrische Wortgefüge.
Zwanghaft abgerungen
dieser sich selbst entlaufenen Welt,
die mein Leben so radikal bestimmt,
mich vereinnahmt und entmündigt.
Entrinnen kann ich ihr nicht.
Indes vielleicht sie mir ein wenig erhellen:
Als totalitäres Intellektgefüge,
selbstgefällig untergangssüchtig,
und hedonistische Monadenorgie
spaßmelancholischer Selbstverlassenheit.

Vom Niedergang des Lyrischen (119)29 

Dass die Substanzkerne
des Lyrischen:
Sprache und Geist,
Gott und Natur, 
Phantasie und Gewissen,
Anmut und Ehrfurcht,
Idee und Eros,
Weisheit und Rausch,
längst an der Sekundär-Realität,
wie sie Kapitalismus, Technik
und Naturwissenschaften schufen,
zerschellt sind,
wird Siegern, Bankern,
Tugendbeflissenen,
Machtverfallenen und Kunden
völlig gleichgültig sein.

Indes es sie
verängstigen sollte.
Zerbarsten doch
mit jenen zugleich 
die Grundlagen von
Recht, Staat, Ethik,
Gesellschaft und Kultur.

So ist es für mich (120)30

Ich weiß von Halt nichts,
nichts von Würde.
Ich weiß nur,
ich bin Stoffauswurf,
bin Zeit und so Verfall.
Und dass allein
die Geistflucht ins Gedicht
mich dann versöhnt
mit diesem sinnlos
radikal absurden Sein*.

*Variante: 
mit diesem 
gottverlassen 
tief absurden Sein.

Prosafetzen (12) (121)31

Immer ist man
mittellos.
Gesellschaftlich.
Kulturell.
Menschlich.
Nur ein paar geistige
Entlastungstrancen
- Gedichte etwa -
halten die Stellung
jenseits dieser
zermürbenden
Hellsicht.

Treue zum Gedicht (122)32/Vergleiche Variante (52/2639)

Mag’s manchmal auch mich schwer belasten -
Ich bleibe treu ihm, dem Gedicht.
Und mache so denn immer weiter.
Bis einst die Geisteskräfte mir verblassten.
Zumal nur es mir ist ein Daseinslicht
als muttersprachlich ziselierte Geistesleiter
von metaphysischem Gewicht:
Als quasinuminoser Selbstbegleiter,
Vollendung einsichtsdionysisch zu ertasten.

Das Beste I (123)33

Ich hatte dann die besten Stunden,
wenn ich Gedichte schrieb.
Denn das bewirkte
- ich sag’s unumwunden -
dass ich,
befreit von Welt und Wir und Trieb,
mich durfte radikal verlieren
an geistige Distanz.
Die einzige,
in der man nicht muss frieren
für Eitelkeiten und geborgten Glanz.
Der hingegeben,
man erkennt die Sprünge,
die allen uns sind mitgegeben:
Dass man allein sei 
und sich nie gelinge,
weil ohne Boden ist 
dies fade Leben.

Der tote Geist (124)34

Es ist eigensinnig, ja: völlig realitätsfremd,
unter der Fuchtel dieses hermetischen Stimmungskosmos
noch begriffsgesättigte, Realitäten rücksichtslos enthüllende Gedichte zu machen.
Ist doch nichts mehr da an geistiger Erfahrung, Verfeinerungssehnsucht
und nichtkonsumtiv gesteuerten Selbstansprüchen.

Nur noch die technologisch gestützte Emotionsmaschinerie
ergattert die propagandistisch exakt vermessene Restaufmerksamkeit
effektgedrillter Verbraucherhirne …
Die erlebnislüsternen Seelen besetzend
mittels strukturell immer gleicher 
Spannungs-, Zerstreuungs- und Belämmerungs-Phantasmen.

Seelenspäte Jahre/Für Epikur von Athen (341-271 v. Chr.)/Für Verehrte (125)35

Ach ja, die nunmehr seelenspäten Jahre
sind, wie erwartet, viel bescheidener geworden,
als waren es die einstmals frühen,
da ich nach dieser Zeitgeistwertkandare griff.
Es musste doch, mich zu verorten
gesellschaftlich-sozialen Lagen.

Bescheidener? Doch inwiefern?
Insofern ich doch kaum noch Wünsche habe.
Zumal entfremdet Artgenossen,
Systemfiktionen, Tugendramsch und Idealen.

Da ist Gesundheit (die im Kern)
sind Nahrung, Wärme, Schlaf - und: Spiele
mit meiner Muttersprache Seinsbezeigungsmacht.
Verborgen. Einsichtsschwer verlassen.

Klarstellung I (126)36

Ob ich was zähle oder nicht,
das ist mir ganz egal.
Bin ich nicht ansatzweise doch erpicht
auf diesen trügerischen Gral
von Gelten, Haben oder Delirieren
von subjektiv sozialer Größe …
Das sind für mich nur Daseinsschlieren
als Selbstverlustsynthese.
Allein dem Geist bleib ich verbunden,
denn der nur macht mich groß.
Ob oben, in der Mitte, unten:
Nur er schafft einsichtstiefes Los*.

*Variante: 
Nur er schafft scheinbar 
selbstbestimmtes Los.

Prosafetzen (63) (127)37

Zwischen chronischer Außenabrichtung
durch Propaganda, Reklame
und Zeitgeist-Sottisen,
zufälligen genetischen Konditionierungen,
denen man sich
definitiv verwoben weiß,
komplex beliebigen Selbstkonstruktionen,
sich dieser hyperarroganten,
zerrüttungsvirtuosen und dauerempörten
Brachialsudelwelt zu entziehen,
versuche ich mich hindurch zu winden.
Geradewegs in ein Gedicht,
das einen aus Augenblicksstimmungen
und erwürfelten Einfällen
deutungsdunkel in Worte zu fassen
entweltlichungsmonoman
sich anmaßt.

Muttersprache (128)387/Zu vergleichen (59/3054)

Meiner Muttersprache Halte
sind die tiefsten, die ich kenne.
Ob sie Perversion gestalte,
oder Schund von Größe trenne,
scharfbegrifflich abgerungen 
ihren intellektuellen Weiten.

Wenn ich je war mir gelungen,
dann, es ist so, nur dank ihrer,
da sie Glück und Leiden weiß,
wie sonst keine doch zu sagen:
Geistesmagisch von schlicht schierer
Wortmacht, kann sie Scheitern tragen:
Dass man niemals ihm zerfließe.

Diese Gedichte da, meine (129)39

Sind geistesspät. Ich weiß es wohl.
Sind Epigonen-Reime.
Dem Zeitgeist fremd. Der ist frivol.
Ertränkt sich Stumpfsinn; seinem Keime.

Da ging zu Ende was; und kommt nie wieder.
Personen wurden Schnäppchenjäger.
Blasierte, oftmals stussdumpfnieder:
Sich narrende Narzissmus-Träger.

Längst laufen wesensgleich
Bewusstsein, Formel, Empirie:
Ein Reiz-, Effekt- und Waren-Reich
gesteuerter Magie.

Das Gedicht I (130)40

Zwar bist du Flüchtigkeit wie alles Sein.
Zug sich verschwommner Trauerblicke.
Indes nur du, du ganz allein,
schlägst, Einsicht schenkend, mir die Lücke

aus dieses Daseins Grundversagen.
Um mir dann Wege auszuloten,
die mich aus mir und meinen Wirren tragen
in Wortgefüge strenger Faktennoten.

So darf ich toter Wirklichkeit entgehen.
Mir selber fern. Nah klaren Sinnkonturen.
Jenseits von würdelosem Flehen
um kreatürliche Blessuren.

Macht des Gedichts (131)41

Womöglich taugt es gar nicht viel.
Ist nichts als simpler Seelenkram,
bizarrer Züge Schamzeugnis.
Und dennoch trägt es hoch und weit,
entreißt noch leersten Stunden.
Entzieht zumal dem Zugriff andrer
und rettet vor dem Lärm der Welt.
Setzt auch als schlichtes diese Kraft
des Überschreitens seiner als
entmündigte Bedürftigkeitsmonade.
Schenkt noch als schlichtes 
Geistesstille.

Wesens-Determinismus/Tiefste ES-Regionen/Andeutungen (132)42

Pausenlos hab ich geschrieben,
versuchte, 
rücksichtslos mich auszulassen.
Ein Außenseiter, 
radikal getrieben,
sich ohne Schminke 
selbst zu fassen.

Tatsächlich ist mir’s 
auch gelungen.
Mein Geist erfasste  
tiefste Widersprüche;
vernahm das Raunen dabei
mancher Zungen:
Dass auch nicht er 
sie könne lösen, 
der Geist nicht könne heilen
meine Brüche,
sei ich doch wesenszentrisch 
diesen allgedungen.

So etwa Schwermut,
Fremdheit, Ich-Verzwergen,
Brutalität, Gewaltlust, 
Seelenkälte …
Affektgefügen auch 
von Hass und Wut
und dieser Sehnsucht
nach Gesinnungs-Schergen … 

Indes nur 
geistig letztlich kann gelingen,
sie sich als Selbstanteile
zu entbergen.

Monade (Trias, A. 163) (133)43

Ich muss mich selbstfern in Gedichten klären.
Ich sage damit nicht: Ich will.
Als ob da Wahl und Freiheit wären.
Als ob man sich, gesammelt, geistesstill,
entschließen könne, zu bewahren
vor Ängsten sich und Apathie,
vor Hass, vor Ablehnung und Vorurteilen.

Wird ein Gedicht doch stets auch offenbaren
das der Gesellschaft inhärente Wie:
Ihr Nepp-Netzwerk in allen Zeilen.
Das jene einem muss entfachen.
Dazu das Sinken in Verdinglichungen,
Vereinsamung, Verhärten und Verflachen,
sich selbst nur noch als Nein gelungen.

Gedichte klären nur ein nacktes Ich,
heteronom bis in die Grundsubstanz.
Monade andern und Monade sich:
Abstrakt-barbarischer Brisanz.

SMS//Zufällig aus einer Papierhalde gezogen (134)44

Das technogene Sekundär-Es,
heillos gleichungsinvalide,
fällt über mich her,
nutzen- und umsatzblind
meine Geistrefugien einzunehmen.
Vergeblich.
Wieder gelingt es mir,
es sprachmächtig
zurückzuschlagen,
es mir deprimierend klar
sophistisch auszudeuten.

Sein, Gedicht und Gleichung (135)45

Das tiefste Ahnen
gilt es anzuschaben.
Der Rest
kommt von allein.
Als würde sich
von selber graben
die Sprache
heim ins Sein.

Das in Gedichten
will sich greifen.
Und eben nicht
in Gleichungsmacht.
Die es nur stammelt,
kann’s nur schleifen
in toter Massen
leere Nutzenschlacht.

Indes in Strophen
es darf träumen
sich über sich hinaus.
Darf Sinn vergoren
überschäumen,
sich bauen als
Bedeutungshaus.

Warnung (136)46

Hüte dich vor mir! Ich sag’s dir!
Warne dich, ohne zu übertreiben!
Ich entlarvte alle deine von dir so tief 
bedurften Wirklichkeitsphantasmen,
alle deine Lebenslügen,
alle deine zurechtgefühlten Daseinsgehalte
dächte sie zuschanden,
ließe zynisch dann meine Spotthäme 
aus ihnen hervorkichern,
noch bevor sie selber 
sich ihrer Verlogenheit zu schämen
fähig sein würden.
Hüte dich also vor mir.
Weiß ich doch 
um all die Flausen,
die du und deinesgleichen 
so nötig haben,
lebenslang selbsttäuschungsbedürftig
sich zuführen müssen als Emotions-Fraß …
Freilich in einer drastisch bedrängenden Welt 
ohne alle entlastende Selbstverständlichkeit.

Einsichtsfülle (137)47

Da kommandiert mich
eine Einsichtsfülle,
die keine Lebenslügen
mehr erlaubt.
Die radikal verneint,
was Sinn man nennt,
Moral, Vertrauen, Zuversicht.
Und alles Glück zumal entlarvt
als sanfter Blindheit
wunden Sehnsuchtsbettel.

Sonett über die Ablenkung von sich selbst (138)48

Was soll’s? Ich trinke eine Flasche Roten.
Und lass die Welt sein, wie sie immer ist:
Ein Elends-Ort, der auf sich selber pisst.
Vor allem auch auf seine Tugendnoten.

Auch deshalb trink ich, weil die Lebensfrist
bei mir schon nah ist fast dem leibmaroden,
dem Grenzbereich, wo sich die Angst schon hisst.
Die freilich nicht mehr rühren wird den Toten.

Vielleicht gelingen noch ein paar Gedichte.
Wenn auch für niemand. Dann umsonst verfasste.
Zu groß doch längst ist die Vergnügungs-Dichte,

als dass sich da noch irgend Geist verpasste.
Braucht man doch nur noch anspruchslose schlichte
Belämmerung, in der man selbst verblasste.

Definitiv fort (139)49

Alles, was Gedichte gründet,
alles das ist fort.
Gleichungsmacht anheimgefallen,
Marktkalkül und Technikhort …
Sehnsucht, Tragik, Wahn, Natur,
Eros, Geist, Geborgenheiten,
Trauer, Gram, Melancholie …
Alles fort, verfügt den Krallen
einer Intellekt-Tortur
kranker Seelen ohne Ort.
Die sich deutungslos ergehen
dort, wo Selbstaufgabe mündet
in Verwahrlosungsgeschehen:
Metaphysisch toten Fallen
rationaler Kultmagie,
sich in Anomie* zu lallen. 

*Anomie griech.: Gesetzlosigkeit, Innenweltzerfall, Verwahrlosung, Verlust der Selbststeuerung usw.

Schlafstörungen (140)50

Ganz früh morgens. 4.30 Uhr.
Meine akuten Schlafstörungen
trieben mich wieder mal
in den Wohnzimmersessel …
Mich an einem Gedicht zu versuchen.
Wie so oft in solcher Frühe.
Es gelingt mir auch zuweilen.
Jedoch wofür, bleibt ziemlich dunkel.
Jedenfalls für Leibdruck-Zwecke. 
Faktum ohne Geistesziel.
Nur so ein Vollzug an sich:
sinnlos, nur Bewältigung 
einer schieren Altersschwäche.

Erlösungsnihilismus/Sonett (13-Silbler: 13 Silben pro Zeile) (141)51

Dass ich am Ende werde nichts bedeutet haben,
das ist ein Faktum, ist ein ganz normales Los.
Wirkt hier kein Gott doch, ist zumal kein Ziel zu greifen.
Ja oft gar ist dies Dasein nichts als Leidgeschehen.

Sekündlich kommandiert von harten Marktvorgaben:
Und so recht platt, soll ich doch konsumieren bloß.
Mich allenfalls als idealer Kunde streifen,
um warenselig Einsichtsqualen zu entgehen.

Vertraue grade deshalb an mich auch Gedichten,
mich sprachlich perspektivisch - geistig - zu erfassen.
Auf diese Art mir meine Nichtigkeit zu lichten:

Dass Technik, Wirtschaft, Wissenschaften mich verprassen
- und dies ganz radikal: bis in die Tiefenschichten -, Erlösungsnihilismus mich zu überlassen.

Gesellschaft (142)52

Ein Notgebilde, das mich zwar bedrückt,
doch zugleich hält und formt und lenkt:
Gesellschaft - Heute Mediengaukelei,
vergötternd die Erlebnis-Emotion …
Die Daseinskrücken für uns Mittelmaß:
als Fun-Randale, die als Stumpfsinn glückt,
als Selbstdarstellung, die in Traum versprengt,
entlastend so von Depressionsgeschrei …
Auch zu erbetteln sich im Niedergang
Identitätsverlust durch Pop-Welt-Mohn
und Eskapismus, lindernd Pflicht und Zwang;
auch zu entrinnen fadstem Wie und Was. 

(III) Realistische Sicht auf unsre objektive Daseinslage 

Existenzielle Grenze (143)53

Gleichsam ein monomanes Aufbegehren,
was ich da dichterisch vollziehe.
Mich gegen das, was mich mir nehmen will, zu wehren,
damit ich psychisch nicht verglühe.

Kultur, Gesellschaft, Markt, Moral und Staat:
Dies hochkomplexe, doch längst autonome,
abstrakt-globale Kunstweltnetz als Apparat
sich ihrer selbst entfremdeter Sozialatome.

Ich bin nicht willig, mich dem einzufügen.
Obwohl ich nur mich müsste gängig gehen lassen: mich wohlstandsdruckkorrupt verbiegen
Durch Selbstverrat mich mir als Ding hin prassen.

Und dass von all dem ich getragen werde, ja: geborgen,
nicht ansatzweise könnte existieren,
wenn dieser Moloch würde nicht mehr für mich sorgen,
ich ohne ihn tatsächlich hilflos würde vegetieren,
das ändert nichts dran, dass ich ihm ganz tief misstraue,
ihn als vernichtungsträchtig für sich selbst erachte,
als axiologisch* destruktiv ihn auch durchschaue.

*axiologisch: griech.: Was sittliche Werte anbelangt 

Radikale Fragestellung/Sonett (144)54

Es wäre eine Illusion zu glauben,
es ginge hier um mich, das Einzelwesen.
Doch worum’s geht, ist auch nicht leicht zu sagen:
Wie’s scheint um das, was man für Wohlstand hält:

Sich aus Erlebnisschüben Halt zu klauben,
sich auszurichten an den Markt gemäßen
Entlastungslüsten, sich nicht abzuplagen
mit jener Frage, die sich mir hier stellt:

Wirst du nicht wesenswehrlos angetrieben
von evolutionären Kerndiktaten?
Die dich als Zufallsvariante schieben

durch hin gewürfelte Geschehensschwaden?
Die ziel- und sinnlos, ohne Plan und Faden,
dich ihrem deutungslosen Lauf einschrieben?

Anonymer Selbstzerfall (145)55

Wer kann’s - und will’s - denn noch begreifen,
hat zudem dazu auch die Kraft,
es ungeschönt und scharf zu sehen,
dies Beutedasein in den Warteschleifen
von anonymen Selbsterniedrigungsgeschehen,
im Zugriff absoluter Marktknechtschaft?

Ein Dasein, nur noch zu ertragen
als ein Erlebniskult von Lebenslügen,
sich inszenierungsichschwach dann zu sagen,
wie lustvoll es doch faktisch sei,
verfügten Psychen-Trümmern zu erliegen.

Entmündigt, spracharm zu vollziehen
den schleichend-anonymen Selbstzerfall
und phrasentrunken vor sich selbst zu knien:
Entmündigt, kindisch, Machtspielball.

Klarstellung II (146)56

Was meint Geschichtsfortschritt,
was Freiheit, Wahrheit, Toleranz;
Humanität gar, Geist, Vernunft und Güte?

Nichts weiter doch als Psychen-Kitt,
sich zu verhehlen, dass in der Substanz
notwendig Irrtum, Schein, Gewalt und Leere wüte ...

Dass keiner war je, der sich nicht entglitt:
Bedürfnis-, Trieb-, Verfalls-Brisanz ...
so Einsamkeit und Scheitern glühte.

Überlegungen während schwindender Späte (147)57

Was könnte ich in den paar Jahren,
die ich wohl habe noch, mir Gutes tun? -
Ich meine wirklich Gutes, mir gemäßes,
das sich verwirklichen auch ließe?
Doch dazu müsste ich erkennen, was sie prägen,
gefährden, gar zu schweren machen könnte.
Und das vorherzusehen, ist gar nicht möglich.
Wenn ich, was jetzt ich für gegeben halte,
in Rechnung stelle, nun dann muss ich sagen:
Das Gute wäre, all dem zu entrinnen:
Der Despotie der Tugendlügen,
der seelischen Verkümmerung,
Gewissenstod und Selbstzerfall,
der Digitalisierungsratiofalle,
Politnaivität und Wirklichkeitsverlusten,
den Barbareien dieser Spätzeitfarce,
die unvermeidlich werden sein:
Die Wohlstandsparadiese gehen unter …

Entrinnen? Selbstmord könnte ich begehen
(vielleicht das Beste in der Tat,
weil alt und krank und nutzlos doch:
Markt und Gesellschaft eine Last;
zumal wenn ich verlöre dieses höchste Gut:
die Wendigkeit des Geistigen).

Indes zu feige dazu und zumal getrieben
von Neugier, was noch bringen werden
die Jahre hin bis zum Erlösungs-Nichts.

Exzesse des Massensubjektivismus (148)58

Leerformelvirtuos gesteuert,
effekthörig rückgekoppelt an ihresgleichen,
erlebnistotalitär in sich selbst gefangen,
vollziehen schauspielernde Ichschwache,
medial dauergeschult in Sachen Pseudo-Individualismus,
nunmehr hemmungslos den letzten Akt einer historischen Aufklärungsposse: 
Den Gang in die digitale Gefangenschaft.

Vereinzelt,
belämmerungshedonistisch,
effektsiech,
behelfsatheistisch
und überhaupt 
jedes kulturellen Haltes bar.

Am Ende,
sich ihrer selbst sowieso nur noch 
augenblicksweise gesteigert gewahr,
dann definitiv hilflos entwürdigt …
jedweder Mündigkeit beraubt.

Bewahrender Konservativismus (149)59

Warum denn nicht frivol sich einfach gehen lassen,
erleben, sich erfinden und verdinglichen?
Sich kindisch hinzugeben sei es Popstar-Assen,
sei’s Selbstkonsum, sei’s all den Tricks und Schlichen,

wie sie der Markt uns bietet; auch uns abzulenken
und traumgefügig zu entreißen
in Wirklichkeitsverluste (Lust- und Drogen-Tränken),
damit wir, unfrei selig, um uns selbst nur kreisen?

Da Nein zu sagen, das ist freilich nichts als Perspektive,
auf Werten ruhend, die schon längst zerschlagen,
verlästert wurden grad als selbstzwangintensive,
sich willig einzufügen hochprekären Lagen.

Indes grad die’s doch sind, sich selbst zu feien:
Totalitärem Wohlstandsnihilismus zu entkommen,
dem Säuseln geistkorrupter Machtlakaien,
narzisstisch-mittelmäßig von sich eingenommen.

Autonomie beruht auf Einsicht, Selbstzwang und Askese,
auf radikaler Selbstentbergungsmächtigkeit,
ist strenge Disziplin und Hochkultursynthese,
ein Wertbegehren gegen diese menschlich arme Zeit.

Ramschgesinde (150)60

Im Grunde sind wir alle Ramschgesinde,
das, warenhörig fremd gesteuert,
ein solches Dasein muss bestehen,
das immer mehr sich wird zur Falle.

Es ist bis in die Kerne Finte,
die es als höchstes Gut beteuert,
auf dass erlebnisprall es unbesehen
sich Illusionen kralle.

Kann gar nicht sagen,
wie das an mich widert:
Subjekte, die sich müssen unfrei wagen,
bombastisch seelenkalt verbittert.

Uns selber ausgeliefert. Ohne Gott (151)61

Uns selbst vollständig ausgeliefert,
werden uns selbst wir nicht entkommen.
Sind wir als Ratioknechte doch zutiefst irrational,
völlig außerstande, uns vor uns selbst zu schützen.

Einsichten, die genügen, um zu wissen,
wohin wir letztlich wohl gelangen werden …
Zumal von Gott verlassen, dieser Großfiktion,
uns Ausweglosigkeiten zu ersparen.

Fundamentalmangel (152)62

Entgottet alles, metaphysisch tot,
was Grund doch hätte, 
über sich hinauszuweisen.
Nur Marktgedopte noch, 
die um sich selber kreisen,
erstarrte Seelen ohne Lot.
Indes auf Geist verwiesen alle Stunden,
weil radikal verdinglicht, faktisch Dinge …
Als haltlos infantile Kunden
entknoteter Gewissenschlinge.

Wir Kreaturen unsrer selbst (153)63

Dauernd fliehend vor was ist,
wirklichkeitsverlustig so,
was wir gar nicht mehr bemerken,
sind wir selbst uns unterworfen,
süchtig nach Belämmerungen,
psychisch kaum belastbar noch,
Lagen oder Faktenwirren
anzugehen, auszudeuten, 
um sie letztlich so zu meistern,
dass sie uns nicht überrollen,
drängen in Verlegenheit.
Wohlstandsdekadente,
zeigend sich als
prekär, gewissensarm, 
rauschsiech emotionsdebil,
seelenkalt entlastungslüstern,
inszenierungsschroff zumal 
und affektstummrational …
Tugend-, Wert-, Effekt-Schauspieler,
immer siecher, asozialer,
mittelloser, unbedarfter,
als Gesellschaft sich zu halten. 

Der Zwang zum Selbstbetrug/Sonett (154)64

Die Welt hab ich nun einmal so gesehen:
Dass sie nicht sein kann, was sie sollte sein.
Sie ist prekär; ist’s ständig; und so kein
Vernunft-, vielmehr Entlastungstraumgeschehen.

Und dies notwendig. Muss man doch verstehen:
Die Menschen sind sich selbst fremd und allein,
sind angewiesen auf Bedeutungsschein,
in dem sie sich um Wohlstandsträume drehen.

Wie etwa Freiheits-; Glücks-, Erfolgsschimären,
die als Fiktionen sie dann nicht durchschauen.
Auch weil sie psychisch würden sie beschweren,

wenn sie sie griffen als die zeitgeistgrauen
Bedeutungs-, Sinn- und Selbstgelingens-Mären,
auf die nur Faktenblinde können bauen.

Das Normale (155)65

Was gäb’s denn schon von mir zu sagen,
dem objektiv bedeutungslosen
Erdulder fader Alltagsplagen.
Meist kleinen, aber auch mal großen?

Da ist nichts weiter zu erwähnen,
was irgend könnte andere berühren.
Da gibt es Leid, da fließen Tränen.
Gibt’s Grund, sich einsam zu verlieren.

Was an Verzweiflung nagt und Bitterkeiten,
erfahre ich als das Normale.
Auch darin nicht zu unterscheiden:
Wir alle essen doch von seiner Schale.

Die gegenwärtige Gesellschaft IV (156)66

Ideologen, Staatsschauspieler, Kunden;
Orientierungslose, Fetischisten,
die Lust beschwören, Geld und Selbstwert-Runden,
als ob das hälfe, seelisch-geistig sich zu rüsten.

Indes: Wer käme ohne die denn noch zurecht?
ist der Verbraucher primär dies doch heutzutage:
entlastungssüchtig … dass er schlecht und recht
diese Verfalls-Gesellschaft noch ertrage.

Die man den Einzelnen kann nicht zum  Vorwurf machen:
Die zwar Erschaffer sind, doch Opfer auch:
Sie müssen sich erleben doch als Sachen,
weil zwanghaft diesseitshörig ohne Gottes-Hauch.

Denn letztlich ist es dieses Grundgebrechen:
Dass Wohlstand keinen Daseinssinn ersetzen kann:
der Kunde muss notwendig nihilistisch sich verzechen ...
Als Leib-Ding haltlos: ohne Jenseits-Bann.
 

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