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Diese Seite enthält 60 Gedichte (Prosa- und Reim-Gedichte)
Genauer betrachtet (983)1
Überall nur
grau in grau:
Einfalt, Stumpfsinn,
Seelenöde …
Ich selber sage
dazu wow! …
Damit ich,
zeitgeistfromm,
gleich mit verblöde.
Dorfschatten: Für R. H. (984)2
Gestammelt kindliche Geschichte:
Schon lange, lange her.
Verschwunden in der Dichte
der Jahre ohne Wiederkehr.
Und der ich einstmals sie erzählte,
nun, die ist auch nicht mehr.
Der Krebs, der sie so quälte,
warf sie ins Krumen-Meer.
Sie handelte von einem Sehnsuchtsleid,
bedrückend trauerschwer.
Noch heute glimmt ihr Daseinsscheit.
Macht mich noch immer trostlos leer.
Dorfschatten/Für A. P. (985)3
Du lebst nicht mehr.
Ich hörte es.
Du, ferner Kindheit
Zartgebet.
Ich hielt dich einst
an Dämmertagen
so scheu beglückt
an meiner Hand.
Und schick dir nun
ins nasse Grab
das Menschlichste,
was ich noch habe:
Ein letztes Tränenpaar
aus meinen kalten,
so weltschroff spöttisch
mitleidlosen Augen.
Ein langsamer, hochkomplexer Prozess (986)4
Es lohnt sich nicht mehr,
teilzuhaben
an dieser dekadenten Spätzeit-Posse.
Zumal je feiner sind
die Seelengaben,
man umso mehr
erfühlt die fade Gosse,
die als Gesellschaft
sich herunterbringt:
Ins Pöbelhafte sinkt und sinkt.
Bis schamlos-aggressiv
sie sprengt die Schlüssel-Waben:
den Staat, das Recht
muss untergraben ...
Bis endlich sie
in Anomie ertrinkt.
Prosafetzen (65) (987)5
Ich konnte es einfach nicht
- ich wiederhole mich,
weil es mir selbst so sonderbar erscheint -:
Mich überlassen, meine ich,
diesen so typisch
menschlichen Aspirationen
(von denen ich freilich,
es sei offen zugegeben,
gelebt, profitiert und gezehrt habe,
eben weil die anderen sich ihnen
fraglos hingaben) :
Wohlstandserwerb und -mehrung,
die Anerkennung anderer zu erlangen,
existenzielle, soziale und überhaupt
Erfolge zu erzielen:
Etwa in einem begehrten Beruf
innerhalb einer betrieblichen Hierarchie;
eine Familie zu gründen,
Dazugehörigkeit und
Solidarität zu erfahren …
Ich konnte es einfach nicht.
Von vornherein verwiesen
auf innere Leere,
Sinnlosigkeitsgefühle,
krankhaftes Misstrauen,
Einsamkeit, Tagträumerei,
pathologische Verschlossenheit,
zumal ohne jegliches Interesse
an gesellschaftlichem Aufstieg,
Geborgenheitsnetzen, Geltung
und was sonst noch klugerweise
für einen erstrebenswert sein sollte -
und normalerweise auch ist.
Ohne dass, wenn ich es
nüchtern, redlich und objektiv sehe,
je irgendjemand das
zu verantworten gehabt,
absichtlich gewollt,
boshafterweise zu meinem
Nachteil betrieben hätte.
Ich habe mich indes längst
damit abgefunden,
niemanden für das,
was ich war,
wurde,
bin und bis zum Ende sein werde,
zur Rechenschaft ziehen zu können:
An meinem Schicksal
ist niemand schuld.
Zumal ich auch die nur schwer
fassbare Widersprüchlichkeit
des Fundamental-Existenziellen:
sein Zufallswalten begriffen habe:
seinen hintergründigen Eigensinn,
seine Undurchschaubarkeit,
seine ihm wesenseigen
kommandierende Verfügungsmacht
über das von ihm gelenkte,
faktisch ein Leben lang
hin und her geworfene Individuum.
Haben mich selbst doch jene meine
subjektiven Absonderlichkeiten
- wie oft von mir als bedrückend,
asozial, armselig und minderwertigkeitsträchtig
empfunden -
direkt, genau genommen: notwendig,
in ein primär geistig bestimmtes Dasein geleitet …
eines, das für mich segensreicher,
selbstmachtintensiver und wirklichkeitsnäher:
Stundenweise vollendungsträchtiger
hätte gar nicht sein können.
Für mich. Nur für mich.
ZINSJA (37) (988)6
Es ist mir definitiv nicht gelungen,
jemanden zu verachten.
Noch nicht einmal mich selbst.
Obwohl ich zuweilen
gute Gründe gehabt hätte,
genau das zu tun.
Genauer: Ich hätte es tun müssen.
Angemessen wäre es allemal gewesen.
Indes habe ich immer,
und zwar ausnahmslos,
sehr deutlich gefühlt,
dass nicht eine oder einer,
auch nicht ich,
die oder der sich handelnd vergriff,
dabei auch nur ansatzweise frei,
bei Sinnen,
vernünftig gewesen wäre,
selbstdistanziert-rational,
in Kenntnis aller Umstände,
faktisch über sich verfügt hätte.
Was nichts entschuldigt,
nichts wieder gut macht;
aber immerhin korrekt erklärt.
Methexis (Teilhabe) (989)7
Draußen im Zeitraum
geifern die Sinnsucht-Surrogate,
trunken vor Dingheit,
Zeichen und Selbsttrug.
Manche entlarve ich geistig,
manche, auf sie angewiesen,
schweige ich an.
Teilhabend
an einem Mittelkosmos,
dem zu entrinnen
niemandem mehr gelingen kann.
Dreht er sich doch
längst in diesem selbst:
Immer zwingender,
immer auswegloser,
immer nu-dichter,
immer unbemerkter.
Verwehungssucht (990)8
Denkst an des Eros Körpermohngebete,
den Hautgottschub, dich hirnlich abzusenken
in Strömen tief beglückender Vereinfachung
in jene Gegenwelt verzückter Unterschiede.
Die jähe Fremdheit lösen in Verträumtem,
wie Gier es allergreifend dir befiehlt.
Zu feiern Selbstzerfall in träger Stofflichkeit,
Verwehungssucht geborgen anbefohlen.
Abhängig - in Du-Wirren (991)9
Augen-Menschen, wirre Sehnsuchtsknechte,
um sich selbst betrogen.
Starrend auf Gefühlsgeflechte,
dann hineingezogen.
Dass sich kommandiert sie rieben
manche Last aus Daseinsschweren.
Fronend ungeahnten Trüben,
die nur mit sich selbst verkehren.
Ganz allein in sich gebogen,
unbekannten Zweck an lieben.
Synthesis I (992)10Vergleiche (44/2314)
Ich bin zuletzt dem Geist nur treu geblieben:
Gedichten und dem Kerngedanken,
dass alles nichtig sei, weil drastisch hintertrieben
durch Ichsucht, Zeit und der Materie Pranken:
Die Dingweltflucht und Unverfügbarkeit
des Ich und fremder Artgenossen,
die Sinn und Zweck, die jede Normeinheit
belassen leer, Vergeblichkeit doch hingegossen.
Sinn, Zweck? Fiktionen. Wie der freie Wille auch …
Bedarfstagträume auf Entlastungsgleisen.
In jedem Augenblick indes ein Hauch
der kommandierend kalten Weisen:
Die du umfingst in Stundennächten
zerschlugen dir, wie sich, Belang …
Man muss und kann nur für sich selber fechten.
Allein. Allein Verfehlen, Träne, Angst und Zwang.
ZINSJA (115) (993)11
Das macht die Stimmung,
macht der Augenblick,
dass ich an deinen
Körper denke …
Dich selbst vergesse,
deine Niedertracht.
Und voller Sehnsucht
meine Gier hinlenke
auf Trancen einer Liebesnacht:
Den Ich-Trug
einer Leibermesse.
Mit dir gefeiert
als Entfremdungs-Glück.
ZINSJA (123) (994)12
Ob’s mit uns was auf sich habe,
nun, das glaub ich nicht.
Selber doch ein kleiner Wicht,
der sich zuspricht diese Gabe:
Das zu können: Sich und Welt
bis ins Mark präzise auszudeuten:
Dass sie nichts zusammenhält,
nichts ist als ein Zwangsvergeuden:
Eine Qual und eine Fron.
Freilich voller Hoffnungsschimmer:
Selbstbetrug: Neuronen-Mohn,
uns schönend Gram, Gewalt
und Seelentrümmer.
Nu-Anwandlung (995)13
Ich bin so unsäglich müde.
Der Krieg, das Virus,
der Klimawandel und
der wirtschaftliche Niedergang
zerren an mir.
Indes ich mir vergegenwärtige,
was wir sind:
Ich und meine Artgenossen …
Täuscher. Versager. Barbaren.
Hilflos arrogante Irrationalität:
Tugendpathologie zuweilen auch.
Zeitkristall (996)14
Traumwund huschen mir die Jahre hin.
Als bärgen sie mir tote Innenwelt.
Sie schießen gramstumm in ein Kindheitsfeld
mit Sommern balgend um erhofften Sinn.
Und Ende. Dass sie sich doch bald verlören,
schon längst doch ihrer selber müde.
Verzweiflungskalt sich endlich selber zu zerstören.
Schon viel zu lang im Sog der rohen Niete,
die man das Dasein nennt: Rein atomar.
In Zeit verfügte Trance und Lotterie,
der hinging längst Milliarden-Schar
in Grausamkeit von Was und Wie.
Sinn-Gelass/Für Chrisbe (997)15
Bilder fluten sehnsuchtssüchtig
durch Berührungsspäten,
Bilder, die die Lust betonen
als des Stoffes As.
Indes wissen wir, wie flüchtig
Zufallsschergen Glück herbeten,
welches oftmals dann muss fronen
brüchigem, gescheitert blass.
Aber das ist null und nichtig,
locken deiner Grotte Lethen.
Die von dieser Welt verschonen …
Wallfahrt in dein Sinn-Gelass.
Todessehnsucht I (998)16Vergleiche (44/2318)
Es gibt sie, diese leeren Stunden,
da man sich heimlich nach dem Ende sehnt,
ist überdrüssig aller Runden,
die man als wesenlose wähnt.
Dann kann man nicht mehr widerstehen
Resignation und jener Müdigkeit,
der man sich überlässt dann, zu entgehen
zerfallner Existenz-Einheit.
Die Gründe? Ach, die kennt man kaum,
versunken tief nur sich.
Und seinem lebenslang gehegten Traum,
zu meiden diese Welt als leeren Stich.
Sturheit I (999)17Vergleiche (24/1420)
Ich mach so weiter, wie’s mir grade passt.
Und füge Einsicht in gebundne Rede.
Die ist mir eine Leiter aus der Öde,
die alles nur nach Nutzen fasst.
Die alles Zeitgeist und Verbrauch verprasst.
So allenfalls ein Surrogat mir böte.
Zwar nähme mir so manche Last
(mich machte gängig froh und heiter).
Indes zum Knecht auch nur banaler Nöte.
Vom Markt beseelt und seiner Mammon-Flöte.
Mängelwesen* (1000)18
Über so viel moralisch-humane Substanz
- Einfühlungsvermögen und Interesse überhaupt -‚
verfüge ich gar nicht,
als dass ich dem Mitleid,
der Entrüstung,
der Betroffenheit,
der Hilfsbereitschaft und dem Erinnerungsdruck,
die allein in den Fernsehnachrichten
Abend für Abend
von mir implizit eingefordert werden,
nachzukommen auch nur
ansatzweise in der Lage wäre.
Vieles lässt mich zumal völlig kalt,
weil ich abgestumpft bin
gegenüber den Bildern,
die ich teilweise seit Jahrzehnten
als sich ähnelnde
immer wieder sehe.
Ohne mir erklären zu können,
warum man,
was die ihnen zugrunde liegenden Ursachen anbelangt,
nicht längst hat
währende Abhilfe schaffen können.
So hat, habe ich gelesen,
China z. B. das Pro-Kopf-Einkommen
von 430 US-Dollar im Jahre 1980 auf etwa
10 000 US-Dollar im Jahr 2021 gesteigert;
hat es seit 1978 770 Millionen Menschen
aus der Armut herausgeholt;
hat es von 1949 bis 2021 die Lebenserwartung
von 35 Jahren auf 77 Jahre angehoben …
Glanzleistungen,
die kein anderes Land zu vollbringen
in der Lage gewesen wäre.
Aber das muss doch auch
nachvollziehbare Gründe haben,
warum andere Länder
das nicht geschafft haben;
im Gegenteil:
Ihre Wirtschaft massiv geschädigt haben dadurch,
dass sie die sie tragenden Eliten verleumdeten,
sich selbst durch Korruption zugrunde richteten
oder ihr Land durch Krieg in den Ruin trieben.
In der Tat: Gründe muss das haben.
Und ich ahne auch, welche, präziser:
welche auch.
Ich beschränke mich, sie lose aufzählend, auf die,
die Chinas Aufstieg erklären können:
Hochkultur, Geisttraditionen, Volks-Intelligenz, Disziplin, Realitätssinn, radikales Konkurrenzdenken,
Selbstbestimmungswille, Machtliebe, Rücksichtslosigkeit, Erniedrigungsscham, Stolz, Rachegefühle, Erwerb von Reichtum, Sendungsbewusstsein, globale Führungs-Ansprüche,
Nationalismus, Tugendarmut, Betrug, Partei-Totalitarismus, atheistische Staatsmetaphysik, unbekümmerte Technologie-Nutzung, Han-(Übermenschen-)Egozentrik:
Besonderheits-Bewusstsein, Auserwähltheit,
Gefühle natürlicher Überlegenheit, Unmenschlichkeit,
Grausamkeit, Rücksichtslosigkeit,
Spielen nur nach eigenen Regeln,
unbedingter Wille zu dauerhaft globaler Vorherrschaft
(kulturell, politisch, ökonomisch, technologisch,
militärisch, ethisch, sportlich …) …
Bewundere ich alles das? Nein.
Aber sicher ist, dass man,
wenn man nicht wenigstens
einige dieser Gründe verwirklicht,
ein Paria bleiben wird,
sich selbst und der Erde eine Last.
*Mängelwesen. Zentralbegriff in Arnold Gehlens Werk "Der Mensch"
Hirndrang (1001)19
Je näher, desto fremder.
Mir. Diese Welt.
Hirndrang. Nach außen gesetzt.
Notwendig.
Gleichungsaltar und Seelenzuchthaus:
Berauschende Abrichtung
zur exemplarischen Monade.
Und niemand
wird dem entkommen.
Niemand dann irgendwann,
spät, noch begreifen,
was wird verloren gegangen sein:
Gott, Geist, Sinn, Zwecke.
Der Mensch selbst.
Andeutungen über die Dorfschatten (1002)20
Was haben sie mich tief geprägt!
Obwohl wir nicht sehr nah uns waren.
Haben mich seelisch gleichsam grundgelegt
mit ihrem Sosein, Scheitern und Gebaren.
Ich rede von den Dörfler-Seelen,
die mich von früh auf miterzogen.
Meist solche, die sich mussten quälen
mit ihrem Kummer-Dasein: kalt-verbogen.
Sie lungern noch durch meine Geist-Paläste,
wo selbstverachtungssiech sie mich belehren,
dass sie warn nichts als Ausschuss-Reste,
gebeugt, verachtet - zählend Daseins-Leeren.
Sie haben sicher Manches beigetragen
zu meiner radikalen Nihilismus-Sicht.
Sich selbst benommen zu versagen,
neurotisch-hilflos auf sich selbst erpicht.
Einsicht (1003)21
So viele formelgenerierte verbrauchertypische Glückschancen:
Erlebnis-Räusche, Entlastungsmagien, Zwangsvollzüge,
auch, um die flüchtige Anerkennung
anderer zu erhaschen …
Kollektive Selbstverschwebungsprozeduren.
Und so wenig psychische Halte, Freuden, Zufriedenheit.
Zumal ohne Bewusstsein davon, sich von all dem
zuweilen doch unbedingt distanzieren zu sollen …
Und sei es nur, sich in hellen Momenten wenigstens abstrakt
zu verdeutlichen, dass jener als Pleonexie gelebte
halluzinatorische Subjektivismus kein Dasein zu tragen vermag.
Denn dieses - soll es denn auch als eigenes gelingen -
wird unbedingt erfordern, sich mehr zu sein als ein
Bedürfnis-Ensemble heteronomer Illusionsvollzüge …
Sich mehr zu sein
als eine sich leibzentrisch aufzehrende
ökonomische Größe im Dienste abschätzig beachteter,
entfremdungsnarzisstischer Prestige-Kreatürlichkeit.
Andeutungen über die Liebe (1004)22
Mir ist die Liebe völlig fremd geblieben:
Existenzielle Grundfiktion,
berechnet hin auf Selbstwertsteigerungen.
Vielleicht nur möglich noch als do ut des.
Ist doch die Welt, der wir sind aufgerieben,
- für uns oft nur Verführungsmohn,
dem wir sind medienabgerichtet ausbedungen -
uns sekundäres, allgemeines Es.
Und das, das zwingt zu Selbstaufgabeformen,
so etwa dazu, selbst uns zu begehren
als Kult-Erlebnis-Freie ohne Normen,
die jenem sich entfesselt dann gelenkt verzehren.
Kurzum: Die Liebe, trägt sie überhaupt,
dann nur als Selbstschutz noch und Not-Geborgenheit.
In einer Welt, die sie als Wert nicht mehr erlaubt;
nur noch als Notbehelf in Kunden-Leid.
Sinn (17/1005)23
Man muss nie fragen,
was er sei,
wenn man ihn hat,
weil man ihn,
geistig handelnd,
lebt.
Und er allein kann
einen leitend tragen
durch dies komplexe Vielerlei
gegebner Welt,
die analytisch sich verbebt.
Die, fehlt er,
doch nur findet statt
als letztlich hochriskiertes Wagen
und völlig deutungsloser
Seins-Aufschrei:
als Ich-Auflösungs-Orgie,
Rauschzwang,
der das Selbst zerfrisst,
entmächtigt die Person.
Und so denn einen unterwirft
dem lastend späten Sapiens-Joch:
Umsonst zu spüren
in gleich welchen Lagen ...
Ein metaphysisch toter
Nihilismus-Klon.
Leeren-Dionysien (1006)24
Die Leeren trinken sich
selber aus.
Die Leeren innen
und die Leeren außen.
All die,
die Füllen in die Psychen lügen.
All die,
die diese selber sich erdichten.
Bestandsgaranten dieser Wohlstandsreiche.
Richtungslos und geiferträchtig.
Allverrohend rauschversetzt.
Außer sich vor Sehnsucht schon
nach Betörungsuntergang.
Alleinsein (1007)25
Alles in allem erscheint mir das Alleinsein
als der mir am meisten zuträgliche Daseinsvollzug.
Ist doch unter den Bedingungen
des kommandierenden Zeitgeistes
potenziell jedes Du ein Multiplikator
dessen vulgäreskapistischer Verführungsmächtigkeit.
Alles in allem
werde ich nur allein mich so erträglich verfehlen,
nur allein auch mir,
menschlich verzeihlich,
mich versagen dürfen.
Mir einer Existenz bewusst,
die sicher, bequem und wohllebensträchtig
nicht absurder,
trivialer,
leerer
und langweiliger sein könnte.
Erotische Vollendungstrance (1008)26
Ein Hautfeld Trance, nur Drangsal, Träumerei:
Verzückungsgipfel, die man schenken kann.
Dem Du verfallen, seinem Schrei
nach Lösung aus dem Faktenbann.
Sich körperhörig hinzufließen
in Augenblicke, tiefsten Ernstes trächtig.
In Stoffrausch ohne Worte sich ergießen.
Der Physis und des Geistes Einheit mächtig.
Hat doch der Körper auch sein Großes.
Obgleich er nichts ist als Atomgefüge.
Und Schmerzgebilde eines Zufalls-Loses,
Verwehungs-Gram, Verfall, Vollendungs-Lüge.
Das ist des Eros höchstes Wirken:
Dass er den Körper hebt aus seinen Grundgestalten.
Ihn anverwandelt Sinn- und Geistbezirken.
Befreit von drückenden Basalgewalten.
Wofür ich stehe (1009)27
Ich stehe ein für Geist und Intellekt.
Nicht dafür,
dass man nur sein Ich soll fassen.
Schon gar nicht dafür,
dass man Jetzt um Jetzt aufleckt,
sich Ramscheffekten so zu überlassen.
Doch dass naiv das ist,
das weiß ich wohl.
Verfehlt es gänzlich doch die kruden Fakten.
Wir sind Gefangene,
die selbst sich schufen
ein Warenreich lancierter Seligkeiten:
Behelfstrostchancen,
metaphysisch hohl,
uns oberflächlich inszeniert zu takten.
Zum Beispiel hochzusteigen
über alle Klippen,
um als Sozialreflex
sich an sich selbst zu weiden …
Wer gäbe denn noch was auf Geist?
Das hieße,
selber sich ins Abseits schieben,
so, dass man sich entgleist.
Weil man daselbst,
hält man es durch,
nur Einsamkeit noch kann
und Einsicht lieben.
Indes wird psychisch kippen.
Spätes Resümee (1010)28
Bald wird es das für mich gewesen sein.
Dann werd ich bleiben nur als feine Asche.
Dem Wind geweiht,
sie spielerisch umherzutreiben.
Doch fragte wer,
wie gegen Ende nun,
vorm Nichts,
ich dieses Dasein kurz zusammenfasste,
tatsächlich fremd doch,
ziemlich ungreifbar,
oft nur absurd und gramvoll war.
Dann sagte ich - und löge nicht -:
Gelohnt hat es sich allemal,
denk ich nur an die Geistesstillen,
an Wissen,
an des Eros Rauschmagie.
Zumal doch auch Gedichten eingewoben,
erahnend diese Gleichungswelt …
Ja doch: Als stillen Taumel auch,
Befehl durchgotteter Bewisperungen.
Frühes Zuhause (1011)29
War’s auch ärmlich,
manchmal roh,
oft bedrückend,
kaum mal gut,
dass ich es
zuweilen floh,
mich im Wind
auf Sand berückend
mit geträumter Glut ...
Wurde es mir
doch zum Hort,
Ausgang
dieser Daseins-Lehre:
Dass in Phantasie und Wort
dann vergehe alle Schwere,
wenn’s gelänge Apathie,
jener Schwere Zwang zu meiden:
Ihr durch Sprache und Magie
protogeistig zu entgleiten.
Vermutete Täuschungen (1012)30
Man selber benutzt diese Worte ja auch:
Bedeutung, Wille, Zweck, Sinn.
Redet etwa davon,
dass einem diese Person
oder jene Sache etwas bedeute,
besteht hartnäckig darauf,
dass man frei wählen,
sich entscheiden könne zwischen mehreren Alternativen,
weiß intuitiv,
dass man ohne Wertvorstellungen
sein Dasein nicht würde meistern können,
egal,
ob im Alltag oder gar
in außergewöhnlichen Lebenssituationen,begreift vielleicht sogar,
falls man denn überhaupt darüber nachdenkt,
dass man tatsächlich nicht nicht wählen kann,
ja, dass man schon dadurch allein,
dass man existiert,
zugleich selbst Geltung ist und beansprucht.
Auch setzt man selbstverständlich voraus,
dass es so etwas wie einen übergeordneten Sinn gebe,
sowohl des eigenen Daseins als auch der Welt,
die man erfährt,
indem sie einem widerfährt.
Auch werden wohl die meisten Menschen eine diffuse,
gleichsam kommandierende Sehnsucht nach Liebe,
Anerkennung,
Geborgenheit,
Sicherheit und Erfolg verspüren.
Sogar eine Gottesvorstellung,
wenigstens als Paraphänomen der Gehirn-
und Sprachentwicklung,
wird jeder haben,
er mag noch so viehisch und stumpfsinnig sein.
Nichts weiter als Bedarfsfiktionen all das,
wenn man es einem scharfen Realitätssinn
und zugleich redlichen Intellekt aussetzt:
Oft nichts als subtile Mittel
der Macht- und Selbstwertsteigerung,
immer aber Entlastungshalluzinationen
im Dienste rechen- und zwanghafter Sozialverkittung
oder faktenflüchtig beglückender Selbsterhaltungs-
und Überhöhungs-Despotie.
Alltägliche Erfahrung I (1013)31
Der äußere Eindruck jedenfalls
- Autoklasse, Kleidung, Wohnviertel, Bekanntheitsgrad,
öffentliche Präsenz, soziale Stellung usw. -
signalisiert dem effekthörigen Zeitgenossen unmissverständlich,
wen er vor sich hat:
Einen Sieger,
einen Promi oder Star,
einen armen Schlucker,
einen aus der Masse der Vielen
oder gar einen Straßenschatten.
Völlig überfordert freilich ist er,
wenn er konfrontiert wird
mit einer phrasenbereinigten,
grammatisch korrekten,
präzise formulierten,
inhaltlich hochkomplexen sprachlichen Aussage.
Insbesondere dann,
wenn diese sich über ökonomische,
militärische,
politische,
gesellschaftlich-soziale
und kulturelle Gegebenheiten auslässt,
die dem tugendhaften Zeitgeistoptimismus
und zumal
den Erlösungsversprechen der Reklame zuwiderlaufen.
Weshalb ich mich unmissverständlich dagegen ausspreche,
solche Aussagen öffentlich zu tätigen.
Die heute noch jungen Menschen werden
sowieso noch früh genug erfahren,
was das Jahrhundert ihnen
an für sie dann völlig unbekannten
Erfahrungen bescheren wird.
Global gewirkte Determinationen (1014)32
Ein Spätling bin ich, ausgesetzt
global verfügten, manchmal surrealen Lagen.
Es wäre sinnlos, mich zu fragen,
was mich da alles hetzt
an Güter-, Gleichungs-, Börsen-Diktaturen …
Ich weiß es wirklich nicht,
was mich da presst.
Nur dass es ungreifbare Spuren
in Denken, Fühlen, Werten hinterlässt.
Mir ist die Übersicht entglitten.
Und mit ihr die gesunden Maße.
Nicht kann ich mich verlassen noch auf Mitten:
Verfügt entfesselter Verneinungsblase.
Selbstmonadisierung II (1015)33/Vergleiche (10/592)
Die Schal- und Plattheit
dieser Verbraucherexistenz
bezeugt besonders drastisch auch
das zeitgeistkonform
dauergereizt attackierte Innenleben.
Man muss sich völlig in sich selbst halten,
hermetisch gleichsam abdichten,
um nicht vereinnahmt zu werden
durch chronischen Reklameterror,
arrogant kommandierenden Moralismus,
medial erzwungene Deintellektualisierung
und jene neidgenerierte Diktatur
eines letztlich geldwirtschaftlich fundierten
depersonalisierenden Egalitarismus.
Opportunist (1016)34
Opportunistisch? Ich? Ja doch. Ich bin’s.
Was soll ich auch sonst machen
als Mensch im Solde des Gewinns?
Wie viele andre Marktfellachen.
Muss ich nicht täglich Rollen spielen?
Auch wenn das meine Selbstachtung verbrennt?
Na ja, ich habe mich da durchzuwühlen.
Wie jeder, der die Regeln kennt.
Muss meine Arbeitskraft verdingen.
Auch buckeln, andern nach dem Munde reden.
Hier geht es nicht um ethisches Gelingen.
Hier geht’s um Leistung und Moneten.
ZINSJA (81) (1017)35
In der kommandierenden Illusion
des Absoluten tief befangen
und kindlich gläubig sich überlassen …
Das ist das Höchste,ist die
unüberbietbare Glückseligkeit
definitiven Über-sich-selbst-hinaus-Seins.
Über Daseinsfakten. I, II und III (1018)36
I
Nie habe ich an irgendein Ideal geglaubt.
Sei es ein metaphysisches,
sei es ein ethisches.
Oder auch politisches.
Für mich ist der Mensch gar nicht idealfähig,
zumal weder vernünftig noch gut.
Er ist durch und durch irrational.
Und vermag daran nicht das Mindeste zu ändern.
Auch Technik und Naturwissenschaften
sind dieser Irrationalität definitiv unterworfen.
II
Ein Ideal, das ist ein geistig leitendes Ordnungsschema,
verdichtet in faszinierenden Schlüsselbegriffen,
wie etwa Gott, Idee, Geist, Würde, Vernunft …
Es stabilisiert die Innenwelten,
richtet sie aus, trägt sie, lenkt sie ab
von den undurchschaubaren Faktenlagen.
Indem es, etwa, die Welt vereinfacht
und als diese vereinfachte in ihrer Substanz erklärt.
So erlaubt es innere Absättigung:
Orientierung, seelische Gesundheit.
Indes es bewahrt einen auch vor Selbstzerfall:
Vor Nihilismus, Daseinsangst, Verzweiflung,
Hilflosigkeit und personalen Verwahrlosungen,
sei’s in Gossen-Erlösung,
sei’s in Selbstmordanwandlungen …
Aber auch deshalb mag man es nötig haben:
Um sich über die Tatsachen dieser Welt,
des Menschseins überhaupt
und sich selbst hinwegzutäuschen.
So gaukelt es dem Individuum einen freien Willen vor,
dies, dass es Herr seiner selbst sei,
dass es Verantwortung und Schuld gebe,
die Welt begreifbar, beherrschbar und gestaltbar sei …
Auch abzulenken davon, dass diese Welt
- Materie, Natur, Staat, Geschichte, Gesellschaft … -
nicht steuerbar ist,
dass alle Gesellschaften selbst, unabsichtlich,
hinter ihrem Rücken ihren Untergang herbeiführen,
ihre Grundlagen zerstören (zuerst die kulturellen) …
Davon aber auch, dass wir wesensmäßig Getriebene sind,
solche, die eine Artefakten-Öde schaffen mussten,
wie wir es taten: Intellekt-Knechte. Ausweglos:
Techniker und Naturwissenschaftler.
Nichts wird uns retten, gar nichts, vor diesem
evolutionär gewachsenen Gehirngeflecht,
dieser Wesensstruktur
rational geschaffener Heteronomie.
Kausal auf Scheitern, Zerstörung und
Bedrückungsschweren angelegt.
Und eingelassen in substanzielle,
von uns nicht zu überwindende Indolenz,
Gewaltsucht und Bestialität.
III
Vollendung gibt es nur in Augenblicken,
Gedichten, die sie von sich lösen,
in denen man, all dem entronnen,
um sie zu ordnen, ihrer selbst dann inne,
mag ohne Zwang und Gram sich glücken.
Als Wesenszwänge - schiere Ohnmachtsgrößen -,
ganz Anderem gewonnen:
auf dass man folgenlos zerrinne:
Dem Geist, das Stoffes Auto-Transzendenz,
der jene Mächte greift, sie zu betrachten.
Um sie dann anzuwandeln seiner Exzellenz.
Der stillen, absoluten, trauersachten.
Es gut sein lassen (1019)37
Es ist ja gut so, wie es ist.
Weil anders wäre es noch schlimmer:
Man kalkuliert, vereinfacht, lobt sich, hisst
sich marktverfügtem Ich- und Wert-Geflimmer.
Wer denkt, halst sich nur Sorgen auf,
wird trübsalhart, wird ausgestoßen.
Wer Einsicht sucht, zahlt eben immer drauf.
Zumal wenn alle nur das Seichte kosen.
Noch mal: Ich will es gut sein lassen.
So wie es ist, so sei es recht.
Man schöpft nun mal primär aus vollen Kassen,
verfallen Körperzwängen und Fiktionsgeflecht.
Gedichte: Geistige Verheimatungen und einsichtsträchige Selbstobjektivierungen einer Randexistenz (1020)38
Selbst wenn es möglich wäre, mich zu ändern,
ich würde mich dem radikal verweigern.
Zumal ich immer lebte an den Rändern.
Ob nun sozialen oder kulturellen.
Ich kann mich nur an solchen Rändern steigern,
mir schlagen nur in ihren Tiefen Wellen,
mich zu mir selber: meinem Kern zu tragen:
Zu jenen geistig-affektiv zentralen Stellen,
von denen aus ich mich dann überragen
und ohne Mühe kann mich selbst mir lichten.
Befreit von techno-mammonistischen Gelagen,
in denen andre mögen sich gewichten.
Ich kann das geistig nur: Nur in Gedichten.
*
Mag sein, dass nur für mich ich die Gedichte schreibe
(es wird sie, so wie’s aussieht, niemand lesen).
Egal. Mir warn sie immer wurzelhafte Bleibe,
intelligibler Heimat Zufluchtsort.
Existenziell und geistig zu genesen:
Bei mir verweilen konnte ich nur dort.
Es waren Stunden wesenstiefer Glücke,
erfüllt von Einsichtsschärfe durch das Wort.
Als ob ein guter Daimon mich berücke.
*
So mögen sie zuletzt ein Feuer nähren,
denn Flammen sind sie mir und Selbstkernstücke.
Die mich erhöhen und mich mir erklären.
Wem also sonst noch schüfen sie solch scharfe Blicke?
Wohlstandsmohn (1021)39
Ich nehme ihn,
doch hilflos, hin.
Zumal er trägt.
Macht er doch Sinn,
wenn man erwägt:
Glück gibt es nur als Illusion.
Und eine solche
ist der Wohlstandsmohn.
Und überdies:
Auch er allein noch ist’s,
der treibt:
Ein Zweckdiktat,
das Schicksal schreibt.
Ein goldnes Vlies.
Der Psychen Naht.
Ein Wunder (1022)40
Was die Materie so alles kann!
Sie kann sogar Gedichte schreiben.
Sind es doch ihre, diese Geistprozesse.
Wahrscheinlich schaut sie sich als selbstvollendet an,
weil sie kann Sinnkonstrukte aus sich selber treiben.
Denn solche sind Gedichte. Eine Messe,
die man nur der liest, die sich selber Bann,
kann unberührt, da einzig seiend, bleiben:
Materie, der freilich alles muss, auch Geist, zerfließen.
Sie gar sich selbst am Ende dann in dieses Vakuum,
aus dem sie einst - Nur wann? Wer weiß? -
vielleicht dann wird erneut aufschießen?
Naive Ansinnen (1023)41
Ich wollte immer in die Kerne sehen,
Entlastungsglanz von Lebenslügen meiden,
mich niemals Schein und Trance eindrehen:
ideologisch plumpen Albernheiten.
Mich sollten immer nur die Fakten leiten,
um nicht Phantasmen auf den Leim zu gehen:
So etwa Selbstsuchtüberheblichkeiten …
Ich wollte geistig mich primär bestehen.
Die Kerne? Wer denn könnte die ertragen,
wenn er die Fakten kennt und deren Perspektiven?
Dass er ein Leben lang wird ganz vergeblich jagen
nach Einsicht, Halt und Daseinstiefen.
Wird er doch Trümmer finden, die besagen:
Du träumst Behelfe, die vor Leeren triefen.
Ehrliche Antwort an eine Liebenswürdige (1024)42
Dass du mir nicht genug sein könntest?
Das kann man so doch überhaupt nicht sagen.
Und warum sollte ich dich denn verachten?
Ich habe dazu nicht geringsten Grund.
Auch langweilst du mich nicht.
Lass also ab von solchen Fragen,
die du mir, hilflos, immer wieder stellst.
Und jetzt hör zu, ich will es dir erklären:
Mit gilt’s für kindisch auf ein Glück zu setzen,
das ich als solches nicht erfühlen kann.
Wie man es gängig sich erhofft,
mir nichts doch ist als nur Schimäre.
Zumal allein man ist - man kann dem nicht entkommen -.
Verwoben - weiter - ist mit einer Welt,
die einen aufreibt, ängstigt auch,
sich selber immer mehr entgleitend.
Nie könnte ich dir eine Stütze sein,
noch Trost, noch Pfad in ein Entlastungsflimmern.
Schon gar nicht Rückhalt und Geborgenheit.
Nur Dorn, der wüchse deinen Augen ein,
sie öffnete für jene Dinge, die nicht zu sehen Gnade ist.
Zum Glück auch schwer nur klar zu sehen sind.
Von meinem Nihilismus, meinen Leeren,
von meiner dauernden Zerrissenheit,
von meinen bodenlosen Seelenfinten,
von meiner Destruktionssucht
gar nicht erst zu reden.
Spaßandacht (1025)43
Nun diese allgemeine Spaßandacht
hat letztlich auch ja was für sich.
Entkommt in ihr man sich doch
selber Tag und Nacht,
verfügt mit Haut und Haaren ihr
(vom ersten bis zum letzten Stich).
Zumal man dabei drogenwirr
so einsam-zynisch lacht.
An inszenierend sich
der inszenierten Kunden-Schlacht,
die sie doch ist:
Als psychenmürbes, allgemeines Ich.
Im Traum des Absoluten (1026)44
Allein, luzide und von Geist getragen
will ich zuweilen mir noch antikonsumtiv,
das heißt auch: unverdinglicht mir gelingen.
Vorbei an dieser Welt der hochabstrakten Lagen,
die digital ins primitiv Egalitäre zwingen …
Will meiden alle ihre Ich-Dressuren,
sei’s technologischer, sei’s intellektueller Weisen,
noch mal zu folgen jenen alten Spuren:
Den metaphysisch schicksalhaften Gleisen,
den tragisch oft gescheiterten, den inhumanen,
auf denen wir, Natur entlaufen, uns bewegen mussten …
Im Traum des Absoluten noch mal zu erahnen,
dass wir ein Nebenbei sind einer unbewussten
Entfaltungsmacht materieller Zufalls-Bahnen.
Unüberwindbare Fremdheit (1027)45
Das, was du willst,
kann ich nicht bieten;
das, was dir Angst macht,
gleich im Überfluss.
Somit ist klar:
Wir sind geschieden,
uns auferlegt von jeweils
andrem Muss.
Prosafetzen (401) (1028)46
Allen Trägerinnen - mir ausnahmslos unvergessen -
jener mich aufrichtenden,
aus Indolenz und Trauer hebenden Körpertrancen,
die mir manchen Trost spendeten,
mir manche Weltflucht ermöglichten,
mir gar in mancher Stunde
eine Ahnung von Daseinsschönheit,
Sorglosigkeit und Lebensfreude schenkten,
sei dies gesagt (und ich lüge das nicht;
dies zu tun, wäre sinnlos nach all den vielen Jahren):
Keine wüsste ich,
die mir nicht eine menschlich
liebe Bereicherung gewesen wäre,
eine solche, meine ich,
jenseits unserer doch so flüchtigen Kreatürlichkeit,
eine solche mithin
jenseits von physischer Befangenheit,
Rauschverwirrung und dionysischem Selbstverlust.
Gesellschaftsdruck (1029)47
Die Daseinsdespotie
bleibt stets die alte:
Diktierend Selbst
als Was und Wie.
So, dass man sich
von selbst gleichschalte
der so bewährten Strategie:
Sich Glücke vorzugaukeln
und Gehalte.
Obschon sie Träume sind,
heißt: werden wirklich nie.
Feststellung II (1030)48
Zu vergleichen die Gedichte (26/1557) und (26/1558); diese Gedichte erklären ihre Härte aus der augenblicklichen Wut auf offenkundige Lügen, Beschönigungen und Vernebelungen - aus machtstrategischen Gründen
Ich lege nichts in deine Hände,
vertraue keinem deiner klugen Worte
(zuweilen aggressiv und arrogant)
Denn deine Worte zeigten sich am Ende
als der Betrug, der machte,
dass ich mich ganz naiv verschätzte.
Kurzum ich habe dich verkannt.
Nicht dass ich dir da Absicht unterstellte.
Man lügt sehr viel in diesen armen Zeiten.
Was, prüfte man’s, sich freilich
oft auch wohl erhellte
als ungewolltes sich Entgleiten.
Ich will mich ohne dich verfehlen,
allein mir phantasieren Halt.
Mich nicht aus dir,
aus keinen Smarten stehlen:
Aus letztlich fremd vermittelter Systemgewalt:
Bewusstsein zweiter Hand.
Prosafetzen (1031)49
Dass die Jahre immer schneller zu vergehen scheinen,
dagegen kann ich nichts machen.
Ab einem gewissen Alter
ist dieses Phänomen wohl nicht mehr zu vermeiden.
Indes weiß man andererseits,
dass man sich es nur einbildet.
Manchmal denke ich,
ich sollte dem vielleicht etwas entgegensetzen:
Traumwelten, Wortmohn, Indolenz gar,
Verdrängen (Nichtbeachten),
meinen stupenden Wirklichkeitssinn.
Oder diesen sich rapide ausbreitenden
Altersinfantilismus.
Andererseits ist es aber auch ein Trost,
wenn man den Eindruck hat,
die Jahre vergingen schneller:
Dann habe man nämlich,
mag man sich selbstbetrugsgierig einreden,
nicht mehr so lange in dieser doch immer abstrakter,
inhumaner, hässlicher
und gesetzloser werdenden Welt.
Das Wispern der Stadtmauersteine (1032)50
Sie wispern immer noch,
die alten Steine.
Und immer noch dieselben Worte:
Sie bleibe fern dir,
diese feine
so quälerisch sich selber ausgesetzte Horde
von Artgenossen,
die in sich,
n kommandierter Drangsal kleben,
Monaden mit formal nur freiem Ich,
die Alltagslast und Wohlstandsmohn verschweben.
Sich, schuldlos, manchmal ruinieren,
zuweilen auch allein gelassen,
die Straßen scheu und schattenhaft passieren,
verzweifelt sich verprassen.
Würde (1033)51
Die meint, sich seiner Kreatürlichkeit zu stellen:
wie etwa Hab-, Genuss- und Macht-Sucht aus sie machen,
um dann den jeweils eignen Handlungsgrundsatz auszutesten,
ob der, gedacht als Grundsatz aller,
als annehmbar auch dann sich klar erwiese,
weil als der aller auch nicht widerspräche sich.
Und würde man die Handlung dann vollziehen,
dann hätte man als gegenkreatürlich sich erwiesen,
soll heißen autonom: als Würdeträger,
den man Vernunft- statt Triebgefüge-Wesen nennen muss.
*
Indes das Recht kann niemand seine Würde garantieren.
Die ist und bleibt abstrakte Rechts-Fiktion.
Konstrukt ganz ohne Daseins-Lohn.
Man kann nur selbst, konkreter Mensch,
sich sittlich so bestimmen,
wie oben ausgeführt, um jene zu erringen.
Und tut man’s nicht, bleibt Kreatur man nur:
Verfehlt als diese der Vernunft Lektion
Man wird sich lassen müssen dann verführen
durch Geld, Prestige-Sucht, Lust und Macht,
durch Lügen, Täuschen und So-tun-als ob ….
Evolutionszufall
in Zeit-, Verfalls- und Phrasen-Mohn.
*
Tatsächlich ist man Durchschnitt,
gängig angepasst,
durch Propaganda abgerichtet
und gelenkt:
Bedürfnisträger-Selbst,
sich selbst die Daseinsmitte,
das um sich selber kreist
sein ganzes Leben lang,
auf Vorteil sinnt,
auf Wohlstand und Genuss …
Und eben das auch soll
und: das auch muss.
Ein Menschenwesen
wie beliebig andre auch.
Die Unterschiede sind da
nur noch Nebenbei.
Ein Seelendünennetz aus Zufallswürfen,
Person ist man dann
nur geredeweise,
als allenfalls nur leere Form,
zumal doch faktisch Resultante von
tief komplizierten Schnittpunktlotterien:
Subjektgefüge,
aufgerieben einer Welt,
der man verfügt ist,
nicht genügen kann …
die, würdelos, man über sich
ergehen lassen muss,
indem sozial erwünscht
man ihr sich inszeniert.
*
Wer wollte es dem einzelnen verdenken,
dass er nicht fähig ist,
sich von sich loszureißen,
um selber sich dann
autonom zu lenken?
Er würde, tät er’s, letztlich sich
für nichts entziehen
diesem Kunstwelt-Chaos,
das dieses ist doch
ohne Haltgefüge.
Wo jeder sich, es drängt ihn, misst
an Lebenslügen, Augenblicksvorteilen,
emotionalen Selbstentmächtigungen,
narzisstischer Orgiastik
imitierend Star-Debile …
Zumal auch dieser Leere zu entkommen,
wenn Stillen ihn in diese leiten,
zumal kein Gott mehr ist,
ihn aufzufangen,
ihn ahnen lassend
irgend Über-Sein.
*
Und denk ich dann daran
dass wir nichts weiter sind
als Teilchenmassen:
Bloße Stoff-Gefüge,
zerbirst mir vollends
jener Würde-Wahn,
erweist sich als Ideen-Grind …
Als einer jener Überstiege,
Sehnsucht taumelnd
sich zu fassen
als Geistversprechen
und als Gotteskind.
Die meisten werden es so gewollt haben müssen (1034)52
Allzu lange habe ich nicht mehr.
Das ist mir aber nicht nur Anlass zu Bedrückung.
Obwohl ich nicht werde sterben wollen
(das kann man nämlich gar nicht wollen;
es sei denn, man glaubt, es zu müssen,
weil einem das Leben nicht genügte,
einen nicht beachtete,
beiseiteschob,
stiefmütterlich behandelte …).
Eigentlich will ich nur nicht mehr erleben,
wie sich die Illusionen
dieser kapitalistischen Naturzerstörungs-,
Intellekt-, Wohlstands-, Selbsttäuschungs-
und optimistischen Intellektuellen-Orgie
einer von globaler Tugendmacht
ergriffenen Aufklärungsnachhut
in Nichts auflösen werden
(tatsächlich ein zwanghafter Prozess) …
sich erweisen werden als haltlos,
ja naiv,
angesichts der doch wahrscheinlich
nicht meisterbaren Lagen,
die wir selbst
- politmetaphysisch, rational-technisch
und kulturell-ethisch Dauerdilettierende -
werden wissentlich-unabsichtlich
heraufbeschworen haben:
Evolutionär zumal zugleich angelegt
auf Selbstglorifizierung und Selbstzerstörung.
Unserer selbst
in keinem Augenblick doch mächtig.
Ungelogen (1035)53
Ich hab’s geträumt,
nur nebenbei gelebt.
mich dabei absichtlich
versäumt:
Schimären, Traumgefüge,
Trancen angestrebt.
Soll heißen Geist,
Gedichte und Begriffe;
in deren Schutz gereist
bis in die Grundverschliffe.
Die man Verblendungsschärfen:
Scheitern heißt.
Wo man die Kerne sieht,
nicht nur die Schalen:
Im Ich-Abschied
greift die basalen
Verkümmerungen dann
in Reih und Glied.
Lauf an sich (1036)54
Bedeutungslos die Welt.
Und niemals frei das Wollen.
Und ein Fiktionsbedarf, der hält
in immer stoffbedingtem Sollen.
Ob wir das wissen oder nicht …
Sie sind die Kernbezüge, wo sich einen
die Wurzeln aller subjektiven Sicht
im objektiven sich Verneinen.
Als Ismen, Götter und das große
Delirium von Selbst und Ich.
Man kann nur sagen: Es ist nichts als bloße
Verspieltheit atomaren Laufs an sich.
Randdasein (1037)55
Stupende Antriebslosigkeit.
Verzweifelt. Wenn auch ohne Regung.
Die Stunden als die gleichen aufgereiht,
mich ekelnd vor Klamauk und Prägung,
vor Langeweile und vor Selbstverlusten.
Was west, ist dieses Kundenparadies.
Als Konto, Leibmagie, gemussten
Kommandoglücken im Verlies
von Wortschutt, Nutzenmythen, Lust-Anlässen:
Als Schwur aufs Limbische System,
Massivreizung durch Medienmessen,
ersehnte Gängelung … ein Gräuel dem,
der diese Wohlstandsdiktatur begreift
- und sei’s in seelenlosen Model-Blicken -,
zumal noch alte Gegenperspektiven streift
von metaphysisch toten Geist-Geschicken.
ZINSJA (111) (1038)56
Faktisch eine
Menschheits-Posse.
Was andres
ist es nicht.
Pleonexie also
und Schein
und Gosse …
Ein Kollektiv,
auf Barbarei
erpicht:
Der Phrasendeuter,
Massen, Bosse.
Und das muss gehen
trostlos schief.
Guter Mensch (1039)57
Naiver- und kindischerweise,
wollte ich mich aufraffen,
wenigstens zuweilen ein im gängigen Sinne
guter Mensch zu werden.
Aber alles, was mir dabei konkret gelang,
wurde sofort in Frage gestellt und verneint
durch die allgemein tobende Selbstsucht
und zynische Verachtung seines
letztlich jedem zu fassenden Urbildes
(man trägt sie in sich, sei,
wer auch immer, diese Sehnsucht
nach metaphysischer Geborgenheit:
nach Gott).
Einmal ganz abgesehen davon,
dass ich
auf einen Entlastungsstumpfsinn traf,
der mir meine Absicht,
ich geb’s zu,
mehr und mehr drastisch vergällte.
Zeilen für meinen Vater (1040)58
Heut auf den Tag genau sind’s 30 Jahre,
dass deine Existenz zu Ende ging,
die von der Wiege bis zur Bahre
nur sinnlos war. Und du? - Ein Ding.
Von Anfang an, aus Not, missbraucht.
Bis es sich, Gramwut, in sich kehrte
und, Herr wie Umstand, hilflos hingehaucht
sich als Zerfallsdrang schließlich selbst zerstörte.
Ich denk nicht gern an dich zurück:
An alle die Erniedrigungen,
die prägten dein so ärmliches Geschick,
dir doch in keiner Hinsicht je gelungen.
Die Mächte, die dich unterdrückten?
Suff, Herkunft, Krieg, Fabrik und Selbstaufgabe.
Die alle dich brutal dir selbst entrückten,
zerstörten Körper, Scham und die Gewissenswabe.
Rechtfertigung der Reime (1041)59
Um nicht dem Zeitgeist aufzusitzen
und seiner Prosadiktatur, hab ich gereimt.
Vermag doch jener Seelen aufzuschlitzen,
indem er ganz besonders dann aufkeimt,
wenn man sich ihm zu sperren glaubt:
Genau im Brandgefühl des Subjektiven,
das jenem faktisch permanent erlaubt,
sich zu versichern seiner Tiefen.
Er ködert es mit Selbstwertwonnen,
Narzissmus, Laisser-faire und Sex-Einheiten:
Es fühlt sich krasser Lust dann ausgeronnen,
vergisst sogar, sich zu erleiden.
Das Subjektive - noch mal - ist die Einfallstür
für jenes Molochs Abrichtungen.
Er treibt sich in sein psychisches Revier
bis es ihm ist als seins gelungen.
Indes ganz machtlos gegen hochkomplexe Sprache,
zerfällt sein Zauberreich ins Nichts,
entlarvt sich seine Schleimerpropaganda-Brache
als Marktkalkül im Aufschein des Gedichts.
Personen (1042)60
Sind überfrachtet prall die Augenblicke,
dann ist das Ganze eher fad und leer,
genießt man allenfalls die kleinen Glücke.
Als Surrogate und als Weltabwehr.
Was heißt denn das schon heutzutage:
Erfolg und Selbstwertsteigerungen?
Nun: Dass man nicht verstand die eigne Lage:
Man hat sich andern nämlich abgerungen,
hat ihnen sich sozial zurechtgeschliffen,
verdankt Gefühl sich, Eindruck, Meinen
von Fremden, die sich selber kiffen,
verklebt dem eignen eitlen Scheinen.
Man darf sich strikt nur an sich selber halten,
muss suchen sich in eigenen Beständen,
wenn man sich als Person entfalten,
will nicht ein Trugbild von sich senden.
Doch muss man solche Selbstbestände erst mal haben,
um zur Person durch sich zu werden.
Allein das sind ganz seltne Gaben,
die geistig, das heißt: einsam erden.
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