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Diese Seite enthält 64 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)
Zwang zum Eigensinn I (864)1
Unverdrossen werd ich weitermachen.
Wiewohl es mich auch isoliert.
Mir ist es zumal Zwang geworden,
was ist, wie ich es sehe, einzufangen.
Und auszudrücken in teils obsoleten,
teils geisteselitären Sonderformen,
die das effektgeprägte Delirieren
der Marktsubjekte drastisch offenbaren.
So leugne ich, dass uns Konsummonaden
so was wie Würde überhaupt zukomme.
Und dass uns an uns selbst noch etwas läge.
Verspielten wir doch alle Selbstverfügung,
verlogne Bannerträger jeder Amoral.
Lakaien zumal jetzt von Diktatoren,
beherrscht von seelisch toten Schein-Eliten,
die ihre Volksherrschaft zugrunde richten,
indem Vertrauen schleichend sie verhuren.
Längst aller Wirklichkeit entfremdet.
Dass es so sein muss, weiß ich freilich auch:
Kratischer Ohnmacht dumpfes Dilettieren
Zwang zum Eigensinn II/Variante (865)2
Ich werde unverdrossen weitermachen.
Trotz Ablehnung und Unverständnis.
Trotz Feindschaft und Verunglimpfung.
Wie denn auch nicht?
Es ist mir Zwang geworden,
die Zeit, wie ich sei sehe, einzufangen:
Dies nur effektgeprägte Delirieren
und die Verramschungssucht der Marktrabanten …
Dies Kinderspiel geschichtlich Überholter.
Zufallsgabe (866)3
Vergleiche (47/2376)
Wie ihr gepolt auf Existenzgenuss,
auf Anerkennungshunger und auf Überragensräusche,
auf hedonistisch angestrebte Welt-Enthobenheit,
gab mir ein Zufall mit noch diese Gabe:
Mich einzufädeln einer Stille,
die mich befreit von dieser Alltagstorpor*-Fron,
Sozial-Konstrukten und Gesellschaftszwängen:
Von Surrogaten zweiter Hand.
Mich fort zu träumen in Bedeutungslosigkeit.
*Torpor: Trägheit, Stumpfsinn, Gefühllosigkeit ...
Tatsachen (867)4
Inzwischen gängige Alltäglichkeit:
Die Intensität der Reizzufuhr muss permanent erhöht werden,
um überhaupt noch die Selbst-Genuss-Vorgaben
dauerklamaukisierender Ökonomie erfüllen zu können.
Eigentlich müsste ich sagen:
Um die technisch kommandierten,
medial aufgezehrten Aufmerksamkeitsleistungen,
die der binnenmarktgängig ausgeplünderten Leichtlaufseelen,
dauernd hochzuhalten,
um sie wenigstens auf diese Weise:
konsumtiv ekstatisiert,
psychisch halbwegs noch im Lot zu halten.
Es wäre jedenfalls völlig illusorisch,
sie geistig-metaphysisch berühren zu wollen:
Denn die Seelenschichten,
die für solche Feinheiten noch empfänglich wären,
sind längst verkümmert:
Sprachlich nicht mehr erreichbar
oder restlos abgebaut.
Realitätssinn II (868)5/Vergleiche (6/371), (15/869), (19/1107), (31/1849), (31/1863 bis 1866)
Gut ist es mir ergangen sechs Jahrzehnte lang.
Egal in welcher Hinsicht. Wirklich gut.
Da war nichts Mangel, war nichts Abgesang.
Nur geistig fehlte alle Glut.
Indes man kann nicht alles haben.
Es reicht, von Willkür frei zu sein und Not,
von Krieg, Gewalt, die in Verzweiflung graben.
Erniedrigung für ein Stück Brot.
Und da Vernunft nicht, noch Idee, noch Würde greifen
- Kategorien, elitär und also selten -
will ich auf all den Tugendbettel pfeifen …
Soll dieser Wohlstandstrug mir als Vollendung gelten.
Den vorbehaltlos auszuloben,
als höchstes Gut gar hochzuhalten,
ich daher will, vom Sinn für Fakten angeschoben.
Und weil ich weiß um unsre Seelenhalden.
Realitätssinn III (869)6/Vergleiche: (6/371), (15/868),(19/1107), (31/1849), (31/1863 bis 1866)
Zuweilen möcht ich wieder unten sein.
Dort, wo ich früher nie beachtet wurde.
Wo ich, am Rande und allein,
nicht zurren musste manch soziale Gurte.
Dort fehlen Macher, Phrasendeuter, Funktionäre.
Und für Korrupte ist das auch kein Ort.
Da geht es nicht um Schein und Ehre.
Da färbt kein Selbstlob jedes Wort.
Nur oben feiern hemmungslos sich Eitelkeiten.
Man liegt da faktisch vor sich selbst im Staub,
narzisstisch selbstsiech sich zu weiten
durch Macht und Ruhm und Ehrenlaub.
Doch schmieren diese Leute ja die Staatsmaschine,
die nicht (auch mir zum Schutz) zerfallen darf.
Bewirken so, dass ich mein Geld verdiene.
Und bisher nie das Handtuch warf.
Ich brauche dieser Sieger Wüten.
Auf mir allein kann ich mitnichten stehen.
Bin auf sie angewiesen: Die Funktionseliten.
Grad wenn’s mich treibt, mir metaphysisch zu verwehen.
Lückenhafte Erinnerungen an eine drastisch krankhafte Abseitigkeit anhungernde Monade (870)7
An regnerisch grauen Tagen vor allem.
Fatalistisch stumm vor Trauer und Vergeblichkeit schleppt sie sich - nennen wir sie X. - dahin.
Zeit-, Spott- und Häme-Lasten sich verdrängend.
Indes sie angstklamm versucht,
sich alle ihr aufdrängenden Realitäten zu vergessen,
angestrengt-neurotisch dabei lauschend auf das Gott sei Dank ablenkende, kreischend helle,
nässeagile Geräusch des hoch peitschenden Pfützen-Wassers
aus den Asphaltmulden,
die zuweilen Gischt-Fontänen aufspritzende Autoreifen durchpflügen.
Ichuntüchtig weicht sie nicht mal aus.
Indolent vor Scham,
Unförmigkeit und jahrmarktsschaustellerischer Hässlichkeit,
rettet sie sich in die halbdunkle Spelunke,
die ihr, meist nur spärlich besucht,
immerhin eine Art gebrochener Geborgenheit vermittelt.
Sie spult sich dort einer unauffälligen Nischenexistenz ab,
Hassliebe, Angst und Minderwertigkeitsgefühle
stotterndem Alleinsein,
das unterwürfig und grobschlächtig nach allumfassender Unauffälligkeit hechelt.
Indes sich die selbstekelbesetzte Sehnsucht dieses blickscheuen Unikums ihre speziell idealisierten Gestalten ausmalt,
abgezogen von traumgeformten fremden Gesichtszügen gemeinheitsfreien Lächelns,
die täuschungsfrei als solche auszumachen indes einen übermäßigen Aufwand an krankhaft-surrealer Sensibilität verlangt.
Freilich vergeblichen.
Denn solche zu identifizieren, weiß sie,
ist völlig ausgeschlossen.
Verstellen sich doch alle Körper,
sie müssen das nicht mal selbst bemerken.
Sie tun es quasi automatisch,
auf sie fixierende Blicke unbewusst reagierend.
Körper müssen aufreizen,
posieren,
sich präsentieren als sexuelle Objekte,
zwanghaft,
wollen sie doch bewundert,
begehrt und genommen werden,
um daraus Person-Wert,
Daseinsbedeutung und psychisch hebende Anerkennung zu ziehen.
Aber in seiner pathologisch-hermetischen Seins-Mystik findet es keine nichtfeindliche Andeutung zartfühlender Menschlichkeit.
Sich so immer tiefer verlierend in seine selbstquälerischen Ausgeburten verachtungs- und selbstzerstörungs-süchtiger Verlassenheits-Bedrängung.
Nachhause finden; auch zu sich (871)8
Leiste mir Gesellschaft doch,
du liebes, scheues, kleines Tier!
Ich schütze dich vor deinem Joch,
indem du bleibst bei mir.
Vielleicht an diesem Abend nur.
Das würde mir ja reichen.
Ich will genügen deiner Spielnatur,
solang du‘s willst, nicht von dir weichen.
Brauchst du mich sonst, ich werde sein zur Stelle.
Will bieten gutes Fressen dir,
dich laufen lassen ohne Zelle.
Und bist du müde, ruhen wir.
Und willst du bei mir bleiben gar,
werd täglich ich umsorgen dich,
behüten dich - selbst Jahr um Jahr -
dich evolutionären Wunder-Stich.
Für dich/Für ... (872)9
Indes ich hab was. Was ganz Seltenes.
Was illusionslos realistisch schenkt
ein kleines Glück, an Jetzt gebunden.
Sei’s ein Gespräch, sei’s auch ein Hauch
von später Sinnlichkeit, die stumm verhalten
und schon von Schwäche heimgesucht,
die Stunde hebt an Einsamkeit vorbei.
Sie Trauer, Angst und Späte zu entreißen.
Wenn du sie willst, dann sag es nur.
Wenn nicht, dann fürchte kein Verlassen.
Gesellschaftsbefehl (873)10
Man muss da nicht sehr viele Worte machen.
Hat man’s tagtäglich doch vor eignen Augen.
Man soll sich selber bis ins Mark aussaugen.
Und, permanent erregt, verflachen.
ZINSJA 95 (874)11
Keiner sei getadelt,
keiner verachtet,
verworfen
oder gar dämonisiert …
Verfügt doch keiner
über sich selbst.
Und das ist auch
in der Tat so.
Unfähig,
uns zu meistern,
sind wir alle.
Nur,
dass es manche begreifen,
die meisten nicht.
Und manche,
ganz, ganz wenige,
es nicht nur begreifen,
sondern auch
in der Hand haben,
sich, verfehlungsresistent,
zu übermächtigen:
Geistdiktatorisch kommandiert,
sich sich selbst -
stolz, diszipliniert,
verzichtsvirtuos: ichmächtig,
grade auch,
weil’s sinnlos ist,
unfrei zu verfügen.
Diagnose (875)12
Ich fühl mich völlig ausgebrannt und müde.
Auch antriebslos und seelisch leer.
Bin oft verdrossen, ja gar rüde.
Mach’s selbst mir so und andern ziemlich schwer.
Indes die andern haben keine Schuld.
Das alles macht mein eignes Ich,
das sich gefangen weiß in diesem Wohlstandskult,
der es zerreißt in sich.
Der es sich seiner selbst benimmt,
macht es zu einem Ungreifbaren:
Behelfsreiz-, Waren-, Phrasen-Ungefähr
in ihm entzogenen Verfahren.
Nur Einsamkeit (876)13
Hab alles
mit mir selber abgemacht.
Doch kaum was
überwunden.
Es immerhin
bis auf den Grund gedacht.
In meinen besten Stunden:
Man ist sein Leben lang für sich.
Kann weder sich
noch andre je berühren.
Da ist nur Einsamkeit
als Schein
von Selbst und Ich,
gezwungen,
sich zu delirieren.
Auch Schatten,
die Versagen trinken,
gebannt in Dauerschweigen.
Entlarvte Masken,
die vergeblich winken.
Mir nichts als
schale Öden zeigen.
Fremdbestimmt (877)14
Man muss sich
mit sich selbst abfinden.
So ist das nun einmal.
Man kann sich nicht
beliebig gründen,
als hätte dazu
man die Wahl.
Die hat man nicht,
ist lebenslang
allein, ja: einsam
in sich selbst gefangen:
Verfalls-Bewusstsein,
in verdrängter Schicht,
sich Knecht dabei
in allen Grundbelangen.
Rationale Selbstbewahrung (878)15
Mein Egoismus ist es, der befiehlt,
für Volksstaat, Recht und Gleichheit einzutreten.
Und allem abzuschwören, was das Es aufwühlt:
Den Affen in mir anzubeten:
Lust, Eitelkeit, Pleonexie …
Was wäre da nicht sonst ans Licht zu holen!
Entfaltend Alptraum und Manie …
Mephistophelisch unverhohlen.
Ich habe das Problem begriffen:
Mein Egoismus lässt sich nur bewahren,
wenn ich, Verzicht und Klugheit eingeschliffen,
bezähme meiner Ichsucht Scharen.
Elite im Kapitalismus (879)16
Die einen wie die andern: Masse.
Die oben wie die unten.
Pleonexie treibt alle: Pseudo-Asse
wie infantile Traumweltkunden.
Elite kann es da nicht geben.
Die Marktknechtschaft lässt sie nicht zu.
Kapitalismus? Der macht streben
nach Selbstverlust in Nu,
zwingt, in Verwahrlosung zu sinken
des Ich diktierten Geltungsbanns.
Sich Effizienzkult auszutrinken,
Befehlen hörig chemischer Substanz.
Der Lauf der Dinge (880)17
Zu vergleichen mit den Gedichten (64/3353) und (66/3465)
Die Welt sei schlecht. Das hör ich immer wieder.
Es ist auch richtig. Irgendwie.
Tatsächlich ist sie heute nur Gefecht
um Anerkennung, Macht und Güter;
um Sex, um Täuschung, Überragen auch.
Doch soll ich ernsthaft unterstellen,
dass dieses Menschtum anders könne?
Verzichtete auf Wohlstandswellen?
Und sich verantwortungsbereit besönne
auf was jahrein, jahraus es lebt?
Sich eingestände: Nun ein Zwangsgeflecht
von unvernünftiger Manie?
Und das notwendig, da doch aus dem Bauch?
Das ist unmöglich. Es entzieht sich Wollen.
Wir sind nun einmal festgelegt
auf Kreaturen-Los und folgenloses Sollen,
Prekärem chronisch eingehegt.
Ein Intellekt-Wicht, der sich selbst verzecht,
der sinnlos existiert, brutal und nieder.
Moral I (881)18
Zu vergleichen (65/3406)
Hure der Macht.
Surrogat für politische Inkompetenz.
Nachteil derer,
die sie gewissensbrünstig gängelt.
Bollwerk gegen Einsichtsfülle.
Vorwand für religiöse Fundamentalisten.
Neidverschleierungstaktik
bei zu kurz Gekommenen.
Ganz selten Seelengröße,
Weisheit und Einsicht.
Auszeichnungen von solchen,
die wider bessres Wissen versuchen,
sich den gesellschaftlich,
ökonomisch und existenziell operierenden Realitätsverweigerern,
dem Durchschnitt,
als Selbstschutz und psychophysische Bewahrungschance zu vermitteln.
Indes wohl wissend,
dass alle Seelengröße, Würde
und Selbstdistanzmächtigkeit
notwendig folgenlos bleiben müssen.
Physischer Verfall (882)19
Mein Körper kann nicht mehr.
Das muss ich akzeptieren.
Er schmerzt zu sehr.
Schleicht auch gebrochen
nur noch hin und her.
Als wolle er sich ganz verlieren …
Das war’s dann wohl.
Mit ihm verschwinden,
vergehen alle Lebensfreuden.
Er war ihr Zentrum,
war ihr Pol.
So muss ich’s nunmehr deuten.
Geständnisse (883)20
Dass ich mein Herz an gar nichts hänge,
kühl, unpathetisch, distanziert,
vor allem realistisch bin …
das habe ich schon öfter propagiert,
weil’s eben typisch ist für mich.
Ich gebe nichts auf Utopien,
Begeisterung für was auch immer,
bewerte auch die eigne Lage
von Wünschbarkeiten unabhängig.
So etwa diese 25 Jahre,
die ich nun abgeleistet habe,
auf einem und demselben Stuhl,
in diesem kleinen, schäbigen Büro.
Doch was ich wollte, habe ich erreicht:
Soziale Sicherheit und eine Nische,
die mir erlaubte, alles das zu meiden,
was mir suspekt ist, mir nichts sagt,
mich zudem langweilt, weil zu schlicht es ist.
Und Schein verfallen, oftmals auch verlogen:
Gesellschaft meine ich, Dazugehörigkeit,
die mir ein Gräuel wäre, ganz egal,
ob unten angesiedelt, in der Mitte, oben.
Ich wollte stets für mich nur sein,
allein und ungestört mir selbst verfallen:
Der Kunst, der Einsichtssuche, also Geist.
Das ist der Grund, warum ich gar
geheuchelt habe, zuweilen listig vorgegeben,
was ich mitnichten … überhaupt nicht bin:
Ein Mensch mit hehren Idealen,
der sich für Große Zwecke setze ein,
der Menschheit dienen wolle, ihrem Glück;
Gerechtigkeit, Humanität und Fortschritt auch.
Dies zu verbergen habe ich mich angepasst,
sogar gelogen manchmal oder gute Mine
zu einem Spiel gemacht, banal in meinen Augen.
Ich habe Werte hochgehalten, die absurd mir scheinen;
zuweilen sie als Mittel auch missbraucht.
Mich sogar selbst verraten und geliebedienert.
Selbst Leuten schön getan, die ich verachte.
Mal abgesehen von den Phrasen,
die überzeugend ich gedroschen habe,
betreffend Bildung, Würde und Kultur.
Man mag mich deshalb einen Täuscher nennen,
ja schlimmer noch: charakter- und prinzipienlos,
korrupt sogar in ganz bestimmtem Sinne.
Es wäre mir indes ganz schnuppe.
Zumal bescheiden waren meine Ziele.
Ich wollte nur mein Geld verdienen,
materiell gesichert sein so weit,
dass ich mir selber leben könnte, was soll heißen:
Mich innerlich im Lot zu halten,
indem ich mich und diese Welt begriffe,
uns manchmal in Gedichte hebend.
Geeignet, ungeschminkt in ihnen
uns multiperspektivisch dann zu greifen:
Als außerstande, für uns selber einzustehen,
zu leugnen, dass wir, weder gut noch schlecht,
gar nicht verfügen über Tugendmittel,
nichts weiter sind als eine Zufallsart,
prädisponiert, sich hilflos zu vernichten
durch Technik, Wissenschaft als Ratio-Fallen.
Der Götter ledig, sinnlos durch uns selber taumelnd.
Entfremdung und Vollendungsleiblichkeit/Für … (884)21
Zu vergleichen ist das Gedicht (1990, S. 33)
Ich hätte es doch gar nicht anders können,
als deinen mädchenhaften Körper
bis zur Erschöpfung zu genießen.
Vernunft, Moral und Lebensklugheit
bedenkenlos ihm hinzuopfern.
War er mir Seelengnade doch,
Erfüllung und Vollendungsleiblichkeit.
Obwohl die Trance sofort doch wich
wenn auseinanderfielen wir.
Wir Ich-Monaden, festgelegt
auf unsre subjektiven Innenwelten,
die wir als unvereinbar wussten,
sich fern, ja radikal sich fremd.
Auf immer uns entzwei zu deuten.
Innenwelt-Züchtung (885)22
Gefühle - warenfeiler Ramsch-Akut.
Was immer auch. Sie züchten Psychen-Gaffen.
Man grölt sich hoch Erlebnis-Sud,
bis letzte Widerstände dann erschlaffen.
Dann ist man diplomierter Kunde,
ein Fahnenträger auf der Jagd
nach Eskapismen inszenierter Schwunde,
sich selbst entäußert abgehakt …
Im Schlussverkauf der Emotionen,
der Destruktion der Phantasie,
dem Druck, sich zu betonen
Reklame-Harmonie.
Wer könnte all dem widerstehen,
psychisch gesund sich durchlavieren?
Er würde hasserfüllt das alles sehen,
verhärten sich und radikalisieren.
Rettende Alltagsmomente (886)23
Gedichte machen.
Auch mal nebenbei.
So etwa parallel
zum Haushaltsplan.
Natürlich nur
ganz kleine Sachen.
Um zu entkommen
diesem Einerlei.
Das doch so fad ist:
Zwangsreell.
Wort krönt Moment,
verscheucht Verflachen.
Trennt Zahl und Geist,
erlöst von Sachen.
Macht Inhalt so
gerade im Büro.
Allbedeutungslos (887)24
Alles, was ich selbst mir bin,
ist ganz und gar bedeutungslos.
Mein Wollen ist es.
Doch nicht frei.
Noch kann mein Denken irgend zählen:
Es gleitet ab an Formel, Ratio, Zahl, Verfahren.
Und selbst das Geistige spielt keine Rolle mehr.
Wozu dann also noch Gedichte?
Auch Hass und Ekel gab ich längst schon auf:
Weil ich die Ausweglosigkeit doch sehe,
die speziestypisch ist: ist unschuldsprall.
Feststellungen I/Für … (888)25
Zu vergleichen ist das Gedicht (20/2019)
Erwähnen will ich jene Frau,
die mich seit nunmehr 20 Jahren
so ca. alle 14 Tage mal,
wohl aus Berechnung auch,
besuchen kommt.
Um dann sofort mit mir
ins Bett zu gehen,
das ist das Hauptziel unsrer Treffen.
Und so erstaunt es denn auch nicht,
dass grade diese do-ut-des*-Beziehung,
sich,
intellektuell und menschlich eher mittelmäßig,
als einzige bis heute hielt.
Weil eben beiden klar war,
worum’s ging.
Zunächst war da diffuse Zuneigung,
indes mitnichten eine Liebe,
nein: nur illusionslos-selbstischer Kalkül.
Ganz offen eingestanden, abgestellt allein
auf wirklichkeitsgesättigte Gegebenheiten:
sich kreatürlich auszuleben;
und das auch durch Entlastungshandeln,
Belämmerungs- und Eskapismus-Chancen ..
Um dann, was kommen musste, zu erfahren:
Die krude Realität schlug in Gewohnheit um,
die nach und nach Vertrautheit wurde.
Am Ende gar auch Nähe.
*do ut des, lat.: Ich gebe, damit du gibst
Intellektuelle Aufarbeitung (889)26
Was heißt das überhaupt:
Vernünftig sein und Realist?
Gewiss doch dies:
Verzicht auf Weltanschauungsphrasen,
auf Tugendideale, kurz: Ideen letztlich doch.
Indes auch dies:
Bedeutung sich nicht anzumaßen,
die man nicht haben kann in einer Welt,
konsum-, verdinglichungs- und lust-totalitär,
die egoman macht, infantil,
verlogen, kalt, gewissenlos.
Vergnügungspark ist doch für Zwangs-Narzissten.
Was also heißt vernünftig sein und Realist?
Sie abzuwerfen, diese rationalen Lasten?
Trotzdem man weiß, man täte das vergeblich,
doch in der tiefsten Einsamkeit
noch drastisch heimgesucht und mitgerissen
von Formeln, Artefakten, Massenhysterien?
Die Antwort dann, die kann nur lauten:
Man kann’s versuchen, nur auf sich gestellt.
Abstrakt und folgenlos es phantasierend.
Die Scham erträglicher zu machen,
dass man sich selber nicht mehr führen,
ja nicht einmal mehr haben kann,
doch unentrinnbar fremdverfügt.
Ausweglos II (890)27
Selbstverständlich lüge, fiktionalisiere
und schauspielerische ich chronisch.
Auch mir selbst gegenüber.
Ich wäre nämlich anders,
betrachtete ich mich selbst und die anderen
kühl luzide und radikal realitätskonform,
nicht einmal ansatzweise in der Lage,
mich selbst und die anderen
ohne heftige Aggressionen,
selbstzerstörerische Melancholie,
Ekel und tiefste Verachtung
auch nur einige Minuten lang zu ertragen.
Lebenslauf (891)28
Du fragst mich, wohin denn verschwunden seien
die vielen Jahre, die uns schon vergangen sind.
Nun ja das ist nicht ganz so leicht zu sagen:
So etwa steht die Kinderzeit für sich,
wird meistens adjektivisch-einheitlich erinnert …
Primär als hart, bedrückt, entbehrungsreich …
Primär als glücklich, lebhaft und geborgen.
Primär als schön, doch auch mal problematisch.
Als eine Zeit, auf Zukunft einzig ausgerichtet,
Diffus indes erscheint die Zeit der Pflichten.
Geprägt von Zwängen und Erledigungen.
Routinen auch, die progressiv entlasteten.
Die wiederholten sich von Tag zu Tag
und formten so ein Zeitempfinden
der Wiederkehr des Immergleichen …
Als könne man nunmehr im Nachhinein
die Jahre förmlich als sich gleichend tauschen,
weil doch erlebt so: inhaltsgleich.
Indes sich uns im Alter nun so viel verklärt.
Uns manches auch, was wehtat, spät zu schönen.
So etwa Niederlagen, Scheitern und Versäumen.
Schon deshalb uns bewusst, weil uns die Zukunft fehlt.
Von dem Verfall nur so viel hier zu sagen,
der heimsucht nunmehr immer öfter uns.
Ein sichrer Weiser ist hin zum Finalbankrott.
Der uns erlösen wird. Von uns. Von allem Gram.
Auch von der Illusion, es habe allzeit sich gelohnt.
Schicksale der nach mir Geborenen? (892)29
Festmachen, ich meine sittlich, psychisch, kulturell,
mit einem Worte: geistig …
nun, das werdet ihr euch nirgendwo mehr können.
Am wenigsten an und in euch selbst,
technologisch eurer ausnahmslos benommen.
Ihr werdet,
irgendeine Art von Kultgefolge,
euch propagandahörig inszenieren.
Doch weder wissen das
noch auch es ahnen.
Leicht wird es sein,
euch so zu lenken,
dass ihr um Unterwerfung betteln werdet.
Um euch,
es wird sich zeigen ob und wie,
zu schützen, zu beglücken auch.
Euch alles nehmend,
selbst Verrohungsbarbarei.
Vor allem Einsamkeit, Vereinzelung
und jede Form von Schicksalsmächtigkeit.
Wir können so leicht doch zu Sklaven werden -
Und grade damit sehr zufrieden sein.*
*Nach Lu Xun, 1925: „Und wie leicht wir doch zu Sklaven werden können und auch noch äußerst zufrieden damit sind.“
Konsumdiktatur I (893)30
Wer weiß denn noch,
was Glück bedeutet?
Und hätte zu ihm noch den Willen?
Längst hat der Kunde sich
doch selbst erbeutet,
sich zu verzehren in geplanten Füllen.
Die saugt er aus,
zu sich mit Kitsch befreit.
Gesollt benebelt.
Nur noch Markteinheit.
Durchschaut (894)31
An sich ist alles mir egal.
Das merkt man an auch den Gedichten.
Die hin ich werfe in sehr großer Zahl,
um, selbst mich los, die Zeit zu nichten.
Tatsächlich bin ich für Minuten
vom Dichten so sehr okkupiert,
dass ich mich nicht mir selbst zumuten:
mein Hirn ertragen muss,
das uns kapiert.
Das ist der Preis für diese Diktatur
kapitalistisch dominierten Lebens:
Genusssucht,
Langeweile,
Zwang der Uhr.
Und Dauerseichtheit sinnentkernten Strebens.
Sensorische Magie (895)32
Es ist schön,
deinen Nu-Leib
zu streicheln.
Leicht lässt mich das
alle Vernunft und
alle Lebenserfahrung
missachten.
Ekstasehungrig
zurückschlagend auch
dieses trügerische
Vergeblichkeitslallen,
von dem ich weiß,
was es mir sagen will:
Wieder wirst du nur
Augenblicke pflücken
Vergessen versinkender
Körperlichkeit:
Ungreifbarer Person
räumliche Erscheinung.
Prosafetzen (407) (896)33
Ein ewig gleiches Abarbeiten
von Erledigungszwängen,
Besorgungen und
sozialdespotischen Erwartungen,
diese notorisch vereinnahmende
Verbraucherexistenz,
die,
medien-, genuss- und
leerformelgesteuert,
sich notwendig als
zugleich exemplarische
wie stellvertretende
vollzieht.
Was muss man nämlich
nicht alles auf sich nehmen,
um wenigstens durch
distanzierende Selbstmanipulation
ihr ansatzweise zu entkommen:
Sich einlassen auf Einsamkeit,
Außenseitertum
und sozial entwurzelnde
geistige Opposition gegen
- auch privilegierende -
All-Gängigkeit.
Prosafetzen (408) (897)34
Ein gewöhnlich warmer Sommerabend.
Mein hypertrophes Feingefühl
kriecht leerelüstern durch seine Stillen.
Entlarvt ihn als bloße Zeit
nackter Gleichgültigkeit
und seinsunmittelbaren Strom
lungernder Augenblicke
einsamkeitserstarrter Gleichgültigkeit.
Indes doch angenehm verträumungsträchtig,
ersehnend sich und mir die Weihe,
mein Fühlen, Ahnen, Wollen, Denken
als Nihilismus-Metastasen zu entlarven,
als Ausfluss eines kranken Hirns,
seit Kindheit schon Dingen heimgesucht,
die’s hindern, selbst sich zu entlarven.
Festgelegt (15/898)
Ich hätte gar kein andres
Leben haben wollen.
Und das auch gar nicht können.
Was zeigt, dass man’s
nicht wählen kann:
Man kann sich eben
selbst nur sollen.
War, ist, wird sein
sich festgelegtes,
sich gleiches
Daseinsperspektiven-Maß.
Tut also gut daran,
sich das zu gönnen,
was Zufall einem
als sein Los einlas.
Prosafetzen (110) (899)36
Trotz deiner Kälte und Machtsucht,
küsse ich dich noch einmal
auf jenes vierlippige Paradies
molekularer Despotie …
Zum was weiß ich wievielten Male
zuletzt vergeblich
gegen mich ausgespielt.
Unschuldiges Desinteresse (900)37
Wen interessiert schon meine Leere?
Wen meine Einsamkeit?
Ob ich mich selbst zerstöre?
Ob ganz? Ob leib- und seelen-weit?
Indes was heißt denn Interesse?
Dass man es höchstens hat an sich:
Dass man sich paare, gelte, fresse …
Und durchkomme gesellschaftlich.
In Gott ruhen (901)38
Ob du existierst oder nicht,
ob du diese Welt schufst oder nicht,
ob du uns formtest oder nicht,
ob du vollkommen bist oder nicht,
ob allmächtig,
allwissend,
allgütig,
allweise bist oder nicht,
ist für den,
der dich in sich trägt,
den, der dir grundlos
die Treue hält,
den, der sich nicht
schert um sich,
wenn er dich nur
mit sich weiß,
gänzlich belanglos.
Zumal wo du bist,
anderes nicht mehr sein kann.
Es sei denn als
Vollendungstraum in dir.
Prosafetzen (67) (902)39
Meine nie verlorene Kindlichkeit hat mich bewahrt.
Vor mir,
vor euch,
vor unserer
psychisch-geistig zerstörerischen Kunstwelt,
dieser toten Artefakten-Masse
unter der Formelfuchtel ichtrunkener Dingtrancebarbaren.
Noch immer treibt sie mich an,
mir Erinnerungen zu erdichten,
denen keinerlei Erfahrung zugrunde liegt,
mir Erlebnisse zu schönen,
die den tatsächlich gehabten die Trauer nehmen,
die Bitterkeit und kalte Schäbigkeit.
Noch immer lässt sie mich meine blauen Katzen streicheln,
streifend über Wiesen,
durch die Wälder,
immer weiter dahin auf den warmen Sanden
jenes herrlichen Planeten im Andromeda-Nebel.
Noch immer lässt sie die Winde los,
lenkt sie über meine Seelenlandschaften,
träumerisch schwankende Garben zeitlos tanzen zu lassen,
unbeugbar stolz,
ohne je zu dorren.
Und noch immer lockt sie dem unbekannten Dämon die tröstenden Worte ab von der Bedeutungslosigkeit,
Gleichgültigkeit und Vergeblichkeit unserer verblendungsgetränkten Existenz.
Angewiesen auf eine ausweglos Entsinnlichungsdaten mehrende,
pseudorationale Intelligenz.
Verbraucher-Lagen (903)40
Wir dauerinszeniert umsorgten Verbraucher:
Steigbügelhalter des Ungefähren.
Hauptabnehmer systematischer Seichtheit.
Co-Produzenten eigener Nichtigkeit.
Vor uns selbst verängstigte Realitätsverweigerer,
Leerformelliebhaber und Seichtheitsgierige …
Kein Wunder,
das wir uns
jeder Form
von Belämmerung,
entlastungsbedürftig
bis in die rohsten
Seelenöden,
so widerstandslos
hingeben müssen …
In uns erahnend
das eigene Hirnwerk,
was sich jedweder
Bedeutung längst doch
entzieht
Kurznachrichten über mich (904)41
Es tut sich,
wie immer,
wenig bei mir;
kaum wert,
es dir zu sagen.
Ich bin nun mal
bedürftig: Tier.
Muss Subsistenz
mir so erjagen …
Bedeutung,
Sinn gar.
Wissend wohl:
Fiktionen,
weder falsch
noch wahr.
Wünsche und Hoffnungen (905)42
Wie sehr doch habe ich den Wind geliebt,
den Wein und dieses einsam-stille Tun:
Das Spiel des Geistes mit Gedichten.
Gehofft, dass jener fort mich treibe
aus diesem Bann der Faktenwelten,
mich trage hoch in fernes Blauverströmen.
Und dass vergönnt mir sei so mancher Schluck,
Luzidität zu dämpfen: Die Bewusstseinsschärfe,
die chronisch doch bedrückt, weil ausmacht dies:
Verfügt zu sein doch formeltoter Welt.
Und dass vor allem mich berücke
ein Vers, entraffend Empirie.
Mich gar mir selber auch entziehe.
Schenkt tiefstes Glück doch Geistesgabe.
Unerfüllbare Sehnsucht (906)43
Meine Sehnsucht schießt ins Leere.
Dieser rann sie ja auch aus.
Träumend eine Daseinsbeere
und ein Seelenhaus.
Fand indes nicht das, nicht jene.
Wie auch? Beide gibt’s ja nicht.
So dass ich vergeblich sehne
nach was immer, das nicht bricht.
Muss mich der Verzweiflung stellen,
hilflos sie ertragen:
Meiner Lage Dellen
schönen mir als Glücksbesagen.
Gezeichnet (907)44
Manches kann man nicht vergessen,
weil’s ein Teil von einem wurde:
Krankheit, Häme, Herkunftsblässen,
treibend ins Absurde:
Sinnverlust und Seelenlasten,
die zu meistern nicht gelingt.
Lebenslang als Alptraum rasten,
der nie mehr versinkt.
Allenfalls mag man begreifen,
dass gezeichnet alle leben,
müssen vor sich selber kneifen,
nicht Verzweiflung zu verschweben.
Mein Dichten (908)45
Ausdruck auch von innrer Leere,
Teilnahmslosigkeit und Enge,
Zweitgeburt in Selbstdistanz,
Wortschutt und entstellter Strenge,
Gegenwahn zu der Galeere,
die ein seichtes Jetzt ausspeit:
Nihilismus und Gedränge,
zappelnd einer Wir-Schimäre.
Destruktiver Allianz
gegen Wirklichkeit gefeit:
Macht-, Gewalt- und Sinn-Popanz.
Beispiel für die universale Gleichheit der Menschen (909)46
In den Nachrichten kam’s, zwischen den Halbzeiten.
Merkwürdig, dass überhaupt:
Nun, es ist Banalisierungssucht.
„Das Größte, was ich je erlebt habe“,
meinte eine Kubanerin anlässlich des Auftritts der Rolling Stones in Havanna.
Als sei ihr, anstatt dass sie vergreiste Berufsinfantile ekstatisch sich inszenierend auf einer Bühne gesehen hätte,
die u. a. „I can’t get no satisfaction“ und „Jumping Jack Flash“ aus ihren Hautfalten wimmerten,
ein unsterbliches Quartett von strahlend schönen Olympiern,
Instrumente der Götter spielend, erschienen.
So ergriffen wirkte sie, die vielleicht 20 Jahre alte Frau.
Die weniger sprach, als vielmehr gleichsam mystisch ergriffen stammelte, ja schäumte,
schundtrunken hin und her tänzelnd ihre Reize ausspielend in engen Jeans und schweißbeflecktem grauen T-Shirt.
Ich dachte unwillkürlich an Che Guevara,
als ich die junge Frau so sah und hörte,
sagte mir, dass man das hätte voraussehen können,
wenn man denn nicht
ideologisch-utopistisch blind gewesen wäre,
begreifend,
dass mit den Massen kein Sozialismus aufzubauen,
geschweige denn, ein Neuer Mensch zu schaffen sei.
Niemals.
Man hätte,
bevor man sich überhaupt in revolutionäre Phantasmen stürzte,
einsehen müssen, dass Coca Cola,
popdionysische Emotionshülsen
und beseligender Fun-Terrorismus
für jene erstrebenswerter sind
als der Kampf für ein gesellschaftliches Ideal.
Wie?
„Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche?“
Nein:
„Wer realistisch ist, beschränkt sich darauf,
alles zu tun dafür,
sich selbst - und nur sich selbst - vor dem Schlimmsten zu bewahren:
Vor sozialer Deklassierung,
Korruption,
Parteien-Propaganda,
Leerformel-Terror und Bedürftigkeitsdrangsal.“
Die Massen sind notwendig überall gleich:
Gegenüber Idealen völlig unempfindlich,
dem Augenblick zugetan,
der irgendeine Ablenkung oder Droge zu bieten scheint.
Gleichgültig auch, gerade durch ihre Ichsucht,
gegen sich selbst.
Hilflos zumal gegenüber der oft langweiligen,
banalen oder gar freudlosen Lebensbedingungen.
Und machtlos gegen die unsrer Existenz
in der Regel doch unabänderlich einwohnenden Wirren,
Verwerfungen, Bedrückungen und Nackenschläge.
Die Massen sind eben doch realistischer,
ja: weiser als der von seinen ortlosen Träumereien fortgerissene Intellektuelle, der sie, die Massen,
eben nicht kennt und auch nicht kennen kann,
weil er ihren intuitiven Realitätssinn,
ihre zutiefst irrationale Menschlichkeit,
aber auch ihre Rohheit und gleichzeitige Illusionslosigkeit
emotional nicht zu erfassen vermag:
Ihm fehlt die Genialität irrationaler Seelentiefe.
So war’s und ist’s tatsächlich (910)47
Ich konnte wirklich nicht sehr viel erwarten.
Von früh auf einer Krankheit ausgesetzt,
die mir bescherte miese Karten:
Ein Leben, das verletzt.
Das einsam war. Und menschlich leer.
Umstellt von Spott, Gewalt und Schreien.
Von Rohheit schwer
und von Verachtungsspeien.
Indes den Vorteil hatte, dass man eh nicht glaubt
an Tugendphrasen und Vernunft.
Man weiß genau, woraus der Mensch sich klaubt:
Geld, Ichsucht, Niedertracht und Brunft.
So nicht moralisch ist und frei und gut.
Nein: Knecht im Allgemeinen.
So was wie Zwang als Abklatschglut,
gefangen Selbstbetrug und stillem Weinen.
Mir selbst zum 52. Geburtstag (911)48
Geburtstag hab ich morgen.
Ich werde 52 Jahre alt.
Na ja, sie warn nie ohne Sorgen,
doch alle dergestalt,
dass es mir immer reichte
zum Nötigsten, heißt: Geld.
Nur das zählt. Nicht Idee. Noch Beichte.
Mich scherte nie prophetisches Gezelt.
Nicht Volk, nicht Geltung und nicht Vaterland
(Schimären ohne Treue
für Selbstwertkreuz aus Unverstand,
zum Ruhm von Macht: Korrupten-Schläue).
Auch auf Lumières will ich nicht zählen.
Es sei denn als Fiktionen.
Als-Obs von autonomem Wählen
der demokratischen Millionen.
Mein Dank geht an Amerika,
das Kapital und Ingenieure.
Mit ihrem optimistisch rationalen Ja,
zu lindern menschliche Misere.
Tatsächlich war’s geschichtlich noch nie da,
dass man für 5 Jahrzehnte
nur Überfluss und Frieden sah.
Wenn auch im Stillen weiter tränte.
Privat indes ging alles schief:
Versagen, Mängel und Verluste
warn subjektiv bedingt, warn zu massiv.
Es kam, wie’s kommen musste.
Als Einsamkeit und innre Leere;
ich nahm sie klaglos hin.
Da warn ja Bläuen auch und Erdenschwere -
genug Ersatz für Sinn.
Ist es doch auch was, wenn man weiß,
s’wird einen Zufallsspur verrechen …
dass da kein Halt ist, kein Geheiß, kein Trost.
Man muss umsonst zerbrechen.
Das Glück I (912)49
Sie, Kunde, meinen, ich sei negativ
sei nihilistisch, glücklos, boshaft gar.
Der Neid auf Sie zerfresse mich,
nicht fähig, ein Erlebnis zu goutieren.
Indes ich mit dem Glück per Du
schon immer bin. Es ist mir zugetan.
Und dies schon’s ganze Leben lang.
Es liebt wohl die, die es nicht zwingen,
nicht mit ihm hadern, ihm nur dankbar sind,
wenn’s unverhofft sich einer Leere würfelt
und dann genommen wird, wie es sich ziemt:
Als Stundenwurf, ganz leicht und heiter.
Und trauerlos, wenn’s wieder geht.
Wohl wissend, dass doch alles Glück
allein nur geistiger Natur sein kann:
Weil Eros Geist ist, beide asozial
und kompromisslos zügellos gefasst,
wenn stumm sie ineinander fallen,
sich ab zu rauben dieser Wohlstandsfron.
SMS (84)/Prägende Verschlüsselungen (913)50
Blaue Himmelsmeere,
endlos in sich selbst sickernd.
Ein haarwarmer Sommerwind,
in Demutsstaub die Halbwolken anwehend.
Katzenumschläferte Mittagsstillen.
Der zeitlose Tod,
stein- und gladiolentrunken,
schüttelt mich ab.
Das Ungesagte saugt an der eigenen Kippe.
Gleichgültig wie immer.
SMS (85) (914)51/So mir momentweise aufgedrängt
Trotz Gehabe: Langeweile.
Hysterien, Leere.
Quellen schaler Ich-Magie;
solcher ohne Daseinsschwere:
Kaufrausch-Artefakten-Meere,
Lachgas-Drogen-Despotie …
Anonyme Selbstwert-Keile.
SMS (86) (915)52
Der Vorschnee zeigt mir die Zähne.
Mein Seelenbein fröstelt zurück.
Immerhin kommt mir niemand unter.
Den besonders würde ich
präzisionstückisch umeisen.
SMS (87) (916)53
Jubelbeauftragter Psychen
vermainstreamender Reklame:
Der Prozente-Helot.
Begrifflich enteignet.
Doch tugendgebräunt.
Das ist doch auch was!
SMS (88) (917)54
Ruhm? Bei wem denn?
Wer möchte schon
von Subjekten
erinnert werden,
die gar nicht mehr
Herren ihrer Existenz sind?
Und noch viel
weniger frei …
Büttel sind
Hirne kopierender
Kommunikationsdespotie?
SMS (89) (918)55
Da fällt ein Schnee
aus mir raus,
von dem ich
gar nichts wusste.
Weißer jedenfalls
als dein treuloses
Entbitterungsgeäuge.
SMS (90) (919)56
Zum 74. Mal nunmehr
zitiere ich
die Gegenglücke
zum Rapport.
Sich zu rechtfertigen
und ihre Finten
offen zu legen.
Aber, wie immer,
sind ihre Argumente
unwiderlegbar,
ihre Rechtfertigungen
einsichtig,
ihre Beweise
erdrückend,
ihr Realitätssinn
scharf genug,
all diese
vor sich selbst
buckelnden
Gehorsamsbezeigungen.
mühelos zu entlarven.
SMS (91) (920)57
Man kann doch nicht
bereuen wollen;
so wenig wie man
lieben wollen kann.
Natürlich hätte ich
so manches
diesbezüglich sollen.
Doch kam ich
gegen mich nie an.
SMS (92) (921)58
Verwahrlosungserlass?
Endlich reagiert die Verwaltung!
Nach so vielen Jahren!
Tritt in Kraft wann?
Wer führt ihn durch,
hat überhaupt die Mittel?
Und was danach?
Wer wird die dann auf Dauer gestellte
Selbst-Verdinglichungs-Pflicht
überhaupt noch ablehnen können?
Ich frage das, weil nur die Deutschen,
was Daseins-Absurditäten anbelangt,
gleichsam selbstschädigungslüstern
versiert sind: gerade auch,
weil jene stets auch ethisch unterfütternd …
zumal auch juristisch
geradezu davon berauscht.
SMS (93) Ein Preis naiver Aufklärung (922)59
Weltferner Feind der Zeitgeistzügel
greife ich, Geistes-Epigone, zurück
auf vormoderne seelische Gehalte
metaphysisch geprägten Halluzinierens.
Nur um zu meiden Innenweltlenkung -
Kapitalistisch gemodelte Emotionalität:
Erlebnisspuren speichernde Substanzlosigkeit
kommunikationsflockig zerstobener
und längst zum Abklatsch gewordener,
wohllebenslüstern gedungener Subjektivität.
Die, marktdevot sich selbst entsagend,
sich verhehlt, ein Beispiel zu sein
wissenschaftlich und verfahrenstechnisch
geprägter oder gar zerschlagener Intimität.
Kommunikationsdiktatur II (923)60
Mir fallen schon wieder
die Augen zu.
Wahrscheinlich ist das
auch eine Folge
meiner vehementen Weltabwehr.
Vor dem Fernseher sitze ich,
halb erschöpft,
halb auch angewidert vom Tag,
von erlebter Kleingaunerei,
Gedankenlosigkeit,
Verwahrlosung und Korruption.
Es mag aber durchaus sein,
dass ich mir
diese Dinge nur einbilde,
verliert doch der,
der radikal für sich bleibt,
leicht den Realkontakt
und mit diesem
die angemessene Sicht
auf das Verhalten
der Individuen.
Obgleich diese selbst
die allzu dünn gewordenen
Schichten von innerer
Widerständigkeit
gegen die Verführungen
dieses Prozente-Kolosseums
deutlich signalisieren.
Dem sei, wie auch immer:
Mir scheint
der Sinn für Wirklichkeit
rapide zu verfallen,
wappnet man sich
doch kaum noch
gegen Niedertracht,
Phrasenarroganz
und Dauerpropaganda -
irgendwann, vermute ich,
umschlagend
in eine Despotie,
die keine Umbenennung mehr
zu verdecken braucht.
Reime (924)61
Wenn ich reime,
dann auch aus Protest
gegen die Verdinglichung,
Vergossung und Verarmung der Sprache.
Versteht man diese zu lesen,
wird einem das Ausmaß
an Verwahrlosung deutlich,
dem sich die personal entsorgte
Subjektivität hingibt,
um sich,
verwertungsbelämmert,
als kollektiv geborgte
verantwortungslos
und verspaßungsdebil
zu ertragen.
Ein mit sich selbst Geschlagener (925)62
Mir ist nicht zu helfen.
Wer sonst macht sich morgens,
zwölf Minuten nach sieben,
schon Gedanken über eine Existenz,
deren Belanglosigkeit und Unfreiheit
zwar offenkundig sind,
die aber deswegen doch nicht
unmittelbar entlässt aus der Notwendigkeit,
sich mit was auch immer für Inhalten,
als zweck- und verantwortungsträchtig erdichtet,
anzureichern und zu motivieren,
um überhaupt noch ins Büro zu fahren,
seine Arbeit pflichtgemäß zu erledigen,
die Artgenossen nicht einfach zu ignorieren
oder gar zerstörungslüstern auffällig zu werden?
Tiefengewoge (926)63
Beziehungskult und Trivial-Ekstasen,
getaucht in fade Langeweile.
Beschönigt durch Sozialstaatsphrasen
und bildfromm imitierte Selbstanteile.
Das sind die Gründe für gebundne Sprache,
das Insistieren auf den Intellekt …
Gedichte gegen diese Psychen-Brache,
die sich in Kinderei wie Ich versteckt:
Pleonexie, Narzissmus und Verwahrlosungen.
Ob derer unten, derer oben.
Die oben scheinen mehr gelungen,
da mit politischer Moral verwoben.
Ich stehe nicht fürs Delirieren
der Massen wie der Massenexponenten.
Die gegenseitig sich verführen,
sich selbst, Natur und Wert zu schänden:
Bis in den Wesenskern korrupt.
Wenn auch nicht schuld an ihrem Treiben,
da hilflos asozial verpuppt,
sich als Monadenhorde aufzureiben.
Schutzlos (927)64
Der Kapitalismus und seine Genusssucht-Bataillone
verspielen sich selbst.
Immer gleichgültiger werden sie sich,
begeben sich in Abhängigkeiten,
verraten und verkaufen sich.
Pausenlos feiern sie
ihre eigene Brüchigkeit.
Sie sind machtmüde zumal,
haben heimlich Sehnsucht nach Selbstaufgabe.
Verstohlen hoffen sie auf
Entlastungs-Unterwerfung.
Ich beklage das.
Gehen sie nämlich unter,
und sollte ich das noch erleben,
werde ich nicht mehr für mich:
abgesondert allein bleiben dürfen.
Vielmehr vielleicht ausgesetzt sein
den wirren Phantasmagorien
irgendeines Despoten, der glaubt,
die Weltordnung korrigieren
und transformieren zu können.
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