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Diese Seite enthält 63 Gedichte

Meinen Eltern (14/801)1

Es will mich nicht in Ruhe lassen,
der beiden Toten Gramschicksal: 
Vernichtungstrunknen Zeiten ausgeliefert,
die ihnen ließen keinen Stich,
zu Trauerspreu sie deklassierten.

Wär ich doch in der Lage nur,
für sie ein Daseinskleinod zu erschaffen,
was durch die Grabessande dann zuletzt 
sie ließe Liebe, Dank und Trost erfühlen.

Vielleicht - wer weiß? - ja ein Gedicht, 
verklärungsmächtig durch ihr Grab zu lenken
ein Geistwort sinngetränkter Lebensspur.
Ein Götterblitz als gütehelles Überlicht,
zu überstrahlen ihre Existenztortur …
So ihrer dankbar zu gedenken.

Vor langer Zeit (14/802)2

Von Sommertagen, frühen, geht die Rede, 
Tagen des Urvertrauens auf den Feldern.
Innenwelt packend bergendes.
Magisch ausgesogen 
dem sehnsüchtig erlauschten Brausen des Windes,
dem so tief vertrauten Summen, 
Zirpen und Schweigen der Insekten.
Dem Geruch schwarzer Erde,
dem Anblick neigungsgelb wogender Ähren,
dem roten Klatschmohn, 
der zwischen ihnen stehend,
hin und her schwankte
und den traummächtig lockenden,
in weiter Ferne sich verlierenden Himmelsbläuen.
Geborgenheitszittern wunderbarer Sonnentage.

Am Feldwegrand saß ich,
ließ mich heben von all dem, 
was mich seinstreu umgab,
seelisch behütete, 
sich eine tiefe Spur bahnte 
in mein Innerstes.
Einheitserfahrung. Unverlierbare.
Noch aufblitzend in den Strichen,
die ich ungelenk in den grauen Sand 
am Rande des staubigen Weges kritzelte.

Mein Leben lang habe ich dort gesessen,
am Rand der Getreidefelder,
Sinne und Seele umfangen 
von der kryptischen Heimat 
des vielgestaltig erscheinenden 
stummen Stoffes,
der mich barg, tröstete, 
über die Menschenwelt hinaus riss,
mich ihrer förmlich enthob …
Mich zumal auch 
letztlich untauglich machte 
für diese modernen Kunstwelten 
der Aufstiegskitzel,
die mehr und mehr 
kommandierend lockten 
mit ihren sich schnell mehrenden 
standardisierten Surrogaten.

Herrliches Gestern einsamer Kindheitstage.

Von ihm werde ich zehren
bis mich 
der allgerechte Gleichmacher 
heim holt,
hat es mich doch 
seelisch aufrecht erhalten,
hat es mich doch, 
Abstand schaffend, 
geleitet durch all diesen 
despotischen Stumpfsinn 
steriler Rationalität,
technischer Hybris und 
jener krakenartig auf alles 
zugreifenden Geldwirtschaft,
die das Denken, 
Wollen und Fühlen 
ihrer Herren wie Knechte
ausnahmslos steuert …

Diese sterile Rationalität,
die das Ich 
zum käuflichen machte,
den Eros zerstörte, 
den Geist liquidierte
und das ganze Dasein 
in die Krallen 
seiner alles profanierenden 
Tauschknute trieb.
Entlastungsdrastisch.
Tugendarrogant.
Selbstzerstörerisch.
Sinnleer.

Indes geschichtlich 
und evolutionsgeboten
absolut notwendig.

Am Grab der Eltern I (14/803)3

Zwei Gescheiterte liegen da.
Gescheitert an sich, ihrer Herkunft, 
den geschichtlichen Lagen.
Hin und her Geworfene.
Orientierungslose.
Nicht einmal annähernd waren sie gewachsen 
den radikal in die totalitäre Barbarei 
zerbrechenden Verhältnissen.
Indes: Wer sonst wäre es gewesen?

Immerhin hat mich ihr Schicksal das Entscheidende gelehrt:
Dass man unabänderlich allein, 
faktisch hilflos und menschlich ohnmächtig ist.
Und, sich Lebenslügen zusammenstoppelnd, 
in einer definitiv sinnfreien Welt dahin treibt.
Subtil oder drastisch roh deklassierend dauerprekär.

Zumal nie über sich selbst verfügend.
Machtlos ausgeliefert den jeweiligen Umständen: 
Den unsicheren Jahren der Weimarer Republik
den faszinierend todessüchtigen 
Übermenschenweltmachtträumen dann
und am Ende den wohllebensreligiösen bundesrepublikanischen Erlösungsverprechen einer Warenwelt, 
die ihre unausgesprochenen Daseinszwecke immerhin einlöste:
Totalitäre Selbstentpflichtungslust durch nimmer endende Reiz- und Erlebnis-Zufuhren.
Den Eltern wiederum unzugänglich, weil völlig fremd.

Und im Traumlauf der Erinnerung an dieses spukhaft-deutschirrationale, barbareigetränkte Ungefähre, 
vom Zufall gesegnet: 
Geistgeborgen in meiner Muttersprache … ich, 
halbfremd den beiden, vor deren Grab ich hier stehe 
- ihnen tief verbunden indes, diesen kleinen Leuten -
nunmehr - wieder einmal -
ihnen liebevoll, dankbar und heimlich 
vertränt zu gedenken.

Missverständnis (14/804)4

All dieser Ekel, all die Trüben,
die Schamgefühle, die, 
enttarnt mit mir verwachsen,
Gelenke meiner Seelenachsen
und Schwestern sind 
den Trauerschüben,
die einsam machen 
und so niederdrücken …

All das und was ich 
sonst verschweige,
zumal nicht fähig 
zu Bewusstseinslücken,
geht mit Distanz einher, 
die ich bezeige
den anderen, 
die solche Abwehr kränkt.

Als wäre sie Verachtung 
ausgeronnen
und willentlich von mir gelenkt …
Als wäre solchen Zwängen 
so was wie Freiheit eingesponnen.

Ecce homo* (14/805)5

Ich deute selten etwas an von mir.
Politisiere nur stattdessen.
Indes ich spüre, dass wir schier
uns mehrfach fremdgesteuert selbst vergessen.

Denn überhaupt: Das Individuum
ist radikal entmündigt.
Fühlt sich beglückt als geistig stumm.
Vom Zeitgeist angenehm entsündigt.

Ich sag’s noch mal (und sag es immer wieder):
Totalitär ist dieses Marktsystem.
Macht die Subjekte wohlstandsbieder:
Erlebnishörig stumm bequem.

*ecce homo lat., hier: Merke auf Mensch! ... Was widerfährt dir da!

Innere Stille (14/806)6

Je älter ich werde, 
desto mehr übertönt meine innere Stille,
kommandierend und psychisch völlig abgeschlossen,
jenes dauerlärmende Nicht-Ich um mich herum.
So wie sie Du und Wir sich einverleibt,
sie ins Unfassbare, 
Fremde und Bedeutungslose streckend.

Eroskore (14/807)7/Für ... 

Eroskore ferner Tage,
möcht dich noch mal wiedersehen.
Denn mich rührt schon an die Lage,
die ganz stumm macht: Endvergehen.

Denkst du noch an mich zuweilen?
So wie ich an dich,
buchstabierend Körperzeilen
rauschverhangnem Ich?

Deinem Glücksleib, diesem Nachen,
der Bewusstsein untergrub,
Taumeldasein zu entfachen:
Hautbegängnis als Vollendungsschub.

Möchte dich ein letztes Mal
so wie einst berühren:
Zeit zu leugnen, Fremdheit, Einsichtsqual.
Dich als Sinn mir delirieren.

*Kore griech.: Mädchen

Spaßgesellschaft I (14/808)8

Steriles Sodom und Gomorrha, eines für Leichtlaufsubjekte,
die zu sündigen gar nicht mehr fähig sind:
Allenfalls noch zu flat rate-Lasterhaftigkeit,
geplanter Soll-Geilheit und rabattierter Verwahrlosung.
Erlebnisintensiv die dumpfe Langeweile 
und fade Sinnlosigkeit zu betäuben,
die eine Überflussgesellschaft -
eine Gesellschaft, in der der Konsum aggressiv, 
gewissensarm und seelenkalt macht -
notwendig aus sich hervor treiben muss.
Spaßgesellschaft? Nein. Es geht nicht um Spaß.
Es geht um systemstabilisierende Erregungszufuhr,
um eine obszön-phrasenhaft-totalitäre Belämmerung,
darum, die Individuen davor zu bewahren,
auch nur ansatzweise den radikalen Nihilismus zu spüren,
dessen Psychen-Beute sie doch sind:
Permanent um Realitätsverweigerung flehende Kinder.
Funmystisch personal deklassiert,
um jedwede Widerständigkeit gegenüber sich selbst gebracht,
sich selbst als daueremotionalisierte Wohllebens-Heloten,
geistdefizitär-verzweiflungseinsame Leerformelkiffer zu erfassen: 
Als virtuose Vollzugsmimen verdinglichenden Selbstzerfalls.
Heteronom. 
Würdelos. 
Anmaßend 
und einsichtsunwillig.

Indes auch völlig schuldlos.
Das ist Fakt.

Hier (14/809)9

Was ich hier stündlich als Gewohnheit lebe,
das duldet faktisch keinerlei Versinken 
in Geist und Seele, Stille … irgend Ideal.
Als ob’s tatsächlich denn noch möglich wäre, 
dass einer nicht beständig und allein nur strebe
nach Anerkennung, Show und Lust und Zahl.
Im Kampf der Coolen, Smarten, Showmen, Flinken
um diese Spätzeit-Ratio-Schwäre.

Fragen über Fragen (14/810)10

Wozu mir noch was abverlangen,
wenn Ziele fehlen und Gewissen?
Von Formeln, Phrasen und Effekt gefangen,
mich nur noch selbst zu küssen?

Wozu moralisch sich denn knebeln,
sich in Verständnis und in Rücksicht üben,
wenn Gier und Stumpfsinn allen Sinn aushebeln,
Konsum verbohrt und Sollenstrüben?

Wozu noch gegen Götzen rüsten,
Pleonexie, Propheten und Banausen,
Reklame-Transzendenz und Markt-Statisten …
Wenn alle sich Betrug einhausen?

Seelische Zufluchtsstätte (14/811)11

Gewissermaßen intellektuelles Abri*, 
mehr noch: Seelische Zufluchtsstätte,
ist dieses monomane Gedichte Machen für mich.
Ist es doch so etwas wie Selbstbewahrungsversuche
in ein symbolisches Gefüge gießen als Synthese 
von Geist, Halt, Heilen von Wirklichkeitswunden 
und der Abwehr zeitgeistimmanent kommandierender 
Entmündigungs- und Infantilisierungs-Attacken.
Ein Gedicht wird immer stehen gegen Sprachverdinglichung,
verlockend entlastende geistige Verkrüppelung,
unterhaltungsindustrielle Sentimentalisierung und 
mediale Verwahrlosungsbeglückung.
Gegen disziplinierende Gewissensorthodoxie zumal,
Leerformelräusche und die Phrasendiktatur
permanent vereinnahmender Tugend-Propaganda.

*abri franz.: Schutz

Ode (14/812)12

Was ist das, dieses fade, gebändigte,
mehr noch: sublim von außen gesteuerte,
abstrakte Dasein unter Lustdruck
anderes als angenehm platte Ichsucht?

Was, außer Narzissmus-Zwang, entfesselte 
den Hirnen solcher Armut und schamferner 
Dressur durch Geldwirtschaft und Habgier
blendende Finten herrschender Cliquen?

Und doch: Wer sähe nicht die entlastenden 
Verzückungschancen währender Ablenkung.
Da Halt doch fehlt und Werte schwinden -
Wen auch ergriffe nicht Stumpfsinn statt Geist?

Mystisch ergriffen (14/813)13

Von Ganzheit 
ist die Rede,
Harmonie,
Persönlichkeit,
Verantwortung und 
Seelenruhe.

Ein Schwall 
von Leerformeln:
Agonie totalitärer
Ich-Brandung
wohlstandsbetäubter 
Auto-Konsumenten.

Anarchische Assoziationskette (14/814)14

Kapitalismus: Die friedliche Variante schleichender Selbstzerstörung.
Verblendung durch narzisstisch-pathologische Halbgottmimen.
Am Ende sich bergend in einer durch künstliche Intelligenz überwachten, 
kollektiv-totalitären Schafs-Existenz.
Genusssakral.
Phantasielos.
Erregungskommandiert.
Entglückungshektisch.
Kortexdiktatorisch.
Die Gleichung als Entseelungsmesser.
Ein Mittelkosmos ohne Zweck.
Wohllebensnihilistisch Erfüllungen verweigernd.
Mittels Hyperverbrauch und Erlebnisexzessen.
Das ist eines seiner Geheimnisse: Warenanimismus.
Das Produkt erhält Erlösungsstatus.
Metaphysik der Leichtlaufglücke.
Geplante Unzufriedenheit zugleich.
Trivialsprachlich Innenwelten konformierend.
Oberflächendionysisch: 
Die Lust wird zwangsonanistisch.
Entlastungsvirtuos.
Selbstwertbehelf.
Effektsynthetisch.
Vor ihm: Geist-Hochkultur. Unwiederbringlich.
Er selbst: Global-Verhirnungs-Trust.
Rational destruktiv.
Verkindlicht-kreatürlich analytisch.
Intelligible Subjekt-Atomistik.
Nach ihm: Der letzte Seinsschub:
KI-Verelendung: Panexistentiell tragend. 
La bête vertueuse et paisible.
La servitude parfaite*.

*Ü: franz.: Das tugendhafte und friedliche Tier.
Die perfekte Knechtschaft.

Andere Sicht (14/815)15

Ich-Ausschlürfung. Verbraucher-Mythologie. Einkaufsmeilenmetaphysik.
Selbstkonsum als alternativloser Daseinsbetrug.
Dass all dies den Durchschnitt befriedet
und, emotionsanimiert, in Verzückung versetzt,
psychisch stabilisiert und mit Sinn versorgt,
verpflichtet mich unmittelbar
- und sei’s aus purem Selbstinteresse -,
Demokratie, Rechtsstaat und erfolgreichen Kapitalismus
als imperative Endzwecke menschlicher Perfektionssucht ohne kritische Widerworte vorbehaltlos zu glorifizieren.
Denn: Um mich geht es hier mitnichten.
Meine Existenz ist völlig belang- und bedeutungslos.
Und überhaupt: Einen Inhalt - 
und sei er auch trügerisch-phantasmagorisch -, 
der trägt, muss ich bejahen, stützen.
Weiß ich doch, dass es ein Wunder ist, 
wenn überhaupt einer greift.
Für eine gewisse Zeit wenigstens.

Seelisch heimatlos (14/816)16

Zuhause bin ich psychisch nirgendwo.
Für mich bedeutet Heimat zumal Schmach.
Und Niedertracht auf Schundniveau,
Prozenten hörig brach.
So ist’s tatsächlich. Allfatal.

Indes gilt es, 
auch dieses zu bekennen:
Der deutschen Sprache 
kulturelles Potential
ließ mühelos 
mich all das geistig überrennen.

So war und ist es; 
und ich sag's nochmal.

Auch eine Wahrheit (14/817)17

Das aggressiv-fundamentalistische Bekunden einer 
sich von den gesellschaftlichen Fakten 
abdichtenden Kommando-Moral, 
ist auch eine sublime Verschleierung 
von sachlicher Inkompetenz,
politischer Hilflosigkeit 
und ideologischer Desorientierung.
Es ruiniert den Realitätssinn,
fördert intellektuelle und geistige Selbststrangulierung
und bringt unweigerlich überproportional viele Satelliten-Tugendreiter: Gewohnheitskorrupte ans Ruder.

Gelungenes Dasein/Sonett (14/818)18

Mein Dasein wird sich bald vollendet haben.
Und dieses werte ich jetzt als gelungen.
Obwohl ich habe lebenslang gerungen,
mir selber zu erklären diesen Graben:

Dem Faktum, dass mir all die schönen Gaben
des Wohlstands schienen eher Schein gedungen,
recht trügerisch und fast schon abgeklungen,
bevor sie noch an Inhalt können schaben.

Zumal das einen macht zum Außenseiter,
zu einem, der’s nicht schafft, sich, angepasst, 
hinauf zu hangeln auf der Zeitgeistleiter.

Was doch erleichtert hätte mir die Last,
die man sich wird, je klüger und gescheiter
man unsre Farce als ausweglose fasst.

Keine Ideale I (14/819)19

Ich habe keine Ideale.
Und dies auch deshalb, 
weil ich weiß:
Zieht man sie erst mal 
aus der Worte Schale,
bleibt nichts als nur 
ein totes Gleis.

Die Bildungstradition 
her von Athen …
Ein längst vertanes 
Geistgefüge.
Mithin wofür? Für wen?

Es fehlen jetzt 
die Seelenlagen:
Sind schwerstnarzisstisch
infantil.
Die jener, Gleiche,
hoch bespaßt entsagen.
Marionetten 
diesem Endzeitspiel.

Spätes Gedicht an/Für ... (14/820)20

Bis in meine letzten Tage
werde ich gedenken deiner:
Jener Nachmittage feiner
Weltenthobenheit geweihter Lage.

Werde auf die Schönheit blicken.
Deine, die mir überstrahlte,
was profane Deutung prahlte:
Alltagssog und Daseins-Tücken.

Werde Seligkeiten roden
vor Gehäusen stiller Uhren.
Noch mal deine Leibkonturen,
Sinndrang folgend, auszuloten.

Unumkehrbare All-Befreiung ins Nichts (14/821)21/Sonett

Sein ganzes Leben lang läuft man ihm doch entgegen,
dem eignen Ende; und man weiß das auch genau.
Ein Faktum, das man freilich gerne sich verdrängt.
Man sagt da höchstens mal: „Na, ewig lebt halt keiner.“
Bemerkungsweise, ohne groß zu überlegen.
Und daran tut man wirklich gut; das ist recht schlau.
Schon weil allein man ist, sich selbst auch niemals lenkt.
Was bohrt in einem, macht die Daseinslast nicht kleiner.

Nun ja: Auf meines werd ich treffen nun sehr bald.
Das dauert wirklich nicht mehr allzu lange Zeit.
Und mir wird’s gehn wie allen, die dann untergehen:
Ich werde hilflos sein, verängstigt, reines Leid ...

Vielleicht erinnern mich an diesen Einsichts-Halt:
Dass nichts ich werde sein: so einheitslos verwehen.
 
Sonett für ... (14/822)22

Das ließ sich einfach nicht herüberretten 
in Alltags- und Erledigungs-Gefüge.
Auch dann nicht, wenn wir fest gewollt es hätten.
Zumal es faktisch eine Daseinslüge,

da doch Passion war, nicht an Welt zu ketten.
Wo wäre denn die Welt, die solche trüge?
Die gibt es nicht, muss sich Profanem betten,
damit man sich nicht asozial verbiege.

So ist es wohl. Indes es einzusehen,
das wird mir schwer bis hin zum Grab-Rand fallen.
Besonders wenn Erinnerungen flehen,

die sehnsuchtssiech nach deinem Körper lallen.
Weil sie in diesem tranceschwer untergehen,
in ihm sich rauschhaft wollen tief verhallen.

Den Eltern ins Grab gerufen (14/823)23

Mal wieder habe ich an euch gedacht:
An Scheitern, Scham und Mittellosigkeit,
an Herkunfts- und Sozial-Ohnmacht -
an hilflos stilles Leid.

Geschichtsverzehrte kleine Leute.
Zerrissene. Ganz unten.
Machtmystik und Vernichtungsdrang zur Beute.
Zwei deutungsstumm verwirrte Wunden.

Euch schollendrastisch aufgerieben,
im Kern orientierungslos,
seid, unfrei, ihr doch lebenslang geblieben
zwei Schatten aus der Massen Zufalls-Schoß.

Immerhin (14/824)24

Wenn es was taugte, wüsst ich es.
Wüsste es schon längst.
Faktisch ist es do ut des*,
Ich, in dem du dich verfängst.
Eine lebenslange Schwäre.
der du, Stoffzwang, dich verschenkst.
Zeitgebundne Tranceschimäre,
die als Selbst du denkst.
Immerhin gibt’s Augenblicke,
all dem zu entkommen;
lösend aller Drangsal Stricke:
Tief von Gott und Geist benommen.

*Ü: lat.: Ich gebe, damit du gibst

Daseinsablauf (14/825)25

Ob ich, fragst du, was versäume?
Nein. Wohl nicht. In keiner Weise.
Wechsle ich doch nur noch Räume,
freilich auf demselben Gleise.
Zur Arbeit gehe ich um sieben.
Zum Sport dann kurz nach elf.
Ich gönne mir da kein Belieben.
Ich weiß, mein Leben ist Behelf
aus Schreibtisch, Dichten oder Lesen.
Und mit viel Glück sechs Stunden Schlaf.
Das ist es dann auch schon gewesen:
Ich bin Erledigungs-Routine-Schaf.
So also plätschert mir mein Dasein hin.
Allein ich brauche auch nicht mehr.
Ich suche nämlich weder Zweck noch Sinn.
Weil’s maßlos, unreif … kindisch wär.

Faktenferner Seelentaumel (14/826)26

Die Hully-Gullysierung aller Psychenschichten
bringt auf den Punkt das Grundgeschehen:
Sie drücken selber sich herab, die schlichten 
Allround-Beglückten, die sich hörig drehen
um trivialmediale Dauerabrichtungen:
Verbraucher, lückenlos perfekt gesteuert,
Zeitgeist und Unterhaltungsindustrie gelungen,
die jenen permanent Vollendungschance beteuert
als Kinder-Emotionen einer Spaß-Oase.
Die alles biete - Gleichen, Kleinen, Großen -
auf ihrer faktenfreien Einbahnstraße …
Selbst Glücksekstasen in Gefühls-Kolchosen.

Ein spätes Quäntchen Gegenlähmung/Für? (14/827)27

Hör zu, es kommen allerletzte Jahre.
Wahrscheinlich solche also, die zumeist bedrücken.
Durch Angst, Bedauern, Trauer, Depressionen.
Vielleicht auch Schmerzen - wer kann’s wissen?

Und Faktum ist, dass man zur Grube fahre.
Sodass die Jahre eben nicht mehr glücken,
schon weil doch fehlen Zukunft und Visionen.
Und das macht unzufrieden, resigniert zerrissen.

Doch seien leer die Seelen, grau, gar weiß die Haare …
Ich möchte manchmal mich noch zu dir runterbücken,
um deinen obschon welken ephemeren Mohnen
ein Quäntchen Gegenlähmung abzupflücken.

Identifizierungs-Moves (14/828)28/Für David Riesman 

Entlastungsgierige Monaden,
sich wirr im Gleichtakt reckende Subjekte,
des Wohlstands Stechschrittfreizeitkader,
die, aufgepeitscht von Lichteffekten,
Trance, Rausch und Weltvergessen intendieren,
Kakophonien hörig Pop-Ramsch folgend,
ergehen sich in Selbstaufgabedrastik,
durch technogene Mystik aufgeputscht,
sich autokonsumistisch auszutoben.
Kulturschlicht drangsaliert von Ängsten
von anonym normierter Wesenlosigkeit.
Sich selber minderwertig und gewöhnlich,
beeilt sich jede, scheinbar gleich zu sein,
um sich zugleich subtil doch abzusetzen
durch Mimik, Gestik und verarmte,
von Neid geplagte Ichsucht, ehrgeizkrank.
Zugleich erlösungsdurstig, kalt und leer,
narzisstisch, lieblos, geil, blasiert.
Gehorsam Medien, Markt und Phrasen,
sind Spielball sie globaler trash-Magie.
Erlebnisdionysien inszenierend
in absoluter Dauergegenwärtigkeit.
Ersuhlter Seelendrangsal geistig tote, 
existenziell entflochtne lonely crowd*.

*lonely crowd: einsame Masse. Riesmans Buch von 1953 hat den Titel "The Lonely Crowd. A Study of the Changing American Character"

Eltern und … (14/829)29

Gefangne eurer Herkunftsniedrigkeiten,
wart ihr geworfen in ein armes Leben:
Prekäres Unterschichtengleiten
im Alltagskampf um Nahrung, Miete, Lohn.
Auch ein paar Hoffnungsfetzen euch zu weben.
Obwohl doch Scheitern ausgesetzt am Anfang schon.

Indes ich habe euch sehr gern gehabt.
Trotz allem nie gefühlt, ich hätte zu vergeben
was immer euch, von Alltagssorgen überlappt.
Geduckt von Angstanfällen, Alkohol, Tabletten …
Verheerungen, die niemand kappt.
Nicht einer kann sich selber daraus retten.

Man kann nun mal sein eignes Los nicht wählen,
muss da sich, wo man aufprallt, betten.
Ist, zumal krank, fatal allein.
Wie kann man auf sich selbst da zählen?
Gar auf sich selber wetten,
verhöhnt als Unform, Säufer-Bankert, Gossenschwein?

Hirnjoch (14/830)30

Ob’s absurd sei, was bedeute,
weiß ich nicht zu sagen.
Weiß nur, es ist schwer zu tragen.
Ist man lebenslang doch Beute,
sei’s von Du, sei’s Wir, von sich.
Taumelnd ungreifbaren Werten,
wirren Lagen, Last des Ich …
Unlesbaren Fährten.

Werd’s am Ende auch nicht wissen.
Unausdeutbar ist es wohl.
Weiß nur, alle würden’s missen,
selbst wenn’s Gram war ohne Pol,
sinnlos hintrieb vor der Uhr.
Was es, glaube ich, auch tut:
Pein-Gehäuse, Stoffschrei nur …
Hirn-Joch ohne Sinn-Prämissen.

Über die Nachahmung von Scheinweltgötzen (14/831)31

Ein ideales Ich? Das ist für viele heutzutage Traum.
Sie sind geradezu auf solches angewiesen.
Dies Fremdkonstrukt im eignen Psychen-Raum.
Um heimlich sich nach ihm dann zu entwerfen.
Die dafür sorgen, heißen Medienriesen,
die machen, dass in jener Innenwelten strahlend surfen
die Kultstars heißen, faktisch jenen völlig unbekannt.
Die so als Zeitgeist-Zweit-Ich dienen sollen.
Idole: reich, begehrenswert, schön und potent … 
prägnant:
Gefühlsaufheller, Selbstwert sich zu steigern.
Indem man träumt, zu schöpfen aus dem Vollen:
Sich allen Nöten, Grenzen, Mängeln zu verweigern.
Statt faktisch nichts zu sein, gelenkter Abklatsch-Tand,
ein Straßenschatten ohne eignes Wollen,
noch nicht mal halbgebildet, also ohne Zaum,
sich nur zu nähern seinen unbegriffnen Krisen.

Verhirnungs-Nihilismus (14/832)32

Worte, Versfragmente, Halbsätze werfe ich,
auch die Welt von mir fernzuhalten,
auch um mich selbst zu übersteigen,
gehetzt und gleichgültig zugleich, 
auf das von Kritzeleien übersäte Papier.
Gesteuert indes, ich kann es mir nicht verhehlen,
von einer mir von Anfang an so vertrauten, 
absoluten Stille.
Die, mich unablässig kommandierend, 
unmissverständlich auf sich selbst verweist.

Mir auch dieses gleichsam rhythmische Schweigen enthüllend:
Das einer Entgottungs- und Entseelungsorgie,
verhirnungsnihilistisch aller Geborgenheit entlaufen …
Und rasend vor Hybris,
Verblendung und Zerstörungslüsternheit.

Doppelexistenz (14/833)33

Fremdheit stets und Vorbehalte,
Misstraun, Abwehr, Maskenspiel.
Und der distanzierend kalte
Drang zu Härte und Kalkül.
Ausgeliefert Psychen-Zwängen,
Fratzen von Versagen,
Minderwertigkeitsgemengen,
Ängsten, die in Wut umschlagen.

Kann man sich denn so bestehen:
Ohne Liebe, ohne Güte?
Stündlich Einsamkeit geschehen,
wissend sich zumal als Niete?
Kann man nicht. Es sei denn Geist,
Einsicht und Gedichte tragen.
Dann, obwohl human verwaist,
mag man sich, enträtselt, wagen.

Kompaktes Gedicht über das Ganze (14/834)34

Nein. Glück war’s nicht.
Doch auch nicht Leid.
Ich weiß zuletzt nicht,
was es war:
Ganz selten fernes Hoffnungslicht.
Gewöhnlich aber Einsamkeit.
Und Streben - jedes Sinne bar.

Prosafetzen (380) 
Prosaische Düsternis (14/835)35

Ein alternativlos nach der kapitalistisch-demokratischen 
Existenzgrundlage ‚Wohlstand‘ streben müssender 
(und in der Regel auch unbedingt wollender) Erlebnissammler, auf Ich-Optimierung, Innenwelt-Stabilität, Anerkennung und Lebenssinn dann ausgerichteter Mensch, wird sich in der Regel nicht zugleich darum bemühen, was jene Daseinsziele als Erwartungen und Sehnsüchte noch weiter für ihn und seine Kinder bedeuten/nach sich ziehen könnten
(immerhin erleiden wir schon heute die globalen Verwerfungen, die sich aus einer einseitig konsumtiv ausgerichteten Lebensweise ergeben müssen; wie etwa die sich immer deutlicher zeigenden Folgen von Naturzerstörung/Klimawandel, Ressourcen-Verschwendung bzw. -Verluste, dann soziale Verwerfungen (man sehe diesbezüglich nur einmal näher auf die Entwicklung der US-amerikanische Gesellschaft), seelische Verarmungen und Selbststeuerungsverluste durch massive psychoethische Primitivisierungen (Orientierungslosigkeit, Gewissensarmut, 
Charakterlosigkeit, Selbstinszenierungs-Orgiastik usw.), die freilich unvermeidlich sind, weil die Menschen durch Reklame etwa, Starkult Filme und Medien nahezu beliebig gelenkt, geradezu abgerichtet werden können, ausgeliefert einer Welt, die zu durchschauen die Leute 
zwar wohl durchaus fähig wären, das aber zu leisten strikt vermeiden, weil sie - sie wissen es intuitiv - die seelischen Bedrückungen, die aus solchen Einsichten erwüchsen, nicht annähernd würden verarbeiten können …

Indes: Was könnte diese - gewiss lustvoll-spaßdrastisch-angenehme – allein auf Wohlstand fußende Existenzweise nach sich ziehen? Im schlimmsten Fall
die Gefährdung der Art ‚homo sapiens‘, einer Art, deren Ratio-Hypertrophie sich als Überspezialisierung erweisen könnte … Oder: Nicht die Gefährdung der Art, aber ihr Versinken in Chaotisierungs-Szenarien (Dauerbedrohung durch Naturkatastrophen - global), in politischer Irrationalität (dem Verlust einer wenigstens formaldemokratisch stabilen Ordnung), und: kriegerischen Auseinandersetzungen (auch solchen, die zu einem Atomkrieg führen könnten).

                         *

Nicht, dass ich versucht jetzt wäre,
zynisch mich hier auszulassen.
Weiß ich doch, dass unsre Fähre
ohne Gott wird jedes Ziel verpassen:

Vor allem dieses: Lebenssinn;
den wir uns selbst nicht können schaffen.
Wir gehen uns zuletzt als Tiere hin:
Determinierte Zufalls-Affen.

Würd‘ jedem also seine Glücke gönnen,
auch wenn dann mich sie manchmal mieden.
Denn das, das muss man menschlich können:
Sich abzufinden mit des Daseins Nieten.

Zumal wenn fähig zu der Einsichts-Kraft,
die wir dann nennen dürfen ‚Geist‘.
die Scharfblick schenkt und Bodenhaft …
Vor unsrer Nichtigkeit am Ende erst entgleist.

Gottfern (14/836)36

Schuldfähig? Wir? Es ehrte uns, wenn wir es wären.
Jedoch wir sind es nicht:
Heteronome sind wir, die versehren.
Blasierte. Ohne Sinngewicht.

Uns selbst doch ganz allein nun überlassen,
ist uns auch dies genommen: Indirekt
zu steuern jener tierstammblassen 
Vernichtungssucht als Intellekt.

Ein Spielball seiner, andrer und der Hyle:
Das hilflos nackte Individuum.
Als ob es nicht, sich Ding, längst fühle 
ekstatisch leer bedeutungsstumm.

ZINSJA 67 (14/837)37

Im Takt der verschwommenen Leeren
gurren die Warenhalden 
zynisch die Gunst aller Unschärfen an:
Atemlos.
Trostlüstern so 
die Nenner 
der Weltformel 
schleifend.

Fest- und Klar-Stellung (14/838)38

Ich werde, umgegangen,
nichts bedeutet haben.
Und etwas Großes,
menschlich,
nicht gewesen sein.
So soll um meinetwillen 
dann auch niemand,
sichtbar weinen;
schon gar nicht,
um den Schein zu wahren,

Indes ich habe all das auch verdient.
Und das, das gebe ich auch offen zu.
Denn wem nur wäre ich je zugetan gewesen?
Doch niemandem. Ich konnte nicht,
gezwungen auf mich selbst verwiesen,
halbwegs, wenn überhaupt,
mich selber zu bestehen.
Für mich allein hab allzeit ich gelebt.
Nach außen hin mich nur gespielt.

Das Alter und das Ganze (14/839)39

Das Alter ist nun mal Bedrückungslast.
Man spürt sie jede Stunde.
Als Angst. Als Schmerz. Als zeitlichen Ballast.
Man weiß sich auf der letzten Runde.

Indes man das doch immer wusste.
Man hat es eben nur verdrängt.
Hat nie beachtet schleichende Verluste.
Erfolg sich, Anerkennung, Lust verrenkt.

Und das war klug. Man muss das übersehen:
Dass machtlos man steht vis-à-vis
doch subjektiv schon schwankendem Geschehen.
Um wie viel mehr der objektiven Lotterie:

Sei’s wirtschaftlicher, sei‘s kultureller,
sei’s der politischer Brisanz.
Um die die Gossen lungern unsrer Seelenkeller.
Uns locken so „Spielt auf zum Totentanz“.

So mag’s gar trösten, alt zu sein.
Hat man die Farce dann bald doch hinter sich.
Wird absolutem Nichts dann gehen ein.
Nichts mehr erleiden. Weder Welt noch Ich.

Verwirrungsentlastungen (14/840)40

Verfahrens- und gleichungshörig 
korrumpiert dieser technisch 
entgrenzende Verflachungsklamauk
auch noch die Reste meiner
gesammelten Bewussteinsabfälle.
Die schießen dann zuweilen ein
in mein auf Widersprüche getrimmtes,
sophistisch geschultes Frontalhirn.
Um dann gerade deshalb von mir
als, ethisch korrekt, zeitgeistvermittelte 
Verwirrungsentlastungen überscharf
begriffen zu werden: Als notwendig,
den Zerfall von liberalem Rechtsstaat 
und Demokratie noch ein wenig
hinauszuzögern. Gerade auch
in meinem eignen, 
wohlverstandenen Selbst-Interesse.

Von vornherein was anderes (14/841)41

Die Teilhabe am Ungefähren …
Was lag mir an der schon?
Sich bürgerlich versehren
als Leihselbst aus sozialem Mohn.
Nicht dass ich’s hätte abgelehnt.
Aus Überzeugungswucht heraus …
Ich hab mich einfach nicht danach gesehnt:
Mich lenkte eine andere Magie.
Warum? Das ist mir nicht so klar.
Ich weiß nur, es war eine, die
nicht auf Geld abhob, PS und Haar.

Mittellosigkeit II (14/842)42

Mir gehen bald die Verse aus.
Ja mehr noch: Ich mir selber.
Zu fad ist mir der Selbst-Applaus,
suspekt die Goldnen Kälber.

Verlor so manche Illusionen,
wohl wissend, dass grad die man braucht:
Sich täglich wieder zu vertonen,
dem, was uns lenkt und staucht.

Doch andrerseits auch wieder hält:
Man kann den Affen nicht umgehen.
Das gilt für Lust, das gilt für Geld.
Und dreifach gar für die Ideen.

Gefahr des Deutschseins/Meinem so unpragmatisch wirklichkeitsverlustigen, tugendschauspielerisch widerspenstigen, identitätsarmen und selbst sich schädigenden Volk (14/843)43

Diese sublime Mischung aus pathologisch 
angekränkeltem Realitätssinn, politischer Feigheit,
gemütshaft-naiv-roher Mediokrität,
verlogen-taktischer Polit-Tugendbolderei,
medial inszeniertem Beliebigkeitsdilettantismus,
trivialsophistischer Inkompetenz und Selbstglorifizierungsmanie,
ausnahmslos ökonomisch geschöpftem Selbstwert,
bei gleichzeitig selbstverschuldeter: 
zunehmender Abhängigkeit von Oligarchen,
Despoten und ihre eigenen Wahrheiten schaffenden 
und dann erzwingenden Diktatoren,
weltanschaulich-kratischer Selbststrangulierung,
ideologischer Radikalität und notorischer geistiger Inkompetenz,
Selbsthass und grammatisch-semantischer Verwahrlosung,
progressiv verquaster Selbstentmächtigung,
fehlender Innenweltkonstanz
und unzureichender intellektueller Klarheit:
abusiv-tolerantem Selbstschädigungsemotionalismus, 
politmessianischem Bedenklichkeits-Egoismus
qua neurotischer Bedürftigkeit, 
sich permanent in sich selbst zu aalen,
trash-kultureller Leerformel- und Obszönitäten-Hörigkeit,
Geschichtslosigkeit, abstraktivem Humanismus an sich 
(tugendsophistischer Sakralisierung 
der wie auch immer Benachteiligten)
zunehmender All-Erbärmlichkeit,
gesellschaftlichem Zerfall 
und drastischer Auto-Monadisierung,
bin ich, das ist aufrichtig, ganz froh,
mir das nicht mehr allzu lange mit ansehen zu müssen:
Als führende Nation in Sachen 
zungenrednerischer Interpretation der Intentionen 
des Weltgeistes,
wird es schwierig werden, 
sich faktisch als ökonomisch wenigstens teilautonome Nation zu halten.
Zumal angesichts der kommenden Allseits-Verwerfungen,
die nichtbarbarisch (gewaltlos) zu gestalten, 
ich nur ganz wenige Chancen sehe.
Auf Seiten der Deutschen gar keine (sie sind wertdestruktiv).
Eine deutsche Totalschmiere gesinnungsethischen Eigensinns wird dann 
keinerlei Rolle mehr spielen können.

Vom blauen Baum/Lebensbeichte (14/844)44

Mir fehlten faktisch Halt und Fundamente:
Erziehung, Richtung von zuhause her.
Familie? Dauerlast und Trüben-Spende.
Verzweiflungswiederkehr.
Soziale Zwänge griffen kaum.
Nicht Schule, Werkstatt nicht. Nicht Straßenfron.
Was hielt, war einzig jener blaue Baum
als kindlich-märchenhafter Seelen-Thron.
Der in die Höhen ragte, losgelöst
von Fremdheit, Krankheit, Stumpfsinnweilen.
Bis heute vor in Himmel stößt.
Und dabei alles überstrahlt:
Selbst, Welt und Zeilen.

                         *

Zwar war ich hilflos der Gesellschaft ausgeliefert:
Bedrückendem Verzweckungs-Beutertum.
Indes doch Randfigur, die anders fiebert.
Vorbei an jener Daseins-Vakuum.
So war’s: Ich konnte nie sein nur ein Kunde -
Lakai von Luxus, Kaufkraft und Prozenten,
der Tyrannei der Selbstwert-Lunte:
Vereinnahmungsdiktat mich zu verschwenden -
Hat mich doch ausgeschlossen grad das Mittelmaß.
Was mich bewahren sollte vor Narkosen:
Der Marktabrichtung hin auf Endlos-Spaß
und seine Emotionskolchosen.

                            *

Auch zwang es mich, verstandesüberscharf
zu hinterfragen diesen Wohlstands-Tingeltangel
als faktisch unstillbaren Glücksbedarf
und Selbstverdinglichungsgerangel.
Als Deklassierung letzter Geistesschichten 
und Abrichtung der Innenwelten
zu phrasen-, emotions- und traumwelt-schlichten, 
ideologisch-simplen Psychen-Zelten
der evolutionär getränkten Brunft
nach Idealen und nach Ich-Gelingen …
Nach jedem Strohhalm (wider die Vernunft).
Gedrängt von Techniksog in leerem Ringen.

                           *

Um Waren, Anerkennung, Macht und Überragen:
Kurz all die großen Lebenslügen,
die nicht wie blaue Bäume tragen,
um diese Dingtrance in Begriff zu biegen:
Sie anti-metaphysisch zu begreifen 
als Orgie substantieller Sinnverluste,
die in Gewissensarmut schleifen …
ins kernbrutale Unbewusste.

                           *

Das alles zog an meinem Rand vorbei,
im Schutz des blauen Baums es zu betrachten:
Ein objektives Einerlei
von Unschuld, Unfreiheit und resigniertem Trachten.
Das indes sein muss, was und wie es ist:
Bedürfnisimmanentes Intellekt-Diktat.
Das ganz notwendig endlich selbst sich frisst,
zerstörend Gott, sein Trägertier, Natur, die eigne Saat.

                              *

Ich danke euch für jenen blauen Baum.
Weiß ich doch gut, wem ich ihn letztlich schulde.
Euch ganz allein und eurem Wohlstandstraum.
Erlaubend meine asoziale Mulde.
Auch dafür, dass ihr hieltet hoch die Würde.
Was immer diese letztlich sei:
Gewiss ein Ich-Verzicht. Und so nicht meisterbare Hürde
für so ein Ich-Ding … Sei’s! Nun einerlei!
Ich bitte euch, noch durchzuhalten.
Das ist nicht viel verlangt. Ihr wollt’s ja eh.
Bis sich von mir der blaue Baum wird ab dann spalten.
Nichts einzugehen. Befreit von Weh.

Realistische Sicht auf die eigene Lage (14/845)45

Was soll ich von mir selbst denn sagen?
Und was verschweigen, bitte?
Dass ich ein Spielball bin globaler Lagen
und technisch-hochkomplexer Welt-Einschnitte?

Dass wir in selbstgestellte Fallen laufen?
Demokratie und Rechtsstaat ruinieren?
Realität verweigern, Lügen Wahrheit taufen? 
Wahrscheinlich gar uns selbst negieren?

Ich werde es nicht mehr erleben,
wenn unsre hehren Tugend-Träume platzen
und werden sich als Illusion ergeben
vor Tyrannei, Gewaltsucht, Pöbel-Hatzen.

Gewissheit (14/846)46

Die Person dankt ab.
Das Gewissen stirbt.
Die Seele löst sich auf.
Das griechische Kulturerbe 
geht unter.

An seine Stelle trat die 
naturwissenschaftlich
technische,
pseudorationale Intelligenz:
Totalitäre Bewusstseinsteuerung
qua kapitalistische 
Entfesselungs- und 
Untergangs-Lethargie …
Die progressive Barbarei.
Der devote Verbraucher.

Das geschieht notwendig.
Die Wohllebens-Eudämonie
begünstigt substantiell eine 
totalitäre Psychopathologie:
Ich- als Untergangs-Sucht.

Unumkehrbar (14/847)47

Verachtungswürdige Zeit,
in der ich lebe.
Schon der geringste 
innere Abstand 
- zu egal welcher 
ihrer Manifestationen -
lässt eine Verwahrlosung 
und Wesenlosigkeit 
aufglimmen,
die einen auf immer
ihr entfremdet.

Seelischer Verfall (14/848)48

Immer mehr 
fürchte ich mich 
vor meinen 
eigenen Stillen.
So sie keine Psychen
mehr kapern,
so sie immer
häufiger auch
und immer 
gleichgültiger 
sich selbst 
zum Schweigen
bringen wollen.

Alles hat seine Zeit (14/849)49

Jetzt, da ich leibsatt bin,
könnte der Versuch,
ein nichttriviales 
Gedicht zu schreiben,
nur lächerlich fehlschlagen.
Ich verzichte daher darauf
und überlasse mich,
animalisch befriedigt,
gleichgültig der Schwere 
somatischer Gegenweisheit.
Hingegeben dabei
der trügerisch-sorglosen 
Entlastungsträchtigkeit
eines Glückes,
das nichts weiter ist
als nur vorläufig
gestillte Drangsal.

Entschädigungsangebot (14/850)50

Wenn’s recht ist,
dichte ich dir Stanzen.
Sogar auf deine 
Zimmerpflanzen.
Der Abend wäre so 
nicht ganz verhunzt,
mein Schwersinn 
abgemildert 
durch die Kunst.

Indes wird dich das
auch nicht trösten,
weil keine Küsse 
deine Glieder lösten.

Ich vielmehr nur
von Ernstem sprach:
Politischen Problemen.
Den Kopf mir 
über die zerbrach,
anstatt mit dir 
besinnungslos zu lähmen
Welt, Einsicht, Ich
und Faktendiktatur.

Ungefähr so II (14/851)51

Hier mein 
Persönlichkeitsprofil:
Begriffs-Manie  
und Eigensinn:
entwurzelt
bis ins Mark.
Als Kunde 
dauerhaft labil.
So zeitgeistfeindlich
völlig indolent. 
Weil diese Welt 
ist seelenkarg,
für nichts als 
leere Ziele brennt,
ist kulturell steril.

Erlösungsblau (14/852)52

So weit gespannt,
so faszinierend schön,
erlösungsblau 
das Firmament.
Dies Urgebilde
saugt mich fort,
es zieht mich ab
von Welt hier unten.
Die hässlich ist,
vulgär und triebverstrickt.
Morbide Ohnmacht 
schaler Sapiens-Mächte:
Technologie-Diktate
und Entlastungs-Lüste,
Verpöbelung, Alleinsein,
Warenglücksbehelfe …
Ersatz-Elysium 
Gewissenloser, 
oft schier Korrupter 
und Moralnaiver.

Verpasst (14/853)53

Die Fremdheit der Dinge.
Der Stumpfsinn der Seelen.
Knüpft beiden die Schlinge
zu rohem Verfehlen.
Was ist man denn faktisch,
wenn man sich muss träumen,
betrügen, um taktisch
sich selbst zu versäumen?

Ungefähr so III (14/854)54

Was könnte ich denn noch erwarten?
Der ich schon früh doch habe dies erfahren müssen:
Dass es kein Blatt gibt ohne falsche Karten:
Wir müssen selbst uns sein beflissen.

Das geht nicht anders: Jeder gegen jeden.
Um sich, meist nur gemeinten, Vorteil zu verschaffen.
Entlastungsillusionen müssen alle an doch beten:
Auf die als Sinn-Konstrukte dann zu gaffen.

Noch mal: Das geht nicht anders. Nein. Es muss so laufen.
Obwohl man stets Verlust wird zählen.
Meint doch das Ganze: Nieten kaufen.
Um eben das sich zu verhehlen.

Dich angeahnt/Für … (14/855)55

Man träumt sich nun mal 
seine Liebe je nachdem.
Zumal real man auch
wohl keine fände:
Zu kalt die Seelen, 
medientot die Herzen …
Monadenschicksal,
drastisch ichzentriert.

Ich wollte an dich sprechen,
meiner Leeren wegen;
sie loszuwerden,
sei's auch nur für kurze Zeit.

Erhoffend Stundentrost
durch Kreatürlichkeit:
Entströmend ungerichtet 
physischer Magie.

Indes: Ich ließ dich, 
ließ dich, 
weil ich wusste:
Wär‘s doch gewesen 
nur ein weitrer Stich 
in eine sich entkernte
Trauer-Kruste.

Leere Worte (14/856)56

Man redet chronisch mit sich selber nur.
Um stets dasselbe sich dann mitzuteilen:
Dass man auf einer festgelegten Spur
sich abringt Selbstausdeutungs-Zeilen.
Die man längst kennt als die zentralen:
Als Sprachgerinnsel, die sich doch entziehen.
Die flüchtig bleiben und im Fahlen,
als sei da gar kein Selbst gediehen. 
Ein Selbst, diffus noch im sich Überschreiten,
um sich in einem andern Selbst zu finden.
Was illusorisch ist. Es kann sich niemand meiden.
Sich doch Phantom, das leere Worte gründen.

Allgemeine Bemerkungen zu Europa (14/857)57

Europa, deine Tugendillusionen,
die werden das Genick dir brechen.
Denn andre werden dich nicht schonen.
Sie wollen aus dich stechen.

Sie wollen dich doch überragen.
Dir ihre Ziele vorzuschreiben.
Indes willst du nicht sehen deine Lagen.
Obwohl dich jene vor sich her schon treiben.

Und wisse: Sie sind wirklich überlegen.
KI-totalitär und wirtschaftsradikal.
Partei-Heilstrance wird ihre Seelen prägen.
Nationalismus. Disziplin. Und Überzahl.

Wesensfundierte Selbsttäuschung (14/858)58

Wenn man ringt um Anerkennung;
Privilegien, Macht und Ehre,
so, dass man unweigerlich
sich verkenne, ja: versehre,
ist man zudem außerstande,
auszudeuten selber sich:
Dass man schwach sei, ohne Bande,
treibe durch die eigne Leere,
sich in Schein und Trug gewande,
Selbstverlust sich, Lügen mehre,
werde selber sich zur Schande.

Zieht indes daraus die Lehre,
dass man sei sich Schicksals-Stich,
gottgewollte Deutungs-Fähre.

Bestandsaufnahme I (14/859)59

Alles bloß noch aufgeblasen,
deprimierend seicht.
Primitive Kult-Ekstasen,
Stumpfsinn, der nicht weicht.
Meinung hat man auch zu allem.
Aus dem Internet gesogen.
Rundherum umstellt von Prallem,
wird man chronisch beigebogen
Daten, Mengen und Skandalen,
wer da wen hat wie geschröpft.
Keiner weigert sich zu malen,
was verzerrt und Wahrheit köpft.
Ihn besonders, ihn, den Kunden,
der devot vor Lüsten kniet.
Mit der ganzen Welt verbunden,
sich als Trugziel übersieht.

fatum mundi (Welt-Schicksal) (14/860)60

Gott, wie bin ich doch naiv:
kritisiere und entlarve,
was so alles läuft hier schief.

Dies indes als blinde Larve …
Mach die Welt mitnichten besser.
Weiß das auch; weiß es genau.

Und auch dies: Die Welt ist schlau,
schlauer als mein Geist, viel besser,
weil sie weiß sich destruktiv,

weiß gar, dass das Schicksal ist
unabänderlich bestimmt,
fatum*, das im Anfang glimmt.

Notwendiges Selbstverfehlen (14/861)61

Mir das Beste? - Worte fügen
in Gebilde, die besagen:
Jeder muss sich selber tragen,
kann nicht auf die andern zählen.
Muss sich freilich ständig fragen:
Wie, wenn man nicht kann 
sich wählen?
Also muss sich doch betrügen:
In Gedichten Halt sich lügen.
So notwendig sich verfehlen:
Sich als Geistes-Lüge wagen. 

Nihilistisch reserviert (14/862)62

Sie sollten, hieß es, auch mal Gutes sagen,
ein Wort, das Menschenanstand preist,
das heben kann und weitertragen,
auf Fortschritt, unser Schöpfertum verweist.

Ich würde schon, wenn da nicht störend wären
sei’s Arroganz, sei’s dieser Selbstlobzwang,
dann unsrer Hybris Ich-Schimären
und dieses Hecheln nach Belang.

Letztlich nichts als Moleküle,
sind wir faktisch ohne Schuld.
Wesen ohne Ziele,
Drangsal eingelullt.

Menschenanstand, gar Titanentum?
Freche Relevanz-Labsal.
Zwangsablauf. Neuronenstumm.
Zufall ohne Wahl.

Letztlich als Tatsache hinzunehmen (14/863)63

Hab mich eben so erlebt:
Beziehungsarm: recht isoliert.
Auch weil was man so erstrebt,
mich hat kaum je tief berührt.

Nicht dass ich's getadelt hätte.
Lebte selber ja davon.
Sah sie freilich, seine Kette,
roch auch den Entlastungsmohn.

Hab's ein wenig auch missachtet:
Übertriebenes Getue:
Protzend von sich angeschmachtet,
sehnt man sich nach Lust-Unruhe

War nicht Meins. Doch ich verstehe,
dass sich alles um es drehe:
Konto, Status, Drumherum;
frag mich nur: warum?

Dumme Frage: Das ist Zwang.
Nichts, sich einfach auszusuchen.
Folglich Daseinskern-Belang:
Kampf um’s größte Stück vom Kuchen.



 

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