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Diese Seite enthält 61 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

Augenblicksdrastisch (686)1

Ein hemmungsfrei verdrängter Niedergang:
Verfügter Nihilismus-Stoß.
Systembedingter Psychen-Fang:
Medial gesteuerter Berauschungskloß.
Von Fatalismus und von Selbstentlastungshysterie
subtil sakralisierter Kunden.
Weshalb ich basissinnlich fasse sie
als Träger pseudoautonomer Wunden.

Wie offen das mir doch zutage liegt:
Erlebnisdionysisch selbst sich zu entgleiten.
Ein Artefakten-Thete*, der sich selbst bekriegt,
um sich als Ichgefangener zu meiden.
Als Virtuose auswegloser Intellekt-Gewalt.
Effekthalbgott. Sich telosloser* Pseudo-Halt.

*Theten griech.: Lohnarbeiter, Tagelöhner; 
die grundbesitzlose freie Unterklasse wie Lohnarbeiter
Handwerker, Händler 
*telos griech.: Ziel

Mein illusionsanfälliges Land/Sonett (687)2

Nicht zu versagen, das ist wirklich schwer geworden
in diesem Land der Jäger nach Glückseligkeiten:
Erlebnissammler, Freizeitwirre, Urlaubsreife.
Man will sein Dasein lang und unbedingt genießen.

Und alle tanzen dabei nach derselben Pfeife.
Egal zu welchen Zeiten und an welchen Orten.
Man lässt sich unbedacht von Gängigkeiten leiten,
um sich den Kitzeln ihrer Freuden auszugießen.

Indes was heißt das denn genau, nicht zu versagen?

Sich gegen sich, Gesellschaft und Funktionseliten:
den Zeitgeistdruck zu wappnen, weil man hat begriffen:
Es ist doch Flucht vor sich, Berauschung nachzujagen:
Entlastungsemotionen, die Fiktionen bieten
wie die, man werde niemals von sich selbst verpfiffen.  

Dialektik deutscher Seelenkälte/Sonett (688)3

So etwa dieser Tugendmasochismus
als hybrisarrogantes Unterfangen,
narzisstisch-kultmessianisches Verlangen,
das man als Faktenleugnung sehen muss.
Ein doch sehr deutscher seelischer Erguss,
gesinnungsstier empirischen Belangen -
die würdetrunken werden übergangen -
sich zu verweigern per Gewissensschluss.
Obwohl viel tiefer doch verbunden Zahl,
dem Wohlstandshedonismus hingegeben,
dem grade fehlen Wert und Ideal.
Der dekadent macht, metaphysisch schal,
der zwingt, sich Seelenkälte auszuleben,
Gewissensarmut ohne Reue-Mal.

Allbrach zerfallendes Geltungsreich/Sonett (689)4

Primär will ich begreifen, nicht erleben.
Weil sich erleben untertänig macht
dem technisch-wissenschaftlich allfundierten,
kapitalistisch surrealen Reich.

Ein Mengenkosmos, immer schon ergeben
der Kindlichkeit und der Konsumandacht,
die längst zur Ohnmacht des Bewusstseins führten:
Erwünschter Flachheit: Kalt, stupide, weich.

Und doch ist keine Klasse anzuklagen,
die wissentlich heraufbeschworen hätte
dies effektiv entgleisende Versagen:

Nichts war geplant. Schon gar nicht diese Kette
von unbeherrschbar aussichtslosen Lagen
und einer Erde als Zerstreuungsstätte.

Klugheit I/Sonett (690)5

Man wird sich selbst aus kluger Einsicht hüten
vor Korruption, Betrug und Niedrigkeiten.
Wie sie die Markt verschweißten Psychen leiten.
Indes auch manchen wesenhaft beschieden.

Man wird sich wappnen gegen sanftes Wüten
von Tugendhybris und Ideenweiten,
die selbstgefällig Wirklichkeiten meiden.
Im Ich-Bereich nichts als Entlastungs-Mythen.

Sonst wird die Volksherrschaft der Infantilen
und Wohlstandshörigen bald untergehen.
Die jetzt schon Emotionen unterwühlen.

Ich werde dennoch nur beiseite stehen.
Will unbehelligt bleiben von den Vielen.
Weil diese zwanghaft nur sich selbst erhöhen.

Bedeutungsloser Körper in sinnleerer Welt/Sonett (691)6

Ich hielt’s für lächerlich, von mir zu glauben,
mir komme zu noch irgend Relevanz.
Dass ich sei faktisch noch bedeutungsvoll:
Entfaltung eines Unverwechselbaren.

Man mag ja Ewigkeitsphantasmen klauben
aus einer metaphysischen Substanz.
Ob man indes von Täuschung zehren soll,
um Seelengleichgewichte zu bewahren,
bezweifle ich; obwohl ich’s nicht verhöhne.

Ich durfte es mir ohne Angstdruck leisten,
Realität statt Traum mich hinzugeben.
Und die befahl mir, dass ich mir nichts schöne
vor diesem Sinnschimären-Sog der meisten,
dem ich- und diesseitshungrig sie verschweben.

Variante (zu „Bedeutungsloser Körper in sinnleerer Welt“) (692)7

Dass ich mein Leben souverän je führte,
Selbst-, Herkunfts-Last und Marktterror entzogen,
das zu behaupten, wäre dreist gelogen.
Zumal ich jenen stündlich salutierte.

Vielmehr: Was immer mich zutiefst berührte,
war Zwang mich packender Geschehenswogen
von Wert-Phantastik, Ich- und Zeitgeistdrogen.
Der mich empirisch dauerkommandierte.

Dass meine Existenz Bedeutung habe,
sei frei und sinnvoll, nicht nur Stoffgeschehen:
Vernunftsystem, aus dem ich Halte grabe …

Das glaub ich nicht. Ich fasse doch die Wehen
des Menschlichen mit seiner Täuschungs-Gabe:
Sich Illusionen ohne Boden einzudrehen.

Nihilismus/Sonett (693)8

Ein Nihilismus stürzt mir durch die Seele,
als habe er sie ganz alleine inne.
Als ob nur er sie allumfassend quäle,
nur er bewirke, dass sie Angst zerrinne.
In Gleichmut, Trauer und Verzweiflung schwele,
zerschlage Hoffnung, Halt und hemme Sinne.

Ja. Jener macht das. Macht, dass ich mir fehle.
Und mich auch nie mehr mir zurückgewinne.

Ich muss ihn allerdings gedoppelt tragen.
Als objektiven wie auch subjektiven:
Als Faktum, dass man nur sei Stoffgemenge.
Als Schicksal körperlich-sozialer Schiefen.
Als Büttel nagender Alleinseinszwänge.
Die nur durch Kunst sind geistig zu zerschlagen.*

*Variante Zeilen 9 - 14:
Wiewohl: Er muss mich kommandierend packen.
Ist er doch über mich hereingebrochen
aus toter Formeln Niedergangs-Gemenge:
Dem Fortschrittsterror rationaler Schlacken.
Den Marktmonaden, die auf Lust-Mohn pochen.
Dem Selbstablauf anom entglittner Zwänge.

Fade Zeiten/Sonett (694)9

Was wäre weise in solch faden Zeiten,
die Kreatürlichkeit und Unmaß loben,
sich freizeitmystisch kindlich auszutoben?
Und rücksichtslos, bewusst und unbescheiden,
in jeder Hinsicht lustvoll sich zu weiten;
ob nun im Flachen, Lauten oder Groben?
Beglückungsgängigkeiten eingewoben,
sich zu genießen auch noch im Beneiden?

Ich glaube dies wär’s: Gar nicht teilzuhaben
am Tingeltangel wertverlogner Leere.
Sich zu verstellen und sich einzugraben
in das Ertragen geistiger Misere.
Um dieser dann Vollendung abzuschaben:
Frei von sich selbst zu sein und Stumpfsinnschwere.

Unterschichten-Scharfblick (695)10/Sonett

Dass ich von unten kam, das zog mir Grenzen.
Ganz tiefe innere, die niemals fallen.
Und das hat radikale Konsequenzen:
Ich kann erspüren die sozialen Fallen
der weltfremd hehren ethischen Sentenzen.
Vor allem aber auch dies Bürgerlallen,
mit Menschheitsidealen stolz zu glänzen.
Um sich doch auch an Wohlstand nur zu krallen.

Das ist der Vorteil, wenn man kommt von unten:
Man lässt sich nie vom Ideellen leiten.
Erfasst sehr fein gesellschaftliche Schrunden,
ergibt sich nicht dem Selbstbetrug im Gleiten
durch Illusionen wertnaiver Runden.
Nie ihren Hybris feilen Nichtigkeiten.

Vermutungen eines Obsoleten/Sonett (696)11

Ich bin aus dieser Zeit herausgefallen.
Ein obsoleter Kauz dem smarten Heute.
Das ich auch deshalb wohl so kritisch deute:
Als Artefaktenkrieg von Marktvasallen,
die sich an Hypes und Surrogate krallen.
Sich selber Trauma, Kitschobjekt und Beute:
Ganz bieder schicksalslose gleiche Leute,
die stolpern werden in die eignen Fallen.

Wer kennte nicht aus eigenem Erleben
den Hinterhalt des Unvorhersehbaren:
Dass wir in dem, was wir uns zwanghaft weben
verlieren müssen, um dann zu erfahren,
dass wir nicht fähig sind, uns Halt zu geben.
Schon gar nicht durch die Religion der Waren.

Eros, Kunst und Denken/Sonett (697)12

Der Eros mag auch mich zuweilen tragen.
Er neben Kunst und Denken (in Gedichten)
Um mir den faden Alltagskampf zu schlichten,
den ich doch führen muss an Wochentagen.

Auch noch in Nächten, wenn mir Schlaf versagen
die Gliederkälten und die Grübel-Dichten,
die kommandieren bis in Tiefenschichten.
Vor deren Nein ich mich dann kaum kann wagen.

Und dennoch: Groß ist’s, Geistesmacht zu kennen
und ihren stillen Stunden zu gehören.
In ihnen gar sich selbst zu überrennen:

Sich nicht mit Protzereien zu betören.
Und nicht als Kunde Mächten zu verbrennen,
die, geistig tot, erotisch auch zerstören.

Der Wille zur Redlichkeit/Sonett (698)13

Reklame lässt sie lockend laut beschallen
des Schnäppchenjägers Wohlstandsdiktaturen.
Den Reizeinpeitscher, Stars und Kultfiguren
sich durch Belämmerung und flat rates krallen.
Subtil verführen, um ihm vor zu lallen
von Sonderorgien auf Erlebnistouren.
Die böten Räusche, Trance und Gramabfuhren.
Und all das ohne finanzielle Fallen.

Indes ich sollte mir den Spott verkneifen.
Und mir stattdessen eher überlegen,
dass ich nur deshalb mich darf einsam greifen,
um meine Einsichtswilligkeit zu pflegen,
weil jener konsumtiv nur kann sich streifen.
Das Ganze tragend, so auch mir ist Segen.

Lob der inneren Abwendung II/Sonett (699)14

Nur teilnahmslos mag ich mich noch entziehen
den surrealen Alltagssudeleien.
Reklame, Starsystem und den Parteien,
die sich um mich, den Ich-Verbraucher, mühen.

Lauthals verdrängend, dass wir längst verglühen
dem Märchen von den würdevollen Freien,
die nach Erlösung durch Erleben schreien.
Der eignen Ohnmacht haltlos stumm gediehen.

Doch heißt das nicht, sich selber zu verachten,
Verantwortung für sich schon abzulehnen?
Doch. Heißt es. Heißt, wir werden uns entmachten

und löschen Geistesdurst nur noch mit Tränen:
Wir werden unsrer Niedrigkeit verschmachten,
der zu entkommen wir vergeblich sehnen.

Lob der inneren Abwendung III/Einwände/Sonett (700)15

Wer sich ihr hingibt, dieser Geistesschande,
wie ich es nenne, dieses Kultgeschehen,
sich techno-dionysisch zu verwehen,
um sich dann zu verlieren an verkannte

Entlastungsorgien einer Gossenkante,
wird nicht bemerken, dinggleich einzugehen
Zynismus, Deklassierung, Pseudo-Nähen,
da ihn doch halten dann nur Traumweltbande.

Doch muss man sich auf irgendwas beziehen,
die Daseinseinsamkeit sich zu verdrängen.
Denn der sind wesensmäßig wir gediehen.

Weshalb die meisten sie auch wahllos fliehen -
Und sei’s ins Herz von Trivialgemengen.
So nicht vor ihren Leeren müssen knien.

Lob der inneren Abwendung IV/Sonett (701)16

Ich hab so gerne die Thora gelesen.
Fast jeden Tag. Seit vielen, vielen Jahren.
Und immer war’s ein Glücksmoment gewesen,
die Schönheit der Quadratschrift zu gewahren.

Und an Homer darf geistig ich genesen,
der Menschen zeigt, die mit den Göttern fahren
ins eigene und auch in fremde Wesen,
sich ihres Daseins Nichtigkeit zu sparen.

In meine Zeit indes mich einzufinden,
das blieb verwehrt mir. Auch weil ich sie denke:
Das meint das Undeutbare in Gebinden

von Wohlstandsinbrunstwogen als Gelenke
des Trivialen, das sie laut begründen,
damit, verdrängt, es ihre Ichsucht lenke.

Bewusstseinssteuerung/Sonett (702)17

Man reagiert so hilflos wie verloren
auf Lärm, Reklame und auf Kriegsnachrichten.
Kann nicht ermessen, was das an mag richten
im eignen Innern. Erst einmal vergoren.
Erregt sich manchmal an dem Ernst von Foren,
die sich im Fernsehn tummeln, um den schlichten
Erlebniskiffern ihr Gefühl zu lichten.
Meist sind es Gurus, Stars und Wert-Zensoren.
Ich wehrte mich mit Vehemenz dagegen,
mich geistig deklassiert zu überlassen
medialen Mächten, die mich säuselnd hegen.
Zum Punkt-Ich machen wollen toter Massen.
Auf dass mich steuerten subtile Trägen
und unterwürfen selbsternannten Assen.

Heteronome Sozialschauspielerei/Sonett (703)18

Was mich so deprimiert, ist, dass ich spüre,
heteronom an fremder Macht zu kleben.
Und das, das kann nur eine Zeit eingeben,
die wirkt als permanente Ouvertüre
zum Zwang, dass man sich dauernd inszeniere,
um sich Gepflogenheiten einzuweben,
die stützen selbst berufliches Bestreben,
Und dienen auch schon als Sozialscharniere.

Man kann sich kaum noch vor der Show bewahren.
Zumal bei vielen fehlt schon dieser Boden
der sittlich und vor allem psychisch klaren
und festen Anstands- und Verhaltens-Knoten.
Da greifen Selbstentmächtigungsverfahren
als strenger Ausdruck jener Zeitgeistmoden.

Ich I/Sonett (704)19

Ich glaube nicht, wie doch die allermeisten,
dass ich was Nennenswertes beizutragen,
was Wesensschweres gar zu sagen hätte,
wenn’s darum ginge, unser Los zu deuten.

Was sollte renommieren ich mit dreisten
Versicherungen, die im geistig Vagen,
sich es erlaubten, dieser Warenstätte
ein Quäntchen Sinn vom leeren Herz zu häuten?

Mir steht’s nicht zu. Noch ist es mir gegeben,
in diesem Dasein etwas zu gewinnen:
Ich wollte immer nur für mich es leben.

Zumal wir alle auf uns selber sinnen,
Monaden sind, die in sich selber kleben.
Verknechtet außen und verknechtet innen.

Ich II/Sonett (705)20

Mitnichten meiner Existenz Gebieter,
entwirre hilflos ich die Wohlstandsfäden,
die man mir auswirft noch vor Billigläden:
Mich Kauflust zu verführen immer wieder:
Ich bräuchte nur zu fassen all die Güter,
mich sehnend beugen ihren zeitlos steten
Genusszufuhren und Objektgebeten -
Ich lebte lustzentriert, ja: kniete nieder.

Doch aus Erfahrung kann ich das nicht glauben.
Man säuselt mir von Glücken ohne Boden.
Man will mich einfach meines Gelds berauben.
Und dass ich tanze nur nach jener Noten.    
Mir anzudrehen eher saure Trauben:  
Enthemmungs-Tinnef für naive Schoten.

*Tinnef: Jiddisch: Schund, wertlose Ware
*Schote: Jiddisch: Narr, Einfaltspinsel

Ich III/Sonett (706)21

Ich würde gern mal etwas Zartes schreiben.
Was anderes als diese monotonen
Entlarvungsschreie, die sich gar nicht lohnen,
weil eben doch die Menschen gleich sich bleiben.

Da sind die einen, die sich Macht aufreiben,
indes die anderen sozialen Zonen.
Und wieder andere, die sich betonen,
indem erfolgreich sie Geschäfte treiben.

Doch was ist zart? Das ist nur schwer zu sagen.
Ist es die Liebe? Oder doch die Güte?
Vielleicht gar Ehrfurcht ? Oder Scham und Zagen?
Die Anmut schaffen, niemals frech und rüde …

Ich weiß es nicht, muss immer weiter fragen.
Obwohl schon lange unsrer Rohheit müde.

Ich IV - Erfolgreich durchlaviert/Sonett (707)22

Hat sich’s gelohnt für mich, den Preis zu zahlen:
Zu tun als ob. Das Schauspiel aufzuführen,
ich würde gern mich an die Welt verlieren?
Um so getarnt tatsächlich sie zu meiden?

Mich also nicht in Wichtigkeit zu aalen,
mit Macht und Tüchtigkeit mich nicht zu küren;
nicht gängig äußerlich mich aufzuführen -
und dennoch nicht ins Abseits abzugleiten?

Ja. Hat’s für mich. Was nämlich überböte
die Einsicht in dies gramerfüllte Rennen
erlebnisüberreizter Endzeitnöte;

um gleichsam überscharf auch zu erkennen,
dass da getriebnes Menschtum sich erhöhte,
entgleister Kortex-Last lasziv zu brennen?

Ich V/Sonett (708)23

Ich leugne gar nicht, dass ich ganz gut lebe,
weil mir dies Waren-All manch Vorteil bringt.
Lässt es doch zu, dass mir ein Selbst gelingt,
grad wenn ich gegen seine Zwänge strebe.

Und’s nicht verachte, wenn ich mich entwebe
dem Toben, das in allen Gassen klingt
und rücksichtslos sich seiner Gier verdingt.
Was täten wir, wenn’s keinen Wohlstand gäbe?

Ich teile deshalb gar nicht diesen Glauben,
dass man die Existenzsucht mindern könne.
Wir müssen Ich, Natur und Welt uns rauben.

Naiv, wer hofft, dass da Vernunft gewönne.
Die sich doch auch nur kann aus Sprache klauben
Wie wär’s da möglich, dass sie Halte gönne?

Ich VI/Sonett (709)24

Was sollte ich denn von mir selber sagen?
Zumal die Artgenossen sich verbohren
in Medienwelten, wo sie sind verloren,
weil die sie stets auf ihren Spuren jagen.

Dass ich verfüge über feinste Ohren,
die Stillen höre aus den Zeitgeistporen,
die immer lauter schreien, dass die Lagen
substanzprekär schon nicht mehr nach uns fragen?

Nun dies vielleicht: Dass mich die Glücke suchen,
weil ich sie ohne Drängen weiß zu schätzen.
Ich daher muss mein Dasein nicht verfluchen.

Und nicht nach Flachweltsurrogaten hetzen.
Noch brauche ich das größte Stück vom Kuchen.
Kann ich doch Spätzeitlast in Geist umsetzen.

Erinnerung/Sonett/Für … (710)25

Die Liebe opfern für ersehnte Ideale,
das kann ich meinerseits ja ganz gut nachvollziehen.
Doch weiß ich auch, dass man vielleicht dafür bezahle,
sind Ideale Seelenwirren doch gediehen.

Und überhaupt kann man nicht vor sich selber fliehen.
Sodass es fraglich ist, ob jene traumfern fahle
Faszinationsmagie nicht doch wird leer verblühen.
Um weiter nichts zu lassen als nur eine Schale.

Nie werde deine herbe Schönheit ich vergessen.
Nie jene Stillen überblauer Sommertage,
als wir uns lasen lustgetränkte Körpermessen …

Es trieb dich trotzdem von mir fort, denn was besage -
wenn man von Gottes Idealen ist besessen -
die Liebe noch, die immer doch nur irdisch trage?

Gattungs-Abgründe (711)26/Sonett

Zuweilen träumte ich von einer Welt der Güte,
der Würde, Geistesherrschaft und Gerechtigkeit.
Von einer Welt, die frei von Ausbeutung und Neid,
sich selbst dann solidarisch aufgeklärt behüte.

Die Korruption und Kriegen keine Chancen biete,
sich nicht an Grausamkeit ergötze, sodass wüte
Pleonexie-Zwang: Der genetische Bescheid,
dass wir zu allem, selbst zu Folter, sind bereit.

Dass ich mich dabei nur erging in Kindereien,
war mir in jedem Augenblick indes bewusst.
So weiß ich doch, dass wir uns ganz leicht selbst entweihen,

wir, hassgetrieben, frönen auch Vernichtungslust,
wenn uns ein Allmachtsrausch enthemmt vor Todesschreien.
Ekstatisch uns vertaumelnd an der Ichsucht Brust.

Psychen-Tiefen/Sonett (712)27

Ich habe möglichst abseits mich gehalten.
Kaum was gesagt. Schon gar nicht, was ich denke.
Damit die Meinung andrer mich nicht lenke.
Ist doch der Mensch perfide: Seine kalten

Gelüste muss er sich doch auch gestalten.
Ob er sich nun mit Rachsucht-Spaß beschenke,
ob er zu seiner Freude andre kränke …
Es wird ihm höchsten Machtgenuss entfalten.

Doch will ich Weiteres in mir verschließen,
was mich da ausmacht nah am Psychen-Boden
als Seelenschäume, die ins Vage schießen:

Bis tief hinein in wirre Alptraumknoten,
wo Barbarei sich und Gewalt ausgießen,
Bestialisierungslust sich auszuloten.

Existenz. 18 Sonette

Der Mensch/Sonett (713)28

Kannst du ihn tadeln ob der Lebenslügen,
die er doch braucht, um halbwegs zu bestehen
sein Dasein: Ichsucht, der er sich muss blähen,
um in Erfolge sie und Lust zu biegen?

Doch ihn als solche immer auch betrügen,
weil ihm sich zeigen oft als Traumgeschehen.
Indes ihn plagen ganz reale Wehen,
die ihm sein Leben zur Belastung fügen.

Nein kann ich nicht. Obschon dem Geist verschworen.
Der gar nicht erst versucht, sich vorzumachen,
man sei sich zu vollenden doch geboren.

Der weiß, man meistert nie des Daseins Lachen;
weil in sich selbst verstrickt, man ist verloren:
Bedürfen unterworfen, Wir und Sachen.

jouissance*/für ... (714)29

Das Dasein,
jetztgefangen
gegenschal:
dein Körper 
biegt sich,
Zeit zertrümmernd,
entführt mich 
Wir-Ramsch,
Tausch und Zahl,
in leibsakraler
Lust aufschimmernd.

*jouissance franz.: Genuss

Versagen und Träumerei (715)30/Sonett

Gewusst hab ich es immer: Meine Jahre
würden vergehn gepaart mit jenen Leeren,
die uns, wenn auch verdrängt, subtil versehren …
Meint Dasein doch, dass man sich Scheitern paare.

Ob man nun ziele auf das Glück der Ware,
ob man sich Macht erstrebe, Geltung, Ehren.
Stets ist man Opfer auch prekärer Schweren.
Egal, wie man sich subjektiv erfahre.

Und doch: Zu hadern, wäre sich vergreifen
an jenen Mächten, die dies Dasein heben:
Wie etwa Geist und Kunst, die sich verschleifen

den Vorbehalten gegen jenes Streben,
in dem wir, triebblind, selber uns kaum streifen:
Versagen uns u n d Träumerei hingeben.

Existieren - heute/Sonett (716)31

Was heißt, genau genommen, existieren?
Zumal im Bann abstrakter Tauschgaleeren,
die einen treiben, doch auch Zweck gewähren,
der hindert, dass wir uns in uns verlieren.
Und so vielleicht an Daseinsleeren rühren,
die wir so fürchten müssen, weil sie zehren
an Mut und Kraft, dem Alltagsdruck zu wehren
und unser Leben ohne Bruch zu führen:
Gesund zu meistern die Vollzugsroutinen,
Probleme, Sorgen, die wir alle kennen.
Sich psychisch auszurichten jener Schienen.
Und so gewachsen bleiben einem Rennen,
Bedürfnis und Gesellschaftsdruck zu dienen.
Uns so auch von Verfall und Zeit zu trennen.

Wesens-Gefangenschaft I (717)32/Sonett
Vergleiche (48/2388)

Wer ahnte nicht in ruhigen Momenten
(wenn nicht die Alltagszwänge dominieren),
dass wir uns ohne Pause selbst riskieren
in ganz normalen Existenzumständen?

Wir neigen etwa dazu, zu verschwenden
uns an uns selbst, gefangen in Allüren,
oder an andre, die uns zwar verführen, 
doch nur als unser Selbstkonstrukt dann blenden.

Tatsächlich sind wir in uns selbst gefangen,
gerade weil auf  andere verwiesen.
Durch die wir ja erst zu uns selbst gelangen.

Denn sie sind es, die unser Selbstbild gießen,
sozial uns modeln uns mit feinsten Zangen;
so auf ihr Urteil lebenslang verwiesen.

Treue (718)33

Ich bin meiner Weltlosigkeit 
immer verhaftet geblieben;
mein ganzes Leben lang.
Bind treu geblieben meinen Hang,
mich heraus zu phantasieren
aus existenziellen, sozialen,
wirtschaftlichen und politischen
Zusammenhängen
alltäglicher Zwänge und Kleinglücke …
Um mich zu flüchten 
in meine kindlichen Ahnungen
und Sehnsüchte blauer:
metaphysischer Indolenz …
oder jene Dämmerungs-Magie
erlösender Vergeblichkeit
in erdkühler Bewusstlosigkeit.

Gesteuerte Innenwelten/Sonett (719)34

Es scheint, dass Ramsch verwobne Innenwelten,
von fester Wertordnung nicht mehr gehalten,
sich nur in Emotionen noch entfalten.
Und zwar medialen Reizen zugesellten.

Sei’s Spannung, Hits, sei’s Sport, sei’s action-Helden.
Da wirken feine Steuerungsgewalten,
die die Erregten von Vernunft abspalten,
sie auszuliefern so erwünschtem Gelten:

Appell- und Propagandadruck-Gewebe
nach dem man psychisch dann sich wird auch richten.
Auf dass man sei’s sich seinem Bann ergebe,

sei’s sich ergötze an zerstreuungsschlichten
Entmündigungsfinessen jener Stäbe,
die auch, was ethisch richtig sei, erdichten.

Selbstsuchtknecht/Sonett (720)35

Ich habe leider schon sehr früh begriffen,
dass Menschen mehrere Gesichter haben.
So etwa eins, Sozialdruckmacht verschliffen.
Dann eins der sittlich trügerischen Waben.
Ein drittes, fasziniert von Täuschungskniffen.

Um je dann nach Bedarf eins auszugraben.
Doch auch auf dieses wird dann schlau gepfiffen.
Mimt doch ein Selbstsuchtknecht da seine Gaben.

Ich glaube indes nicht, der Mensch sei böse.
Nur manchmal niederträchtig ob der Widersprüche:
Charakterlosigkeit, gespielte Größe,
dann Renommiersucht, schwärzend Wesensbrüche …

Heteronom ist er, ein Spielball im Getöse
dieser Bedrückungs-Orgie kleiner Schliche.

Die deutsche Sprache: Die Wurzel meiner geistigen Existenz/Sonett (721)36

Wem darf ich wurzeltief mich selbst verdanken?
Wer sollte mich schon früh mir selber schenken?
Die deutsche Sprache war es, die mich lenken 
und weben sollte bis in Selbstwertflanken.
Sie riss mir ein die groben Herkunftsschranken.
Erlaubte, Schwierigstem mich einzusenken …

Und deshalb will ich ihrer hier gedenken
als eines Felsens wider Gram und Wanken.

Sie schwindet nun aus schundbesetzten Seelen.
Ganz kleinen. Tranceweltüberströmten. Toten.
Für die sublimer Geist kann nicht mehr zählen,
verlockt, sich hinzugeben Marktmachtloten,
um sich nicht hilflos mit sich selbst zu quälen …
Was nicht zu leisten ist mit Zeitgeistnoten.

Nicht frei gewählte Daseinsziele/Sonett (722)37

Pleonexie, Macht, Geist, Wert, Wissenschaften
benennen ungefähr die Daseinsziele,
uns auferlegt in diesem Traum-Gewühle,
an dem wir, Ich ergeben, drangsiech haften.

Wir Sorgenwesen, die es nicht verkraften,
dass sie nichts weiter sind als eben Hyle,
früh um ihr Ende wissen und die Spiele,
die zu vollenden, ahnen sie, nie schafften.

Mir ist das Geistige zum Los geworden.
Und dieses zwingt, zumeist am Rand zu leben.
Sich in sich selbst: In Sprache zu verorten.

Existentiell verschieden vom Bestreben,
sei’s Macht sich, Ruhm, sei’s Geld, sei’s Lust zu horten.
Nein: magisch-analytisch sich zu weben.

Ringen/Sonett (723)38

Mag sein, das Ganze lohnt in manchen Stunden.
Wenn sie gelingen ohne Perfidie.
Fest steht, wir sind im Geistigen noch die,
die an Materie sind fest gebunden.

Man mag sich noch so sehr zum Menschen runden,
indem man sich verfeinert Was und Wie.
Im Alltag bleibt man Knecht und Ich-Manie,
muss als Sozialschauspieler sich bekunden.

Vielleicht ist man bei sich vor kleinen Dingen:
Man liebt den Wind, hört murmeln eine Quelle.
Mag sich aus Körperkraft ein Glück erzwingen
Gesundheit … eines Hochgefühles Welle.

Für Augenblicke ruht dann dieses Ringen
um Selbstvollendung einer Stoffmachtdelle.

Fluch der Luzidität/Sonett (724)39

Man reimt sich selbstwerthungrig was zusammen.
Ein Zweckgebilde. Zufallsunterfüttert.
Kultur spielt eine Rolle. Herkunft auch.
Primär jedoch der Grundtext in den Zellen.

Man muss sich unterwerfen, wird verdammen,
dass man, nicht roh genug, Gemeinheit wittert.
Zugleich jedoch nicht den geringsten Hauch
von einer Chance hat, sich ihr nicht zu stellen.

Ein Daseinsgrundzug? Etwa Niedertracht.
Die Alltag infiltriert, wie’s grad beliebt.
Und hat man das erst einmal klar bedacht,

begreift man, warum jenes man sich siebt:
Das Zweckgebilde … Nun … als Täuschungsmacht,
die jene dann aus dem Bewusstsein schiebt.

Perspektivierungs-Zwänge/Sonett (725)40

Mag’s sein, das sind nur Phantasmagorien:
Wir, Du und Lagen. Ja: Man selbst sogar?
Nur Deutungswirrwarr, der doch niemals klar
verlässlich sein kann … ist man doch gediehen
dem Zwang von tiefstem menschlichem Bemühen,
sich einzuordnen einer fremden Schar 
von Artgenossen: Ich-Hort wie Gefahr,
dass sie, torpid, sich ins Verderben ziehen?

Bedeutungswirrwarr? Nun: Wir konstruieren
schon unser Selbst doch auch aus aller Worten.
Die kommandierend dann synthetisieren
nur oberflächlich blass verzerrte Schlieren,
nach denen wir uns geistig dann verorten.
Und uns, uns selbst verdeckend, weltblind führen.

Demokratie - Der einzige Hort für einen wie mich/Sonett (726)41

Was macht für mich die Volksherrschaft so wichtig?
Sie schickt mir keine Schergen, lässt mich frönen
dem Geistigen - Für sie schlicht null und nichtig.
Für ihre Macher zählt, dass Wohlstand stöhnen,
sind urlaubs-, kauf- und stets vergnügungssüchtig
die Wähler ...  Und sich einfach dran gewöhnen,
dass die Funktionseliten seien tüchtig.
Heißt: Niemand achtet auf mein schroffes Tönen.

Das macht die Volksherrschaft zum Hort für einen,
dem, so wie mir, nur Geist kann was bedeuten.
Der nicht sich will mit anderen vereinen.
Der eigentlich nichts gibt auf Wohlstandsfreuden.
Der weiß, dass jene sich wird selbst verneinen …
Dass jede Warnung wäre nur Vergeuden.

Dunkle Seiten/Sonett (727)42

Soll ich der Redlichkeit die Krone reichen
und Dinge sagen, die zutiefst verletzen,
uns würden gar uns vor uns selber hetzen
und Halte sprengen, Lebensmut und Weichen?

Ich will beschränken mich auf Hinweiszeichen
und nicht auf Tugend und Empörung setzen.
Zappeln wir alle doch in Lügennetzen,
aus Nichtigkeit und Zeitfluss uns zu schleichen.

Wir haben nicht die Größe, Schuld zu tragen,
sind unfrei, laufen in die eignen Messer,
sind öfter als wir denken nur Erpresser,

korrupte Eitle, mit sich selbst geschlagen.
Und müssen uns auch gegenseitig plagen.
Wir können’s nun mal, ichverzückt, nicht besser.

Verflachen/Sonett (728)43

Die Leute hingen bloß noch Flachsinn an:
Events und Urlaub und substanzlos Leichtem.
Verdampften psychisch hedonistisch Seichtem:
Kulturindustriellem Dauerbann.

Sie seien ungebildet und der fun
sei Heil in alltagstrivial Gebleichtem:
Verwahrlosungsstakkato, marktgeeichtem.
Ob oben, unten. Kinder, Frau und Mann.

Jedoch was soll man, Kunde, denn sonst machen?
Wo wäre Ausweg? Wo? Und welcher bitte?
Dazu gehören müssen, i s t Verflachen.

Und wer ist der, der unter diesem litte?
Ideen tragen nicht. Nur Geld und Sachen.
Man lebt aus ihrer uns gemäßen Mitte.

Seelenwelten/Sonett (729)44

Von weitem hör ich Kirchenglocken läuten.
Und als wär’s zwanghaft, will ich mich entwinden
der faden Gegenwart und ihrem Künden
von tristem Dasein und banalen Freuden.

Welch ein Geschenk! Ich darf mich kindlich deuten.
Und mich für kurze Zeit noch einmal gründen
in Himmelsbläuen und in Kirschbaumrinden.
In Ährenmeer und Sommerwind mich häuten.

Doch es tut weh, dann wieder zu erwachen
in Hektik und in Härmen feiler Sprüche
und spracharm schmierig propagandaflachen

Verblendungszwängen objektiver Brüche.
In sich gedrängt von Daten und von Sachen,
sich inszenierend als gemachte Schliche.

Unvermögen/Sonett (730)45

Es war von Anfang an vorauszusehen:
Mir würde all dergleichen nie gelingen:
Auch nur im Ansatz an Normalgeschehen
(gewöhnlich sorgenvollem Alltagsringen)

wie andre teilzunehmen und zu flehen
um alle Mittel, es zu was zu bringen.
In Selbstverständlichkeiten mich zu drehen
und aller Lieder unbedacht zu singen.

Für Glück und für Vermögenszuwachsraten,
Geborgenheit gar durch Dazugehören.
Ich wusste, letztlich würde es mir schaden.

Es konnte in der Tat mich nicht betören.
Ich kann nun mal nichts abgewinnen Schwaden
verdrängten Scheiterns an naivem Mehren.

Nun ja/Sonett… (731)46

Es ist die Zeit der großen Lebenslügen
und die der ephemeren Nichtigkeiten.
Da man die Fakten und sich selbst muss meiden,
nicht Einsicht, in was ist zu unterliegen.

Denn das, das würde einen doch verbiegen
ins Übel werfen mancher Psychen-Leiden,
geeignet, Sinn und Zweck so zu entgleiten:
gebannt sich Daseinsleere zu verfügen.

Wird die nicht drastisch ganze Massen fluten,
sie dann zum Spielball ihrer selbst auch machen:
sich hinzugeben den Entlastungs-Gluten

von spätsapientem Radikal-Verflachen?
Um dann im Namen eines neuen Guten
die letzte Wesens-Orgie zu entfachen.

ZINSJA 49 (732)47

Immer enger schließen sich
die Phalangen 
der Verfehlungssüchtigen 
zusammen.
Wahrscheinlich 
um am Ende 
zerstörungsergriffen
über sich selbst herzufallen.

So sehe ich es (733)48

Demokratie? 
Längst oligarchisch unterlaufen
von den Parteien, auch Finanzkonzernen
und Wirtschaftsunternehmensschlaufen:
Funktionseliten, 
die sich mehr und mehr entfernen:
- sozial entflechten, 
um Gewinn sich zu erkaufen -
von sei’s Verantwortung, 
sei’s Autarkie-Schutz-Kernen …
riskieren so, 
ins Messer ihr zu laufen,
der Diktatur, die mehr will als Gewinn, 
will Weltherrschaft bis zu den Sternen.
Der Diktatur kann jene 
nicht das Wasser reichen.
Denn die kann, rechtsfrei, 
setzen, tut’s auch, auf Gewalt.
Und wenn’s ihr dienlich ist, 
kann richten sie die Weichen
hin zu massiv bedrückender Gestalt.
Denn die Partei bestimmt 
und setzt die Zukunftszeichen.
Unfehlbar doch. 
Sogar was Sinn angeht und Halt.
*
Der dekadente Westen hat das nicht verstanden.
Und hätte er’s, so zählten doch Geschäfte.
Für ihn heißt denken: Schauen auf die Quanten,
die Zahlen und die Wohlstandskräfte.
Er ignoriert ganz einfach, dass die Machtpartei
viel mehr anstrebt als Massenideale.
Sie will, dass sie der Welt Prophetin sei,
selbst pseudo-metaphysischer Gesinnungs-Male.
Der Weltgeist soll aus ihrem Munde sprechen,
zumal sie ihn genau verstanden habe:
Der Westen strauchelt, jetzt gilt’s ihn zu brechen,
bis er einst folgen müsse der Partei-Vorgabe.
*
Tatsächlich nur noch Trivialkultur,
hat der die Griechenspuren längst verlassen.
Betreibt moralisch eine Art Zensur,
dass niemand höre, was doch schallt aus Gassen:
Nichts ist‘s mit Aufklärung, mit Freiheit, Würde.
Die freilich immer waren nur Verlogenheiten:
Ein Tugendphrasenschein, der schwirrte
durch hedonistisch übersäte Weiden:
Verbrauchergläubigkeiten und Erlebnisöden.

Aufklärung, Freiheit, sogar Würde?
Von Anfang an nur Intellektuellen-Trance,
fernab von Faktentyrannei und Wesensnöten.
Und also Traum-Gestaltungs-Chance …
Pleonexie ist nun mal hier die Hürde.

Konkret will man die Sau raus lassen, 
und also gängig leben,
genießen es in vollen Zügen.
Kurzum: Der Drang, 
nur nach sich selbst zu streben
ist unausrottbar -
wie sich selbst betrügen.

Bestimmen Umstand doch und Lagen das Gewissen.
Nie die Moral - ein Geist-Produkt.
Weshalb man diese auch wird dann nicht missen,
wenn man vernichtet, foltert, tritt und duckt.
*
Desintegrierter Sprachnomade
bin fatalistisch ich und indolent.
In einem Wohlstandssog, 
der nur das Fade, 
doch weder Zweck 
noch Glück noch Inhalt kennt.
Und ich hab ungefähr begriffen 
der Tugendlitaneien Nu-Furore:
Entlastungsemotionen kiffen
im Rausch der Produktionsmotore.
Notwendig ist das unsre Einbahnstraße:
Verkommen oder Diktatur.
Gewalt wird wieder sein 
das Maß der Maße.
Vielleicht als technisch sanfte nur.
*
Ein einsam-stummes sich Zerfallen,
subtil gesteuert von geplanten Reizen 
in ungreifbar abstrakter Welt.
So habe ich’s erlebt: Als tiefes Hallen
von Drang-Ruf, zweckfrei sich zu spreizen
erlauschtem Selbsttraum, magisch ausgefällt.
Fort ist, was Wirklichkeit mal hieß.
Fort überhaupt, was nicht berechnet wäre.
Man stolpert unausweichlich durch ein Lustverlies 
entfesselter Genussmisere.
*
Mir freilich war das immer viel zu wenig,
ein Marktobjekt: Ein Ding zu sein.
Dem flachen Zeitgeist untertänig,
vernunftlos gierig nach Konsum und Schein.
Warum, das weiß ich nicht mal ansatzweise.
Weiß nur, ich habe mich schon früh
erlebt als zugehörig keinem dieser Kreise,
die tragen diese Banausie.
Und doch war mir auch immer klar,
dass es so sein muss, wie es ist:
Humane Exzellenz als Würde ist sehr rar.
Normal ist, dass man selbst sich küsst.
*
Zumal was mich bewegt, 
schafft keine Arbeitsplätze.
Gedichte stillen keinen Drang
nach Geltungszufuhr in der Hetze
nach subjektiv erhebendem Belang.
So mag’s denn gehen, 
wie es gehen muss:
Das Mittelmaß ist immer oben.
Und schafft den objektiven Stuss,
den dann die Knechte als 
der Güter höchstes loben.

Vorschlag I (734)49

Herzanonyme Winkelmänade,
Gegenweltnymphe …
Entstumme dich mir.
Vielleicht ja 
entglimmt mir dann 
ein Gran nachgedunkelter
Zeitlosigkeit,
deine hadernde Kernerschütterung
ihr zu versenken
inmitten erstaunlich 
verängstigter 
Unmenschlichkeit.

Post/Für homo sapiens bambergensis (735)50

„Treppenhaus reinigen“,
so auf dem Schild
rechts neben einigen
Briefen und ‚Bild’.

„Gerhard der Große“
auf Seite 1,
„Unglücksmatrose“,
„Lottofee Kainz“.

Dreh einen Brief um,
les die Adresse:
Tourist-Amt Borkum 
„Fischfutter-Messe“.

Reiß gleich den dritten
neugierig auf,
stocke inmitten
von Öffnen und Lauf.

Spüre den Herzschlag
bis in die Schläfen:
B. pocht auf Samstag,
dass wir uns träfen.

„So wie vor Jahren:
Weißt du das noch?
Körper statt Waren.
Vorschein statt Joch.“

Selbsttäuschungsvirtuosen (736)51

Wer kann sich diese Einsicht leisten,
dass wir ein Dasein als Verfügte fristen?
Verfügt uns selbst, den rational entgleisten
Effektmonaden, die sich brüsten,
sie seien von Natur aus Geisteswesen,
begabt, zum Selbstzweck sich zu machen:
Vernunftzentrierten Wertsynthesen …
So nicht nur wären Sachen unter Sachen.
Als Mittelknechte darauf angewiesen,
uns über uns hinwegzutäuschen,
sind wir verdammt, 
uns selbst geblendet zu verfließen
im Wortgeklingel von Bedeutungsräuschen.

ZINSJA 132 (737)52

Das gibt mein Sinn 
für Wirklichkeit mir ein,
dass ich das Wort 
der Weltflucht rede.
Weiß ich doch schmerzgenau
um dieses Sein:
So zwingend ausweglos
geprägt auf Lethe,
auf Barbarei 
und Surrogate …
Fiktionsbrei 
einer Trance-Monade.

Mein Ithaka: Die deutsche Sprache (738)53

Die Deutschen? Wohlstandssieche. 
Ganz und gar.
Nie mit sich selbst im Reinen.
Erlebnissüchtig. Eine Blender-Schar.
Sich selbst bejahend 
durch Verneinen.
Verächter derer, die ich ehre,
weil ich durch sie geworden bin:
Sie spiegelt Welt mir,
Trug und Daseinsschwere.
Die deutsche Sprache:
Geist mir: tiefster Selbst-Gewinn.
Die deutsche Sprache, 
ist auch Heimat mir 
als metaphysisch reines Sein:
Und das meint Wert- 
und Fakten-Garantie.
Als diese hob sie mich 
aus Traum und Schein:
Aus dieser deutschen Wert-Magie:
Dass einzig zähle
Mein und Dein.

Wir Selbstgefangene (739)54

Unfrei aus der Zeit gefallen,
träume ich von Einsichtsböen.
Nicht zu kaufen, nicht zu lallen,
schaffend freilich andre Wehen:

Unerträgliche den meisten,
strack vor Klarheit: Faktenpflüge.
Wer indes kann sich das leisten,
was ihn doch in Trauer trüge,

schöbe in die Deutungs-Leere,
würfe vor sich selber hin:
fremdbestimmtes Ich-Gefüge
schleichender Misere?

Ohne Glücke, ohne Kehre.
Nur noch ein sich selber Krallen.
Als verdrängte Lebenslüge
in Bezügen ohne Sinn.

Unbegründbare Meinung zum Glück (740)55

Was, frage ich, was will ich mehr?
Ich hab doch alles: Wohlstandsflair,
Frieden, Rechte, Lust en masse,
Volksherrschaft und Freiheit, dass
ich doch sein muss ganz zufrieden,
hat die Zeit doch viel zu bieten.
Alles fast und für fast alle.
Selbst für Gauner, Schwätzer, Nieten,
Gurus, Stars, all die Millionen,
die sich selbst so gern betonen …

Noch einmal: Allen muss 
sich Glück versprechen:
Spaß und Urlaub, Clubs, Bordelle.
Selbst noch Heiler für so Leiden,
die die Lebenslust verzechen,
psychisch brodeln, beugen, schneiden,
fühlen lassen Schmerzenswelle.

Ehrlich? Selten ist’s geworden,
obwohl’s jeder sucht: Das Glück.
Jagt es, um es sich zu horten
als sein vorzeigbares Stück.
Irgendwann nimmt’s sich zurück.

Ist’s doch überhaupt Fiktion.
Weicht zumal, wenn werdend schon,
wenn man es erzwingen will.
Deshalb ist’s geworden still:
Als Konsumtraum Kunden-Mohn.

Eingeständnis IV (741)56

Die Liebe war mir nie ein ernstes Ziel.
Dies Traumgespinst recht blinder Daseinspfade.
Doch mag sie sein ein Existenzkalkül.
Das nähme ihr das Seelen-Fade.
Indes Verbraucher können sowieso nicht lieben.
Nicht mal sich selbst. Narzisstisch nur.
Und das heißt: inszeniert, heißt: angetrieben.
Orientierungslose Marktsogspur.
Und überhaupt muss man sich selbst vergessen.
Allein. Vereinzelt. Nur noch Wirtschaftsgröße.
Sich grade dann verloren, wenn auf sich besessen:
Als Spielball leerer Ich-Getöse.

Überträumungstrauer/Für eine Tote … (742)57

Ein Blattwerk sirrt so leise.
Der Wind herzt warmes Blau.
Ich dunkle hin auf meine Weise:
Gedenkend jener Knabenfrau.
Ihr Leib war weiß, war jung, war zart.
Wie frei von Stofflichkeit.
Ein Übertraum als Himmelfahrt 
in Welt- und Ich-Enthobenheit.

Adieu, geliebtes Körperding.
Leb wohl, auf Nimmerwiedersehn.
Nur noch mein Ich steht jetzt im Ring,
sich selbst zu widerstehn,
der Wirklichkeit und ihren Blässen,
dem Alltag und was sonst erbost.

Von allen meinen Trost-Mätressen,
warst du vom Zufall auserlost,
dich selbst in mir zu überschreiten.
Wohin? Das lässt sich nur erahnen.
Doch sei’s. Ich werde von uns beiden
allein jetzt meiden unsre toten Bahnen.

Warum Gedichte? (743)58

Es ging mir immer nur um dies:
Ein Quäntchen Selbstbestimmung
in diesem lustverdeckten Show-Verlies
entmündigender Krümmung.
In der sozialen Schwere
bedürftig selbstgemachten Loses:
Enthoben der Effekt-Galeere
im Bannrausch sprachgeführten Floßes.
So dass ich meine, zu entrinnen
dem wohlstandsinduzierten sich Verdösen.
Mich geistig zu gewinnen,
gefeit vor Formel-Blößen.

Fundamentale Erfahrungen (744)59

Es gibt einige fundamentale Erfahrungen,
die unser Dasein lohnend,
selbst faszinierend erscheinen lassen.
Etwa die Vorstellung eines allmächtigen göttlichen Wesens.
Oder die in stille Demut raffende Pracht,
Schönheit und Majestät des Universums.
Eines Universums freilich,
das uns gegenüber gleichgültiger,
feindseliger und zweckfreier doch gar nicht sein könnte.

Man denke auch an die Vorstellung eines personalen Selbst,
das sich vernünftig und frei bestimmen könne,
autonom sei,
über einen freien Willen verfüge,
sich über sich als Kreatur hinwegzusetzen.
Überzeugungen,
die es dem Individuum doch erst ermöglichen,
sich als einmalig, wertvoll,
bedeutungsträchtig und haltgeborgen zu erfahren.

Und nicht zuletzt vergegenwärtige man sich die utopischen Großentwürfe eines optimistischen Intellektualismus,
die von einer perfekten Gesellschaft und Welt künden und träumen.
Wie etwa auch die unbestimmte Hoffnung auf ein technisch-naturwissenschaftlich getragenes Paradies,
das weder Einschränkungen noch Unterschiede,
weder Verantwortungslosigkeit noch sittliche Verwerfungen,
weder Hässlichkeit noch Schmerz,
weder Krankheit noch Alter,
weder Entlastungsdruck noch Einsamkeit,
weder Langeweile noch Zweifel,
weder Bestialität noch Scheitern kenne.
Eine Hoffnung,
in der sich freilich auch,
uneingestandenermaßen,
die letztlich unleugbare Armseligkeit unserer Primaten-Existenz spiegelt:
Die Ahnung der unüberbietbaren Nichtigkeit 
dieses Verhirnungs-Dramas,
das weder notwendig auf dem Weg 
der Entwicklung des Universums lag, 
noch gar der folgte,
die ein Schöpfergott ,
nachdem er die Materie aus dem Nichts geschaffen,
in sie absichtlich hineinkomponiert hätte,
sie sozusagen in einen sinn- und zielgerichteten 
Ablauf sprechend 
mit den Sein setzenden Ur-Worten 
seines unendlich mächtigen Geistes.
Indes mag da entstanden sein,
gegenwärtig vorgehen und zukünftig geschehen,
was auch immer.

Dieser letztlich zwar experimentell-mathematisch fassbare,
aber existenziell unbegreifliche und scheinbar gänzlich nichtige Großprozess wird auch mich umfasst haben.
Und allein nur dies 
wird meinem Dasein etwas verliehen haben,
was es trotz aller Kürze,
Selbstverfehlungsverflechtung,
unterschwelliger Dauer-Barbarei,
Sinnlosigkeit und tatsächlich erbärmlicher Hinfälligkeit 
rechtfertigen mag,
weil dieses Wissen um meine subjektive 
Nichtig- und Bedeutungslosigkeit mich zugleich ihr entriss,
indem es mich von mir selbst: 
bedrängender Kreatürlichkeit, lösend,
mir dadurch zugleich Einsichten ermöglichte,
derer teilhaftig geworden zu sein 
das menschliche Dasein 
doch weit über es selbst insofern hinausheben,
als es seiner bedurfte,
auf dass jener Großprozess in seinem eignen lächerlichen Zufallswurf zum Bewusstsein seiner selbst gelange,
sich in seinen eigenen Vollendungen spiegeln könne: 
Menschlichem Intellekt-Imperialismus: '
Rationalität: Dem menschlichem Geist: 
Loslösung von aller Ich- und Wesens-Drangsal,
in dem allein jener dumpf-materielle Großprozess 
sich als Selbstüberschreitung,
als Los- und Erlösung von sich selbst erfahren darf.
Wenn auch vielleicht nur für einige wenige Jahrhunderttausende.

Kleiner, hartnäckig quälender Schmerz (745)60

Was soll man, ungeschönt gefragt, denn machen?
Wenn man ist hilflos ausgesetzt
sich selbst, den Lagen und den Sachen …
Ein Daseinsspielball, permanent gehetzt
von Zeit, Bedürfen, Illusionen.
Primär dabei nur Wirtschaftsgröße …
Verdrängungssüchtig mag man so betonen,
man sei doch Würde- und Vernunft-Synthese,
sei frei so, sich als Selbstzweck einzustufen …
Indes der kleinste Schmerz kann zeigen,
dass da Atome nur ein Stoffgebilde schufen,
Verfall verfügt und Trance, sich abzuzweigen
all diesen Zufallsläufen ein paar Rauschmomente,
die Last des Leibs zu überwinden:
Alleinsein, Leere, Gram und Ende.
Ekstatisch sich als Schöpfungsmacht zu gründen.

Wir Einzelne (746)61

Doch, doch. Wir sind auch niederträchtig.
Aus Selbstsucht sind’s die meisten.
Die steuert uns. Ist viel zu übermächtig,
als dass wir menschlich nicht entgleisten.
Uns nicht als unfrei auch erwiesen.
Ganz schuldlos so. Und festgelegt,
auf jeweils eigne Art uns abzubüßen.
Von dem, was Selbst heißt, streng kausal bewegt.
Allein. In uns verschlossen. Lebenslang.
Uns selbst und dem, was ist, verfügt.
Im Zwiegespräch mit Furcht und Drang:
Subjektschimäre, die sich nie genügt.
 

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