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Diese Seite enthält 46 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

Nebenbei bemerkt I (630)1

Weiß nicht, 
was ich sagen soll;
will auch nicht 
die Stille stören.
Einsamkeit
soll mich betören:
inhaltslos 
bedeutungsvoll.
Und mich so 
das Sterben lehren:
Heimgang 
in des Stoffes Schoß.

Unwiederbringlich zerstoben (631)2

So viele, aus dem Kreis gelaufen,
die niemals wiederkamen. 
Man kann sich letztlich selbst nur raufen
aus dieser Einsamkeiten Amen,
das man alleine spricht. Und ungehört.
Ich hab’s für manchen mitgesprochen.
Von siechem Sehnsuchtsweh betört.
Und nur dank Seiner ungebrochen.
Ich werde niemand mehr von damals treffen
in jenen Jahren: trunken kindsnaiv.
Mich würde ein Phantom doch äffen,
das meine Tränenbucht erlief.
Das mich genarrt dann hätte, weil ich’s wollte.
Noch immer euch verbunden.
Der frühen Jahre Traumweltgolde,
der Gnade Gottes abgeschunden.

Zeitgeist I (632)3
Vergleiche (25/1529), (38/2232), (48/2391) und (73/3935)

Der Zeitgeist? - Magisch primitiv.
Kommandohedonistische Gewalt
als deklassierendes Sakralmotiv
für hochprekären Halt.
Ein dionysisches Sichselbstverknechten
im Sammeln von Erlebnismassen …
Entseelendes Verflechten
von Spaßzufuhr und kultischem Verblassen.
Es macht indes so aggressiv wie leer,
da letztlich nichts als Schein
und austauschbares Ungefähr
in einem dauerdirigierten Sein.

Nebenbei bemerkt II (633)4

Verlautbarungs-Nihilismus.
Wortfetzen
syntaktischer Zerbröselung.

Traum-Orte.
Rentner-Infantilismus
in Teeny-Stumpfsinn.

Selbst die Wirklichkeit
tobt, rational
onaniert.

Im Hellblut 
der Dauerbanalitäten:
Verzückungs-Surrogate.

Selbstglorifizierungsschübe
fluten brachgeil
die Alltagsneuronen.

Zertrümmerungserpicht
übt sich gegenontisch
meine Indolenz.

Der Wettlauf zum Nichts
verfeinert kritisch
seine Gleichungs-Taktik.

Ein numinoses Helau
zittert sich suffbefröstelt
durch entseelte Unwegsamkeit.

Marktlärmglücke (634)5

Ich erwarte überhaupt nichts mehr.
Über stille Abende
gehen meine Wünsche nicht hinaus.
Solange ich halbwegs gesund bleibe,
die Uhr ticken höre,
fähig bin, den Kuli zu führen,
will ich es gut sein lassen.
Wär’s doch auch absurd,
nach Glücken zu jagen,
die es gar nicht mehr geben kann.
Der Kapitalismus hat sie nämlich 
längst abgeschafft,
um sie zu ersetzen 
durch eine vergebliche Jagd nach ihnen.
Nur so nämlich
kann er sich halten
als das, was er ist:
Schimären-Produzent
und Virtuose einer sich selbst
fortschreitend auflösenden Perfektion,
je näher man glaubt, 
an sie herangekommen zu sein.

Untergründig krankes Deutschsein (635)6

Da greift ein Extremismus-Zwang,
der letztlich apolitisch ist:
Ein idealer Tugenddrang,
der nie nach Fakten misst.

Man ist sich selbst nur von Belang:
weil sich die Selbstablehnung frisst
bis in die Sucht nach Untergang;
identitätsarm zumal jedes Maß vergisst.

Und das erklärt auch die Kulturarmut,
das Täuschen, die Verlogenheit,
die inszenierte Priesterglut
als arrogant-charakterlose Existenz-Feigheit.

Physischer Verfall (636)7

Wärst du doch hier!
Und sei’s als Schatten.
Als Schemenflucht gebundne Gier.
Ich wär zufrieden mit den abglanzmatten
Schimären für mich Tier.
Du schwankst durch so viel leere Stunden.
Ich kann sie gar nicht zählen.
Erinnerungen eingebunden
an Rausch, an Trost und Traumverschwelen.
Doch kämst du wirklich, nun ich schwiege.
Wohl wissend, wie es um mich steht.
Dein schöner Körper fände kein Genügen
bei einem, der sich längst Verfall eindreht.

Vollendung II (637)8
Vergleiche (2/112) und (73/3587)

Irgendwann dann geht’s ans Sterben.
Dann sinkt alles hier ins Nichts.
Dann kann nichts mehr, gar nichts, zählen. 
Selbst die Scherben,
die so vielen, bricht’s und bricht’s und bricht’s.
Trotzdem machst du immer weiter,
weil’s für dich nur Zwang doch gibt.
Sklave deiner Fadenleiter,
bis es eben kippt.
Wirst für nichts gegrübelt haben,
niemand haben je erreicht.
Viel zu breit ist ja der Graben.
Und das Wir zu seicht.
Doch Vollendung war es schon.
Hast es so empfunden.
Dann, wenn du nicht Kapitalweltklon,
Geist warst, im Gedicht, gebunden.

ZINSJA 26 (638)9

Bis zum Ende werde ich
immer wieder auf jener Bank 
an der Mauer des Friedhofes
meines Heimatdorfes sitzen,
ausmalend mir das,
von dem ich schon damals, 
in der Kindheit, ahnte,
dass es nie eintreten,
sich würde nie verwirklichen lassen;
ja, nicht einmal halbwegs 
würde gelingen können:
Ein sinn-, zweck- 
und haltgeborgenes Leben,
frei von Widersprüchen,
Verfehlungen, 
Lebenslügen und 
Gewaltgelüsten …
Sind wir doch nicht einmal,
permanent unserer nicht 
beherrschbaren Irrationalität ausgesetzt,
fähig zu so etwas wie Schuld,
weil eben nicht ansatzweise
über uns selbst verfügend,
in keinem Augenblick so
davor gefeit, uns vernichtungslüstern,
weil wesenszentrisch mittellos, 
aufzugeben. 

Man kann nicht nicht werten (639)10

Wir müssen alles in Bedeutung heben.
Wohl wissend, dass es keine hat.
Indem in Sollen wir verschweben,
so dass als Wert-Spuk wir uns finden statt.
Uns Lebenslügen dann zu überlassen:
Fiktionen. Manchmal Barbarei.
Doch ewig kommandiert von Gassen,
von Geld und Macht und Lumperei.
Von Selbstwertschwächen und von Illusionen,
Schaumschlägerei und Ich-Theater,
von Triebdruck, dem wir hilflos fronen …
Als ob sie ewig schlüge, 
unsre Lebensader.

Nichts davon mehr gegeben (640)11

Keine metaphysischen Halte.
Keine kulturellen: Keine fraglos gültigen Werte.
Keine Werte, die nicht definitiv trivialideell verlogen wären.
Keine reizresistenten Selbstbestände.
Keine Kraft zur Selbstrelativierung.
Keine geistigen Eliten.
Kein Staat: Keine Einsicht in tugendtotalitären Polit-Messianismus.
Keine gesunde Demokratie: Eine narzisstische 
Parteienoligarchie stattdessen.
Kein kratischer Realitätssinn.
Keine Kraft, sich existentielle Wahrheiten einzugestehen: 
Materialismus, Determinismus, Nihilismus.
Keine gesellschaftliche Einheit. 
Kein Widerstand gegen die Wohlstandsbarbarei.
Kein ideologiefreies Recht: 
Kann’s niemand seine Würde garantieren doch.
Kapituliert’s doch auch vor Gesinnungsterror.
Keine gesellschaftliche Gerechtigkeit.
Keine Freuden, keine Dankbarkeit, keine Seelenruhe, 
keine währenden Glücke.
Keine Einsicht in die Pan-Perversion dieses modernen Daseins.
Nicht vermeidbare, da systemimmanent fundierte, 
Folgen sittlich-geistig notwendig strauchelnder, 
zumal objektiv selbstzerstörerischer Konsumdiktaturen …

Es ist so weit.

Weshalb das Verlangen wächst nach Verzückungsorgien,
Entlastungsekstasen und inbrünstigem Selbstverschmelzen
mit Gossendelirien: 
Drogen, Star-Trancen, Lethargisierungszufuhr,
Fatalismus, Indolenz, Infantilismus und unterleibsgymnastischem Narzissmus.
All das freilich hehr sakralisiert. 
Auch um die wachsende geistige Armut sich, 
Wirklichkeit verweigernd, human ergriffen zu verhehlen. 
Allschuldig, staublüstern, von Selbsthass heimgesucht, 
zugleich tugendgewaltig und eingeweiht von der Vorsehung selbst. 
Wie man es doch ist. In Deutschland. 
Diesem Land eines Wolkenkuckucksheim-Volkes mit einem, 
in seinen Pseudo-Eliten verbreiteten,
ontologischen, das heißt weltgeistfundierten Moralverständnis, 
das nur Eingeweihten zugänglich ist, 
gleichsam als esoterisch zu gelten hat.
In sich selbst verwehte Seelen.
Die Augen blicken wirr und tränenlos
in dieses Erden-Nichts, um sich zu quälen
mit all dem Elend, was so groß 
und immer größer wird, ins Unfassbare
sich irgendwann dann droht zu steigern.
Dass alles Gute, Schöne, Wahre
sich muss ihm dann verweigern.
Und das, wie’s kommen muss, für immer.
Die Tugend ist nun mal Verhängnishure.
Des Hasses anonymer Schimmer.
Der Hyle hinterhältigste Bewusstseinsfuhre.

Verfügungsbefehl (641)12

Man ist allein fürs Kaufen abgestellt
in Zeiten daseinsgründenden Verbrauchs.
Der jeden auf der Lauer hält
im Schleier jenes Hauchs
von Leisten, Lungern, Gelten und Genuss,
umringt von Apparaten,
die Geistverneinung, Spaß und Plus,
verdeckt als höchstes Gut anraten
und provozieren Überschwang
als doppelten Betrug:
Ersticken von Belang
und marktkonformen Seelenflug.

Keine Glücke mehr (642)13

Hockst schon wieder vor dem Kasten,
hörst Geschwafel, siehst viel Haut.
Willst dich so vom Tag entlasten,
der, mal wieder, war versaut.
Ziehst das allerdings auch vor
jeder Form von Du-Ansprache:
Ankertraum, doch Einfallstor
seichtester Beziehungsbrache.
Lieber Fußball, Krimis, Sex.
Glücke sind schon längst entlaufen:
Opfer rationalen Drecks
marktgerechter Seelenschlaufen.

Faktenfluss (643)14

Was du willst,
kann ich nicht bieten:
Glücke und Geborgenheit,
Halte, Zuspruch, Treue.
Spüre ich doch 
all die Nieten:
Niedertracht und Einsamkeit
jeden Tag aufs Neue.
Nicht dass sich 
da Schuld entfalte
(zeigte sich 
ein freier Wille).
Hier diktiert 
der Faktenfluss,
dieser unbarmherzig kalte
Zwingherr
subjektivem Muss.

ZINSJA 14 (644)15

Es tröstet auch, man glaube mir,
dass jene dunkle Energie
beschleunigt fortreißt nun
dies doch rein stofflich 
kommandierte Zufallsspiel
brachialer Halden ohne Götter 
in eine quasi-ewig,
bloße Ausdehnung 
von sinnlos-majestätischer 
Geist- und Bedeutungslosigkeit.

Dorfschatten/Für E. S. (645)16

Jener unvergessene Sommernachtwind:
Meine Glücke erwandernden Augen lenkte er,
warmzart kommandierend,
auf deine deprimierend junge Haut hin,
so, wie es nur der Wind kann,
dieser Meister des erotisch Verfänglichen.
Wesensgetrieben tat er’s: Sanft uns umschmeichelnd.
Spürte er doch nicht die Verachtung,
die du mir entgegenbrachtest.
Noch weniger dein scheues Mitleid,
von Abscheu und Ekel durchsetzt.
Und dennoch: Auch nach Jahrzehnten
weht er immer mal wieder auf
in ähnlich lungernden Nächten,
Baumgruppenschatten neckend,
sie treibend vor mein geistiges Auge,
dein schemenhaftes Abbild formend,
den Bann und die Scham jener Stunden
feinsinnig übergehend.
August-Last fällt mich dann wieder an,
Trauer und Gram und stummes Alleinsein.
Indes ich, wispernd vor Sehnsucht nach dir,
wiederum unfähig werde,
dich in ihm,
trotz Fremde und Kälte,
unwiderruflich entschattet
für immer zu dunkeln.

Selbstverlust I/Für I. Kant (646)17
Vergleiche (11/647) und (33/1379)

Was wäre denn noch da von der Person,
dem autonomen Selbst, 
von dem ein Kant einst sprach?
Da tobt sich aus ein Medienklon,
der, nur noch Körper-Ich, sich selbst liegt brach.
Ist Abklatsch einer Wohlstandsdiktatur,
genormt durch Leistung, Spaß und Existenzkalkül,
verdämmernd Planungsglücken ohne Geistesspur.
Orientierungslos und infantil.

Was geht’s mich an indes? 
Was kann’s mich stören?
Da greift perfider Zwang, 
sich anzugleichen Sachen,
Erlebniskult vereinzelt zu verlieren,
von Stars erregt, sich zu verheeren.
Um, seiner ledig, endlich zu verflachen
marktkommandiertem Delirieren.

Selbstverlust II (647)18
Vergleiche (11/646) und (33/1979)

Ich weiß es doch. Ich weiß es allzu gut:
Ich bin mir selber nur noch Überdruss.
Das will man nicht. Das prägt sich schleichend aus.
Und irgendwann erscheint dann alles fad.
Der Antrieb fehlt. Man ist so teilnahmslos.
Vereinsamt sich. Bleibt ganz für sich. Allein.
Verneint in Seelendämmer Wirklichkeit.
Erbaut sich andere aus Angst und Wahn.
Sogar die Hoffnung dreht man zwanghaft um.
Man malt sich nicht einmal mehr Lösung aus.
Und denkt an Selbstmord endlich manchen Tag.
Ich weiß nur dies: Ein Fremder ginge in den Tod.
Ein solcher, der begriffsarm feige 
sich Geist verratend dann verloren hätte.

Vereinzelung in Nihilismus-Losen/Sonett (648)19

Geblieben sind mir nur Erinnerungen,
die umgedeutet wurden und geschönt.
Das tat ich selbst. Denn nur der Schein versöhnt.
Wer wäre menschlich sich denn je gelungen?
Ist man doch haltlos. Ich. Vom Markt gedungen.
Von Zeitgeistmache, die subtil verhöhnt.
Indem von Faktenlagen sie entwöhnt.
An deren Stelle setzt Belustigungen.
So will ich mich mit dir nun auch betrügen.
Zuweilen ein paar Stunden dich liebkosen.
Um zu vergessen meine Lebenslügen:
Vereinzelung in Nihilismus-Losen.
Die will mit dir ich jetzt in Trostwelt biegen.
Verdrängungslüstern noch vor letzten Posen.

Prekäre Normalität (649)20/Sonett

Warum nicht auch mal träumen, wie so viele,
von Glück, Gelingen, schönen Urlaubstagen;
von Feten, die den Alltag überragen,
Berauschungskitzeln an der Crack-Kanüle?
Sind das doch allgemein erwünschte Ziele.
Und außerdem: Man fühlt sich mitgetragen
in Selbstverständlichkeiten, die besagen:
Du hast exakt die richtigen Gefühle.

Vor allem hat man auch was zu erzählen.
Von Flirts, von Strandpartys und coolen Leuten.

Alles normal. Doch will ich nicht verhehlen,
dass das für mich ist ganz leicht auszubeuten:
Dank jener wird’s mir nie an Gründen fehlen,
die Welt als hochprekär mir auszudeuten.

Dieses Dasein (650)21

Es war nie groß. Doch immerhin,
es gab Momente, wert das Ganze.
Das sonst Vollzug nur und Bestandsgewinn,
Befehl war, dass man sich umtanze,
sich Mittelpunkt und letzter Zweck,
das höchste Gut und Sinn und Alles sei.

Tatsächlich doch ein ziemlich blasser Fleck
in einem destruktiven Einerlei.

Der Schmerz der Einsicht, der war’s  wert;
das Dichten, das davon befreite,
dass man als Körperding sich nur erleide,
von Du und Wir und Selbstbetrug verzehrt.

Selbstformungswege (651)22

Wohl dem, 
der etwas hat und liebt,
wofür er sich auch ruinierte.
Bloß weil er glaubt, 
es lohne sich,
sich selbst für etwas hinzugeben.
Sei’s für Idee,
sei’s Wert,
sei’s Kunst.
Sei es auch intellektuelle Redlichkeit,
um was Gespinst sei,
Propaganda, 
Meinen bloß,
von dem, 
was ist, 
dann scharf zu scheiden.
Sich diese Welt nicht bloß 
zurecht zu lügen.
Zumal nur dies ein reiches Leben ist,
was Geist,  
nur er allein,
erlaubt.
Weil man in ihm sich übersteigt, 
sich, den Systemvasall.
So nicht entmündigt ist,
wie man’s doch wird,
wenn man sich fügen muss, 
sich zu behaupten.
Sei’s als Bedürfniszwang,
sei es als Geistsehnsucht:
Die auf das Selbst sich richtet,
nicht sein Ich.

Ausweglosigkeiten/Sonett (652)23

Die Zeitgeistillusionen? Trost im Untergehen.
Nicht jeder sollte daher hinterfragen sie.
Vor allem der  nicht, der die Fakten will nicht sehen,
der angewiesen ist auf Träume und Magie.
Der sollte sich besonders von sich selbst wegdrehen.
Es wäre schlimm für ihn zu greifen, dass er nie,
getrieben, wird sich jemals auf sich selbst verstehen.
Den, der er sei, zu kennen: Was sowohl als Wie.
Zumal es doch auch völlig unnütz - sinnlos wäre,
geradezu belastend, wenn er so erführe,
Objekt zu sein sapienter Intellektmisere.
Das gut dran täte, dass es fraglos weiter rühre
an Spaß und Tingeltangel, statt an diese Schwere
von Ausweglosigkeit: prekäre - daseinsschiere.

Individualität (653)24

Das ist, wie man es 
zustande bringt,
sich selbst nicht immer, 
obwohl existenziell 
völlig hilflos,
ja: in jedem Augenblick
radikal unfrei,
ausgesetzt zu sein.
Das kann gelingen.
Indes einem 
als Geistmacht
allein.

Zeitgenössisches Leben (654)25

Es ist vor allem trivial.
Doch ohne frühere Härten.
Ein Rausch der Ware und der Zahl:
Die Orgie der konsumverzerrten,
verludernden Entfesselungen.
Ist eine rechtsgehegte Sause,
die, kulturell misslungen,
nur solchen bietet ein Zuhause,
die ihre Tiefen nicht begriffen:
Gewissenstod und Seelenkälten
und Sinnverlust, verschliffen
in scheinfundiertem Gelten.

Für mich allein (655)26

Am liebsten war ich doch für mich.
Die Zeit allein zu haben.
Entronnen diesem Ich 
banaler Kreaturen-Laben.
Entfremdet freilich auch dem Du.
So unnahbar mir doch.
Und fordernd immerzu.
Agent zumal von diesem Zeitgeist-Joch:
All diesen Kräften, die uns treiben,
doch auf uns selber zu verzichten,
uns traumrauschselig abzuschreiben
und selbstblind zu erdichten.
Uns nur noch gängig auszuleben,
auf Reize eingeschworen.
Statistisch uns zu weben:
Zerstreuungsignoranz verloren.

Globalschicksal I (656)27
Vergleiche die Variante (30/1814)

Da schwappt was über meine Wege.
mir zeigend, dass ich machtlos bin.
Zumal ich kein Gewicht auf Tugend lege,
schon gar nicht hoffe auf Vernunft und Sinn.
Es macht mir klar das Ausweglose,
das immer enger sich doch schnürt
ins ungewollte, für uns viel zu große
Globalschicksal, das uns vielleicht negiert.
Dass wir in ein Verderben lungern,
durch radikales Wohlstandsstreben,
von Dauerdarben: Durst, Gewalt und Hungern …
von Flucht, nicht solidarisch zu beheben,
das ist wohl nicht mehr aufzuhalten.
Wahrscheinlich wird’s in Barbarei auch führen
durch Machtsucht, Niedertracht und Lust am Spalten.
Sind wir doch Meister im Vertieren.

Die Stillen (657)28

Ich lausche - 
Nur worauf denn bloß?
Erscheinen undurchdringlich 
doch die Stillen.
Die machen mich 
von allem los,
sogar 
vom eignen blinden Willen.
Indem sie lockend 
auf sich selbst verweisen:
Das Große Nichts, 
das sie verheißen.

Radikaler Befund (658)29

Werd nicht auf irgend Pauke hauen.
Schon gar nicht in Gedichten.
Hab ich begriffen doch dies fade Grauen
der Macher, Amts-Sophisten und der Schlichten.
Verstanden auch, dass die verfallen:
Gesellschaft, Recht und Innenwelten.
Sich freilich noch an Wohlstandsillusionen krallen,
an Urlaubshedonismus und an Helden.
Wie etwa Promis, Stars und die Figuren,
die permanent sich loben.
Politbewegte etwa mit Geschwätzes-Suren;
durch diese in sich selbst zerstoben.

Erinnerungen an homo sapiens bambergensis (11/659)30

Ich habe, träumend, dich in Augenblicke
basaler Leiblichkeit gebannt,
von Gier und von Gesellschaftsekel überrannt.
Damit der Trug mir glücke:
Du lägst noch immer mir zur Seite,
wir schöben Körperglück uns zu.
Entgingen so denn alle beide 
der Fremdheit zwischen Ich und Du.

Ich weiß, ich deliriere.
Man sprengt nicht eine seiner Grenzen.
Nicht eine Fron sozialer Tiere.
Nicht mal sich selbst kann man ergänzen …

Und doch, mein frommes Leibtrostding,
erging aus deinem Sein der Urbefehl,
zu ignorieren, was als dieses Ich einging
in Wort und Stoff und Trancewelt-Brand: 
In dir erlöst, dir geisterotischem Juwel.

Realitätssinn (660)31
Zu vergleichen (15/868 und 15/869), (19/1107)
(31/1849 u. 31/1863 bis 1866)

Ich brauche keine Daseins-Pyramide,
muss nicht errichten einen Babel-Turm.
Ich lebe spät: In einer Waren-Schmiede,
in der ich faktisch bin Verbraucher-Wurm.

Ich glaube nicht, dass ich hier was bedeute,
in dieser Wahn-Gesellschaft ohne Sinn:
Bin ich Monade ja wie alle Leute,
die sich in Angst, Verdrängung, Rausch gehn hin.

Weshalb’s egal mir ist, ob sie sich halte,
zerstörerisch in jeder Hinsicht doch:
Ein Wohlstandsrausch-Asyl als Psychen-Halde:
Enthemmungs-Onanie als Hedonismus-Joch.

Trost der Kleinigkeit (661)32

Wenn es auch nichts bewirkte 
gegen die innere Wurzellosigkeit
und die krankhafte Todessehnsucht,
so wärmte es mir doch die nassen Füße,
das Zeitungspapier,
das ich in meine schneefeuchten Schuhe geschoben hatte,
damals an den weißen Hängen 
sich selbst umtobender Herzlosigkeit.

SMS (75) (662)33

Der 12. Untergott
klopft später als sonst 
an die nachtüberflutete
Balkonglastür.
Ich lasse ihn,
schließlich ist er rautenäugig,
wie immer herein.
Zumal er diesmal 
einen Materieklumpen 
mit sich führt, 
aus einem, wie er behauptet,
noch jungen 
Nachbar-Universum.
Den will ich,
davon bringt auch er 
mich nicht ab,
der nächstbesten Frau schenken,
die sich einsichtsschwer
mir für immer 
verweigert.

SMS (76) Determinismus (663)34

Alle diese Gesichter 
von schon früh gekannten Individuen,
die zuweilen wieder 
durch mein Hirn wandern:
Gesichter von Toten
und Gesichter von längst 
aus den Augen Verlorenen …
Gesichter, die ich immer noch
- tief prägten sie sich 
mir damals ein, sehr tief -
mühelos auszudeuten weiß:
Manche verachtungsverzerrt,
manche vergleichgültigungsunwirsch
manche vor Stolz 
und Hochmut schäumend,
manche von Hass 
und Ekel gezeichnet,
manche versunken in Angst 
und Selbstverachtung.
Aber manche auch lächelnd
mit zartscheuer Liebenswürdigkeit,
Freundlichkeit und Zuneigung …

Ohne dass auch nur eines 
all dieser Individuen 
je die Chance gehabt hätte,
das, was ihre Gesichter 
mir erzählten, auch nur flüchtig:
ansatzweise zu korrigieren,
einmal nur Lügen zu strafen.

Indes wer begriffen hat,
dass sich niemand je
selbst entkommen kann,
sich selbst ausgeliefert ist 
bis zu seinem Ende, 
der wird auch einsehen,
warum ich so unwillig bin,
diese Individuen zu tadeln.
Denn wem gelingt es schon,
sich von seinen ihn ausmachenden 
Fundamental-Verfehlungen 
zuweilen geistig zu distanzieren,
um sich dann, für Minuten vielleicht,
seiner, auch genetisch erworbenen,
Prägungen ledig, von sich entlastet
durch seine Existenz zu mogeln?

SMS (77) (664)35

Die Verfalls-Tiraden
der Wohllebens-Dekadenz
sagst du, schrien 
wieder einmal aus den tiefen 
Innenweltverwerfungen
der auf Linie gebrachten 
Erlebnis-Anbeter heraus, 
täten das wie immer
und auch, wie immer,
deutlich hörbar?
Stimmt‘s, dann lass uns 
- Weisheit und Mitleid gebieten es -
vor die Magistrate ziehen,
Verbotserlasse zu erstreiken,
auf dass die Machthaber,
ihr Gewaltmonopol zu erhalten 
und weiter auszubauen,
zuletzt der all-verführerischen,
sie ist jener instrumentum diaboli*,
nackten Verdinglichung beföhlen,
jenen die Sucht nach Wahrhaftigkeit
definitiv auszutreiben.

*instrumentum diaboli: Hilfsmittel, Werkzeug des Teufels

SMS (78) Unwählbare Schicksale (665)36

Mir ginge es, so meinst du, besser
als all den andern Markt-Trabanten,
die Phrasen deuten und vergöttern Quanten?
Nun ja: Der Wohlstand ist nun mal Erpresser.

Was sollen sie denn sonst auch machen?
Entweder geben sie sich dem Systemzwang hin,
zumal drauf vorbereitet auch von Anbeginn,
oder auch nicht; dann werden selten sie nur lachen.

Am Rand zu leben, so wie ich es tue,
das ist doch nicht gewollt, ist innrer Zwang.
Und so wie alles heute: Ohne Kern-Belang.
Doch immerhin, ich habe meistens meine Ruhe.

Soll heißen: Fühle mich recht gut
in meiner Einsamkeit und ihren Stillen
Darf ein mir bilden einen eignen Willen
und randscheu frönen mancher Geistes-Glut.

Das Individuum ist heutzutage obsolet.
Ist meistens andern exemplarisch gleich.
Gemacht dazu von diesem anonymen Reich,
das für subtile Abrichtung doch exemplarisch steht.

SMS (79) (666)37

Inmitten von Stumpfsinn,
Hochmut, Vereinzelung
und Entseelungsdionysien
habe ich mir, 
einsichtserpicht,
eine geistige Nische geschaffen,
in der versteckt und geborgen
ich all jene Anzeichen 
eines Seelen- und Gewissenstodes
als drastisch kommandierende
Selbstenteignungsreflexe 
auf eine ungreifbare Welt 
abstrakt deklassierender  
Endlos-Gefangenschaft 
in kommunikationsintensiven
Deutungsleeren 
sich selbst ankichernder, 
wirklichkeitsenteignet identischer 
Persönlichkeitshülsen 
glaube gewahren und
durchschauen zu müssen.

SMS (80) (667)38

Es ist mir alles gleich.
das Du, der Staat, die Gesellschaft,
die konforme Armseligkeit zumal 
all dieser selig 
despotisierten Sozialmonaden.
Ich werde schließlich 
einmal gewesen sein
Götterwaise, Teilchenpuppe,
Nihilismus-Barde.
Alles spur- und belanglos
vor dieser sophismengetränkten,
aus den Kernen meiner 
datenatomistischen Existenz
heraufbeschworenen Stunde,
überschwappend zeitklar
und kaum erträglich vor Glück.

SMS (81) (668)39

Fragmente-Lese.
Das ist nun einmal so:
Das hilflose Sichten 
der Gegenwartsuntergründigkeiten
im beschleunigten Fall
der Neuronen-Verfehlungen 
bis in die Fäule 
der exponentiell wachsenden 
Herzkrumenhalden.

SMS (82) (669)40

Die Abendhunde bellten.
Auf den nahe gelegenen Bauernhöfen
an die Ketten ihrer Hütten gebunden.
Die Nacht umfing mich mit ihrem Entlastungsdunkel.
Und wisperte von bösen,
hinterhältig-geisterhaften Wesen:
Gespenstern, unglücklich-ruhelosen Seelen,
die ihr Grab verfehlten, Gnomen,
Stadtmauernebelschemen, Hexen,
murmelnd hadernden Dorfdeppen.
Die Angst kroch mir ins Innerste.
Dort freilich sofort niedergerungen 
von dem in diesem wohnenden 
Absoluten: Heimat, Geborgenheit, 
metaphysische Zuflucht. Unzerstörbar.
Wahrscheinlich alles auch Gründe,
warum ich die Gleichungs- und 
Verfahrens-Öden, die Psychen-Wüsten,
Begriffs-, Geist- und Gefühls- Brachen
der zeitgenössischen Welt und 
ihrer lärmend orientierungslosen Subjektivität
so unmittelbar zu greifen fähig bin:
Diese Leeren numinoser Verlassenheit,
erlösungsbesprenkelter Vergossungszucht und 
wirklichkeitsfremd inszenierter Moralanfälle.
Definitiv aus wabernden Verdinglichungen 
in hedonistische Substanz-Gebrochenheiten 
unaufhörlich rinnend … verlungerungsarchaisch.

*numinos: göttlich;  das Numinose = Das Göttliche als unbegreifliche, zugleich Vertrauen und Schauer erregende Macht

SMS (83) (670)31

Geistig völlig substanzlos:
Anstatt Sachlichkeit, 
die Instrumentalisierung 
von politischer Großmoral -
Eine armselige Kompensation 
mangelnden Realitätssinnes.

Daher also meine Ablehnung 
nur ideologisch argumentierender 
Befindlichkeitsjongleure.

Was auch könnte man denn erwarten
von Leuten, deren Hybris,
Eitelkeit und Selbstüberschätzung
sich als ethische Exzellenz suggeriert?

Man vergesse niemals, 
dass aggressive Mediokrität,
sittliche wie intellektuelle,
chronisch sich selbst glorifizieren muss.
 
Loslösung (671)32

Stündlich werde ich heimgesucht von Propaganda,
Empörungshysterie, 
Reklame und Tugendandachten.
Worum es dabei letztlich geht, 
bleibt mir indes, 
bin ich ehrlich, 
im Kern verborgen.
Denn wovon ist eigentlich die Rede, 
von welchen Tatsachen?
Manchmal ist mir,
als schrie da eine finalnihilistische Welt auf,
sich ihrer heimlich selbst bewusst 
als nicht mehr beherrschbar,
sich selbst zugrunde richtend,
definitiv vertan.
Kulturell jedenfalls und psychisch-geistig.
Wehren kann ich mich gegen sie nicht.
Ich kann sie nur ignorieren,
indem ich mich innerlich von ihr losmache,
ihren gesellschaftlich-sozialen Zusammenhängen 
erst einmal entronnen: Freizeit entbunden.
Losmache von einer sich erlebnishektisch ins Ungreifbare inszenierenden,
zufriedenheitsarm-glücklosen Ramschkultwelt sich selbst verachtender Wirklichkeitsloser.
Und eben genau das tue ich.
Gleichgültig gegenüber ihrem Schicksal.
Und Kunst machend für niemand.

Technokraten-Gehirn (672)33

Es ist das Subjekt des Profanen,
der radikalen Kreatürlichkeit,
uns zu befreien aus prekärem Sinnsucht-Ahnen
zu kalkulierter Ich-Belämmertheit.
Für es sind wir Atomgebilde
Materie nur eingebunden.
Nicht angewiesen auf des Sollens Schilde,
Entlastungszwängen abgeschunden.
Es träumt von einer rationalen Welt,
der Überwindung aller Leiden.
Es träumt sich als der Menschheit Zelt,
sie kontrolliertem Dauerglück zu weiten.
Und zielt auf bloße Tyrannei,
Kontrolle, Gleichschaltung, Total-Funktion.
Dass da ein trivialziviler Menschentypus sei
als optimierter Klon.
Vielleicht indes - wer weiß? -  ein Rettungsanker
in dieser menschlichen Misere
gottloser Selbstwert-, Ich- und Drangsal-Kranker,
Verfall verfügt, Verblendung, Daseins-Leere.

ZINSJA 30 (673)34

An meinen langen einsamen Abenden 
denke ich 
- wenn überhaupt an Menschen -
dann auch nur an Körper,
verlogen sich inszenierende,
freilich auch - und vor allem - ‚
zeitgeistdeklassierte,
desorientierte Narzissten.
Zielloser Ich-Gier verfallen.
Waren
sich selbst. 
Unbegriffen.

Eingeständnis II (674)35
Zu vergleichen sind die Gedichte (8/494), (12/740), (19/1141) und (21/1231)

Es ist nichts mehr zu ändern an dieser selbstgewirkten, 
mußelos banalen Kunstwelt.
Die uns längst, als seien wir ihre Spielbälle, herumwirft,
steuert, zwingt, uns unserer selbst zugleich 
annähert als entfremdet.
Es ist mir fragwürdig geworden,
irgendjemanden zur Verantwortung zu ziehen,
wie er sich so oder so, 
wie wir selbstvergessen ich-gierig meinen, 
vergangen habe.
Das übergeordnete, von uns geschaffene System selbst
- und zwar ohne, dass wer auch immer schuld daran sei:
es ist primitiv, Schuld zu verteilen, die es gar nicht geben kann:
Es fehlt die selbst-, kultur- und wertfeste Persönlichkeit,
kurzum: Es fehlen die Möglichkeiten 
metaphysisch genialen Selbstbetrugs -
ist unserer Verfügungsgewalt entlaufen.
Wir sind nur noch seine Vollzugs-Marionetten.
Niemand mehr vermag einzustehen für sich.
Es fehlen die kulturellen und die psychischen Dispositionen:
Die Fähigkeit zu einer Freiheit,
wie sie nur eine intakte Hochkultur 
der unhinterfragten Selbstverständlichkeiten 
Einzelnen zu schenken vermag:
asketisch, selbstmächtig, verhaltenssicher, geistverpflichtet 
und hoch gebildet zu sein …
Als selbstdistanzwillige und -fähige Person.
Niemand mehr (als Macher, Verbraucher, 
Amts-Schauspieler, Starguru: trash-Virtuose, 
bestallter Moralist, Gauner, Verbrecher, Guru, 
Phantasmen-Laller usw.) kann was für sich … 
- Es sei denn, eine genetische Gnade 
sei ihm zuteil geworden, 
Abstand von sich zu gewinnen: 
Sich, sich durchschauend, selbst zu meistern: 
sich, sich gegenüber getreten, schonungslos 
auf den Begriff zu bringen -
Weder für das, was er ist, 
noch für das, was er nicht ist. 
Noch dafür, dass er nicht ist, was er sein sollte.
Darüber selbst zu befinden und zu entscheiden, 
liegt in der Regel außerhalb seiner kreatürlichen, 
existenziellen und intellektuellen Möglichkeiten.
Wer wäre denn noch Souverän seiner Existenz? 
Wer könnte noch wagen, es sein zu wollen?
Also nicht bloß einer, der 
(marktvermittelt und Zeitgeist verfallen) 
meint, es zu sein,
auf dass er nicht heimgesucht werde 
von der Ahnung seiner individuellen Belanglosigkeit,
getaucht in eine definitiv obwaltende,
objektive Sinnlosigkeit,
die, würde er sich ihrer bewusst, 
doch kaum jemand auch nur annähernd zu ertragen 
in der Lage wäre.
Und all das vergesse ich oft,
wenn mich meine Wutanfälle und Aggressionen 
gegen andere treiben,
die, doch nicht weniger heteronom als ich,
ein ebenso haltloses Dasein zu vollziehen gezwungen sind.
Und dies, obwohl ich aus guten Gründen glaube,
hinreichend deutlich eingesehen zu haben,
dass wir uns selbst aller Freiheit 
(besser: der Illusion aller Freiheit),
Selbstverfügung,
traditioneller Kulturstützen,
Daseinsfreuden (nichtkonsumtiven Glücken) 
und jedweder Seelenruhe beraubt haben,
vollständig ausgeliefert 
unseren quasi-rationalen Objektivationen 
technischer Effizienz,
naturwissenschaftlicher Desillusionierungswahrheiten 
und einer Wohllebens-Torpidität,
die nur erlösungsfundamentalistisch zu erklären ist …
Sodass wir uns danach sehnen müssen, von ihnen, 
hedonistisch-phrasenhörig eingelullt, 
gegängelt zu werden.
Unglücklich, orientierungslos, latent daueraggressiv, 
narzisstisch aufgeblasen,
empörungsneurotisch und stumpfsinnig …
Virtuosen einer oft anderen aufgebürdeten Selbstlast, 
des verdrängten Grams, 
der Desillusionierung und der Autodestruktion …
Völlig außerstande, unserer erreichten Halbgötterposition 
geistig Rechnung tragen zu können:
Dankbar zu sein für all diesen 
unseren verletzlichen und sterblichen Körpern 
so günstigen Rationalitätsfortschritt,
ironisch selbstlos redlich, souverän bescheiden und human, 
still unsere Autonomie und Tugendeitelkeit belächelnd 
und mit jener nicht ethischen, sondern geistig-elitären (Selbstanspruchs-) Würde anmutig-überlegen spielend, 
auf dass sie alles streife: Tiere, Pflanzen, Natur: 
Gottes geniale Märchenschöpfung … 
Trotz unserer unabänderlichen Wesens-Barbarei, 
-Grausamkeit und Verzweiflungsgefangenschaft.
Heiter-komödiantisch 
die Farce unseres Daseins aufführend, 
wissend um die Sinnlosigkeit unsres Wissens …
Darum auch, 
dass es für uns nichts zu gewinnen gibt. 
Es sei denn, uns selbst. 
Und sei’s nur phantasmagorisch-geistig: 
entlastungstrunken delirierend. 

Affektdrangsal (675)36

Da magst du leiden, wie auch immer.
Magst depressiv sein, physisch krank.
Das wird mir völlig schnuppe sein.
Verdienst du’s doch, dass ich dir nichts,
tatsächlich nichts zugutehalte.
Gar ohne Rücksicht hasserfüllt bestimme,
dass dir nichts zu verzeihen sei,
am wenigsten doch du dir selbst.
Obwohl im Grunde ich es weiß,
dass du nichts taugst, 
weil nur ein armer Mensch,
dir selber faktisch nicht verfügt.
Nur schäbig und charakterlos.
Und so denn ohne alle Schuld.

Andeutungen über die zeitgeisttypisch 
verkümmerte Innerlichkeit (676)37

Darf ich’s dir ehrlich, offen sagen?
Du bist mir, nun, zutiefst zuwider.
Was wäre, sag’s, von dir denn zu erhoffen,
kalt, wie du bist, gewissenlos und bitter?
Gewürfelt Herkunfts-, Gen- und Zeitgeistresultat:
Humorlos, rabulistisch intellektuell,
perfide, aggressiv und fad.
Ein Psychenwrack qua Phrasenkarussell. 
Und doch: Ich fühle deine Grund-Misere.
Ideologisch musst du sie vertuschen.
Moralschauspieler ohne Scham und Geistesschwere.
Ein Daseinsnichts, ein Perspektivenhuschen.
Dir selbst, der Erde, andern ewig Last:
Abstrakte, angelesne Menschlichkeit,
narzisstisch in dir selbst nur Gast.
Ein Plünderer von durch ihn selbst bestimmtem Leid.
Und da ich, wie versprochen, redlich bin:
Dir fehlen Anmut, Seelengröße und die Königsgabe,
zu wissen: Hier tobt Elend ohne jeden Sinn,
herrscht Macht- und Ich-Sucht ohne Würdehabe.
Rast Barbarei. Mal krude, meistens feine:
Zivilisierte an des Ochlos Spitze.
Da kann human nichts sein und keine
Gerechtigkeit verteilt hier Sitze.
Was sich geriert hier als des Daseins Krone,
ist pervertierte Dekadenz.
Von Angst-, Affekt- und Lust-Befehlen einer Drohne
materiell erzwungne Deutel-Existenz.

ZINSJA 29 (677)38

Wenn ich was rückhaltlos bewundert habe,
dann dieses standhaft geistige Ertragen 
sei’s von Vergeblichkeit, sei’s auch von Scheitern.
Muss man tatsächlich diese doch erwarten 
in einer Welt, der man entgleiten muss,
will man verhindern, letztlich auch von sich 
im Stich gelassen dann zu werden,
wenn man begriffen hat, dass jene zwingt,
als Marktteilnehmer selbst sich zu verraten,
da kommandiert doch ausgeliefert 
an Selbstverdinglichung qua Ohnmachtshandeln. 
Zumal man metaphysisch leer,
entmündigt ist und haltlos überhaupt:
Verlassenheit verfallen ohne eignes Lot.
      
Eingeständnis III (678)39

Sogar ein Augenblick bleibt ganz für sich.
Er lässt sich niemals wiederholen.
In ihm allein zerfließen Du und Selbst und Ich,
um sich in Trance zu polen.
In ein Gespinst,
von dem man Jahre zehrt.
Obwohl man es als Täuschung weiß.
Man hängt ihm trotzdem nach,
obwohl es doch zerstört,
weil Fremdes wird.
Und, fremd, Beweis:
Das Beste sind die Illusionen,
die man dem Augenblick abjagt.
Auch um sich vorzugaukeln jenes Kronen,
indes von Alltagsnüchternheit längst abgehakt.

Sehnsucht (679)40/Für Homo sapiens bambergensis 

Wärst du doch hier …
Und mir dein Knabenkörper ein Erlösungszeichen.
In deiner Gegenmondhaut mir Riechspur, 
Trost und Heimattraum.
Du. Linientreuer Nacktheit so Abholde,
mir Daseinslasten rauschblind abzunehmen.
Du wärst ein Abendkrug mir wieder,
mir Trost, aus deiner Gier gewonnen.
Dir rhythmisch kapernd 
Rosskastanienblütenduft.
Wärst du doch hier …
Und stöhntest fort mich in geraubte Stunden,
von Lippenmohn bezeltet,
Hellsichtzwang entronnen.
Entweltlichungsgetaumel mir.
Ein metaphysisch-dionysisches.
Du blonde Seinstraummuschel,
archetypisch Sinn mir streuend.

ZINSJA 74 Zynismus (680)41

Zwischen Selbstbewirtschaftungshörigkeit
technisch generierter Beseligungszufuhr,
Entgrenzungsmagie und Pornographie,
eine geistig enteignete,
pseudoautonome Standard-Persönlichkeit:
Der sich selbst verzehrende,
begeisterte Kunde, reizbrünstig,
der Vollzugsknecht konsumkapitalistischen 
Nichtigkeitsleerlaufes.
Wie giere ich danach,
an seinem Erhalt,
an seiner Optimierung,
an der Intensivierung 
all seiner eingebildeten Wünsche 
- zynisch wie einsichtsgetrieben,
illusionslos wie erfahrungsprall,  
rastlos verantwortungsbewusst -
hellsichtig mitzuwirken.
Um des Ganzen willen,
dass es nicht schon jetzt zerfalle,
erst nach mir treibe 
in barbarische Anomie.
       
Gebote der Klugheit (681)42

In uns zu Selbstbewusstsein gelangt,
feiert sich die baryonische Materie 
als Krone der Schöpfung,
als Telos des Seins,
überrannte, 
fasziniert gezwungen von sich selbst,
als Gleichungsvirtuosität sogar die Anschaulichkeit,
stößt,
Allmacht delirierend,
jede Grenze um,
phantasiert sich ins Ungefähre und Areale.
Indes mit Hilfe der Sprache längst 
Götter und Seelen,
Sinn und Zwecke,
geistige Gründe,
Freiheit und Würde 
rastlos unbekümmert ins Welthafte sprechend,
gerierte sie sich so als Normen- und Werte-Demiurg,
der aus sich selbst heraus -
fähig, seine materiellen Wurzeln zu transzendieren -
Kulturdome und Idealwelten errichtete.
Jenseits aller naturalistischen Greifbarkeit.
Doch meine Lebenserfahrung,
mein gleichsam krankhaftes Feingespür,
sich richtend auf mich selbst und meine Artgenossen,
meine illusionslose Klarsicht auf das,
was menschliche Irrationalität, 
gewaltfaszinäre Zerstörungssucht 
und verwahrlosungsselige Niedertracht anrichten,
genauer: lustvoll begehen,
lassen es mir klug erscheinen,
jenes Neuronentrudeln ins Metaphysische 
nicht nur hinzunehmen,
sondern emphatisch zu propagieren,
geradezu als Quelle von Wahrheit auszugeben …
Zehren wir doch von jenen Entlastungsillusionen.
Sind wir doch, menschlich zu bleiben,
auf sie angewiesen -
trotz progressiver Enträtselung der Materie.
Wir, Wesen, denen es nur indirekt gelingt, 
sich zu stabilisieren,
die nur indirekt, wenn überhaupt,
jene seelische Gesundheit sichern können,
die sie vor sich selbst bewahrt.
Wir, Virtuosen der Formel- und Verfahrens-Intelligenz,
des Verstandes, 
der zerstörerischen Rationalität,
der heimtückischsten Täuschungsmächtigkeit
und des Zwangs zur Selbstobjektivierung.
Verloren also.

Ohne Gott.
Ohne Sinn.
Ohne Geist …
Ohne kulturelle
Illusionen.
Hedonistisch-utilitaristisch Verlassene.
Sich selbst ausgelieferte, 
verstellungsvirtuose Schöpfer 
von dauerhysterisierender Daseinsverramschung..
Variante zu Gebote der Klugheit:

Despotischer Stumpfsinn (Bilanzgedicht 26a) (682)43

In uns zu Selbstbewusstsein gelangt,
feiert sich die baryonische Materie als Krone der Schöpfung,
als Telos des Seins,
überrennt, 
fasziniert von sich selbst,
als Ich-Phantom leichthin Raum und Zeit,
als Gleichungsvirtuosität sogar die Anschaulichkeit,
stößt, Bewusstseinseinheit delirierend,
jede Grenze um,
phantasiert sich ins Ungefähre und Areale.
Mentifakte und Meme 
rastlos ins naturhaft Faktische einschleusend,
geriert sich so als Normen- und Werte-Demiurg,
der aus sich selbst heraus, fähig,
seine materiellen Wurzeln zu transzendieren,
Kulturgebilde errichtet,
jenseits aller naturalistischen Greifbarkeit.
Indes sagen mir meine Lebenserfahrung,
mein Scharf- und Fein-Sinn gegenüber Artgenossen,
meine intellektuelle Redlichkeit 
und mein Realitätssinn zuletzt,
dass es weder Götter- noch Geist-Welten
weder eine Ich- 
noch eine widerspruchsfreie Selbst-Einheit,
weder Seele noch Person,
noch irgendeinen umfassenden 
Zweckzusammenhang geben kann …
Angesichts des despotischen Stumpfsinns,
der uns lückenlos ausmacht -
bis hinein in das Ringen um Sinn,
Selbst, geistiges und metaphysisches Sein.

Gegen-Ich-Selbst (683)44

Entgrenzte Stunden.
Nächtens im Büro.
Mein Alltags-Selbst zerfließt.
Ich bin jetzt nur noch 
mit mir selbst verbunden.
Nicht mehr Herr Sowieso,
der sich in die und jene Maske gießt.
Ich, der doch gezwungnermaßen
als Konsument Reales greift, 
der willig auf sich selber pfeift
für jährlich 3% Gehaltszuwachs,
zu meistern seine Triebdruckphasen,
verzaubere nun selber mich
mit ein paar hin geworfnen Zeilen
zu einem Selbst als Daseinsstich.
An diesem Ort diktierter Langeweilen -
Umstellt von Ordnern, Listen, Apparaten …
Indes bedingend dieses Sehnsuchts-Ich:
Die Flucht in Geist.
Aus Zahlen-Knechtschaft, Wir und Daten …
verfügt als Leib-Ding Markt und DAX.

Der entscheidende Unterschied (684)45

Woraus auch immer Menschen
Halt und Selbstwert schöpfen,
vielleicht sogar so was wie Lebenssinn …
Es bleibt Begriffskonstrukt in ihren Köpfen,
sinkt vor den Fakten kraftlos-leer dahin.

Das gilt für alles Macht-Autoritäre -
ob nun utopisch, völkisch oder religiös -;
das enden muss in Unfreiheit, Gewalt …
auf einer Elends-Fähre;
an sich brutal und desaströs.

Demokratie allein 
mag man hingegen so bewerten:
Als Trickser-Ich-Entfaltungs-Paradies,
als vorteilhafte Pseudo-Wahl,
als wohlstandstrunkenen Beglückungsschein …
Indes erlaubend freilich dies - und das ist groß -:
sich unbehelligt subjektiv‘
in Geist zu erden.

Das Geistig als Entlastungs-, Deutungs-,
Schöpfungs- und Selbst-Stabilisierungs-Macht* (685)46

Ich hab mir eine Welt errichtet,
in der ich leben kann, 
so wie ich muss;
sie teils mir gradezu erdichtet
als reinen Phantasie-Ausfluss.
Mir selber zu entrinnen, 
der Prägung auch der Faktenwelt,
weil man in der kann 
nicht mehr sich gewinnen:
Vielmehr als Psychen-Einheit
stumm zerfällt …
Klamauk und Perfidie 
anheimgestellt.

        *
Indes es sind nicht viele in der Lage,
sich illusionslos 
dieser Existenz zu stellen;
zumal die oftmals eher Plage,
als eine wäre ohne Dellen.
Tatsächlich objektiv 
auf gar nichts ruht:
Nicht Gott,
nicht Sinn,
nicht irgend Zwecken …
ist weiter nichts als stille Glut
von Lebenslügen,
dies uns zu verdecken,
dass sie ist ohne jede Hut,
ist Leibdrangsal,
meint alle Tage 
Verlust, Verfall 
Vergeblichkeit,
erlebnismonoman 
sich aufzuhellen.

           *

Das Geistige? 
Nun eine Selbstbewahrungsstrategie,
die Deutungswirren dieser Welt 
zu meiden,
Fiktionen-Exegese mittels Sprachmagie,
um sich, Bedürfniseinheit, 
nicht als Unperson zu leiden.

Zuweilen auch 
noch einmal heimzufinden
in metaphysische Regionen,
um sich als Gottgespinst 
noch mal zu gründen,
das Nichts als Faktum so 
sich zu entthronen.

Kurzum: Ein Spiel nur noch 
von Kindereien,
dem, was an sich ist, zu entfliehen:
Den ausnahmslos doch allsinnfreien
existenziellen Phrenesien*.

*Phrenesie: Wahnsinn

*Tatsächlich ist das Geistige die - freilich genetisch zufällig erworbene - Form einer sprachlich-kulturell (also: subjektiv-irrational)  deutenden Lebensmeisterungsstra-tegie auf psychoethischer Ebene; oder: eine exzellente Chance, sich gegen alles das zu verwahren, was einen seiner selbst benehmen oder zumindest vereinnahmen will: der Markt, die gängige Polit-Ideologie, die trivial-nihilistisch-lachgasbedürftige Gesellschaft, der herrsch-ende Zeitgeist als Auto-Idiotisierungs-Hully Gully, der aggressiv-arrogante deutsche Tugendmasochismus, der überall anzutreffende Narzissmus, der neidscheele Egalitarismus, die gleichsam erlebnisklerikale Pleonexie usw. usw.

 

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