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Diese Seite enthält 51 Gedichte (Prosa-, Reim-Gedichte und Sonette)

Der Mensch ist fort I (579)1/Vergleiche (74/4038)

Es ist doch gar kein Mensch mehr da:
Die Selbstdistanz ist fort, die Heiterkeit.
Auch Ironie, Humor und Generosität.
Und aller Anmut Großgesinntheit.
Die Geistesbildung sowieso.
Der Wille auch, sich objektiv zu sehen …
Und Einsicht zu gewinnen in die Grundmisere:
Dass nichts er sei als Weltspielball, 
Verlassenheit und Wesensfron.
Die’s freilich stillbescheiden durchzustehen gälte.
Da tummelt sich ein Ehrgeizling,
ein Kultnarziss frivolen Unvermögens,
subtil sich selbst verhasst und ausgeliefert 
sei’s marktverfügter Hörigkeit,
sei’s Tugendniederträchtigkeit,
sei’s Schaumschlägergehabe auch,
sei’s Zeitgeistunflat, Mammonhecheln,
sei’s Selbstverleugnung in Erlebnissurrogaten …
Ein Mehrfachbüttel, 
pseudoautonom sich inszeniert.
So aggressivem Stumpfsinn ausgeliefert.
Als Machtcharakterlosigkeit, 
als neues Lumpenproletariat:
Sakralisiertes Kurzeffektgesindel.

Rauschstracke Du-Versunkenheit/Für homo sapiens bambergensis… (580)2

Du kamst an Freitagnachmittagen.
Du kamst, weil wir was hatten.
Wir stellten leibsoggierig keine Fragen.
Verbannten alle Daseinsschatten.
Es waren Stunden ohne Gelten.
Nur Glücksrausch dargebracht.
Bis uns die Körper fällten.
Und wir erwachten aus der Lustandacht.
Schon lange her. Doch hin und wieder,
denk ich zurück an dich.
Gebannt mich dann erinnernd deiner Glieder.
Und wieder los mein weltgefangnes Ich.

Ineinanderlaufende Selbstverlustweisen (581)3

Meine geistige Müdigkeit
wird immer intensiver.
Jahr um Jahr beobachte ich, 
verfallsvertrauter, auch schärfer
den kulturellen Ausverkauf 
dieser Wohlstandsgesellschaft. 
Bringe mir diesen längst in 
Zusammenhang mit dem  sich auch 
unaufhaltsam nähernden 
physischen Tod:
Von diesem dann endlich
erlöst zu werden. 
Von allen Öden und Zwängen …
von allen Selbstverkommenheitslüsten
und allen Verwahrlosungsentgleisungen.
       
Rückzug nach innen (582)4

Der Herbst ist da. Die Tage werden kürzer.
Trüb sind manche, manche sind verregnet, 
manche schon recht kalt.
Die Nacht bricht früher herein.
Die Welt wird scheinbar kleiner,
geheimnisvoller, unaufdringlicher, stiller.
Auch sich selbst nimmt man 
unwillkürlich mehr zurück,
man wird förmlich öfter 
nach innen gezwungen.
Zumal auch nicht mehr abgelenkt 
von zahllosen Reizen.
Die eher kühlen Tage hindern die Frauen daran,
sich in knapper Sommerkluft 
ihrer notorischen Gefallsucht hinzugeben:
Ihre teilnackte Körperlichkeit
kommandierend zur Schau zu stellen.
Indes wird einem das gleichgültig sein,
wenn man halbwegs fähig ist, 
die Personen dieser Körper zu erfühlen …
Denn dann wird man nicht selten 
Kälte, Machtsucht, Effekthascherei,
Gewissensleere, geistig-seelische Armut
und ichgierigen Narzissmus spüren -
Genauso wie bei Männern.
Bei denen allerdings eher durch 
blecherne Exo-Selbste*, Machogehabe,
Schaumschlägerei und Zaster-Potenz.
Das sind Verbrauchercharakteristika allgemein.
Nebel, Wolkentristesse und starken Wind
nutzt man nunmehr gerne dazu aus,
sich dieses trostlose Dahinleben 
in erschöpfter Intensität, 
wachsender existenzieller Desorientierung,
Empörungs- und Eigensucht, 
medialmonotoner intellektueller Deklassierung 
und immer gleicher Banalroutine
stundenweise behaglicher zu gestalten.
Und sei es nur in der Geborgenheit
notorisch überheizter Kleinräume.

*Exo-Selbste: Statusanzeiger wie z. B. ein Oberklassewagen.

Die Monade (583)5

Mir gingen alle meine Jahre
vollzugsnotwendig hin:
Dass ich mein Geld verdiene,
mich bewahre 
und stündlich phantasiere Sinn.
Ich strampelte, wie viele,
für Miete, Heizung, Wasser, Strom.
Vollzog die üblichen Kalküle.
Als in sich selbst gebanntes Ich-Atom.
So bin und war ich nur Sozialmonade
im Zufallslauf des Ungefähren.
Ein Knecht der großen Apparate.
Die freilich doch auch Sicherheit gewähren.
Und machte dabei gute Miene.

Ziellos (584)6

Welchen Gehalt 
gäbe es denn noch,
sich über sich selbst,
gegengängig ichfern,
zu erheben?
Keinen.
Tyrannisiert doch 
eine Scheinwelt 
konsumdiktatorischer 
Erlösungstrivialität
auch noch 
die letzten Reste
geistigen Menschtums.

Das Individuum (585)7

Das Individuum, wenn es denn
zu Recht so genannt wird,
steht zu allen Zeiten notwendig 
gegen die jeweilige Mehrheit.
Deren intellektuelle Hoffnungs-,
Halt- und Beglückungs-Knute
sei welche auch immer:
Religiöse, weltanschauliche,
ideologische oder ökonomische.
Eine muss es ja sein,
um eine Gesellschaft überhaupt
umtreiben zu können.
Ein Individuum wird in solch
schlichten Entlastungs-Primitivismen
freilich niemals ganz aufgehen.
Ob seelisch, geistig oder sittlich.
Und Gesellschaften trachten danach,
müssen es, genau genommen, 
um ihres Selbsterhaltes willen,
ihre Individuen -
seien sie noch so wenige,
seien sie noch so schwach -
an den Rand zu drängen,
sie mundtot machen 
oder gar physisch vernichten.
Und das gilt uneingeschränkt für Diktaturen,
aber auch für Demokratien bzw. Parteien-Oligarchien,
deren Mittel der Entmächtigung von Individuen 
freilich ungleich subtiler sind:
Sie drängen nicht an den Rand,
sie machen nicht mundtot,
schon gar nicht vernichten sie physisch.
Sie überlassen jene Entmächtigung
der intersubjektiven Innerlichkeit:
Reproduziert diese doch die ökonomisch-ideologischen, 
auf Erlösungs-Wohlstand ausgelegten,
Psychen allformenden Tiefenstrukturen so perfekt, 
dass sie den gesellschaftlichen Atomen 
als ihre eigene erscheint … eine Tatsache,
deren historisch beispiellose Fortschrittlichkeit
ich für mich selbst anerkenne, beibehalten
und verfeinert sehen möchte. 
Trägt doch die Gesellschaft die Individuen.
Trägt sie physisch, kratisch, rechtlich, ethisch, psychisch … 
Und niemals umgekehrt diese jene.
          
So gefühlt/Sonett (586)8

Ich habe nie sehr viel von uns gehalten.
Mein Leben lang nur immer eins erlebt:
Dass wir Getriebne sind der seelenkalten
Determinismen, die kein Selbst aufhebt.

Determinismen, machend, dass man strebt
nach Optimierung seiner und der Halden,
auf denen man nach Ich-Erhöhung gräbt:
Sich, andre überragend, zu entfalten.

Das ist gewiss normal. Doch ohne Größe.
Ob wir’s begreifen oder leugnen wollen.
Getue. Aus auf Gängigkeitssynthese.

Sich aufzuschwingen zum Bedeutungsvollen.
Was des Bestrickungsgrames Lasten löse.
Was nie geschieht. Wir sind uns selbst verschollen.

Von Kindesbeinen an (587)9

So gut wie gar nichts ganz gemacht.
Und kaum auch etwas halb.
Die meiste Zeit in Trance verbracht,
zu fliehen diesen Alp.
Still oft am Wegrand nur gesessen,
in Bläuen hoch gestarrt.
Und dort gezählt nur immer Schattenmessen,
auf dass mich nicht auch noch der Himmel narrt.
Ein Alp? Das wurde es tatsächlich.
Der trieb mich täglich um.
Das machte mich zerbrechlich,
misstrauisch, distanziert und tiefenstumm.

Fundamentalprägung/Sonett (588)10

Es sei ein Nachteil, komme man von unten.
So stimmt das auch nicht. Freilich eingesogen
hat man die Seelenrohheit wie die Wunden.
Ob Flaschen kreisten oder Fäuste flogen.

Und selbstverständlich ist man dem gewogen,
was man von früh auf schon hat vorgefunden.
Und fragt nicht etwa: Hat mich das verbogen?
Es prägte eben für die nächsten Runden.

Der Wertbetörte kann das nicht begreifen.
Ihm fehlen die Gefühle für das Krude.
Er wird sich immer auf Moral versteifen.

Denn die allein nur schaffe alles Gute.
Sein Ausweg, vor der Faktenflut zu kneifen.
Auch dass nicht deren Grausamkeit ihn flute.

Auskunft (589)11

Ich produziere keine Emotionen,
verkaufe keine Trostgebilde.
Zumal entzaubert sind die Psychen-Zonen,
in Sprachverlust gehüllte,
Zerfall und Unmaß 
luststramm dekadent zu fronen.
        
Verantwortungslos (590)12

Zuweilen mag man ja,
und sei’s nur,
dass einen augenblicksweise
ein idealistischer Antrieb
gleichsam unerklärlich-rauschhaft erfasste,
sich bemüßigt fühlen,
seinen Vorurteilen,
fragwürdigen Meinungen
und ausgeprägten Antipathien
möglichst wenig Einfluss
auf das eigene Urteilen 
einzuräumen,
um dieses differenzierter und 
also auch realitätsgerechter 
ausfallen zu lassen.

Und dennoch war ich stets,
ohne Ausnahme,
überzeugt davon,
dass es schlechterdings
verantwortungslos wäre,
der unaufhebbaren Despotie
unserer Mittelmäßigkeit
zugleich moralische Fähigkeiten
entgegenzustellen, die geeignet wären,
sie zu überwinden
oder wenigstens zu relativieren.

Etwa die autonome Bestimmung seiner
zum Würdeträger nach Kant,
also die affektfreie Fähigkeit 
zu Selbstzurücknahme, 
Selbstdistanz und Selbstüberwindung überhaupt
um eines Wertes an sich willen,
den alle als den ihren zugleich
annehmen könnten; und sollten.

Oder die Aufforderung zu Aufrichtigkeit,
Redlichkeit und fraglosen Anerkennung
eines einem selbst 
übergeordneten Normengefüges
rein säkularer Gebundenheit.

Sind wir doch völlig außerstande,
nicht aus Lust, Furcht, Angst ,
Nutzenerwägungen, Neid,
Selbstglorifizierungsanfällen,
dem Drang, andere zu überragen
und was sonst noch  
an menschlicher Niedrigkeit
jener irrationalen Despotie 
wesenseigen sein mag,
zu handeln.

ZINSJA 166 (591)13

Sich selbst permanent unmäßig
glorifizierendes Durchschnittsmenschentum,
stolz-, würde- und geistarm,
ohne Achtung gebietende Seelengröße,
glücksunfähig, gewissenlos …
Wohllebensschaumschlägertum … 
Wie können wir da noch 
auf Zukunft hoffen …
Wie zumal so heillos unklug sein,
diese überhaupt noch -
und dies zuversichtlich -
anzugehen?
Nun, so sind wir:
Evolutionsgeborgen
dauerresigniert und
entlastungsoptimistisch.

Selbstmonadisierung I (592)14/Vergleiche (17/1015)

Es ist kurz vor 19.00 Uhr.
Die Dunkelheit ist schon eingetreten.
Der rechte Fuß lässt vom Gaspedal,
der linke tritt die Kupplung durch.
Ich schalte nervös, fahre zu schnell.
Immer wieder überholend,
um möglichst rasch dem dichten Abendverkehr 
und überhaupt 
meiner Feierabendmorosität zu entrinnen.
Ca. 19.20. Uhr habe ich endlich meinen Parkplatz erreicht.
Ich stelle das Auto ab.
Ich strebe hastig dem Hauseingang zu.
Ich überwinde so schnell wie möglich die Treppen.
In meiner Wohnung angekommen,
schließe ich gleich zweimal die Haustür hinter mir zu.
Im Wohnzimmer drehe ich die Heizung auf,
mache mir eine Tasse Kaffee,
räume meine Arbeitstasche aus,
lasse mich dann endlich in einen Sessel fallen,
ein wenig doch erschöpft vom vergangenen Tag.
Den Fernseher lasse ich aus.
Ich kann jetzt keine Nachrichten gebrauchen.
Die tagsüber gehörten vergesse ich:
Man*-Gerede
Politleerformeln,
Gefühlshülsenphrasen,
Zeichenöden,
Schlagzeilen,
Reklameanglizismen,
Tugendverlautbarungen.
Auch der eigensinnige Körper verliert alle Bedeutung,
muss nicht als Sexualinstrument dienen,
ist nicht mehr andern Körpern ausgesetzt.
Muss weder gerichtet noch gestrafft noch beherrscht werden,
muss nicht, Duftnoten verströmend,
seine Tierheit verbergen,
ist jetzt lediglich noch zellulärer Zeuge drastischen Reizentzuges.
Ich schlage Du- und Wir-Reste aus mir heraus,
erbreche förmlich die kleinen Bedrückungen des Tages,
lege mir Schweigen, und soweit möglich, Gedankenlosigkeit auf.
Auch vor mir selbst möchte ich,
so recht machbar ist es freilich nicht, 
Ruhe haben,
möchte mich selber los,
wenigstens aber aufgehoben sein in einem bewusstseinskargen Zeitfluss,
umkehrend den 
chronische Signal-,
Artefakten-,
Zeitgenossen-
und Nicht-Ich-Befangenheits-Terror
des vorübergegangenen Tages.

*Man: Das Man nach Martin Heidegger, s. Fremdwörterverzeichnis

Einsichtsgeschüttelt (593)15

Frühnachtstille.
Draußen klirrende Novemberkälte.
Abendlanger Synapsen-Halbschlaf 
verdöst erfolgreich das Beziehungsvakuum.
Kein Bedürfnis nach Ablenkung:
Bannungs-Ungetrübtheit sedierender Kindereien 
via TV oder Stereoanlage.
Was ginge indes über diese Erregungsbrache 
markttangentialer Selbst-Marginalisierung?
Eine Familie etwa?
Diese zuweilen unerträglich stickige Leiblichkeit 
gegängelter Martkt-Abklatschsubjekte, 
zumal dauerchronisch gefährdet 
durch die permanente Lockung medialen
Verflachschichtigungsterrors?
Dieses inszenierte Ineinanderkrallen von Ichsucht,
Säugerwärme und Abrichtungsverlogenheit 
qua repressive Toleranz und pubertärer Gewissensabbau?
Zumal doch die kapitalistische Wohlstandsmystik, 
Show-, Produkt- und Mammonhörigkeit Eltern wie Kinder 
sich zum völlig heteronomen Konsumgefolge erzieht.
Oder Geselligkeit? 
Blätterdach-Erregung,
akustisches Groomen und Betatschungs-Apriori,
Gelächter taktischer Täuschung:
Blechern, begehrlich, verzweifelt …
Leerformelparfümierte Selbstreklame narzisstischer 
Monaden-Monologe.
Eine Liebschaft?
Beutekirre Zerrissenheit zwischen geilheitsgekreuzigter Hellsicht und Belämmerungssgier.
Berührungssüchtig vergittertes, 
Lust erlauerndes Du: 
Profaniert kalkulierende Selbstwertbrache verdinglichter Animalität …
Postorgasmische Langeweile dann und einen unweigerlich ankriechende Fremdheit.
Spätnachtstille.
Sternreine Novemberkälte.
Es friert mich,
der ich einsichtsgeschüttelt vor dem Fluch eisklarer Begrifflichkeit meinen Wein trinke,
innerlich auseinandergefallen,
tränenlos den Mantel entlastender Vergesslichkeit über mich selbst breitend.

Alltags-Transzendenz/Für … (594)16

Ersogner Offenbarungs-Duft:
Dein hoher Körper übersät
von Zeit entschwärzter Gegengruft
in diesem momentan vertriebenen Spät.
Bedeutungs-Metastasen.
Entgehend Nie und Je.
Die wirrnisfrei in Schweiß und Trance einlasen 
mich dir, begehrte B.
So zart verfeinerte Gestalt,
die ich, trotz Sinn-Misere,
als Geist begehre und als Stoffgewalt,
bar fader Einsichtsschwere.

ZINSJA 71 (595)17

Alles von andern empfangen:
Subjekt ohne Eigenanteil.
Ein Körperatom, den Belangen
von Stoffen, Zeit und Zufällen feil.
Du-, Wir- und Zeitgeist gefangen.
Sich selber Spalte und Keil.
        
Stimmungsschattengewoge/Für homo sapiens bambergensis… (596)18

Ich habe was
durch dich 
hindurch geträumt.
Ich nehme an,
es war was Großes.
So groß, 
dass ich es nicht 
erlangen kann:
Phantom und Ausbund
deines Vortraum-Schoßes.
Dies dämmerpralle Paradies,
das kommandierend mich
zu sich hinreißt.
Ein stoffverfügtes 
Ich- und Selbst-Verlies.
Das dieses Kernversprechen 
freilich immer hält:
Verfließen sich 
als Individuum:
Erlösungstrost.
Orgasmusstumm.
So drängt es mich,
in dir zu kleben
und einzugehen 
deinen Haar-Asylen.
Durch Augenblicke 
ohne Scham und Reue
bis an die Ränder
jenes Krugs zu gleiten,
wo Agonien 
an Entlastung rühren.
Um Surrogate ihm,
nach Trancen süchtig,
Entfremdungsjoche,
angeseufzte, 
wenn auch 
vergeblich letztlich,
panprekär allein,
phantasmenmanisch
allfremd abzuküssen.

Selbstschimäre (597)19

Ich hab als Selbst doch gar nicht stattgefunden.
Warum, das weiß ich auch nicht so genau.
Ich überließ mich dem, was mich, sozial gebunden,
gesteuert hat durch diesen Bau:
Gesellschaft, Zeitgeist, Wohllebensgeschlürfe,
mich zu verschanzen zwischen Ich und Ding.
Mir sagend, dass ich’s nutzen dürfe.
Das weiß ein Sonderling.
Der starrt in seine innre Leere,
wo ihm Begriffe sagen:
Du lebst nur Selbstwahn und Sozialgaleere.
Und hast doch nichts, dich selbst zu tragen.

Sonderbare Ruhe (598)20

Sonderbare Ruhe, jetzt, so kurz vor Mitternacht.
Sowieso zu erschöpft, dich all jener zu erinnern,
deren Weg du einmal kreuztest:
Körper-, Psychen-, Überzeugungs-Lasten,
die sich für ein paar Tage oder Wochen
in dich verlaufen hatten,
dir freilich fremd und unbegreiflich blieben:
Samstagabendbegegnungen.
Obwohl du dich abmühtest, sie dir aufzubrechen.
Vergebens.
Daher wohl auch diese sonderbare Ruhe, jetzt,
so kurz vor Mitternacht.
Da sich ein Tross von Einsamkeiten anschickt,
in den Sonntag hinein zu tanzen.
Deine sind es nicht.
Deine suchen sich keine Vergnügungen mehr:
Selbsttäuschungsverhaltungen. 
Du wirst also ausschlafen können am morgigen Sonntag,
jener Fremden längst ledig:
Behelfsvorhut von Gesprächs- und Körperfragmenten.

Heutiger Kapitalismus (599)21

Der heutige Kapitalismus,
das ist der Markt als Kirche*,
das Alltägliche als Magie,
die Ware als personale Substanz,
der Subjektivismus
als verdeckte Innenweltgleichschaltung,
der Staat als Spielball der Ökonomie,
Ethik als Tugendversprechen,
verlogen und hilflos 
vor der sterilen Blasiertheit 
global standardisierten 
human capitals.
Der heutige Kapitalismus,
das ist die Anleitung 
zu geistiger Verwahrlosung,
infantiler Dauererregtheit,
affektiver Ausdünnung 
und bombastischer Auto-Elitisierung
entpflichtungshungriger 
Subjekte zweiter Hand.
Apparativ überwältigt,
entmündigt, sich selbst entfremdet.
Ihre Bedeutungslosigkeit, Desorientierung
und innere Verarmung
banalhedonistisch zu überspielen.

*Dass der Markt die Kirche ersetz habe, ist ursprünglich ein Gedanke von Walter Benjamin - wenn ich mich richtig erinnere.

Auch so ein Zwang (600)22

Erzwinge manchmal 
ein paar Reime.
Das fordert 
und das hält stabil.
Gaukelt’s doch Rundung vor 
und Ordnungskeime.
Wenn auch nur kurz - 
als bloßes Nu-Gefühl.
Doch immerhin. 
Das ist nicht wenig
in einer Welt 
perfekter Außensteuerungen.
Ich bin nicht ständig 
fröstelnd untertänig,
nicht ganz so dem, 
was ist, 
gedungen.

Anregung (601)23

Schon weil Machthaber in der Regel
geistig substanzlos, intellektuell mittelmäßig,
charakterlich unfest und ohne Selbstdistanz sind,
sollte man sich,
aus bloßem Eigeninteresse,
für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie einsetzen.
Schon weil Machthaber nur um Macht kämpfen 
(sie müssen das), um deren Erwerb, Erhalt und Ausbau,
weil sie Ruhm suchen, in die Geschichte eingehen,
etwas Großes bewirken,
ihre Eitelkeiten befriedigen und ihren Selbstwert erhöhen wollen,
oft zumal unterliegen einem narzisstischen Dilettantismus
und ihren Selbstglorifizierungsanwandlungen,
zuweilen gar sich für unfehlbar halten,
sollte man, um sich selbst möglichst zu bewahren,
für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eintreten.
Schon weil ein Machthaber,
der von all diesen Fragwürdigkeiten nicht berührt wäre,
dennoch so tun müsste, als sei er wie andre auch,
weil er sich sonst viele Neider als fanatische Gegner schüfe
- nichts nämlich ertragen Menschen,
die selbst nach Macht streben, weniger als einen Machtinhaber, der, neben seiner Macht, 
auch noch sittliche, geistige und intellektuelle Qualitäten aufweist,
besonders dann, wenn sie mit solchen selbst weniger
oder gar nicht ausgestattet sind …
sie werden ihn diffamieren, 
herabwürdigen, verdächtigen, beleidigen 
und auf die hinterhältigste Art und Weise bekämpfen -,
ist es ratsam,
rechtsstaatliche und demokratische Verhältnisse zu stützen,
denn nur diese vermöchten die geheimen Wege menschlicher Niedertracht - vielleicht - zu begrenzen.
Schon weil man sich selbst als kreatürlichen Egoisten,
Pleonexie-Söldner, Ich-Monade  mit schwankender Innerlichkeit:
wankelmütig, unberechenbar, verlogen, sich selbst ausgeliefert,
Schauspieler, Tugendmimen und als Wesen kennt,
das überragen und übertrumpfen muss,
ausgesetzt ist zumal existenziellen Tatsachen
wie Abhängigkeit, Fremdbestimmtheit, Schwächen, Verletzlichkeit,
kurzum: dauerprekären Gegebenheiten in jeder Hinsicht,
tut man gut daran,
schon um sich vor sich selbst zu schützen,
sich an rechtsstaatlich-demokratische Vorgaben zu halten.
Und schon weil Machthaber, so oder so, 
notwendig Massenexponenten sein müssen,
Massen aber schlechterdings unfähig sind zu so etwas 
wie Rechtsstaat und Demokratie
(sie in einem kapitalistischen System hinzunehmen, 
weil dieses Wohlstandsniveaus schafft, 
deren materielle Vorteile man unbedingt ausleben möchte,
ist keine hinreichende Voraussetzung, 
für jene im Zweifelsfall als unhintergehbaren politischen Werten einzustehen),
sollte man alle Überzeugungen, Naivitäten und Realitätsverweigerungen fahren lassen,
um sich aufs Schlimmste einzustellen.
Ob es dann komme oder nicht.
Ist doch der Mensch weder vernünftig noch gut noch ein moralisches Wesen …
Mag man sich noch so sehr über diese Tatsachen 
idealismuswirr-empörungsmonoman hinwegtäuschen.

Hilflosigkeit (602)24/Sonett

Ich fühl mich ziemlich ausgebrannt und müde.
Und dann so antriebslos und seelisch leer.
Oft bin ich deshalb aggressiv und rüde:
Mach es mir selbst und andern ziemlich schwer.

Das liegt auch daran, dass ich ständig brüte
über Probleme, die belasten sehr.
Weil alle uns doch machen schwerstfrigide,
was Menschlichkeit betrifft und Selbsteinkehr. 

So etwa wird man konfrontiert mit Dingen,
die schlimm sind; ganz gewiss; doch einem fremd:
Was soll man sagen, wenn sich Staaten nicht gelingen,

Was dann, wenn Fanatismus Hass nicht hemmt?
Wenn Barbarei will ihrer Opfer Tod besingen?
Und alles Tun sich gegen Einsicht stemmt?

Über die Nichtigkeit der individuellen Existenz (603)25

Ich hab mein Leben lang
- früh dazu angetrieben -
recht gut gewusst,
was existieren heißt:

Entlastungshandeln,
sich zu sieben
aus manch determinierter Lust,
verhehlend sich,
dass man in ihr entgleist,
sich selbst versäumt
und sich verrät.

Indes nicht anders kann.
Doch auch ein Knecht,
der untersteht Pleonexie-Diktat,
und also Nihilismus-Bann …

Notwendig sich Substanz-Belang,
so traumwund zu verschweben
in objektiv diktiertem Drang:
Formal-Selbst, weder gut noch schlecht.

Unverrückbare Einsicht (604)26

Von dieser Einsicht lass ich nicht:
Dass man allein ist. Und zwar lebenslang.
Sich selbst gegeben nur in sekundärer Sicht:
Als Wortkonstrukt, Sozialtraum, hochdiffuser Drang.
Doch es zu tragen, das ist schwer.
Wer dürfte sich auf so was ein denn lassen?
Ist man doch Trance in einem Deutungs-Meer,
sich selbst nur sprachlich zu erfassen.
Und existiert so indirekt
auf Perspektiven-Oberflächen
als kollektiv gewobner Dialekt,
sich Welt, Du, Wir und Selbst sich zu verzechen.

Technodionysische Magie (605)27

Cool und blasiert
inszeniert sich da
ein gängiger Promi-Pöbel
(sich selbst freilich,
das ist unübersehbar,
eine Art Medial-Elite).
Erfüllt offenbar 
vom Wissen 
um seine drastische
Systemrelevanz.
Eine Orgie 
des Narzissmus,
erregungsvirtuos 
einförmig inszenierter
Standardkörperlichkeit.
Lachgasaggressiv
magisierend 
seine Anbeter.
Ergriffen befreit bald
von ihren gängigen 
existenziellen Lasten.
Abstrakte 
Identifikationsbrosamen
erhaschend.
Ekstatisch 
sich selber dann entronnen,
frenetisch ertaumelnd
so was wie Geborgenheit …
Dank jener 
simplizitätsvirtuos bewiesener 
Nichtigkeitskompetenz.

Dorfschatten: Erinnerungen an R. H. (606)28

Im Café Tempel (gibt’s immer noch in jener kleinen Kurstadt an den Ausläufern des Pfälzer Waldes):
Pubertierend hungrige Sehnsucht,
40 Jahre ist das jetzt her, nach jener R. H., 
eine Sehnsucht von vornherein
an aller Realisierbarkeit träge vorbeischwappend.
Wie auch nicht? 
Nie hätte ich bei der auch nur die geringste Chance gehabt:
Zu hässlich, zu neurotisch, asozial zumal.
Manchmal freilich, 
wenn ich ‚Love is all around’ von den Troggs wieder höre
(in jenem Café damals wochenlang aus der Musikbox dröhnend),
kommt es mir vor,
als entstiege dieses nichtssagende Bürgermärchen
der morbiden Schwüle jenes Songs.
Auch, um mir zu bedeuten,
ich solle mich ins Café Tempel begeben,
um endlich,
bevor es zu spät sei,
die längst verwesten Reste
meiner damals schon toten Sehnsucht 
einsichtswillig aufzusammeln.

Das Ganze I (607)29

Komplexität, doch so beschämend schlicht:
Der Prototypen gängiges Gerangel.
Brachial-Kommandos einer Tiefenschicht,
sich rücksichtslos doch durchzusetzen,
gehorchend Arten-Grundantrieben.
Von Trance gegängelt, Nöten und Gesetzen
(als Formeln und Sozialdruck aufgeschrieben),
Pleonexie und Deutungsdrang,
Magie, Entlastungsillusionen und 
dem Zwang, sich zu verbergen, dass Belang
man gar nicht haben kann in diesem Bund
von Diesseitstaumeln: Gram-Determinanten,
Gehirndiktaten ausgeronnen.
Die a priori doch noch jeden banden
an Großtat oder Scheitern der Kolonnen:
Den Schöpfern dieser Artefakten-Hetzen,
sich zu verdrängen Stoff verwobnen Mangel:
Verhängnisstolpern, Scheitern, Schwund …
Dass wir nicht sein doch können diese lieben
und tugendhaften Seelen-Granden,
Humanität, Gerechtigkeit und Ich-Verzicht gewonnen. 
Uns selbst verfügt: Gewissen, Mahner und Gericht.
Das Ganze? Farce und Elendskehre
von Zufall und Notwendigkeit.
Und doch erhascht, als ob’s das Größte wäre.
Und nicht Verfall in leerer Zeit. 
Nicht Eskapismus einer Märe 
von dionysischer Verblendungsschwere,
statt Geist und Selbstgeleit.

Amerika - noch einmal/Sonett (608)30

Amerika, du wirst dich, scheint es, nicht bestehen.
Identitätslos, hassstumm, gierig, asozial.
Auf diese Weise zwanghaft die Phantasmen säen,
dir inszenierungsmetaphysisch selbst zur Qual.
Oligarchie des Mammons: Puritaner-Mal.
So musste a priori doch zugrunde gehen 
dein Traum - Der Trug, dass Selbstsein fuße auf der Zahl.
Das ist sein Kern. Von dem, der klug ist, leicht zu sehen.
Wenn du beharrst darauf, bist du schon bald verloren.
Verblendungssüchtig deiner Freiheits-Mär verfallen.
Verlustig Wirklichkeit, Sinn, Gott und Maß und Mitte.
Banalitäten, Sex und Haltverlust verschworen,
korrupt versiechend in den unbegriffnen Fallen
geistfeindlich mitgewirkter Psychen-Defizite.

Die Magie des Banalen (609)31

Die Magie des Banalen.
Das der Konsumdiktaturen:
Ein mögliches Selbst
an das Markt-Ich verhuren …
Entmündigt sich dann
als Sieger zu prahlen.
Und dafür werden wir 
alle bezahlen.
Das zeigen die Daten,
die Fakten, die Spuren.

Alldürftigkeit (610)32

Wut-Ekel macht mir dieser gerissene Showman-Typus,
der Beliebtheit nutzt,
um frivol zu blenden Menschen,
deren stolperndes Selbst entmündigt Bildern,
trash levels, 
Entfesselungssingsang und Behelfsrausch anheimfällt.
Der bereit ist, 
Leerformeln und Gerede,
Täuschungsvirtuosität vor allem im Glanz kapernder Seichtheitspossen schamlos auszubeuten für seine Zwecke:
Deutungsmacht, 
Zaster-Mehrung, 
Beliebtheitserfolge,
Ruhm,
Gängigkeitsmystifizierung.
Haupttreffer sich,
im selbsttrunkenen Griff nach Zuspruch der „King“ zu sein und höchstes Gewicht zu haben im lärmenden Ermessen gewohnheitsentzückter Massen,
begrifflos Emotionszufuhr erlegen.
Beide Beispiel drückender Verwirrungsenthemmung der Ichsucht:
Einsicht entbehrenden Schicksals,
unfrei wie despotisch werkelnder Geistlosigkeit,
dürftiger Lagen verlogene Simplizität zu genießen.

Spätes Wiedersehen (611)33

Was kann und soll man sagen sich
nach mehr als vierzig Jahren?
Dass sich Entfremdung spürt gelegentlich,
man sich bemüht, den Schein zu wahren?
Man muss sich eben inszenieren,
um nicht verräterisch zu schweigen.
So etwa Wohlbefinden und Erfolg anführen,
sich aufgeräumt und optimistisch zeigen.
Zumal auch, wenn man offen spräche,
den andern vor den Kopf nur stieße.
Wer hört schon gern von Brüchen und Verlusten,
von Scheitern, Einsamkeit, gar Selbstverfehlen?
Man redet also nur daher.
Man schönt, man übertreibt, man flunkert.
Lässt völlig unerwähnt das Heer 
der Leeren, die man in sich bunkert.

ZINSJA 94 (612)34

Zurückgeworfen 
auf das eigene Sein,
bleibt, bin ich ehrlich,
aber auch gar nichts,
was mir Anlasse gäbe,
zeitgeistkonform
etwa von einem Recht
auf Selbstbestimmung 
zu phantasieren.
Selbstbestimmung? -
Eine Lebenslüge,
wie Freiheit und Würde.
Indes sehr bedeutend 
für das Funktionieren
einer Pseudo-Selbste 
umschmeichelnden 
Konsumdiktatur,
die diese sich selbst 
als autonome 
verhökern muss.  

Psychisches Hintergrundsrauschen (613)35

Fremdartig verformt sich die Stille,
wenn man geistig einzudringen versteht 
in diesen hypergalaktischen,
gänzlich indifferenten und zweckfreien 
Teilchentanzzusammenhang 
von Werden, Bilden, Wandel, Gestaltverlust
und quasi-ewiger Ausdehnung 
dieser kosmosweit gleichen,
sich selbst organisierenden 
und am Ende wieder strukturlosen Materie.
Man begreift sofort, dass man,
Teil dieser substanziellen Sinnlosigkeit,
über das quasi halbgott-exklusive Privileg verfügt,
all das wissen zu können - 
Eine zufällige Auszeichnung,
die dankbar machen muss.
Jedenfalls mich dankbar macht,
einmal einen unmessbar kurzen 
Wimpernschlag lang 
bewusstseinsfähig dabei gewesen zu sein.

Ich und das Gedicht (614)36

Brauche faktisch 
nur zu warten.
Einmal kommt es,
das Gedicht.
Wetzt dann aus
mir alle Scharten,
zeigt mir dann 
mein Ur-Gesicht:
Zeitfluss, Mangel,
Gier-Gewicht.
Meine stets 
gezinkten Karten.
mich zu täuschen,
um, ganz schlicht,
zu verbergen, 
dass ich Wicht,
Spielball bin
in Wir-Gerangel.

Was war’s zuletzt? (615)37

Tatsächlich habe vieles ich verstanden.
Jedoch zu welchem Preis?
Um psychisch zu versanden:
Das ist der Fakten Grundgeheiß.
Und dennoch frage ich: Na und?
War es vergeblich, dieses Leben?
Mied ich doch immerhin Entfremdungsschund.
Gedichten hingegeben.
Doch objektiv war es bedeutungslos.
So muss ich’s redlich eingestehen.
Ist gar nichts mehr doch groß.
Nur kindisches Verluderungsgeschehen.

Bewahrung in geistiger Wirklichkeit (616)38

Manchmal finde ich es durchaus ein wenig fragwürdig,
ja weltfremd eigensinnig, Gedichte zu schreiben.
Ausdruck von allenfalls doch nur halb begriffenen
Überempfindlichkeiten und Entwurzelungsverwundungen einer Monade,
die sich gängigkeitsabseitig in die Faszination von Worten eingräbt.
Mehr jedenfalls in diese als in das Konsumieren 
der allgemeinen Bilder- und Reiz-Zumutungen, 
die auf ihre Art Abrundung, Sicherheit und Daseinssinn suggerieren:
Unterleibsekstatisch angereichertes, halluzinatorisches 
Verführen und Verzaubern durch die quasi-beseelte
artefaktielle Berauschungsträchtigkeit durchgeplanter Flüchtigkeiten:
technisch simplifizierte Entfesselungsverdinglichung an sich,
permanent wiederholter und Innenwelten abrichtender Erlebnis-Schamanismus, 
der, unhinterfragbar den meisten, so Bedeutung, Zweck und Sinn suggeriert:
Zugehörigkeitsversprechen und soziale Geborgenheit,
Lebenszielphantasmen und hedomedial verordnete Kollektivemotionen …
Flausenuniversa als kryptisch-mystische Haltkomplexe,
Ausrichtungshunger auf Ich-Überhöhung und Entlastungsumnachtung systemgerecht zu befriedigen.
Basaltrost, abgefühlt einer Reklame-Fiktion von Wirklichkeit:
Affekt-Aufpeitschung und -Sedierung durch bedarfsgerecht produzierte Beseligungsprogramme,
schundhörig vor normiert entschämter Unsagbarkeit.
Und so nur noch in Gedichten 
intellektimperialistisch 
rücksichtslos zu erfassen.

Systemimmanenter Wirklichkeitsverlust (617)39

Ich glaube überhaupt nicht 
an dergleichen,
wie Götter, Ideale oder Werte.
Zumal die keinen Halt mehr gäben,
längst umgedeutet doch
in Reizkomplexe,
sie zu erleben statt zu ehren,
sich funwelthungrig zu ergehen
in faktisch inhaltslosen Emotionen,
reklamemagisch spracharm 
und entzückungsdrastisch 
in Selbstkonsum,
in Wirklichkeitsverweigerung,
in primitiven Deutungswirren
sich, unbegriffen Welt gedungen,
in Eskapismus zu ergehen,
in Nichtigkeitsgefüge 
sich zu flüchten,
ein bloßer Körper noch,
der leeren Worten tobt.
Zumal er selber sich
verweigert wird,
erlösungsdekadent befreiend
korrumpiert.
So Göttern, Idealen, Werten
gewissenlos entseelt,
substanzentmächtigt ist.
Leib ohne Geist doch.
Ich auch ohne Welt.
Verantwortung entlaufen
in Verwahrlosung.
In der sich schuldlos tobend
aufzuzehren.

Diese Gedichte (618)40

Ob sie was taugen oder nicht,
das ist mir letztlich ganz egal.
Ist keines doch, ich weiß es,
unter ihnen,
das mir nicht wenigstens Momente lang
ein Quäntchen Abstand 
doch geschaffen hätte.
Von mir,
so schmerzhaft auf ihn angewiesen,
mich loszumachen dann 
von all den Lasten, 
all den Schmerzen,
die man nicht selten selbst sich ist,
von Geist und Einsicht 
monoman getrieben.
Zumal auch 
permanent doch ausgesetzt
Entlastungslungern,
Selbstwertbrüchen,
auch Nihilismussüchten
einer kranken Welt,
hysterisch Sinn verweigernd,
tugendaggressiv
die letzten Seelenstillen 
mir auch noch, 
stramm ihrer Leere treu, 
zu liquidieren.

Ungeschönte Niedrigkeitsbezeugungen (619)41

Zu spüren Hass, Gewalt und Niedrigkeit,
muss nur an dich ich denken.
Der ich dir wünsche nur Verlust und Neid,
das Allerschlimmste, dich zu kränken.
Schier unersättlich ist mein Drang nach Rache.
Sei’s auch verkommen bis in die Atome.
Verdrängen, das ist Bürgersache.
Ich pfeife auf solch Lügen-Dome.
Indes ich habe ein Problem: 
Dies, dass der Tod ist keine Strafe doch.
Und das, das würde einzig schaden wem?
Na mir, der ich gern fügte dir solch Daseinsjoch.
In dem ich bräche dich in Raten.
Sei’s physisch, psychisch … Wie auch immer.
Hast du mich ausgebeutet ja,
erniedrigt und verraten.
Was wäre, sag’s mir, schlimmer?

Hauptnachrichten im Fernsehen (620)42

Das Elend der Welt wird mir gezeigt:
Krieg, Hunger, Korruption und Terror.
Der Machtsucht Hybris auch ein wenig.
Als letzter Hort des Nationalen dann der Sport.
Auch über Tugend werde ich belehrt.
Z. B. welche Schuld ich woran trüge mit.
Wem alles ich verpflichtet sei. 
Geh’s mir so gut doch, wirklich gut.
Am Ende liest man aus der Börsenbibel
die täglichen Erlösungszahlen mir noch vor.
Na ja. Trotz Arroganz und trotz Gesichtstheater
der Sprecher*innen, die sich inszenieren,
verlasse ich mich besser doch auf’s eigne Denken:
Dass wir nicht gut sind, frei nicht, 
auch moralisch nicht.
Nicht können das: 
Stoff, Perspektive, Trance, Verfall und Scheitern doch.

Liebeslitanei/Für Homo sapiens bambergensis (621)43

Eine Liebeserklärung wäre wohl wärmer,
beseelender und gewiss auch anständiger.
Ich könnte dir z. B. vorstottern: „Ich liebe dich.“
Oder dir einen Strauß ADR-Rosen
schicken lassen, Sorte ‚Lili Marleen’,
samtig rot, mit Karte, was meine Leibsucht verbärge.
Aber das ginge nicht, da fiele mir mein Vater ein,
Schlammteilchen des Unternehmens ‚Barbarossa’.
Ich dächte, traurig und hilflos, an den 22.6.1941
und hörte in mir nur noch jenen trostlos schönen Schlager.
Nicht viel anders ergeht es mir mit der Liebe.
Auch mit dieser assoziiere ich eher deprimierende Gehalte,
die jene rührenden Anmutungen,
kitschig hebenden Sentimentalitäten
und hoffnungsverbohrten Illusionen
vor der Realität zuschanden werden lassen.
Etwa Bitterkeit, Hilflosigkeit und Hass-Wut
angesichts des notwendigen Scheiterns
der Liebe, die, verblendet sie sich selbst,
Perfidie, Entfremdung und Alltags-Seichten 
kaum je verhindern wird.
Ich mache dir keine Liebeserklärung,
gestehe dir stattdessen ganz unverblümt,
was jener biologisch fundierte Existenzbefehl
quasi chronisch kommandierend mir ins Hirn zaubert.
Ein Riechfeldfaszinosum, du, ein Körper,
von meinen Zungenlüsten weiß gesaugte Haut,
Hände leitendes, fleischgewordenes Kanaan.
Dranglose werfen, Lippen öffnen, Laute formen sich
und steigern sich in lösungsgedehnte Freudentaumel …
Was für Momente Scheitern und Selbstverrat vergessen lässt.

Leibfrömmigkeit/Für homo sapiens bambergensis (622)44

Ich habe über alle Grenzen uns, 
ganz körperfasziniert, 
hinausgeträumt.
Auch uns um Alltag, 
blass bürogehetzten,
dann trosterfüllt herum zu schlenzen.
Der zwingt, 
dass man sich Apparaten: 
Technoläufen unterstellt,
vertieft in Zahlen, 
Summen, 
Kurven und in Daten,
von Fax und Telefon 
und dem PC umstellt.
Ich weiß indes, 
das ist der Lauf der Dinge.
Und akzeptiere es zum eignen Wohl.
Man darf nun mal, 
will man sozial bestehen,
ihn keinesfalls missachten.
Doch hab ich Zweifel, 
dass das weiter mir gelinge.
Lockt doch sofort der andre Pol,
dies wunderschöne Grundgeschehen,
in dir mich,
Welt entpflichtet,
leibfromm zu umnachten.

Sonett betreffend die hilflosen Funktionseliten (623)45

Gemeint sind die, die Macht und Einfluss haben:
Die Wirtschaftsbosse und die Exponenten
der Volksherrschaft, die Tugend propagieren,
indes verdrängen müssen, sich verbrämen,

dass sich da mehr und mehr fanatisch laben:
Sich brunftmotorisch von sich abzuwenden 
behelfsorgiastisch sich zu inszenieren
und dabei kultclownesk auch zu entschämen.

Das ist nicht gut für eine Volksherrschaft.
Sind jene doch politisch impotent:
Sind Infantile ohne Selbstwerthaft ...

Als solche aggressiv-anomer Trend
und Spaßverzückte ohne Urteilskraft
begrifflos traumvertaumelt dekadent.

Sinnieren über unser Dasein (624)46

Ich kann nicht sagen, was es war.
Ob sich’s gelohnt hat oder eher nicht.
Zumal ja meistens war noch nicht mal klar,
ob’s habe überhaupt Gewicht.
So was wie eine Einheit zeige:
Ziel-, Zweckverläufe, eine Endabsicht …
Ich selber glaubte nie, das sei der Fall.
Doch dass wir Lebenslügen brauchen,
es glimpflich zu bestehen.
Dass müssen täglich wir zurecht es stauchen,
um, was es ist, zu übersehen.
So dies, dass Sinn es schon gleich gar nicht trägt,
es, oft uns drückend, leer verrauscht.
Ein Zufallstorpor, der sich unentwegt
als Stoff mit Zeit hin zu Verfall austauscht.

Geistige Selbstschaffung/Sonett (625)47

Ich werde mir, indem ich mich erschaffe
durch Worte, die ich zu Gedichten füge.
Mich in Bedeutungsfetzen dann zu träumen.
Der Welt entronnen für ein paar Minuten.

Es ist nicht deutlich, was ich da erraffe.
Vielleicht nur eine subjektive Lüge.
In ihr mich dann dagegen aufzubäumen,
dass man als Geist sich kann doch nur vermuten.

Mich los indes als Körper und Kalkül,
als Vorteilsjäger planer Alltagsblässen,
nicht Markt verfügt: Sozialem Triebgewicht …

bin ich ihm nahe, diesem Schlüsselziel:
Mich Worte setzend geistig zu ermessen,
dann Selbst zu sein in des Gedichts Asyl.

Frühmorgens noch allein im Büro (626)48

Frühmorgens. Sommersonnenflut.
Noch bin ich allein im Büro.
Auf dem PC-Schirm lese ich 
eine Direktive der Verwaltung.
Ich lasse sie vorerst auf sich beruhen
und gebe mich der ungewohnten Ruhe hin. 
Und welch unerwartetes Glück
lässt diese Freiheit von Artgenossen,
Kleinkram-Despotie und Routine
lockernder Reflex-Erotik aufscheinen:
Entlastungsgeborgenheit deutet sich an.
Gar über all das hier hinaus:
Intellektwelt, lenkend durch Technik
und bannend in den Dschungel
ökonomisch kommandierter Entwesungskommandos: 
Sich verlieren zu müssen 
an diesen apparativ diktierenden Kosmos
mammonfunktionaler Allverfügbarkeit,
der man definitiv nicht entrinnen kann,
schon weil man nur auf ihrer Grundlage
seinen Lebensunterhalt täglich sichern kann.

Durchphantasiert (627)49

Hab immer nur gewildert,
im mainstream-Chorus mitgetönt.
Mich selbst bedarfsbebildert,
die große Show als Gut geschönt.
Wohl wissend, dass da nur noch walte
der Zwang zu Spaßzufuhr.
Sich grölt da eine seelenkalte
Erlebnis-Masse in die Diktatur.
Ein Kindertross von Einsichtslosen,
Verzückungsgram ergeben,
Gewissensbeute toter Posen
und indolentem sich Entschweben. 
Das Glück ist fort, 
ging an sich selbst zugrunde.
Ist nirgends, überall, vor allem dort,
wo’s zündet selbst sich jede Lunte.
Das wusste ich und mimte mich
als Teil und Büttel dieser Droge,
Ersatz-, Kalkül- und Täuscher-Ich
auf ihrer Nihilismus-Woge.

Nur Stoff-Gedicht (628)50

Wir müssen das nicht überleben,
was wir da gierblind 
angerichtet haben.
Doch ich verstehe es, 
dies Kreaturen-Streben,
die plane Sucht nach Daseinswaben,
wie Sinn, 
Erfolg …
Kurz: Dauerfülle,
die uns als Glück gelinge auch.
Indes gibt’s dieses nur als Einsichtsstille.
Ansonsten ist es eines Traumes Hauch.
Was immer sei, 
bedrücke, 
drohe,
sogar erhöhe selbst … 
Wir sind sein Gipfel nicht,
sind weder Gott- 
noch Geistes-Lohe;
sind allenfalls misslungnes Stoff-Gedicht.

Trostdroge (629)51

Getrunken habe ich schon viel zu viel.
Ich schätze mal: Zwei Flaschen.
Auch zu ertragen dies absurde Spiel
von Habsucht, Niedertracht und Dauerhaschen
nach angenehmen Nichtigkeiten.
Nach allem überhaupt, was lösen kann,
ins Zweckenthobne leiten.
Zertrümmernd Ich- und Fakten-Bann.
Soll ich mich schämen? Mir’s verdenken?
Indes ich frage mich, warum?
Ich brauche Trost. Und den kann nur noch schenken,
was Einsicht blind macht und die Worte stumm.

 

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