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Diese Seite enthält 64 Gedichte, davon 48 Sonette 

Wesensmängel (3916)1/Sonett 

Tatsächlich habe alle Hoffnung ich verloren,
was Sachlichkeit angeht, Vernunft und Einsichts-Macht.
Ist uns doch dieses Dasein nur noch Wohlstands-Schlacht:
Ein Selbst-Erhöhungszwang, uns Menschen angeboren.

Der macht, dass sich in Dauer-Kinderei verbohren,
in Geistentmächtigung als Rausch und Spaß-Andacht
hilflose Menschen, flüchtend sich in Waren-Pracht,
apathisch-traumweltlüstern selbst sich nur verschworen.

Demokratie und Rechtsstaat gehen wohl zu Ende,
zumal schon immer elitäre Geist-Vorhaben,
die nichts vermögen gegen unsre Grundbestände:

Die analytisch-technischen Verstandes-Gaben,
Pleonexie, zuletzt der Sprache Deutungs-Spende:
An Groß-Fiktionen sich: Entlastungs-Trance zu laben.

Überfluss und Psychen-Kälte (3917)2/Sonett

Der Mensch wird immer mehr substanzwertlos,
will andre überragen, gar verachten.
Er braucht das, um sich selber was zu sein:
Grad weil die Fakten ihn was andres lehren.

So hält er Haben hoch, Macht, Geltung, Schoß,
muss drastisch nach Prestigegehabe trachten,
zumal in jedem Augenblick allein:
Orientierungslos vor Deutungs-Leeren.

Doch will ich gerne auch mich wiederholen:
Schuld, Freiheit, Würde kann es gar nicht geben.
Sind wir doch nur Materie-Gebilde,

verfügt, in Widersprüchen uns zu polen,
uns zu verhehlen, dass wir sinnlos streben …
Doch ohne Gott, Moralkraft, Wesens-Milde.

Verbraucher (3918)3/Sonett 

Es brechen an des Westens letzte Jahre;
die tief verinnerlichter Daseinszwänge:
Man tobt sich aus als Freizeit-Konsument,
verdinglichungsbeseelt entpflichtungsmild.

Man kalkuliert sich selber schon als Ware,
erlebt sich als ein Gleicher einer Menge,
die nur noch für Erlebnis-Trancen brennt,
da man in diesen als vollendet gilt.

Indes gerade dann sich selbst abhanden,
da permanent von außen doch gesteuert,
benommen so der eignen Urteilskraft:

Man fühlt entlastet sich in Spaßwelt-Quanten,
zumal der Zeitgeist einem auch beteuert,
dass die nur böten einem Selbstwert-Haft.

Politische Implikationen des gängigen Wohlstands-Rausches (3919)4/Sonett

Der Wohlstandsrausch wird letztlich selbst sich ruinieren:
nämlich die psychoethisch-geistig-kulturellen
Bestandsgrundlagen noch intakter Volksherrschaft,
die sich als Kunden-Paradies nicht halten kann:

System von Marktmonaden, die auf sich nur stieren,
verfügen sich an schiere Hedonismus-Quellen:
Gediegner Selbstverfügung Unterdrückungs-Kraft,
die längst schon führt Bewusstseins-Prägungs-Zwänge an.

Indes die kratisch* kaum begabten Staats-Eliten
Demokratieverlust durch Geistesniedergänge
gar nicht begreifen, da gewissensarm zu schal.

So gar nichts bieten als banale Tugend-Mythen,
sich Chancen zu erhaschen für ihr Machtgemenge;
heißt: Ihr Gehabe wird einst enden ohne Wahl. 

*kratisch hier: politisch

Ideale und Existenz-Faktizität (3920)5/Sonett 

Nun ja: Man hängt an seinen großen Idealen.
Hat man primär sie durchaus selber nötig doch,
sich unsres Daseins Faktenwirren zu entziehen,
die man nicht sehen will, weil könnte nicht ertragen.

Sie lassen hoffen uns, zu lösen unsre Qualen,
zu meiden letztlich aller Kreaturen Joch,
dass sie nicht Gott, ausschließlich Stoff nur sind gediehen,
ihm wieder hinzusinken einst an späten Tagen.  

Wir waren immer - und wir werden sie auch bleiben -
des Stoffes Laune, seine Zufalls-Übertiere,
uns objektivem Nihilismus aufzureiben:

Brutalität, Gewalt, Husch einer Sehnsuchts-Schliere,
der auch, wie jene, muss uns in Versagen treiben,
nur dass er sanft mit Lebenslügen uns verführe.

Die gesellschaftliche Irrelevanz des Geistigen (3921)6/Sonett 

Die geistige und die gesellschaftliche Welt
sind völlig fremd sich, können nicht vermittelt werden.
Die geistige, die will sich metaphysisch erden,
indes die andere bestimmen Macht und Geld,

durch die allein sie faktisch sich zusammenhält:
Zumal sie radikal bestimmt auch alles Werten,
definitiv legt fest die relevanten Fährten:
Wer es nach oben schafft und wer in sich verfällt.

Das Geistige kann keine Relevanz mehr haben,
zumal’s den Konsumenten auch ein Rätsel ist.
5ie wollen sich an Ichsucht, Vorteil, Spaß-Mohn laben,

verlängern ihrer Freizeit-Süchte Zeitgeist-Frist,
verachtend Bildung, Einsicht, personale Gaben,
die ihnen deuten könnten ihres Rausch-Kults List.

Der Niedergang der Person* (3922)7/Sonett 

Der Westen? Nun: Ist kulturelle Öde
depersonalisierter Konsumenten,
Erlebnis-Gilde, die sich selbst erhöhte,
um einst in Selbstverachtungszwang zu enden.

Als ob ihr Lebensstil noch Inhalt böte,
sich gegen Dekadenz-Vollzug zu wenden.
zu offenbaren sich die eignen Nöte,
die einen unbemerkt doch selber schänden.

Indes sie können sich nicht mehr gelingen,
verdammt dazu, sich selbst herabzusetzen,
weil sie mit Lust- und Trance-Gefügen ringen,

die in Entmächtigungen sie dann hetzen,
in dien dann beseelt sich darzubringen
den Gurus, die sie mit Phantasmen letzen. 

*Nach I. Kant: Das Sinnenwesen, heute: Kunde, Verbraucher, Lust-Pfleger (G. Benn) usw. genannt 

Idealistische Ideologen und an Lebensfakten gebundene Menschen (3923)8/Sonett 

Nie habe ich verstanden Intellektuelle,
die Ideal, Gesinnung und Moral hochhalten.
Den Menschen vorzugaukeln eine Daseins-Helle,
die, umgesetzt, sozial sie würde nie mehr spalten.

Da sie es niederrissen, ihr Sozial-Gefälle,
um Gleichheit und Gerechtigkeit so zu entfalten,
dass Solidarität würde Gesellschafts-Welle:
Demokratie und Rechtsstaat würden faktisch walten.

Dass all dies möglich wäre, lüde ein zum Schwur,
das glaub ich nicht: Der Mensch ist eher Unmoral;
ihm ist der Mitmensch eher Mittel und Tortur,

sich selber meistens nichts als krude Ich-Drangsal.
Oft gar perfide, schuldlos Seelenschmerzen-Tour,
korrupt und widersprüchlich: Menetekel-Mal.

Diese 8 Sonette versuchen, anzudeuten, nahe zu bringen, verständlich zu machen:
(1) Wohlstands-Erwerb, -Optimierung und -Genuss-Intensivierung vermögen keinen Daseinssinn zu garantieren (allenfalls eine konsumtiv fundierte Daseins-Intensivierung); im Gegenteil: Sie fördern fördern ein Netz aus: 
(a) sich schleichend intensivierender Pleonexie (Ich-, Hab-, Genuss-Sucht: Gängigkeits-Materialismus)
(b) wachsender Erlebnis-Lüsternheit
(c) zunehmender Unfähigkeit, Abstand zu sich selbst zu gewinnen (Infantilismus)
(d) psychoethische Korrumpierbarkeit (soll heißen: Man will von all dem, was einem das "schöne Leben" vergällen könnte, nichts - oder nicht allzu viel - wissen
(e) geistigem Zerfall (schleichender Atheismus, politische Naivität, gesellschaftlich-soziale Gleichgültigkeit, personaler Selbstverlust)

Bemerkung: 
Ich erwarte freilich, dass das Wohlstands-Niveau in Zukunft global sinken wird; etwa weil
(f) die liberalen Demokratien nach und nach verschwinden werden (Despoten, totalitäre Parteien - "linke" und "rechte" - und Mammon-Oligarchen werden versuchen, sich an deren Stelle zu etablieren - vielleicht mit Erfolg); es werden also die westlichen Demokratien sog. Oligarchien weichen, die östlichen Diktaturen sich teils festigen, teils destabilisieren 
(g) die ökologischen Probleme werden zunehmen
(h) militärische Bedrohungen entsprechende - sehr kostenintensive - Maßnahmen erfordern; wobei es sein kann, dass Kriege - selbst ein Weltkrieg - gar nicht werden vermieden werden können (etwa aus ökonomischen Gründen)
Psychethische Verwerfungen werden - unten und oben - zunehmen, schon weil der Mittelstand erodieren wird.
Gehört man eher zu den gesellschaftlichen Verlierern, also zu denen, die es nicht - oder kaum - geschafft haben, mit Wohlstand gesegnet ihr Leben zu gestalten: Ihren Eudämonismus und Hedonismus auszukosten/zu genießen, wird man sich fühlen als
(i) wertlos (unbedeutend)
(j) nicht wichtig genug, als dass für einen etwas getan würde
(k) vernachlässigt/übergangen
(l) betrogen
(m) ungerecht behandelt
(n) ausgebeutet

Während die, die zu den Privilegierten gehören werden- an gesellschaftlich-sozialen Fragen desinteressiert, denn: jeder sei selber seines Glückes = Wohlstands - Schmied - in Saus und Braus leben werden, alles dafür tuend, dass sie ihr Vermögen verfielfachen können, als Tycoons gelten dürfen, angehimmelt, bewundert, beneidet, eben weil sie werden vorleben können, was der Traum aller ist: Möglichst viel gelten, möglichst viel haben ... ohne etwas Besonderes zu sein: einsichtsvirtuos Kantische Person.

Wie gesagt: Ich glaube, dass der Westen - die USA und Europa - an ihren Wohllebens-Exzessen und deren Folgen (gesellschaftlichem Verfall) peu á peu zugrunde gehen werden.

Gedicht über uns Heutige (3924)9/Für den italienischen Philosophen Umberto Galimberti*

Immer mehr sind wir uns Mittel:
Selbstwertarme Konsumenten,
Technik-, Markt-Reklame-Büttel,
die sich selbst und andre schänden:
Sich in andern selbst erhöhen,
nutzen sie als Selbstwert-Quelle.
Blinde Opfer, Ich-Spielbälle,
die sich um ihr Zweit-Selbst drehen:
Marktvermittelt; allgleich; leer.

*Dieser sagt
“Was in der Liebesbeziehung gesucht wird, ist nicht der andere, sondern die Selbstverwirklichung durch den anderen … Das Du wird zum Mittel für das Ich.“ So ist es.

Es folgen (in der Mehrzahl Sonette), die ursprünglich gedacht waren für die Seiten 39 – 47 (Seiten, die meine Weltanschauung enthalten).

Späte Form der Humanität (3925)10/Sonett 

Was sollte ich - und wen? - da kritisieren?
Die Menschen sind nun mal nicht rational.
Selbst wenn sie ein sich lassen auf die Zahl:
Sie müssen Illusionen sich verlieren.

Zumal auch längst entwöhnt zu reflektieren.
Das wäre für die meisten eine Qual.
Und Angstquell: Ist doch alle Einsicht schal,
muss ihrem Wesen nach an Scheitern rühren.

So spreche ich mich aus für Illusionen,
für Kindereien und Verdrängungsketten …
Für alles, was uns kann mit Spaß belohnen.

Denn auch die Einsicht wird uns nicht mehr retten.
Wir sind nicht fähig, geistig uns zu schonen.
Sind Schöpfer trauerdichter Daseins-Stätten.

Ich finde Worte (3926)11

Ich finde Worte
wofür immer.
Ich finde sie,
selbst nichts 
zu sagen.

Sei’s, um zu leugnen,
es sei schwer,
sich ohne Lügen 
selbst zu tragen.
Sei’s, um mir Halt 
zu mimen
in intakten,
wenn auch 
sehr späten
Geistes-Lagen.

Sei’s, wem auch immer
einzureden,
uns hielte mehr 
als ein paar 
Seelentrümmer,
dass wir nur müssten 
aus uns selbst
raustreten,
zu sehen manchen Glücks
Verheißungsschimmer.

Innenwelt-Zersetzung (3927)12/Sonett 

Erbärmlichkeit und Stumpfsinn zu vermeiden,
das ist nicht leicht in einer Welt der Daten,
der Zahlen, news und aufgeblasen faden
Verzückungschancen sinnverlassner Zeiten.
Man muss sich wappnen vor den Niedrigkeiten,
in die man ziemlich schnell doch kann geraten,
weil, ausgesetzt Entwirklichungs-Diktaten,
man, bodenlos, sich wird berauscht entgleiten.

Wir sind die Opfer einer hochsubtilen 
Zersetzung wertgetränkter Innenwelten.
Verführt, uns sittlich selber zu verspielen
und zu verschreiben Posen, Spaß und Gelten. 
Wir haben nichts mehr, das uns noch bezelten
und retten könnte vor Entseelungs-Kühlen.

Die anonyme Misere (3928)13/Sonett/Zu vergleichen (3/194)/Variante

Vergänglichkeit, Vergeblichkeit und Scheitern
sind das, was oftmals aus uns macht im Ganzen;
sind gleichsam homotypische Instanzen,
uns doch geworden zu Gefühls-Begleitern.

Entlasten mag‘s, zu klettern auf den Leitern
sozialen Aufstiegs zu Erfolgsbilanzen,
weil dann als Sieger man sich darf umtanzen.
Obwohl’s nie reicht, sich so nur zu erweitern.

Man kann nur hoffen, dass man jene meide,
wodurch auch immer einem sei‘s gewährt;
so dass nicht dauernd man ihr Werk erleide,

wohl wissend, dass es in die Kerne fährt
und einen hilflos von sich selbst abscheide,
wenn dann sich einem dieses Dasein klärt.

Kapitalismus, Technik, Naturwissenschaften (3929)14/Sonett 

Dass meines Daseins Souverän ich sei,
das anzunehmen wäre doch vermessen.
Vielmehr: Mein Dasein ist Organdrang, dessen
Bedeutung objektiv ist einerlei.

Ist es doch Spielball jener Großen Drei:
die’s Reiz, Objekt und Abstraktion einpressen.
Und als Begehr-Gewalten gar nicht messen,
ob ich ein Würdeträger sei und frei.

Allein: Es wäre ganz absurd zu glauben,
das wäre steuerbar durch uns zuletzt.
Nein. Unsre Ratio zwingt uns, uns zu rauben
- ob’s diese Welt nun schont, ob’s sie verletzt -,
was sich verwerten lässt als Fortschritts-Trauben …
Von Rücksichtslosigkeit und Macht gehetzt.

Das Glück (3930)15

Es liebt wohl die,
die es nicht zwingen.
Nicht mit ihm hadern,
ihm nur dankbar sind.
Die Zarten etwa
und die wissen 
um seine Scheu 
und Seltenheit.
Die leise sind,
wenn’s unverhofft
sich einer Stunde würfelt
und dann schenkt.

Und dann 
genommen wird
wie es nur ihm,
nur ihm geziemt,
dem Wählerischen:
Kyrenisch* heiter ...
leid- wie trauerlos.
Wenn es sich gibt,
Wenn es verweht.

*Kyrenisch: bezieht sich auf die Stadt Kyrene,
aus der Aristipp (der Schüler von Sokrates) stammte, 
der die Lust als das höchste Gut ansah. Indes: Lust geht zwar mit Glück einher, indes ist nicht jede Form von Glück Lust entsprungen

Alptraum-Szenario (3931)16

Sie können nicht mehr trösten, diese Geist-Asyle
wie Gottvertrauen und Naturgeborgenheit.
Und auch als selbstverständlich gilt so gut wie gar nichts mehr.

Man existiert zumal, gebunden ständig an Kalküle,
droht zu verlieren sich deshalb als Selbsteinheit,
zumal verbracht in ein verführerisches Waren-Meer.

Das Haben anpreist, Lust und Emotions-Gewühle,
verspricht ein hedonistisch reines Spaß-Geleit:
Den Ich-Vollzug bar jeder Form von Daseins-Schwere.

Was alles enden könnte gar in Barbarei-Gewühle:
in einer dann global auch rechtlos dunklen Zeit
der Diktatoren-Grausamkeit und ihrer Söldner-Heere.

Prosafetzen (379)
(3932)17

Von Kindheit an nicht selten innerer Leere,
Halt- und Orientierungslosigkeit,
Angst und Gleichgültigkeit
und dem kommandierenden Grundgefühl
unüberbrückbaren Alleinseins unterworfen,
war ich dann lebenslang angewiesen 
auf einen scharfen Verstand
als illusionslose Faktenausdeutung
und ein realistisches Menschenbild …
angewiesen - weiter - auf Feinsinn:
Das intuitive Erfassen der seelischen 
Verfassung anderer, zumal 
gesundes Misstrauen, Eingebungsvirtuosität
und wirklichkeitskonforme Einschätzungen
menschlicher Grenzen und Fähigkeiten,
schon allein um die wesensträge Pleonexie
und Irrationalität, Apathie und infantile
sei’s metaphysische,
sei’s ideologische,
sei’s emotional zwangshedonistische
und ritualisierende Bedürftigkeit
nach Illusionen meiner 
durchschnittlichen Artgenossen
einschätzen zu können,
Mitmenschen, die kaum je auf die Idee verfielen, 
geistige Verantwortung für sich selbst
zu übernehmen 
(zumal oft gar nicht begriffen hätten,
was diese denn wäre, beinhaltete,
erforderte, nach sich zöge),
unfähig so zu Begriff, 
Selbstdistanz und Schuld. 

Erklärende Bemerkungen über das Verfassen von Gedichten (3933)18

Nicht eins, das auszuführen 
nicht gelohnt sich hätte.
Weil jedes war zugleich 
mir doch auch Einsichtsstätte.
Erlaubend mir,
nicht nur an Welt zu rühren;
nein, auch dieselbe zu begreifen,
sie geistig-analytisch 
mir zu buchstabieren.
Bis in die Kerne so 
mich selbst zu streifen
als ihre rauschhaft-dionysische 
Materie-Doublette:
Determiniertes Zufalls-Gieren:
mich apollinisch* 
vor mich selbst zu schleifen,
um einzusehen,
dass notwendig ich 
muss an Bedeutungslosigkeit
in Nichtsein mich verlieren.

*Soll heißen: Als determiniertes Zufalls-Gieren
dem „Erkenne dich selbst!“ des Gottes von Delphi folgend

Fortschreitende Auflösungserscheinungen (3934)19

Fehlen Selbstverständlichkeiten,
dann auch die Moral,
die noch könnte pflichtnah leiten:
metaphysisch und sozial.

Dann zerfallen auch die Seelen,
Menschen werden selbstwertschwach:
müssen inszeniert sich quälen
wie der Markt sie hält in Schach.

Korruption wird das Normale,
weil dann Typen Macht gewinnen:
charakterdürftig-geistlos-schale,
die auf Privilegien sinnen.

Letztlich fallen Volksherrschaft,
rechtlich bindende Strukturen,
schwindet jede Ordnungskraft,
blühen Diktaturen.

Mit Grund so nüchtern hoffnungslos (3935)20

Wenn mich der Gedanke 
meines baldigen Endes heimsucht 
- schließlich bin ich schon 74 Jahre alt -,
dann denke ich auch daran,
was mir alles ersprart bleiben wird,
sollte ich denn bald sterben.
Vieles, nehme ich an,
was mir mein Dasein vergällen würde ...
Politischer Radikalismus, 
psychoethische Verwahrlosungslüsternheit,
Armut, Korruption, Ausbeutung -
gesellschaftlicher Niedergang überhaupt ...
Lebe ich doch heute schon
in einer einheitslos-inhumanen,
zumal auch verlogenen,
substanzkorrupt-unglücklichen Gesellschaft
ihrer selbst nicht mehr mächtiger
Wirklichkeitsverweigerer.

Systemopfer (3936)21

Ich bin wie du
ein Kind der Zeit,
ihr so wie du
brachial verhaftet.
Wie du Monade
ohne Haltgeleit ...
Monade,
die das alles 
nicht verkraftet.

Prosafetzen (253)
(3937)22

Hingeworfen.
Alle meine Zeilen.
Wirklichkeitsträchtig
bis in die Kerne
der Grundwesenheiten.
Diese in mir tragend
bis in die winzigsten
Geisttrostkammern:
Nackte Pleonexie,
Bedarfs- und 
Trieb-Büttel,
Rausch,
Eros
(asozial, 
geistig, 
nichtkäuflich,
tabulos)
Spiele,
Illusionen,
Lebenslügen,
Bedarfsfiktionen,
Sorge,
Zeit/Verfall,
Amoral,
Verfehlen,
Scheitern,
Alleinsein/Einsamkeit,
Nichtmitteilbarkeit, 
Sinnlosigkeit,
Unfreiheit/Determinismus
Stoff-Zufall,
Gottverlassenheit,
Todesbewusstsein … 

Plädoyer für den Erhalt des Kapitalismus (3938)23/Sonett 

Kapitalismus? - Spaß und Destruktivität.
Sei's ethisch, ökologisch, sei sie kulturell.
Verheiligt Waren, Mengen, jeden Lustbetrag;
fördert Narzissmus, Arroganz und Show-Getue.

Höhlt psychisch aus, verspottet Ernst und Pietät;
und übertreibt gern, steht auf laut und wow und grell. 
Macht alle gleich, zum gleichen Endverbraucher-Schlag,
der sich entfesseln muss, weil meiden jede Ruhe.

Und grade deshalb sollte er erhalten bleiben;
ihn abzuschaffen, wäre dumm und inhuman.
Ist er doch Resultat der Zwänge, die uns treiben:

Pleonexie* und jener Selbstvergottungs-Wahn,
dem wir uns alle müssen ausnahmslos verschreiben,
weil faktisch Zufalls-Spreu auf sinnentleerter Bahn.

*Pleonexie griech: Das Mehr-und immer-mehr-haben-Wollen; nach Arnold Gehlen - korrekt - das Ineinanderlaufen von Ich-, Hab-, Macht- und Genuss-Sucht, welches die durchschnittlichen Daseins-Aspirationen gewöhnlich ausmacht, kennzeichnet, exakt beschreibt.

Der idealtypische Intellektuelle (3939)24/Sonett 

Durchbrechen könne man den Zwang von Fakten.
Sagt er. Moralisch-ideell besessen
von Utopismen und Begriffs-Ivressen,
die seine hochkomplexe Psyche packten.

Er könne lesen der Geschichte Akten.
Die zeugten von den menschlichen Exzessen.
Doch ihrem Ende auch in tiefen Messen,
die uns Vernunft und Güte würden takten.

Von der Vision weltlichen Heils ergriffen,
das uns in sittliche Vollendung hebe,
scheint er messianisch Höherem verschliffen …

Indes ich gar nichts auf uns Täuscher gebe,
die stoffgrobschlächtig und mit allen Kniffen.
notwendig sich zerstören Glück und Strebe.

Gleichgültigkeit gegenüber der Welt/Trias A 81 (3940)25

Keine Sehnsucht, keine Träne,
kein Bedauern, keine Reue.
Dass ich's einmal nur erwähne,
einmal in drei Strophen streue:

Mitleid ist mir kaum gegeben,
kein Organ für Menschlichkeit.
Viel zu tief sind da die Gräben,
angelegt in früher Zeit.

Ohne dass da Schuld vorwalte,
diese nämlich gibt es nicht.
Eure Welt ist eine kalte.
Ohne Inhalt und Gewicht.

Zufrieden (3941)26

Nichts zu erwähnen.
Der übliche Gang:
Weder Sorgen noch Sehnen
nach Überschwang.

Ein Tag von acht Stunden,
dann Abend-Einkauf.
So chronisch gebunden
an Ordnungs-Verlauf.
Alltäglichen Dingen:
Routine als Halt
sozial zu gelingen
der Daseins-Gewalt.

Das macht mich zufrieden,
vergrößert Distanz 
zu unsrem hybriden*
Gesellschafts-Popanz.

*hybrid griech: überheblich.

Realitätsüberschreitung (3942)27/Sonett

Als eitel, primitiv und daueröde
empfand ich immer diese Spaßzwang-Wogen,
Reklamesog und Tugenddemagogen,
die Tyrannei der Einheitsgottheit Kröte.

Auf dass erregt man und begriffsfaul schnöde
den Lüsten lebe, nur auf sich bezogen.
Wiewohl grad das ist objektiv verlogen:
Folgt man doch hochsubtiler Zeitgeist-Lethe.

Ganz anders will mir selber Welt aufscheinen,
wenn ich Sonette mache, frei von Zwängen,
mich aufzureiben Ich und Wir und Scheinen.

Dann bin entronnen ich sozialen Engen:
Narzissmus, Schäbigkeit, absurdem Meinen.
Darf geistig mich aus Faktenquanten sprengen.

Vom Verdorren der Seele (3943)28

Die Seele heute? Nun: bewertet Reize
und teilt Effekte ein in stark und schwach,
berechnet - weiter - potentielle Lüste 
nach Dauer, Art, Genuss und Stärke.

Kurzum: In dieser Waren-Beize
kann sie nur geistlos sein und flach
ersinnen Selbstentfesselungs-Gerüste …
nicht Sinngleit mehr sein in Geistes-Werke.

Weshalb ich sie jetzt Psyche nenne,
meint: marktkonditionierte Schein-Substanz,
auf dass die Gabe sie gewänne,
beliebig einzufühlen sich in Ich-Abglanz,

spontan zumal sich vor den Karren spänne
des Waren-Mystizismus als Sakral-Instanz
und so spontan all deren Trug berenne
als utilitaristische Prägnanz.

Noch besser sollte ich sie Einfalt-Halde heißen,
auf der die Wohlstands-Illusionen liegen,
als gleichgeschalteter Monaden Kreisen
um kollektive Lebenslügen:

Dass Sinn sei, selbst sich zu verschleißen,
als Sache zu gebrauchen, zu verbiegen,
dem Selbstverlust-Befehl sich willig zu erweisen,
weil nur noch Mammon-Jünger könnten siegen.

Genauer betrachtet (3944)29

Das ist doch alles 
ganz bedeutungslos.
Dass umgekehrt es sei,
das meint man nur.
Tatsächlich doch 
getrieben bloß
von Trieb-Bedürfnis-
Gängelei. 
Kurz: Der ewig 
gleichen Drang-Abfuhr.
Man dient dem Schoß,
dem Geld, sozialer 
Artgenossen-Tyrannei; 
wiewohl man wähnt,
man sei doch frei.
Indes das ist man nicht,
ist Knecht sein Leben lang:
Als permanente 
Selbsterhalt-Tortur …
ist Zufalls-Einerlei 
als Trance und Zwang.

Guter Tag (3945)30

Heute fühle ich mich wohl;
heute geht’s mir wirklich gut.
Fand schon einen Ruhe-Pol
in mir selbst als Hoffnungs-Glut.

Folglich werde ich versuchen,
möglichst ihm gerecht zu werden;
werde also nicht verfluchen,
was sich selber muss gefährden.

Werd so tun, als ob in Ordnung wäre
diese selbst sich oft verhasste Welt.
Wegen uns doch Kosmos-Zähre;
anstatt Gottes Friedens-Zelt.

Wünsch heut allen Selbst-Vergessen:
Befreit zu sein von sich als Last;
aller Trauer, allen Daseins-Blässen …
Nicht zu sein sich selbst verprasst.

Schlaflosigkeit, Unruhe, Bewustsseinstrübung und eine unabweisbare Ahnung (3946)31

Treibt mich nachts die Schlaflosigkeit
aus dem Bett, fällt mir, 
schlaftrunken,
schmerzgepeinigt 
und konzentrationsunfähig,
kaum etwas ein,
was am Morgen dann
zu einem Gedicht
gefügt werden könnte.
Immerhin aber höre ich dann 
das Ticken der Küchenuhr
viel deutlicher als tagsüber,
wenn der hereindringende Straßenlärm
alle Geräusche in der Wohnung dämpft;
nehme ich viel klarer auch
diese unaufdringliche Stille wahr,
die mir, 
so will’s mir immer öfter scheinen,
nunmehr sanft aber bestimmt 
zu verstehen geben will,
sich mir in nicht allzu ferner Zukunft
für immer entziehen zu müssen:
Zugunsten jener definitiven,
jener Gegen- als Nicht-Stille,
die uns alle am Ende
unserer selbst benimmt.

USA IX (3947)32/Sonett 

Wenn ich, Amerika, dich so betrachte:
Die winners, heroes und die trash Verfügten:
Von Drogen, Armut, Starsystem Besiegten,
dann kommt es vor, dass ich dich tief verachte.

Als Land, das oberflächlich selbst sich sachte 
zerrüttete, weil sich in ihm verschmiegten
Verfassungsmängel, die sich selbst bekriegten:
Geschäft und das als Ideal gedachte
Demokratiemodell der Auserwählten.

Die’s puritanisch mammonblind zertraten,
nicht auf die Weisheit von Matthäus* zählten:
Es reicht nicht, anzuhimmeln Geldmagnaten.

Kein Wunder, dass sie ihren Traum verfehlten.
Sich einst verirrend wohl in Wall Street-Schwaden.

*NT, Matthäus, 6,24: „Nemo potest duobus dominis servire aut enim unum odio habebit et alterum diliget aut unum sustinebit et alterum contemnet; non potestis deum servire et mammonae. “ (Übersetzung: Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen ergeben sein und den andern missachten; ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“(Ü: Hermann Menge)

(3948)33/Sonett 
Ein Intellekt-Gebilde: Das Sonett

Es lässt sich nicht emotional erschließen.
Das heißt: Man kann den Inhalt nicht erleben.
Als Kick, als Spaß, als simples Spannungsbeben,
wenn man sich konsumistisch will zerfließen
in kundentypischem sich selbst Genießen.
Erlebniseskapistisch Rausch ergeben,
sich von was Ichsucht stört, hinweg zu heben,
um Hedonismus-Sucht sich auszugießen.

Auch deshalb wollte ich Sonette machen,
um diesen Geistesausverkauf zu meiden,
den Druck, zum Standard-Ich mich zu verflachen
und intellektuell mir zu entgleiten.
Um gängelnder Beglückung abzulachen
Verrohungshämen dekadenter Zeiten.

Lebenslügen (3949)34/Sonett

Man braucht sie wohl, diese Entlastungs-Phrasen
wie etwa Würde, Freiheit oder Sinn.
Braucht überhaupt Fiktionen: Lebenslügen,
um dies prekäre Dasein auszuhalten.

Man braucht sie in fast allen Lebensphasen,
denn ohne Zweifel sind sie ein Gewinn,
weil sie’s erlauben, selbst sich zu betrügen
mit Hoffnungs-; Sehnsuchts- oder Traumgestalten.

Man wäre schnell verzweifelt ohne sie,
weil man dann schärfer sähe, was es heißt,
sich zu behaupten ohne die Magie,

dass man nicht immer sich als Mensch entgleist:
nicht streng notwendig ist nur Agonie,
vielmehr um kleinstes Zufalls-Glück auch kreist. 

Irrational-unkontrolliert vorüberflutende Tirade (3950)35

Dass unentwegt ich selbst 
an Staat und Recht 
rummäkle,
nun ja, das stimmt, 
ich kann’s nicht leugnen;
und dass das jemanden, 
der’s liest, empören mag,
auch das verstehe ich,
kann’s nachvollziehen.
Und dass ein gutes Haar
ich lassen würde 
an was immer,
ist sehr, sehr selten;
also auch der Fall.
Kurzum, ich muss 
es eingestehen.

Indes warum nur, ja: Warum?
Was treibt mich da 
in eine Krittel-Sucht,
die jedem auf die Nerven 
gehen muss?

Ich deute an, ich mag mich völlig täuschen,
doch sehe ich die Dinge so:

Die Volksherrschaft wird sich nicht halten können.
Der Westen überhaupt wird untergehen.
Der Kapitalismus wird sich indirekt zerstören: 
Durch kollektive Auszehrung der psychoethisch-geistigen: der Daseinssteuerungskräfte der Individuen:  
Der abgerichtete Fun-Büttel wird sich irgendwann selbst nicht mehr meistern können: gewissen- und charakterlos einer existenziellen Hilflosigkeit anheimfallen.
Die Zukunft wird gehören Diktatoren, dann Mammon-Oligarchen auch, parteitotalitären Staaten sowieso.
Und diesen wird die KI nützlich sein; stellt sie doch das Mittel der Rund-um-die-Uhr-Kontrolle der Individuen dar, 
sie irre zu leiten, sie zu verängstigen, sie vollständig zu verknechten: gefügig zu machen bis in ihre Kerne.
In einem Punkt, nun, haben jene - unsere globale Zukunft - schon jetzt verspielt: 
Wir werden den Klimawandel nicht bewältigen. Wie sehr nicht, sei dahingestellt.
Dann - weiter -: Auch Kriege wird es immer wieder geben (wir sind vernünftig nicht, wir sind nicht gut, 
sind niemals frei, sind unsrer selbst nicht mächtig,
sind vielmehr ausgeliefert uns ein Leben lang);
auch wenn die Deutschen das nicht glauben wollen,
zumal die Weltgeist-Tugend-Haftung sie: ihre Meister-Disziplin, unbelehrbar in sich fühlen, sie, jene Kriege, ein für allemal so zu verhindern sich fähig glauben..
Und was mein Heimatland betrifft (ich sprach gerade von den deutschen Friedens-Magiern), so hat sich’s tugendrein (Moral und Tugend-Wahn hat’s nötig, 
um selber sich zu schaden, weil sie’s hebt; 
selbsthass-masochistisch ausgelegt schon immer: 
Es m u s s sich selber schaden, auch, um seine Eitelkeit, den pathologischen Narzissmus, sich zu stillen 
und sei es auch durch schiere Barbarei.
Sich selbst zu heben brauchen sie das Leid,
die Deutschen, meine Übermenschen-Zwerge,
die sich herunterbringen müssen, müssen es auf viele Weisen:
Politisch-rechtlich-ideologisch mittels Würde,
der National-Leerformel, vor der alle so gern kuschen:
sich auszuweisen als human, als nicht rassistisch usw.,
das praktizierend bis zur Selbstbestrafung …
dem Gipfel deutscher Tugend-Onanie …
Die Deutschen leiden nun mal gern, besonders gern an sich; weshalb sie ihre Sprache nun auch so verachten:
Ein Trigger-Wow! ein Game Changer für’s deutsche Grundgemüt, dem längst schon fehlt ja das Belebende.
Weshalb es nicht mehr lange dauern kann - ich bin für diese Maßnahme, weil es mich, altersbedingt, nicht mehr groß betreffen kann; aber auch weil ich den zukünftigen Deutschen nicht eine weitere Chance der Selbstbesudelung vereiteln will - bis jede(r) Deutsche, die, der nicht queer ist, farbig, drogensüchtig, clan-kriminell und nicht zumindest herausgehoben durch einen Migrationshintergrund eine jährliche Sonderabgabe an das Finanzamt zu übersenden hat:
Kennwort: Masochisten-Steuer. Zweck: Selbstverachtungs-Ausgleich.

Versöhnung ohne Schein und Lüge

Wenn man sich scheinbar grundlos selber hasst,
geht letztlich man am besten unter.
Wenn auch, das ist der Fall, für diesen Hass
man selber gar nichts, wirklich gar nichts kann.

Weil jedes, egal welches Menschen-Schicksal
uns ohne Gegenwehr, uns wehrlos doch erfasst,
bringt es uns ohne jeden Ausweg runter,
uns unterwerfend sich; dies ohne Unterlass.

Uns sucht nie heim der Freiheit Last
(von Freiheit reden, das ist Phrasen-Plunder).
Wir sind nicht frei, sind Zufall hin geprasst:
Ein Hyle-, Geist- und Zwangslauf-Wunder.

Weshalb ich niemand je verurteilt habe,
der sich, warum auch immer, in sich selbst verlief.
Weil ihm vielleicht auch fehlte diese eine Gabe:
Die Welt und sich zu sehen: sinnlos – abgrundtief.

Morgens um 8.30 Uhr im Bus Richtung Innenstadt (3951)36

Ohrstöpsel-Kopfhörer-Monaden.
Die Jungen. Schüler.
Sie reden nicht miteinander,
sie scheinen unzufrieden zumal;
ängstlich gar; abweisend 
ist der Ausdruck ihrer Gesichter;
irgendwie stumpfsinnstarr.
Diese Gesichter scheinen mir 
eine spezifische innere Leere 
zu spiegeln: die des Hochmuts,
des Narzissmus, der Seelenkälte …
Egalisierte sind das, ‚
oberflächendifferenzierte*;
austauschbare und: 
verlegenheitsgemeine ….
Feindseligkeit, Verachtung,
Fremdabwehr glaube ich 
in ihren gleichsam toten Blicken
wahrnehmen zu sollen.

Wahrscheinlich aber 
tue ich ihnen auch Unrecht.
Womöglich großes Unrecht.
Denn mir entgeht auch nicht
ihre tiefe existenzielle 
Verunsicherung, die derer,
die die Gewissenlosigkeit,
Verdinglichungsgewalt,
warenmystische Seelenkälte,
Korrupt- und Verlogenheit: 
die geistige Substanzlosigkeit
ihrer Hully-Gully-Gesellschaft 
noch nicht erfühlen können:
Kindheitslose Jung-Verbraucher,
abgerichtet, dem System 
begrifflos zu verfallen.

Oder: Sie müssen sich so inszenieren.
um sich zu bewahren vor all dem nur schwer 
Ausdeutbaren, was über sie hinwegschwappt,
in sie einsickert, sie seltsam ungreifbar packt,
mitreißt, emotionalisiert, ihrer selbst entmächtigt:
Internet, social media, Smart Phone, Fernsehen, 
Filme, Pop-Musik: Kunstweltprodukte …
Entfesselungs-Entlastung mit dem Ziel
systemträumerischer Verwahrlosungs-Erlösung.

*Amerikanisch: marginal differentiation; ins Deutsche - großartig - übersetzt  von  Frau Renate Rausch mit dem Begriff „Oberflächendifferenzierung“.
David Riesman: „Die einsame Masse“/The Lonely Crowd, ins Deutsche übersetzt erschienen bei Rowohlt im August 1958.

Ich-Despotie (3952)37 

Wohl weiß ich 
wie kindisch diese Hoffnung ist,
dass sich heben könne der Mensch
aus existenzieller Gebundenheit,
hilflos doch ausgeliefert 
anonymer Vergeblichkeit ...
in jedem Augenblick außerstande,
sich selbst zu befreien 
aus wesenstypischer Ich-Despotie.
 
Haltlosigkeit (3953)38 

Festmachen,
ich meine geistig,
ethisch und kulturell,
kann man sich 
nirgendwo mehr.
Wird man doch längst
lückenlos vereinnahmt
und gesteuert vom Markt, 
der durch ihn 
geprägten Zeitgeist-Diktatur
und einer Gesellschaft,
die als verfallende 
zu bezeichnen,
man keine andere Wahl mehr hat. 

Äußerliche Freiheit (3954)39 

Nun, die gab’s. Unten. Ganz unten gab es sie.
Nur dass sie das Ergebnis der Gleichgültigkeit 
und Nichtbeachtung meiner durch andere allein war:
Meiner: Gesellschaftlich bedeutungsloses Außenseitertum … Unterschichten-Existenz, Ausschließung und Einsamkeit - irrelevant doch für jene anderen.

Aber es gab sie, diese äußerliche Freiheit.

Und ich denke oft zurück an jene Jahre,
als mir, der Hilfskraft, die wichtigen Leute
aus Parteien, Kulturbürgertum, Geschäftswelt,
Kirche, Gewerkschaft und Sport, 
so fern, so unverständlich und so fremd waren,
dass ihre später von mir erstaunt und unwillig
diagnostizierte geistige Dürftigkeit
mir damals nicht eine Minute trübte,
mit keiner sottise mich anekelte,
mit keiner Plumpheit sich mir zu entlarven vermochte ...

Entlastungsdespotie (3955)40 

Mir selber geistig ...
lückenlos ausgesetzt,
bekämpfe ich 
so rastlos wie unerbittlich
eure mich lockend 
belagernde Entlastungsdespotie.

Inzwischen freilich 
haarspalterisch geschickt genug,
mir wortklauberisch 
vorgaukeln zu können,
ich würde noch nie
zu ihr übergelaufen sein. 

Fremdgesteuerte Sozialschauspielerei (3956)41/
Sonett 

Was mich so deprimiert, ist, dass ich spüre,
heteronom an fremder Macht zu kleben.
Und das, das kann nur eine Zeit eingeben,
die wirkt als permanente Ouvertüre
zum Zwang, dass man sich dauernd inszeniere,
um sich Gepflogenheiten einzuweben,
die stützen selbst berufliches Bestreben,
zumal auch dienen als Sozialscharniere.

Man kann sich kaum noch vor der Show bewahren.
Zumal bei vielen fehlt schon dieser Boden
der sittlich und vor allem psychisch klaren
und festen Anstands- und Verhaltens-Knoten.

Da greifen Selbstentmächtigungsverfahren
als strenger Ausdruck jener Zeitgeistmoden.

Abstraktionszwang (3957)42 

Der Abstraktionszwang, 
dem wir unterliegen,
dirigiert uns autonom.
Wird uns weiter sich verbiegen
zum ihm hörigen Atom …
Ohne Geist-Zusammenhang.

Sich uns technisch auszuschwemmen,
anonym auch zu missbrauchen,
psychisch uns zurecht sich kämmen,
bis wir ihm Gehorsam hauchen.
Alle Wirklichkeit wird schwinden,
verfahrensanalytisch ganz ersetzt.
Uns an sanften Terror binden,
der uns, allgleich, dann ergötzt.

Ansinnen (3958)43/Sonett 

Wenn man die eigne Kunst zwecks Ruhm verkaufen will,
dann muss man anderes als ich und anders schreiben.
Auf diesen Zeitgeist achten, seinen Waren-Drill,
der macht, dass immer mehr sich lieber Trance aufreiben.

Indes das liegt mir fern: Ich will für mich nur bleiben.
Für mich nur schaffen, abseits lebend, abendstill …
Auf keinen Fall sei’s Botschaft, sei’s Moral vertreiben;
und das gar öffentlich, soll heißen gängig schrill.

Komplexität will ich nur spiegeln in Sonetten,
global politische, soziale, subjektive.
Durch Einsicht lockern mir all die subtilen Ketten,

die unser Dasein prägen in der Wesens-Tiefe.
Es uns so immer schwerer machen, uns zu retten
in eine Zukunft ohne Barbarei-Motive.

Sonett für meine Eltern (3959)44 

Noch einmal nenn ich euch die Trauer-Leiden:
So Schweigen, Härte, Unmaß und Verbittern.
Und rüttle sehnsuchtsblind nun an den Gittern,
die bis zum Ende wir nicht konnten meiden.

Sie sollten menschlich uns für immer scheiden,
uns lassen in Erbärmlichkeiten schlittern,
in Misstrauen und Angst und Daseinszittern;
gar in Verwahrlosung und Sich-Entgleiten.

‚Sonett‘ meint hier: In ihm uns zu verzeihen,
was wir uns angetan, versäumt auch haben;
mag die Verstocktheit mindern und das Schreien:

Mag selbst den Hass aus leeren Augen schaben,
dann, gottgefällig, gar die Kraft verleihen,
aus Zeit und Tod uns einen Gruß zu graben.

Sicht auf meine Existenz (3960)45/Sonett 

Ob sie sich lohnt, ob nicht, das ist mir gleich.
Ich will für mich sein, sein mein eignes Lot.
Ob ich nun angestellt bin oder reich,
Subjekt von Würde oder Angebot,
ob später mal in einem Himmelreich
wie jetzt mit andern im Gesellschaftsboot …
Ich wiederhole mich: Das ist mir gleich.
Erträglich ist ja meine Daseinsnot.

Ich habe, was ich brauche, will nicht mehr.
Denn mehr, das würde mich doch nur belasten:
Ich müsste noch mehr lügen, fürchten, hasten.
Das führte letztlich nur zum Selbstverzehr.

Das, was ich habe, bin, genügt mir doch,
von Hirnzwang doch bestimmt und Physis-Joch.

So sind wir nun mal (3961)46/Sonett 

Die Unterschiede sind ganz oberflächlich.
Doch grade deshalb auch so heiß umkämpft;
ob personal nun, ob sozial gebrechlich.
Da gibt es nichts, was diesen Hunger dämpft,

zu übertreffen, siegend auszustechen;
beruflich, sportlich, sexuell, privat.
Es geht noch nicht mal darum, sich zu rächen.
Man will gewinnen, ist man doch Primat.

Ich mach mir oft den zweifelhaften Spaß
- denn schließlich bin auch ich ein Herrentier -,
zu blicken auf das ausgelebte Maß:

Ich sehe Unfreiheit, ein Selbstgeschwür,
ein Häufchen Angst, Betrug im Wie und Was
und, kommandierend, Show im Jetzt und Hier.

Einsamkeit und Öde (3962)47/Sonett 

Ich habe Sehnsucht nach den grauen Leeren,
nach engen Häuserwinkeln und den Mauern,
in die ich mit mir mein Alleinsein kauern,
verlungern durfte Drogen und Miseren;
verspotten auch die Guten und die Hehren,
die ewig vor dem eignen Ich erschauern
wie die, die Raub, Gewinn und Lust umlauern
und die, die sich narzisstisch selber ehren.

Ich liebte sie: die Einsamkeit und Öde,
die mir in beispielloses Glück umschlugen
und gaukelten, dass es mir Ausweg böte
aus dieser Aussichtslosigkeit der Fugen
von Einsamkeit und Wirrnis roher Nöte.
Delirien, die indes weiter trugen.

Wenn (73/3963)48

Wenn ich dich träfe,
suchte ich mit dir Vergessen;
und etwas Trost,
mich weiter dann zu treiben.

Was sonst auch 
angesichts der progressiven
Verflachungslust
von Denken, Wollen, Fühlen.

Wenn ich dich träfe,
schwiegen wir uns fort
in folgenlos erschaffne.
Geistes-Paradiese.

Sinnloses Fragen (3964)49

Was mag, fragst du, dahinterstecken.
Zunächst mal sag mir, hinter was?
Meinst du vielleicht die Nebelflecken
des Alls im Astronomen-Glas?

Geheime Kraft, die man vermutet,
dass sie das ganze Dasein trage?
Den Gott, der durch die Seelen flutet?
Geniales Geistes-Nichts nur - ohne Frage.

Meinst du gesellschaftlich ein Ziel?
Verbrüderung in Mitleid und aus Güte?
Dass diese würden einmal Seins-Asyl,
der Mensch nicht mehr als Affe wüte?

Du suchst. Und suchend wirst du blinder.
Ist nirgends Zweck. Steckt nichts dahinter.

Annäherungen an den Souverän (3965)50/Sonett

Ein Konkurrenzkampf von Konsummonaden,
den die Funktionseliten konzertieren
mit Rechtsverfahren und mit Tugendschlieren.
Im Dienst von Mammon, Kapital und Daten.
Sie alle schleichen auf den gleichen Pfaden.

Auch darum geht es: Raunend zu flankieren
den Sinn des Souveräns mit lauten Schwüren,
man werde weiter steigern Wachstumsraten.

Und eben das, das wollen ja die Leute.
Die sich um Widersprüche kaum noch scheren:
Sie wollen optimale Glücksausbeute,
sich Freizeit, Urlaub, Kicks und Lüste mehren.
Auch dass man zeitgeistnah korrekt sich deute
als Schnäppchenjäger ohne Daseinsschweren.

Durchschnittliche Politiker (3966)51/Sonett 

Nicht jedem scheint der Glanz des Resoluten.
In diesem dann sich selbst zu überragen.
Aus Anfechtung und Ichsucht sich zu tragen.
Entschlossen, sich zu beugen Geistesgluten.
Sich möglichst klar zu machen, dass uns fluten
Gewissenlosigkeiten und Versagen.
Um, ist es so, sich selbst zu hinterfragen:
Warum verdränge ich mir derlei Knuten?

Doch kann gewählter Hochmut es auch greifen,
dass jene Zeilen grad an ihn sich richten …
Die Überschätzung seiner selbst zu schleifen,
sich keine Fähigkeiten anzudichten,
die er nicht hat. Auch davor nicht zu kneifen,
sich seine Mittelmäßigkeit zu lichten.

Kunstwelt-Betrug (3967)52/Sonett

Verloren ist das Spiel gleich welcher Art
von kühnen Weltverbesserungsversuchen.
Die Wirtschafts- und Finanz-Eliten buchen
uns nunmehr eine Neu-Epochen-Fahrt.

Wohin, ist ungewiss. Doch steht schon fest:
Mit Hilfe technologischer Verfahren.
Ein neuer Mensch soll künstlich sich verwahren;
auch gegen sich: sich selbst die schlimmste Pest:

Und damit wird, was Geist mal hieß, dann enden.
Das Ziel kann nur noch Fremdbestimmung sein:
Gebrauchs-Beseligungen nach dezenten 
Simulationen: Programmierter Schein.

Wie sollte da ich noch Vertrauen haben?
Nie werd ich Zweck aus Illusionen schaben!

Polit-Groteske (3968)53/Sonett

Die Inhalte? Doch viel zu kompliziert!
Infolgedessen speichelt man Effekte,
die man erhaschte - Eine indirekte 
Bestätigung, dass man nur dilettiert.
Genauer: Flachrhetorisch phantasiert,
um aufzuladen Unmut und Affekte.
Gerissne Schliche, stümpernd ausgeheckte,
sodass sich das Bewusstsein bald verliert,
worum’s denn geht - Nun, worum geht es denn?

Um Macht. Um Ämter, Ruhm, sich aufzublähen.
Um Phrasenkokain auch für den Fan.
Um Sachprobleme geht es nicht. Und wenn,
dann um in Trickserei sich zu ergehen.
Ich, Kapital und Zeit Spalier zu stehen.

Substanz-Gebrechen (3969)54/Sonett 

Die Fähigkeit zu Selbstdistanz zu haben,
Verantwortung durch Können einzulösen,
intuitiv zu fassen diese Größen:
Hass, Niedertracht und Schein, die krud zerschaben
Charakter, Feinsinn und Verstandesgaben,
zwecks wirklichkeitskonformer Anamnesen …
Das schüfe Handeln nach Vernunftsynthesen:
Gelichter Handlungsspielraum abzugraben.

Doch das sind faktisch nur Voraussetzungen,
uns selbst nicht dumpfnarzisstisch aufzusitzen.
So nicht zu frönen unsren Niederungen,
die, deutungslos, uns schon im Kern doch ritzen.
Und meist verhindern, dass wir, Ich gedungen,
nicht Schäbigkeit und Lug allein aufblitzen.

Faktenfundierte Nachsicht (3970)55

Ich lasse gern mal Fünfe grade sein;
zumal das wirklichkeitskonformer ist;
auch Wut verhindert, friedlich macht,
Empörungslüsternheit verhütet.

Zumal auch unsre Welt ist eher Schein,
sich oft ins unwägbar Komplexe frisst:
Rechthaberei hebt zur Prinzipen-Schlacht,
anstatt dass sie die Faktenlage* bietet.

Indes man heute ist sehr schnell gemein:
Prinzipienreiter, der sich selbst gern hisst,
grad weil er nur hat etwas angedacht,
heißt: gegen halb Begriffenes so wütet.

*Die Faktenlage kann übrigens eine solche sein, die man als diese nicht erkennen kann; und das ist dann eben die Faktenlage

Gesellschaft heute (3971)56/Sonett 

Gesellschaft heute? Zahme Barbarei.
Streng wirtschaftlich fundierte Strategie
im Banne technologischer Magie.
Verbraucherhort, umfassend diese drei:
Lust, Wohlstand und geplantes Einerlei
nach künstlicher Erregungsmelodie48
In einem eskapistisch toten Wie 
von gleicher Iche krampfendem Geschrei.

Die Umsatzpriester tummeln sich ganz oben.
So auch die stets bigotten Würdepfaffen,
die permanent sich lächelnd selber loben.
Indes sie schleichend Recht und Staat abschaffen.
Obwohl sie tugendmanisch ichverschroben, 
nicht mehr den Zugriff auf sich selber schaffen.

Für eine Freundin später Jahre (3972)57/Sonett

Du willst es hören? - Ich sag’s unverhohlen:
Nimm, was du kriegen kannst an späten Glücken.
Frag nach Moral nicht, nicht sozialen Krücken.
Die Zeit wird dir wie immer fortgestohlen.

Als nichtig dann entlarven die Parolen
aus allen menschlich surrealen Stücken. 
Wie dem der Liebe etwa: Trance-Berücken,
das bald Versachlichungen überholen.

In ein paar Jahren wirst du sterben;
allein, auf dich zurückgeworfen zittern.
Dann, bist du bei dir, ahnen, dass stets Scherben

uns alle Sehnsuchtszwecke tief verbittern …
Dass alle Stunden schneiden tiefe Kerben,
die uns bis in die Kerne dann erschüttern.

Erinnerung an damals (3973)58

Das ist jetzt mehr als fünfzig Jahre her,
dass wir uns dann und wann mal trafen.
In jenem Steh-Café am Rhein, in Ludwigshafen -
Dies Örtchen gibt es längst nicht mehr.

Auch sonst ist nichts mehr da von jener Welt,
noch weit entfernt von sei’s Genuss-Sucht-Einerlei,
sei’s Selbstbetrug, sei es Parteien-Stümperei:
Von Mittelmaß, das für begabt sich hält.

Noch war man nicht empörungslüstern.
Und wusste noch, was sei Gewissenlosigkeit:
Korrupt zu sein, dass es zum Himmel schreit,
sich Wähler-Hirnen als wahrhaftig einzuflüstern.

Grad gestern wieder 
habe ich an dich gedacht:
Dass du ein feiner Kumpel warst - 
das fällt mir immer ein.
Seit Jahren freilich tot; nichts wissend so 
von dieser Schlacht:
Erbärmlich-deutschem 
Pseudo-Tugend-Schmieren-Sein:
Ideologen-Macht:
Demokratie als Schein.

Geistige Erkundung (3974)59 

Zufalls-Dasein zwischen Nichts und Nichts.
Das wird’s sein gewesen;
Selbstkult eines Ich-Verzichts,
Weltzuständen abgelesen.
Trance und Leeren sich zu deuten;
stumpfer Psychen Drangsal-Wallen:
schierem Sich Vergeuden
an die Trieb- und Ratio-Kralle.
Dennoch kann’s in manchen Stunden
bis in seinen Kern gelingen:
Wenn man geistig darf erkunden
diese atomaren Zwingen:
Dieses Radikal-Geschehen
ohne Zwecke, Ziele, Sinn,
dem wir permanent verwehen
als gefangenes 'Ich bin'.

Das Leben (3975)60/Sonett 

Ich mag wie oft auch immer es bedenken,
stets komm ich zu den gleichen Resultaten:
Man leidet’s von der Wiege bis zum Spaten.
Doch außerstande, selber es zu lenken.

Und manchmal wird es einen tief auch kränken.
Sei es, dass andre wollen einem schaden,
sei’s, dass man selbst verloren hat den Faden.
Und nur ganz selten hat es was zu schenken.

Doch wenn, dann greift’s vielleicht mal in die Fülle*,
um einen über sich hinauszutreiben.
Dann sitzt man da und lauscht in seine Stille

und sieht Vollendung hinter seinen Scheiben:
Wie man entkomme dieser Wohlstandshülle,
um nicht nur ihr allein sich aufzureiben.

*Die letzten 5 Zeilen auch so:
„um einen über Gram hinauszutreiben.
Dann sitzt man da und fragt sich in der Stille:

Wird dieser Zufall auch noch morgen bleiben
und nicht sich zeigen als nur leere Hülle,
die ködert, sich naiv ihr aufzureiben?“

Zeitgeist IV (3976)61/Sonett/Vergleiche (11/632), (25/1529) und (38/2232) 

Man mag blasiert ihn, gar verwerflich finden,
als Wurzel infantiler Protzereien,
zumal auch machtsteriler Selbstwertweihen;
sogar begreifen, dass er müsse münden

in truggepflasterten Politweltfinten.
Doch Fakt ist, sich ihm wortreich einzureihen,
um als Persönlichkeit sich auszuschreien,
macht Sinn: Man darf als kompetent sich künden.

Uns Durchschnitt ist es freilich nicht gegeben,
über uns selbst beliebig zu verfügen.
Wir müssen oft nach Kompromissen streben,

weil wir sozial nicht über uns verfügen.
Vielmehr uns haben täglich einzuweben
in Daseinsmächte, die uns auch verbiegen.

Die Große Gereiztheit I (3977)62 /Sonett

In dieser Zeit der plump verwirrten Seelenlagen,
des progressiven Niedergangs der Selbstansprüche,
gehn Heiterkeit und Lebensfreude in die Brüche …
Und viele Menschen können nicht mehr selbst sich tragen.

Orientierungslos geworfen in Verzagen:
Im Sog narzisstisch-inszenierter Zeitgeist-Schliche,
die modeln sich die hilflos Markt verfügten Iche,
die psychophysisch deklassiert an Phrasen nagen.

Der Wohlstand - unausweichlich -  schuf sich seine Knechte:
Uns alle: menschlich schwerstversehrt: gewissenskalt:
formale Existenzen, bis ins Mark geschwächte

Vollzugsegalitäre öder Spaß-Einfalt …
sich ihrer selbst benommen, mimend Daseins-Mächte,
systementfesselt als Verbraucher ohne Halt.

Siehe auch:
Die Große Gereiztheit II (74/4044)
Die Große Gereiztheit III (65/3473)
Die Große Gereiztheit IV (70/3797)
Die Große Gereiztheit (V)  (51(2657)

Aus dem Zyklus Trias (193) (3978)63

Selbstverständlich wird man 
im Stich gelassen;
selbstverständlich auch 
oft verraten.
Wir sind 
alle perfide, 
hängen 
alle am Faden
einer Daseins-Verrohung, 
kaum noch zu fassen.

Störrische Identität (3979)64

Im Grunde genommen 
war ich immer derselbe.
Mein Leben lang.
Ziemlich gleichgültig etwa 
gegenüber vielem,
was anderen ein Daseinsgipfel war:
Wohlstand, Ansehen,
Macht auch vielleicht.
Und selbstverständlich weiß ich,
dass Menschen Halt, Stolz,
Identität, gar Sinn 
aus diesen Dingen saugen.

Indes verstehen  konnte ich nie,
wie man sich so unüberlegt
und in mancher Hinsicht 
so fundamental betrügen kann.
Sind jene Daseinsgipfel
doch sämtlich nur 
Primaten-Erfüllungen,
also auch auf Perfidie,
Rohheit, Scheitern, Niedertracht
und innere wie äußere 
Gebundenheit unausweichlich
verwiesen.
Ich hätte mich nie auf sie
einlassen können, 
nie meiner Artgenossen,
wenn auch nicht zurechenbare 
Verworfenheit, ertragen wollen.

Warum nicht, vermag ich freilich
letztlich nicht zu erklären.


 

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